BARFUSS AUF NACKTSCHNECKEN (Frankreich 2010) "Die

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BARFUSS AUF NACKTSCHNECKEN (Frankreich 2010) "Die
Je Woche
7. Jahrgang 2011
­K ulturexpress
ISSN 1862-1996
No. 19
Unabhängiges Magazin print on demand
0 8. - 1 4. M ai
Zeitschrift für Kunst, Kultur, Philosophie, Wissenschaft und Wirtschaft
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zwischen den Welten aus Wirtschaft und Kultur aber auch aus anderen Bereichen auseinandersetzt. Das Magazin bemüht sich darin um eine aktive und aktuelle Berichterstattung, lehnt
jedoch gleichzeitig jeden Anspruch auf Vollständigkeit ab.
KINO
BARFUSS AUF NACKTSCHNECKEN
(Frankreich 2010)
KINO
METROPOLIS (Deutschland 1927/ 2010)
Stummfilmklassiker von Fritz Lang in der neuen Langfassung
LESUNG
Aus der Reihe: Frankfurt liest ein Buch!
Lesereise durch die Behausungen. Auf den Spuren von
"Abschaffel" dem Angestelltenroman von Wilhelm Genazino
LESUNG
"Die Inneneinrichtung seiner Langeweile"
Auf dem Weg zu den inneren Möglichkeiten - Genazinos Roman-Trilogie
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BARFUSS AUF NACKTSCHNECKEN (Frankreich 2010)
Alamode Verleih Spieldauer: 103
Minuten Kinostart: 05. Mai 2011
Französischer Originaltitel: Pieds nus sur
les limaces
Lily (Ludivine Sagnier) ist anders. Sie lebt
in einer skurrilen Fantasiewelt und macht
meistens das, wozu sie gerade Lust hat.
Zusammen mit ihrer Mutter wohnt sie in
einem idyllischen Landhaus. Als ihre Mutter
plötzlich stirbt, ist es an Lilys Schwester
Clara (Diane Kruger), die mit einem Anwalt
verheiratet ist und in Paris lebt, für Lily da
zu sein.
Unter dem Einfluss der eigenwilligen und freiheitsliebenden Lily findet Clara mehr und
mehr Geschmack an der von Lily vorgelebten Ungebundenheit. Sie beginnt, ihr konformes
Leben in Frage zu stellen. Eine gewaltige Herausforderung für ihre Ehe und gleichzeitig die
Wiederentdeckung der Nähe zwischen zwei ungleichen Schwestern. "Barfuß auf
Nacktschnecken" ist ein wunderbar verspielter Sommerfilm von Fabienne Berthaud
(Frankie) mit Ludivine Sagnier (Swimming Pool, 8 Frauen) und Diane Kruger (Inglourious
Basterds, Mr. Nobody, Troja). Der Film erhielt 2010 in Cannes den Art Cinema Award.
„Sind die Zwänge unserer Erziehung, die Werte, die man uns einbläut – Geld,
materieller Wohlstand, Erfolg im Beruf, Vernunft in Herzensangelegenheiten usw.
– nicht allzu oft Schuld an unserem Unglück?“
Fabienne Berthaud
Zum Trailer: Barfuss auf Nacktschnecken
Erzählt wird die Geschichte von zwei ungleichen Schwestern, die der plötzliche Tod der
Mutter wieder zusammenbringt. Die vernünftige Clara will sich aufopferungsvoll um ihre
Schwester kümmern – und merkt erst spät, dass sie ihre Schwester mindestens ebenso
sehr braucht wie diese sie. Denn was Lily ihrer Schwester und allen Menschen in ihrem
Umfeld auf eine so einzigartige Weise vorlebt, ist ihre entwaffnende Aufrichtigkeit und
Kompromisslosigkeit – sich selbst und auch allen Menschen gegenüber. "Barfuß auf
Nacktschnecken" ist ein Plädoyer das Hier und Jetzt in vollen Zügen auszukosten und sich
von gesellschaftlichen Normen nicht einengen zu lassen.
So leuchtend, farbenfroh und einzigartig wie Lily selbst sind auch die Bilder mit denen
Fabienne Berthaud ihre Geschichte erzählt. Die französische Künstlerin Valérie Delis hat
das Szenenbild des Films gestaltet, um dem Film auch hier visuell die Originalität und
Verspieltheit einzuhauchen, die seiner Protagonistin entspricht.
Eine Posse, denn was nicht verraten wird, sind die
plötzlichen Übergriffe auf Lily, die Hauptperson im Film ist.
Das geschieht meist nebenher und mag bis zu einem
Grad der dramaturgischen Inszenierung des Films
entsprechen. Es lenkt aber nicht ab von der Frage,
ab wann Lily zum Opfer wird? Lilys freizügige Einstellung
gegenüber dem Leben ist nicht von heute, sondern rührt
aus der Vergangenheit, indem auf die Flower-Power Jahre
mit sozialpädagogischem Anspruch verwiesen wird. Der
Film könnte auch heißen: "Ich versprach dir nie einen
Rosengarten" oder Pippi Langstrumpf auf Französisch.
Besetzung
Diane Kruger - Clara
Ludivine Sagnier - Lily
Denis Ménochet - Pierre
Brigitte Catillon Odile, Pierres Mutter
Jacques Spiesser - Paul, Pierres Vater
Anne Benoît - Mireille
Jean-Pierre Martins - Jonas
Gaëtan Gallier - Dan
Reda Kateb - Seb
Côme Levin - Paulo STAB
Regie: Fabienne
Berthaud
Drehbuch: Fabienne
Berthaud
Pascal Arnold
Produktion: Bertrand
Faivre
Kamera: Fabienne
Berthaud
Nathalie Durand
Schnitt: Pierre
Haberer
Szenenbild: Valérie
Delis
Orginalmusik: Michael Stevens
Technische Daten
Länge 103 Min.
Bildformat 2,35:1
Tonformat Dolby
SRD
Interview mit Fabienne Berthaud
Wann wurde die Idee zu „Barfuß auf Nacktschnecken" geboren?
Die Figur der Lily ist durch ein Mädchen inspiriert, das zu Behandlungszwecken in jener
Klinik untergebracht war, in der wir damals „Frankie“ drehten. Letztlich ist „Barfuß auf
Nacktschnecken" eine logische Fortsetzung meiner bisherigen Arbeit: Phantasiewelten und
Grenzerfahrungen zählen ebenso zu den Themen, die mich laufend beschäftigen, wie die
Unangepasstheit und die Zerbrechlichkeit meiner Protagonisten.
Wann haben Sie in Erwägung gezogen, Diane Kruger, der Hauptdarstellerin ihres
vorigen Films „Frankie", die Rolle von Lilys älterer Schwester Clara
anzuvertrauen?
Ich habe mir das nicht überlegt: Das war einfach so, es lag auf der Hand! Wir hatten
einfach Lust, erneut zusammenzuarbeiten. Ich liebe es, sie vor der Kamera zu haben! Sie
inspiriert mich. Sie ist eine Darstellerin, die gleichzeitig stark und zerbrechlich wirkt, und
ich finde es faszinierend, wie sie diese zwei Gegensätze in sich vereint. Die Figur der Clara
ist gewiss keine leichte Rolle, so verschlossen, wie sie sich gibt, und dabei doch auch so
empfindsam. Sie ist eine Person, die mit großer innerer Unruhe zu kämpfen hat, davon
aber nichts nach außen dringen lässt.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, Ludivine Sagnier die Rolle der Lily
anzuvertrauen?
Lily zu besetzen, war eine extrem knifflige Angelegenheit – vor allem deshalb, weil diese
Figur niemals lächerlich wirken darf. Sie streift zwar sehr wohl die Grenzen des
Verrückten, doch das bedeutet noch lange nicht, dass man aus ihr eine Art „Rainwoman"
hätte machen dürfen. Folglich musste eine Darstellerin gefunden werden, die sich ein
gewisses Maß an kindlicher Ausstrahlung bewahrt hat: Eine, die zwar mit größter
Leidenschaft agiert, dabei aber gleichzeitig eine entwaffnende Unschuld und Aufrichtigkeit
an den Tag legt.
Ein wichtiges Element des Films ist der ganz eigene Kosmos, den sich Lily um sich
herum erschafft. Wie sind Sie bei der Gestaltung dieses Universums
vorgegangen?
Während des Schreibens habe ich die Künstlerin Valérie Delis getroffen, deren Werk Lilys
Universum sehr nahe kommt, da es ebenfalls durch einen sehr engen Bezug zur Natur
und zu den Tieren geprägt ist. Als Valérie Delis mir die Türen ihres Ateliers öffnete, habe
ich mich von ihrer Phantasiewelt einfach überwältigen lassen und dann, durch ihre
Kunstwerke inspiriert, verschiedene Szenen des Drehbuchs umgeschrieben. Wir haben uns
gemeinsam Gedanken über Lilys Kosmos gemacht, über ihre Art, sich zu kleiden und sich
Dinge zu erschaffen… Erst haben wir ein paar Skizzenhefte angelegt, und dann hat es
nicht lange gedauert, bis Valérie damit anfing, für Lily Schürzen und Pantoffeln zu
schneidern. Des Weiteren hat sie Lilys Werkstatt am Ende des Gartens entworfen und
einige ihrer Kunstwerke zur Verfügung gestellt, um sie in ihr Zimmer zu stellen. Als ich
Valérie vorschlug, den Wald mit Installationen auszuschmücken, kam ihr die Idee, die
Bäume „einzukleiden". Gewissermaßen hat sie also Lilys Universum mitaufgebaut,
miterfunden und bereichert.
Haben Sie sich an bestimmten Filmen oder Regisseuren orientiert, um „Barfuß auf
Nacktschnecken" zu drehen?
Ich gebe zu, dass ich mir vor jedem Drehbeginn die Filme von Cassavetes anschaue.
Zu den fesselndsten Momenten des Films gehört die Liebesszene, die sich
zwischen Lily und einer Horde Jungs in einem Bus abspielt. Wie haben Sie es
hinbekommen, dass diese Szene auf der Leinwand gleichzeitig roh wirkt und doch
ganz dem Tonfall kindlicher Fröhlichkeit, von dem der Film sonst geprägt ist,
verhaftet bleibt?
Lily ist da die Großzügigkeit in Person. In ihren Augen ist nichts Verkehrtes daran, den
Jungs Vergnügen zu schenken. Übrigens sagt sie das auch klipp und klar ihrer Schwester:
„Wenn ich schon einen Körper habe, dann doch wohl, um mich seiner zu bedienen! Wozu
hätte ich denn sonst einen?" Für sie ist nichts einfacher als das. Allerdings wird diese
Szene nicht nur aus ihrer Perspektive gezeigt, und dies dürfte der Grund dafür sein, dass
sich ein Gefühl des Unbehagens einstellt. Um dies zu erreichen, habe ich allen drei Jungs
Anweisungen erteilt und ihnen erklärt, worauf es ankommt. Dann habe ich sie frei agieren
lassen und die Kamera 22 Minuten lang einfach laufen lassen.
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METROPOLIS (Deutschland 1927/ 2010 Langfassung)
Warner Bros. Pictures Spieldauer: 145
Minuten Kinostart: 12. Mai 2011
Stummfilmklassiker von Fritz Lang. Eine Produktion der
Universum Film AG (1927)
In seiner Residenz hoch über Metropolis vereint Joh
Fredersen die politische und wirtschaftliche Macht in seiner
Person, während die Arbeiter unter der Erde
Sklavendienste leisten. Fredersens Sohn Freder verliebt
sich in die Arbeiterführerin Maria und reagiert entsetzt auf
die Lebensbedingungen in der Unterstadt. Gleichzeitig
konstruiert der Erfinder Rotwang einen Roboter, dem er
auf Fredersens Anweisung das Aussehen von Maria gibt.
Die falsche Maria wiegelt die Arbeiter auf, die ihre
Maschinen verlassen und damit die Überflutung der Stadt
auslösen. Erst durch Freders und Marias Einsatz wird
Metropolis gerettet. Die Macht der Liebe siegt – der
Herrscher und die Arbeiter erkennen, dass „Hirn“ und
„Hände“ zusammengehören.
Zum Trailer: METROPOLIS
Ein Projekt der Superlative
Nach dem Erfolg von „Die Nibelungen“ (1924) leistete sich Fritz Lang ein extravagantes
Experiment, das die Produktionsfirma Ufa an den Rand des Ruins brachte: „Metropolis“ ist
ein mit kalkulierter Besessenheit realisiertes Monument, das zum aufwändigsten Film der
Stummfilmzeit wurde und den Nachruhm aller Beteiligten sicherte, obwohl der Film beim
ersten Kinoeinsatz keinen Erfolg hatte – nur etwa 15.000 Zuschauer sollen den Film 1927
in den ersten vier Monaten nach dem Start in Berlin gesehen haben.
Dabei wurde die Werbung nicht müde, die gewaltigen Dimensionen des Projekts zu
betonen: Der Film kostete unerhörte sechs Millionen Reichsmark, belichtet wurden
620.000 Meter Negativfilm (380 Stunden) – im Vergleich zu den schließlich verwendeten
4189 Metern der Premierenfassung ergab sich ein Verhältnis von 148:1 (nur bei einem
Film hat es jemals ein krasseres Verhältnis gegeben: Howard Hughes’ „Wings“). Neben
den acht Hauptdarstellern waren 750 Kleindarsteller, 25.000 männliche, 11.000 weibliche
Komparsen und 750 Kinder im Einsatz. Hinzu kamen „100 Neger und 25 Chinesen“. 1.100
Männer ließen sich für die Babel-Sequenz den Kopf rasieren (Fritz Lang hatte ursprünglich
5.000 verlangt).
An Arbeitslöhnen wurden 1.600.000 Mark ausgezahlt, die Kostüme kosteten 200.000
Mark, 400.000 Mark der Strom und die Filmbauten. Die Dreharbeiten dauerten anderthalb
Jahre – vom Mai 1925 bis Ende Oktober 1926.
Umstrittener Kult
Der Einfluss von Fritz Langs „Metropolis“ auf die Pop-Kultur des 20. Jahrhunderts ist kaum
hoch genug einzuschätzen. Dabei stieß er nach seiner Uraufführung im Jahr 1927 in den
Kritiken zunächst nicht nur auf Begeisterung. Seit mehr als acht Jahrzehnten polarisiert
und fasziniert er Kritiker, Wissenschaftler und Publikum. Ein Grund dafür ist, dass der
Film völlig konträre Interpretationen ermöglicht.
Vor allem die Versöhnung von Herrscher und Arbeitern erschien vielen Rezensenten als
problematisch – als naiv-weltfremder Symbolismus oder auch als antidemokratische
Rechtfertigung des Führerprinzips. Der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser betonte die
Intention der Filmemacher, die bewusst viele Zitate aus der Kunst-, Literatur- und
Filmgeschichte einbrachten: „Tatsächlich lag der Sinn dieser internationalen
Superproduktion darin, ein Werk mit Erkennungswert zu schaffen, das verschiedene Arten
des kulturellen Gedächtnisses berührte und auch Ur-Szenen der Fantasie ansprach,
während es eine Erfahrung bot, bei der das Auge sieht, was der Kopf nur selten zu
verstehen sucht.“´
„Metropolis“ schuf einen Look, der die internationale Filmsprache nachhaltig geprägt hat:
die futuristischen Stadtkulissen, der ikonenhafte Maschinenmensch, die fulminanten
Massenszenen. Die Filmemacher der nachfolgenden Generationen bedienten sich wie in
einem Steinbruch, um George Lucas’ „Krieg der Sterne“, Ridley Scotts Tyrell Corporation
Center in „Der Blade Runner“, Indiana Jones’ Abenteuer, Tim Burtons Gotham City in
„Batman“ oder die künstliche Stadt in Alex Proyas’ „Dark City“ zu bebildern. 1984 brachte
Pop-Komponist Giorgio Moroder eine viragierte, auf 80 Minuten gekürzte Version von
„Metropolis“ ins Kino, die er mit modernen Pop-Songs unterlegte. Diese Version erschloss
dem Film ein neues Publikum und brachte auch die Bemühungen um eine Restaurierung
des Originals wieder in Gang. Eberhard Junkersdorf, Kuratoriumsvorsitzender der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung,
zählt zu den treibenden Käften hinter der „Metropolis“-Restaurierung und der
Kinoveröffentlichung durch Warner Bros. Pictures Germany: „Der Fund von Buenos Aires
bot eine historische Chance, Fritz Langs ‚Metropolis‘ am 12. Mai wieder in fast kompletter
Fassung auf die Leinwand zu bringen.“
In glanzvollen Stummfilmkonzerten kehrte die über Jahrzehnte hinweg verloren geglaubte
Premierenfassung von „Metropolis“ am 12. Februar 2010 – parallel in der Alten Oper
Frankfurt und bei der Berlinale – mit Riesenerfolg auf die Kinoleinwand zurück. Restaurierung und Entdeckung
Mit dem sensationellen Fund von Buenos Aires begann bei der Murnau-Stiftung in
Wiesbaden im Jahr 2008 das weltweit beachtete Restaurierungsprojekt von „Metropolis“.
In detektivischer Recherche und archivarischer Akribie wurde der filmische Torso
ergänzt. Zustand des gefundenen Materials dar. Die bislang fehlenden Einstellungen und
Sequenzen wurden in Form eines 16-mm-Dup-Negativs überliefert, das in den 1970erJahren von einer stark abgenutzten argentinischen 35mm-Verleihkopie gezogen wurde.
Trotz modernster Restaurierungstechnik bleibt der Unterschied zwischen den
wiederentdeckten Teilen (etwa 25 Minuten) und der Bildqualität der Fassung von 2001
immer sichtbar.
Bei der Rekonstruktion der Montage der Uraufführungsfassung spielt die Musik eine
entscheidende Rolle: Die Originalpartitur von Gottfried Huppertz zählte – neben der
Zensurkarte von 1927, die alle Texttafeln protokollierte, dem Drehbuch und
zeitgenössischen Kritiken – zu den wichtigsten Quellen von Martin Koerber, Frank Strobel
und Anke Wilkening.
Entdeckt wurde die über lange Zeit vergessene, weltweit einzigartige Metropolis-Fassung
von dem Filmhistoriker Fernando Martín Peña und der Direktorin des Museo del Cine,
Paula Félix-Didier, die sofort die Tragweite des Fundes erkannte und im Juni 2008 Kontakt
mit Deutschland aufnahm. Die erste Sichtung fand kurze Zeit später statt, die Filmrollen
trafen im Juli 2009 in Wiesbaden ein. Parallel begannen die Neu-Edition der Musik und die
digitale Bildrestaurierung, die erst kurz vor der Premiere abgeschlossen wurden.
Je mehr von Filmwissenschaftlern über die eliminierten Szenen an Informationen
zusammengetragen wurde, desto stärker wuchs ihr Mythos. Und je mehr Quellen die
fehlenden Stellen beschrieben, desto mehr wuchs der Wunsch nach Bildern. Trotz
umfangreicher Recherchen für die Restaurierung im Jahr 2001 ließen sich die fehlenden
Teile der langen Fassung nicht auffinden.
Restaurierungen von „Metropolis“
Die Restaurierungsgeschichte von „Metropolis“ begann in den 1960er-Jahren, als das
Interesse an dem Film wuchs – aber keine vollständige Fassung vorlag. Im Jahr 1972
erstellte das Staatliche Filmarchiv der DDR unter Beteiligung internationaler Filmarchive
aus Ost und West die sogenannte FIAF-Fassung.
Da wesentliche Quellen wie Drehbuch und Zensurkarte noch nicht vorlagen, musste vieles
spekulativ bleiben. Dass „Metropolis“ wieder auf die Leinwand zurückkehrt, ist zweifellos
dem unermüdlichen Engagement von Enno Patalas zu verdanken. In den 1980er-Jahren
wurde eine quellenkritische Rekonstruktion vom Filmmuseum München hergestellt, die
sich der Uraufführungsfassung annäherte, indem sie fehlende Teile durch erklärende
Texttafeln kenntlich machte. Patalas’ Arbeit wurde begeistert aufgenommen.
1998 regte die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in der Arbeitsgruppe „Restaurierung“
des Kinematheksverbundes an, sich erneut an eine Bearbeitung von „Metropolis“ zu
wagen. Als Grundlage diente erstmals das Originalnegativ der amerikanischen ParamountFassung. Dank des verwendeten Negativmaterials und Verleihkopien aus der Zeit sowie
der digitalen Restaurierungstechnik erreichte diese Fassung eine beeindruckende
fotografische Güte. Die 2001 bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin vorgestellte
Restaurierung weckte weltweites Interesse. Die UNESCO nahm diese von der FriedrichWilhelm-Murnau-Stiftung und ihren Partnern restaurierte Fassung von „Metropolis“ in das
Weltdokumentenerbe auf und stellte sie auf eine Stufe mit der Gutenberg-Bibel und mit
Goethes Nachlass.
Nach der Rekonstruktion folgte die digitale Bildrestaurierung des Materials, die vom
spezialisierten Dienstleister Alpha-Omega in München vorgenommen wurde. Über Monate
hinweg wurden die einzelnen Frames im Rechner bearbeitet: Bild für Bild mit einer eigens
entwickelten Software. Dabei musste das Gleichgewicht zwischen technischen
Möglichkeiten und Grenzen der Bildbearbeitung und der ethischen Fragen nach der Gestalt
des Kunstwerkes gleichermaßen berücksichtigt werden. Die Spuren im Material werden
niemals ganz verschwinden. Die Laufstreifen in den wiederentdeckten Teilen des filmischen
Torsos verweisen auf die Geschichte seiner Verstümmelung und Wiederherstellung.
Die Filmmusik
Die „Metropolis“-Musik von Gottfried Huppertz zählt zu den alten Bekannten der
deutschen Stummfilmmusik. Sie entstand 1926 im Auftrag der Ufa für ein 66-köpfiges
Sinfonieorchester, wurde mit großem Erfolg bei der Uraufführung gespielt und stand mit
der Klavierdirektionsstimme für Aufführungen in verschiedenen Besetzungen zur
Verfügung. Erhalten sind neben dem gedruckten Klavierauszug drei handschriftliche
Materialien des Komponisten – das Particell, quasi der Urtext der Komposition, sowie zwei
Instrumentierungen für Salonorchester (ca. 660 Seiten) und großes Orchester (ca. 700
Seiten, wobei die ersten 61 Seiten fehlen). Huppertz’ Musik repräsentiert die vollständige
Version des Films und wurde immer wieder zum Film aufgeführt und dabei entsprechend
der jeweilige Länge der Filmmaterialien angepasst.
Und nun noch einmal neu. Warum? Es ist die Konsequenz aus der aktuellen Restaurierung
des Films, die ihrerseits weit mehr ist als der Versuch, die Lücken der letzten
Restaurierung von 2001 mit dem argentinischen Material zu füllen und die Bildqualität
anzugleichen. Ziel und Anspruch dieser Restaurierung ist es, die originale Montage des
Films so gut wie möglich wieder herzustellen und damit auch die Musik in ihrem
ursprünglichen Zusammenspiel mit dem Film aufführbar zu machen.
Huppertz’ Musik ist integraler Bestandteil von „Metropolis“. Sie entstand in
Zusammenarbeit des Komponisten mit Thea von Harbou und Fritz Lang, zum Teil schon
während der Dreharbeiten. So exakt, wie die Musik auf den Film hin komponiert ist,
erschafft sie einen komplementären (Gefühls-)Raum für das, was Fritz Lang filmisch
konstruiert. Sie durchleuchtet quasi von innen die filmische Handlung, sie gestaltet ihre
Dynamik und Dramatik, zeichnet leitmotivisch Figuren und entwickelt musikalische
Parallelhandlungen – das Ganze im Duktus spätromantischer Sinfonik und eng an die
filmische Erzählung angelehnt, die ihrerseits auf die gestische Musik zu reagieren scheint.
Die Musik funktioniert präzise mit dem Film und verlangt eine sorgsame Synchronisierung,
wofür Huppertz mit seinen über 1000 Synchronangaben eine gute Vorlage geliefert hat.
Sie funktioniert aber erst dann perfekt, wenn der Schnitt stimmt. Nutzten schon alle
bisherigen „Metropolis“-Rekonstruktionen die Synchronangaben dazu, den stark gekürzten
Film wieder neu zusammenzusetzen, so half die Musik zu Beginn der aktuellen
Rekonstruktion, die argentinische Version zu verifizieren. Ungesichert war ja, inwiefern die
argentinische Verleihfassung mit der Uraufführungsfassung übereinstimmt.
Zeitgleich zur Filmrestaurierung begann die Rekonstruktion der Musik, koordiniert von der
Filmredaktion ZDF/ARTE. Auf der Grundlage der im Filmmuseum Berlin erhaltenen
Originalmanuskripte legte die Europäische Filmphilharmonie einen neuen Notensatz vor.
Ihre Premiere erlebte die aktuelle Film- und Musikfassung am Februar 2010 in Frankfurt
(Alte Oper) und zeitgleich bei der Berlinale-Gala, die von ARTE live übertragen wurde; es
spielte das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Frank Strobel.
In derselben Besetzung erfolgte dann im Sommer 2010 die Einspielung – für den KinoEinsatz und für Blu-ray entstand eine eigene Dolby-Digital- beziehungsweise 5.1Mischung. So wurde mit der „Wiedergeburt eines Jahrhundertfilms“ (Andreas Kilb in der
F.A.Z.) ein weiteres Werk neu aufgelegt – nämlich das von Gottfried Huppertz, einem der
wegweisenden Filmkomponisten des zwanzigsten Jahrhunderts.
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Aus der Reihe: Frankfurt liest ein Buch!
Lesereise durch Frankfurts Behausungen. Auf den Spuren von "Abschaffel" dem Angestelltenroman von
Wilhelm Genazino
Sein Buch steht in einer bestimmten Tradition von Literatur, die in den 1970er Jahren noch
viel ausgeprägter war als dies heute der Fall ist. Das Wesen des Angestellten soll hier
untersucht werden, was bei Schriftstellern immer wieder eigenartige Züge annimmt.
Genazino sagt, er fühlte sich anfangs durch die Romane von Martin Walser angeregt, diese
waren ihm aber nicht rabiat genug. Später erfuhr er, daß es viel früher schon eine Literatur
gab, die das Wesen des Angestellten analysierte. Angefangen hat das mit den Romanen
und Tagebucheintragungen bei Franz Kafka und geht über den Schweizer Schriftsteller
Robert Walser bis hin zu Siegfried Kracauer, dem Begründer einer wissenschaftlichen
Untersuchungsmethodik, um gesellschaftliche Entwicklungen und Strömungen genauer zu
beschreiben: Soziologie und Sozialpädagogik - Kracauer veröffentlichte schon 1930 seinen
Roman "Die Angestellten". Eine für die damalige Zeit eintönige und eher pessimistische
Herangehensweise, die das Bild des Angestellten bestimmte. Den Roman nur in einem Ton
schreiben, das wollte Genazino nicht. Zunächst waren die Arbeiter diejenigen, die die
Arbeitswelt für sich vereinnahmten. Später kamen die Angestellten und forderten einen
Wandel vom Weltbild der Arbeit.
Foto: Maass Erst Ende der 1960er Jahre fand ein gesellschaftlicher Wandel statt.
Nicht zuletzt ausgelöst durch die 68er Bewegung, die auch in
Frankfurt am Main merkliche Spuren hinterlassen hat. Abschaffel
selbst, der Romanheld, ist nicht unmittelbar betroffen von dieser
Bewegung, zumindest war ihm deren Existenz nicht bewußt. Der
Roman ist der Moderne zugewandt, kann damit aber nicht mehr das
klassische Bild der Epoche erfüllen. Denn spätestens seit 1960 war
die Klassische Moderne vorüber. Zu einer der letzten ist vielleicht Max
Frisch zu zählen, der mit seinen Protagonisten auch schon nicht mehr
dazugehört. Schließlich folgt eine Epoche, die sich Postmoderne
nennt und sich damit immer noch der Klassischen Moderne bedient.
Kennzeichen ist aber die Ironisierung einzelner Elemente daraus. Abschaffel die Postmoderne zu unterstellen, wäre
jedoch deplaziert. Es waren die Jahre in denen die ersten Großraumbüros in Deutschland entstanden. Das Vorbild
kam aus Holland. Das neue Design häufig orangefarben mit typischen Rundungen, abgeleitet aus der Pop-Kultur
wurde in das Industrie-Design der Zeit aufgenommen und wirkte sich aus. Das Büro, um welches es im Roman
gehen soll, ist in einer Spedition angesiedelt, was nicht immer und an jeder Stelle beim Lesen erkennbar bleibt.
Die Moderne war ausgefüllt, zu viele Kunstschaffende hatten sich der Strömung zugewandt, es konnte nichts neues
mehr geben. Außerdem bestand der Ruf nach Veränderung, nicht zuletzt durch das Kriegsende und Fortschritt in der
Technik verursacht. Auch Genazino erkennt seinen Romanhelden als Modernen an, der sich der neuen Technik
verpflichtet fühlt und die Erfahrung durch Zersplitterung und Zersetzung in sein Wesen aufnimmt. "Abschaffel ist
zerklüftet von der Moderne". Der rote Faden im Roman bleibt ernst. Allzu ernstes und trockenes wird jedoch durch
satirische Elemente relativiert, wie wenn der Protagonist bemerkt: "Tarzan als Beruf", der sich von Liane zu Liane
durch die Baumwipfel schwingen will, sich seiner Entfremdung zu entblößen.
Ganz Frankfurt liest ein Buch, hat sich in diesem Jahr die Abschaffel-Trilogie (C. Hanser Verlag) des BüchnerPreisträger Wilhelm Genazino ausgesucht, der im Rahmen der Veranstaltungsreihe am 10. Mai mit "Hütten und
Paläste II" aus seinem Buch vorlas. Die Veranstaltung wurde von Hauke Hückstädt, dem Leiter des Literaturhauses
moderiert. Einführende Worte beschreiben die historische Bedeutung der Roman-Trilogie, um damit auch ganz neue
Leser zu gewinnen. Es handelt sich um ein Stück bedeutender Literatur im Umgang mit der Stadt Frankfurt.
Gastgeberin war Silke Hartmann, die früher die Öffentlichkeitsarbeit im Literaturhaus organisierte und jetzt an
mehreren Projekten Kulturschaffender beteiligt ist: Kulturperle und open books
Hier rechts im Bild neben Wilhelm Genazino während der Lesung im Heimischen sitzend. Zahlreiche Gäste waren
eingeladen und saßen gegenüber, hörten rund 50 Minuten die Lesung an. Es ist wohl sehr mutig von der
Gastgeberin die eigene Wohnung als Veranstaltungsort vorzuschlagen. Ein Beispiel das Schule machen sollte! Das
könnte ebenso für Kunstwerke gelten, die im privaten Bereich aufgestellt und ausgestellt werden. Ein Moment der
Spannung und Neugier entsteht. Natürlich steht die Kritik im Mittelpunkt, das Werk, die Lesung, den Autor
betrachten. Es ist eine gewisse Taffheit notwendig, eine solche Veranstaltung im eigenen Bereich zu organisieren.
Etwa 25 Personen passten in den Raum hinein.
Das Publikum bestand aus Mitgliedern und Förderern des Literaturhauses und verhielt sich recht loyal. Das Ganze
hatte die Dimension einer Einweihungsparty mit dem Unterschied der literarischen Teilnahme, im Bewußtsein
dadurch etwas im Gange zu halten. Literarisch fortzuschreiten, denn Literatur bewegt sich ständig fort. Geschrieben
wird an einsamen Orten, um durch das Druckwerk Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Der Autor hält sein Buch für bedeutend, das ist erkennbar geworden. Rückblicke und Gespräche mit dem Lektor
Manthey aus dem Rowohlt Verlag, wo der Roman 1977 zuerst erschienen war, verdeutlichen das Gespräch. Im
frühen Roman sei auch schon der späte Genazino sichtbar, wurde vermittelt. Seinen Roman legte er dem Lektor in
Hamburg vor, erst danach entstand eine Folge, was später zur Trilogie wurde. Gerade in Frankfurt, dem Ort der
Buchmesse, gehört die Beschäftigung mit der Literatur zu einer Art Lebenselixier. Am Schluß wurde noch verraten,
Genazinos neuer Roman "Wenn wir Tiere wären" soll im September 2011 auf dem Buchmarkt erscheinen.
Frankfurt liest ein Buch! vom 02. bis 15. Mai 2011 Eine weitere Lesung am 11. Mai folgte ebenfalls auf den Spuren von Genazinos Roman-Trilogie. "Die
Inneneinrichtung seiner Langeweile" wurde durch die Goethe-Uni im Casino-Gebäude auf dem Campus Westend
vorbereitet. Zahlreiche Dozenten und Gelehrte lasen gemeinsam aus dem zweiten Buch der Trilogie. Die
Programmgestaltung verlief nach einer bestimmten geregelten Abfolge, indem die Beteiligten nacheinander ans
Mikrofon traten und neben Zitaten diverser Autoren auch aus Genazinos Buch lasen. Im Hintergrund lief auf der
Großleinwand eine Diaserie, die im Zusammenhang zur Lesung stand und sich nach einer gewissen Zeit im Turnus
wiederholte. Der Autor selbst war nicht anwesend, sondern sollte zeitgleich an einem anderen Ort aus seinem Buch
lesen. Weiterlesen...
Titelseite
vom 13. Mai 2011
Aus der Reihe: Frankfurt liest ein Buch!
"Die Inneneinrichtung seiner Langeweile"
Auf dem Weg zu den inneren Möglichkeiten - Genazinos Roman-Trilogie
Foto: Maass Die Lesung am 11. Mai organisierte die Goethe-Uni im Casino-Gebäude auf
dem Campus Westend. Zahlreiche Dozenten und Gelehrte lasen gemeinsam
aus dem zweiten Buch der Trilogie. Das Programm verlief nach einer
bestimmten geregelten Abfolge, indem die Beteiligten nacheinander ans
Mikrofon traten und neben Zitaten diverser Autoren auch aus Genazinos Buch
lasen. Im Hintergrund der Bühne auf Großleinwand lief eine Diaserie, die im
Zusammenhang zur Lesung steht und sich nach einer gewissen Zeit im Turnus
wiederholte. Der Autor selbst war nicht anwesend, sondern sollte zeitgleich an
einem anderen Ort aus seinem Buch lesen. Die Moderation im Casino übernahm Wolfgang Schopf, der die
Veranstaltungsreihe mit "Hauslesungen" aus dem Peter Suhrkamp Archiv nach wie vor organisiert. Nach dem Umzug
ist mittlerweile das verlagseigene Bürohaus in der Lindenstraße in Frankfurt abgerissen worden. Die Bauarbeiten
sind im Gange. An gleicher Stelle soll ein Wohnhaus entstehen.
Gelesen wurde aus Wilhelm Genazinos Manuskripten und Korrespondenzen, was
unter dem Vorzeichen der Stiftung stand, obwohl Suhrkamp nicht selbst
veröffentlicht hat. Hier zählen die Bezüge zu klassisch modernen Autoren, die offen
gelegt wurden, wie Franz Kafka, Robert Walser und Siegfried Kracauer. Die kamen
hier zur Sprache, wie schon in der Lesung tags zuvor. Eine Herleitung derselben ist
deshalb nicht abwegig. Über deren Werke der Literaturgeschichte erschließt sich
dem Leser der Zugang zur zeitgenössischen Literatur. Im Mittelpunkt stehen die
Angestelltenverhältnisse, von denen es in Frankfurt viele gibt. In den 1970er Jahren,
als Genazinos Roman geschrieben wurde, gab es einen regelrechten Boom.
An erster Stelle steht nicht das Familienglück, wenngleich es vorhanden ist. Denn es
Abriss des früheren Suhrkamp
Verlagshauses in der Lindenstraße in
Frankfurt, aufgenommen am 06. Mai 2011,
Foto: Maass
dient der Manifestation aller Erdenbürger. Menschen aller Kontinente schaffen sich
die Basis, um dem politischen Kalkül die Gegnerschaft zu nehmen.
Wenn die Beschäftigung mit dem Klientel aus dem Dienstleistungssektor immer auch ein wenig einseitig verläuft,
weil es um die Befriedung einer gesellschaftlichen Minderheit geht, die in Frankfurt zwar sehr stark vertreten ist, aber
letztlich nur sich selbst betrachtet und darauf aus ist, den eigenen Horizont auszubilden. Auf die Problematik
Arbeiterschaft und Angestelltendasein wurde schon hingewiesen.
Bisher gab es nur wenig Überschneidungen zu anderen gesellschaftlichen Gruppierungen: Musiker, Künstler,
Arbeitslose, Arbeiter, Randgruppen der Gesellschaft, Don Quixotes, das interessiert die Frankfurter nur am Rande,
weil kein Platz in Häusern, Türmen und Palästen ist. Die Isolierung ist damit vorprogrammiert. Vielleicht hat die
internationale Finanzkrise geholfen, die Positionen ein wenig zu verändern. Denn was Generationen vor sich her
getragen haben bedarf neuer Strukturen, die auch anderen, die im gesellschaftlichen Wandel nicht erkannt werden,
mehr Toleranz entgegenbringt.
Abschaffel jedenfalls gehört in eine andere Zeit, ihn betrifft das Leben jetzt nicht unbedingt. Gibt er uns Einblicke in
diejenigen Verhältnisse, die für jeden Frankfurter auch in der Gegenwart gelten können und vielleicht nützlich sind,
darüber Bescheid zu wissen. Wer kennt den Theaterplatz? Das Bahnhofsviertel, Hauptwache B-Ebene,
Sachsenhausen oder die Kleinmarkthalle. Lauter Orte und Lokalitäten in Frankfurt, wie sie schon von Abisag
Tüllmann fotografisch festgehalten worden sind und worüber der Roman Auskunft gibt.
Archiv Peter Suhrkamp Stiftung Frankfurt liest ein Buch! vom 02. bis 15. Mai 2011
Die "Frankfurter Morgenzeitung" vom 16.11.1924 berichtet in einer Überschrift über Langeweile. Der Mann im grauen
Flanell, den Abschaffel vertritt, ist nicht erst seit Genazinos Roman bekannt. Den gibt es schon länger, es gäbe eine
Reihe der Romanfiguren, die sich in diesem Bild wiederfinden. Kafkas Gestalten sind genauso wie Michael Endes
"Momo" damit behaftet, indem graue Herren tun und walten. Brechts K., Herr Keuner verfügt über ähnliche Züge, die
auf den Zeitfaktor als etwas graues anspielen. Das gehört doch der Vergangenheit an und scheint bewältigt zu sein?
Der Name Abschaffel soll von einem Straßennamen herstammen, womöglich in Mannheim, wo der Autor mehrere
Jahre seiner Jugend verbracht hat. Zu finden ist dieser im Stadtplan jedoch nicht. "Die Wirklichkeit ist eine
Konstruktion" lautete ein Satz, der während der Lesung vorkam. Abschaffel ist zum Leben erwacht um sich
herumschauend, beschreibend und weitergehend.
Die Vortragenden zitierten nicht nur aus einem Roman, auch aus anderen Büchern wurde zitiert, vor allem jene die in
den 1970er Jahren auf Bestsellerlisten standen, wie: Günter Grass, Der Butt; Lili Palmer, Der rote Rabe, Ephraim
Kishon, Kain & Abel.
Erinnerungen an eine Unterhaltungsliteratur die Geltung hatte: Rainer Kunze, Die wunderbaren Jahre; Sandra
Paretti, Das Zauberschiff; Erica Jong, Angst vorm Fliegen; Brigitte Schwaiger, Wie kommt das Salz ins Meer; Liv
Ullmann, Wandlungen; Emile Ajar, Du hast das Leben noch vor dir und andere mehr.
Titelseite
vom 14. Mai 2011
www.kulturexpress.info
ISSN 1862-1996