Bringt EURO-BAC die Lösung? - BERUFSBILDUNGSPROJEKTE Dr
Transcription
Bringt EURO-BAC die Lösung? - BERUFSBILDUNGSPROJEKTE Dr
Der Zugang zur tertiären Ausbildung: Bringt EURO-BAC die Lösung? Emil Wettstein∗ In einigen Ländern Europas — vor allem in der Schweiz — kennt man in der Sekundarstufe II die herkömmliche Trennung zwischen dem berufsbildenden Zug, der in erster Linie auf den Erwerb vorbereitet, und dem allgemeinbildenden Zug als Vorbereitung auf eine weitere Ausbildung in der Tertiärstufe. Diese Trennung hat viele Vorteile, sie führt aber heute zu unerwünschtem Druck auf den allgemeinbildenden Zug. Dershalb werden überall Möglichkeiten geschaffen, den berufsbildenden Zug ebenfalls als Vorbereitung auf weiterführende Stufen auszugestalten. Ein Projekt der EU, an dem sich auch die Schweiz beteiligt, versucht einheitliche Standards zu definieren. Erwerbsfähigkeit - Studierfähigkeit - Doppelqualifikation Die Ausbildungsgänge der Sekundarstufe II hatten einst klar getrennte Aufgaben: Die Berufslehre bereitete auf eine Erwerbstätigkeit, das Gymnasium auf ein Studium an den Universitäten vor. Heute wird von jeder beruflichen Grundausbildung verlangt, dass sie befähigten Jugendlichen auch den Zugang zur tertiären Ausbildung ermöglicht. Andererseits steigt angesichts der grossen Zahl von Schülerinnen und Schülern an den Mittelschulen die Forderung, ihnen auch den Eintritt ins Erwerbsleben zu ermöglichen. Diese Entwicklung führt zu einer Struktur, die idealtypisch in Abb. 1 dargestellt ist: Ein erster Doppelqualifikation ve rkü eB er I 9 Jahre ium ikum mit P rakt m Gymnas. Maturität as BMS re ule sch mit eh fsl ∗ DMS ach ufsf ehre ufsl ru E r w e r b s f ä h i g k e i t ufs Pr lehre ak tik u Gy mn II Ber Fähigk.- MS B zeugnis Be +3 Jahre rzt Berufsmaturität Ber +1Jahr +1Jahr (Gymnasiale Maturität und Fähigkeitszeugnis) S t u d i e r f ä h i g k e i t Ende der obligatorischen Schulzeit Der Autor, Dr. sc. techn, war Präsident der Projektgruppe Sekundarstufe II, die im Auftrag von Erziehungsdirektorenkonferenz und Bundesamt für Berufsbildung und Technologie bis 1999 an der Weiterentwicklung der Sekundarstufe II arbeitete, vgl. Literaturverzeichnis, «Le secondaire II à venir». Nach langjähriger Tätigkeit im Mittelschul- und Berufsbildungsamt des Kantons Zürich ist er heute selbständig. Er leitet die Redaktionen mehrerer Fachperiodika und bearbeitet im Auftrag von Bund und Kantonen Entwicklungsarbeiten im Bereich der Sekundarstufe II, insbesondere der beruflichen Grundausbildung. Infos: www.berufsbildungsprojekte.com Abschluss wird in der Regel nach drei Jahren Ausbildung in der Sekundarstufe II erworben, also nach total 12-jähriger Bildungszeit. Es handelt sich entweder um das sog. Eidg. Fähigkeitszeugnis als Vorbereitung für den Übertritt ins Erwerbsleben oder um die gymnasiale Maturität als Basis für ein Studium an den universitären Hochschulen. In einem zusätzlichen Jahr kann eine beschränkte Doppelqualifikation erworben werden: Wer eine Berufsausbildung durchlaufen hat, erwirbt sich nun Studierfähigkeit, ausgewiesen mit der Berufsmaturiät als Basis für ein Studium an den nichtuniversitäre Hochschulen. Ehemalige Gymnasiasten und Gymnasiastinnen bemühen sich um ‘Erwerbsfähigkeit’ durch Besuch einer praktischen Ausbildung als Vorbereitung für die Fachhochschulen oder durch eine betriebsinterne Schulung als Beginn einer Karierre in Banken oder Versicherungsgesellschaften. Eine vollständige Doppelqualifikation wird nach fünf Jahren beziehungsweise vierzehn Bildungsjahren erreicht. Der ehemalige Gymasiast erreicht dies beispielsweise durch die «formation professionnelle acceléré», die in der Westschweiz bereits fest eingeführt ist, während sie sich in der deutschen Schweiz noch im Pilotstadium befindet. Eine Lücke besteht noch bei den Inhabern der Berufsmaturität, die zur Zeit noch mindestens zwei Jahre benötigen, um ebenfalls eine Doppelqualifikation zu erlangen, denn von ihnen wird in der Schweiz noch erwartet, dass sie nachträglich eine gleichartige Ausbildung erwerben, wie die ehemaligen Gymnasiasten. Wenn davon ausgegangen wird, dass Studierfähigkeit an Universitäten nur über den gymnasialen Kanon erreicht werden kann, ist dies nicht zu vermeiden. Heute wissen wir aber, dass der erfolgreiche Besuch einer Universität auch anders vorbereitet werden kann. Dies zeigen Erfahrungen in der Westschweiz1, aber auch in Deutschland, wo in allen Bundesländern Möglichkeiten existieren, dass fähige (!) Absolventen und Absolventinnen des berufsbildenden Weges in die Universitäten eintreten können2. Deshalb verlangt die Schweizerische Direktorenkonferenz der gewerblich-industriellen Berufsschulen eine spezifische Vorbereitung im Umfang von einem Jahr, ein Postulat das auch von der Projektgruppe Sekundarstufe II begrüsst wurde. EURO-BAC — Standards für ein berufsbildendes Abitur Mit ähnlichen Fragen beschäftigen sich auch andere Länder Europas, sofern sie über eine starke Berufsbildung verfügen. Mit EURO-BAC sollen nun die verschiedenen Wege von der Berufsbildung in Universitäten europäisch vereinheitlicht werden, wozu Standards für ein «berufsbildendes Abitur» geschaffen werden. Ausgangspunkt der Bemühungen ist die österreichische Berufsmaturität. Sie unterscheidet sich von der schweizerischen Spielart in zweifacher Hinsicht • sie öffnet den Zugang zu allen Hochschulen Österreichs und damit der EU, auch zu den Universitäten3 • sie verlangt neben zusätzlichen allgemeinbildenden Kenntnissen, auch eine Vertiefung in einem berufsorientierten Wissensbereich. 1 Zulauf, M. 1997, S. 21 und 1998 S. 21-23 2 Untersuchung über die Studienerfolge der Absolventen der ‚Z-Prüfung‘ in Niedersach-sen, durchgeführt im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, (Dybowski, Ein Weg aus der Sackgasse, 1998, S. 85 zit. in Buchmann F, Seite 21. 3 Für gewisse Studienrichtungen sind Zusatzprüfungen in Latein bzw. darstellender Geometrie abzulegen. Personen, die eine Berufslehre abgeschlossen haben, erwerben die österreichische Berufsmaturität mittels vier Prüfungen4: Muttersprache, erste Fremdsprache, Mathematik, berufsorientiertes Fach, wie Motorenbau, Tourismus, Elektronik, Betriebswirtschaft, vergleiche Abb. 2 Mathematik ein berufliches Fach Muttersprache Englisch Berufslehre Auf diesem Ansatz aufbauend entwickeln und evaluieren 21 Partner aus zehn Ländern seit Dezember 1996 im Rahmen des Programms LEONARDO DA VINCI der EU Standards, die beschreiben, was jemand können muss, wenn er über den berufsbildenden Weg in eine universitäre Hochschule eintreten will. Die Schweiz arbeitet seit 1999 als sogenannter «stiller Partner» mit. Sie hat verschiedene Standards mit den Anforderungen der schweizerischen Berufsmaturitätsschulen verglichen. Dabei stellten die Teams fest, dass sie weitgehend erreicht werden. Als erste Schule bereitet zurzeit die gewerblich-industrielle Berufsschule Liestal gezielt auf EURO-BAC vor, wobei sich zeigt, dass das Ziel der vollständigen Doppelqualifikation auf diesem Weg in einem weiteren Jahr leicht erreicht werden kann5. Auswirkungen auf die Hochschulen Repräsentanten der Schweizer Universitäten befürchten, dass Doppelqualifikation zu einer unerwünschten Steigerung des Andrangs an die universitären Hochschulen führt. Die Befürworter sind der Meinung, sie führe nicht zu mehr Quantität, sondern zu mehr Qualität. Der Entscheid, ob jemand den berufsbildenden Weg einschlägt oder einen Mittelschulbesuch anstrebt, fällt meistens im Alter von 13 — 15 Jahren. Der gymnasiale Weg wird dabei vorgezogen, weil er direkt den Zugang zu «allen» Hochschulen öffnet, und damit den Jugendlichen «alle» Möglichkeiten offenlässt. Der berufsbildende Weg ist somit heute in der Regel ein Weg zweiter Wahl, denn die nach wie vor besonders prestigeträchtigen Universitätsstudien können nur über Umwege erreicht werden, über eine Zweitwegmatur oder den Besuch einer Fachhochschule. Dies führt dazu, dass auch solche Jugendlichen 4 «Die Berufsreifeprüfung ist eine Externistenprüfung (…) und besteht aus vier Teilprüfungen (...). Die erste Teilprüfung kann nach vollendetem 17. Lebensjahr, die letzte Teilprüfung nach vollendetem 19. Lebensjahr abgelegt werden..» IN :ABC der berufsbildenden Schulen 1998», herausgegeben vom Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, BMUK, Wien. 6 Texte zu EURO-BAC und weitere Informationen — vgl. Literaturverzeichnis. einen Mittelschulbesuch anstreben, die weder am schulischen Lernen, noch am Stoff des Gymnasiums interessiert sind und schon gar nicht an eine wissenschaftliche Karriere anstreben. Würde der berufsbildende Weg ebenfalls in ähnlicher Zeit und mit klar geregelten Strukturen die Türen zu den Universitäten öffnen, würden mehr Jugendliche diesen Weg einschlagen. Die wenigsten von ihnen klopfen dann später tatsächlich an die Türen der Universitäten, denn die Berufsbildung führt selbst zu interessanten Laufbahnen. Diejenigen aber, die dann wirklich in eine Universität eintreten, gehören zu den besonders motivierten und zielstrebigen Studierenden, die für keine Universität eine Belastung darstellen! Literaturverzeichnis Ausgewählte Literatur zum Hochschulzugang : Le secondaire II à venir. Rapport finale du Groupe de projet secondaire II Berne CDIP/BBT) 2000. Kerstin Mucke, Bernd Schwiedrzik: Studieren ohne Abitur. Berufserfahrung - ein Schrittmacher für Hochschulen und Universitäten. Berichte zur beruflichen Bildung 206 des Bundesinstitut für Berufsbildung. Bielefeld (Bertelsmann) 1997 Europäische Kommission: Strukturen der allgemeinen und beruflichen Bildung in der europäischen Union. Luxenburg. (Als Basis für diesen Vortrag diente die 2. Auflage 1995) Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: Synoptische Darstellung der in den Ländern bestehenden Möglichkeiten des Hochschulzu-gangs für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung auf der Grundlage hochschulrechtlicher Regelungen, Stand: Dezember 1997 Florence Buchmann: Zulassung zur Fachhochschule und zur Universität ohne Maturität. Eine Studie im Auftrag der Uni Weiterbildung der Universtität Basel. Juni 1999. Mit einigen Angaben zu den Verhältnissen im Ausland und Darstellung der Entwicklung an der Uni Basel. Dazu auch ihr Aufsatz in Panorama 01/00. Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für akademische Berufs- und Studienberatung: Wege an die UNI. Luzern (AGAB) 1998. Mit kurzen Hinweisen auf die Verhältnisse in anderen Ländern. Wolfgang Isserstedt: Studieren ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. HochschulInformations-System GmbH. Hannover 1994 Zulauf, M. Universtiätsstudium ohne Maturität? IN: Bildung und Erziehung. Beilage zur Neuen Zürcher Zeitung, 20. November 1997, S. 83 Zulauf Madeleine: Aller à l’Université sans maturité. IN: Educateur, 1, 1998, p. 21-23. Informationen zu EURO-BAC :: Über das Programm LEONARDO DA VINCI orientiert http://www.leonardodavinci.at/defaultgr.html (deutsch, französisch und englisch). Über die Arbeiten im Projekt EURO-BAC auf europäischer Ebene gibt unter anderem Eine CD-ROM6 und folgende Internet-Site Auskunft : http://www.oead.ac.at/eurobac/index.html (in Englisch). Auskünfte zu den Schweizer Arbeiten gibt http://www.berufsbildungsprojekte.com/doku/eurobac/9913_EuroBac_Presentation.pdf (französisch), ...9913_EuroBac_Vorsellung.pdf (deutsch). Der Schlussbericht kann ebenfalls bezogen werden: http://www.infopartner.ch/sammlung_2000/diverse/ Eurobac_schlussbericht1.pdf (deutsch) Koordinatorin der Schweizer Arbeiten ist Sigrid Friedrichs, . mailto:friedrichs@berufsbildungsprojekte.com 6 Ausleihe in der Schweiz durch die Mediothek des MBA Zürich 8090 Zürich, Tel. 01 447 27 51, Signatur 57.372