überarbeitet in ISBN 978-3-86135-583
Transcription
überarbeitet in ISBN 978-3-86135-583
Folientexte von Gerhard Medicus zur Hominisation Den folgenden Merkmalen wird häufig bei der Diskussion des spezifisch Menschlichen besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Werkzeuggebrauch und Herstellung: Ist im Prinzip schon bei Menschenaffen zu beobachten. Phylogenetische Vorbedingung dieser kognitiven Leistung sind die „sozialen Funktionen des Intellekts“ (Humphrey). Besitz eines Werkzeuges, der über die momentane Motivationslage und Anwendungssituation hinaus reicht, gibt es nur beim Menschen. Sprache: Gibt es in dieser Form im Tierreich kein zweites Mal (trotzdem: Ortsangaben auch bei Bienen!). In diesem Zusammenhang wird häufig die Bedeutung des Kehlkopfes überbewertet (obwohl es immer wieder einzelnen Kindern gelingt, sich spielerisch mit der „Rülpssprache“ zu verständigen). Viel wichtiger ist - neben der menschlichen Symbolfähigkeit und anderen Hirnleistungen - die Fähigkeit, die Stimmbänder willkürmotorisch1 zu bewegen (Ploog): Hinsichtlich Primaten1 sind wir die einzigen, die zu dieser Stimmmodulation fähig sind. Vor diesem Hintergrund ist bei der Diskussion der Frage, ob der Neandertaler sprechen konnte, dessen Kehlkopfanatomie zweitrangig. (Wesen ohne Symbolfähigkeit, aber der Fähigkeit zur Stimmnachahmung sind sog. „sprechende“ und „spottende“ Vögel.) Bipedalität: Im Tierreich gibt es mehrere analoge Entwicklungen dazu. Ökologische und innerartliche Vorteile und Bedingungen der Bipedalität: Fakultative Bipedalität bei Primaten • als phylogenetische Voraussetzung der durchgängigen Bipedalität: Guter Gleichgewichtssinn der ursprünglich baumlebenden Primaten. • Beispiele für gute bedarfsorientierte bipedale Fortbewegungsfähigkeit bei Primaten: • Tragen von „Beute“ (z.B. Pavian), • Versuch, sich in der Grassavanne Überblick zu verschaffen (z.B. viele Halbaffen), • Durchwaten von Gewässern (z.B. Gorilla), • Tragen kranker oder toter Jungtiere (z.B. Menschenaffen), • meist männliche Imponierveranstaltungen (z.B. Gorilla, Schimpansen) • bleibende bipedale Fortbewegen bei Lähmung der Arme (z.B. Schimpanse nach Polioerkrankung),. 1 Homo sapiens ist wahrscheinlich der einzige „stubenreine“ Primat, weil er die entsprechenden Schließmuskel willkürmotorisch kontrollieren kann. Hypothesen zur durchgängigen Bipedalität im Rahmen der Hominisation („Tier-“ Mensch-Übergangsfeld): • Mit der zunehmenden Fähigkeit, künftige Ereignisse unabhängig von unmittelbar erlebten Antrieben und Tätigkeiten hinaus mittel- bis langfristig planen zu können, kann das Tragen von Lasten (z.B. Vorräte, Werkzeuge) nützlich und notwendig sein. [Damit verbunden ist die Fähigkeit, Besitz auch bei Abwesenheit des Besitzers repektieren zu können.] • Bipedalität als thermoregulatorische Anpassung (Wheeler z.B. 1984, 1991): Durch den aufrechten Gang wird vor allem zwischen den Wendekreisen weniger Sonnenhitze vom Körper absorbiert. Möglicherweise ist in diesem Zusammenhang auch die Körperbehaarung fast verschwunden, um dadurch ein besser kühlendes Ganzkörperschwitzen zu ermöglichen. • Mit der zunehmenden Haarlosigkeit und zunehmenden physiologischen Frühgeburtlichkeit (Portmann) ist aus dem ursprünglich motorisch relativ „reifen“ aktiven Tragling (das Primatenjunge hält sich mit Händen und Füßen am Fell der Mutter - oder anderen tragenden Individuen fest) ein verhältnismäßig unreifer passiver Tragling (Hassenstein) geworden, der ohne aktives Tragen der Eltern „verloren“ gehen würde. • Wahrscheinlich ist die Bipedalität schon relativ früh im „Tier-“ Mensch-Übergangsfeld als sozial attraktiv wahrgenommen worden (vergl. Imponieren). Nachteile der Bipedalität: 1. die meisten Primaten sind auf allen Vieren schneller als Homo sapiens; 2. Verlust der dritten und vierten „Greifhand“; 3. durch „neue“ mechanische Anforderungen an „Bewegungsapparat“: Risiko von Wirbelsäulen- und Bandscheibenbeschwerden; 4. wegen erhöhter Belastung des muskulösen Beckenbodens ist eine möglichst kleine Ausdehnung desselben vorteilhaft, damit wird der knöcherne Beckenring zum Geburtshindernis (und zwar für den im Vergleich zu anderen Primaten großen Kopf des Menschenkindes trotz des vergleichsweise relativ frühen Geburtstermins); 5. Orthostaserisiko mit Schwindel beim zu raschen Aufstehen; 6. zum Teil Risiko der Varizenbildung („Krampfadern“) an Beinen usw.