Wissensökonomie

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Wissensökonomie
Zeitschrift für Regionalwirtschaft | eins 2008 | 10 €
RegioPol | Zeitschrift für Regionalwirtschaft | eins 2008
Wissensökonomie
ISBN 978-3-00-023500-9
Kontakt:
NORD/LB Regionalwirtschaft
Dr. Arno Brandt
Friedrichswall 10, 30159 Hannover
Tel. (0511) 361-51 04
E-Mail: arno.brandt@nordlb.de
RegioPol
Wissensökonomie
Dr. Hannes Rehm,
Vorstandsvorsitzender der NORD/LB
Norddeutsche Landesbank
Liebe Leserinnen und Leser,
Deutschland kann die „Chancen der Globalisierung“ (Joseph E. Stiglitz) vor allem dann für sich nutzen,
wenn wir in Zukunft noch stärker die Karte der „Ressource Wissen“ ausspielen. Nur wenn wir unser
Ausbildungskapital vermehren und die Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung
intensivieren, wird es uns gelingen, unsere Spitzenposition auf den internationalen Märkten zu
behaupten und damit unseren Wohlstand zu steigern.
Viele Experten sind sich einig, dass wir uns heute im Übergang zur Wissensökonomie befinden, der
bedeutende Herausforderungen für Unternehmen, Mitarbeiter und staatliche Institutionen darstellt.
Soweit wir uns auf die neuen Rahmenbedingungen angemessen einstellen, wird Deutschland es
gemeinsam mit anderen Ländern der Europäischen Union schaffen, eine führende Position im globalen Wettbewerb einzunehmen. Wenn an der Rede von der Wissensökonomie etwas dran ist, dann hat
dies auch Konsequenzen für den regionalen Strukturwandel in Deutschland.
Inhalt
Hannes Rehm
Stefan Krätke
Wissen und
Ökonomie
Die Metropo­
lisierung des
­europäischen
Stadt­systems
Seite 3
Arno Brandt
Seite 21
Regionaler Struktur­
wandel in der
Wissensökonomie
Walter Siebel
Seite 11
Claudia Hahn, Arno
Brandt, Matthias Kiese,
Stefan Krätke
Manfred Steincke,
Marie Christin Dickow
Netzwerkananlyse
in der Wissensökonomie
Innovationspotenziale der
Metropolregionen
in Deutschland
Seite 41
Seite 55
Talent, Toleranz,
Technologie
Dietrich Fürst
Seite 31
Seite 65
Wissensregion
Wissensökonomie
Die Herausbildung von Metropolregionen, die als Knotenpunkte in der Wissensökonomie gelten, ist
ein Ausdruck der regionalwirtschaftlichen Folgen der neuen Marktkonstellationen. Die NORD/LB hat
daher in diesem Zusammenhang jüngst entschieden, die Metropolregion Hannover-BraunschweigGöttingen-Wolfsburg aktiv zu unterstützen. Zugleich stellt die wissensbasierte Ökonomie große
Anforderungen an die Regional- und Strukturpolitik sowie an die kommunale Wirtschaftsförderung.
Diese Anforderungen werden in dieser Ausgabe der RegioPol diskutiert. Alle Anzeichen sprechen
dafür, dass wir eine Neujustierung der regionalen Ebene brauchen, um die „Ressource Wissen“ im
Zeitalter der Globalisierung erfolgreich ausschöpfen zu können.
Martin Riemer-Streicher,
Anne Neumann
Wirtschaftspolitik
in der Wissensökonomie
Seite 75
Stefan Gärtner
Entgrenzung
der kommunalen
Wirtschaftsförderung
Seite 83
Arno Brandt
Was kann und darf
Clusterpolitik?
Seite 95
Michael Kiesewetter,
Torsten Windels
Banking in der
Wissensgesellschaft
Seite 115
Burkart Lutz
Ostdeutsche
­Lek­t ionen:
Klein­betriebe
in der Zeitfalle
Seite 105
Außerhalb des
Schwerpunktes:
Michael Ahrens
Die Initiative
Maritimer Standort
Nordwest
Seite 125
Ulrich Matthias
Rezension:
Stadtpolitik
Seite 129
1
Wissensökonomie
3
Hannes Rehm
Wissen und
Ökonomie
D
ie Rede von der Ökonomie des Wissens oder
der Wissensgesellschaft scheint heute fast zum
Allgemeingut geworden zu sein. Tatsächlich
sprechen viele Anzeichen dafür, dass wir uns mitten im
Übergang zur wissensbasierten Ökonomie befinden. Mit
der Durchsetzung der Basisinnovation in den neuen
­Informations- und Kommunikationstechnologien und
insbesondere mit den extrem gewachsenen Möglich­
keiten der Digitalisierung eröffnet sich die Option, eine
neue Prosperitätskonstellation hervorzubringen. In
tech­nologischer Dimension wird diese Entwicklung
durch weitere Basisinnovationen im Bereich der Biotechnologie oder der Mikrosystemtechnik flankiert. Mit der
zunehmenden Globalisierung beschleunigen sich die
Prozesse zur Durchsetzung der Wissensökonomie, die
maßgeblich dazu beiträgt, dass in einem Hochlohnland
wie Deutschland die internationale Wettbewerbsfähigkeit behauptet werden kann.
Nun ist die Realisierung dauerhafter Wachstums­
perspektiven nicht nur an die Implementierung technologischer Innovationen in den Produktionsprozess gebunden, sondern immer auch ein Ergebnis von Veränderungen der Arbeitsbeziehungen und der politischen
Rahmenbedingungen. Nur, was ist dann das eigentlich
Neue an der wissensbasierten Ökonomie? Schließlich
wurde immer schon Wissen in der Produktion benötigt,
letztlich ist diese ohne jenes überhaupt nicht denkbar.
Allein die Vorstellung, wissensbasierte Ökonomie bezeichne ­lediglich die (wenngleich enorme) Zunahme an
Wissen durch die technologische Entwicklung und die
schnellere Weitergabe durch die Neuen Medien bekommt
die entscheidenden Veränderungen, die von dieser neuen Ökonomie induziert werden, nicht in den Blick. Dieser
Sichtweise folgend erscheint schließlich die Effek­t ivität
des Informationsmanagements als maßgebliche Determinante für weiteres Wachstum (vgl. etwa Leidhold 2001).
Keine Frage: Information und Informationsmanagement sind in der wissensbasierten Ökonomie wichtige
Parameter. Aber Wissen und Information sind nicht
identisch. Dieser Unterschied hat sogar grundlegende
Konsequenzen für die Unternehmens- und Arbeitsor­
b Kunstobjekt, Frank Popp
ganisation, die räumliche Differenzierung der wissens­
intensiven Branchen, die Einschätzung der künftigen
Dynamik dieser Ökonomie und nicht zuletzt für den
­Stellenwert des „Humankapitals“.
Dieser Aufsatz möchte daher die Grundlagen der Wissensökonomie freilegen und der Frage nachgehen, welche
neuen Marktstrukturen sich in diesem Prozess herausbilden und ob damit eine neue Wachstumsdynamik begründet wird, die dauerhaft Bestand haben kann. Diese Entwicklungen haben natürlich auch Auswirkungen auf den
Bankensektor. Die erforderliche Neuorientierung der Kreditwirtschaft in der wissensbasierten Ökonomie soll kurz
umrissen werden, bevor abschließend der Gestaltungsbedarf seitens der Unternehmen und der Politik in einigen
wesentlichen Eckpunkten skizziert wird.
1. Wissen und Information
Wissensbasierte Ökonomien oder auch Wissensökonomien beruhen auf der Produktion, Distribution und
­A nwendung von Wissen und Informationen (vgl. OECD
1996:7). Diese nur scheinbar unspektakuläre Feststellung beinhaltet tatsächlich entscheidende Konsequenzen für die Wirtschaftsentwicklung und rührt in mancher
Hinsicht an einige Grundfesten der ökonomischen Lehrmeinung. Zum einen wird Wissen in einer Wissensökonomie sowohl als Produktionsfaktor als auch als Produkt
bedeutsam. Nicht mehr materielle Produkte, sondern
die Entwicklung von Wissen, Innovationen und Knowhow ist in dieser Konstellation die treibende Größe des
­W irtschaftswachstums. Die wissensbasierte Ökonomie
ist kein homogener Wirtschaftssektor, sondern repräsentiert ein breites Spektrum unterschiedlicher Akti­
vitäten, deren einheitliche funktionale Merkmale in
der Produktion von Informationsgütern bzw. Gütern aus
­w issensintensiven Wirtschaftsbereichen liegen (vgl.
­Kujath 2005: 11). Die Wissensökonomie nimmt nicht
­A bschied vom Industriezeitalter, aber auch in den industriellen Bereichen nehmen die wissensintensiven Prozesse deutlich zu.
4
RegioPol eins 2008
Zum anderen können sich Informationsgüter entweder als Informationen oder als Wissen erweisen. Zentral
ist in diesem Zusammenhang eben die Unterscheidung
von Information und Wissen. Werden Daten in einem
­relevanten Kontext interpretiert, so handelt es sich um
Informationen. Durch die Verknüpfung mit Erfahrungsmustern und deren kontextabhängiger sowie zweck­ge­
bun­dener Nutzung werden diese zu Wissen transformiert.
Es entsteht folglich durch die Einbindung von Informa­
tionen in persönliche Erfahrungskontexte. „Wissen bezeichnet die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen.
Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch
praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen.“
(Probst et al., 1997, S. 44). Informationen sind leicht ko­
difizierbar, sie sind eindeutig und daher einfach zu interpretieren. Im Gegensatz dazu ist Wissen vielfach vage
und nur schwer zu kodifizieren und interpretieren. Dieser Unterschied zwischen Information und Wissen hat
Folgen für die Kosten der Informations­weitergabe in
räumlicher Hinsicht. Während sich die Grenzkosten der
Vermittlung von Information im Raum durch die Verbesserung der Telekommunikation kaum verändern, steigen
die Grenzkosten der Wissensvermittlung mit räumlicher
Entfernung. Neben dieser Differenz ist darüber hinaus
die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem
Wissen relevant. Während explizites Wissen jenen Teil
des Wissens darstellt, der in abstrakter Form vorliegt
und grundsätzlich kodifizierbar ist, wird unter implizitem
Wissen (tacit knowledge) das nur schwer kommunizierbare
personengebundene Hintergrundwissen verstanden, das
nur in der sozialen Interaktion weitergegeben und gelernt
werden kann (learning by doing) (Polanyi 1967; Maier/
Tödtling/Trippl 2006, S. 111. f.) Mit diesen Differenzierungen ist bereits angezeigt, dass auch im Zeitalter der
neuen Informations- und Kommunikationstechnologien
keineswegs davon die Rede sein kann, dass räumliche
Entfernungen irrelevant geworden seien („death of distance“). Es kommt vielmehr darauf an, welche Art von
Wissen bzw. Infor­mation weitergegeben werden soll.
2. B
esonderheiten der Wissensökonomie
Die wissensbasierte Ökonomie weist eine Reihe von
­Besonderheiten auf, die sie signifikant von vorgängigen
Ökonomien, in denen die Produktion materieller Güter
im Zentrum stand, unterscheidet. Diese Spezifika beziehen sich einerseits auf die besonderen Eigenschaften
von Informationsgütern und anderseits auf die zentrale
­Rolle des Produktionsfaktors Wissen. Dabei zeigt sich,
dass mit der Durchsetzung der wissensbasierten Öko­
nomie die Komplexität, Sensitivität und Dynamik des
markt­lichen Umfeldes wächst. Damit steigen sowohl die
Anforderungen an die Akteure am Markt als auch die
­politischen Entscheidungsträger, soweit sie den regu­
lativen Rahmen für einen funktionsfähigen Wettbewerb
in der Wissensökonomie setzen.
Besonderheiten von Informationsgütern
Informationsgüter unterscheiden sich grundlegend von
materiellen Gütern. Aus ökonomischer Sicht ergeben
sich aus diesem Sachverhalt erhebliche Konsequenzen,
die unser Verständnis von der Funktionsweise von Märkten in der Wissensökonomie prägen.
Nach Romer (1990, S. 73 ff.) zeichnen sich Informa­
tionsgüter durch die Eigenschaften der Nichtrivalität im
Konsum und einer nur teilweisen Ausschließbarkeit aus.
Rivalität bedeutet, dass der Konsum eines Gutes nur
möglich ist, wenn der Nutzen des Gutes für andere Konsumenten geschmälert wird. Für die Wirksamkeit des
Preismechanismus ist dies von zentraler Bedeutung. Bei
Wissen besteht aber Nichtrivalität, weil es die eigentümliche Eigenschaft hat, dass es sich mit zunehmendem
Gebrauch vermehrt. Wissensaustausch schafft neues
Wissen, der Einsatz von Wissen vermehrt Wissen. Die
Grenzkosten der Nutzung von Wissen sind damit gleich
Null, bei normalen Marktgütern sind diese positiv.
(­Stiglitz 2006, S. 405). Nur ausschließbare Güter können
vor der Nutzung Dritter geschützt werden, sodass Trittbrettfahrer von der Nutzung abgehalten werden können.
Bei der Nutzung von Informationsgütern können jedoch
nur teilweise Dritte zu vertretbaren Kosten ausgeschlossen werden. Dieses kann z. B. durch Patente stattfinden.
Trotz Patentierung kann aber das bereits vorhandene
Wissen als Basis für weitere Innovationen genutzt werden. Zudem reichen vielfach nur wenige Variationen aus,
um Schutzrechte im Bereich des geistigen Eigentums zu
umgehen. Patente sind darüber hinaus aus guten Gründen in ihrer Laufzeit begrenzt. Aus alledem folgt, dass
Informationsgüter als quasi-öffentliche Güter zu betrachten sind (Krugman, 2005, S. 479, 522; Stiglitz, 1999a,
S. 312).
Eine wesentliche Differenz zwischen Informations­
gütern und physischen Gütern besteht in der Art und
Weise ihrer Herstellung, die sich in unterschiedlichen
Kostenstrukturen ausdrückt (Arrow, 1996, S. 120). Die
Herstellung von Informationsgütern ist, aufgrund der
Notwendigkeit kostspieliger Forschung und Entwicklung, durch hohe Fixkosten gekennzeichnet (Krugman,
2005, S. 520). Ist das Informationsgut erst einmal ent­
wickelt, lässt es sich nahezu kostenlos reproduzieren
und in sehr kurzer Zeit weltweit verbreiten, d. h. es entsteht eine starke ­F ixkostendegression (Arrow, 1999,
S. 15ff.). Die Entwicklung einer Software kann außerordentlich kostspielig sein, während die Kosten ihrer Vervielfältigung gegen Null tendieren. Folglich ist bei Informationsgütern von sinkenden Durchschnittskosten bei
steigender Produk­t ionsmenge auszugehen, sodass sich
steigende Skalenerträge ergeben. Insofern ist bei
­Informationsgütern aufgrund ihrer charakteristischen
Kostenstruktur eine immanente Tendenz zur höheren
wirtschaftlichen Dynamik, aber auch zur ökonomischen
Konzentration angelegt.
Bei kaum einem anderen Gut lassen sich so überzeugend Netzwerkeffekte (Netzwerkexternalitäten) nachweisen wie bei Informationsgütern. Hierbei handelt es
Wissensökonomie
sich vielfach um Güter, bei denen der Nutzen mit der
­A nzahl der Nutzer, die das gleiche Gut in Gebrauch nehmen, wächst. Für einen einzelnen Konsumenten hängt
dann der Grenznutzen des Gutes von der Anzahl anderer
Konsumenten, die ein vergleichbares Gut nutzen, ab.
Beispiele aus der Konsumwelt der Wissensökonomie
gibt es für die Existenz von Netzwerkeffekten reichlich.
So steigt der Nutzen von Mobilfunkgeräten mit der
­A nzahl ihrer Besitzer. Je mehr User ins Internet einsteigen, umso größer ist der Nutzen für jeden einzelnen.
Derartige Externalitäten werden in der ökonomischen
Theorie als direkte Netzwerkeffekte bezeichnet. Von indirekten Netzwerkeffekten spricht man, wenn z. B. mit
zunehmender Verbreitung eines Gutes die Unterstützerkultur wächst (die Windows-Welt ist nicht zuletzt deshalb so populär, weil überall jemand anzutreffen ist, der
sich mit dieser Software auskennt und folglich helfend
eingreifen kann). Wenn ein Gut die Eigenschaften von
Netzwerkeffekten aufweist, dann ist es auch wahrscheinlich mit dem Effekt positiver Rückkoppelungen verbunden: Wenn eine hinreichend große Anzahl potenzieller
Nutzer das Gut erworben hat („Kritische Masse“), steigt
auch die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Personen das
Gut erwerben. Erfolg (und Misserfolg) tendieren vor diesem Hintergrund dazu, selbstverstärkend zu sein.
Eine weitere Besonderheit kann anhand des „Informationsparadoxons“ von Arrow veranschaulicht werden.
„There is a fundamental paradox in the determination of
demand for information; its value for the purchaser is not
known until he has the information, but then he has in
effect acquired it without cost.“ (Arrow 1962) Aufgrund
dieses Paradoxons kann Wissen seitens der Nachfrager
vor dem Kauf nicht unentgeltlich vollständig inspiziert
werden. Die Nachfragerseite ist somit unsicher bezüglich der Güte der Information, da sie schlechter als die
Anbieterseite über die Qualität des Gutes informiert ist.
Daraus kann gefolgert werden, dass die Märkte für Informationsgüter durch Asymmetrien gekennzeichnet sind
(Stiglitz, 2000, S. 1444). Derartige Informationsasymmetrien verweisen auf die Notwendigkeit, Vertrauen bzw.
Reputation am Markt aufzubauen. Die Fähigkeit, sich in
derartigen Märken erfolgreich zu positionieren, wird
­damit aber auch zu einem fragilen Unterfangen, weil
­Vertrauen ein hoch sensibles Gut ist, dass relativ leicht
verspielt werden kann.
Besonderheiten des Produktionsfaktors Wissen
In der wissensbasierten Ökonomie wird Wissen zum entscheidenden Produktionsfaktor. Es basiert auf Forschung und Entwicklung, Humankapital und das Erfahrungswissen der Beschäftigten. Bezeichnend für den
Produktionsfaktor Wissen ist, dass es im Gegensatz zu
den traditionellen Produktionsfaktoren keine abnehmenden Grenzerträge aufweist (Stiglitz, 1999b, S. 10).
Grund dafür ist, dass das Wissen trotz permanenter Weitergabe nicht gemindert wird. Im Rahmen der Wissensweitergabe kann zudem neues Wissen generiert oder
5
das bereits bestehende weiterentwickelt werden, wobei
Lernen die Voraussetzung dafür bildet. „Knowledge is
the fundamental resource in our contemporary economy
and learning is the most important process.“ (Johnson/
Lundvall, 1994, S. 24). Eine Konsequenz ist daher, dass
die Produktionsfunktion in der wissensbasierten Ökonomie steigende Skalenerträge aufweist.
Auf der anderen Seite ist Wissen als Input relativ unsicher (Audretsch 2002, S.66), da es permanent im Wandel
begriffen ist und Schutzrechte zur Absicherung geistigen Eigentums i. d. R. weder vollständig noch dauerhaft
durchgesetzt werden können. Die Unterscheidung von
explizitem und implizitem Wissen (siehe oben) verweist
darauf, dass ein relevanter Wissensanteil personengebunden und nur mit sehr hohem Aufwand transferierbar
ist. Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass die Informationsverteilung asymmetrisch ist, woraus sich eine
Vielzahl von Konsequenzen insbesondere für die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen bzw. -beziehungen ergeben. Diese Betrachtung zeigt darüber hinaus, wie notwendig permanente Anstrengungen im Bereich privater
und öffentlicher Bildungsmaßnahmen sind, um Verjüngungs- und Erneuerungsprozesse hinsichtlich der individuellen Wissensbasis zu gewährleisten. Unternehmen
in der Wissensökonomie sind daher gefordert, ihre Investitionen in Humankapital, Forschung und Entwicklung und in Bindung ihrer qualifizierten Mitarbeiter zu
intensivieren.
3. D
ie Wachstumsdynamik der Wissensökonomie
Mit dem Übergang zur wissensbasierten Ökonomie
übernehmen das Ausbildungskapital sowie Forschung
und Entwicklung die überragende Rolle im Wachstumsprozess. Paul Romer hat diesen Zusammenhang im
­Rahmen der von ihm begründeten „Neuen Wachstumstheorie“ thematisiert (Romer 1990). Danach steht der
technologische Wandel im Zentrum des Wirtschaftswachstums. Romer betont insbesondere die komplementäre Beziehung zwischen Innovationsdynamik und
Kapitalakkumulation und sieht einen Zusammenhang
zwischen Investitionen in Ausbildungskapital und
Wachstumsdividende. Technologische Veränderungen
ohne komplementäre Verbesserungen der Qualifikation
der Arbeitskräfte und der Kompetenzen des Managements führen nicht zur Ausschöpfung des Innovationspotenzials. Auf den Wachstumsprozess nehmen mithin
zahlreiche Faktoren Einfluss: die Zeithorizonte des
­Managements, die Arbeitsbeziehungen und die politischen Rahmenbedingungen.
Technologischer Fortschritt ist für Romer synonym
mit der Akkumulation von Wissen. Die Herstellung von
Wissen erfordert kostspielige Grundlagenforschung und
ist daher durch hohe Fixkosten und sehr niedrige variable Kosten gekennzeichnet. Da Wissen aufgrund der nur
einmal notwendigen Entwicklung nahezu kostenlos
­reproduziert und in einer sehr kurzen Zeit weltweit
6
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
7
Volkswirtschaftlich könnte sich ein
­dauerhaft höheres Wirtschaftswachstum
ergeben, soweit der Wertschöpfungsanteil der Informationsgüter an der
gesamt­w irtschaftlichen Produktion steigt.
v­ erbreitet werden kann, entsteht eine starke Fixkostendegression: „(…) the instructions for working with raw
materials are inherently different from other economic
goods. Once the cost of creating a new set of instructions has been incurred, the instruction can be used over
and over again at no additional cost. Developing new and
better instructions is equivalent to incurring a fixed cost.
This property is taken to be the defining characteristic of
technology.“ (Romer, 1990, S. 72). Somit ist bei Wissen
von sinkenden Durchschnittskosten bei steigender Produktionsmenge auszugehen, wodurch sich steigende
Skalenerträge ergeben.
Diese Konstellation ist typisch für die Erstellung von
Gütern in der Wissensökonomie. Volkswirtschaftlich
könnte sich damit ein dauerhaft höheres Wirtschaftswachstum ergeben, soweit der Wertschöpfungsanteil
der Informationsgüter an der gesamtwirtschaftlichen
Produktion steigt. Zudem könnte sich das Wachstum
­beschleunigen, weil in einer wissensbasierten Ökonomie die dominierenden Technologien in Bezug auf den
Faktor Arbeit eher komplementär als substitutiv wirken:
Im Gegensatz zum traditionellen Modell der Sachkapitalintensivierung, bei dem menschliche Arbeitskraft
substituiert wird, scheint „… die Wissensintensivierung
(…) eher ein Prozess zu sein, bei dem das menschliche
Innovationsvermögen eine sich selbst verstärkende
komplementäre Rolle spielt.“ (Klodt 2003, S.18)
Diese Überlegungen werden weitgehend durch den
Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands gestützt (BMBF 2007). So konstatiert der OECDLändervergleich bei allen nach wie vor bestehenden
Wachstumsunterschiede als Gemeinsamkeiten: „Die
­Relevanz der Investitionen in Informationstechnik für
das Wirtschaftswachstum nimmt zu. Innerhalb der Sachkapitalinvestitionen bekommen Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnik ein deutlich stärkeres Gewicht. Die Struktur der Beschäftigten verschiebt
sich in allen Ländern zugunsten der Hochqualifizierten.
(...) Gerade der internationale Vergleich macht daher
deutlich, dass die ausreichende Verfügbarkeit von Hochqualifizierten eine zentrale Voraussetzung dafür ist, dass
in Zukunft Deutschland einen höheren Wachstumspfad
beschreiben kann als in den letzten fünfzehn Jahren.“
b Kunstobjekt, Schloss Moyland, NRW
(BMBF 2007, S. 4). Der Bericht macht aber auch deutlich,
dass Deutschland noch einen erheblichen Nachholbedarf bei Innovationstechnik sowie Forschung und Entwicklung hat, um zur Spitze der übrigen OECD-Länder
aufzuschließen.
4. Rolle der Banken in der Wissensökonomie
Für das Vermarkten innovativer, wissensbasierter Produkte und Dienstleistungen ist nicht nur ihre technolo­
gische Neu- und Weiterentwicklung Voraussetzung. Damit aus Investitionen Innovationen werden, muss dem
privaten Unternehmenssektor Liquidität von außen zur
Verfügung gestellt werden. Kapital bei unsicheren Gewinnerwartungen bereitzustellen, um beispielsweise
eine neue Technologie im Markt einzuführen, stellt ein
erhebliches Risiko dar. Vor diesem Hintergrund spielen
innovationsfreundliche Finanzinstitutionen eine wich­
tige Rolle in wissensbasierten Ökonomien. Auch wenn
Banken auf diesem Gebiet eine besondere Verantwortung zufällt, sind hierbei insbesondere die Venture-Capital-Gesellschaften gefordert.
Die veränderten Rahmenbedingungen, die auf den
aktuellen wirtschaftlichen Strukturwandel zurückgehen,
zwingen auch die deutschen Bankhäuser, ihre Geschäftsfelder neu zu justieren, interne Prozesse zu optimieren
und strategische Ausrichtungen zu überdenken. Dabei
üben folgende Entwicklungen großen Einfluss auf das
Bankengeschäft aus:
n
Aufgrund der immer schneller voranschreitenden
Entwicklung und der damit verbundenen geringeren
Halbwertzeit von Wissen und Technologie ist die
­w issensbasierte Ökonomie gekennzeichnet durch
wesentlich verkürzte Produktzyklen. Besonders in
Bereichen wie der Informations- und Kommunikationsbranche wird dies deutlich. Aber auch in den
„klassischen Industrien“ wie der Automobilbranche,
die ebenfalls den wissensintensiven Wirtschafts­
bereichen zuzuordnen ist, konnte man in den vergangenen Jahren eine deutliche Verkürzung des Technologiezyklus beobachten (vgl. OECD 2000, S. 32).
8
RegioPol eins 2008
Folgerichtig müssen sich die Neuentwicklungen in verhältnismäßig kurzen Zeiträumen amortisieren, um die
Entwicklungskosten einzuspielen. Neben der ­kürzeren
Lebenszeit von Produkten sind mittlerweile ganze
Branchen von kürzeren Lebenszyklen betroffen.
n Aufgrund des steigenden Anteils an Wissen in Produkten und Dienstleistungen nimmt für die Banken
die Relevanz von Fragen des Urheberrechts und des
Patentschutzes zu.
n Wissensbasierte Produkte überschreiten vielfach
Branchengrenzen und erobern mit innovativen
­A nsätzen neue Wachstumsfelder. So werden heute
beispielsweise Technologien aus dem Schifffahrtsund Flugzeugbau in Bereiche der zukunftsträchtigen
Windkrafttechnologie übertragen. Für die Welt der
Banken bedeutet das, dass für eine realistische
­A bschätzung der Rentabilität eines solchen Innova­
tionspfades genaue Kenntnisse der betreffenden
Branchen nötig sind und technologische Expertisen
aus dem wissenschaftlichen Umfeld einzubeziehen
sind.
Angesichts dieser Entwicklungen sind die Banken
durch die veränderten Rahmenbedingungen mit einer
steigenden Komplexität und vermehrten Unsicherheiten
in ihren Geschäftsfeldern konfrontiert.
Banken sind nicht zuletzt gefordert, selbst innovative
Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und auf
sich verändernde Rahmenbedingen schnell zu reagieren. Systematischen Innovationsprozessen kommt bei
Finanzdienstleistern zunehmend der gleiche Stellenwert
zu wie z. B. in der Industrie. Hierfür ist eine disziplinenübergreifende Zusammenarbeit mindestens genauso
entscheidend wie eine Kultur des Experimentierens, die
eine entsprechende Fehlertoleranz aufweist. Eine solche Offenheit für neue Produktideen im Bankwesen ist
auch insofern gefordert, da die Standardisierung einfacher Bankgeschäfte neue Formen des Banking eröffnet
und damit neue Mitbewerber entstehen.
Aufgrund der zunehmenden Komplexität der wissens­
intensiven Finanzprodukte und den wachsenden Unsicherheiten im Marktumfeld steigen die Qualifikations­an­
for­derungen an die Mitarbeiter insbesondere auch im
Bankensektor selbst. Vor diesem Hintergrund werden Ausund Weiterbildung und eine bereichsübergreifende Kommunikation im Rahmen des bankinternen Risikomanagements zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die
Banken in ihrem wirtschaftlichen Umfeld gezwungen
sind, sich auf größere Unsicherheiten, mehr Komplexität
und schnellere Veränderungen einzustellen. Mögliche
Handlungsstrategien diesen Veränderungen zu begegnen, bestehen zum einen darin, den eigenen Innovationsprozess zu systematisieren und zum anderen die internen Wissensflüsse zu aktivieren und effektiv zu
nutzen sowie die eigenen Qualifizierungsanstrengungen zu intensivieren.
5. Schlussbetrachtung
Diese Betrachtung sollte gezeigt haben, dass die spezifisch neue Qualität der wissensbasierten Ökonomie nicht
allein in ihrer Wissensintensität, sondern vielmehr in
dem ambivalenten Charakter des Faktors Wissen selbst
begründet liegt. Wissen fungiert hier ebenso als Ressource wie als Produkt. Als Ressource wird Wissen in
der Nutzung nicht verbraucht, sondern sogar noch vermehrt, weshalb seine Grenzkosten im Gegensatz zu
­normalen Marktgütern bei Null liegen. Das Produkt
­W issen ermöglicht nur eine teilweise Ausschließbarkeit
und ist als quasi-öffentliches Gut zu betrachten.
Diese Besonderheiten verlangen den Marktteilnehmern neue strategische Entscheidungen z. B. in der
­Distribution ab. So war der vehemente Einsatz der Kulturindustrie für die Einführung des Kopierschutzes
­offensichtlich nur der vergebliche Versuch, die Eigenschaften herkömmlicher materieller Produkte auf Informationsgüter zu übertragen.
Der wissensbasierten Ökonomie sind die Potenziale
für höheres und beschleunigtes Wachstum inhärent.
Wissen und Information unterscheiden sich jedoch in
­einer wesentlichen Beziehung: Während Information
heute leicht zu kodifizieren und nahezu ohne räumliche
Beschränkung ausgetauscht werden kann, ist Wissen,
und insbesondere implizites Wissen, an Personen gebunden und befördert die räumliche Konzentration wissensintensiver Betriebe. Investitionen in der Wissensökonomie können deshalb nur dann eine maximale
Effizienz erreichen, sofern sie auch Investitionen in
­Humankapital darstellen.
Für die Unternehmen bedeutet das nicht nur verstärkte Anstrengungen in Aus- und Weiterbildung sowie in
Forschung und Entwicklung, sondern auch eine flexible
und offene Unternehmenskultur aufzubauen, die in der
Lage ist, sich ständig wandelnde Anforderungen produktiv aufzunehmen. Sie sind in der Wissensökonomie
gefordert, sich als lernende Organisationen zu bewähren. Das betrifft auch die Kreditwirtschaft. Ein beson­
derer Stellenwert muss dabei der Bereitstellung von
Wagniskapital beigemessen werden.
Die Politik sieht sich dagegen in der Pflicht, den Weg
für eine Bildungspolitik des 21. Jahrhunderts frei zu
­machen. Angesichts des heute schon manifesten Fachkräftemangels und der sich abzeichnenden demogra­
fischen Entwicklung, muss eine im OECD-Durchschnitt
immer noch zu geringe Studierquote als erheb­licher
Standortnachteil gewertet werden. Der zudem hohe
­A nteil von Schulabgängern ohne Abschluss führt nicht
nur zu einer weiteren Reduktion des Arbeitskräftepools,
sondern wirft auch die Frage auf, welche sozialen Verwerfungen sich diese Gesellschaft leisten kann.
Die Erfahrung zeigt, dass es sich leider nicht erübrigt,
darauf hinzuweisen, dass eine anzustrebende höhere Studierquote auch höhere Investitionen in die öffent­liche
­Forschung und Lehre erfordert. Bereits heute ist die Ausstattung der deutschen Universitäten und Hochschulen
nur teilweise als international konkurrenzfähig einzustufen.
Wissensökonomie
Aber es sind nicht nur der Staat und die Wirtschaft
aufgefordert, sich den Bedingungen der Wissensöko­
nomie zu stellen. Wir bedürfen insgesamt einer inno­
vationsfreundlichen und lernbereiten Kultur. Lebens­
langes Lernen darf kein bloßes Schlagwort bleiben, es
muss Eingang finden in den kulturellen Kodex unserer
Einstellungen und Leitbilder. Nur auf diese Weise werden wir die Chancen und Potenziale der Wissensöko­
nomie ausschöpfen können.
Quelle
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Stiglitz, J. E. 2006: Die Chancen der Globalisierung. München
9
10
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
11
Arno Brandt
Regionaler Strukturwandel
in der Wissensökonomie
1. Einleitung
Eine wissenschaftliche Einschätzung der Entwicklung
komplexer Systeme gleicht nicht selten einer Gratwanderung: Einerseits stellt sich die Reduktion auf das
­Wesentliche als unabdingbar dar, andererseits birgt eine
zu starke Vereinfachung auf wenige oder einzelne Parameter die Gefahr mangelnden Erkenntnisgewinns oder
gar eklatanter Fehlprognosen. Auch die räumlichen Auswirkungen der Wissensökonomie entziehen sich hart­
näckig einer linearen und eindimensionalen Fortschreibung einzelner Faktoren.
Ohne Zweifel hat der Fortschritt der Informationsund Kommunikationstechnologien und insbesondere
des Internets eine Beschleunigung der Markttransaktionen und damit eine nachhaltige Senkung der raumwirksamen Transaktionskosten befördert (Dohse et al. 2004,
S. 14). Die Wissensökonomie eröffnet gerade in der Informationsverarbeitung und -übertragung neue Möglichkeiten, die eine höhere Effizienz erlauben. Diese Reduzierung von Transaktionskosten hat maßgeblich den
Prozess der Globalisierung beschleunigt und damit das
Kräfteparallelogramm der internationalen Ökonomie
nachhaltig verschoben. Nicht selten jedoch hat dieser
Befund zum Trugschluss verleitet, dass der Prozess der
Globalisierung und Digitalisierung auf Dauer zur Ein­
ebnung aller ökonomischen Unterschiede führen müsse.
Während im Hinblick auf die internationale Ökonomie
die These „The world is flat“ prominente Fürsprecher fand
(Friedman 2006), wurde in regionalökonomischer Perspektive „The death of distance“ verkündet (Cairncross
1997) und damit der Hoffnung Nahrung gegeben, dass
nunmehr auch die letzten Residuen des traditionellen
Stadt-Land-Gegensatzes in Auflösung begriffen seien.
Nun wissen die Ökonomen aber bereits seit Adam
Smith, dass mit der Größe des Marktes die Arbeitsteilung und damit die Spezialisierung tendenziell zunimmt.
Dies gilt auch für die Spezialisierung der Wirtschafts­
räume untereinander. Im Prozess der Globalisierung ist
daher statt Nivellierung vielmehr eine zunehmende
­Differenzierung zu erwarten (vgl. Dunning 2000, S.13).
Joseph E. Stiglitz vertritt in diesem Kontext die These,
dass die Welt nicht flach, sondern in vielerlei Hinsicht
zerklüfteter geworden ist (Stiglitz 2006, S. 84f.). Paul
Krugman hat darauf hingewiesen, dass die Stadt bzw.
die Region eine „Weltwirtschaft im Kleinformat“ repräsentiert (Krugman 1999, S. 222). Was für die Weltwirtschaft im Ganzen gilt, gilt auch für die Regionen unter­
einander: Mit dem Übergang zur wissensbasierten
Ökonomie ist eine zunehmende räumliche Ausdifferenzierung und wahrscheinlich auch eine Verschärfung der
regionalen Disparitäten zu erwarten. Im Folgenden soll
daher die Frage erörtert werden, wie sich der Übergang
zur Wissensökonomie (vgl. DIW 2008, Rehm 2008) auf
den regionalen Strukturwandel in Deutschland auswirkt.
2. G
ewinner und Verlierer im regionalen Strukturwandel
Erste Hinweise auf die Raumwirksamkeit der neuen Wissensökonomie ergeben sich aus der jüngeren Geschichte des regionalen Strukturwandels in Deutschland. Dabei lässt sich für die vergangenen Jahre eine äußerst
differenzierte Entwicklung zwischen den verschiedenen
Regionen erkennen. Während auf der sektoralen Ebene
ein kontinuierlicher Beschäftigungsrückgang im Produk­
tionssektor bei gleichzeitigen Zuwächsen im Dienstleistungssektor stattfindet, sind auf der regionalen Ebene
besonders die ländlichen Räume von Beschäftigungsverlusten gekennzeichnet.
Anhand der vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung aufgestellten Untergliederung siedlungsstruktureller Raumtypen1 lässt sich der strukturelle Wandel in
Das BBR unterscheidet zwischen: 1. Kernstädten in Agglomerationsräumen, 2. hoch verdichteten Kreisen in Agglomerationsräumen, 3. verdichteten Kreisen in
Agglomerationsräumen, 4. ländlichen Kreisen in Agglomerationsräumen, 5. Kernstädten in verstädterten Räumen, 6. verdichteten Kreisen in verstädterten
Räumen, 7. ländlichen Kreisen in verstädterten Räumen, 8. ländlichen Kreisen höherer Dichte in ländlichen Räumen, 9. ländlichen Kreisen geringerer Dichte in
ländlichen Räumen.
1
b Objekt, PhantasieMechanik, phæno Wolfsburg (Detail)
RegioPol eins 2008
12
Bezug auf die Beschäftigtenentwicklung nachzeichnen.
Abbildung 1 verdeutlicht, dass besonders die peripheren Regionen in Deutschland im Zeitraum 1999 bis 2007
z. T. einen dramatischen Rückgang in der Beschäftigung
hinnehmen mussten. Während der ländliche Raum sich
in diesem Prozess des Strukturwandels zunächst als
deutlicher Verlierer herauskristallisiert, sind es besonders die hoch verdichteten Kreise in den Agglomera­
tionsräumen, die von dieser Entwicklung profitieren
konnten und sich als Gewinner des Strukturwandels positionieren. Auffällig ist jedoch, dass dieser Entwicklungsverlauf sich nicht unmittelbar in den Kernstädten
abspielt, sondern vor allem in den z. T. unmittelbar angrenzenden (hoch-) verdichteten Kreisen stattfindet. Im
Zuge des fortschreitenden Übergangs von der industriellen Produktion zur Dienstleistungswirtschaft haben
die Kernstädte vor allem in den traditionellen industriellen Branchen deutliche Beschäftigungsverluste hinnehmen müssen.
Die urbanen Zentren gewinnen hingegen zunehmend
im Bereich der unternehmensnahen, wissensintensiven
Dienstleistungen an Attraktivität. Offenkundig haben
hier die Beschäftigungsgewinne in diesen Wirtschaftsbereichen die Verluste im industriellen Sektor nicht ausgleichen können.
Stark zulegen können die hoch verdichteten Räume
gerade bei der Beschäftigung in den wissensintensiven
Dienstleistungsbereichen, wobei die hoch verdichteten
Kreise hier noch stärkere Beschäftigungsgewinne verzeichneten als die Kernstädte der Agglomerations­
räume. 2 Dies sind gleichzeitig auch die Räume, die am
stärksten bei der Beschäftigung im Bereich des wissensintensiven verarbeitenden Gewerbes verloren haben.
Für die künftige Beschäftigungsbilanz der urbanen
Räume dürfte es entscheidend darauf ankommen,
­inwieweit das Beschäftigungswachstum bei den wissensintensiven Dienstleistungen die Rationalisierungsdynamik bei den wissensintensiven Industrien über­
kompensiert. In diesen Räumen zeigt sich jedenfalls eine
starke räumliche Konzentration der wissensintensiven
Dienstleistungen (vgl. Abb. 2).
Der Übergang zur wissensbasierten Ökonomie sollte
in funktionaler Hinsicht insbesondere auch jene wirtschaftlichen Aktivitäten begünstigen, die den höherwertigen Dienstleistungen (Forschung und Entwicklung,
leitende Verwaltungstätigkeiten, Unternehmensberatung, EDV und Marketing) zuzurechnen sind. Eine Verifizierung dieser These erfordert nicht nur die Einbeziehung der entsprechenden Dienstleistungsaktivitäten
Abbildung 1: Entwicklung der Gesamtbeschäftigung und Beschäftigten in wissenintensiven
Wirtschaftszweigen 1999 bis 2007 nach siedlungsstrukturellen Kreistypen (in%)
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung, eigene Berechnungen
2
Die Abgrenzung wissensintensiver Wirtschaftsbereiche erfolgt hier nach den NIW/ISI-Listen 2006 (Legler/Frietsch 2006)
Wissensökonomie
13
Abbildung 2: Räumliche Konzentration der wissensintensiven Dienstleistungswirtschaft
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, NIW/ ISI, eigene Berechnungen
des tertiären Sektors, sondern auch die der Industrie
(Management, F&E etc.) in die Betrachtung. Auf der funktionalen Ebene zeigt sich, dass höherwertige Dienst­
leistungstätigkeiten verglichen mit Produktionstätig­
keiten eindeutig zu den Agglomerationsräumen und
dabei insbesondere zu den urbanen Zentren tendieren
(vgl. Tab. 1). Deutlich wird auch, dass die ländlichen
­Räume in Deutschland mit einem Anteil von lediglich
5,5 Prozent einen gravierenden Rückstand bei den
­höherwertigen Dienstleistungen aufweisen. Wenn das
Postulat vom Übergang zur Wissensökonomie zutrifft,
dann spricht vieles dafür, dass eine höhere wirtschaftliche Dynamik in Zukunft vor allem dort zu erwarten ist,
wo sich die höherwertigen Dienstleistungen bereits
heute räumlich konzentrieren.
3. Wissensbasierte Ökonomie
des Raumes
Unsere Eingangsüberlegung zur differenzierten Darstellung komplexer Systeme sollte uns davor bewahren, die
bisherige Argumentation als ausreichend zu betrachten.
Diese hat uns wie erhofft erste Hinweise geliefert, jedoch noch nicht in die Lage versetzt, eine ausreichend
fundierte Einschätzung über die künftige Entwicklung
14
RegioPol eins 2008
Tabelle 1: Anteile der höherwertigen Dienstleistungen an der Gesamtbeschäftigung im Jahr 2005
Kreistypisierung des BBR
Beschäftigungsanteil (in %)
Agglomerationsräume
11,4
1 = Kernstädte
2 = hoch verdichtete Kreise
3 = verdichtete Kreise
4 = ländliche Kreise
verstädterte Räume
5 = Kernstädte
6 = verdichtete Kreise
7 = ländliche Kreise
ländliche Räume
8 = ländliche Kreise höherer Dichte
9 = ländliche Kreise geringerer Dichte
Gesamt
13,7
10,0
6,9
6,2
7,2
10,6
6,6
5,2
5,5
5,9
4,8
9,3
Quelle: Bade 2007, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, eigene Berechnungen
zu treffen. Dafür bedarf es der Hinzuziehung weiterer
Faktoren und insbesondere einer Antwort auf die Frage,
was urbane Räume eigentlich dazu prädestiniert, zu bevorzugten Orten der Wissensökonomie zu werden?
In der Theorie werden vor allem das Kontextmodell
und das Ressourcenmodell diskutiert (vgl. Kujath 2005).
Das Kontextmodell stellt die urbanen Räume als Orte
der Wissensgenerierung und des Lernens dar. Danach
­begünstigen diese als Orte großer Akteursdichte und
-vielfalt die Herausbildung dichter regionaler Kontaktnetze. Regionale Kontaktnetze dienen dabei als Basis
für die Entstehung von regionalen Wissenskontexten.
Das Ressourcenmodell stellt die urbanen Räume als
Knoten globaler Wissensnetzwerke und Ressourcenpools dar. Hier setzt auch die These von den Metropol­
regionen als Knotenpunkte der Wissensökonomie an.
Um sich in globale Wissensnetzwerke einbinden zu
­können, brauchen sie die räumliche Dichte von Wissensträgern, Wissensarbeitern und entsprechende Infrastrukturen wie Telekommunikation und Verkehr. Kontext- und Ressourcenmodell müssen keineswegs als
alternative Er­k lärungsansätze begriffen werden, sondern ergänzen sich zugunsten einer differenzierten Betrachtung der Raumwirksamkeit der Wissensökonomie.
Es sind vor allem die folgenden Argumente, die aus
ökonomischer Sicht dafür sprechen, dass sich die Fliehkräfte zugunsten der urbanen Zentren in Folge des Übergangs zur wissensbasierten Ökonomie verstärken:
1.Soweit die Unternehmen ihre Wissensressourcen
aus überregionalen und globalen Quellen beziehen,
liegt die funktionale Bedeutung der urbanen Räume
in ihrer Knotenpunktfunktion innerhalb sich über­
lagernder Netzwerke. Die Informationsdienstleister
in den urbanen Räumen fungieren als Schaltstellen,
wobei ihre Verarbeitungskapazität von Wissen nicht
an re­gionale Ressourcen gebunden sind. Hierfür sind
die physische und telekommunikative Erreichbarkeit
die wichtigsten Ressourcen. Urbane Räume sind
dann Knoten, die zahlreiche Interaktionsbeziehungen zu anderen Räumen aufbauen und Zugang zu
deren Märkten vermitteln.
2.In den großen urbanen Agglomerationsräumen lassen sich verhältnismäßig leicht durch kooperative
Vernetzungen Verbundvorteile erzielen. Denn die
Herstellung komplexer Informationsgüter erfordert
immer häufiger die Zusammenführung hoch spezia­
lisierter Inputs aus verschiedenen Wissensbereichen. Spezialisierung erleichtert es den Firmen auf
ihrem Wissensfeld große Absatzmärkte und damit
auch Größenordnungen zu erreichen, mit denen sie
Skaleneffekte erzielen können. Globale Handelsstrukturen sind ein Ausdruck dafür, dass höher entwickelte Länder sich zunehmend auf den Warenaustausch mit ausgewählten Gütern spezialisieren. Die
Fokussierung dieser Länder auf spezielle Güterarten
oder Endprodukte dürfte zugleich ein Indiz für die
Existenz von Skaleneffekten sein (vgl. Storper 2000,
S. 46).
3.In der Wissensökonomie spielt vor allem das impli­
zite Wissen (tacit knowledge) eine große Rolle. Während explizites Wissen leicht im Raum transferierbar
ist, lässt sich das implizite Wissen nicht oder nur zu
hohen Kosten distanzunabhängig übermitteln. Das
implizite Wissen ist personengebunden und basiert
auf den Erfahrungen bzw. lebensbegleitenden Lern-
Wissensökonomie
prozessen seiner Träger. Folglich ist das implizite
Wissen schwer kommunizierbar, formalisierbar und
teilbar, sodass es weitgehend nur in direktem Faceto-face-Kontakt und zu relativ hohen Kosten weitergegeben werden kann. Dies erschwert die Diffusion
des ­impliziten Wissens über größere Distanzen hinaus (Audretsch 2000, S. 72, ders. 2008). Explizites
und implizites Wissen verhalten sich komplementär
zueinander, sodass eine Transformation von impli­
zitem in explizites Wissen nur in Grenzfällen mög­lich ist. Während der Austausch von kodifiziertem
Wissen geringe Reibungsverluste erzeugt, ist der
Austausch des an Personen gebundenen Wissens
an ­interpersonelle Aktivitäten in räumlicher Nähe
gebunden. In urbanen Räumen lassen sich dabei
die Reibungsverluste der wirtschaftlichen Transak­
tionen bei der Wissensbeschaffung, -verarbeitung
und -verbreitung im Vergleich zu anderen Räumen
deutlich verringern. Räumliche Nähe begünstigt die
Entstehung von Vertrauen, die wiederum Basis für
die Herausbildung von Kooperationen ist.
4.Die Vernetzung der Unternehmen zu innovativen
Clustern senkt durch Kooperation und Spezialisierung
innerbetriebliche Kosten und erleichtert den regio­
nalen Kompetenzaufbau und gemeinsame Netzwerkprojekte auch für den internationalen Markt. Räum­
liche Nähe begünstigt dabei die Netzwerkbildung.
Optimalerweise entwickelt sich aus der Summe lernender Unternehmen eine lernende Region. Dann erhöht sich die Wettbewerbsfähigkeit aller beteiligten
Unternehmen und der Region, sodass sich eine Winwin-Situation einstellt (Cooke 2005, S. 46).
5.Die großen urbanen Arbeitsmärkte bilden einen Pool
für spezialisierte Wissensarbeiter. Durch diesen Pool
lassen sich die Kosten des Anpassungsprozesses
von Angebot und Nachfrage auf hoch spezialisierten
Märkten sowohl für die Wissensarbeiter als auch für
die Unternehmen verringern. Nach Dunning (2000,
S. 16) erhöhen sich die Suchkosten je komplexer das
Wissen ist, das die Unternehmen benötigen, und je
mehr dieses Wissen personengebunden ist. Ähn­
liches gilt für die Ermittlung von Partnern für die
­gemeinsame Produktion von hoch spezialisierten
Dienstleistungen. Neuere Untersuchungen weisen
darauf hin, dass es vor allem die ausgeprägt urbanen
Standorte sind, die für die Wissensarbeiter („creative
class“) in besonderer Weise attraktiv sind (Läpple,
D. 2006; Florida, R. 2002). Die Verfügbarkeit (hoch-)
qualifizierter Arbeitskräfte wird in der Wissensöko­
nomie zu einem entscheidenden Standortfaktor.
6.Je größer die Informationsasymmetrie zwischen
den beteiligten Partnern der Transaktion und je un­
sicherer das mögliche Ergebnis dieser Beziehungen
ist, umso höher fallen die Transaktionskosten aus.
Räumliche Nähe, die z. B. eine genauere Einschätzung des Leistungspotenzials des Kontaktpartners
erleichtert oder den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen ­begünstigt, senkt in diesem Zusammenhang
die Transaktionskosten (Dunning 2000, S. 16).
15
7.Urbane Räume sind Standorte, von denen aus weltweite Transaktionen besonders kostengünstig or­ga­
nisiert werden können. Urbane Räume fungieren als
Knotenpunkte des Informations- und Wissensaus­
tausches sowie als globale Informations- und Wissensmarktplätze, die in Kombination mit einer leistungsfähigen Transportinfrastruktur agieren können.
Diese Infrastrukturen erleichtern die Ermittlung von
Transaktionspartnern und ermöglichen eine Senkung
der Kosten für langwierige Vertragsverhandlungen.
8.Wissensspillover gelten gemeinhin als Treiber des
wirtschaftlichen Wachstums und als Hauptfaktoren
einer räumlichen Ballung der wissensinnovativen
Wirtschaftszweige. Zahlreiche Cluster haben eine
enge Verbindung zwischen der Innovations- und
Lernfähigkeit entwickelt. Mit anderen Worten: Sie
­erzeugen dynamische externe Effekte für die betei­
ligten Betriebe (vgl. Dunning 2000, S. 19). Die Pro­
duktivität eines Unternehmens oder einer Branche
hängt damit nicht nur von der eigenen F&E Aktivi­tät, sondern auch von der Höhe des allgemeinen
­W issens­pools des sektoralen Umfeldes ab. „Wesent­
liches Merkmal von Innovationsprozessen, in denen
Forschung und Entwicklung einen zentralen Stellenwert einnehmen, ist die Arbeitsteiligkeit und Inter­
akti­v ität. Innovation, Produktion, Verwertung und
Vermarktung lassen sich in einer arbeitsteiligen
­W irtschaft nicht mehr ausschließlich durch einen
­einzelnen Akteur realisieren, sondern nur in Zu­sam­
menarbeit mit und in Wechselwirkung zwischen
­unterschiedlichen Partnern“ (Koschatzky 2005, S. 53).
Die räumliche Nähe spielt auch im Zusammenhang
mit Wissenspillovers eine entscheidende ­Rolle.
9.Produktionsprozesse, für die vorwiegend kodifizierbare Informationen wichtig sind, verlieren in starkem
Maße ihre Raumbindung und werden ‚footloose‘.
Produktionsaktivitäten, die einen hohen Anteil an
gebundenem Wissen („tacit knowledge“) enthalten
und die der persönlichen („face to face“) Kontakte
bedürfen, werden dagegen eher zu einer räumlichen
Konzentration in den Zentren neigen. (Dohse et al.
2004, S. 103).
10.Die Vorstellung, dass in der innovationsintensiven
Einführungs- und Entwicklungsphase von Branchen
eine Konzentration auf die urbanen Zentren erfolgt
und mit zunehmender Reife und Standardisierung
eine Diffusion in Richtung periphere Regionen eintritt, dürfte in der Wissensökonomie kaum Bestand
haben. In einer Welt wissensintensiver Produktion,
flexibler Spezialisierung und deutlich verkürzter Produktlebenszyklen wird der Markt für standardisierte
Güter kleiner und die Zeitspanne für räumliche Diffusionsprozesse enger. Den neuen Unternehmen der
Wissensökonomie wird folglich kaum Zeit bleiben,
sich in die (bundesdeutsche) Peripherie zu begeben.
Soweit Optionen auf Standardisierung bzw. Massenproduktion bestehen, werden diese kaum in den peripheren Regionen am Standort Deutschland realisiert werden, sondern in jenen Regionen Osteuropas
16
RegioPol eins 2008
bzw. Südostasiens zur Geltung kommen, die für
­dieses Produktionsmodell über die entsprechenden
komparativen Vorteile verfügen.
4. Die Wiederentdeckung der Zentren
im Lissabon-Prozess
Mit dem Übergang zur wissensbasierten Ökonomie ist vor
dem Hintergrund der angeführten raumtheoretischen Argumente davon auszugehen, dass die sich abzeichnenden
ökonomischen Entwicklungen eine höhere Dynamik der
urbanen Räume begünstigen. Aufgrund milieuspezifischer
Faktoren, die insbesondere von den modernen Wissens­
arbeitern präferiert werden (Urbanität, kulturelle Vielfalt,
Toleranz), dürften dabei die Zentren in besonderer Weise
profitieren. Diese ökonomische Sogwirkung wird durch die
Veränderung politischer Prioritäten im Rahmen der EUFörderkulisse verstärkt. Die EU-Strukturpolitik nimmt mittlerweile eine Neugewichtung des Wachstumszieles gegenüber dem Ausgleichsziel vor und orientiert sich damit
in noch stärkerem Maße an den Strategien und Zielen von
Lissabon und Göteborg. Entsprechend dieser Ziele werden
die kohäsionspolitischen Maßnahmen auf eine begrenzte
Zahl von Gemeinschaftsprioritäten konzentriert, während
der Schwerpunkt „Innovation und Wachstum“ deutlich aufgewertet wurde.
Die EU-Strukturpolitik hat mit dieser Neuorientierung
einen Paradigmenwechsel mit einer deutlichen Relativierung der Ausgleichsfunktion eingeleitet (vgl. NIW
2005, S. 6). Die neuen strukturpolitischen Instrumente
der EU sind damit weniger auf den Abbau regionaler
­Disparitäten ausgerichtet. Zwar entfallen noch immer
82 Prozent der regionalpolitischen EU-Mittel auf das
Konvergenzziel, in dessen Rahmen die wirtschaftlich
schwächsten Mitgliedsstaaten und Regionen gefördert
werden, bezogen auf Westdeutschland existieren jedoch
kaum noch Teilräume, die diesbezüglich prioritär unterstützt werden. Insofern ist auch seitens der EU – wie
auch im Rahmen nationaler Wirtschafts- und Strukturpolitiken – kaum zu erwarten, dass den sich abzeich­
nenden Tendenzen zugunsten wachsender regionaler
Disparitäten, die sich im Zuge des Übergangs zur wissensbasierten Ökonomie ergeben, entgegengewirkt
wird.
5. „ Hidden Champions“ in der Regionalentwicklung
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Entwicklungsstrategien für die ländlich-peripheren Regionen in Deutschland verbleiben, d. h. inwieweit realis­
tischerweise davon ausgegangen werden kann, dass
Polarisierung zwischen den dynamischen Zentren und
den peripheren Teilregionen vermieden werden kann.
Zunächst einmal lassen bereits die statistischen Werte
der neun vom BBR definierten Raumtypen erkennen,
dass in Deutschland keine einfache Dichotomie zwischen
Zentrum und Peripherie existiert und damit insgesamt
von keinem einheitlichen Bild auszugehen ist. Ein differenzierter Blick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Dynamik von ländlichen Räumen abseits der
großen Metropolregionen zeigt, dass sich auch in der Peripherie außerordentliche Erfolgsgeschichten von Wirt­schaftsräumen ereignen. In (West-) Deutschland exis­
tieren zahlreiche überaus wettbewerbsfähige Regionen,
die nach der Raumtypologie des BBR in die Kategorie
der ländlichen Räume mit höherer und geringerer Dicht
fallen.
Betrachtet man die Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten als einen Erfolgsindikator
der Regionalentwicklung, dann erweisen sich im Beobachtungszeitraum u. a. der Wirtschaftsraum Cloppenburg-Vechta, die Landkreise Emsland und Leer in der Region Ems-Achse sowie der Landkreis Schwandorf in der
Oberpfalz als besonders dynamische Wirtschaftsräume
(vgl. Tab. 2). Ausgangspunkt einer aufstrebenden regionalökonomischen Entwicklung sind in vielen Fällen
günstige Konstellationen der Wirtschaftsstruktur und
vor allem die Spezialisierung auf besonders zukunftsträchtige Branchen, die sich in der Regel ebenfalls als
wissensintensiv erweisen. Dies betrifft nicht zuletzt die
Maritime Wirtschaft im Wirtschaftsraum der Ems-Achse
in Niedersachsen (Meyer-Werft, Reedereiwirtschaft)
oder die Automobilzulieferindustrie im Landkreis
Schwandorf in der Oberpfalz. Allein der Landkreis Leer
konnte sich innerhalb eines Zeitraums von weniger als
30 Jahren von einem Standort ohne nennenswerte
­Betriebe der Seeschifffahrt zum zweitgrößten Reedereistandort in Deutschland (nach Anzahl der bereederten
Schiffe) entwickeln (NORD/LB/NIW 2006). Einen guten
Überblick über relativ erfolgreiche ländliche Standorte in
Deutschland erlaubt die Studie „Erfolgsbedingungen
von Wachstumsmotoren außerhalb der Metropolregionen“ innerhalb des Forschungsprogramms „Modellvorhaben der Raumordnung“ (MORO) (BMVBS/BBR 2008).
Es zeigt sich aber auch, dass eine Reihe der relativ erfolgreichen Regionen auch ohne ausgeprägte Anteile an
wissensintensiven Branchen reüssieren können. Offenkundig gelingt es einer Vielzahl von Standorten ohne
­eine starke Wissensbasierung sich im System der funk­
tionalen Arbeitsteilung zu behaupten.
Im Rahmen des MORO-Projektes – dessen kritische
Auswertung noch aussteht – werden auf der Grundlage
einer Reihe von Fallstudien Erfolgsbedingungen identifiziert, die Hinweise dafür liefern, wie im Rahmen einer
langfristigen Strategie Wachstumsprozesse auch in
strukturschwachen Regionen initiiert werden können.
Dazu zählen der Abschied von einer ausgeprägten Subventionsorientierung, die Initiierung von Motivation innerhalb der regionalen Bevölkerung und die Mobilisierung der regionalen Akteure ebenso wie die Vernetzung
der Unternehmen mit Wissenschaft und Forschung (z. B.
Fachhochschulen, Kompetenzzentren) sowie der Ausbau
der harten und weichen Standortfaktoren. Investitionen
in Ausbildungskapital zur Sicherstellung der Verfüg­
barkeit qualifizierter Arbeitskräfte und dem Ausbau der
Wissensökonomie
17
Tabelle 2: Rangordnung ländlicher Landkreise in Deutschland nach Beschäftigungswachstum
im Zeitraum 1997 bis 2007
Rang
Landkreis
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
Vechta
Eichstätt
Regensburg
Cloppenburg
Biberach
Pfaffenhofen a.d. Ilm
Landshut
Schwandorf
Emsland
Hohenlohekreis
Donau-Ries
Dingolfing-Landau
Schwäbisch Hall
Weilheim-Schongau
Cham
Rosenheim
Fulda
Rhein-Hunsrück-Kreis
Neustadt a.d. Aisch –
Bad Windsheim
Oldenburg
Leer
Trier-Saarburg
Ammerland
Miesbach
Main-Spessart
Beschäftigungswachstum
(absolut)
Beschäftigungswachstum
(relativ)
8.618
4.574
5.350
6.593
8.972
3.604
4.479
5.312
10.829
4.824
5.134
4.348
5.931
3.394
3.599
5.233
5.815
2.178
21,2 %
20,0 %
18,4 %
16,9 %
16,0 %
14,6 %
14,0 %
13,2 %
12,6 %
12,4 %
12,0 %
11,3 %
10,0 %
9,6 %
9,5 %
9,2 %
8,3 %
7,9 %
1.862
1.895
2.540
1.690
2.113
1.729
2.297
7,9 %
7,6 %
7,6 %
7,5 %
7,0 %
6,8 %
5,9 %
Bundesagentur für Arbeit, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, eigene Berechnungen
Kommunikationsinfrastruktur (DSL) kommt in diesem
Zusammenhang ein besonderer Stellenwert zu. Zwar
wird einerseits deutlich herausgestellt, dass auf der Basis tragfähiger Entwicklungskonzepte die „Entwicklung
von Strategien zur optimalen Akquirierung von Fördermitteln“ geboten ist, aber anderseits die Notwendigkeit
betont, „Wachstum und regionale Entwicklung selbst
­aktiv in die Hand zu nehmen und sich nicht auf Hilfe
von außen zu verlassen“ (BMVBS/BBR 2008, S. 71 ff.).
So richtig diese Hinweise auch sein mögen, zeigt die
Diskussion um die Raumwirksamkeit der künftigen Wissensökonomie doch, wie sehr sich das raumwirtschaft­
liche Kräfteparallelogramm künftig noch verschieben
wird. Zu einer Orientierung auf die endogenen Poten­
ziale vor Ort und insbesondere auf die Mobilisierung und
Vernetzung der eigenen kreativen und intellektuellen
Ressourcen gibt es für die betroffenen Regionen im
­Prinzip kaum eine strategische Alternative. Aber der
­Pro­blemdruck dürfte angesichts der ökonomischen
­Rahmenbedingungen so stark zunehmen, dass zusätz­
liche Unterstützungsmaßnahmen seitens der Länder,
des Bundes und der EU unabdingbar werden. Eine der­
artige Förderpolitik wäre keine Rückkehr zur Gießkanne,
sondern eine strukturpolitische Weichenstellung zugunsten jener strukturschwachen Regionen, die die Herausforderungen der Wissensökonomie annehmen, ihre
komparativen Vorteile identifizieren und entsprechende
Gestaltungsstrategien entwickeln. Dies wäre schließlich
auch kompatibel mit einer Wachstumsstrategie, die das
Ausgleichsziel nicht aus dem Auge verliert.
6. Fazit
So eingängig Schlagworte wie die vom „Tod der Ent­
fernung“ oder „Die Welt ist flach“ auch sein mögen,
sie ersetzen nicht die differenzierte Betrachtung
­komplexer Sachverhalte. Es sind keineswegs allein
die ­Informations- und Kommunikationstechnologien –
so paradigmatisch und prägend ihr Aufstieg auch für die
18
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
wissensbasierte Ökonomie sein mag – die allein die
künftige Entwicklungsrichtung bestimmen werden. Die
Wissensökonomie wird aller Voraussicht nach ihre­
größte Dynamik in den urbanen Zentren entfalten. Die
These von der Renaissance der Stadt (Häußermann/
Läpple/Siebel 2007, S. 362 ff.) findet hier ihre materielle
Grundlage. Das bedeutet jedoch nicht, dass weniger verdichtete Kreise und Regionen in Zukunft per se von
Wachstum und Fortschritt ausgeschlossen bleiben. Zwar
werden auch sie nicht umhin kommen, sich auf die neuen
Bedingungen der Wissensökonomie einzustellen; eine
intelligente und engagierte Nutzung der endogenen
­Potenziale, die nötige Weitsicht (auch über den eigenen
Tellerrand hinaus) und die Mobilisierung wie Vernetzung
der maßgeblichen regionalen Akteure ermöglichen jedoch auch im länd­lichen Raum Erfolgsgeschichten. Eine
Unterstützung durch übergeordnete Gebietskörperschaften sind sie ­allemal wert.
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b Kunst im öffentlichen Raum, London
19
20
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
21
Stefan Krätke
Die Metropolisierung
des europäischen Stadtsystems
D
ie dominanten wirtschaftlichen Entwicklungszentren im EU-Raum sind dynamische Großstadtregionen und Metropolräume, in denen
sich wissensintensive Dienstleistungen und forschungsintensive Industrieaktivitäten konzentrieren. Insofern
kann die räumliche Entwicklung Europas heute als eine
„Metropolisierung“ von wirtschaftlichen Entwicklungsund Innovationspotenzialen charakterisiert werden.
„Metropolisierung“ ist eine Umschreibung für die Konzentration von wirtschaftlichen Entwicklungspotenzialen – insbesondere der wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten – auf Metropolräume und Großstadtregionen.
Die Großstadtregionen und Metropolräume fungieren
dabei als „Motoren“ der gesamt- und regionalwirtschaftlichen Entwicklung im EU-Raum und zugleich als die herausragenden Knotenpunkte der weltwirtschaftlichen
Integration Europas. Im Rahmen einer zunehmend innovationsgetriebenen Ökonomie sind die Entwicklungsaussichten von Städten und Regionen in besonderem
Maße von Potenzialen und Kapazitäten im Bereich
­w issensintensiver Wirtschaftsaktivitäten bestimmt (Lo/
Schamp 2003; Kujath 2005 a; Cooke et al. 2007). So wird
der Ausbau von wissensintensiven Aktivitätszweigen
der Regionalwirtschaft, die Profilierung einer Region als
Zentrum der „Knowledge Economy“, zu einem strategischen Fokus der wirtschaftlichen Entwicklungspolitik.
Dieser Beitrag soll mit einer europäisch vergleichenden
Analyse der heutigen ökonomischen Basis von Großstadtregionen und Metropolräumen zeigen, dass die
Stadtregionen Europas im Zuge des wirtschaftlichen
Strukturwandels in Richtung auf eine zunehmend wissensintensive Wirtschaft durch abweichende Strukturprofile und unterschiedliche regionale Entwicklungs­
pfade geprägt sind.
Um die Tendenzen des wirtschaftlichen Strukturwandels im EU-Raum unter dem Aspekt der Ausdifferenzie-
rung ökonomischer Profile und Entwicklungspfade der
europäischen Großstadtregionen nachzuzeichnen, wurden die in der Eurostat-Regiodatenbank bereitgestellten
Daten zur wissensintensiven Wirtschaft für den Zeitraum
1997-2005 ausgewertet1. Der Vorteil einer Verwendung
der Eurostat-Regiodatenbank liegt darin, regionale Wirtschaftsstrukturen auf gesamteuropäischer Ebene vergleichend analysieren zu können. Im Zuge der fortgeschrittenen Globalisierung und Internationalisierung
der Wirtschaft sind vergleichende regionalwirtschaft­
liche Analysen auf der nationalstaatlichen Maßstabs­
ebene trotz der meist detaillierteren Datenbasis mit dem
Nachteil einer im Grunde unrealistischen Vergleichsperspektive verbunden: Die regionalen Ökonomien insbesondere der Großstadtregionen und Metropolräume
stehen heute im direkten Wettbewerb mit Regionen des
europäischen Wirtschaftsraumes (und darüber hinaus
im globalen Wettbewerb), und können längst nicht mehr
allein als Standortzentren eines nationalstaatlichen
„Container“-Raumes oder eines nationalen Stadt- und
Regionalsystems begriffen werden. Eine europäisch vergleichende Analyse von Wirtschaftsregionen eröffnet
folglich die realistische Perspektive auf regionalwirtschaftliche Entwicklungsbedingungen der Gegenwart.
Die europäisch vergleichende Regionalanalyse greift
auf Statistiken der EU für die NUTS 2 Gliederungsebene
zurück 2. Die relativ groben Raumabgrenzungen der
NUTS 2 Ebene sind aber für die Zwecke einer Analyse der
wirtschaftlichen Profile und Entwicklungsrichtungen der
Großstadtregionen und Metropolräume der EU durchaus
akzeptabel, wenn man bedenkt, dass sich in heutiger
Zeit die wirtschaftlichen Verflechtungsräume der Großstädte und insbesondere der Metropolen Europas immer
weiter ausgedehnt haben. In diesem thematischen Zusammenhang sind nicht die kleinräumigen administra­
tiven Gebietseinheiten, sondern die realen Wirtschafts-
Die Stadtregionen der baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen wurden mangels regional differenzierender Daten nicht in die Untersuchung
auf­­­ge­­nommen; auch die Stadtregionen der 2007 neu hinzugekommenen EU-Mitgliedsländer Rumänien und Bulgarien blieben wegen gravierender Lücken
in der Datenbasis unberücksichtigt.
2
Die relevanten Wirtschaftsdaten sind ausschließlich auf dieser räumlichen Ebene verfügbar.
1
b Spiegelung, Hochhaus, Pudong, Shanghai
RegioPol eins 2008
22
Abbildung 1: Relative Konzentration ausgewählter Teilsektoren der wissensintensiven
Wirtschaft im Stadtsystem der EU 2005
Quelle: Eurostat REGIO-Datenbank; eigene Berechnungen
räume der urbanen Zentren des Regionalsystems von
primärem Interesse.
Die strukturelle Analyse der Potenziale und Entwicklungspfade europäischer Großstadtregionen und Metropolräume im Bereich wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten bezieht insgesamt 57 Großstadtregionen im
EU-Raum ein, unter denen ca. 20 – 25 als Metropolregionen qualifiziert werden könnten. Da es keine einheitliche
Definition oder Abgrenzung von Metropolregionen / Metropolräumen gibt (vgl. Blotevogel 1998; Kujath 2005 b),
kann dieser Ausdruck nur auf die Einkreisung von den
nach überregionalen Funktionen und wirtschaftlichen
Kapazitäten im EU-Raum „herausragenden“ Großstadtregionen zielen. Diese Einkreisung ist speziell für die
Bundesrepublik Deutschland keineswegs deckungsgleich mit der offiziellen planungspolitischen Abgrenzung von nahezu allen Agglomerationsräumen des Landes als „Metropolregionen“ (IKM 2006). 3 Der verwendete
Ausdruck „Großstadtregionen und Metropolräume“ ist
so zu verstehen, dass im Kreis der untersuchten Großstadtregionen der EU auch eine Reihe von Metropolre­
gionen im oben genannten Sinne von stark herausragenden Zentren mit enthalten sind. In einzelnen Fällen (wie
etwa London, Paris u. ä.) wird ausdrücklich die Bezeichnung Metropolregion verwendet, jedoch ohne den
Anspruch, die Teilmenge der Metropolregionen unter
den einbezogenen Großstadtregionen abschließend
zu kennzeichnen.
Aufgrund der Probleme der Akzeptanzfähigkeit einer genauen Auflistung der Metropolregionen Europas wird in dieser Studie jedoch darauf verzichtet, diese
Metropolräume im Einzelnen vom Rest der Großstadtregionen abzugrenzen.
3
Wissensökonomie
Für die Zwecke einer gesamteuropäischen Analyse wurden mehrere Stadtregionen zu einer Gesamtregion zusam­
mengefasst4: Dazu gehören Florenz/Bologna, Manchester/
Liverpool/Leeds/Sheffield, die „Randstad Holland“ mit
Amsterdam/Rotterdam/Den Haag, das oberschlesische Industrierevier (Polen), die Region Sevilla/Malaga, die RheinRuhr-Agglomeration (von Dortmund über Essen, Duisburg,
Düsseldorf bis Köln), die Region Hannover/Braunschweig /
Göttingen, die Region Rhein-Neckar (Mannheim, Heidelberg) und das sogenannte „Sachsendreieck“ mit HalleLeipzig, Dresden und Chemnitz. Bei der Interpretation von
Analyseergebnissen ist im Auge zu behalten, dass die
­aggregierte Analyse und Darstellung die polyzentrische
interne Struktur dieser Großstadtregionen verdeckt. Die
untersuchten 57 Großstadtregionen und Metropolräume
umfassen insgesamt neun polyzentrische Stadtregionen.
1. D
ie Großstadtregionen und ­­
Metropolräume Europas als Standortzentren der wissens­intensiven
Wirtschafts­aktivitäten
Das Gesamtbild der EU-Regionalstruktur zeigt heute vor
allem eine Konzentration der Wirtschaftskraft auf die Großstadtregionen und Metropolräume. Die 57 Großstadtre­
gionen der EU 25, die zusammen einen Anteil von 31 Prozent der Gebietsfläche der EU haben, vereinigten 2003
zusammen 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
und 56 Prozent aller Einwohner der EU 25 auf sich. Die
wirtschaftliche Leistungskapazität im EU-Raum ist zu fast
zwei Dritteln in einem „Inselreich“ von Großstadtregionen
und ­Metropolräumen konzentriert. An die Befunde zur
„Metropolisierung“ des EU-Wirtschaftsraumes knüpft die
These an, dass die herausragende Wirtschaftskraft der europäischen Großstadtregionen mit der Konzentration von
wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten in ihrem Raum
zusammenhängt (vgl. Krätke 2005; Raspe/van Oort 2006;
Moreno/Paci/Usai 2006): Die Konzentration dieser Wirtschaftsaktivitäten in Großstadtregionen und Metropolräumen ist sowohl bei wissensintensiven Dienstleistungen als
auch bei forschungsintensiven Industriezweigen gegeben:
In den untersuchten Großstadtregionen konzentrierten
sich im Jahre 2005 auf 31 Prozent der EU-Gebietsfläche
60 Prozent der Arbeitsplätze forschungsintensiver In­dus­
trie­zweige und 61 Prozent der Arbeitsplätze wissens­­­
intensiver Dienstleistungszweige.
Neben dieser absoluten Konzentration der wissensintensiven Wirtschaft ist bei der überwiegenden Mehrheit
der Großstadtregionen und Metropolräume der EU auch
eine relative Konzentration von bedeutenden Teilsek­
toren der wissensintensiven Wirtschaft festzustellen
(siehe Abb. 1): In 37 (von insgesamt 57 untersuchten)
Großstadtregionen ist eine relative Konzentration von
forschungsintensiven „High Technology“ Industrien
und/oder „Medium High Technology“ Industrien gegeben, d. h. ein Beschäftigtenanteil in diesen Teilsektoren
in der Stadtregion, der den Anteil dieser Teilsektoren an
den Gesamtbeschäftigten der EU 25 übersteigt (d. h. ein
23
Standortquotient > 1; Spitzenreiter sind hier die Regionen Stuttgart, München, Rhein-Neckar, Hannover und
Dublin mit Standortquotienten > 2). In 41 der untersuchten Großstadtregionen ist eine relative Konzentration
von wissensintensiven marktbezogenen Unternehmensdiensten und/oder Finanzdienstleistungen gegeben
(Spitzenreiter sind hier erwartungsgemäß die Metropolregionen von London und Paris sowie Stockholm).
Aussagen zur Gesamtheit der Großstadtregionen verdecken jedoch den für regionalwissenschaftliche Stu­
dien zentralen Aspekt der Differenzierung zwischen den
Großstadtregionen der EU mit Blick auf ihre sektoralen
Profile und ihre Beschäftigtenentwicklung. Insgesamt
qualifizieren sich die Großstadtregionen und Metropolräume der EU als die primären Standortzentren für wissensintensive Industriezweige und qualifizierte Unternehmensdienstleistungen. In solchen Befunden ist auch
die Rede von den Metropolräumen/Großstadtregionen
als den „regionalen Motoren“ der europäischen Wirtschaftsentwicklung begründet. Die „Metropolisierung“
der europäischen Wirtschaft kann als räumliche Artikulationsform des Bedeutungszuwachses von wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten begriffen werden.
In der folgenden Analyse werden die Potenziale wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten der Großstadt­
regionen Europas ganz bewusst nach absoluten Größen
dargestellt. Die in der Raumforschung häufig gedankenlos angewandte Normalisierung von Regionaldaten mit
Bezug auf Einwohnerzahlen ist im thematischen Bezugsrahmen dieser Studie wenig aussagekräftig. Bei der Analyse von Potenzialen der wissensintensiven Wirtschaft
im Stadtsystem Europas richtet sich der Blick auf die
­selektive Agglomeration von Wirtschaftsaktivitäten in
einem Regionalsystem konkurrierender Standortzentren – in diesem Kontext sind absolute Konzentrationen
von Aktivitäten ausschlaggebend. Standortentscheidungen des Unternehmenssektors werden auch nicht an
den bei Regionalplanern beliebten Pro-Kopf-Kennziffern
ausgerichtet, sondern an absoluten Konzentrationen
von Unternehmen, Beschäftigten, Dienstleistern und
Kunden, wo es um die Wahrnehmung von Agglomera­
tionsvorteilen geht. Im Wettbewerb der Regionen zählt
heute mehr denn je absolute Stärke, also die konkreten
Gegebenheiten in regionalen Wirtschaftsräumen5.
Diese Stadtregionen bilden entweder einen zusammenhängenden
Agglomerationsraum oder eine weitere Aufgliederung auf NUTS 2 Ebene ist
nicht möglich.
5
Für die Branchendifferenzierung der Analyse werden auf Basis der
Eurostat-Regiodatenbank folgende Gruppierungen durch Zusammenfassung
von NACE-Zweigen unterschieden:
1.Forschungsintensive Industrien: 1.1 forschungsintensive
„High Technology“ Industrien (NACE Zweige 30, 32, 33);
1.2 Forschungsintensive „Medium High Technology“ Industrien
(NACE Zweige 24, 29, 31, 34, 35)
2.Wissensintensive Dienstleistungen: 2.1 wissensintensive
technologiebezogene Dienste (NACE Zweige 64, 72, 73);
2.2 Wissensintensive marktbezogene Unternehmensdienste
(NACE Zweige 61, 62, 70, 71, 74); 2.3 wissensintensive
Finanzdienstleistungen (NACE Zweige 65, 66 und 67);
2.4 Wissensintensive Dienstleistungen im Bereich Bildung,
Gesundheit, Kultur und Medien (NACE Zweige 80, 85, 92)
3.Wissensintensive Wirtschaft zusammen
(= Aggregat aus 1. und 2.)
4
24
RegioPol eins 2008
Abbildung 2: Absolute Konzentration der wissensintensiven Wirtschaft im Stadtsystem
der EU 2005
Anzahl Beschäftigte (Klassifizierung nach „National Breaks“)
in NACE Branchen Nr. 24, 29 – 35, 61, 62, 64 – 67, 70 – 74, 80, 85, 92
145.107 bis 392.775
392.775 bis 889.493
889.493 bis 1.771.391
1.771.391 bis 4.347.355
1. Rang-Gruppe
(von 5 Perzentilen)
2. Rang-Gruppe
(von 5 Perzentilen)
Quelle: Eurostat REGIO-Datenbank; eigene Berechnungen
Die Gesamtdarstellung der absoluten Konzentrationen der wissensintensiven Wirtschaft in den Großstadt­
regionen und Metropolräumen der EU (siehe Abb. 2) lässt
erkennen, dass der sogenannte Kernraum der EU einen
Großteil der Standortzentren der Wissensökonomie einschließt, wobei London und Paris eine führende Position
einnehmen und die Rhein-Ruhr-Agglomeration in aggre­
gierter Darstellung ebenfalls eine starke absolute Konzentration aufweist. Darüber hinaus existieren im euro­
päischen Raum aber eine Reihe weiterer herausragender
Zentren wissensintensiver Wirtschaftsaktivi­täten wie
­insbesondere Barcelona, Florenz/Bologna, Mailand, Kopenhagen, Hamburg, Amsterdam/Rotterdam/Den Haag,
­Birmingham und Manchester/Liverpool/Leeds. Diese
Stadtregionen bilden die erste Rang-­Gruppe von Beschäftigtenkonzentrationen der wissens­intensiven Wirtschaft
bei Unterteilung der 57 Stadt­regionen nach fünf Perzen­
tilen. Die Anteile der wissensintensiven Wirtschaft an allen Beschäftigten reichen von 26,7 Prozent (Valencia) bis
60,3 Prozent (Stockholm), der Durchschnittswert für alle
einbezogenen Stadtregionen beträgt 42,6 Prozent. Auf
Deutschland bezogen, liegen acht der elf Metropolregionen (einschließlich Berlin) über diesem Durchschnittswert.
Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen im Bereich
der wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten im Zeitraum 1997 bis 2005 ist durch einen Zuwachs der „knowledge economy“ in allen Großstadtregionen und Metropolräumen der EU gekennzeichnet. An erster Stelle sind
hier London, die Randstad Holland und die Rhein-RuhrAgglomeration zu nennen; an zweiter Stelle Paris, Frankfurt, Mannheim, Hamburg und Turin. Auch außerhalb des
sogenannte EU-Kernraums ist jedoch in Metropolräumen wie Berlin, Nantes, Birmingham, Manchester/Liverpool/Leeds und insbesondere in der Region Dublin ein
starkes Wachstum der Beschäftigtenzahl festzustellen.
Ferner gibt es deutliche Anzeichen für einen Aufholprozess der Großstadtregionen und Metropolräume im
­Süden der EU, wo Madrid, Barcelona, Sevilla, Valencia,
Wissensökonomie
­ lorenz / Bo­logna und Rom, aber auch Bilbao, Neapel und
F
Palermo zu den Aufsteiger-Regionen der wissensinten­
siven Wirtschaft gehören. Die Mehrheit der Großstadtre­
gionen und Metropolräume der EU weist eine positive
­absolute Wachstumsdifferenz der Beschäftigten der wissensintensiven Wirtschaft gegenüber anderen Sektoren
auf. In den herausragenden Wachstumszentren der „knowledge economy“ übertrifft der Zuwachs an Beschäftigten
in der wissensintensiven Wirtschaft die Veränderung in
den anderen Sektoren um 150.000 bis 450.000 Beschäf­
tigte. So stellt sich die wissensintensive Wirtschaft als
­„Motor“ des ­Beschäftigungswachstums im Stadtsystem
der EU dar.
2. E
ntwicklungspfade europäischer Großstadtregionen und Metropolräume
Richtet man den Blick auf regionale Entwicklungszusammenhänge zwischen wissensintensiven Industrien und
Unternehmensdienstleistungen, wäre zu prüfen, ob im
Stadtsystem Europas eine Konvergenz oder Divergenz
der Entwicklung wissensintensiver Industrien und
Dienstleistungen erkennbar wird. Die Überlagerung der
Veränderungen bei den Beschäftigtenzahlen beider
­Teilsektoren verdeutlicht zunächst, dass die wissens­
intensiven marktbezogenen Unternehmensdienstleistungen im Zeitraum 1997 bis 2005 in allen Großstadt­
regionen und Metropolräumen der EU einen höheren
absoluten Beschäftigtenzuwachs verzeichnen als die
wissensintensiven Industrieaktivitäten.
Darüber hinaus ist aber eine „gespaltene“ Entwicklung festzustellen, insofern als ein Teil der Großstadt­
regionen und Metropolräume – vor allem im traditionellen Kernraum und im Norden der EU – bei wachsenden
Beschäftigtenzahlen im Bereich wissensintensiver
­Unternehmensdienstleistungen eine Schrumpfung der
Beschäftigtenzahl forschungsintensiver Industrien aufweist, d. h. eine deutliche Divergenz der Entwicklungsrichtungen beider Teilsektoren, wohingegen ein ganz erheblicher Teil der einbezogenen Großstadtregionen und
Metropolräume eine Korrespondenz im Wachstum wissensintensiver Industrien und Unternehmensdienstleistungen zeigt. Diese 21 Stadtregionen, die vor allem im
Süden der EU, in Polen, und in der Bundesrepublik
Deutschland im Raum Stuttgart und Leipzig/Dresden/
Chemnitz liegen, sind durch eine Konvergenz der Entwicklungsrichtungen beider Teilsektoren gekennzeichnet. Diese Befunde zum Entwicklungszusammenhang
von Industrie- und Dienstleistungsaktivitäten geben
erste Hinweise auf eine Ausdifferenzierung von unterschiedlichen Entwicklungspfaden der Großstadtregionen und Metropolräume Europas im Strukturwandel zur
wissensintensiven Wirtschaft.
Die Ausdifferenzierung der ökonomischen Entwicklungspfade europäischer Stadtregionen kann über eine
kombinierte Bewertung der Dynamik in Teilsektoren der
wissensintensiven Wirtschaft europäischer Agglomera-
25
tionsräume verdeutlicht werden, deren Bewertungs­
basis die längerfristige Beschäftigtenentwicklung in den
jeweiligen Teilsektoren ist. Dabei können bestimmte
„Pfad-Typen“ europäischer Agglomerationen herauskristallisiert und mit den verschiedenen Ausgangskonstellationen bzw. besonderen Profilen der Großstadtregionen in Verbindung gebracht werden. Ergebnis dieser
Analyse, deren Verfahrensschritte hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können (ausführliche Angaben in
Krätke 2007), sind Erkenntnisse über verschiedenartige
Entwicklungsrichtungen der Großstadtregionen und
Metropolräume Europas im Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft und die spezifische Positionierung von bestimmten Stadtregionen im Rahmen dieser divergierenden Entwicklungspfade. Dabei wurden
vier verschiedene Pfad-Typen unterschieden:
1.
Stadtregionen, in denen wissensintensive Indus­
trien und technologiebezogene Dienstleistungen
den Entwicklungspfad zur wissensintensiven Wirtschaft prägen,
2. Stadtregionen, in denen wissensintensive Dienstleistungen den Entwicklungspfad zur wissensintensiven Wirtschaft bestimmen,
3. Stadtregionen, deren Entwicklungspfad durch ein
kombiniertes Wachstum von wissensintensiven
­Industrien und Dienstleistungen geprägt ist, und
4. Stadtregionen ohne erkennbaren Schwerpunkt der
Entwicklungsrichtung bzw. mit insgesamt schwacher Entwicklungsdynamik im Bereich der wissens­
intensiven Wirtschaft.
In den Stadtregionen Europas, die dem industrie- und
technologiebezogenen Entwicklungspfad zugeordnet
sind (Pfad 1), wachsen auch die Beschäftigtenzahlen in
vielen Teilsektoren der Dienstleistungen (häufig mit absolut höherem Zuwachs als bei den industriellen Teilsektoren und den technologie-bezogenen Diensten). Bei
der hier vorgenommenen Analyse von regionalen Entwicklungspfaden geht es jedoch nicht um die überkommenen und zunehmend nichtssagenden Vergleiche der
Beschäftigtenzahlen von Industrie und Dienstleistungen, sondern um die spezifische Profilierung der Entwicklung wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten im
Vergleich der europäischen Stadtregionen. Im Bezugsraum der EU-Stadtregionen sind die unterschiedlichen
Profilierungen der Entwicklung anders zu identifizieren
als im Bezugsraum einzelner Stadtregionen oder im Vergleich ausgewählter Stadtregionen eines bestimmten
nationalen Wirtschaftsraumes. Angesichts der heutigen
inter-regionalen Wettbewerbsverhältnisse ist der Bezugsraum EU der eigentlich relevante Rahmen für die
Analyse der Ausdifferenzierung von regionalen Entwicklungspfaden. Der Entwicklungspfad (bzw. Pfad-Typus)
einer Stadtregion ist als spezifische Profilierung ihrer
Entwicklung im EU-weiten Vergleich zu interpretieren.
Werden die Pfad-Typen (Entwicklungsrichtungen) der
Großstadtregionen und Metropolräume mit ihrem jeweiligen Profil-Typus kombiniert (d. h. mit der jeweiligen
RegioPol eins 2008
26
Abbildung 3: Entwicklungspfade europäischer Großstadtregionen und Metropolräume
im Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft
Pfad-Typus (Entwicklungsrichtung 1997 bis 2005)
Profil-Typus (Ausgangskonstellation 1997)
0
1
2
3
3
Berlin, Birmingham,
Florenz, Leipzig,
Lyon, Mailand, Prag
London, Paris,
Hamburg, FrankfurtM., Düsseldorf,
Madrid, Hannover,
Mannheim
Barcelona,
Manchester,
München
2
Kopenhagen, Rom,
Warschau, Lissabon
Amsterdam, Athen,
Bordeaux, Brüssel,
Marseille, Neapel,
Palermo
Sevilla, Wien
1
Stuttgart, Poznan,
Ljubljana
Bremen, Budapest,
Glasgow, Nürnberg,
Strasbourg, Toulouse,
Turin
Bilbao, Katowice,
Nantes, Stockholm
0
Helsinki, Gdansk,
Krakau, Lodz,
Wroclaw
Genua, Newcastle,
Valencia, Zaragoza
Bratislava, Dublin,
Göteborg
Profil-Typus:
0 Zentren mit gering profilierter Struktur
1 Etablierte Zentren wissensintensiver Industrien
2 Etablierte Zentren wissensintensiver
Dienstleistungen
3Etablierte Zentren wissensintensiver Industrien
und Dienstleistungen zugleich
Ausgangskonstellation im Jahre 1997), ergibt sich ein
differenziertes Bild der Entwicklungsdynamik im Stadtsystem Europas (siehe Abb. 3), das von überkommenen
Trendbeschreibungen abweicht.
Nach der zusammenfassenden Darstellung (Abb. 3)
umfasst das europäische Stadtsystem heute Stadtregionen wie London und Paris, die sich – von der Ausgangskonstellation eines etablierten Zentrums wissensintensiver Industrien und Dienstleistungen herkommend – auf
einem Entwicklungspfad bewegen, der von einem
Schrumpfungsprozess der Industrieaktivitäten und starken Zuwachs im Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen geprägt ist. Diese Konstellation darf aber
nicht einfach zum prägenden Entwicklungsmodell „der“
Metropolräume Europas schlechthin verallgemeinert
werden. Für eine Stadt wie Berlin z. B. wäre eine Zuordnung zu einem Entwicklungspfad wie im Falle Londons,
Pfad-Typus:
0 Entwicklung ohne profilierte Pfadausrichtung
1 Wissensintensive Industrien und technologie bezogene Dienste profilieren den Entwicklungspfad
2 Wissensintensive Dienstleistungen profilieren
den Entwicklungspfad
3 Kombiniertes Wachstum von wissensintensiven
Industrien und Dienstleistungen
Paris und Madrids ein problematisches Zeichen, denn
der Entwicklungspfad von London oder Paris dürfte für
Berlin kaum tragfähig sein. So ist auch die Zuordnung
der Metropolregion Rhein-Ruhr und der Metropolregion
Hannover-Braunschweig-Göttingen zu dem von Dienstleistungen geprägten Pfad eher ein Resultat von Arbeitsplatzverlusten in forschungsintensiven Industrieakti­
vitäten (1997 bis 2005) als ein Anzeichen für einen
positiven Bedeutungszuwachs im Kreise führender
Dienstleistungszentren des europäischen Stadtsystems.
Bedauerlicherweise hat die simplifizierende Vorstellung,
dass „die“ Metropolen Europas durchgehend auf dem
Weg zur Profilierung als „Dienstleistungsmetropolen“
seien, zumindest in Deutschland jahrzehntelang die
Stadt- und Regionalforschung geprägt und dabei den
Blick auf die mögliche Ausdifferenzierung von Entwicklungspfaden weitgehend verstellt.
Wissensökonomie
27
Einige Stadtregionen haben im Strukturwandel ihre Stärken erweitert, indem sie
sowohl bei den wissensintensiven Industrie­aktivitäten wie auch bei den wissens­
intensiven Dienstleistungen eine deutlich
positive Beschäftigungsdynamik erreicht.
Zweifellos gibt es im Stadtsystem der EU Stadtregionen, die vom wirtschaftsstrukturellen Profiltypus eines
etablierten Zentrums forschungsintensiver Industrien
herkommend im Untersuchungszeitraum auf einen von
wissensintensiven Dienstleistungen dominierten Entwicklungspfad übergegangen sind, wie z. B. Glasgow,
Nürnberg, Strasbourg, Toulouse und Turin. Demgegenüber ist aber eine Reihe von Großstadtregionen und Metropolräumen der EU von einer genau umgekehrten Entwicklungsrichtung gekennzeichnet: Stadtregionen, die
vom Profiltypus eines etablierten Zentrums wissensintensiver Dienstleistungen ausgehend sich auf einen von
wissensintensiven Industrien und technologiebezogenen Dienstleistungen geprägten Entwicklungspfad hin
orientieren. Dazu gehören z. B. Kopenhagen, Rom und
Lissabon. Ferner gibt es im Stadtsystem Europas auch
Stadtregionen wie Helsinki, Lodz und Wroclaw, die sich
von einem eher „diffusen“ wirtschaftsstrukturellen Profil-Typus auf einen von wissensintensiven Industrieak­
tivitäten geprägten Entwicklungspfad hin orientieren.
Etliche Stadtregionen haben im Untersuchungszeitraum eine Entwicklungsrichtung eingeschlagen, die vom
kombinierten Wachstum forschungsintensiver Industrieaktivitäten und wissensintensiver Dienstleistungen
gekennzeichnet ist (Pfad-Typ 3): Dazu gehören die Stadtregionen Wien und Sevilla, die in der Ausgangskonstellation von 1997 als etablierte Zentren wissensintensiver
Dienstleistungen einzustufen waren, und die Stadtregionen Bilbao, Nantes, Stockkolm, die in der Ausgangskonstellation als etablierte Zentren forschungsintensiver
­Industrien und technologiebezogener Dienste zu charakterisieren waren. All diese Stadtregionen haben im
Strukturwandel sozusagen ihre Stärken erweitert, indem
sie sowohl bei den wissensintensiven Industrieaktivitäten wie auch bei den wissensintensiven Dienstleistungen eine deutlich positive Beschäftigungsdynamik im
europaweiten Vergleich der Stadtregionen erreichten.
Darüber hinaus haben die Stadtregionen Dublin, Göteborg und Bratislava – von einem eher „diffusen“ Profil
ausgehend – seit 1997 den „kombinierten Entwicklungspfad“ eingeschlagen.
Weitere relevante Konstellationen umfassen Stadtregionen, bei denen Profil-Typus und Entwicklungspfad
gleichgerichtet sind, d. h. ein bestimmtes wirtschaftsstrukturelles Profil im Untersuchungszeitraum weiter
ausgebaut bzw. stärker akzentuiert wurde (z. B. Stuttgart
und Poznan bei den forschungsintensiven Industrien;
Athen, Brüssel und Amsterdam bzw. die Randstad Holland bei den wissensintensiven Dienstleistungen). Alle
der einbezogenen Stadtregionen weisen im gegenwärtigen Strukturwandel einen erkennbaren Schwerpunkt
der Entwicklungsrichtung auf (sodass keine Stadtregion
dem Typus eines „diffusen“ Entwicklungspfades zuzuordnen war).
Die meisten Metropolräume des europäischen Stadtsystems (wie z. B. Paris, Mailand, Barcelona, Madrid,
Frankfurt-Main, München, Berlin, Hamburg) waren 1997
nach ihrem Profil-Typus als etablierte Zentren wissens­
intensiver Industrien und Dienstleistungen zugleich einzustufen. Seit 1997 haben sich viele dieser Stadtre­
gionen – mit Ausnahme von Barcelona, München und
Manchester/Liverpool/Leeds, die ihren Profiltyp „weiter
akzentuiert“ haben – in verschiedene Richtungen entwickelt, d. h. entweder einen von wissensintensiven Dienstleistungen geprägten Entwicklungspfad eingeschlagen
oder einen von forschungsintensiven Industrien und
technologiebezogenen Dienstleistungen bestimmten
Entwicklungspfad. Auf dem „Dienstleistungspfad“ befinden sich u. a. London, Paris, Hamburg, Frankfurt-Main
und Madrid. Dem „industrie- bzw. technologiebezogenen Pfad“ können u. a. die Stadtregionen Mailand, Lyon,
Florenz/Bologna, Birmingham, Berlin und Leipzig/Dresden/Chemnitz zugeordnet werden.
Die Metropolregion „Sachsendreieck“ (Leipzig/Dresden/Chemnitz) ist dem industrie- bzw. technologiebezogenen Entwicklungspfad aufgrund des im europäischen
Vergleich starken realen Beschäftigtenzuwachses im Bereich der „Medium High Technology“ Industrien und der
technologiebezogenen Dienstleistungen und aufgrund
der positiven Regionaleffekte auch im Bereich der „High
Technology Industrien“ zuzuordnen. Nach den Ergebnissen einer „Shift-Analyse“ der Beschäftigtenentwicklung
hatte die Region 2005 in diesen Industrien 3.216 Beschäftigte mehr als bei einer Entwicklung gemäß der EUdurchschnittlichen Wachstumsrate zu erwarten gewesen wäre; im Bereich der „Medium High Technology“
28
RegioPol eins 2008
Industrien ist die positive Abweichung von der
EU-durchschnittlichen Entwicklung sogar auf 15.765
­Beschäftigte zu beziffern. Die Zuordnung der Metropolregion Berlin-Brandenburg zum industrie- bzw. technologiebezogenen Entwicklungspfad mag auf den ersten
Blick verwunderlich erscheinen, da diese Region als ein
von starken Deindustrialisierungsprozessen betroffenes
Gebiet gilt. Tatsächlich ist die industrielle Basis von Berlin seit 1990 insgesamt stark geschrumpft. Die aktuelle
Pfadtypisierung bezieht sich demgegenüber auf die im
europäischen Vergleich durchaus positiven Entwick­
lungen im Bereich bestimmter forschungsintensiver Industrien und im Bereich technologiebezogener Dienstleistungen im Zeitraum 1997 bis 2005. So ist nach
Ergebnissen der „Shift-Analyse“ in der Metropolregion
Berlin bei den „High Technology“ Industrien eine positive Abweichung von der EU-durchschnittlichen Entwicklung um 2.082 Beschäftigte zu verzeichnen, und der positive Regionaleffekt bei den technologiebezogenen
Dienstleistungen lässt sich auf 11.019 Beschäftigte beziffern. Die realen Beschäftigungszuwächse der Metropolregion Berlin-Brandenburg bei den marktbezogenen
Unternehmensdiensten sind demgegenüber im europäischen Vergleich als ein unterdurchschnittliches Wachstum ausgewiesen. Die Pfadtypisierung für Berlin-Brandenburg macht deutlich, dass diese Metropolregion im
Zeitraum 1997 bis 2005 ihr Potenzial als Zentrum wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten weiter ausgebaut
und dabei im europäischen Vergleich vor allem bei forschungsintensiven Industrieaktivitäten sowie technologiebezogenen Dienstleistungen eine positive Entwicklungsdynamik entfalten konnte. Die Pfadtypisierung
europäischer Metropolregionen bezieht sich hier wie gesagt auf die spezifische Profilierung einer Region im
Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft.
Die Ausdifferenzierung von Entwicklungspfaden im
Stadtsystem Europas macht zusammenfassend deutlich, dass die wissensintensiven Dienstleistungen keineswegs die allein bestimmende Komponente im Strukturwandel zur „knowledge economy“ sind und dass die
forschungsintensiven Industrien ein ebenso prägender
Bestandteil dieses Prozesses sind. Die Expansion der
wissensintensiven Dienstleistungen bestimmt den Entwicklungspfad von Metropolregionen wie London, Paris,
Madrid, Amsterdam, Frankfurt-Main, Hamburg u. a. Der
Ausbau wissensintensiver Industrien und technologiebezogener Dienste charakterisiert demgegenüber den
Entwicklungspfad bedeutender Großstadtregionen in
Italien, Frankreich, Süddeutschland, Ostdeutschland
und in Polen. Selbst im sogenannten Kernraum der EU
(dem Fünfeck London, Paris, Mailand, München, Hamburg) ist der von wissensintensiven Dienstleistungen
bestimmte Entwicklungspfad nicht das einzig erkenn­
bare Entwicklungsmodell.
Die Mehrheit der Großstadtregionen und Metropolräume der EU ist durch einen Entwicklungspfad gekennzeichnet, bei dem die Dynamik im Bereich forschungsintensiver Industrieaktivitäten und technologiebezogener
Dienste eine erhebliche Rolle spielt (d. h. die Entwick-
lungspfade 1 und 3). Dies trifft für insgesamt 31 Großstadtregionen und Metropolräume aus dem Kreis von
zusammen 57 hier untersuchten Regionen zu (darunter
Pfad 1 mit 19 Fällen, Pfad 3 mit 12 Fällen), wohingegen
ein von wissensintensiven Dienstleistungsaktivitäten
dominierter Entwicklungspfad bei 26 der untersuchten
Großstadtregionen und Metropolräume identifiziert
wurde (vgl. Abb. 3, in der die Stadtregionen nach Pfad­
typen spaltenweise summiert werden können). Bei einem Drittel von 57 Stadtregionen wird die Profilierung
des Entwicklungspfades ganz spezifisch von der positiven Dynamik im Bereich forschungsintensiver Industrien
und technologiebezogener Dienstleistungen bestimmt.
Dieser Befund ist für die strategische Ausrichtung
der wirtschaftlichen Entwicklungspolitik europäischer
Stadtregionen relevant, die in vielen Fällen schlecht beraten wären, ihre Entwicklungspolitik einseitig auf den
Ausbau zu „Dienstleistungszentren“ zu konzentrieren.
3. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
In diesem Beitrag wurden die dominanten wirtschaftlichen Entwicklungszentren im EU-Raum als dynamische
Großstadtregionen und Metropolräume charakterisiert,
in denen sich die wissensintensiven Dienstleistungen
und forschungsintensiven Industrieaktivitäten konzentrieren. Da sich im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels in Richtung auf einen Bedeutungszuwachs der
wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten die Wirkungskräfte der räumlichen Agglomeration tendenziell verstärken, wird die wirtschaftsräumliche Struktur Europas
heute weithin von einer „Metropolisierung“ von wirtschaftlichen Entwicklungs- und Innovationspotenzialen
geprägt. Die Metropolisierung wird dabei vorrangig auf
die selektive Konzentration der Potenziale wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten im Stadtsystem Europas
bezogen. Dabei wurde die wissensintensive Wirtschaft
als ein trans-sektoraler Querschnittsbereich betrachtet,
der sowohl bestimmte Industriebranchen als auch bestimmte Dienstleistungszweige umfasst. Indem der
Strukturwandel innerhalb der Industrie angemessen berücksichtigt wurde, d. h. der Bedeutungsgewinn forschungsintensiver Branchen innerhalb der Industrie der
EU-Mitgliedsländer, sollte die Untersuchung auch zur
Korrektur von sektoral einseitigen Perspektiven regionalwirtschaftlicher Analyse beitragen, die häufig den
sogenannten Dienstleistungssektor in den Vordergrund
der Betrachtung rücken.
Es bringt wenig Erkenntnisfortschritte, die Großstadtregionen und Metropolräume zusammenfassend
als Zentren wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten im
Regionalsystem darzustellen. Vielmehr zeichnen sich
die Großstadtregionen und Metropolräume Europas
durch unterschiedliche Profile bzw. spezifische Branchenschwerpunkte auch im Bereich der wissensinten­
siven Wirtschaft aus. Darüber hinaus wurden in der
­A nalyse die unterschiedlichen Entwicklungspfade der
Wissensökonomie
Großstadtregionen und Metropolräume Europas im
Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft herausgearbeitet. Im Ergebnis zeigt sich, dass die wissensintensiven Dienstleistungen keineswegs die allein
bestimmende Komponente im Strukturwandel zur
„knowledge economy“ sind, sondern dass die forschungsintensiven Industrien ein ebenso prägender Bestandteil dieses Prozesses sind. Die Expansion der
marktbezogenen Unternehmensdienste und Finanzdienstleistungen bestimmt den Entwicklungspfad von
Metropolregionen wie London, Paris, Madrid, Amsterdam, Frankfurt-Main und Hamburg. Der Ausbau wissensintensiver Industrien und technologiebezogener
Dienste charakterisiert den Entwicklungspfad bedeutender Großstadtregionen in Italien, Frankreich, Süddeutschland, Ostdeutschland und in Polen. Die Mehrheit
der Großstadtregionen und Metropolräume der EU ist
durch einen Entwicklungspfad gekennzeichnet, bei dem
die Dynamik im Bereich forschungsintensiver Industrieaktivitäten und technologiebezogener Dienste eine erhebliche Rolle spielt. Dieser Befund unterstreicht, dass
für die Mehrzahl der Großstadtregionen und Metropolräume Europas die wissensintensiven Industrieaktivi­
täten nach wie vor eine bedeutende und entwicklungs­
fähige ökonomische Basis darstellen, sodass eine aktive
industrielle Entwicklungspolitik der Großstadtregionen
und Metropolräume nach wie vor ­relevant ist.
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29
30
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
31
Walter Siebel
Talent, Toleranz, Technologie
Kritische Anmerkungen zu drei neuen Zauberworten der Stadtpolitik
O
ldenburg in Oldenburg wird 2009 den stolzen
Titel „Stadt der Wissenschaft“ tragen. Die Stadt
hat sich dazu einen Slogan gewählt, den ­Richard
Florida propagiert hat: Talente, Toleranz, Technologie.
Nun gehört Toleranz zu den Wesensmerkmalen urbaner
Milieus und Städte waren immer Orte, wo das Neue in die
Welt kam, weit mehr als ländliche Regionen und große
Städte mehr als kleine. Aber woran liegt das, was macht
Städte zu Zentren von Innovation und Kreativität? Im
Folgenden wird die eher banale Antwort kritisiert, die
Florida (2002) auf diese Frage gibt (I), dann werden ei­
nige tiefer reichende Erklärungen diskutiert (II) und zum
Schluss soll auf die prekären Zusammenhänge von Ur­
banität und Kreativität eingegangen werden (III).
1. Floridas Dreifaltigkeit
Die Frage nach den Gründen für die Innovationskraft von
Städten scheint einfach zu beantworten: Erstens sind
Städte die bevorzugten Standorte der Institutionen,
in denen Neues produziert wird – Universitäten, Forschungseinrichtungen, innovative Betriebe, Galerien
und Theater. Städte sind zweitens seit jeher die bevorzugten Ziele von Migration und damit Orte, in die neue
Ideen von außerhalb importiert werden. Schließlich
­drittens, und das ist die Antwort, die Florida gibt, sind
Städte Orte der Innovation, weil in ihnen hoch quali­
fizierte Menschen leben, die Angehörigen seiner „krea­
tiven Klasse“. Kurz: Städte sind kreativ, weil in ihnen
­k reative Menschen wohnen, weil sie Standort kreativer
Betriebe und Importeure neuer Ideen sind.
Floridas Argumentation kurzgefasst lautet: Die Betriebe der Wissensökonomie (Technologie) sind angewiesen auf die besonderen Fähigkeiten der sogenannten
Kreativen, worunter Florida hoch qualifizierte Arbeitskräfte der Wissensökonomie versteht (Talent). Diese bevorzugen als Lebensumwelt offene, urbane Milieus (Toleranz). ­F loridas Dreifaltigkeit von Technology, Talent
und Tolerance, seine drei T, als Erklärung für die Stadt als
Ort der Innovation ist insofern richtig, als sich die Betrieb Straßenkünstler auf der Rambla, Barcelona
be der Wissensökonomie in der Tat in Städten konzentrieren und insbesondere die der Kreativwirtschaft auf
die Zentren. Zahl und Dichte der Betriebe der Kreativwirtschaft sind am höchsten im Zentrum und sinken zum
Stadtrand hin (Ebert/Kunzmann 2007, 67), und wo ihre
Arbeitsplätze sich konzentrieren, sind plausiblerweise
auch die hoch qualifizierten Arbeitskräfte zu finden. Florida kehrt allerdings die Kausalität um: die Kreativen
entscheiden sich für die Städte, weil sie dort leben wollen, und die ­Betriebe der Wissensökonomie, weil sie auf
diese Arbeitskräfte angewiesen sind, müssen ihnen dahin folgen: Jobs to people, nicht people to jobs. Was die
Kreativen in die Städte, insbesondere in bestimmte
­Städte zieht, ist ein tolerantes, abwechslungsreiches, urbanes Milieu. Die Urbanität einer Stadt wird damit als
weicher Standortfaktor begriffen, als ein unverzicht­
bares Element der gehobenen Konsumansprüche hoch
qualifi­z ierter Arbeitskräfte. Florida betont zu Recht die
Attrak­t i­v ität einer urbanen Stadt für hoch qualifizierte
Arbeitskräfte. Sie sind die Träger der in der Wissens­
ökonomie entscheidenden Produktivkraft. Deshalb
empfiehlt er jedem Stadtpolitiker, die besonderen Qua­
litäten urbaner Milieus zu stärken, um das scheue Wild
der Kreativen auf den eigenen Acker zu locken.
An dieser Argumentation ist vielfältige Kritik geübt
worden:
n
Nichts Neues: Florida bietet nur einen gut formulierten Neuaufguss von Erkenntnissen, die von anderen
(Bell, Reich) und in der Wertwandelforschung schon
vor langer Zeit formuliert worden sind (Göschel 2007).
Dass eine Region ein attraktives urbanes Milieu bieten müsse, um in der modernen Gesellschaft konkurrenzfähig zu sein, war schon 1989 die Ausgangsthese
für die Erneuerung des Ruhrgebiets durch die Internationale Bauausstellung Emscher-Park. Außerdem
sind die Kreativen in einem sehr viel unmittelbare­ren ­Sinne Quelle ökonomischer Gewinne. Sie prägen
eine kulturelle Szene, die wiederum attraktive Adressen macht, was nicht ohne Einfluss auf Immobilienpreise bleibt. Diesen Zusammenhang nutzen clevere
32
RegioPol eins 2008
I­ mmobiliendeveloper. Sie locken Musiker, Künstler,
Studenten mit allenfalls symbolischen Mieten in Bestände an abgelegene Standorte, die aus der öffent­
lichen Wahrnehmung herausgefallen und also vergleichsweise wertlos sind. Indem diese Kreativen dort
eine „Szene“ schaffen, rückt der Standort wieder in
das Gesichtsfeld der städtischen Öffentlichkeit, es
wird schick, dort hinzugehen, später auch, dort zu
wohnen und zu arbeiten, die Preise steigen, man
schmeißt die Kreativen wieder raus und verkauft mit
Gewinn. Unter ­Bedingungen einer wachsenden Nachfrage kaufkräftiger Gruppen nach Urbanität wird die
Stadt zur Wechselstube, wo kulturelles Kapital in ökonomisches umgewandelt werden kann.
n Halbwahrheiten: Florida definiert seine kreative Klasse sehr weit: Neben dem „kreativen Kern“, zu dem er
Wissenschaftler und Ingenieure, Professoren, Dichter, Schriftsteller, Künstler, Entertainer, Schauspieler,
Designer, Architekten, Sachbuchautoren, Verleger,
Kulturarbeiter, Politikberater, Meinungsmacher und
Analysten rechnet, gehören zur „kreativen Klasse“
die professionellen Arbeitskräfte in einem weiten
­Bereich von Betrieben des High-Techsektors, des
­F inanzsystems, des Rechts- und des Gesundheits­
wesens sowie des Managements. Florida behauptet
nun, dass dieses Sammelsurium von sehr unterschiedlich qualifizierten Mittelschichtsangehörigen
eine Klasse bilden, die ähnliche Funktionen in der
Wissensökonomie erfüllen, aus denen wiederum gleiche soziale und kulturelle Werte, Konsumweisen und
soziale Identitäten folgen (Florida 68f). Aber den Beweis für diese Homogenität bleibt er schuldig. Die
­Milieuforschung hat gerade innerhalb der Mittelschicht weitreichende Differenzierungen in den
­Präferenzen und Lebensweisen zwischen eher tra­
ditionell und avantgardistisch orientieren Milieus
nachgewiesen. Entscheidend für die Wohnstandortwahl innerhalb der Stadt oder in Suburbia ist, ob jemand die traditionelle Lebensweise der Zwei-Generationenfamilie ­gewählt hat oder eine nicht-familiale
Lebensweise. Es dürfte eine ganze Menge von Managern, Professoren, Medizinern, etc. geben, die im Einfamilienhaus draußen vor der Stadt ganz zufrieden
sind. Außerdem stimmt Florida’s These vom Zusammenhang zwischen seinen drei T’s und ökonomischem Wachstum nicht. Das höchste Wachstum gemessen an der Zahl der Arbeitsplätze, der Bevölkerung
und der Formierung großer Unternehmen findet in
Städten mit massiver Suburbanisierung, niedrigen
Steuern und einem freundlichen Geschäftsklima wie
Las Vegas und Memphis statt: nicht Talent, Techno­
logy and Tolerance, sondern skills, sun and sprawl
(Malaga und Glaeser nach Peck 2005, 14).
n Sozialpolitisch blind: Florida vertritt nur netter formuliert eine neoliberale Position, wenn er Flexibilität
und Selbstverantwortung als die Maximen der Krea­
tiven anpreist. Seine stadtpolitischen Empfehlungen
sind nur eine Modernisierung und Erweiterung der
klassischen Maßnahmen zur Aufwertung und Gen­tri­
fizierung der Innenstädte. Florida’s Angebotspolitik
richtet sich an andere Adressaten, nicht mehr primär
an die Investoren, sondern an bestimmte Typen von
Arbeitskräften, und empfiehlt andere Lockmittel, nicht
mehr harte Standortfaktoren wie Autobahnanschlüsse und billige Gewerbeflächen, sondern weiche wie
Jazzkeller und urbane Toleranz. Aber die Angebote,
wie alle angebotsorientierte Politik begünstigen
jene, die sich Mobilität leisten können und die Alternativen auf dem Markt finden. Damit – so Peck (2005)
– vernachlässigt Florida systematisch die negativen
Seiten dieser Entwicklung, nämlich die komplementäre Zunahme von schlecht bezahlten, niedrig qualifizierten und unsicheren Arbeitsplätzen in den personenbezogenen Dienstleistungen, durch die erst die
Voraussetzungen für den aufwendigen Lebensstil der
Kreativen geschaffen werden, kurz: Er übersieht die
soziale Polarisierung der Stadt, wie sie als Folge von
Gentrifizierung, Dienstleistungsökonomie und Globalisierung auftritt.
2. Die Stadt als Ort des Innovativen
Florida’s Argumentation ist empirisch allenfalls halbwahr. Aber sein Erfolg ist wohl nicht zuletzt gerade damit
auch zu erklären. Angesichts einer großzügigen Begrifflichkeit kann sich jeder, der eine höhere Schulbildung
genossen hat, zu den Kreativen rechnen, und wer täte
das nicht gerne, erst recht, wenn daraus folgt, dass sich
die Stadtpolitik besonders um ihn kümmern müsse. Und
dem Stadtpolitiker bietet er praktische Empfehlungen,
die innerhalb des Handlungsspielraums städtischer Politiken umgesetzt werden können, eine wahlentscheidende Mittelschicht begünstigen und scheinbar keine negativen Nebenfolgen haben. Damit könnte man es belassen.
Hier aber soll weiter auch nach dem theoretischen ­Gehalt
gefragt werden: Trägt Florida etwas zu der Frage bei,
­warum Städte Zentren von Innovationen sind?
Um es vorweg zu nehmen: wenig, um nicht zu sagen
gar nichts, denn nach seiner Argumentation ist nicht die
soziale Tatsache Stadt selber kreativ, sondern allein ihre
Bewohner. Die Stadt ist nur deren bevorzugtes Umfeld.
Florida banalisiert Urbanität zum konsumierbaren Am­
biente einer kaufkräftigen und anspruchsvollen Schicht
von höher qualifizierten Dienstleistungsbeschäftigten.
Aber einmal abgesehen davon, ob sie zurecht als kreative Klasse bezeichnet werden: Dass Städte Zentren von
Innovation sind, weil in ihnen innovative Menschen
­leben, ist eine recht überraschungsfreie Antwort auf
die Frage nach den Gründen städtischer Kreativität.
Die Stadt wäre damit nicht als eine eigenständige Quelle
von Innovation begriffen, sondern nur als ein Standort,
an dem sich die kreativen Arbeitskräfte konzentrieren,
anders gesagt. Die Innovation kommt von der Kreativität, wie die Armut von der Povertè kommt.
Nun ist die Frage, was die Stadt zu einer eigenständigen Quelle des Neuen macht, heute nicht mehr so leicht
zu beantworten wie im Mittelalter. Damals gab es eine
Wissensökonomie
Eine hoch differenzierte Arbeitsteilung ist
eine entscheidende Bedingung von Produktivität. Das ist gerade in der Kreativwirtschaft und der Kulturproduktion zu
­beobachten.
besondere Stadtkultur, die in einem höchst ambivalenten Verhältnis zum Land stand: zugleich in revolutio­
närer Spannung und in funktionalem Austausch. Max
­Weber hat die europäische Stadt als einen Fremdkörper
in der Gesellschaft des Mittelalters bestimmt. Sie war
als marktförmig organisierte Ökonomie und demokratisch verfasste Politik das ganz Andere des feudalistischen Herrschaftssystems und der Selbstversorgungswirtschaft des „Ganzen Hauses“ auf dem Land. Die
europäische Stadt des Mittelalters ist für Weber der
­neben dem Protestantismus entscheidende Grund,
­weshalb sich nur in Europa Kapitalismus, Demokratie
und rationales Recht, also die moderne Gesellschaft
entwickeln konnten. Heute ist der Stadt das Land als
ihr gesellschaft­liches Gegenüber abhanden gekommen.
In einer vollständig urbanisierten, demokratisch verfassten und marktförmig organisierten Gesellschaft wie der
europäischen, so ließe sich argumentieren, werde auch
die Qualität der Stadt, ihre Urbanität, zum ubiquitären
Phänomen. Damit verlöre Stadtkultur ihre qualitative
Besonderheit, die produktive Spannung der Stadt zum
Land löst sich auf in einem mehr oder weniger vom
­Gleichen, allenfalls wäre die kulturelle Produktivität
der ­großen Stadt etwas größer und etwas besser als
die in Kleinstädten oder auf dem Land. Stimmt das?
Die erste Antwort auf die Frage nach der besonderen
Produktivität der Stadt hat Georg Simmel gegeben: Es
sind die auf der Hand liegenden Merkmale, die eine städtische Siedlung vom Land unterscheiden: Größe, Dichte
und Heterogenität der Bevölkerung. Die schiere Zahl der
Menschen bedingt, dass noch das ausgefallenste Kulturangebot eine ökonomisch tragfähige Nachfrage findet
und umgekehrt noch das eigenartigste Bedürfnis seine
Befriedigung erfährt. Wenn jeder tausendste Stadtbewohner ein Avantgarde-Konzert besucht, so kommen in
einer Millionen-Stadt tausend Menschen zusammen, in
einer Kleinstadt von Zehntausend aber nur zehn. In der
großen Stadt kann sich ein weitgefächertes kulturelles
Angebot entfalten. Das wiederum treibt eine entsprechende Bildung des Publikumsgeschmacks voran. Es
entsteht ein positiver Kreislauf gegenseitiger Differenzierung von Angebot und Nachfrage. Tritt zur Größe
noch die Dichte der Großstadt, so wächst die Chance zur
Spezialisierung bei Betrieben und Arbeitskräften, d. h.
die Chance zu mehr Heterogenität, denn Größe und
Dichte der Stadtbevölkerung treiben die Arbeitsteilung
voran. Eine hoch differenzierte Arbeitsteilung aber ist
­eine entscheidende Bedingung von Produktivität. Das
ist gerade in der Kreativwirtschaft und der Kulturproduktion zu beobachten. Sie ist durch kleine Betriebe und
äußerst flexible und prekäre Beschäftigungsverhältnisse gekennzeichnet. Ihre Produktionen sind häufig nach
dem Jam-Session-Modell organisiert: Für ein bestimmtes Vorhaben werden kurzfristig hoch spezialisierte
­A rbeitskräfte benötigt, die für eine beschränkte Zeit
­intensiv projektförmig zusammenarbeiten, um dann
wieder auseinanderzugehen. Das ist nur möglich, wenn
einerseits – aus Sicht der Betriebe – ein genügend dif­
ferenziertes Arbeitskräftepotenzial kurzfristig verfügbar ist, also möglichst viele Spezialisten in prekären
­A rbeitsverhältnissen, und andererseits – aus Sicht der
Arbeitskräfte – eine genügend dichte Nachfrage nach
­ihren Leistungen besteht, also möglichst viele Be­triebe
mit kurzfristig zu bewältigenden Projekten.
Nach dieser Argumentation korreliert die kulturelle
Produktivität einer Stadt positiv mit der Größe, Dichte
und Heterogenität ihrer Bevölkerung. In schrumpfenden
Städten müsste demnach die kulturelle Produktivität
sinken. Diese Korrelation aber ist nicht zwingend. Der
Zusammenhang von kultureller Produktivität mit der
Größe und Dichte einer Stadt kann durch andere Fak­
toren modifiziert werden. Bildung, Kaufkraft und Subventionen können den Rückgang der Bevölkerungszahl
kompensieren. Ebensowenig zwingend ist der Zusammenhang mit dem Faktor Dichte. Dichte ist ein selten
klar definiertes Konzept. Meist wird eine hohe Kontaktdichte kurzschlüssig mit physischer Dichte gleichgesetzt. Aber ­physische Nähe an sich sagt ebenso wenig
aus über die Qualität der Kontakte, die dadurch ermöglicht werden, wie die Zahl der Einwohner etwas aussagt
über die Qualität ihrer kulturellen Interessen. Physische
Nähe ist unabdingbare Voraussetzung für bestimmte
Kontakte, ­etwa Prügeleien oder Umarmungen, aber welchen Verlauf eine Begegnung nimmt, entscheidet sich
nach den sozialen Kontexten, innerhalb derer sie zu­
stande kommt. Die Nachbarschaft bildungsorientierter
33
34
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
Migranten zu deutschen Grünalternativen mag produktive interkulturelle Diskurse auslösen, die zu deutschen
Verlierern des ökonomischen Strukturwandels wird eher
zu aggressiver gegenseitiger Abgrenzung führen. Zu
­unterscheiden ist die physische, die soziale, die kogni­
tive, die institutionelle und die organisatorische Dichte.
In Konzepten des cluster building, des industrial districts oder des innovativen Milieus werden z. B. physische und organisatorische Dichte vermengt. Aber or­
ganisatorische Dichte kann die physische weitgehend
überflüssig machen. Das wird eindrucksvoll durch den
Erfolg multinationaler Unternehmen belegt, deren Zusammenhalt durch shared knowledge gewährleistet
wird (Becker, 1996), Wissen, das im Falle solcher Unternehmen über die Organisation und nicht über physische
Dichte geteilt wird.
Größe, Dichte und Heterogenität sind notwendige,
aber keine hinreichenden Erklärungen für eine besondere Produktivität von Stadt. Eine Kasernenstadt kann sehr
groß und sehr dicht sein, sie ist dennoch kein Ort des
Neuen. Armeen sind vollständig integrierte Institutionen, in denen jeder seinen Rang und seine Rolle kennt.
Es fehlt die prinzipielle Offenheit sozialer Beziehungen,
die unvollständige Integration, wie es Bahrdt genannt
hat, die erst die Möglichkeit eröffnet, dass Neues ent­
stehen kann. Die frühen asiatischen und südamerika­
nischen Städte waren große und dicht bewohnte Siedlungen, aber sie waren rückwärtsgewandte Utopien,
Abbild des ursprünglichen göttlichen Schöpfungsplans.
Jeder Wandel ihrer sakralisierten Strukturen bedeutete,
sich vom Heil des Ursprungs weiter zu entfernen. Das
Neue war ihr Feind, nicht ihre Ratio wie in der europäischen Stadt. Es sind die von Weber formulierten Merkmale der europäischen Stadt, die aus Größe, Dichte und
Heterogenität der Stadtbevölkerung erst Faktoren einer
produktiven Stadtkultur machen: Markt, Demokratie und
rationales Recht. Größe, Dichte und Heterogenität entfalten ihre produktiven Kräfte unter Bedingungen marktförmig ­organisierter Wirtschaft, demokratischer Politik
und Rechtsstaatlichkeit. Unter diesen Bedingungen können Größe und Dichte die Arbeitsteilung vorantreiben
und damit zu mehr Heterogenität und Differenz führen,
was wiederum die urbane Lebensweise als die Kunst
­eines zivilisierten Umgangs mit Fremdheit notwendig
macht. Das soll im Folgenden begründet werden.
Bei Georg Simmel ist über Größe, Dichte und Heterogenität hinaus noch eine weitere Erklärung für die Kreativität von Stadt zu finden. Sie liegt in der Stadt als einem
Ort, der systematisch die Chance und den Zwang zu kritischer Reflexion und damit zur Entstehung des Neuen
produziert. Distanz ist eine Bedingung der Reflexion.
Nietzsches Wanderer spricht: Man muss es „machen, wie
es ein Wanderer macht, der wissen will, wie hoch die
­Türme einer Stadt sind: Dazu verlässt er die Stadt“
­(Nietzsche 1955, 54). Wie Nietzsche hat auch Simmel
(1992) an der Figur des Wandernden die Bedingungen
produktiven Denkens dargestellt. Aber bei ihm, anders
als bei Nietzsche, verlässt der Wandernde nicht die Stadt,
sondern er kommt aus der Ferne in sie hinein. Heute
b Camden Street, London
35
muss man in die Städte gehen, um Distanz zum konventionellen Denken zu gewinnen, denn Städte produzieren
systematisch kritische Distanz. Einer dieser Mechanismen sind Wanderungsbewegungen. Städte sind von jeher die bevorzugten Ziele von Wanderungsbewegungen.
Wanderer bringen Neues an einen Ort. Auch Simmel betont zunächst die Rolle des Fremden als Importeur von
neuen Ideen. Aber wichtiger ist für ihn an der Figur des
Fremden ein sozialstrukturelles Element, er nennt es die
„Einheit von Nähe und Entferntheit“ (Simmel 1992, 765),
die den Fremden zum „objektive(n) Mensch(en)“ werden
lässt. Der Fremde, der der eigenen Kultur nicht mehr
und der neuen noch nicht angehört, ist zur Reflexion zugleich gezwungen und befähigt: „Er ist der Freiere, praktisch und theoretisch, er übersieht die Verhältnisse vorurteilsloser, misst sie an allgemeineren, objektiveren
Idealen und ist in seiner Aktion nicht durch Gewöhnung,
Pietät, Antezedentien gebunden“ (daselbst 767). Bei
Nietzsche ist es die heroische Leistung des einsamen
Genies, das sich aus dem Alltag löst und so die Distanz
gewinnt, die Vorbedingung jeder kritischen Reflexion
ist: kritisches Denken als individuelle Begabung und
Neigung. Simmel dagegen beschreibt eine soziale Rolle,
d. h. eine sozialstrukturell definierte Chance, die zugleich einen Zwang zur Reflexion beinhaltet. Bei ihm ist
der Zuwanderer „…der, der heute kommt und morgen
bleibt“ (Simmel 1992, 764). Von woanders herkommend
trägt er kritische Distanz in die Stadt hinein, da er als
Fremder in ihr bleibt. In der Stadt ist „der Ferne nah …
Der Fremde ist ein Element der Gruppe selbst“ (daselbst
765).
Aber auch Simmels Migrant ist nur eine Form sozialstrukturell ermöglichter und erzwungener Reflexion.
Moderne Gesellschaften produzieren aus sich heraus
­jene Distanz, die der Intellektuelle Nietzsches im heroischen Schritt aus der vertrauten Stadt heraus für sich
­erobert und die dem Simmel’schen Migranten beim nicht
minder mutigen Schritt in eine fremde Stadt hinein
­aufgenötigt wird. Das grün-alternative Studentenmilieu,
das Milieu der deutschen Oberschicht, die verschiedenen Subkulturen von Jugendlichen und die Reste des
traditionellen Arbeitermilieus, sie alle sind Milieus von
Einheimischen, aber sie dürften sich gegenseitig mit
mindestens ähnlicher Befremdung wahrnehmen wie ein
deutscher Industriearbeiter seinen türkischen Kollegen.
Heutige Großstädte lassen sich definieren als Orte, an
denen Fremde wohnen. Nur auf dem Dorf gibt es keine
Fremden. Städte produzieren strukturell soziale und kulturelle Distanzen. Der Fremde ist der prototypische Städter. Im öffentlichen Raum der Stadt begegnet jeder, auch
der Einheimische, dem andern als ein Fremder.
Wenn aber Fremdheit und Differenz nicht erst durch
Migration in eine Stadt und damit in die Gesellschaft importiert, sondern aus der Gesellschaft heraus ständig
produziert werden, müssen moderne Gesellschaften
auch vor aller Migration Mechanismen entwickeln, um
mit Fremdheit und Differenz umzugehen. Wie schaffen
es moderne Gesellschaften, bei andauernder Produktion
von Differenz und wechselnden Fremdheiten nicht nur
36
RegioPol eins 2008
Moderne Gesellschaften werden nicht
durch Homogenität integriert, sondern
durch die Fähigkeit, Differenz auszuhalten.
halbwegs konfliktfrei, sondern sogar produktiv zu funktionieren? Anders gesagt: Wie wird in modernen Gesellschaften Integration geleistet und was gewährleistet
in der Stadt als einem Ort des Zusammenlebens von
Fremden den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft in
­einer Weise, dass Differenz nicht vernichtet wird?
Moderne Gesellschaften werden nicht durch Homogenität integriert, sondern durch die Fähigkeit, Differenz
auszuhalten. Dazu haben moderne Gesellschaften vier
Mechanismen der Integration entwickelt, deren Logik
durchweg auf der Dethematisierung von Differenz beruht, auf der Fähigkeit, systematisch von Differenz ab­
zusehen. Es sind das der Markt, das Recht, die Demo­
kratie und die urbane Lebensweise. Der Markt ist
farbenblind. Auf ihm zählen allein marktfähige Res­
sourcen: Geld, nachgefragte Waren und Qualifikation.
Religion, politische Überzeugung und soziale Herkunft
werden systematisch ausgeblendet. Auch Justitia ist
blind. Vor dem Gesetz sind alle Bürger gleich, unabhängig von Macht und Geld. Das Recht macht sich sogar
­mittels Antidiskriminierungsgeboten und Gleichbehand­
lungsgesetzen zum Wächter der Neutralität in anderen
gesellschaft­lichen Sphären. Am demokratischen Prozess
wiederum kann jeder teilnehmen, der die Bürgerrechte
besitzt und die Verfassung achtet. Seine soziale Herkunft und ökonomische Potenz zählen nicht: one man
one vote. Und schließlich begegnet jeder dem anderen
im öffentlichen Raum der Stadt mit urbaner Indifferenz.
Ob der Fremde zuhause im Koran liest oder atheistische
Pamphlete verfasst, erfährt man gar nicht erst. Die von
Simmel mit den Begriffen Distanziertheit, Blasiertheit,
Gleichgültigkeit und Intellektualität beschriebene urbane Lebensweise, die urbane Indifferenz des gelernten
Großstädters, seine Fähigkeit, die Fremdartigkeit des
Fremden gleichsam systematisch zu übersehen, ist die
Vorbedingung für das Nebeneinander der unterschiedlichsten Fremdheiten in der modernen Großstadt. Die
urbane Lebensweise ist ­eine Bedingung für Stadt als Ort,
wo „… man ohne Angst verschieden sein kann“ (Adorno
1964, 131).
So ist es in der Theorie. In der Wirklichkeit nehmen die
Systeme Markt, Demokratie, Recht und Stadt keineswegs
nur die sie jeweils funktional interessierenden Eigenschaften eines Individuums wahr und sehen von allem
anderen systematisch ab. Aber das ist kein durchschlagender Einwand. Entscheidend ist, dass die Dethematisierung von Differenz in der Logik dieser vier Systeme
liegt, d. h. dass sie umso besser funktionieren, je weni­ger sie diskriminieren. Ein Markt, der die Besitzer markt­
fähiger Güter aufgrund etwa rassistischer Vorurteile von
der Teilnahme am Marktgeschehen ausschließt, erzielt
keine optimalen Ergebnisse, ein politischer Prozess, der
die Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen systematisch vernachlässigt, wird auf Dauer erhebliche Konflikte produzieren, ein Rechtssystem, in dem Reichtum
Recht verschaffen kann, zerstört seine Legitimität, und
eine Stadt ohne die Blasè-Attitude des gelernten Großstädters würde in Chaos versinken.
Doch nicht jeder Städter verfügt über die Fähigkeit zu
urbaner Indifferenz. Um sich so verhalten zu können,
sind ökonomische, soziale und psychische Unabhängigkeit vorausgesetzt. Wer auf andere angewiesen ist, kann
sich eine blasierte Attitude ihnen gegenüber nicht leisten. Deshalb findet man den gelernten Großstädter auch
nicht in den „städtischen Dörfern“ der Zuwanderer und
der Unterschicht. Da sie nicht genügend in die formellen
Systeme von Markt und Wohlfahrtsstaat integriert sind,
sind ihre Angehörigen auf die informellen Hilfsnetze
der Nachbarn, Freunde und Verwandten angewiesen,
um in der Stadt zurechtzukommen. Urbane Indifferenz
ist nur lebbar auf der Basis einer erfolgreichen Integra­
tion in den Markt oder wenigsten in ausreichende
sozialstaat­liche Sicherungssysteme (Häußermann 1995).
Und abgesehen davon dürfte ein Leben in dauernder intellektualisierter Distanz und Blasiertheit wohl kaum
mit psychischer Gesundheit einhergehen. Ebenso wenig
wie ohne ökonomische Autonomie ist der Simmel’sche
Großstädter ohne eine gesicherte und erfüllte private
Sphäre denkbar (Siebel 2004, 26). Diese Voraussetzungen sind aber nur für Minderheiten gegeben. Die urbane
Indifferenz als universeller Typus der Bewältigung der
Verun­sicherungen durch die stadttypische Nähe des
Fremden ist nur unter der kontrafaktischen Annahme
gleicher Teilhabe aller an den sozialen, politischen und
ökonomischen Systemen der Gesellschaft denkbar.
­Simmels ­gelernter Großstädter als universeller Typus
­einer De­thematisierung von Differenz gehört in die
­Utopie ökonomischer Chancengleichheit, durchgesetz-
Wissensökonomie
ter Demokratie, allseitig gelungener sozialer Integration
und psychischer Gesundheit. In der Realität treffen die
Zuwanderer nicht auf ein wohlsituiertes akademisches
­Milieu, sondern sie werden durch die Filtermechanis­men
der Wohungsmärkte in Nachbarschaft zu den deutschen
Verlierern des Strukturwandels gebracht. Verlierer aber
sind selten in der Lage, offen und tolerant mit Fremdheit
umzugehen, im Gegenteil, sie brauchen Sündenböcke,
eine Rolle, für die gerade Zuwanderer sich gut eignen.
Kein Wunder, wenn in solchen Quartieren weniger produktive Auseinandersetzung mit Differenz stattfindet
als aggressive gegenseitige Abgrenzung.
Deshalb verfügt die Stadt noch über einen zweiten
Mechanismus, um Differenz zu dethematisieren, ohne
Differenz vernichten zu müssen: die Konzentration verschiedener sozialer Gruppen in unterschiedlichen Quartieren der Stadt. Jeder Stadtbewohner sucht Konflikte
zu minimieren. Wenn Blasiertheit und Gleichgültigkeit
nicht auf entsprechende Verhaltensweisen treffen oder
nicht praktikabel sind wie in einer länger bestehenden
Nachbarschaft, dann geht man dem im Wortsinn aus
dem ­Wege: man zieht in eine Nachbarschaft um, wo man
auf ähnliche Verhaltensweisen und Orientierungen trifft.
Segregation verringert die Konfliktmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Lebensweisen, indem sie so­
ziale und kulturelle Differenzen in räumliche Distanzen
übersetzt.
Urbane Lebensweise und Segregation sind nur ne­
gative Voraussetzungen einer produktiven Stadtkultur
als Kultur der Differenz. Räumliche Distanz und die Indifferenz des gelernten Großstädters helfen, Konflikte zu
vermeiden. Die urbane Lebensweise und die sozialräum­
liche Segregation erkaufen durch den Verzicht auf
Kommunikation gleichsam ein Nebeneinanderherleben
von Fremden. Das Produktive der urbanen Differenz aber
ist nicht schon dadurch gewährleistet, dass man sich
­gegenseitig in Ruhe lässt. Bahrdt (1998) beschreibt das
als die nur negative Bedingung von Öffentlichkeit. Es
müsse aber noch eine positive hinzukommen, dass nämlich „dennoch Kommunikation und Arrangement zu­
stande kommen“ (1998, 93). Für Bahrdt ist das durch stilisierendes und repräsentierendes Verhalten, das über
die Distanz hinweg etwas mitteilt, gewährleistet. Simmel
betont im Sinne Durkheims die Arbeitsteilung als In­
tegrationsmechanismus, wobei gerade unter großstädtischen Bedingungen sich besonders differenzierte ar­
beitsteilige Verhältnisse herausbilden.
Die dritte Bedingung ist die Dichte der Kontakte. Solche Dichte kann sich auf vielfältige Weise herstellen
(s. o.). Räumliche Dichte kann temporär sein, wenn sich
„räsonierende Privatleute“ (Habermas 1990) zum Publikum einer Aufführung etwa im Theater versammeln. Sie
stellt sich aber auch – und das ist der weit wichtigere
räumliche Mechanismus dichter Kommunikation – dauerhaft her innerhalb segregierter und dadurch intern
­homogener Wohnquartiere. Um die eigene Religion
praktizieren, den eigenen Lebensstil leben oder auch
nur um die eigene Sprache sprechen zu können, suchen
die Menschen die Nachbarschaft mit Gleichgesinnten.
37
Urbane Differenz braucht, um sich zu entfalten oder
auch nur zu erhalten, Zeiten und Räume der Homoge­
nität. Deshalb gibt es in jeder Stadt nicht nur temporäre
Versammlungen von Menschen mit ähnlichen Interessen
und die dauerhafte Konzentration bestimmter sozialer
Gruppen in bestimmten Wohnquartieren, sondern auch
räumliche Cluster von Betrieben oder Geschäften derselben Branche. So kann man gerade bei den rein technisch gesehen wenig standortgebundenen Arbeits­
plätzen der modernen wissensbasierten Industrien eine
­teilweise verblüffende Konzentration auf die großen
Städte und hier sogar auf einzelne Straßenzüge und
Quartiere beobachten. Dadurch kann sich ein Milieu entwickeln, das die in diesen Branchen geforderte Kreativität fördert. Ähnlich verhält es sich bei der dauerhaften
Konzentration sozial und kulturell homogener Gruppen
in unterschiedlichen Wohnquartieren. Segregation dient
hier nicht nur der Vermeidung von Konflikten, indem
­soziale Distanz in räumliche übersetzt und dadurch
­entschärft wird. Kulturelle Segregation, die räumliche
Konzentration von Menschen mit verwandten norma­
tiven Orientierungen, Interessen und Lebensweisen in
einzelnen Stadtquartieren erleichtert auch die Bewahrung und die Ausdifferenzierung von Besonderheit. Die
nach sozialen und kulturellen Merkmalen segregierte
Stadt ist nicht nur ein Produkt der Zwänge von Immo­
bilienmärkten und Diskriminierung. Es gibt auch frei­
willige Segregation. Diese ist eine wesentliche Vor­
aussetzung für die Entfaltung von Differenz als der
entscheidenden Bedingung der Produktivität von Stadt.
Die Spezialisierung der verschiedenen Orte einer Stadt
auf unterschiedliche Tätigkeiten oder kulturelle Milieus
hilft, deren Besonderheiten zu entfalten, und kann dadurch die Produktivität der Stadt steigern. Segregation
leistet damit auf der Ebene sozialer Gruppen das, was
die Privatsphäre auf der Ebene der Individuen leistet.
Hoch segregierte Räume sind quasi die „Privatsphären“
sozialer Gruppen. Und das kann eine Bedingung pro­
duktiver Stadtkultur sein, wie es die individuelle Privatsphäre ist für eine funktionierende Öffentlichkeit räsonierender Privatleute.
Das lokalisierte Milieu als eine Bedingung für die Entfaltung einer kulturellen „Szene“ aber ist nicht ohne
­A mbivalenz. Wo schlägt produktive Binnenintegration
in sklerotische Abschottung gegen außen um, und wo
liegt die Grenze, an der Homogenität Exklusivität zur
Folge hat, die den Anderen nicht mehr hereinlässt? Entscheidend ist auch hier, wie Segregation zustande
kommt, ob freiwillig auf Grund ähnlicher Interessen,
­Präferenzen und gemeinsamer Angewiesenheit auf
­bestimmte Infrastrukturen, oder ob sie erzwungen ist.
Erzwungene ­Segregation wird mit resigniertem Rückzug
oder aggressiver Selbstabgrenzung gegen außen beantwortet. Das Konzept der kreativen Stadt als Mosaik städtischer Dörfer hebt die Polarität von Öffentlichkeit und
Privatheit von der Ebene des Individuums auf die Ebene
der Gruppe als Träger von Differenz, eine plura­listische
Formulierung des Konzepts der bürgerlichen Öffent­
lichkeit. So wie der Simmel’sche Großstädter das
38
RegioPol eins 2008
­ sychische, ­sozial und ökonomisch selbstständige In­
p
dividuum voraussetzt, das über eine private Sphäre ge­
sicherter Autonomie verfügt, so ermöglicht hier die
­k reative Stadt die Verfügung der Gruppe über einen
­geschützten Raum, in dem sie ihre Besonderheit entfalten kann. Aber ebenso wie die bürgerliche Öffentlichkeit
eine ­kontrafaktische Annahme darstellt, so ist die Stadt
als Mosaik gleichberechtigter, aber differenter Welten
ein kontrafaktischer Entwurf, denn sie unterstellt Freiwilligkeit der räumlich geformten Differenz, also Segregation ohne politische (Wohnungszuweisung), soziale
(Diskriminierung) und ökonomische (Kaufkraft auf dem
Wohnungsmarkt) bedingte Zwänge. Segregation würde
auch unter den Bedingungen vollständiger Freiwilligkeit
bei der Wahl des Wohnstandorts nicht aus den Städten
verschwinden, im Gegenteil, aber sie wäre als freiwillig
gesuchte und nach außen durchlässige anders beschaffen als die heute vorherrschende, über den ImmobilienMarkt und soziale ­Ungleichheit erzwungene Form der
Segregation.
Eine analoge Problemstellung findet sich in der Theorie innovativer Milieus (Camagni 1991). Sie erklärt Innovation als Ergebnis einer labilen Balance, in der widersprüchliche Anforderungen einander die Waage halten.
Innovative Milieus müssen danach Heterogenität und
Homogenität wahren. Je heterogener die Akteursnetze
sind, desto breiter das in ihnen präsente Kompetenzspektrum. Zugleich aber ist ein Mindestmaß an Homo­
genität Voraussetzung, damit überhaupt Austausch und
Kommunikation zustande kommen können. Innovative
Netzwerke zeigen Offenheit und Geschlossenheit, Ho­
mogenität und Differenz, Vertrauen und Fremdheit
­zugleich. Kooperation setzt Vertrauen und gemeinsame
Orientierungen voraus, also Ressourcen, die gewöhnlich
in langjährig eingespielten Beziehungen gewachsen
sind. Innovation aber braucht das Zusammenwirken mit
Akteuren, die sich außerhalb der eingespielten Netze
bewegen können. Innovative Milieus müssen das Di­
lemma lösen, ihre Netze nach außen offen zu halten,
­sodass ihre eingespielten Beziehungen und Problem­
lösungen irritiert werden können, und sich soweit ab­
zuschließen, dass Vertrauen und Handlungsfähigkeit
­gewahrt bleiben (Siebel et al 2001).
In der Stadt als einem Mosaik gleichberechtigter kultureller Dörfer als Bedingung der Produktivität von Stadt
verliert auch ein Begriff des öffentlichen Raums seine
Gültigkeit, der die Öffentlichkeit städtischer Räume an
der Präsenz prinzipiell aller Gruppen der Stadtbevölkerung misst. Zugänglichkeit im Sinne gleicher Chancen
auf Teilhabe an den gesellschaftlichen Systemen von
­Politik, Ökonomie und sozialen Beziehungen kann nicht
konkretistisch in räumliche Systeme übersetzt werden
als Zugänglichkeit aller öffentlichen Räumen, der Stadt
jederzeit und für alle. Öffentlichkeit lässt sich räumlich
allenfalls in Bezug auf die ganze Stadt definieren, nicht
in Bezug auf einzelne Orte. Die Stadt als Mosaik ver­
schiedener Lebenswelten, die sich berühren, aber nicht
durchdringen (Park/Burgess 1974, 40), ist nicht nur dem
re­signierten Rückzug vor den städtischen Konflikten
­ eschuldet. Sie ist vielmehr räumliche Bedingung für
g
die Entfaltung von Differenz, für die Möglichkeit, in einer
Stadt verschiedene Lebensformen kennenzulernen und
ausprobieren zu können. Die Öffentlichkeit von Räumen
bemisst sich dann an der Zugänglichkeit homogener
­Orte für Außenstehende, nicht an der Abwesenheit von
Homogenität, also dem Grad der Mischung von Funk­
tionen und sozialen Gruppen an jedem Ort (Wehrheim
2008).
3. D
as prekäre Verhältnis von Kreativität und Urbanität
Je größer und heterogener die Bevölkerung ist, je dichter die Kommunikation unter ihr, je besser Markt, Politik
und Rechtsstaat funktionieren und je mehr urbane
­Lebensweise und freiwillige Segregation ein relativ konfliktfreies Zusammenleben in der Stadt ermöglichen,
desto produktiver ist die Stadt. Vereinfacht gesagt: Die
kreative Stadt ist die alltäglich funktionierende Stadt,
und die Bedingungen, die dieses alltägliche Funktionieren garantieren, sind zugleich die Bedingungen von
­K reativität. Es sind kontrafaktische Bedingungen. In der
Wirklichkeit heutiger Städte überlagern sich Diskriminierung und ökonomische Zwänge mit freiwilliger Segregation. Nur Minderheiten verfügen über die psychische,
soziale und ökonomische Unabhängigkeit, um sich zugleich urban distanziert und in neugieriger Offenheit auf
die Auseinandersetzung mit Fremdheit einzulassen.
Markt, Demokratie und Recht sind nur als theoretische
Modelle farbenblind. Es bleibt die Aufgabe einer Politik,
die die Kreativität der Stadt unterstützen will, diesen
idealen Bedingungen möglichst nahe zu kommen, indem
sie die Funktionsfähigkeit dieser Mechanismen stärkt
und im Übrigen sich auf die Moderation von Konflikten
konzentriert.
Aber selbst unter idealen Bedingungen wäre die kreative Stadt ein ungemütlicher Ort. Die kulturelle produktive Stadt ist Ort eines gelingenden Zusammenlebens
von Fremden. Der Fremde ist eine ambivalente Figur. Er
weckt Neugier und Besorgnis, er steht für das Unbekannte und Bedrohliche, aber auch für das elektrisierend
Überraschende und Verlockende der urbanen Lebensweise. Diese Ambivalenz ist im ursprünglichen Gebrauch
des Wortes kreativ im Deutschen enthalten. Das Wort
kreativ, wörtlich schöpferisch, stammt aus dem Sakralen. Es bezieht sich auf die creatio durch den Schöpfergott. Später wurde es säkularisiert zur Eigenschaft des
produktiven Künstlers. Schumpeter hat Kreativität weiter entheiligt zur technischen Kategorie Innovation.
Aber gerade in seiner Fassung des Begriffs ist die Ambivalenz des Begriffs des Kreativen bewahrt. Schumpeter
betont Innovation als einen Prozess der schöpferischen
Zerstörung. Damit Neues möglich wird, muss immer
auch Altes zerstört werden, um Platz zu machen für das
Neue. Im Englischen dagegen ist die Wortbedeutung
von creative verallgemeinert zu einer Fähigkeit, die jedem höher qualifizierten Beruf zukommt. Die deutsche
Wissensökonomie
Diskussion über kreative Stadt und Kreativwirtschaft hat
diesen ­unspezifischen Gehalt des Begriffs übernommen.
­K reativität ist zu einer Allerweltseigenschaft banalisiert.
Damit aber ist auch das Beunruhigende und Bedrohliche
des Begriffs verloren gegangen, die schöpferische
­Zerstörung, das Revolutionäre der Kunst, die zutiefst
verunsichernde Wirkung des sozialen Wandels. Kreati­
vität als schöpferischer Akt lebt von Spannungsver­
hältnissen. Die kreative Rolle der Stadt beruhte im europäischen Mittelalter auf dem Spannungsverhältnis zum
Land. Aus Sicht der Stadt stand das Land für Rück­
ständigkeit, Unordnung und unbeherrschte Natur.
Heute mit dem Ende des gesellschaftlichen Gegensatzes
von Stadt und Land ist auch diese Möglichkeit der
Externa­lisierung des Chaos, des Bösen, der Rückständigkeit in die Natur draußen vor den Mauern der Stadt
beendet. Seitdem ist das Unheimliche in der Stadt selber
angesiedelt. Jack the Ripper ist ebenso Stadtbewohner
wie der Golem. Die Stadt wird selber zur Wildnis, kein
Wunder, dass diese Metapher im 19. Jh. in der Literatur
etwa bei Balzac (Stierle 1993) aufkommt, als zunächst
die Industrialisierung den ökonomischen, später dann
die Demokratisierung den politischen Gegensatz von
Stadt und Land aufheben.
Die kreative Stadt beruht auf internalisierten Spannungsverhältnissen: zwischen Nähe und Ferne, Vertrautem und Fremdem, Modernität und Rückständigkeit,
­z wischen Gegenwart und Vergangenheit, Schönheit und
Hässlichkeit, Heiligkeit und Sünde. Das sündige Babel ist
untergegangen, das heilige Jerusalem wäre wohl sterbenslangweilig. Die kreative Stadt wird beides sein
­müssen. Und eine erfolgreiche Politik für eine kreative
Stadt hätte sehr prekäre Balancen zu bewahren und sich
um ganz andere Stadtbewohner zu bemühen als nur um
die Angehörigen der kreativen Klasse Floridas: Sie
­müsste dem Rat Athenes in der Orestie des Aischylos
(zit. nach Muschg 2007, 32) folgen: „Gemeinden wir
diese Töchter der Nacht ein. Errichten wir den Erinnyen
ein Heiligtum in der Stadt. Ehren wir sie. So werden sie
zu Eumeniden“.
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Wehrheim, Jan 2008: Der Fremde und die Ordnung der Räume.
Habilitationsschrift. Universität Oldenburg
39
40
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
41
Claudia Hahn, Arno Brandt, Matthias Kiese, Stefan Krätke
Netzwerkananlyse
in der Wissensökonomie
Ein strategisches Informationswerkzeug für Metropolregionen
S
eit den frühen 1990er Jahren rückten regionale
Netzwerke als Element wissensbasierter regionaler Entwicklungsstrategien in den Mittelpunkt des
Interesses von Wissenschaft, Politik und Praxis der Wirtschaftsförderung. Dieser kraftvollen Netzwerk-­Rhetorik
standen jedoch bislang überraschend wenig konkrete
Analysen regionaler Netzwerkstrukturen gegenüber. Der
vorliegende Beitrag diskutiert die Netzwerkanalyse als
strategisches Informationswerkzeug für regionales Wissensmanagement und wendet diese Methodik exem­
plarisch auf die Metropolregion Hannover-BraunschweigGöttingen1 an. Visualisierungen in Netzwerkdiagrammen
und Netzwerkparameter wie Größe, Dichte, Kohäsion,
Zentralisierung und Verbindungsgrad für eine große
Stichprobe von Akteuren und Verbindungen zeigen deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Kompetenzfeldern auf und unterstreichen den Nutzen der Netzwerkanalyse als Forschungsmethode und als notwendige
Informationsgrundlage für ein regionales Wissensmanagement (vgl. Tab. 1). Aus den Ergebnissen lassen sich
sowohl fallspezifische als auch allgemeine Empfehlungen
für die Praxis des regionalen Wissensmanagements ab­
leiten. Es verbleiben jedoch einige methodische ­De­fizite,
die weiteren Forschungsbedarf begründen.
1. Netzwerke und Metropolregionen in der Wissensökonomie
Hoch entwickelte Volks- und Regionalwirtschaften entwickeln sich zunehmend zu Wissensökonomien, die direkt auf der Produktion, Diffusion und Anwendung von
Wissen beruhen (vgl. OECD 1996, Neef 1998, Cooke
2002 oder kritisch Sokol 2004). Nach Smith (2002, S.
7–12) ­äußert sich der Übergang zur Wissensökonomie
in vier Entwicklungen: Erstens gewinnt Wissen als
Produktions­f aktor relativ zu den konventionellen Pro­
duktionsfak­toren sowohl quantitativ als auch qualitativ
an Bedeutung. Zweitens werden nicht nur die Inputs,
1
sondern auch Produkte und Dienstleistungen als Outputs immer wissensintensiver, wovon die steigenden
Wertschöpfungs- und Beschäftigungsanteile von Hightech-Branchen im verarbeitenden Gewerbe und wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen zeugen.
Drittens ist eine zunehmende Kodifizierung von Wissen
zu beobachten: Implizite Wissensbestandteile (Knowhow, Know-who) werden mit zunehmender Geschwindigkeit in explizites Wissen (Know-what, Know-why)
umgewandelt (vgl. ­L undvall & Johnson 1994). Vor allem
über das Internet wird eine Fülle von Informationen
­verbreitet, deren ­S elektion und Nutzung in neuen Kontexten steigende Anforderungen an das implizite Wissen von Individuen stellt. So wies der amerikanische
Soziologe Orrin E. Klapp bereits in den 1980er Jahren
auf das Fehlen von Bedeutung (meaning) in Informa­
tionen hin: Während die Menge an verfügbaren Informationen stetig ansteigt, sinkt der Anteil des darin enthaltenen bedeutungsvollen Wissens (vgl. Klapp 1982,
1986). Es muss jedoch betont werden, dass implizites
Wissen nur in sehr begrenztem Maße kodifizierbar ist
und trotz der Kodifizierung nicht nur die einzige Quelle
expliziten Wissens bleibt, sondern auch eine notwen­
dige Voraussetzung für dessen kontextspezifische Anwendung ist. Implizites und kodifiziertes Wissen sind
also keine Substitute, sondern ­ergänzen sich gegenseitig in wechselseitigen Transformationsprozessen, wie
das Modell der Wissensspirale von Nonaka & Takeuchi
(1997) illustriert.
Viertens haben neue Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet dazu beigetragen,
die Kosten der Informationsbeschaffung und -diffusion
dramatisch fallen zu lassen. Als weiteres Merkmal der
Transformation zur Wissensökonomie ließe sich mit
­A rrow (1994) die Zunahme hybrider Wissensformen ergänzen: In Netzwerken zirkulierendes Wissen ist weder
privat noch rein öffentlich, sondern als Klubgut nur für
Mitglieder des Netzwerks frei verfügbar, während Nichtmitglieder von der (kostenfreien) Nutzung ausgeschlossen
Seit Frühjahr 2008 firmiert die Metropolregion offiziell unter der Bezeichnung Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg.
b London Eye (Detail)
42
RegioPol eins 2008
bleiben (vgl. Buchanan 1965). Solche wissensbasierten
Netzwerke wurden bereits Anfang der 1990er Jahre von
Cooke & Morgan (1993) als neues Paradigma der Regio­
nalentwicklung erkannt.
Beim Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft wird die traditionelle industrielle Arbeitsteilung
durch das Prinzip der Wissensteilung abgelöst, das bereits von Hayek (1937, 1945) beschrieb (siehe auch
­Helmstädter 1999, 2000). Wissen ist in der Gesellschaft
auf eine große Zahl individueller und kollektiver Akteure
verteilt und muss in immer neuer Form kombiniert werden, um neues Wissen zu erzeugen und kommerziell zu
verwerten (vgl. Smith 2002). Das Prinzip der Wissensteilung kommt in interaktiven Innovationsmodellen (u. a.
Kline & Rosenberg 1996) und dem darauf aufbauenden
systemischen Innovationsverständnis zum Ausdruck,
das den Konzepten der nationalen, regionalen oder metropolitanen Innovationssysteme zu Grunde liegt (vgl.
Capello 2001, Fischer et al., Revilla Diez 2002, S. 64-67
sowie Simmie 2003).
Metropolregionen werden allgemein als Knoten in
der entstehenden Wissensökonomie angesehen, da sie
über einen dynamischen Wissenspool mit einer großen
Dichte und Vielfalt von Akteuren als Wissensträger verfügen. Räumliche Nähe fördert Face-to-face-Kontakte,
beschleunigt den Transfer von implizitem Wissen (buzz,
vgl. Storper & Venables 2004) und reduziert Unsicherheit
durch den Aufbau von Vertrauen. Metropolregionen
­können also als Arenen lokalisierter Lernprozesse an­
gesehen werden (vgl. Maskell & Malmberg 1999, Malmberg & Maskell 2006, Brenner 2007, Lorenzen 2007). Sie
wuchsen zwar schon immer durch Agglomerations­
ersparnisse (vgl. Richardson 1995), die gestiegene Bedeutung von Wissen als Produkt und Produktions­faktor
hat dieser Art von externen Effekten aber in Form lokalisierter Wissensspillover eine neue dynamische Qualität
verliehen (vgl. Breschi & Lissoni 2001).
In den letzten 15 Jahren hat sich das Denken in Netzwerken in Wissenschaft, Politik und Praxis regionaler
Wirtschaftsförderung fest etabliert. Regionen brauchen
interne Netzwerkstrukturen, um ihre Wissensbasis effektiv nutzen, ergänzend Wissen von regionsexternen Quellen absorbieren und erfolgreich in einem immer wissensintensiver werdenden Wettbewerb der Regionen
bestehen zu können. Trotz dieses dominanten Erkenntnismusters besteht zwischen der allgegenwärtigen Netzwerk-Rhetorik und der empirischen Analyse regionaler
Netzwerke eine auffällige Diskrepanz, da originäre Netzwerkanalysen auf der Meso-Ebene der Region kaum vorhanden sind. Ihr Fehlen führt dazu, dass in der Regel
­ungeprüft von messbaren Branchen- oder Technologieagglomerationen auf das Vorhandensein regionaler
Netzwerke geschlossen wird. An diesem Forschungsde­
fizit setzt der vorliegende Beitrag an und identifiziert
Forschungseinrichtungen und wissensintensive Unternehmen als Akteure und deren Verbindungen in wissensbasierten Netzwerken am Beispiel der Metropolregion
Hannover-Braunschweig-Göttingen (MRHBG). Dabei werden Netzwerkeigenschaften systematisch zwischen ver-
schiedenen regionalen Kompetenzfeldern verglichen.
Bevor die Ergebnisse präsentiert werden, soll jedoch zunächst die Methodik der Netzwerkanalyse als Werkzeug
für eine wissensbasierte Regionalentwicklung eingeführt
werden, gefolgt von kurzen Darstellungen der Untersuchungsregion und des gewählten Forschungsdesigns.
Die empirischen Ergebnisse erlauben eine Reihe bedeutsamer Handlungsempfehlungen, die das Potenzial der
Netzwerkanalyse als I­nformationswerkzeug für ein regionales Wissensmanagement illustrieren. Dennoch bleiben
methodische Herausforderungen bestehen, die weiteren
Forschungsbedarf begründen.
2. Netzwerkanalyse als Werkzeug für wissensbasierte Regionalentwicklung
Regionale Netzwerk- und Clustertheorien sehen die Vorzüge der Clusterbildung vor allem in Vorteilen der Wissensteilung und -diffusion zwischen Organisationen
(Unternehmen, Forschungseinrichtungen) und betonen,
dass regionale Kooperationsbeziehungen in erster Linie
als Ausdruck von Wissensaustausch zu werten seien. Aus
solchen Wissensflüssen zwischen Organisationen entstehen wertvolle Innovationsimpulse für alle beteiligten
Akteure. Es ist jedoch kaum möglich, diese Wissens­
flüsse innerhalb von Kooperationsbeziehungen direkt
zu messen, da sie „keine Papierspur hinterlassen“, wie
Krugman (1991, S. 53) behauptete.
Für eine detailliertere Analyse von Wissensflüssen in
regionalen Akteursnetzwerken bietet die empirische
Netzwerkanalyse einen vielversprechenden Ansatz (vgl.
Knoke & Kuklinski 1982, Burt & Minor 1983, Jansen 2006).
Die Methode wurde ursprünglich in der Soziologie zur
Analyse persönlicher Beziehungen einer kleinen Anzahl
von Individuen entwickelt (vgl. Marsden & Lin 1982), findet aber zunehmend auch für die Untersuchung von
­Beziehungen zwischen Organisationen Verwendung. Der
Nutzen dieser Methodik liegt in der Möglichkeit, spezifische Stärken und Schwächen wissensbasierter regionaler
Netzwerkstrukturen aufzudecken. Auf regionaler Ebene
kamen Netzwerkanalysen bislang aber kaum zur Anwendung. Zu den wenigen Beispielen zählt eine Netzwerkanalyse der Filmwirtschaft in Potsdam und Babelsberg (Krätke 2002), deren methodischen Ansatz Wrobel (2004) auf
die Bremer Logistikbranche übertrug. Der Mangel an
­originären Netzwerkanalysen steht im krassen Gegensatz
zu der großen Popularität, die der Netzwerkansatz in
­W issenschaft, Politik und Praxis genießt. Die Dichte und
Strukturmerkmale regionaler Verflechtungen zwischen
wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmen detailliert zu analysieren und die Netzwerkeigenschaften
unterschiedlicher Kompetenzfelder innerhalb der Region
sowie zwischen Regionen vergleichen zu können, bleibt
also eine besondere Herausforderung für die regionale
Netzwerkanalyse. Zuvor soll ­jedoch der methodische
­Ansatz der Netzwerkanalyse kurz vorgestellt werden.
In einem ersten Schritt müssen relationale Informationen über die Kooperationsbeziehungen der regionalen
Wissensökonomie
43
Tabelle 1: Definition von Netzwerkparametern
Parameter
Definition
Netzgröße
Netzwerkdichte
Kohäsion
Zentralisierung
Verbindungsgrad
Überregionaler Verbundenheitsgrad (national)
Internationaler Verbundenheitsgrad
Anzahl der Akteure im Kompetenzfeld
Anzahl der Verbindungen, geteilt durch die Anzahl der Akteure
Anzahl der unverbundenen Netzwerkkomponenten
(je höher, desto geringer die Kohäsion)
Summe der Dichtewerte der fünf zentralsten Akteure pro Kompetenzfeld
Anzahl der Kooperationspartner aus einer bestimmten Gruppe (z. B. Unternehmen, internationale Partner), geteilt durch die Zahl der Partner insgesamt
Anzahl der Akteure mit überdurchschnittlich starken Verbindungen ins übrige
Bundesgebiet, geteilt durch die Anzahl aller Akteure im Kompetenzfeld
Anzahl der Akteure mit überdurchschnittlich starken internationalen
Verbindungen, geteilt durch die Anzahl aller Akteure im Kompetenzfeld
Akteure gesammelt werden. Die Identifikation von Netzwerkbeziehungen fußt auf einer Befragung der relevanten Akteure zu ihren Kooperationen mit namentlich
identifizierbaren Geschäftspartnern und Organisationen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Grundsätzlich stehen zur Erfassung von Netzwerk­
beziehungen zwei Alternativen zur Verfügung. Die erste
Möglichkeit ist die sogenannte Listenabfrage, die dem
Probanden eine vollständige Liste aller Netzwerkakteure
vorlegt und ihn auf diese Weise um die Benennung der
Interaktionspartner bittet. Diese Vorgehensweise verspricht eine vollständige Erfassung regionaler Netzwerkbeziehungen. Sie setzt jedoch voraus, dass alle relevanten Netzwerkakteure a priori bekannt sind, und ist
damit nur für die Analyse relativ kleiner Netzwerke verwendbar. Der zweite Ansatz der offenen Abfrage fragt
nach einer zuvor festgelegten Zahl der wichtigsten
­Kooperationspartner, wobei die Grundgesamtheit der
Netzwerkakteure unbekannt bleibt. Dafür bietet sie die
Möglichkeit, zuvor unbekannte Netzwerkakteure zu
„entdecken“. Die offene Abfrage wird schwerpunktmäßig zur Untersuchung großer Netzwerke mit zahlreichen
anfangs unbekannten Akteuren eingesetzt und empfiehlt sich daher für die Analyse regionaler Wissensnetzwerke wie die hier vorgestellte.
Nachdem die Akteure und Beziehungen eines Netzwerks identifiziert wurden, folgt in einem zweiten Schritt
die Beschreibung von Netzwerkeigenschaften mit Hilfe
verschiedener Parameter wie der Netzwerkdichte, der
Kohäsion und der Zentralisierung. Dabei wird die Posi­
tionierung individueller Akteure ebenso sichtbar wie
­bestimmte Strukturkomponenten. Die Analyse macht fokale Akteure sichtbar, die eine zentrale Position im Netzwerk einnehmen, aber auch relativ isolierte Akteure, die
über keine oder nur schwache Verbindungen zu anderen
Netzwerkakteuren verfügen. Es ist weiterhin möglich,
die anderen Strukturmerkmale der Akteure zu ihrer jeweiligen Netzwerkposition in Beziehung zu setzen, z. B.
ihren Verbindungsgrad oder ihre Zentralität. Die Netzwerkanalyse erlaubt also Aussagen sowohl über die Beschaffenheit des Netzwerks insgesamt als auch über die
Position einzelner Akteure darin. Diese Ergebnisse lassen sich schließlich zwischen unterschiedlichen Netzwerken oder regionalen Kompetenzfeldern vergleichen
(vgl. Krätke 2002).
Mit der Methode der offenen Abfrage können regionale Netzwerke normalerweise nicht vollständig abgebildet werden, da einzelne Akteure nicht zur Teilnahme
an der Befragung und andere nicht zur Offenlegung
sämtlicher Partner motiviert werden können. Das Ergebnis bildet daher nur den beobachtbaren Teil regionaler
Netzwerkbeziehungen ab. Die Abbildung eines klar de­
finierten Teils regionaler Netzwerkbeziehungen stellt
aber dennoch einen erheblichen Informationsgewinn
gegenüber dem sonst auf Vermutungen und anekdotische Evidenz beschränkten Wissensstand über die Netzwerkstrukturen einer Region dar. Die Netzwerkanalyse
beschreibt die Positionierung einzelner Akteure anhand
verschiedener Eigenschaften (vgl. Jansen 2006). Ein
­wesentlicher Indikator ist der Verbindungsgrad eines
Akteurs, der die Stärke seiner Verbindungen zu allen
­anderen Akteuren misst; die Zentralität seiner Position
im Netzwerk ist eine weitere Kennziffer. Ein hoher Verbundenheitsgrad signalisiert die fokale Stellung eines
Unternehmens oder einer Forschungseinrichtung in
­einem regionalen Netzwerk (vgl. Krätke 2002).
Die große Anzahl der in eine regionale Netzwerkanalyse einzubeziehenden Akteure erfordert eine Darstellung der Ergebnisse auf unterschiedlichen Aggrega­
tionsebenen. Die interregionalen, d. h. nationalen und
internationalen Beziehungen lassen sich auf der gröberen Makro-Ebene darstellen. Unsere Untersuchung konzentriert sich auf die Meso-Ebene der Metropolregion,
in der die einander überlappenden Beziehungen einer
großen Zahl von Akteuren aufgedeckt werden sollen. Da
nicht alle relevanten Akteure an der Befragung teilneh-
44
RegioPol eins 2008
Tabelle 2: ­Deutsche Metropolregionen, sortiert nach Bruttowertschöpfung (BWS)
Metropolregion
München
Frankfurt/Rhein-Main
Stuttgart
Hamburg
Berlin-Brandenburg
Rhein-Ruhr
Nürnberg
Hannover-Braunschweig-Göttingen Sachsendreieck Rhein-Neckar
Bremen-Oldenburg
Bevölkerung
Mio. 2006
5,1
5,5
5,3e
4,3
6,0
5,2e
3,5c
3,9e
3,5
2,4
2,4
Fläche
km2 2006
21.500
14.800
15.400e
19.800
30.370
4.435e
20.544c
18.600
12.100 b
5.637
11.600b
Bevölkerungs-
dichte
Ew./km 2006
236
374
343e
216
196
1.183e
171c
210e
290b
419
205b
a) 2003, b) 2004, c) 2005, d) 2006, e) 2007
men und davon wiederum nicht alle vollständige Angaben zu ihren Partnern machen, kann die Netzwerkana­
lyse nur für ein Partialnetz durchgeführt werden. Auf
der Basis einer sehr hohen Rücklaufquote kann aber
dennoch ein sehr weit reichendes Bild der regionalen
Wissensvernetzung erzeugt werden. Vom erfassten Partialnetz wird dann auf die Eigenschaften des vollstän­
digen Netzwerks geschlossen, d. h. die Stichprobe wird
als repräsentativ für die Grundgesamtheit ange­sehen.
Die Aufgliederung der Stichprobe in einzelne Kom­
petenzfelder erlaubt es zudem, deren Netzwerk­
eigenschaften miteinander zu vergleichen. Jeder befragte Akteur wurde einem spezifischen Kompetenzfeld
zugeordnet und in diesem als „aktiver“ Akteur registriert. Alle von diesem Akteur offengelegten Koopera­
tionspartner wurden in der Folge der Darstellung dieses
­Kompetenzfelds zugeordnet.
Unter den für die verschiedenen Kompetenzfelder
­ermittelten Netzwerkparametern ist die Dichte der
­Netzwerkbeziehungen ein zentrales Kriterium, da sich
dichte Interaktionen im regionalen Kontext positiv auf
interaktive Lernprozesse auswirken. Zur Bestimmung
der Netzwerkdichte wurde zunächst die mit einem or­
dinalen Intensitätsmaß gewichtete Summe der Verbindungen ermittelt und durch die Anzahl der befragten
­A kteure geteilt, die als aktive Netzwerkknoten eingestuft wurden. Zusätzlich wurde der durchschnittliche
Verbindungsgrad berechnet, indem die Summe der gewichteten Verbindungen auf die Anzahl der Akteure in
dem jeweiligen Netzwerk bezogen wurde.
Nach der Dichte ist die Kohäsion ein weiteres wich­
tiges Merkmal von Netzwerkstrukturen. Netzwerkko­
häsion lässt sich ermitteln durch die Anzahl unterein­
ander kaum verbundener Netzwerkkomponenten und
isolierter Akteure: Je höher deren Zahl, desto weniger
kohärent ist eine regionale Netzwerkstruktur. Dieser
Analyseschritt trägt dazu bei, Verknüpfungsdefizite in
fragmentierten Kooperationsbeziehungen ebenso sichtbar zu machen wie nur schwach integrierte oder vollständig isolierte Akteure. Von einer starken Netzwerk­
kohäsion kann gesprochen werden, wenn eine regionale
Netzwerkstruktur keine unverbundenen Teilnetzwerke
oder einzelne isolierte Akteure aufweist.
Als dritte Netzwerkeigenschaft wurde die Zentralisierung in die Analyse einbezogen. Diese wird bestimmt
durch die Anzahl der mit ihrer Intensität gewichteten Verbindungen der fünf zentralsten Akteure in jedem Kompetenzfeld. Akteure mit einem hohen Zentralisierungsgrad
können eine größere Vielfalt spezialisierter Wissensressourcen erschließen als weniger zentrale Akteure und somit als Katalysatoren angesehen werden, die die Wissensdiffusion in regionalen Netzwerken beschleunigen. Die
Netzwerkparameter Dichte, Kohäsion und Zentralisierungsgrad sind für wissensbasierte Kooperationen und
­regionale Innovationsnetzwerke besonders bedeutend.
Eine geringe Dichte und schwache Kohäsion weist all­
gemein auf Defizite in der regionalen Wissenszirkulation
und eine unzureichende Nutzung von Wissensressourcen
und spezialisierten Kompetenzen hin.
Zusätzlich wurden mit dem Verbindungsgrad zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen sowie dem überregionalen Verbundenheitsgrad zwei weitere Netzwerkeigenschaften in die Analyse einbezogen.
Ein schwacher regionaler Verbundenheitsgrad zwischen
Wissenschaft und Wirtschaft beeinträchtigt tendenziell
die Wissensflüsse zwischen Forschungseinrichtungen
Wissensökonomie
BWS
Mrd. Euro 2006
171
168
164
124
118d
116
103
93
64 a
62d
55b
BWS/
Erwerbstätige
Euro 2005
62.200
60.500
61.200
61.300d
45.600d
51.448
57.775
50.811
39.000a
56.700d
50.000a
Arbeits-
losigkeit
%; 2007
7,2d
10,2
n.a.
10,6c
17,1
14,2
6,3
9,1
19,8c
8,0d
13,7c
45
FuE-Personal Wissenschaftler Hightechin der Industrie u. Ingenieure
Gründungen
%; Anteil 2005
%; Anteil 2005 D = 100; 2002–05
13,7
6,6
8,5
6,7
6,0
5,0
6,1
5,7
5,4
6,5
5,0
5,8
3,4
5,2
2,8
2,7
2,7
3,4
3,3
3,0
3,4
2,4
143
105
90
81
83
87
104
89
84
137
94
Quelle: Initiativkreis Europäische Metropolregionen in Deutschland (www.deutsche-metropolregionen.org,
Abruf am 9. April 2008); Berechnungen der NORD/LB auf Basis von Daten der Universität Dortmund und des ZEW
und Unternehmen, und ein schwacher überregionaler
Verbundenheitsgrad erschwert den Zugang zu regionsexternen Wissensquellen und Innovationsimpulsen.
Auf der Basis der relationalen Daten und der verschiedenen Netzwerkparameter, mit denen sich die Kooperationsbeziehungen zwischen den regionalen Wissens­
trägern abbilden lassen, bieten die Ergebnisse der
Netzwerkanalyse detaillierte und akteursbezogene
­A nsatzpunkte für ein Netzwerkmanagement. Als Grundlage politischer Handlungsempfehlungen liefern die
­Ergebnisse einer regionalen Netzwerkanalyse Ansatzpunkte zur Entwicklung spezifischer Maßnahmen zur
Mobilisierung von Akteuren und zur Verbesserung von
Interaktionen und Wissensflüssen zwischen regionalen
Akteuren. Solche Maßnahmen leisten einen direkten
Beitrag zur Verbesserung der Wissenszirkulation in der
verteilten regionalen Wissensbasis.
Ungeachtet dieser Vorteile hat die Netzwerkanalyse
wie andere Methoden auch bestimmte Grenzen und
Schwächen. Sie ist ein aufwendiges und anspruchsvolles
Verfahren, das nur bei einer sehr hohen Rücklaufquote
bzw. einer nahezu vollständigen Erfassung der relevanten Akteure verlässliche Ergebnisse liefert. Selbst wenn
eine sehr hohe Rücklaufquote erreicht werden kann,
stellt das eingeschränkte Wissen der befragten Indivi­
duen über die Transaktions- und Kommunikationsbe­
ziehungen ihrer Organisationen eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle dar, die bei der Interpretation
geringfügiger Unterschiede in den Werten der Netzwerkparameter berücksichtigt werden sollte. Ähnliches
gilt für die subjektive Bewertung der Kooperationsintensitäten durch die befragten Probanden. Aus praktischer
Sicht sind jedoch nicht diese methodischen Schwächen
für die seltene Anwendung von Netzwerkanalysen als
­Informationsgrundlage regionaler Netzwerkstrategien
verantwortlich, sondern vielmehr der in relativ hohen
Kosten resultierende Zeit- und Ressourcenbedarf. Als
Folge wird nach wie vor allzu oft und unreflektiert von
räumlichen Akteurskonzentrationen auf kollektive Lernprozesse geschlossen. Der Verzicht auf eine eingehende
Netzwerkanalyse kann aber langfristig ungleich höhere
Kosten in Form eines unzureichend fundierten und auf
die „falschen“ Akteure fokussierten Netzwerkmanagements nach sich ziehen.
3. U
ntersuchungsregion und Forschungsdesign
3.1 Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen
Die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen
(MRHBG) umfasst 3,9 Mio. Einwohner auf einer Fläche
von 18.600 km2 (vgl. Tab. 2). Sie wurde im April 2005 von
der Ministerkonferenz für Raumordnung offiziell als eine
von elf Europäischen Metropolregionen in Deutschland
ausgewiesen. Unter den deutschen Metropolregionen
nimmt die MRHBG nach Größe, Wirtschaftskraft und
Wissens­potenzial einen mittleren Rang ein, letzteres gemessen am Anteil der FuE-Beschäftigten in der Industrie, dem Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure an
den Beschäftigten insgesamt sowie der auf den Bundesdurchschnitt bezogenen Zahl von Hightech-Unternehmensgründungen. Die Region verfügt also über ein be­
deutendes Wissenspotenzial, kommt aber noch nicht an
46
RegioPol eins 2008
Schwach ausgeprägte intraregionale
­Innovationsverpflechtungen behindern
die Umsetzung der gut entwickelten
­Forschungsinfrastruktur in Innovation und
damit Wachstum und Beschäftigung.
die führenden süddeutschen Hightech-Agglomera­
tionen heran. Sie gehört damit zur breiten Masse so­
genannter „Normalregionen“, die in regionalwissenschaftlichen Untersuchungen allzu oft vernachlässigt
werden (vgl. Krumbein et al. 1994).
Aufgrund ihrer 16 Universitäten und Fachhochschulen, die rund 433 Fakultäten und Institute in ökonomisch
relevanten Disziplinen umfassen, wird die MRHBG zuweilen als niedersächsisches „Forschungsdreieck“ bezeichnet. Dafür sprechen auch 52 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, unter denen sich renommierte
Institute der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft befinden, aber auch einige bedeutende
industrielle FuE-Zentren, von denen die VW-Konzernforschung am Hauptsitz in Wolfsburg besonders ins Gewicht fällt. Bisherige Forschungsergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass die nur schwach ausgeprägten
intraregionalen Innovationsverflechtungen eine effiziente Umsetzung dieser gut entwickelten Forschungs­
infrastruktur in Innovationen und damit schließlich auch
regionales Wachstum und Beschäftigung behindern.
Dies war ein wesentliches Ergebnis des European Regional Innovation Survey (ERIS), das Ende der 1990er Jahre
regionale Innovationspotenziale und innovative Netzwerke in elf europäischen Regionen untersuchte, dar­
unter auch das heute als MRHBG firmierende niedersächsische „Forschungsdreieck“ (vgl. Backhaus & Seidel
1998, Fritsch et al. 1998, Backhaus 2000, Sternberg 2000).
Um dieses Wissenspotenzial stärker zu nutzen, haben
einige Städte und Landkreise innerhalb der Metropolre­
gion sich bereits mit Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammengetan, um clusterorientierte Strategien
für die Regionalentwicklung zu formulieren und umzu­
setzen. Aufbauend auf Konzeptentwicklungen durch die
­Managementberatung McKinsey & Co. führte dies zu Umsetzungsorganisationen wie der Wolfsburg AG, der hannoverimpuls GmbH und der Projekt REGION BRAUNSCHWEIG
GMBH sowie einer Neuorientierung der regionalen Strukturpolitik der Landesregierung auf solche Regionalen
Wachstumskonzepte (vgl. Kiese & Schätzl 2008 sowie zahlreiche Beiträge darin). Auf der Suche nach Inhalten erklärte
die neu formierte MRHBG die Wissensvernetzung zu ­einem
Leitprojekt und vergab den Auftrag einer Studie zur Unter-
suchung der Wissensvernetzung in der Metropolregion,
um Handlungsansätze zur Verbesserung der regionalen
Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen.
3.2 Forschungsdesign
Um den Entwicklungsstand wissensbasierter Netzwerke
in der MRHBG mit der Methodik der Netzwerkanalyse bewerten zu können, wurde eine schriftliche Befragung
­aller ökonomisch relevanten (Fach-)Hochschulinstitute
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie
innovationsorientierter Unternehmen durchgeführt. Die
erste Erhebungsphase zwischen Januar und Juni 2006
beschränkte sich auf Forschungseinrichtungen, von denen 496 in der MRHGB als Grundgesamtheit identifiziert
wurden. 403 Einrichtungen beteiligten sich an der Erhebung, was einer respektablen Rücklaufquote von 81 Prozent entspricht. Diese 403 Einrichtungen gaben insgesamt 363 verschiedene regionale Unternehmen als
Kooperationspartner an.
Diese namentlich genannten Unternehmen bildeten
den Ausgangspunkt zur Erstellung einer Unternehmensdatenbank für die zweite Erhebungsphase. Durch eine
Befragung regionaler und kommunaler Wirtschafts­
förderer konnten weitere innovationsorientierte Unternehmen hinzugefügt werden, die die Datenbank auf 770
Einträge anwachsen ließ. Nach Abzug einiger Unternehmen, die sich selbst nicht als innovationsorientierte
klassifizierten, blieben noch 670 Unternehmen als Ausgangspunkt der zweiten Erhebungsphase übrig. Diese
Unternehmen wurden zwischen Oktober 2006 und Mai
2007 ebenfalls einer schriftlichen Befragung unterzogen, an denen sich 363 Unternehmen beteiligten. Die
daraus resultierende Rücklaufquote von 61 Prozent ist
gemessen an den sonst bei Unternehmensbefragungen
üblichen Werten ebenfalls sehr zufriedenstellend, andererseits aber auch eine Voraussetzung, um in den einzelnen Kompetenzfeldern gesicherte Schlussfolgerungen
von den Stichprobenergebnissen auf die gesamte regionale Netzwerkstruktur ziehen zu können. In beiden Erhebungsphasen zusammen wurden 1.138 Akteure befragt,
darunter neben den Forschungseinrichtungen und inno-
Wissensökonomie
vationsorientierten Unternehmen auch weitere Akteure
wie Kammern, Verbände, Stiftungen, Wirtschaftsförderungseinrichtungen und Netzwerkinitiativen, die in der
ersten Erhebungsphase als Kooperationspartner der
Forschungseinrichtungen identifiziert werden konnten.
Für die Erhebungen wurden drei Kooperationsformen
unterschieden, die sich in absteigender Reihenfolge
nach der Intensität unterscheiden:
Eine langfristige strategische Kooperation dient dazu,
die Wettbewerbsfähigkeit der Akteure durch ­einen
intensiven Wissensaustausch über mehrere Jahre zu
verbessern. Ein typisches Beispiel für eine derart intensive Kooperation sind Forschungs- und Entwicklungspartnerschaften.
n Eine punktuelle Kooperation zur Bearbeitung von Einzelthemen kann trotz ihres temporären Charakters
intensiven Wissensaustausch umfassen und für konkrete Problemlösungen in langfristige, vertrauens­
basierte Beziehungen eingebettet sein.
n Kooperationen im Bereich der Ausbildung und Quali­
fizierung umfassen die gemeinschaftliche Produktion
impliziten Wissens durch Berufsausbildung, Praktika
oder Weiterbildungsmaßnahmen.
47
Mathematik, Chemie, Biologie und Geowissenschaften)
sowie den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften noch zwei schwerpunktmäßig akademisch orientierte Kompetenzfelder einbezogen. Die vollständigen Ergebnisse der Untersuchung finden sich in Brandt (2007).
4. Ergebnisse der Netzwerkanalyse
n
Nach der ersten Erhebungsphase wurden die Akteure
neun Kompetenzfeldern zugeordnet, von denen sieben
einen direkten ökonomischen Anwendungsbezug ­haben.
Dabei handelt es sich um Life Sciences (medizinische
Forschung, Medizintechnik, Pharmazeutik und Biotechnologie), die Informations- und Kommunikationswirtschaft einschließlich der Medien, Energiewirtschaft und
Umwelttechnologie, Agrar- und Forstwissenschaft, Planen und Bauen einschließlich Bautechnik, die Mobi­
litätswirtschaft (Straßen- und Schienenfahrzeugbau,
Luft- und Raumfahrt) sowie Produktions- und Verfahrenstechnik (Materialwissenschaften, Fertigungstechnik,
Mechatronik, Mikrosystemtechnik, Messtechnik und Optische Technologien). Die im Folgenden präsentierten
Ergebnisse konzentrieren sich auf diese sieben Felder
mit direkten Möglichkeiten zur kommerziellen Wissensverwertung. In die Erhebungen wurden daneben mit der
naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung (Physik,
4.1 Querschnittsergebnisse
Die Befragungen identifizierten insgesamt 2.183 Ko­
operationsbeziehungen innerhalb der MRHGB. Mit 58
Prozent wurde die Mehrzahl dieser Beziehungen als
langfristige strategische Kooperationen eingestuft. 35
Prozent entfielen auf themenspezifische punktuelle
­Kooperationen und nur 7 Prozent auf Kooperationen im
Bereich der Ausbildung und Qualifizierung. Tabelle 3
stellt die Netzwerkparameter der sieben anwendungsorientierten Kompetenzfelder vergleichend gegenüber.
Insgesamt sind die Netzwerke ähnlich groß mit der Ausnahme der Produktions- und Verfahrenstechnik, die eine
deutlich größere Anzahl von Akteuren umfasst. Die Netzwerkdichte, definiert als durchschnittliche Anzahl der
Verbindungen pro Akteur, variiert ebenfalls nicht besonders stark zwischen den Kompetenzfeldern. Überdurchschnittlich dichte Netzwerkbeziehungen lassen sich
­jedoch in der Mobilitätswirtschaft und dem damit verbundenen Querschnittsfeld der Produktionstechnik erkennen. Größere Unterschiede weisen die Kompetenzfelder dagegen bei den Netzwerkparametern Kohäsion
und Zentralisierung auf. Wie bereits die Netzwerkdichte,
so ist auch die Kohäsion am geringsten in den Life Sciences und den IuK-Technologien, während die verbundenen Netzwerkstrukturen der Mobilitätswirtschaft und
Produktionstechnologien nicht nur am dichtesten, sondern durch die regionalwirtschaftliche Bedeutung von
VW und einigen großen Zulieferern auch am stärksten
zentralisiert erscheinen.
Ohne Berücksichtigung räumlicher Maßstabsebenen
und über alle Kompetenzfelder hinweg fallen beim Verbindungsgrad zunächst deutliche Unterschiede zwischen
48
RegioPol eins 2008
Tabelle 3: Netzwerkparameter für sieben regionale Kompetenzfelder
Netzwerkparameter
1
2
3
4
5
6
7
167
16,8
23
289
209
14,5
29
282
180
18,4
20
265
122
15,7
19
268
164
16,8
13
225
192
26,0
12
452
367
22,5
22
555
Verbindungsgrad
W b U
47,3%
56,2%
49,8%
39,5%
U b W
43,0%
24,2%
29,1%
43,3%
U b U
9,5%
15,9%
15,0%
5,0%
46,9%
28,3%
12,5%
56,8%
20,6%
19,5%
54,4%
32,2%
11,1%
Regionaler
Verbindungsgrad
W b U
U b W
alle b U
alle b W
Größe (Anzahl Akteure)
Dichte
Kohäsion
Zentralisierung
40,7%
24,8%
56,9%
36,8%
33,6%
24,2%
52,2%
52,2%
24,5%
30,8%
40,2%
53,3%
36,0%
23,9%
47,0%
40,9%
37,7%
32,2%
52,1%
42,2%
44,3%
24,0%
59,4%
35,1%
Interregionaler Verbundenheitsgrad 39,8%
25,2%
(national)
28,9%
34,3%
32,4%
46,0%
33,7%
27,8%
42,9%
24,3%
33,3%
20,0%
Internationaler Verbundenheitsgrad
17,5%
38,5%
36,5%
59,3%
43,9%
20,3%
Kompetenzfelder: 1 = Life Sciences; 2 = IuK-Wirtschaft; 3 = Energiewirtschaft und Umwelttechnologie; 4 = Agrar- und Forstwissenschaft;
5 = Planen und Bauen, Bautechnik; 6 = Mobilitätswirtschaft; 7 = Produktions- und Verfahrenstechnik
U = innovationsorientierte Unternehmen
W = Wissenschaft (Forschungseinrichtungen)
den Akteursgruppen auf. Mit einem gewogenen Mittelwert von 51,4 Prozent ist der Verbundenheitsgrad von
Forschungseinrichtungen zu Unternehmen deutlich höher als in der umgekehrten Richtung mit 30,8 Prozent. Mit
lediglich 12,9 Prozent ist der durchschnittliche Verbundenheitsgrad jedoch zwischen Unternehmen unterein­
ander am geringsten. Von geringfügigen Schwankungen
abgesehen, trifft dieses Muster auf die meisten Kompetenzfelder zu. So ist der Verbundenheitsgrad zwischen
Unternehmen in der Agrar- und Forstwissenschaft besonders gering, aber wesentlich höher in der Mobilitätswirtschaft mit ihrem relativ stabilen und hierarchischen Zu­
liefersystem.
In der räumlichen Dimension wird zwischen Kooperationen auf der regionalen, nationalen und internationalen Maßstabsebene unterschieden. Insgesamt scheinen
Verbindungen zu innovationsorientierten Firmen stärker lokalisiert zu sein als solche mit Forschungseinrichtungen. Über alle Maßstabsebenen hinweg sind die Akteure der Mobilitätswirtschaft überdurchschnittlich
stark mit externen Partnern vernetzt. Der Verbundenheitsgrad außerhalb der Region ist jedoch auch in den
Agrar- und Forstwirtschaften sowie in den Life Sciences
ebenso überdurchschnittlich. Letztere weisen außerdem
einen überdurchschnittlichen Verbundenheitsgrad mit
Forschungseinrichtungen in der Region auf, sind aber
deutlich weniger mit regionalen Unternehmen vernetzt.
Dieser Unterschied reflektiert die Diskrepanz zwischen
einer gut entwickelten regionalen Forschungsinfrastruktur auf der einen und dem geringen regionalen Besatz
an Life Sciences-Unternehmen auf der anderen Seite.
Der internationale Verbundenheitsgrad kann als Indikator für den Zugang zu Wissen von der weltweiten Forschungsfront bzw. für den Entwicklungsstand der externen Clusterdimension gesehen werden (pipelines, vgl.
Bathelt et al. 2004, Bathelt 2007). In dieser Hinsicht unterscheiden sich die sieben Kompetenzfelder allerdings
deutlich. Wie von einem jungen und wissenschafts­
basierten Feld erwartet werden kann, sind die Life Sciences am stärksten in internationale Wissensnetzwerke
eingebunden, dicht gefolgt vom kleinsten Kompetenzfeld der Agrar- und Forstwissenschaft, deren internationale Ausrichtung sich ebenfalls durch ihre starke Forschungsorientierung erklären lässt. Am anderen Ende
Wissensökonomie
49
Abbildung 1: Regionale Netzwerkstruktur der Mobilitätswirtschaft
des Spektrums weisen die Netzwerke der IuK-Wirtschaft
und der Produktionstechnik die wenigsten internatio­
nalen Verbindungen auf, erstere reichen sogar kaum
über die Grenzen der Metropolregion hinaus.
Auf der Grundlage dieser Übersicht sollen nun zwei
Kompetenzfelder für eine vertiefende und vergleichende Bewertung ausgewählt werden. Die bisherigen Ergebnisse empfehlen für einen solchen Vergleich das
­kohärente und stark zentralisierte Kompetenzfeld der
Mobilitätswirtschaft sowie als Kontrast die IuK-Technologien mit einer ähnlichen Zahl an Akteuren, aber deutlich geringerer Dichte, Kohärenz und Zentralisierung.
4.2 Fallstudie Mobilitätswirtschaft
Mit Herstellern von Straßen- und Schienenfahrzeugen
­sowie dem Luft- und Raumfahrzeugbau, deren Zulie­fe­
rern, Dienstleistern und Forschungseinrichtungen repräsentiert die Mobilitätswirtschaft eine traditionelle industrielle Stärke der Metropolregion. In der Stichprobe ist sie
als mittelgroßes Netzwerk mit 192 Akteuren vertreten,
von denen fast ein Drittel der Automobilindustrie zugeordnet werden kann. Wie Abb. 1 zeigt, wird das Netzwerk
von einer großen und nach innen stark verbundenen Komponente dominiert, in der acht Akteure besonders stark in
regionale Wissensflüsse integriert sind. Einer dieser Akteure ist VW als der fokale Akteur des Netzwerks. Neben
dieser zentralen Netzwerkkomponente gibt es nur wenige
relativ isolierte kleinere Komponenten und unverbundene Einzelakteure. Diese Struktur drückt sich in der höchsten Dichte aller untersuchten Kompetenzfelder und der
zweitstärksten Zentralisierung nach der Produktionstech­
nik aus. Diese Maßzahlen lassen sich als günstige Voraussetzungen für die intra­regionale Wissenszirkulation deuten, zumal mehr als die Hälfte der in Abb. 1 dargestellten
Verbindungen lang­fristige stabile Kooperationen als intensivste Form der Zusammenarbeit sind. Ein zu hohes
Maß an Zentralisierung und Stabilität von „strong ties“
kann jedoch auch als mangelnde Flexibilität sowie als Anfälligkeit gegenüber Verkrustungen und Lock-in-Effeken
gewertet werden (vgl. Grabher 1993). Dieser Gefahr kann
aber durch eine kontinuierliche Erneuerung des Unternehmensbestandes in Form von Neugründungen sowie
50
RegioPol eins 2008
Abbildung 2: Regionale Netzwerkstruktur der IuK-Wirtschaft
eine ausreichende Offenheit gegenüber regionsexternem
Wissen entgegengewirkt werden.
Die Mobilitätswirtschaft verfügt außerdem über die
stärksten Verbindungen zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen, und auch Kooperationen von
Unternehmen untereinander machen einen überproportionalen Anteil der Verbindungen aus. Die starke Orientierung der Forschungseinrichtungen an Großunternehmen nicht nur in der Region, sondern bundesweit, geht
jedoch im Vergleich der Kompetenzfelder mit einem
­geringeren Anteil an Kooperationen der Forschungs­
einrichtungen untereinander einher. Für die große Bedeutung nationaler Kooperationen sind ebenfalls die
­innovationsorientierten Unternehmen verantwortlich,
während die regionalen Forschungseinrichtungen weniger als in anderen Kompetenzfeldern über überregio­
nale oder sogar internationale Kooperationen verfügen.
Zusammenfassend lassen sich in der Mobilitätswirtschaft die intensivsten Netzwerkbeziehungen feststellen, insbesondere zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
Das von der Automobilindustrie geprägte Kom­petenzfeld
ist am stärksten in nationale Netzwerke integriert, was
die dominante Position von VW und seinen Forschungsund Entwicklungspartnern reflektiert.
4.3 Fallstudie IuK-Wirtschaft
Mit 209 Akteuren ist das Kompetenzfeld der Informationsund Kommunikationswirtschaft einschließlich der Medien
das zweitgrößte Netzwerk in der Untersuchung. Es ist nur
geringfügig größer als das Netzwerk der Mobilitätswirtschaft, weist aber eine grundsätzlich andere Netzwerkstruktur auf, wie Abb. 2 zeigt. Die IuK-Wirtschaft hat unter allen
Kompetenzfeldern die meisten isolierten Akteure. Seine
fragmentierte Struktur erklärt, warum die Netzwerkdichte
geringer ist als in allen anderen Feldern. Dennoch sind ei­
nige Forschungseinrichtungen und innovations­orientierte
Unternehmen relativ gut in regionale Wissensflüsse integriert. Kooperationen zwischen regionalen Forschungseinrichtungen sind zwar nur schwach ausgeprägt, dafür ist der
Verbindungsgrad zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
überdurchschnittlich und intensiver als in der umgekehrten
Richtung. Eine mögliche Erklärung ist die starke Anwendungsorientierung der Forschungseinrichtungen und damit
auch ihrer Kooperationen. Auch die Intensität der Kooperationsbeziehungen der Unternehmen untereinander liegt
über dem Durchschnitt aller Kompetenzfelder.
Verglichen mit anderen Kompetenzfeldern sind die
Netzwerkbeziehungen der IuK-Wirtschaft vorrangig intra­
Wissensökonomie
regional ausgerichtet. Nur 35 Prozent der befragten Akteure gaben Verflechtungen mit Partnern außerhalb der
Metropolregion an. Dies trifft in besonderem Maße auf
Unternehmen zu, Forschungseinrichtungen verfügen
dagegen häufiger über überregionale Verbindungen.
Wie in anderen Kompetenzfeldern sind langfristige strategische Partnerschaften auch in der IuK-Wirtschaft die
häufigste Kooperationsform, allerdings ist der Anteil
kurzfristiger themenspezifischer Zusammenarbeit hier
am höchsten.
Insgesamt unterscheidet sich die IuK-Wirtschaft in
­ihren Netzwerkstrukturen deutlich durch deren geringe
Dichte und Binnenorientierung (intraregionale Ausrichtung) von der Mobilitätswirtschaft. Mit doppelt so vielen
isolierten Akteuren wie in jedem anderen Kompetenzfeld
kann der fragmentierte Charakter des IuK-Netzwerks als
Ursache, aber gleichzeitig auch als Folge einer relativ
­heterogenen Wissensbasis gedeutet werden. Diese starke
Fragmentierung stellt ein ernsthaftes Hindernis für die
­regionale Wissenszirkulation und eine Herausforderung
für ein regionales Wissensmanagement dar.
5. Implikationen für Politik und Forschung
Mit der ersten Netzwerkanalyse dieser Größe, die Kooperationsbeziehungen zwischen Forschungseinrichtungen und innovationsorientierten Unternehmen über
alle Kompetenzfelder einer ganzen Metropolregion hinweg abbildet, verfügt die MRHGB über einen Informa­
tionsvorsprung gegenüber anderen Metropolregionen,
der zur Entwicklung und Umsetzung einer regionalen
Wissensmanagementstrategie genutzt werden kann.
Aus den zentralen Ergebnissen der Netzwerkanalyse zu
strukturellen Merkmalen und einzelnen Akteuren in den
Kompetenzfeldern lässt sich unmittelbar die Notwendigkeit ableiten, dass eine wissensbasierte regionale Ver­
netzungsstrategie die Unterschiede zwischen den ein­
zelnen Kompetenzfeldern berücksichtigen und nutzen
muss. Ein derart differenzierter Ansatz kann sich auf die
Felder Mobilitätswirtschaft, Produktions- und Verfahrens­
technik, Life Sciences, IuK-Wirtschaft sowie auf Energiewirtschaft und Umwelttechnologie konzentrieren.
Die Analyse konnte bedeutende Netzwerkknoten in
der Mobilitätswirtschaft und der mit ihr verbundenen
Produktionstechnik identifizieren. In beiden Feldern
sind die fokalen Akteure in dichte Kooperationsbeziehungen eingebettet. Eine regionale Netzwerkstrategie
könnte sich darauf konzentrieren, periphere Akteure zu
integrieren und institutionelle Hemmnisse regionaler
Kooperationen zu überwinden. Dies erscheint in der Mobilitätswirtschaft am dringendsten geboten, wo sich
mehr als 55 Prozent der Akteure in der Region Braunschweig und weitere 30 Prozent in der benachbarten Region Hannover konzentrieren. Trotz dieser teilräumlichen Konzentration finden mehr als die Hälfte der
identifizierten Kooperationsbeziehungen innerhalb der
Region Braunschweig, aber nur 17 Prozent zwischen der
51
Region Braunschweig und der Region Hannover statt.
Hinzu kommt, dass die Stadt Wolfsburg sowie die Regionen Hannover und Braunschweig unabhängige, über­
lappende und zum Teil kompetitive Strategien der Clusterförderung verfolgen und z. B. in der Ansiedlung von
Automobilzulieferern direkt gegeneinander konkurrieren
(vgl. Kiese & Schätzl 2008 und die regionalen Bei­träge
darin). Nimmt man die Ergebnisse der Netzwerkanalyse
ernst, sollte die Metropolregion die Mobilitätswirtschaft
als Modell für eine flexible Geometrie der Clusterförderung nutzen, die sich an der räumlichen Reichweite von
Netzwerken orientiert und das bisherige underbounding überwindet, in der der administrativ bestimmte
räumliche Zuschnitt der Clusterpolitik kleiner ist als die
Ausdehnung der funktionalen Verflechtungen.
Neben der Dominanz etablierter Netzwerkstrukturen
in der Mobilitätswirtschaft und in der Produktionstechnik belegen die Untersuchungsergebnisse aber auch die
Potenziale der noch unterentwickelten Netzwerkstrukturen in den Life Sciences, der IuK-Wirtschaft sowie in
der Energiewirtschaft und Umwelttechnologie. Im Gegensatz dazu sollte jedoch von einer Vernetzungsförderung im Bereich Planen und Bauen auf Ebene der Metropolregion aus Gründen der Subsidiarität abgesehen
werden, da die Netzwerke in diesem Kompetenzfeld
hauptsächlich subregional bzw. lokal in den einzelnen
Teilräumen der MRHBG ausgerichtet sind. Auf der an­
deren Seite erscheinen die Netzwerkbeziehungen der
Agrar- und Forstwissenschaft zu stark international
­ausgerichtet für eine sinnvolle Vernetzungsarbeit im
­regionalen Zuschnitt. Da die Metropolregion hier offenbar keinen „natürlichen“ Kooperationsraum darstellt,
­erscheinen Versuche, die intraregionale Wissenszirku­
lation in diesen beiden Kompetenzfeldern durch ein
­regionales Netzwerkmanagement zu verbessern, von
vornherein zum Scheitern verurteilt.
Neben der übergeordneten Notwendigkeit zur Differenzierung zwischen den Kompetenzfeldern lassen sich
aus den Ergebnissen der Netzwerkanalyse eine Reihe
weiterer Herausforderungen ableiten, denen sich ein regionales Netzwerkmanagement annehmen sollte:
n
Netzwerkmanagement könnte versuchen, identifizierte Lücken in regionalen Netzwerkstrukturen zu
schließen, um die Wissenszirkulation zu verbessern.
Mögliche Instrumente hierfür sind eine gezielte
­Gründungs-, Ansiedlungs- und Kooperationsförderung. Ein derart hohes Maß an Selektivität dürfte in
der Praxis der regionalen Wirtschaftsförderung aber
nur schwer umsetzbar sein.
n Die Netzwerkanalyse hat bislang isolierte Akteure
und Netzwerkfragmente entdeckt, deren Integration
eine bessere Nutzung vorhandener Wissensressourcen erlauben und neue Möglichkeiten für kollektive
Lernprozesse erschließen würde. Es ist aber nicht
auszuschließen, dass einzelne Akteure und Netzwerkkomponenten aus guten Gründen relativ isolierte Positionen einnehmen. Die Gründe für Isolation
und Fragmentierung sowie mögliche Integrations-
RegioPol eins 2008
52
n
n
n
n
hemmnisse begründen den Bedarf an weiterer Forschung, etwa in Form von auf den Ergebnissen der
Netzwerkanalyse aufbauenden Fallstudien.
Im konkreten Fall der MRHBG bezieht sich die Forderung nach einer besseren Netzwerkintegration aber
nicht zuletzt auch auf die zwischen einzelnen SubRegionen fragmentierten Netzwerkkomponenten.
Die Netzwerkanalyse hat insbesondere die Kooperation und Arbeitsteilung der Hochschulen als verbesserungswürdig herausgestellt. Die Vereinbarung einer Zusammenarbeit der Universität Hannover mit
der TU Braunschweig und der TU Clausthal als virtuelle Niedersächsische Technische Hochschule (NTH)
stellt einen ersten Schritt in diese Richtung dar.
Die Netzwerkanalyse hat aber nicht nur die Schwächen regionaler Netzwerkstrukturen in Form von isolierten und fragmentierten Elementen, sondern auch
die Stärken in Gestalt zentraler bzw. fokaler Akteure
aufgedeckt. Diese Akteure als Knoten und Multipli­
katoren in regionalen Wissensnetzwerken zu integrieren, muss als zentrale Voraussetzung eines erfolgreichen regionalen Wissensmanagements angesehen
werden. Ihre strategische Relevanz für ein regionales
Netzwerkmanagement fußt nicht nur auf ihrer Bedeutung als Wissensträger, sondern auch auf ihrer zentralen Netzwerkposition, die ihnen eine schnelle Verbreitung von Wissen ermöglicht. Für ein regionales
Netzwerkmanagement zu aktivierende strategische
Akteure sollten aber nicht ausschließlich im Zentrum
etablierter Netzwerke gesucht werden, sondern auch
an den Schnittstellen zu anderen etablierten Kom­
petenzfeldern. Dort können bislang unverknüpfte
­W issensbestandteile, die dennoch auf einer gemein­
samen wissenschaftlichen Basis beruhen (related
variety, vgl. Frenken et al. 2007) zu neuen radikalen
Inventionen und Innovationen neu kombiniert werden. Als weitere Akteursgruppe verdienen KMU die
spezielle Aufmerksamkeit einer regionalen Netzwerkstrategie, da sie aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen weniger als Großunternehmen in regionale Wissensnetzwerke integriert sind, aus dem gleichen
Grund aber überproportional von einer stärkeren
Einbindung profitieren können.
Weiterhin erscheint es selbstverständlich, dass Netzwerkstrategien über die Region hinausgehende Verbindungen stärken müssen. Auf diese Weise können
überregionale und internationale Wissensströme angezapft und durch die kontinuierliche Absorption
neuen Wissens von außen Lock-in-Effekte durch eine
einseitige Binnenorientierung vermieden werden.
Eine wissensbasierte Netzwerkstrategie für die
MRHBG sollte in Form einer Schaltzentrale institutionalisiert werden, die die teilräumlichen Clusterinitiativen und Wirtschaftsförderungsagenturen in den
Kompetenzfeldern koordiniert, für die die Ergebnisse
der Netzwerkanalyse einen metropolitanen Zuschnitt
der Interaktionsmuster nachweisen bzw. empfehlen.
Ein solches metropolitanes Wissens- und Netzwerkmanagement würde die Metropolregion als nicht nur
administrativen, sondern auch funktionalen Kooperationsraum etablieren. Es könnte zudem einen Ausgleich zwischen Subsidiarität und intraregionaler
Konkurrenz einerseits sowie gemeinsamen Interessen und einer einheitlichen Positionierung im wissensbasierten Wettbewerb der Metropolregionen
andererseits herbeiführen.
Der wesentliche praktische Nachteil der Netzwerkanalyse ist in den relativ hohen Kosten ihrer Durchführung zu sehen. Politische Visionen und langfristige Führungskraft (leadership, vgl. Glaab 2007) sind daher als
notwendige Voraussetzung anzusehen, um nicht nur für
die Durchführung der Analyse, sondern auch für die Umsetzung ihrer Ergebnisse in der Entwicklung und Realisierung einer regionalen Wissensmanagementstrategie
die erforderlichen Ressourcen mobilisieren zu können.
Im Fall der MRHBG bleibt daher abzuwarten, ob die durch
die Netzwerkanalyse geschaffene reichhaltige empirische Basis in eine effektive Wissensmanagementstra­
tegie umgesetzt werden kann. Abschließend ist darauf
hinzuweisen, dass eine einseitige Orientierung am
„Netzwerk-Paradigma“ nicht zur Ausblendung des Wettbewerbs als wichtiger alternativer Quelle von Wissensspillovern in Form sogenannter Porter-Externalitäten
führen sollte (vgl. Glaeser et al. 1992, S. 1127 f.).
Die vorgestellten Ergebnisse unterstreichen das Potenzial der Netzwerkanalyse als einem strategischen Informationswerkzeug für das regionale Wissensmanagement. Die Methode gewährt detailliertere Einblicke in
regionale Netzwerkstrukturen als die herkömmliche
Analyse regionaler Innovationspotenziale, wie sie beispielsweise das European Regional Innovation Survey
(ERIS) Ende der 1990er Jahre in elf europäischen Regionen anwandte (vgl. Fritsch et al. 1998, Sternberg 2000).
ERIS erfasste Kooperationsbeziehungen lediglich aus
der Sicht jeweils eines Akteurs (Industrie, Wissenschaft
und wissensintensive Unternehmensdienstleistungen)
mit ordinal bewerteter Intensität und differenzierte nach
der Akteursgruppe des Partners sowie der räumlichen
Maßstabsebene der Kooperationsbeziehung. Die Netzwerkanalyse geht einen entscheidenden Schritt weiter,
indem sie Kooperationsbeziehungen zwischen konkret
identifizierten Partnern von beiden Seiten erfasst, zu
Netzwerkdiagrammen zusammenfügt und mit Hilfe verschiedener Parameter und im Vergleich mehrerer Kompetenzfelder charakterisiert.
Die Netzwerkanalyse hat jedoch auch ihre Schwächen
und Grenzen, da sie auf den subjektiven Einschätzungen
und dem u. U. begrenzten Informationsstand der befragten Individuen aufbaut. Sie kann lediglich Hinweise auf
die Existenz tatsächlicher Wissensströme liefern und deren Intensität nur näherungsweise bestimmen. An diesem
Defizit sollten detailliertere Fallstudien ansetzen, um das
Ausmaß und die Wirkungen wissensbasierter regionaler
Kooperationen näher zu bestimmen, aber auch um die
Gründe für die unterschiedlichen Netzwerkeigenschaften
der Kompetenzfelder und die Ursachen möglicher Vernetzungshemmnisse zutage zu fördern. Die Gründe für die
Wissensökonomie
Fragmentierung regionaler Netzwerkkomponenten und
die Isolierung einzelner Akteuren zu kennen, ist schließlich
eine entscheidende Voraussetzung, um zielgerichtete
­Ansätze eines regionalen Wissensmanagements entwickeln und beurteilen zu können. Die Identifikation von regionalen Vernetzungsdefiziten in der Analyse bedeutet
schließlich noch nicht automatisch, dass ihre Schließung
gewollt und möglich ist oder die regionale Wissenszirku­
lation tatsächlich verbessern würde. Sie könnten auch auf
eine zu heterogene regionale Wissensbasis hinweisen, die
eher eine feinere Abgrenzung der Kompetenzfelder denn
eine Vernetzung „um jeden Preis“ erfordern würde.
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RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
55
Manfred Steincke, Marie Christin Dickow
Innovationspotenziale der
Metropolregionen in Deutschland
Benchmarking der Knotenpunkte der Wissensökonomie
D
ie elf deutschen Metropolregionen gelten als
Knotenpunkte der neuen Wissensökonomie.
Sie zeichnen sich durch eine große Akteursdichte und -vielfalt aus, welche günstige Voraussetzungen für vielfältige persönliche Kontakte bieten. Dichte
Kommunikationsnetze begünstigen die Entstehung einer regionalen Wissensbasis und von Lernprozessen.
Des Weiteren stellen die Metropolregionen einen Ressourcenpool in Hinblick auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte, eine entwickelte wissenschaftliche Infrastruktur,
Zuliefermärkte und eine gut ausgestattete Kommuni­
kations- und Transportinfrastruktur dar. Als Knoten globaler Wissensnetzwerke bieten sie ideale Standortqua­
litäten für hochwertige Dienstleistungen wie Forschung
und Entwicklung oder die Medien- und Kreativindus­
trien. Zusätzlich tragen Metropolregionen bedeutend
zur Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit eines Landes bei, gewährleisten die weltwirtschaftliche Integra­
tion und sind Zentren des internationalen kulturellen
Transfers (vgl. NORD/LB 2007).
Im Folgenden werden die elf deutschen Metropolregionen einer vergleichenden Betrachtung unterzogen
und ihre innovativen Potenziale anhand ausgewählter
Input- und Outputindikatoren analysiert.
1. Wirtschaftsstruktur und -entwicklung
Die Analyse von Struktur und Entwicklung der regionalen Wirtschaft lässt grundsätzliche Aussagen über das
regionale Innovationspotenzial zu, denn die Position im
Strukturwandel und der wirtschaftliche Erfolg einer Region können als Hinweis auf die Nutzung von innovato­
rischen Potenzialen gewertet werden.
Die Metropolregionen zeigen sich im wirtschaftlichen
Strukturwandel weit fortgeschritten. In München, Hamburg, Frankfurt/Rhein-Main und Berlin-Brandenburg
­gehörten im Jahr 2006 rund drei Viertel aller sozial­
versicherungspflichtig Beschäftigten dem Dienstleistungssektor an. Unter den norddeutschen Metropolre­
gionen rangiert Hamburg derzeit an vorderster Position,
b Kunstobjekt, Frank Popp (Detail)
während Hannover-Braunschweig-Göttingen und Bremen/Oldenburg jeweils Anteile von rund zwei Drittel
­aller Beschäftigten im Dienstleistungssektor für sich
verbuchen. Die Schlusslichter bilden die Metropolregionen Rhein-Neckar, Nürnberg und Stuttgart, die noch immer besonders stark durch die Industrie geprägt sind
und in denen rund 60 Prozent aller Beschäftigten dem
Dienstleistungssektor angehören.
Die Beschäftigtenentwicklung verlief des Weiteren im
Zeitraum von 1999 bis 2006 in München am günstigsten.
Die Metropolregion konnte sich gegenüber dem bundesweiten Rückgang von jahresdurchschnittlich 0,6 Prozent
ein deutliches Plus von 0,7 Prozent erarbeiten. Auf den
­folgenden ­Plätzen dieses Rankings liegen die Metropol­
regionen Nürnberg und Stuttgart mit gleichbleibender
Entwicklung. Nahezu gleichauf folgen Hamburg, Frankfurt/Rhein-Main, Bremen/Oldenburg und Rhein-Neckar
mit einem leichten Rückgang von 0,1 Prozent. Die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen positioniert
sich darüber hinaus mit Verlusten von 0,6 Prozent im Mittelfeld der Metropolräume, während insbesondere in den
ostdeutschen Regionen Berlin-Brandenburg und Halle/
Leipzig-Sachsendreieck entgegen dem ohnehin schwachen Bundestrend sehr deutliche Beschäftigungsverluste
von bis zu 1,9 Prozent zu verkraften waren.
Im Vergleich der Metropolregionen konnte ausschließlich die Region München zuletzt Beschäftigungszuwächse sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch
im Dienstleistungssektor vermelden (Abb. 1). Aber auch
Stuttgart und Nürnberg, die im Dienstleistungssektor
deutliche Gewinne verzeichneten, zeigen eine insgesamt positive Dynamik. Die Metropolregion Frankfurt/
Rhein-Main ist in den vergangenen Jahren durch einen
starken Abbau von Arbeitsplätzen im verarbeitenden
Gewerbe gekennzeichnet, kann diesen aber durch eine
besonders günstige Entwicklung im Dienstleistungssektor annähernd kompensieren.
Aufschluss über die Perspektiven der deutschen Metropolregionen gibt nicht zuletzt eine Gegenüberstellung
der Bevölkerungsentwicklung. Wachstumsstarke Regionen können sich gegenüber dem demografischen Trend
56
RegioPol eins 2008
Abbildung 1:Beschäftigungsentwicklung im verarbeitenden Gewerbe und
im Dienstleistungssektor in den Metropolregionen 1999 bis 2006
JD: Jahresdurchschnittliche Veränderung in Prozent
Quelle: Bundesagentur für Arbeit. – Berechnungen der NORD/LB.
(und dessen Folgen) wesentlich besser behaupten, als
Regionen, in denen Bevölkerungsrückgang und zunehmende Alterung eine Abwärtsspirale in Gang zu setzen
drohen. Insofern besitzen vor allem München (+0,96 Prozent), Hamburg (+0,45 Prozent) und Stuttgart (+0,44 Prozent) mit dem stärksten jahresdurchschnittlichen Bevölkerungswachstum im Zeitraum 1999 bis 2005 aller
deutschen Metropolregionen eine sehr gute Ausgangsbasis für die weitere Entwicklung. Dahinter folgen mit
leichtem Abstand Bremen/Oldenburg (+0,3 Prozent),
Frankfurt (+ 0,27 Prozent), Nürnberg (+0,26 Prozent) und
Rhein-Neckar (+0,21 Prozent), die ebenfalls zulegen
konnten. Alle anderen Metropol­regionen nördlich des
Mains mussten dagegen Einbußen hinnehmen, so auch
besonders das Sachsendreieck mit einen Rückgang von
0,55 Prozent.
2. Wissensbasierte Wirtschaftsbereiche
Umfang und Struktur wissensintensiver Wirtschafts­
bereiche sind in der wissensbasierten Ökonomie ein
wichtiger Indikator für das Innovationspotenzial und die
­ osition einer Region im internationalen StandortwettP
bewerb. Im verarbeitenden Gewerbe weisen die Metropolregionen Stuttgart und Rhein-Neckar die höchsten
Anteile wissensintensiver Wirtschaftszweige (bezogen
auf die gesamte Beschäftigung) auf (Tab. 1). Die stärkste
Entwicklungsdynamik geht in diesem Bereich allerdings
von München, Hamburg und dem Sachsendreieck aus.
Bei den wissensintensiven Dienstleistungen präsentieren sich München und Frankfurt/Rhein-Main vor
Rhein-Ruhr und Hamburg mit den höchsten Anteilen an
der Gesamtbeschäftigung (Tab. 1). In Bezug auf die Entwicklungsdynamik sind in diesem Bereich die Metropolregionen München, Stuttgart und Nürnberg führend.
Unternehmensorientierte Dienstleistungen weisen
zum größten Teil eine hohe Wissensintensität auf und
befördern zudem häufig innovative Prozesse in anderen
Wirtschaftsbereichen. Daher werden sie als aussagekräftiger Indikator für regionale Innovationspotenziale
herangezogen. In diesem Sektor behaupten sich die
­Metropolregionen Frankfurt/Rhein-Main und München
vor Hamburg auf den vorderen Plätzen (Tab. 1). Spitzenreiter beim Wachstum in diesem Segment ist Nürnberg
vor Hamburg und Bremen/Oldenburg.
Wissensökonomie
57
Tabelle 1: Anteile wissensintensiver Wirtschaftszweige an der Gesamtbeschäftigung
in den Metropolregionen 2006
Wissensintensive Wirtschaftszweige im VG
Rang Anteil Metropolregion
in % Wissensintensive Wirtschafts-
zweige im Dienstleistungssektor Anteil Metropolregion
in %
Unternehmensorientierte
Dienstleistungen
Anteil Metropolregion
in %
1
20,2 Stuttgart
32,0
München
31,3
2
18,3 Rhein-Neckar
28,2
Frankfurt/Rhein-Main
30,3
3
14,6 Nürnberg
25,2
Rhein-Ruhr
27,5
4
14,4 Hannover-Braunschweig- 25,0
Hamburg
24,2
Göttingen
5
13,7 München
24,0
Berlin-Brandenburg
23,5
6
9,4
Frankfurt/Rhein-Main
23,4
Stuttgart
21,6
7
8,9
Rhein-Ruhr
22,6
Rhein-Neckar
21,2
8
8,8
Hamburg
22,2
Hannover-Braunschweig- 21,1
Göttingen
9
8,7
Bremen/Oldenburg
20,5
Nürnberg
20,8
10
7,5
Halle/Leipzig-
20,1
Halle/Leipzig-
20,6
Sachsendreieck
Sachsendreieck
11
5,2
Berlin-Brandenburg
19,3
Bremen/Oldenburg
20,3
10,9 Metropolregionen
24,5
Metropolregionen
24,4
insgesamt
insgesamt
11,0 Deutschland
22,2
Deutschland
21,3
Frankfurt/Rhein-Main
München
Hamburg
Rhein-Ruhr
Berlin-Brandenburg
Halle/LeipzigSachsendreieck
Stuttgart
Bremen/Oldenburg
Nürnberg
Rhein-Neckar
Hannover-BraunschweigGöttingen
Metropolregionen
insgesamt
Deutschland
Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2007, eigene Berechnungen
3. Innovationsaktivitäten
Die betrieblichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (FuE) spielen im regionalen Innovationsprozess eine
entscheidende Rolle. Die FuE-Intensität einer Region errechnet sich aus dem Anteil der hoch qualifizierten
­Beschäftigten mit Schlüsselqualifikationen für FuE-Pro­
zesse (Naturwissenschaftler und Ingenieure) im ver­
arbeitenden Gewerbe bezogen auf die Gesamtbeschäf­
tigung in diesem Sektor. Im Vergleich zeigt sich, dass die
Metropolregion München mit Abstand die höchste FuEIntensität besitzt, es folgen Stuttgart und Hamburg (Abb.
2). Auf den letzten Plätzen finden sich die Metropolregionen Rhein-Ruhr und Bremen/Oldenburg wieder.
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den FuE-Aus­
gaben im öffentlichen Bereich. In Deutschland wurden
im Jahr 2003 insgesamt rund 16,5 Mrd. Euro für die Forschung und Entwicklung aufgewendet, wovon knapp 7,3
Mrd. Euro auf den Staatssektor1 sowie etwa 9,2 Mrd. Euro
auf den Hochschulsektor entfielen. Bei den absoluten
Ausgaben für FuE sowohl im Staatssektor als auch bei
Universitäten und Fachhochschulen liegt die Metropol­
re­gion Bremen/Oldenburg mit Aufwendungen in Höhe
von 385.000 Euro vor Nürnberg mit 374.000 Euro auf
dem vorletzten Rang unter den Vergleichsregionen. Die
meisten Ausgaben werden insgesamt in den Metropol­
regionen Rhein-Ruhr (2,1 Mio. Euro), Berlin-Brandenburg
(1,9 Mio. Euro) und München (1,5 Mio. Euro) getätigt. Bei
den FuE-Ausgaben im Hochschulsektor kann auch Hannover-Braunschweig-Göttingen mit knapp 1,3 Mio. Euro
eine der vorderen Positionen belegen. Bei der Anzahl des
FuE-Personals im Staatssektor sind Berlin-Brandenburg
und München darüber hinaus führend. Im Hochschulbereich besitzt die Metropolregion Rhein-Ruhr vor BerlinBrandenburg die üppigste Ausstattung mit FuE-Personal.
Des Weiteren erweist sich die Zahl der Patentanmeldungen in einer Region zwar nicht als ein eindeutiger
Vergleichsmaßstab für Innovationsaktivitäten, sie stellt
jedoch einen der wenigen quantifizierbaren Output-­
Indikatoren dar und vermag in dieser Hinsicht wertvolle
Anhaltspunkte zu liefern. Mit Blick auf Abbildung 3 zeigt
sich im Vergleich der Metropolregionen ein eindeutiges
Außeruniversitäre Einrichtungen inkl. private Organisationen ohne Erwerbscharakter
1
58
RegioPol eins 2008
Abbildung 2: FuE-Intensität in den Metropolregionen 2005
Quelle: Bade 2006. – Berechnungen und Darstellung der NORD/LB.
Süd-Nord-Gefälle. In absoluten Größen sind die Metropolräume Stuttgart und Rhein-Ruhr die bedeutendsten
Patentanmelder. Bezogen auf die Zahl der Einwohner
werden in Stuttgart und München die meisten Patente
hervorgebracht. Die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen nimmt dabei in Relation zur Einwohnerzahl einen guten sechsten Platz ein, während Hamburg auf Position acht rangiert und Bremen/Oldenburg
das Schlusslicht bildet.
4. Existenzgründerpotenziale
Die Betrachtung des Indikators „Existenzgründungen“
lässt darüber hinaus Aussagen über eine möglicher­
weise rege Gründerszene zu, die generell auf ein güns­
tiges ­Innovationsklima in einer Region hindeutet. Hinsichtlich der Unternehmensgründungen rangieren die
Metro­polregionen München und Hamburg im bundesweiten ­Vergleich auf dem ersten und zweiten Platz. Es
folgen Frankfurt/Rhein-Main und Hannover-Braunschweig-Göttingen. Eine Gegenüberstellung der Gründungsaktivitäten der städtischen Zentren in den Metropolregionen führt ­außerdem zu dem Ergebnis, dass in
der Stadt Hamburg eine besonders dynamische Gründerszene anzutreffen ist.
Das Innovationspotenzial einer Region resultiert darüber hinaus in hohem Maße aus Unternehmensgründungen in den Bereichen Spitzentechnik und höherwertige
Technik im verarbeitenden Gewerbe, technologieintensive Dienstleistungen, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie unternehmensorientierte Dienstleistungen2. In der differenzierten Betrachtung halten
2
Die Abgrenzung der Wirtschaftszweige basiert auf der Umschlüsselung der
ISI/NIW Liste - Fassung von 2000 - nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige Ausgabe 1993 des Statistischen Bundesamtes.
Wissensökonomie
59
Abbildung 3: Patentanmeldungen in den Metropolregionen 2005
Quelle: Deutsches Patent- und Markenamt, Patentatlas Deutschland 2006. – Statistisches Bundesamt. –
Berechnungen und Darstellung der NORD/LB.
München und Rhein-Neckar die Spitzenpositionen bei
Existenzgründungen im Bereich der Spitzentechnik.
München belegt vor Hamburg auch bei Gründungen im
Bereich der höherwertigen Technik den ersten Platz.
Beide Metropolräume sind auch hinsichtlich der Gründungen in den Dienstleistungsbereichen auf den vor­
deren Rängen vertreten. Deutliche Schwächen bei der
Gründungsintensität in allen wissensintensiven Bereichen zeigen dahingegen die Metropolregionen Halle/
Leipzig-Sachsendreieck und Bremen/Oldenburg.
5. W
issenschafts- und Forschungspotenziale
Eine weitere Säule des regionalen Innovationssystems
bildet die wissenschaftliche Infrastruktur, die einen
­Rahmen für innovationsfreundliche Wirtschaftsbedin-
gungen setzt. Um die Wissenschafts- und Forschungspotenziale zwischen den deutschen Metropolregionen
vergleichen zu können, werden im Folgenden Indika­
toren analysiert, die das quantitative Forschungspo­
tenzial an Hochschulen und an außeruniversitären Forschungseinrichtungen widerspiegeln.
Im Hinblick auf die Ausstattung mit Lehr- und Forschungspersonal an den Hochschulen liegen die Metropolregionen Rhein-Ruhr und Berlin-Brandenburg basierend auf den absoluten Zahlen auf den vorderen Rängen.
Im Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerzahl der Metropolräume weist jedoch München vor dem Sachsendreieck die beste Ausstattung auf. Hamburg belegt in diesem
Zusammenhang gemeinsam mit Bremen/Oldenburg den
letzten Rang.
Die Metropolregion Hamburg kann sich allerdings in
Bezug auf die außeruniversitären Forschungseinrichtungen deutlich besser positionieren. Bezogen auf die
60
RegioPol eins 2008
Abbildung 4: DFG-Bewilligungen an Hochschulen und außeruniversitäre Einrichtungen
2002 bis 2004
Quelle: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Berechnungen und Darstellung der NORD/LB
regionale Gesamtbeschäftigung belegt Hamburg bei
der Zahl der Mitarbeiter in außeruniversitären Forschungseinrichtungen den fünften Rang hinter München, Berlin-Brandenburg, Rhein-Neckar und dem Sachsendreieck. Vergleichsweise schwach ausgestattet sind
in diesem Bereich die Metropolregionen Nürnberg und
Stuttgart.
Ein wichtiges Indiz für das Forschungspotenzial einer
Region ist zudem die Ausstattung mit entsprechenden
Fördergeldern. Das BMBF stellt Mittel zur Förderung von
Forschungsprojekten bereit, die gemeinsam von jeweils
mindestens einem Partner aus der Wirtschaft und aus
der Wissenschaft durchgeführt werden (Verbundforschung). Es ist davon auszugehen, dass die Fördermittel
vornehmlich in die Regionen fließen, in denen ein förderungswürdiges Potenzial besteht. Die meisten Verbundforschungsmittel flossen im Jahr 2006 nach Berlin-Brandenburg (226 Mio. Euro) und München (203 Mio. Euro),
die letzten Plätze in diesem Ranking belegen Rhein-­
Neckar (51 Mio. Euro), Nürnberg (47 Mio. Euro) und
­Bremen/Oldenburg (37 Mio. Euro).
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) leistet
des Weiteren finanzielle Unterstützung für Forschungsvorhaben bzw. Personen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Die Verteilung der
Fördergelder auf die Metropolregionen entspricht in
­etwa der Ausstattung der Regionen mit Lehr- und Forschungspersonal. Die Metropolregionen Rhein-Ruhr
und Berlin-Brandenburg sind auch in diesem Bereich
führend, während Bremen/Oldenburg den letzten Rang
einnimmt (Abb. 4).
Nicht zuletzt werden vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) seit dem Jahr 1998 Rankings
deutschsprachiger Universitäten und Fachhochschulen
erstellt. Das ForschungsRanking bereitet die erhobenen Daten unter dem Gesichtspunkt der universitären
Forschungsleistungen auf. Ein beachtliches Potenzial
forschungsgeldstarker Hochschulen aus unterschied­
Wissensökonomie
61
Abbildung 5: Forschungsgeldstarke Hochschulen in den Metropolregionen
Quelle: CHE-HochschulRanking 2006. - Darstellung der NORD/LB.
lichen Fachrichtungen weist vor allem die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen auf (Abb. 5).
6. Qualifikationspotenzial
Wissen und Kreativität stellen in der Wissensgesellschaft
den entscheidenden Motor für die Innovationsleistungen einer Region dar. In der „people-driven-economy“
sind qualifizierte Arbeitskräfte die erfolgskritische Ressource. Dementsprechend weisen vor allem jene Standorte eine besondere ökonomische Leistungsfähigkeit
auf, die über einen umfangreichen Pool an quali­fizierten
Fach- und Führungskräften verfügen. Das ­Potenzial einer Region, innovative Produkte und Dienstleistungen
hervorzubringen, gründet sich dabei maßgeblich auf
­deren Ausstattung an Hochqualifizierten, d. h. Beschäftigte mit Hochschul- bzw. Fachhochschul­abschluss.
Räumliche Kristallisationspunkte für Innovationen sind
demzufolge vornehmlich die großen urbanen Zentren,
die aufgrund ihrer besonderen Attraktivität eine hohe
Verdichtung von Wissensarbeitern aufweisen.
Metropolregionen sind in diesem Zusammenhang
deutlich besser mit Hochqualifizierten ausgestattet als
der Durchschnitt aller Wirtschaftsräume in Deutschland.
Auf den vorderen Rängen rangieren die Zentren wissensintensiver Industrien und Dienstleistungen München, Stuttgart und Frankfurt sowie Halle/Leipzig-­
Sachsendreieck und Berlin-Brandenburg. Die Quote
hoch qualifizierter Arbeitskräfte an der Gesamtbeschäftigung liegt insbesondere in der Metropolregionen
­München mit 17 Prozent und Halle/Leipzig-Sachsen­
dreieck mit knapp 14 Prozent klar über dem bundes­
weiten Durchschnitt von 9,5 Prozent. Die norddeutschen
Metropolräume Hamburg und Hannover-Braunschweig-­
Göttingen befinden sich darüber hinaus mit leicht
­unterdurchschnittlichem Qualifikationsniveau im Mittelfeld, während Bremen-Oldenburg mit einer Hochquali­­
62
RegioPol eins 2008
Abbildung 6: Rangpositionen aller deutschen Metropolregionen bei strukturellen
Innovationsindikatoren
Hamburg
Hannover-Braunschweig-Göttingen
Frankfurt/Rhein-Main
Stuttgart
Nürnberg
Halle/Leipzig-Sachsendreieck
Bremen/Oldenburg
Rhein-Ruhr
Rhein-Neckar
München
Berlin-Brandenburg
Patentanmeldungen im Jahr 2005 je 10.000 Einw.
Studierende in allen Fächergruppen
WS 04/05 (absolut)
Lehr- und Forschungspersonal
an Hochschulen je
1.000 Einw. (WS 04/05)
DFG-Bewilligungen an
Hochschulen und außeruniv.
Einr. 2002 – 2004 in Mio. Euro
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
BMBF-Förderung – laufende Verbundprojekte
in Mio. Euro
Gründungsintensität (Gründungen je
Erwerbsfähigem) 2002–2005 –
Spitzentechnik im verarbeitenden
Gewerbe (D=100)
Beschäftigte in wissensintensiven
Wirtschaftszweigen im verarbeitenden
Gewerbe 2006 (Anteil an insg. in v. H.)
Beschäftigte in wissensintensiven
Wirtschaftszweigen im Dienstleistungssektor 2006 (Anteil an insg. in v. H.)
Wissenschaftlerintensität
2005 (nach Bade)
FuE-Intensität 2005 (nach Bade)
Beschäftigte in unternehmensorientierten
Dienstleistungen 2006 (Anteil an insg. in v. H.)
Hoch qualifizierte Beschäftigte 2006
(Anteil an insg. in v. H.)
Quelle: Darstellung der NORD/LB.
fiziertenquote von lediglich 7 Prozent das Schlusslicht
der deutschen Metropolregionen bildet.
7. Zusammenfassung
Die in den vorangegangenen Abschnitten herangezo­
genen Innovationsindikatoren lassen bereits eine klare
Tendenz erkennen, welche Metropolregionen sich innerhalb Deutschlands als Spitzenreiter hinsichtlich ihrer
­Innovationspotenziale positionieren. Die Rangpositionen
1 bis 11 der deutschen Metropolräume werden in Bezug
auf die bereits aufgezeigten Kenngrößen sowie weiterer
ergänzender Indikatoren in den folgenden ­Abbildungen
zusammenfassend dargestellt. Verglichen werden strukturelle sowie entwicklungsorientierte Innovationsindikatoren. Je weiter außen sich dabei die Verbindungslinie der
Rangpositionen der jeweiligen ­Metropolregion befindet,
desto günstiger fällt die Position der Region beim Vergleich des Innovationspoten­zials insgesamt aus.
Nicht unerwartet präsentiert sich die Metropolregion
München als innovativster Großraum innerhalb Deutschlands (Abb. 6). Als besonders herausragend erweisen
sich im Raum München vor allem der Anteil Beschäftigter in wissensintensiven Wirtschaftszweigen des Dienstleistungssektors und die Hochqualifiziertenquote. Zudem ist München hinsichtlich der Intensität von FuEAktivitäten wie auch der Ausstattung mit Lehr- und
Forschungspersonal an Hochschulen sowie der Wissenschaftlerintensität sehr gut aufgestellt. Bemerkenswert
ist zudem, dass sich die Beschäftigung in den wissens­
intensiven Wirtschaftszweigen sowie der Anteil Hochqualifizierter mit FuE-Funktionen in den vergangenen
Jahren überaus dynamisch entwickelt haben, was auch
weiterhin auf eine außerordentliche Dynamik in diesen
Bereichen schließen lässt (Abb. 7). Über ein ähnlich hohes Innovationspotenzial verfügen darüber hinaus die
südlich gelegenen Metropolregionen Frankfurt/RheinMain und Stuttgart. Während Stuttgart insbesondere bei
den ­Patentanmeldungen sowie beim Anteil der Wissensarbeiter im verarbeitenden Gewerbe punkten kann, liegt
die Dienstleistungsmetropole Frankfurt speziell beim
Beschäftigtenanteil in unternehmensorientierten Dienst­
leistungen vorn.
Unter den norddeutschen Metropolregionen ist es
darüber hinaus Hamburg und Hannover-Braunschweig-
Wissensökonomie
63
Abbildung 7: Rangpositionen aller deutschen Metropolregionen bei entwicklungsorientierten
Innovationsindikatoren
Hamburg
Hannover-Braunschweig-Göttingen
Frankfurt/Rhein-Main
Stuttgart
Nürnberg
Halle/Leipzig-Sachsendreieck
Bremen/Oldenburg
Rhein-Ruhr
Rhein-Neckar
München
Berlin-Brandenburg
Patentanmeldungen beim
DPMA 2000 –2005 jd in v. H.
Lehr- und Forschungspersonal
an Hochschulen
WS99/00 – WS04/05 jd in v. H.
Hoch qualifizierte Beschäftigte
mit FuE-Funktionen
insgesamt 1995 – 2005 jd in v. H.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Veränderung der Gründungsintensität
(Unternehmensgründungen je Erwerbsfähigem)
1998–2001 bis 2002–2005 in v. H. –
Spitzentechnik im verarbeitenden Gewerbe
Beschäftigte in wissensintensiven
Wirtschaftszweigen im
verarbeitenden Gewerbe 1999–2006
jd in v. H.
Beschäftigte in wissensintensiven
Wirtschaftszweigen im Dienstleistungssektor 1999–2006 jd in v. H.
Hoch qualifizierte Beschäftigte mit
FuE-Funktionen im verarbeitenden
Gewerbe 1995 – 2005 jd in v. H.
Hoch qualifizierte Beschäftigte
2000 –2006 jd in v. H.
Beschäftigte in unternehmensorientierten
Dienstleistungen 1999–2006 jd in v. H.
jd: jahresdurchschnittliche Entwicklung
Quelle: Darstellung der NORD/LB.
Göttingen gelungen, sich in einigen Bereichen erfolgreich gegenüber den starken süddeutschen Metropolräumen zu behaupten, wenngleich beide hinsichtlich
struktureller Indikatoren auf den hinteren Plätzen rangieren. Es zeigt sich allerdings auch, dass die Metropolregion Bremen/Oldenburg bei der Mehrzahl der Indikatoren momentan das Schlusslicht dieses Rankings bildet
(Abb. 6).
Eine nähere Betrachtung der entwicklungsorientierten Innovationsindikatoren zeigt jedoch, dass gerade
strukturell benachteiligte Metropolräume z. T. eine beachtenswerte Entwicklungsdynamik vorweisen können.
Bislang schwächer mit Innovationspotenzialen ausgestattete Regionen wie Bremen/Oldenburg oder auch
Nürnberg befinden sich in einem Aufholprozess (Abb. 7).
Aber auch die Metropolregion Hannover-BraunschweigGöttingen kann hinsichtlich der Entwicklung eine günstigere Position einnehmen. Die Region hat vor allem
beim Anteil der Hochqualifizierten an der Gesamtbeschäftigung erheblich zugelegt. Es wird allerdings auch
deutlich, dass ein vergleichsweise geringes Niveau des
Innovationspotenzials einer Metropolregion keine zwingende Voraussetzung für eine besonders hohe Dynamik
in diesem Bereich ist. Die Metropolregionen München
und Stuttgart zeigen bei vielen Indikatoren neben einer
umfangreichen Ausstattung zugleich eine besonders
günstige Position bei der Entwicklung des regionalen
­Innovationspotenzials.
Quellen:
NORD/LB (2007): Wissensvernetzung in der Metropolregion
Hannover-Braunschweig-Göttingen. Studie im Auftrag der
Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen. Hannover.
64
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
65
Dietrich Fürst
Wissensregion
Die neueste Modeerscheinung in der regionalen Strukturpolitik?
1. Wissensregionen im Kontext sich
wandelnder Vorstellungen über die
„richtige“ regionale Strukturpolitik
Regionale Strukturpolitik und die Wirtschaftspolitik von
Regionen kämpfen seit fast 30 Jahren um neue, theoriebasierte Ansätze, wie die komplexen regionalen Wirtschaftsstrukturen und -prozesse mit Hilfe politisch-administrativer Initiativen unterstützt werden können, um
sich den geänderten Rahmenbedingungen schneller
und effektiver anpassen zu können. Relativ früh war dabei klar, dass den externen staatlichen Interventionen
enge Grenzen gesetzt sind – sie führen eher zu Mitnahme-Effekten oder stabilisieren Strukturen, als dass sie
wesentliche Impulse zu Veränderungen auslösen. „Endogene Entwicklungsstrategien“ war das Gegenkonzept.
Aber was es inhaltlich bedeuten könnte, blieb zunächst
unklar: Wie die Strukturen aus sich heraus sich aktiv und
wirkungsvoll „modernisieren“ können, war deshalb strittig, weil marktliche Kräfte zwar einige Unternehmen veranlassen, sich pro-aktiv zu verändern. Aber solche Impulse von Einzelunternehmen bleiben wirkungslos, wenn
sie nicht in der Region auf breitere Resonanz stoßen.
Deshalb sind für regionale Wirtschaftsstrukturen und
-prozesse immer auch komplementäre „Gemeinschaftsgüter“ relevant, die sich den Marktkräften entziehen
oder nur verzögert darauf reagieren. Das betrifft z. B. Forschungs- und Bildungseinrichtungen, das Management
von Arbeitsmärkten, Verbesserung der Verkehrs- und ­Tele­kommunikations-Infrastruktur, aber auch ­soziale Infra­
struktureinrichtungen wie Kindergärten, Gesundheits­
einrichtungen, Freizeiteinrichtungen, Wohn­qualitäten,
Kulturqualitäten etc. Ganz offensichtlich erfordern Umstrukturierungsprozesse ergänzende Leistungen, die
weniger über den Markt als über personelle Interaktionen, zivilgesellschaftliche Initiativen oder Gemeinschaftsleistungen verschiedener Akteure erfolgen und
statt marktlicher Koordination Abstimmungen über Verhandlungen und Gespräche benötigen. Damit verschob
sich der Fokus derer, die nach Lösungen suchten, immer
stärker auf das, was heute „governance“ genannt wird,
b Buddhistische Schule, Pingyao, China
d. h. außermarktliche Vernetzungen von Akteuren zur
­Erledigung gemeinsam betreffender Belange. Das be­
gann in Nordrhein-Westfalen mit den – vom Staat initiier­
ten – Regionalkonferenzen, die „bottom-up“ regionale
Entwicklungskonzepte erarbeiten sollten, die zur Struk­
turveränderung und Regionalentwicklung einen wesentlichen Beitrag leisten und vom Staat gefördert werden
konnten. Der Erfolg war zwar anfangs gering, aber die
Stoßrichtung war richtig – deshalb wurde die Idee dieser
Regionalkonferenzen verfeinert und über Konzepte des
„Regionalmanagement“ in die offizielle Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ übernommen, nachdem die EU-Kommission
ihre EU-Strukturpolitik schon zu Beginn der 1990er Jahre auf Ansätze regionaler Selbst-Steuerung umstellte.
Angestoßen durch amerikanische Wirtschaftsgeografen, insbesondere Michael PORTER und Paul KRUGMAN
wurde der Vernetzung wirtschaftlicher Akteure mehr
Aufmerksamkeit gewidmet, um die Vorteile vertiefender
Wertschöpfungsketten, von „economies of scale“ (in
Forschung, Produktion und Marketing) und von „knowledge spill-overs“ in einer Region wirksamer nutzen zu
können (vgl. Scott/ Storper 2003): Die Nähe von Dienstleistern, hoch qualifizierten Arbeitskräften, hochwertiger Infrastruktur etc. wird in einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft mit schnell sich ändernden
Märkten sehr hoch bewertet. Damit verbindet sich auch
das Konzept der „Cluster“, das über Beratungsfirmen
in die öffentliche Wahrnehmung gedrückt wurde. Die
Grundidee der „Cluster“ ist die Ausschöpfung von Vorteilen der räumlichen Nähe zwischen wirtschaft­lichen
Akteuren, die über Wertschöpfungsketten miteinander
verbunden sind, aber bisher ihre Verbindung nicht erkannt oder nicht ausgeschöpft hatten: Solche Vorteile
betreffen auch persönliche Bindungen, Vertrauen,
­Sozialkapital, die nicht über Märkte verhandelt werden
können.
Das führte zur Diskussion von „innovative milieus“,
„innovation systems“ oder „Wissensregionen“, in Reak­
tion darauf, dass sich Unternehmen im harten globalen
Wettbewerb oft nur halten können, wenn sie sich auf
66
RegioPol eins 2008
­ issensintensive Güter und Dienstleistungen spezialiw
sieren. Auch hier geht es primär um „Cluster“. Das Neue
dabei ist jedoch dreierlei (vgl. van Winden, van den Berg,
Pol 2007):
1. wird „Wissen“ als Ressource der Wirtschaftsentwicklung betrachtet, das nicht ubiquitär vorhanden ist,
sondern in einer Region ungleich verteilt, teilweise
­selektiv, teilweise auch nicht-kodifiziert, als sogenanntes „tacit knowledge“, vorhanden ist. Darunter
versteht man ­Erfahrungen, erlernte Routinen, spezi­
fisches Know-how, das Menschen, Organisationen
oder ganze Regionen besitzen und das auch als „Investition“ zu werten ist. Der Umgang mit Wissen verlangt hoch qualifiziertes Personal. Deshalb stellen
dieses und seine permanente Fortbildung in einer
Wissensregion eine zentrale Einflussgröße dar. Denn
je mehr Menschen über relevantes Wissen verfügen
und je mehr sie kommunizieren, umso mehr entstehen „knowledge spillovers“, die für innovatorische
Prozesse wesentlich sind und eine Art „öffentliches
Gut“ repräsentieren. Wissensökonomie ist eine
„people-driven economy“ (Richard Florida). Deshalb
wird dem „Wettbewerb um Talente“ (Florida 2002)
eine so große Bedeutung zugeordnet. Aber es sind
vor allem die Verdichtungsräume, die dabei Gewinner
sind (Mai/ Schlömer 2007).
2. steht Kooperation zur gemeinsamen Wissensnutzung und Wissensmehrung im Vordergrund: Dem
marktlichen Wettbewerb wird nicht-marktliche Kooperation zur Seite gestellt, weil Wissensregionen
auch von Leistungen abhängen, die nicht über den
Markt erstellt werden können, wie tacit knowledge,
spezifisches Forschungs-Know-how, Sozialkapital,
kreative Foren, kreative Milieus u. ä. (Scott/Storper
2003)
3. geht es um (kollektive) Lernprozesse: Wissensmehrung und Wissensumsetzung sind eng verschränkt,
und es kommt darauf an, Wissen nicht exklusiv zu behandeln, sondern möglichst viele Akteure, die in der
Region mit dem Wissen konstruktiv arbeiten können,
am Prozess der Wissensmehrung und -nutzung zu
beteiligen.
Das mag zunächst wie „akademische Fingerübungen“
aussehen, indem über immer neue Differenzierungen,
immer neue Begriffe und immer neue Aspekte, die als
wichtig definiert werden, von einzelnen Wissenschaftlern „Definitionsmacht“ beansprucht wird, um sich in der
„scientific community“ Bedeutung zu verschaffen. Aber
es spricht viel dafür, dass das Konzept tragfähiger ist –
darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden.
2. S
trukturelemente einer Wissensregion
Eine Wissensregion ist dadurch gekennzeichnet, dass
Wissensproduzenten, Wissensvermittler und Wissensnutzer so miteinander verbunden sind, dass die Region
ihre wirtschaftliche Entwicklung auf die Ressource Wissen basieren kann. „Wissen“ unterscheidet sich von „Information“ dadurch, dass es sich bei Wissen um Kenntnisse über Funktional- und Kausalbeziehungen handelt,
während „Informationen“ lediglich sinnbezogene Bewertungen von Zeichen sind. „Wissen“ kann sich beziehen auf Fakten, Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten von
Variablen-Verknüpfungen, auf soziale Beziehungen (zu
wissen, wer was weiß) sowie auf Fertigkeiten und Fähigkeiten (Know-how). Auch das implizite Wissen/tacit
knowledge gehört dazu, das aber empirisch sehr schwer
zu erfassen ist, wie ohnehin Investitionen in nicht-materielle Wissensmehrung statistisch unterwertig behandelt werden. Eine Studie von HASKEL, MARRANO und
WALLIS (2008) zeigt jedoch, dass für jeden Euro, den
­Unternehmen in harte Investitionen stecken, nochmals
mindestens so viel als „intangible investment“ eingeplant werden kann (z. B. Schulung des Personals, Software-Verbesserung, Forschungsleistungen).
Wissensregionen haben Innovationspotenziale, die
über Innovationssysteme genutzt und entwickelt werden. Innovationssysteme sind das Zusammenspiel von
Wissensproduzenten, Wissensnutzern, Wissensvermittlern und einer Reihe von komplementären Strukturen
(z. B. Infrastruktureinrichtungen). Um effektiv zu funktionieren, erfordern sie auch „Manager“/„Promotoren“,
die das (statische) Potenzial in (dynamische) Prozesse
der Innovationsentwicklung verwandeln können.
Wissensökonomie
67
Wissen durch Austausch und Vernetzung
mehren, kollektive Lernprozesse fördern und
die Magnetwirkung der Region für die Ansiedlung von Unternehmen und die Anziehung
qualifizierter Fachkräfte verbessern.
Das Besondere dabei ist, dass für Wissensregionen
nicht die engen, sektoralisierten und institutionell verengten Wissenseinheiten wichtig sind, sondern die interdisziplinäre Verknüpfung, die neuartigen WissensVerbindungen (vgl. Cooke/Piccaluga 2004). Deshalb sind
Wissensregionen eng verbunden mit dem „Cluster“Konzept (vgl. Porter 1998): Es geht darum, die Vorteile
der räumlichen Agglomeration von Unternehmen über
die gesamte Wertschöpfungskette zu „internalisieren“.
Das bedeutet: Wissen durch Austausch und Vernetzung
zu mehren, kollektive Lernprozesse zu fördern und die
Magnetwirkung der Region für die Attrahierung von
Unternehmen und qualifizierten Fachkräften zu verbessern. Solche Regionen bieten Spezialisierung und Vielfalt (i. S. von: Ressourcenzugriff, Kompetenzen, Kreativitätspotenzial). Aber sie werden erst „Wissensregionen“,
wenn zwischen denen, die mit Wissen umgehen, Vernetzungen entstehen, die zu Austausch und produktiver
Weiterentwicklung führen können. Deshalb verbinden
sich damit Stichworte wie „Kommunikation“, kollektives
Lernen, „regional governance“.
Wissensregionen bestehen immer aus vielfältigen
Vernetzungen und Netzwerken. „Vernetzung“ bezeichnet „Sich-kennen-Verhältnisse“; Netzwerke sind i. d. R.
projektbezogen. Vernetzungen und Netzwerke sind
­beide erforderlich – Vernetzungen erleichtern den Aufbau von projektbezogenen Netzwerken und sind zudem
sehr viel weniger raumgebunden. Eine noch klarere
­Differenzierung hat GRABHER (2004) entwickelt. Er
­unterscheidet
a) „communality“: Das ist der „beziehungsorientierte“
Typus Netzwerk, das aber zusätzlich durch private
Kontakte unterstützt wird: Man kennt sich aus früheren Beziehungen, aus der gemeinsamen Ausbildungszeit, aus Clubs etc. und trifft sich auch außerprofessionell.
b) „sociality“: Dieser „karriereorientierte“ Netzwerktypus enthält Akteure, die sich primär nur professionell
begegnen, zu denen aber auch flüchtige Bekanntschaften gehören. Es dominiert der professionelle
Kontakt, das Netzwerk wird von den Beteiligten primär instrumentell wahrgenommen. „Wissen“ wird
ausgetauscht und gemeinsam genutzt.
c) „connectivity“: entspricht dem Terminus der „projektorientierten“ „Vernetzung“ – es kann sich auch lediglich um virtuelle Kontakte über das Internet handeln.
Der professionelle Informationstransfer steht im Vordergrund.
3. F
unktionale Akteure, die dabei wichtig sind
Wissensregionen leben von Wissensnutzung und deren
Umsetzung in innovative Projekte oder Produkte. Das
„Cluster“ einer Wissensregion umfasst deshalb immer
Akteure aus drei Funktionsbereichen: (1) aus dem Bereich der Basis-Strukturen in denen Wissen erzeugt und
umgesetzt wird; (2) aus dem Bereich der KomplementärStrukturen, in dem Akteure tätig sind, die katalysatorisch
oder unterstützend die Basis-Strukturen verstärken; (3)
aus dem Bereich der Führungsfunktionen, über welche
solche Cluster und Vernetzungen organisiert, vorangetrieben und zielorientiert ausgerichtet werden.
1) zu den Basis-Strukturen gehören:
n Wissensproduzenten: Das sind vor allem Hochschulen, Forschungseinrichtungen, FuE-Abteilungen von
Unternehmen. Die Relevanz von Hochschulen und
Forschungseinrichtungen für Wissensregionen be­
stimmt sich allerdings von ihren Forschungs­pro­
grammen und -ansätzen: Die Effektivität ist höher,
wenn es sich um angewandte, transdisziplinäre und
bezogen auf Verwendbarkeit „reflexive“ Forschungsansätze handelt und Hochschulen in die regionale
Wissensproduktion eingebunden sind;
n Wissensvermittler und Wissens-Tranferstellen: Das
sind primär Fortbildungs-Einrichtungen, BeratungsDienstleister, Medien, Messen, Bibliotheken u. ä., aber
zunehmend auch regionales Wissensmanagement
mit regionsspezifischen Datenbänken und Informa­
tionssystemen;
n Wissensnutzer: Das sind alle Unternehmen, Politiker,
Verwaltungsleute, die wissensbasierte Aktivitäten
durchführen.
68
RegioPol eins 2008
Diese Strukturen werden geprägt von qualifiziertem
Personal und von deren Fähigkeit, das Qualifikations­
niveau permanent weiterzuentwickeln. Forschungs- und
Entwicklungseinrichtungen allein sind für die regionale
Entwicklung nicht ausreichend – das „richtige“ Personal
ist entscheidend (Raspe/van Oort 2006).
Basis-Strukturen müssen extern vernetzt sein. Studien
zeigen, dass für den Erfolg einer Wissensregion der Wissensaustausch über die Regionsgrenzen hinweg mitentscheidend ist – Regionen hängen auch vom Input an ex­
ternem Wissen ab, zumal Betriebe immer spezialisierter
arbeiten, wofür die Region nicht mehr die alleinige InputEbene sein kann (vgl. Simmie 2005). Vielmehr ermöglicht
die moderne IuK-Technik, dass sich die Wertschöpfungsketten global ausrichten, länger und global verteilt werden. FROMHOLD-EISEBITH plädiert deshalb für eine Vernetzung von regionalen, nationalen und internationalen
„innovation systems“ (Fromhold-Eisebith 2007).
Die Trennung von Produktion, Vermittlung und Nutzung ist bei Wissen häufig nur theoretischer Natur, weil
in der Praxis Wissensregionen sich gerade dadurch auszeichnen, dass jeder der Akteure gleichzeitig Produzent,
Vermittler und Nutzer sein kann. Allerdings sind die
Schwerpunkte unterschiedlich – so sind Forschungseinrichtungen primär Produzenten, Verwaltungsleute, Politiker und wirtschaftliche Praktiker primär Nutzer sowie
„Consultants“ primär Vermittler. Wegen dieser engen
Kopplung der Funktionen sind kooperative Netzwerke
für Wissensregionen typisch, allerdings in der spezifischen Form, dass solche Netzwerke nicht statische „Kartelle“ sind, sondern Anreizen der ständigen Wissensvermehrung und -nutzung ausgesetzt sind (z. B. über
externe Wettbewerbsimpulse, interne Prämien u. ä.).
Netzwerke sind wegen ihrer geringen formalen Strukturen, der Gleichrangigkeit der Akteure (es gibt praktisch keine
hierarchischen Strukturen) und wegen ihrer spezifischen
Handlungslogik, die auf Kommunikation und Verhandlung
beruht, ideale Organisationsformen für Informations- und
Wissensaustausch sowie für innovatorische Kommunikationsprozesse. Aber Netzwerke sind kein Instrument in dem
Sinne, dass sie „top-down“ und interventionistisch eingesetzt werden könnten: Denn sie entwickeln sich auf der Basis von freiwilligen Kooperationen. Aber funktionierende
Wissensregionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die
Voraussetzungen schaffen und sichern, dass Netzwerke
leicht entstehen und wirkungsvoll arbeiten können.
2) Komplementär-Strukturen unterstützen die BasisStrukturen. Insbesondere wirken sie wesentlich daraufhin hin, dass die Basis-Strukturen in ihrer Leistung
für die regionale Wirtschaftsentwicklung gefördert
und in ihren Potenzialen entfaltet werden. Dazu gehören in erster Linie:
n komplementäre Infrastruktureinrichtungen (z. B. Kommunikations-Infrastruktur, Wissensmanagement-Systeme)
n komplementäre Arbeitsmarktstrukturen (z. B. Ausbildungs- und Fortbildungseinrichtungen, Arbeitsvermittlungen)
n
n
komplementäre Migrationspolitiken (z. B. Attrahierung von Ausländern, Förderung der Integration von
Ausländern)
komplementäre Dienstleistungen für Finanzierungsund Existenzgründungsfragen
3) Der dritte Funktionsbereich, der für eine Wissensregion wichtig ist, sind geeignete Steuerungs-Strukturen („governance“). Sie müssen Netzwerke organisieren, Akteure koordinieren und ihnen Führung geben,
aber auch über Rückkopplungsschleifen (Evaluation,
Monitoring) lernoffen sein. Steuerungs-Strukturen
müssen Anreize für Kooperation und Vernetzungen
aufweisen. Dabei sind für die Governance in der Re­
gion drei Ebenen wichtig: zwischen wirtschaftlichen
Akteuren, zwischen wirtschaftlichen und politischadministrativen Akteuren und zwischen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren.
Führung ist allerdings ein schillernder Begriff. Für
Wissensregionen sind vor allem drei Funktionsbereiche wichtig: a) Koordination der Akteure, b) Impuls­
geber/„facilitator“ und c) Förderung kollektiver Lernprozesse. Wissensregionen kranken meist an
fehlender Führung, weil Wissensregionen nicht „verfasst“ sind (Fehlen institutioneller „natürlicher“ Führung), es immer eine Vielzahl von Impuls- und Steuerungsstellen gibt und die Verantwortung für
gemeinsames Handeln diffus ist („kollektive Unverantwortlichkeit“)
n Impulsgeber sind Akteure mit direkter Funktion in der
Entwicklung einer Wissensregion (z. B. regionale
Wirtschaftsförderer) sowie Akteure, die Anreize setzen können, ohne selbst für die Regionalentwicklung
tätig zu werden (z. B. Stiftungen)
n inter-sektorale Koordinations- und KonfliktregelungsStellen werden meist durch organisierte Foren geschaffen
n Medien (Zeitung, Radio, Fernsehen) wirken diffus in
den Steuerungs-Strukturen mit, ohne jedoch Führungsfunktion wahrzunehmen.
Die zentrale Rolle von „Governance“ in Wissensregionen wird jedoch weitgehend anerkannt (Cooke/Heidenreich/Braczyk 2004). Aber wie eine erfolgreiche
Governance beschaffen sein muss und wie weit sie
überhaupt von „Machern“ gestaltet werden kann, ist
offen: „More in-depth research is needed into the
governance of the knowledge economy“ (van Winden,
van den Berg, Pol 2007, 547).
4. Ergänzende Unterstützungen
Während die eben genannten Funktionsbereiche noch
vergleichbar gut sichtbar (und in gewisser Weise politisch auch gestaltbar sind), findet man in funktionierenden Wissensregionen weitere Elemente, deren Bedeutung für die Wirksamkeit der Wissensregion weniger klar
ist, die aber offensichtlich unabdingbar sind. Dazu ge­
hören zunächst einmal alle Maßnahmen, welche die
Wissensökonomie
­ isikokosten innovatorischer Ansätze mindern helfen.
R
Risikokosten betreffen den leichten und erschwinglichen Zugang zu Beratungsleistungen im Aufbau und in
der Durchführung von Existenzgründungen. Hier haben
sich Technologie- und Gründungszentren sehr bewährt,
aber auch organisierte Netzwerke, Coaching u. ä. für „StartUps“ sind wichtig. Schwierigkeiten liegen auch darin, Prozesse zu etablieren, die den Transfer von Wissensproduk­
tion in Wissens-Umsetzung oder von Wissen in Innovation
erleichtern. Dazu wird in der Literatur vorgeschlagen, „Wissensbilanzen“ aufzustellen (die das in der Region verfügbare Wissen und Know-how transparent machen) und
„Querschnittakteure“ einzusetzen, welche die Verbindungen über die fragmentierten, sektoralisierten Handlungsstrukturen der Region hinweg ermöglichen. Das können
„knowledge guides“ sein, die helfen, die „richtigen“ Fragen
zu formulieren, aber auch Unternehmensberater können
diese Funktion wahrnehmen.
Des Weiteren sind „Synapsen“ zwischen den Akteuren
einer Wissensregion notwendig, um Impulse auffangen
und nutzen zu können. Hier sind i. d. R. Großunternehmen erfolgreicher als KMU, weil Großunternehmen über
Forschungseinrichtungen und Stabstellen geeignete
„Grenzgänger“ zu anderen Akteuren haben, ins­besondere
zu Forschungseinrichtungen. Solche Grenzgänger sind
dadurch gekennzeichnet, dass sie die Bedürfnisse ihrer
Betriebe gut kennen, gleichzeitig aber auch nachvollziehen können, was in Forschung und ­W issenschaft passiert, sodass sie relativ schnell die ­erforderlichen Querverbindungen herstellen können. Meist sind solche
Grenzgänger eingebunden in regionale Wissens-Milieus,
d. h. Netzwerke, an denen Akteure aus Forschung und
Umsetzung beteiligt sind (Matthiesen/Bürkner 2004).
Gut funktionierende Wissensregionen unterhalten
meist auch irgendeine Form von organisierten kollektiven Lernprozessen. Gemeint sind damit Rückkopplungsschleifen, die den Akteuren signalisieren, ob sie mit ihren Maßnahmen auf dem richtigen Wege sind oder wo
Verbesserungen notwendig sein könnten. Das sind vor
allem Formen der Prozess-Evaluierung und Anreize für
kollektives Handeln.
Vielfach wird dabei allerdings zu wenig berücksichtigt, dass Innovationen auch Verlierer schaffen, nämlich
diejenigen, die ihr Vermögen oder ihr Know-how durch
Innovationen entwertet sehen und möglicherweise aus
dem Markt gedrängt werden. Wenn es viele sind, die zudem einflussreich positioniert sind oder sich gut organisieren können, können dadurch innovatorische Prozesse
in einer Region blockiert werden. Um das zu verhindern,
sind Kompensations-Mechanismen erforderlich, welche
die mit Innovationen/ Veränderungen verbundenen Kosten erträglich halten und Verlierer des Wandels in gewisser Weise „auffangen“ (z. B. Auffangstrukturen auf dem
Arbeitsmarkt).
Letztlich sollte auch nicht unterschätzt werden, dass
Wissensregionen komplementäre sozio-kulturelle Be-
dingungen erfordern, nämlich dafür geeignete Mentalitäten in der Region. Dazu gehören: Offenheit und Toleranz für Neues und für alternative Lebensstile, Vertrauen
auf der Basis von kooperativen Partnerschaften, Kommunikationsfreude, höhere Risikobereitschaft, aktive
Annahme neuer Herausforderungen, Selbstvertrauen
und insbesondere Selbstverantwortung für das eigene
Geschick.1
5. Gestaltbarkeit der Wissensregionen?
Über die Gestaltbarkeit von Wissensregionen wird in der
Literatur viel gestritten. Marktwirtschaftlich orientierte
Wissenschaftler sind sehr skeptisch, weil sie nicht glauben, dass so komplexe Systeme wie Wissensgesellschaften, die zudem von Initiativen vieler Einzelakteure leben,
systematisch entwickelt werden können. Kommunitaristisch ausgerichtete Wissenschaftler, die dem ­kollektiven
Handeln sehr viel mehr zutrauen, sind eher optimistisch
gestimmt: In modernen, fragmentierten Gesellschaften
mit marktwirtschaftlicher Steuerung ist gerade das Gemeinwohldenken, das Denken in Kollektivgütern, eher
unterentwickelt. Da Wissen ein Gut ist, das sich durch
Kooperation vermehrt, und Risiken der Wissensumsetzung im Kollektiv leichter zu tragen sind als individuell,
gehen diese Wissenschaftler davon aus, dass Wissens­
regionen zumindest politisch-administrativ (oder zivilgesellschaftlich) unterstützt werden müssen. Z. B. bedarf
es einer „kritischen Masse“ von vernetzten Akteuren mit
innovativer Mentalität und Offenheit für neue Ideen, ein
„konstruktiver Handlungsdruck“ ist erforderlich (der als
„challenge“ Ideen und Handlungen freisetzt), man
braucht Handlungsmöglichkeiten (die vor allem dann
eingeengt sind, wenn eine starke Pfadabhängigkeit von
nicht-zukunftsfähigen Wirtschaftsstrukturen vorliegt),
und die vorhandenen Strukturen müssen ­anschlussfähig
für neue Entwicklungspfade sein: Kollektives Lernen bindet sich an vorhandenes Gelerntes zurück, hohe Transaktionskosten von Veränderungen unterdrücken dagegen Lernen. Gleichwohl sind die regionalen „Begabungen“
unterschiedlich: Verdichtungsräume oder „Metropolregionen“ sind hier deutlich im Vorteil, weil „the development of Europe‘s economic territory can be chraracterised as a process of metropolisation of economic
development potentials and innovation capacities“
(Krätke 2007, 25). Sie sind die Räume mit der höchsten
„Begabung“ für Wissensregionen, weil sie über eine
hoch qualifizierte Infrastruktur mit internationaler Anbindung verfügen, Zugang zu „the best and brightest“
Fachleuten haben und hoch-attraktive Räume für quali­
fiziertes Personal sind.
Deshalb bemüht sich fast jeder Verdichtungsraum,
„Wissensregion“ zu werden. Dabei ist jedoch nicht immer leicht zu erkennen, ob „Wissensregion“ nur als Marketing-Etikett verwendet wird, oder ob sich dahinter
Untersuchungen (z. B. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) zeigen die hohe Korrelation zwischen Sozialkapital, Risikoneigung, Offenheit für Neues mit
Innovationsfähigkeit (DIW-Wochenbericht v. 22.02.2006)
1
69
RegioPol eins 2008
70
auch eine neuartige Konzeption der Regionalentwicklung entfaltet.
6. K
önnte die Region Hannover eine Wissensregion sein?
n
Nach den vorliegenden Daten ist die Region Hannover
im interregionalen Vergleich (Deutschland) als Wissensregion gut positioniert:
a) Basisstrukturen: Wissensproduzenten,
Wissensnutzer, Wissensvermittler
n
n
Quantitativ nimmt Hannover hier eine gute Position
ein. Problematisch ist, ob die Hochschul- und Forschungseinrichtungen sich ausreichend auf die
­A nforderungen der regionalen Wirtschaft einlassen.
Jedoch scheint auch hier die Region relativ gut platziert zu sein: Die Netzwerkstudie (Brandt/Krätke
2007) zeigt die relativ gute Vernetzung in wichtigen
Kompetenzfeldern der Region wie Verfahrenstechnik, ­Informations- und Kommunikationstechnologie,
Ener­gie und Umwelt, Mobilität, Agrar- und Forstwirtschaft.
„Die Region Hannover ist ein überregional bedeutender Hochschul- und Forschungsstandort mit mehr als
37.000 Studierenden“ (Regionalmonitoring Niedersachsen 2005, 109). Ferner gilt: Der Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure liegt sowohl im verarbei­
tenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor
deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die Zahl der
Wissenschaftler und Ingenieure ist in den letzten Jahren insgesamt leicht gestiegen“ (Regionalmoni­toring
Niedersachsen 2005, 107). Die „Wissenschaftlerin­
tensität“ liegt in der Region mit 3,3 Prozent (bezogen
auf alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten,
2005) über dem Bundesdurchschnitt (2,9 Prozent), allerdings geringfügig unter dem Durchschnitt aller Metropolregionen (3,4 Prozent). Wesentlich höher sind
die Werte lediglich für die Metropol­regionen München
(5,8 Prozent) und Stuttgart (5,2 Prozent).
Die Region Hannover ist ein Hochschul- und Forschungsstandort (= für Forschungen außerhalb privater Unternehmen). Zur Region gehören u. a.: Univer­
sität Hannover, MHH, TiHo, Hochschule f. Musik u.
Theater, FHS Hannover, Ev. FHS Hannover sowie weitere ca. 1.000 Wissenschaftler in außeruniversi­t ären
Forschungs-Einrichtungen (Bundesanstalt f. Geowissenschaften u. Rohstoffe, Laser Zentrum Hannover,
Produktionszentrum Hannover, Max-Planck-Institute
u. a.). Der Anteil des FuE-Personals an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten liegt (2005) mit 6,4
Prozent oberhalb des Bundesdurchschnitts (5,3 Pro-
n
zent) und aller deutschen Metropolregionen (5,3 Prozent), wird aber von den Metropolregionen München
(13,7 Prozent), Stuttgart (8,5 Prozent) und von der
Stadt Hamburg (10,1 Prozent) deutlich übertroffen.
Wissensvermittler (Fortbildungseinrichtungen, Bibliotheken, Beratungsdienstleistungen, IuK-Dienstleistungen) sind ausreichend vorhanden, und mit der TIB verfügt die Region über eine herausragende Bibliothek für
Naturwissenschaften und Technik. Nimmt man die „unternehmensorientierten Dienstleister“ als Indikator, so
liegt die Region Hannover mit 28 Prozent des Dienstleistungspersonals (bezogen auf alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, 2005) deutlich über
dem Durchschnitt aller deutscher Metropolregionen
(23,7 Prozent). Lediglich die Metropolregionen München (31,5 Prozent), Frankfurt (41,9 Prozent) und die
Stadt Hamburg (35,2 Prozent) sind hier stärker vertreten. Bei IuK-Dienstleistungen wird die Region Hannover nur von Rhein-Neckar, München und Karlsruhe
übertroffen (Steincke 2007, 5).
Es wird relativ viel getan für „Start-Ups/Neugründungen“:
n Hannoverimpuls hat zahlreiche Initiativen für
­cluster-spezifische Unternehmens-Gründungen/
Attrahierungen gestartet wie Plug & Work (2005
mit Schwerpunkt auf der Informations- und Kommunikationsbranche), Lighthouse (2005, mit
Schwer­punkt auf optische Technologie) sowie generelle Initiativen für Neugründer organisiert wie
Business Labor, Summer und Winter School 2005,
Start-Up Impuls 2005
n mehr als 30 Technologietransferzentren unterstützen die Start-Ups und KMU
Dennoch scheint es einige Schwächen zu geben.
­ llerdings liegt dazu kein ausreichendes empirisches
A
Material vor, sodass es sich primär um subjektive Einschätzungen handelt. Vermutungen richten sich auf:
a) den möglicherweise zu geringen Besatz an hoch qualifizierten Arbeitskräften (Fachhochschul- und Hochschulabschluss) in den sozialversicherungspflich­t i­gen
Beschäftigungsverhältnissen: Der Anteil Hoch­quali­
fizierter lag in den Zentren der Metropolregion Hannover2 (2005) bei 10,5 Prozent, in den Zentren aller
übrigen Metropolregionen aber deutlich höher3. Das
könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass das
verarbeitende Gewerbe noch einen relativ großen
­A nteil an der Wertschöpfung hat.
b) die relativ geringe Einbindung der größeren Unternehmen und Forschungseinrichtungen in die Region.
Obwohl die Region Hannover mit 23 der 100 größten
Unternehmen Niedersachsens (NORD/LB 2006) und
16 Konzernzentralen (Durchschnitt der 50 größten
deutschen Städte = 12) 4 unternehmerisches FuE-­
Potenzial besitzt, sind die FuE-Kapazitäten häufig zu
Stadt Braunschweig, Region Hannover, Kreis Göttingen
München: 20,1%, Stuttgart: 19,9% Nürnberg: 13,6%, Hamburg: 12,1%, Bremen/Oldenburg: 11,0%
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft/Wirtschaftswoche 2006
2
3
4
Wissensökonomie
wenig auf die regionalen FuE-Potenziale ausgerichtet. Zudem gibt es überdurchschnittlich viele Betriebe, die lediglich Konzern-Dependencen mit geringer
FuE-Kapazität sind. „Forschung und Entwicklung“ außerhalb der Hochschulen ist in der Region Hannover
„ausgesprochen schwach ausgeprägt“ (Entwicklungsbericht 2005, 39). Die geringe außeruniversitäre Forschung oder das geringe Potenzial, vorhandenes Wissen in Innovationen umzusetzen, wird auch durch die
Patententwicklung bestätigt: Im Durchschnitt der Jahre
1995–2000 wurden in der Region Hannover jährlich 3,8
Patente je 10.000 E angemeldet, in der Region Stuttgart jedoch 12,4 und in der Region Nürnberg 8,9. In
Stuttgart geht zudem die überwiegende Zahl der Anmeldungen auf drei Großkonzerne zurück (2003: 2.200
Anmeldungen der drei Großkonzerne gegenüber 1.500
sonstigen Anmeldern: Kumm 2006, 69). Es fehlt ins­
besondere an ausreichend „Systemführern“, die in bestimmten Clustern und Kompetenzfeldern wesentliche
Impulsgeber und Netzwerker sind.
c) die relativ starke Pfadabhängigkeit der Wissensvernetzung (abhängig von älteren Wirtschaftsstrukturen) und die relativ hohen Kosten, auf neue Pfade umzusteigen (z. B. auch fehlendes Know-how des
Umstiegs): „Von den rund 4.500 Wissenschaftlern
und Ingenieuren im verarbeitenden Gewerbe entfällt
je ein Fünftel auf den Straßenfahrzeugbau und die
Gummiverarbeitung. Weitere wichtige Branchen mit
einem vergleichsweise hohen Anteil an Wissenschaftlern und Ingenieuren sind der Maschinenbau, die
Elektronik und die Elektrotechnik“ (Regionalreport
NIW S.107).
d) die schwache Einbindung der KMU in die Wissensvernetzung, was allerdings in anderen deutschen Regionen auch kaum besser gelungen ist. Zwar gibt es in
der Region Hannover eine Reihe von Unterstützungsmaßnahmen für KMU: z. B. über Technologietransferstellen, Innovationsberater in den Kammern und Beratungsbüros und Fördermaßnahmen. Aber bei einer
Allensbachbefragung von 2003 (im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung) wurde die Stadt Hannover von
den befragten KMU hinsichtlich Wirtschaftsfreundlichkeit und Wirtschaftsförderung nur auf Rang 21
(von 25 untersuchten Städten) gesetzt, wobei besonders kritisch angemerkt wurden: die Leistung der
Wirtschaftsförderungseinrichtungen (Rang 25), die
sonstigen städtischen Dienstleistungen (Rang 21),
die IHK (Rang 24), das Arbeitsamt (Rang 19) und die
Kreditinstitute (Rang 17).5 27 Prozent der befragten
Unternehmer würden zu Investitionen in der Stadt
abraten (im Vergleich: 21% im Durchschnitt aller befragten Städte). Allerdings sollte man solche Befragungen aus methodischen Gründen nicht zu hoch
bewerten6. Sie erlauben lediglich Tendenz-Aussagen.
Dennoch: Eine Untersuchung von 20 Städten auf Basis der Unternehmensbefragungen (2006) ergab für
den Index „Unternehmerfreundlichkeit“ nur den Mittelwert von 2,63 (Durchschnitt = 2,76).7
e) die zu schmale Wissensvernetzung zwischen Forschungseinrichtungen und Betrieben: Sie wird noch
immer viel zu häufig nicht systematisch herbeigeführt (Kooperationen als Zufalls-Ereignisse) 8, sie ist
zudem zu eng projektbezogen und zu wenig offen
für nicht-planbare Neuerungen („spielerische Innova­
tion“). Ansätze der Hannoverimpuls GmbH sind bemüht, hier Verbesserungen zu erreichen.
b) Komplementärstrukturen
Komplementärstrukturen sind überdurchschnittlich gut
ausgebildet, insbesondere hinsichtlich
n
n
n
IuK-Technologie (Steincke 2007, 5), überregionale
Verkehrsanbindung, ÖPNV,
Aus- und Fortbildungseinrichtungen (Es gibt eine
Vielzahl solcher Einrichtungen, teilweise unterstützt
von den Kammern, zudem engagieren sich die regionalen Hochschulen in der Fortbildung.),
sowie Lebensqualität, Wohnungsmarkt und Einkaufsmöglichkeiten – eine Bewertung durch eine Umfrage
bei Unternehmen durch Ernst & Young aus dem Jahre
2006 ergab für Hannover die Note 2,96 (Durchschnitt
aller beteiligten 20 Städte: 3,00).
Schwächen zeigen sich möglicherweise in Folgendem, was zur Zeit jedoch nur ein „informed guess“ ist,
der empirisch nicht belegt ist:
a) die Abstimmung zwischen den Einrichtungen im Bereich Fort- und Ausbildung: Sie gilt als sub-optimal –
hier fehlt ein geeignetes Koordinationssystem mit
angeschlossenem „Wissensmanagement“.
b) Risikokapital für KMU: Es bildet noch immer einen
Engpass, zumal sich auch das Sparkassensystem aus
diesem Finanzierungs-Sektor zurückzieht.
c) Mentalitäts-Charakteristika: In gewisser Weise könnten auch Mentalitäts-Merkmale negativ wirken: eine
zu große Risiko-Aversion, ein zu geringes „kollekti­ves Selbstbewusstsein“ u. ä. Nach Zahlen des ZEW/
25 Städte wurden untersucht, 2.566 KMU befragt, davon 104 in Hannover.
Es werden subjektive Eindrücke vermittelt, die nichtvergleichbaren (subjektiven) Bewertungsskalen unterliegen. Zudem sind hierbei Durchschnittswerte wenig
aussagefähig – es kommt primär auf die Streuung an. Ferner können die Antworten von emotionalen Frustrationserfahrungen beeinflusst sein, dass sich die
Stadtverwaltung primär mit den großen Unternehmen befasst und die kleineren eher vernachlässigt: Darauf deutet hin, dass Berlin, Frankfurt, Köln und
München in der Rangordnung bei den Befragten noch hinter Hannover rangieren.
7
Untersuchung von Ernst & Young aus dem Jahre 2006; „Notengebung“ von 1-4, 4 = sehr zufrieden; „Unternehmerfreundlichkeit“ umfasst die Leistungen der
Stadtverwaltung, der regionalen Politik, der IHK, des Arbeitsamtes und der Wirtschaftsförderung)
8
Bei vielen Betrieben spielen persönliche Netzwerke oder Hochschulverbindungen vom Studium her eine wesentlich größere Rolle in der Wissenschaft-PraxisKooperation als eine systematische Auswertung der verfügbaren wissenschaftlichen Potenziale
5
6
71
RegioPol eins 2008
72
Mannheim steht die Region Hannover im Vergleich
mit anderen deutschen Zentren vergleichsweise
schlecht da (Bezugsjahre: 2001–2004, Deutschland =
100): Die Region erhält danach den Wert 96, während
die Zentren aller anderen Metropolregionen darüber
liegen. Aber das ist zu differenzieren: Zwar schnitt
die Region Hannover im Vergleich zu den meisten
­Metropolregionen Deutschlands unterdurchschnittlich ab9, aber vergleichbare Regionen waren eben­falls nicht sonderlich erfolgreich.10 Auch in einer Auswertung des Regional Entrepreneurship Monitor für
200311 (Oberschachtsiek 2003) steht die Region Hannover im Vergleich mit zehn anderen deutschen Verdichtungsräumen bei den meisten Indikatoren nicht
schlecht da: mindestens als „durchschnittlich“ bei
­einigen sogar „überdurchschnittlich“. Das gilt für die
Einschätzung von Gründungschancen, für die Angst
vor Scheitern als Gründungshemmnis sowie für die
Rahmenbedingungen, Finanzierungsmöglichkeiten
und Umgang mit Behörden. Lediglich bei den Fragen,
wie die Befragten ihre eigenen Gründungsfähig­
keiten, ihre „Fördermöglichkeiten“ und ihre „Weiterbildungsmöglichkeiten“ einschätzten, kam die Re­
gion in der Meinung der Befragten schlecht weg.
c)
Die „governance“ der Wissensregion:
Die auf Wissensregionen ausgerichtete Governance ist
üblicherweise ein Schwachpunkt fast aller Wissensre­
gionen. Sie wird noch immer zu stark von politisch-ad­
ministrativen Akteuren und zu wenig aus der Wirtschaft
und den Hochschulen bestimmt. Auch die Region Hannover scheint hier Schwächen zu haben, und zwar bezogen auf
n
n
n
n
„langfristige strategische Kooperation“: die Vernetzungen erfolgen primär projektbezogen (s. Brandt/
Krätke 2007),
flexible Ressourcennutzung: Ressourcen sind schwierig auf neue Themen zu lenken,
Wettbewerbsanreize für innovatorisches, interdisziplinäres Verhalten,
geeignete Foren der nicht-zweckgerichteten Inter­
aktion und insbesondere der intersektoralen und
­interdisziplinären personellen Vernetzungen über
Clubs, Arbeitsgruppen, Gesprächskreise etc., um
­eingefahrene institutionelle Routinen leichter aufbrechen zu lassen und neue Ideen zu kreieren. In
­Hannover dominieren primär Vernetzungen und fach-
n
gebundene Netzwerke (z. B. Messe Hannover: Förderung der Region als „Wissenschaftsstandort“, FHS
Hannover: „Kompetenzzentrum“ zur Energietechnik;
„Hannoverimpuls“: Branchenforen für Wissenstransfer, „Pro Hannover Region“ für Vernetzung der Wirtschaft, „Civilia Hannover e. V.“ zur Vernetzung von
Politik und Wirtschaft) sowie räumliche Cluster von
wissensintensiven Produzenten (z. B. Wissenschaftspark Hannover/Garbsen, Produktionszentrum Hannover; Technologiezentrum TCH, EXPO Park). Aber es
gibt noch zu wenige Netzwerke im Sinne der GRABHERschen communality12, auch wenn sich die Situa­
tion gegenüber einer Studie aus dem Jahr 1999/2000
(Schubert et al. 2001) deutlich verbessert hat,
Promotoren-Strukturen, die neue Prozesse anstoßen
und dafür Mitstreiter gewinnen können: Es fehlt offenbar an einer „development coalition“, d. h. einer
„place-based alliance of social, economic and political actors dedicated to economic growth in a specific
location“ (Keating 1998, 144). Die regionalen Groß­
unternehmen halten sich hier zu stark zurück und
scheinen sich zu wenig für die Regionsentwicklung zu
interessieren.
Solche Einschätzungen sind allerdings mit Vorsicht zu
behandeln. Denn Mangel an regionaler Akteursvernetzung muss nicht nachteilig für die Regionsentwicklung
wirken. So kann eine starke überregionale Vernetzung
ein Hinweis auf hohe Offenheit für neue Ideen und An­
regungen sein (Einbezug von Ideen und Wissen aus anderen Regionen). Aber sie kann genauso gut auch Zeichen für einen Schwachpunkt der Wissensregion sein:
Eine Wissensregion entfaltet sich nicht, wenn sich attraktive Netzwerkpartner in der Region nicht entwickeln
können, weil es an einem stimulierenden Umfeld mangelt oder weil regionale Nachfrager die Potenziale der
Region ignorieren oder weil die potenziellen Netzwerkführer sich von vornherein gar nicht für ihre Region als
Adressat interessieren.
Durchschnittliches Niveau der Unternehmensgründungen 2001 bis 2004 je Erwerbsfähigem, Deutschland = 100: Region Hannover = 96
Metropolregion Stuttgart = 83, Nürnberg = 96, Bremen/Oldenburg 100
11
Der Regional Entrepreneurship Monitor wurde von Sternberg/Wagner (Hannover/Lüneburg) nach dem Vorbild des „Global Entrepreneurship Monitor“ in
Deutschland aufgebaut und deckt 11 Regionen ab: Köln, Hannover, München, Stuttgart, Lüneburg, Schleswig-Holstein, Main-Rhön, Mittelhessen, Westsachsen,
Mittleres Mecklenburg und Emscher-Lippe. Befragt wurden je Region 1.000 (Hannover: 2.000) repräsentativ ausgewählte Personen zwischen 18 und 64 Jahren
12
„communality“: dauerhafte Netzwerke, über Projekte hinausgehend, beziehungsorientiert, mit hohem Grad des Sozialkapitals, über fachliche Abgrenzungen
hinausreichend.
9
10
Wissensökonomie
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74
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
75
Martin Riemer-Streicher, Anne Neumann
Wirtschaftspolitik
in der ­Wissensökonomie
Regelwerke, Zielvorgaben, Zusammenhänge, Beobachtungen
G
anz allgemein kümmert sich die Wirtschafts­
politik um die Rahmenbedingungen für Unternehmen in einer politisch definierten Fläche.
Die zur Verfügung stehenden Gestaltungselemente sind
die Mitarbeit an und Durchführung von gesetzlichen
Rahmenbedingungen durch Gesetze, Verordnungen,
Richtlinien usw. sowie die Wirtschaftsförderung durch
finanzielle Anreize über Förderprogramme und organisatorische Hilfestellungen wie Netzwerke oder Bera­
tungen.
Die Wirtschaftspolitik in einem Bundesland ist eingebunden in die Regelungen und Absprachen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Die
dort verabredeten Ziele und Rahmen sind Leitlinien für
die Umsetzung von Politik in den einzelnen Bundes­
ländern. Der Handlungsspielraum ist dadurch begrenzt.
Theoretisch ist davon auszugehen, dass die Rahmenbedingungen in ganz Europa gleich sind. Was in Niedersachsen möglich ist, gilt auch überall in Europa und
­umgekehrt. Dennoch sind der Mix der Instrumente und
die Art und Weise der Umsetzung unterschiedlich und
kennzeichnen den Wettbewerb der Regionen untereinander.
Der Alltag der Wirtschaftspolitik in Niedersachsen
lässt sich anhand der zentralen politischen Wirkungs­
felder der Lissabon-Strategie beschreiben. Erstes Ziel
ist die Realisierung der Wissensgesellschaft auf Basis
der Vereinbarung der EU-Staats- und Regierungschefs:
1. „Die Unternehmen und die Bürger müssen Zugang zu
einer kostengünstigen Kommunikationsinfrastruktur
von internationalem Rang und zu einer breiten Pa­
lette von Dienstleistungen haben.
2. Jedem Bürger müssen die Fähigkeiten vermittelt werden, die für das Leben und die Arbeit in dieser neuen
Informationsgesellschaft erforderlich sind.
3. Das lebenslange Lernen muss als Grundbestandteil
des europäischen Gesellschaftsmodells aufgewertet
werden.“ (http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/
cms_Data/docs/pressData/de/ec/00100-r1.d0.htm)
b Objekt, PhantasieMechanik, phæno Wolfsburg (Detail)
Die Wissensökonomie beschreibt den Zusammenhang von Wissen und wirtschaftlichem Erfolg einzelner
Unternehmen sowie den erfolgreichen Wettbewerb zwischen Volkswirtschaften. Ein Beispiel dafür ist die Erfolgsgeschichte der deutschen Exportwirtschaft. Im
­Vordergrund der Exporte stehen zwar Industrieprodukte
und nicht etwa wissensbasierte Dienstleistungen. Aber
Wissen und wissensbasierte Dienstleistungen stecken
in den Industrieprodukten, den Maschinen, den Fahr­
zeugen, den Elektro- und Elektronikerzeugnissen oder
Industrieanlagen. Nicht die günstigen Rohstoffe oder
niedrige Löhne oder Subventionen oder Steuerbefrei­
ungen sind die Grundlage des Erfolges. Es sind die hohe
Qualität und der hohe Nutzen dieser Produkte, und diese
Eigenschaften sind wissensbasiert. Auch die Kosten bzw.
Preise der deutschen Produkte sind trotz hoher Löhne
wettbewerbsfähig. Diese hohe Wettbewerbsfähigkeit
ist durch Prozessreorganisation und -innovationen erzielt worden. Wesentliche Voraussetzung dieses Erfolges ist ein hohes allgemeines Ausbildungsniveau und
die Fähigkeit, aus verschiedenen Disziplinen Wissen
­zusammenzuführen und umzusetzen.
Wissen ist mehr als das enzyklopädische Wissen. Zum
theoretischen Wissen muss das praktische Können
­kommen. Also das Rechnen als Wissensgrundlage für
die ­Erstellung von Kalkulationen und das Lesen und
­Schreiben als Wissensgrundlage beispielsweise für das
Gestalten von Werbebotschaften. Je komplexer die Herausforderung, umso höher ist die benötigte Qualifika­
tion und desto länger der Qualifizierungsweg und umso
geringer ist die Zahl derjenigen, die das Qualifikations­
niveau ­erreichen, z. B. wenn es um die Konstruktion
­komplexer Industrieanlagen geht. Dieser Mechanismus
ist vergleichbar mit dem Spitzensport. Es gibt nur eine
überschaubare Gruppe von Menschen, die für diese
­Leistungen in Frage kommt und diese Personen sind
sehr begehrt!
Darüber hinaus ist für die Wirtschaft eine weitere Eigenschaft besonders wichtig, die aber mit organisierter
Qualifizierung kaum zu erfassen ist. Man spricht von Pionier- oder Erfindergeist und unternehmerischem Risiko.
76
RegioPol eins 2008
Während sich der Spitzensport in einem geregelten
­Gefüge befindet, handelt es sich hier um geniale Köpfe,
die nicht aus der vorgegebenen Struktur kommen
­müssen. Sie bewegen sich in Bereichen, die bisher nicht
erschlossen waren. Sie sind es, die all das gangbar
­machen, was bisher nicht zu gehen schien. Diese Köpfe,
die allein oder mit ihren Teams Innovationen schaffen,
Produkte wettbewerbsfähiger machen oder neue Produkte und Problemlösungen erarbeiten, sind der Motor
einer innovativen Ökonomie. Hier ist das Risiko zu Hause
und nicht jedes Vorhaben gelingt oder ist gar ein öko­
nomischer Erfolg.
Die Träger dieser Eigenschaften stammen aus ganz
verschiedenen Bereichen, aus der wissenschaftlichen
Forschung, aus der Forschung und Entwicklung von
­Unternehmen, aus der Produktion und dem Vertrieb,
­sowohl aus Großunternehmen als auch kleinen Unter­
nehmen oder aus privatem Engagement. Es sind Krea­
tivität, Gestaltungswille und Entdeckereigenschaften
gefordert, die man nur bedingt trainieren und erfahren
kann. In einer Volkswirtschaft gehört dieser Personenkreis zu den entscheidenden Leistungsträgern. Aber wie
sollen Unternehmen diese Personen erkennen, um sie
zu engagieren, zu unterstützen, zu finanzieren oder mit
Ihnen zu kooperieren? Eine Stecknadel im Heuhaufen
­suchen? Oft teilen diese genialen Köpfe ihr Schicksal mit
denen von Künstlern, deren Werke erst nach ihrem Tode
zu Ehren kommen. Und weil die Suche nach ihnen so
schwierig ist, gehen Unternehmen zum Teil dazu über,
nicht die Personen zu suchen, sondern ihre Werke. Die
Forschungs- und Entwicklungsbudgets werden nicht in
die eigene Forschung investiert, sondern in innovative
Unternehmen, deren Produkte und Marktfähigkeit sich
bereits abzeichnen. Den findigen Kopf kauft man gleich
mit und reduziert so das Risiko einer „Fehlentwicklung“
drastisch – kaufen statt selber Innovationen entwickeln,
ist ein erkennbarer Trend.
Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen arbeiten
Regierungen und Verwaltungen daran, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass nutzbares Wissen für
die Wirtschaft entsteht und dazu beiträgt, ihre Leistungsfähigkeit im Wettbewerb zu stärken. Die Marktwirtschaft steht und fällt mit dem Leistungswettbewerb,
wie die offene Gesellschaft insgesamt. Schließlich ist
der Wettbewerb ein „Entdeckungsverfahren“, das neues
Wissen in vielfältiger Gestalt hervorbringt und durchsetzt, manchmal auch scheitert (von Hayek 1969, S. 249
ff.) Aus Sicht einer deskriptiven Ökonomie sind folgende
vier Aspekte des Wissens für die Wirtschaft derzeit besonders wichtig:
1. breite Wissensbasis, damit weiteres Wissen und Können auf möglichst vielen „Schultern“ getragen werden kann;
2. laufende Qualifizierung, damit Wissen erhalten, weiterentwickelt und an neue Situationen angepasst
werden kann;
3. Exzellenzwissen, damit eine Vielzahl von Innovationen entsteht, aus der ausgewählt werden kann, und
die Zahl der überlebensfähigen/marktgängigen Entwicklungen möglichst groß ist;
4. Wissen als Wirtschaftsgut, damit der Spagat zwischen
erwünschtem Wissenstransfer und dem Recht an der
individuellen Idee geklärt werden kann.
1. Breite Wissensbasis
Mit einer breiten Wissensbasis ist gemeint, dass möglichst viele Menschen über ein Wissen verfügen, auf das
aufgebaut werden kann. Für die Wirtschaft ist diese
­W issensbasis wichtig, weil sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter braucht, die über genügend Grundlagen ver­
fügen, um den laufend wachsenden Anforderungen in
einem modernen Unternehmen gerecht werden zu können. Das gelingt über die duale Berufsbildung und die
verschiedenen Akademien und Hochschulausbildungen.
Spezialisten beschaffen sich Unternehmen am Arbeitsmarkt. Die Anforderungen auf Seiten der Unternehmen
wachsen und es wird schwieriger und teurer, geeignete
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Diese
Entwicklung wird sich zukünftig noch verschärfen, weil
mindestens für die nächsten 20 Jahre mit einem Rückgang der Zahl der Menschen zu rechnen ist, die ins Wirtschaftsleben eintreten. Neben den Aufgaben, die hier
das öffentliche und private Schul- und Hochschulsystem
zu erfüllen hat, ist es wichtig, die Grundlagen dafür zu
schaffen, dass an jedem Ort und zu jeder Zeit der Zugang
zu aktuellem Wissen für jeden ermöglicht wird. Was bisher Aufgabe von Bibliotheken, Volkshochschulen, klassischen Medien usw. war, wird ergänzt und zunehmend
abgelöst durch das Internet.
Das Internet revolutionierte unsere Welt in gleichem
Maße wie die Erfindung des Buchdrucks oder der Dampfmaschine. Das Internet ist das Betriebssystem unserer
modernen Gesellschaft. Es stellt jederzeit abrufbares
Wissen zur Verfügung, ermöglicht Konzernen, ihre Buchhaltung in Indien über Nacht erledigen zu lassen, 24
Stunden, 7 Tage, 52 Wochen. Damit ist der Zugang zum
Internet ein Standortfaktor mit vergleichbarer Bedeutung wie die klassischen Infrastrukturen Straße oder
Schiene geworden. Standortentscheidungen sowohl von
Unternehmen wie auch Privathaushalten werden in zunehmendem Maße von der Verfügbarkeit leistungsstarker Kommunikationsinfrastruktur abhängig gemacht.
Nun ist das Internet nicht gleichzusetzen mit Wissen,
aber es erleichtert den Zugang zu Wissen und bietet
­völlig neue Möglichkeiten. Suchmaschinen und andere
wissens(ver)schaffende Dienste machen dieses Medium
unerlässlich für Volkswirtschaften, in denen überwiegend wissensbasierte Industrieprodukte und Dienst­
leistungen produziert werden. Da Internet ein univer­
selles Medium ist, ist langfristig davon auszugehen, dass
es überall verfügbar sein wird. Diese Anforderung ist
­ak­tuell noch nicht erfüllt. Das Ziel „Verbreiterung der
­W issensbasis“ stützt sich auf Gleichbehandlungs­grund­
sätze, die in ihrem Geist im Grundgesetz zur Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse verankert sind, ins-
Wissensökonomie
besondere in Art. 91a und 104b. Daraus folgt die Notwendigkeit, Disparitäten in der Breitbandanbindung abzubauen. Das Wirtschaftsressort, das auch für die
wesentlichen Infrastrukturmaßnahmen zuständig ist,
hat diesen Auftrag übernommen. Diese Aufgabe ist hoch
komplex und zeigt beispielhaft, wie das Gefüge von
­Unternehmen, Nachfragern, Administration und Recht
zusammengebracht werden muss, um den gerechten
­Zugang zu Wissen schneller zu ermöglichen, als es der
Markt schafft.
Der Telekommunikationsmarkt ist liberalisiert und
funktioniert nach marktwirtschaftlichen Prinzipien. Im
Hinblick auf den Ausbau breitbandiger Netze stellt dies
für Flächenländer wie Niedersachsen eine besondere
Herausforderung dar. Der Ausbau der Infrastruktur erfolgt nach betriebswirtschaftlichen Kriterien, sodass
dicht besiedelte Gebiete in erster Linie angeschlossen
werden, weil sich hier die Geschäftsmodelle der Anbieter
rechnen und mit den geringsten Risiken verbunden sind.
Regionen, die dünn besiedelt oder abgelegen sind, werden beim Ausbau bisher vernachlässigt. Die betroffenen
Kommunen können und wollen diesen Zustand nicht
hinnehmen, sehen sie sich doch der Gefahr ausgesetzt,
den Anschluss in der globalisierten Wissensgesellschaft
zu verlieren und deutliche Nachteile als Standort zu
­haben.
Die Niedersächsische Landesregierung arbeitet daran, das entstandene Ungleichgewicht auszubalancieren.
Im Mittelpunkt der niedersächsischen Aktivitäten steht
dabei das Breitband Kompetenz Zentrum Niedersachsen
in Osterholz-Scharmbeck. Dieses Zentrum steht den bisher un- bzw. unterversorgten Kommunen als Ansprechpartner zur Verfügung. Mit Hilfe von standardisierten
Tools werden die Gemeinden in die Lage versetzt, ihre
Bedarfe zu analysieren, dem ersten Schritt zur Schließung der Lücke in der Breitbandanbindung. Gemeinsam
mit dem Breitband Kompetenz Zentrum Niedersachsen
können dann auf Basis der Bedarfsanalyse die technischen Möglichkeiten ausgelotet werden, die betriebswirtschaftlichen Alternativen berechnet sowie potenzielle Provider angesprochen werden. Auch technische
Alternativen zur klassischen DSL-Technologie werden in
Betracht gezogen (www.breitband-niedersachsen.de).
Führen all diese Bemühungen nicht zu einer Lösung
aus dem Markt heraus, hat die Niedersächsische Landesregierung Mittel aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung, die als ultima ratio eingesetzt werden
können. Öffentlich finanzierte Investitionen werden in
Einzelfällen aller Voraussicht nach erforderlich sein. Sie
sind aber auf Dauer nicht hilfreich, da bei den sich abzeichnenden Innovationsschüben aller Voraussicht nach
wieder keine funktionierenden Geschäftsmodelle vorliegen werden. Deshalb soll über das Niedersächsische
Breitband Kompetenz Zentrum versucht werden, raumübergreifende Kooperationen zu organisieren, damit
möglichst viele funktionierende Geschäftsmodelle entwickeln werden können, die auch den zukünftigen An­
forderungen genügen.
77
2. L
aufende Qualifizierung – lebenslanges Lernen
Die spürbare Belebung auf dem Arbeitsmarkt hat auch in
Niedersachsen zu einem zunehmenden Mangel an Fachkräften geführt. In einzelnen Agenturbezirken in Niedersachsen ist die Arbeitslosenquote auf inzwischen bis zu
4,7 Prozent gesunken. Damit nähern sich diese Regionen
der Vollbeschäftigung, die bei einer Arbeitslosenquote
von 3 bis 4 Prozent angenommen werden kann.
Über die aktuelle Situation hinaus werden die Folgen
des demografischen Wandels den niedersächsischen
­A rbeitsmarkt nachhaltig betreffen. Ab dem Jahr 2020,
wenn die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach aus
dem erwerbsfähigen Alter herauswachsen und sich die
jüngeren Alterskohorten verknappen, wird sich ein
­spürbarer Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials
bemerkbar machen (vgl. Abb 14).
Des Weiteren wird sich der strukturelle Wandel auf
der Nachfrageseite des Arbeitsmarktes fortsetzen: Arbeitsintensive Produktionen mit geringen Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten werden weiter
in Länder mit geringen Arbeitskosten verlagert, sodass
der hiesige Bedarf an Hochqualifizierten weiter steigen
und der Bedarf an Geringqualifizierten weiter sinken
wird. Allein im Zeitraum 1990 bis 2005 ist der Anteil der
Hochqualifizierten an allen Erwerbstätigen in Niedersachsen von rund 11,9 Prozent auf 14,6 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil der Erwerbstätigen ohne
Berufsabschluss von 25 Prozent im Jahr 1996 auf rund
17 Prozent im Jahr 2005 gesunken.
Vor diesem Hintergrund sind gezielte Maßnahmen
notwendig, um einerseits das aktuelle Fachkräftean­
gebot zu verbessern und andererseits dem zukünftigen
Mangel an Fachkräften vorzubeugen. Erfolgreiche An­
sätze sind sowohl in branchen- als auch in regionalspe­
zifischen Aktivitäten zu finden. Beispielhaft sollen an
dieser Stelle die Niedersächsische Logistikinitiative,
hannoverimpuls, die Wachstumsregion Braunschweig
oder die Wolfsburg AG erwähnt sein.
Die Basis für Beschäftigungsfähigkeit ist eine gute
Schulbildung und der Erwerb einer beruflichen Qualifikation in dualer Ausbildung, schulischer Berufsausbildung
oder im Hochschulstudium. Die Landesregierung und ihre Partner im Niedersächsischen Pakt für Ausbildung haben mit ihren gemeinsamen Anstrengungen dazu beigetragen, dass sich die Situation auf dem Ausbildungsmarkt
in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Dabei wird
den aktuellen Veränderungen des Ausbildungsmarktes
Rechnung getragen und auf absehbare Herausforderungen reagiert (www.ausbildung.niedersachsen.de).
Zum Teil kann auf die sich stetig verändernden Anforderungsprofile des Arbeitsmarktes nur mit individuellen
Lösungen reagiert werden. Ein Beispiel dazu verdeutlicht, wie so etwas umgesetzt werden kann: Ein innova­
tives hannoversches Unternehmen, das im Bereich der
Animation und 3D-Software arbeitet, konnte den Bedarf
an Fachkräften nicht decken. Nach intensiver Recherche
am Markt wurde festgestellt, dass dieser Mangel ein
RegioPol eins 2008
Abbildung 1: Entwicklung ausgewählter Altersgruppen in Niedersachsen 2005 bis 2025
Altersgruppen der Bevölkerung in Niedersachsen
8.000.000
7.000.000
Altersgruppe
(in Jahren)
65 und älter
6.000.000
60 bis 65
55 bis 60
5.000.000
50 bis 55
45 bis 50
4.000.000
40 bis 45
35 bis 40
3.000.000
30 bis 35
25 bis 30
2.000.000
18 bis 25
bis unter 18
2025
2022
2019
2016
2013
2010
2007
2004
2001
1998
1995
0
1992
1.000.000
1989
78
Quelle: NIW 2007
Branchenproblem ist. In Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr wurde ein Fortbildungsprojekt gestartet, das inzwischen das zweite
Geschäftsfeld des Unternehmens bildet. Das Unternehmen hat für die Branche ausgebildet und unterhält ein
Kursangebot, das Schulungen anbietet, die auf dem
Markt sehr gefragt sind. Der Erfolg gibt dem Modell
Recht: Alle Absolventen sind nach dem Abschluss in
­Beschäftigung bzw. Selbstständigkeit.
Laufende Qualifizierung und lebenslanges Lernen
sind eigentlich Selbstverständlichkeiten. Aber sie sind
nicht Realität. Dafür gibt es verschiedene Gründe, u. a.
weil entsprechende Angebote nicht vorhanden, nicht
bekannt oder zu teuer sind oder einfach zu viel Zeit kosten. An dieser Stelle unterstützt die Niedersächsische
Landesregierung die Wirtschaft mit speziellen Förderprogrammen. Mit dem Programm „Individuelle Weiterbildung in Niedersachsen“ (IWiN) fördert das Land Niedersachsen die Weiterbildung von Beschäftigten in
kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Hierzu werden Zuschüsse aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds
(ESF) und des Landes gezahlt. Durch die Förderung soll
der Strukturwandel in den niedersächsischen KMU unterstützt werden. Gefördert wird die berufliche Weiterbildung von einzelnen Beschäftigten in KMU und von
­ etriebsinhabern und -inhaberinnen von Unternehmen
B
mit weniger als 50 Beschäftigten. Die Weiterbildung
muss sich auf die Vermittlung von beruflichen Fachkenntnissen, die Vermittlung von methodischen Kenntnissen oder die Stärkung der Sozialkompetenz im Beruf
beziehen. (www.iwin-niedersachsen.de)
3. eLearning und serious games
Wie bereits dargestellt, fordert die Wissensgesellschaft
von jedem Einzelnen, sich kontinuierlich mit der sich
­vergrößernden Informationsbasis auseinanderzusetzen.
Neben fachspezifischem Wissen verändern sich auch die
uns zur Verfügung stehenden Informationssysteme. Als
Beispiel sei an dieser Stelle auf die neuen Kommunika­
tionsformen des Web 2.0 hingewiesen, die das Kommunikationsverhalten entscheidend verändert haben. Anstelle einer unidirektionalen Kommunikation stehen
dank der Web-2.0-Technologie multidirektionale Kommunikationswege offen. Die Integration dieser vielfältigen Austauschmöglichkeiten in die Herausforderung
des lebenslangen Lernens zeigt sich in der Entwicklung
des eLearning. Zwar hat sich eLearning nicht wie prognostiziert zur ausschließlichen Lehr- und Lernmethode
des 21. Jahrhunderts entwickelt, die Vorteile liegen
Wissensökonomie
79
Die Herausforderung für die Wirtschaftspolitik liegt darin, die Träger von
Exzellenz­w issen ausfindig zu machen und
ihnen über finanzielle Anreize bei der
Übersetzung ihres Wissens in funktio­
nierende Geschäftsmodelle zu helfen.
j­ edoch klar auf der Hand: lernen zu jeder Zeit, an jedem
Ort, in individuellem Tempo mit personalisierten Inhalten.
Auch vor dem Hintergrund der beschriebenen strukturellen Veränderungen unserer Gesellschaft kommt
eLearning eine besondere Bedeutung zu. Der demografische Wandel und die damit einhergehende Verknappung von Arbeitskräften erfordert die kontinuierliche
Weiterbildung und -entwicklung des Personals und aller
in der Wirtschaft handelnden Personen. Mit gezielten
eLearning-Angeboten die den Einzelnen begleitend
schulen, kann aktiv auf Veränderungen im Geschäftsprozess reagiert werden und der Einzelne länger und effektiv auf seinem Arbeitsplatz tätig sein, denn das Wissen
altert schneller.
Das Land Niedersachsen hat die Bedeutung der neuen Lernmethoden bereits früh erkannt und im Jahr 2003
das Kompetenzzentrum eLearning ins Leben gerufen.
Diese koordinierende Stelle bündelt die vorhandenen
Potenziale im Land. Darüber hinaus erforscht das Zen­
trum das Nachfragepotenzial für das Lernen mit neuen
Medien und ermöglicht dementsprechend bei Bedarf
­eine Vernetzung von Anbietern und Nachfragern. Die
­A ngebote des Kompetenzzentrums richten sich dabei an
Anwender aus Wirtschaft, Verwaltung, Bildung und
­W issenschaft. (www.elearning-zentrum.de)
Eine besondere Form des eLearning sei an dieser
Stelle erwähnt: serious games. Unter serious games versteht man ein digitales Lernspiel, das in einer hard- und
softwarebasierten virtuellen Umgebung stattfindet, die
auf Lern- bzw. Bildungsprozesse hin angelegt ist. Serious games nutzen Technologien aus der Unterhaltungssoftwareindustrie für Aus- und Weiterbildung, Training
und Simulation. Die Entwicklung von serious games wird
vom Markt sehr positiv eingeschätzt. Durch die realitätsnahe Simulation können Erfahrungen gemacht werden,
vor allem in Bereichen, die gefährlich sind, wie z. B. die
Evakuierung eines brennenden Hochhauses, oder die in
einer realen Situation nicht reversibel sind, beispiels­
weise die Reak­t ion von Organismen auf Eingriffe. Die
völlig neuen Chancen gepaart mit deutlichen Kosten­
reduktionen ­machen diesen jungen Wissensmarkt so
interessant (www.seriousgames-conference.de).
4. E
xzellenzwissen – Innovations­
förderung
Exzellenzwissen und Innovationen gehen Hand in Hand.
Dabei tragen nicht nur akademisch gebildete Personen
das Potenzial für Exzellenzwissen mit sich, auch Prak­tiker
können über Erfahrungen zu exzellentem Wissen gelangen. Doch Innovationen sind mehr: „Als entscheidender
Schlüssel für wirtschaftliches Wachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit wird zunehmend die Kreativität
einer Gesellschaft erkannt.“ (Hirche, 2007) Die Bedeutung
von Innovationen für den Wirtschaftsstandort Deutschland
und Niedersachen ist unbe­stritten. Innovationen sind die
Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, für sichere ­Arbeitsplätze und damit für den
­Wohlstand von morgen. Die Herausforderung für die Wirtschaftspolitik liegt darin, die Träger von Exzellenzwissen
ausfindig zu machen und ihnen über finanzielle Anreize
bei der Übersetzung ihres Wissens in funktionierende
­Geschäftsmodelle zu helfen.
Neben einer Vielzahl verbundener Aktivitäten um das
Thema „Innovation“ in Niedersachsen (vom Innovationszentrum über die Innovationskampagne bis hin zur Ideen-­
Expo, www.innovatives.niedersachsen.de), gibt es zwei
zentrale Standbeine der niedersächsischen finan­z iellen
Innovationsförderung: das Niedersächsische Inno­va­
tions­förderprogramm und die 2007 gegründete Stiftung
Zukunfts- und Innovationsfonds. Das Innovationsförderprogramm richtet sich an niedersächsische Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und Handwerksunternehmen. Zur Beschleunigung innovativer Entwicklungen
und Prozesse werden für diese Unternehmen Anreize für
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten für neue Produkte, Produktionsverfahren oder Dienstleistungen, insbesondere auch in Zusammenarbeit mit Forschungs­
einrichtungen, gegeben (www.nbank.de). Die Stiftung
RegioPol eins 2008
80
Zukunfts- und Innovationsfonds Niedersachsen unterstützt Projekte, die durch niedersächsische Unternehmen, wissenschaftliche Einrichtungen und andere Projektträger in Niedersachsen durchgeführt werden. Durch
die Förderung der Stiftung Zukunfts- und Innovationsfonds Niedersachsen werden herausragende Projekte
aus folgenden Bereichen unterstützt:
n
Entwicklung, Transfer und Implementierung von
Technologien und Innovationen in niedersächsischen
Unternehmen,
n Erkundung und Erforschung technologischer Zukunftsfelder für die niedersächsische Wirtschaft,
n Förderung des Dialogs zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Schule und Gesellschaft zu technologischen
und nachhaltigen Innovationen.
5. W
issen als Wirtschaftsgut: Schutz und Finanzierung
Am Anfang der Wissenskette stehen neues Wissen, Innovationen, Erkenntnisse. Über den Zeitablauf diffundiert
in aller Regel das Exzellenzwissen zu Allgemeinwissen.
Vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs der
Volkswirtschaften, müsste jede Volkswirtschaft Wert darauf legen, dass Expertenwissen möglichst schnell in der
eigenen Volkswirtschaft diffundiert. Ganz im Gegensatz
dazu steht der Anspruch, neues Wissen zu schützen und
damit dem Produzenten einer Idee das Recht einzuräumen, mit seinem Wissen wie mit einem Wirtschaftsgut
umzugehen: es also nach Belieben zu verkaufen, weiterzugeben, geheim zu halten oder öffentlich zu machen.
Dieser Spagat ist in Deutschland mit der Schaffung
von Patenten seit 1877 geregelt und wird heute exzellent administriert. Einerseits kann neues Wissen durch
die Veröffentlichung von Patenten in die Breite diffundieren, sodass sich sowohl Anwendungs- und Service­
bereiche im Zusammenhang mit dem angemeldeten
­Patent entwickeln können. Andererseits dienen Patente
dazu, Interessenten anzusprechen, die die Idee aufkaufen oder nutzen wollen. Für andere Ideenentwickler
­w iederum sind sie der Hinweis, ob ein entsprechendes
Feld besetzt und wie es besetzt ist. Man spart also volkswirtschaftlich einen Teil der Doppelentwicklungen und
schafft gleichzeitig die Basis für Weiterentwicklungen.
Diese Institution leistet im Prinzip eine hervorragende
Arbeit, wenn nicht immer wieder versucht würde, geschützte Entwicklungen zu kopieren. Zumindest dort,
wo europäisches Recht gilt oder die WTO-Absprachen
eingehalten werden, besteht ein respektierter Patentschutz. In Deutschland funktioniert die Beschaffung von
Schutzrechten durch das Deutsche Patent- und Markenamt professionell ebenso wie der gerichtliche Rechtsschutz für Patente und Marken durch die Staatsanwaltschaften und Gerichte bis hin zum Bundespatentgericht.
In Niedersachsen begleitet man den gewerblichen
Patent- und Markenschutz durch Unterstützung auf verschiedenen Ebenen:
n
Beratung und Vernetzung durch den VTN: Der Verein
Technologie-Centren Niedersachsen e. V. (VTN) wurde im Jahr 1997 mit sieben Gründungsmitgliedern
ins Leben gerufen. Heute zählt der Verein 27 niedersächsische Technologie- und Gründerzentren als
­Mit­glieder. Ziel des Vereins ist die flächendeckende
Prä­sentation und Information über die wirtschaftsfördernden Leistungen der niedersächsischen Technologiezentren. Sie unterstützen die Unternehmen
vor Ort insbesondere dadurch, dass sie durch Ver­
netzung auf Vereinsebene Synergien schaffen. Im
Vordergrund stehen Existenzgründer im innovativen
technologischen Bereich. Über den Verein werden individuell Kontakte zu regionalen Netzwerken sowie
zu bundesweiten Organisationen, zu Behörden, zu
Projektpartnern usw. hergestellt.
Zur Stärkung des Wissens- und Informationstransfers
führt das Land Niedersachsen gezielt Projekte mit dem
Verein durch. Für ein Flächenland wie Niedersachsen ist
diese Arbeit im Verbund besonders wichtig, weil so alle
Regionen erreicht werden (www.vtn.de).
n Förderung und Beratung von Schutzrechten durch das
EZN: Das Bundesprogramm SIGNO wird vom Erfinderzentrum Norddeutschland (EZN) in Hannover betreut.
SIGNO steht für den Schutz von Ideen für die gewerbliche Nutzung und leitet sich aus dem Lateinischen
signum oder signet ab (www.signo-deutschland.de).
Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr hat 1981 das EZN ins Leben gerufen,
um das Wissen von Unternehmen durch schnelle und
marktgerechte rechtliche Absicherung ihrer Innova­
tionen zu schützen. Seitdem hat das Zentrum mehr
als 13.000 Technologiebewertungen durchgeführt
und weit über 1.500 Patentanmeldungen bzw. Patentfamilien betreut. Aus deren Verwertung resultieren bis heute Umsätze von mehr als 600 Millionen
Euro (www.ezn.de).
n Verfolgung von Produktpiraterie: Wer Recht setzt,
muss auch dafür sorgen, dass die verbrieften Rechte
aktiv geschützt werden. Das geschieht überall in
Deutschland, aber am Standort der weltgrößten
­Messen in besonderer Weise. Auf der CeBIT 2008
­w urden beispielsweise über 50 Messestände gezielt
nach Patentrechtsverletzungen durchsucht. 180 Beamte von Polizei und Zoll führten die Aktion der
Staatsanwaltschaft Hannover durch. Unternehmerverbände schätzen, dass durch Produktpiraterie dem
Standort Deutschland jährlich ein Schaden in Höhe
von 25 Milliarden Euro entsteht. Man mag über die
tatsächliche Höhe streiten, unbenommen ist aber,
dass bei Aktionen dieser Art hunderte von Produkten
beschlagnahmt werden, was ein Beleg für das Ausmaß der Schutzverletzungen ist.
Der Schutz des Wirtschaftsgutes Wissen ist eine Seite,
seine Finanzierung eine andere: Die Herstellung oder
Beschaffung neuen Wissens ist in aller Regel mit Kosten
verbunden. In erster Linie sind das Aufwendungen für
Arbeitszeit, aber auch für Laboreinrichtungen, Com­puter
Wissensökonomie
und Computerprogramme usw. Von der ersten Idee bis
zu einer patentierbaren oder marktgängigen Lösung
muss investiert werden, einschließlich der Kosten für
den Patentschutz. Unabhängig davon, ob das Wissen
oder die „Schöpfung“ auf Papier niedergelegt, in einem
Computerprogramm oder sonstigem Datenträger enthalten ist oder in einem Prototyp verbaut wird, der Wert
des Endproduktes ist nicht eindeutig bestimmbar. Geldgeber stellen sich in aller Regel auf die sichere Seite und
setzen den Wert an, den man mit Sicherheit bei einer
Vermarktung der Idee oder des Prototypen erlangen
kann. Und das ist in vielen Fällen nur ein geringer Wert,
z. B. ein PC, auf dessen Festplatte aber der Algorithmus
für ein neues Kompressionsformat liegt oder der Materialwert für einen Roboter, der über menschliche Sprache
gesteuert werden kann. Das Problem ist das Wissen derer, die das Risiko einschätzen müssen, und der Glaube
oder das Wissen vom Markterfolg. So werden auf der einen Seite bei der Produktion von Wissen betriebswirtschaftliche Werte verzehrt, auf der anderen Seite wächst
aber der Buchwert des wissensbasierten Produktes nicht
in gleichem Maße. Überschuldungssituationen können
eintreten, wenn das Eigenkapital nicht hoch genug ist.
Wenn Darlehen für die Finanzierung der Entwicklungsphase erforderlich sind, wird es aus den oben genannten
Gründen schwer, Geldgeber zu finden.
Hier setzt die Niedersächsische Landesregierung an
und führt Gespräche mit der Bankenwirtschaft. Dabei
geht es in erster Linie darum, die verschiedenen Positionen zu verstehen. Einen generellen Ausweg gibt es nicht.
Jede Situation ist ein Einzelfall und entsprechend werden die Fälle bei Banken auch individuell geprüft. Banken und die Investitions- und Förderbank Niedersachsen
(NBank) arbeiten an dieser Stelle eng zusammen, wenn
es um Innovationsförderungen, Innovationskredite oder
um Bürgschaften geht. (www.nbank.de)
Bürgschaften sind ein sehr interessantes Instrument,
um zusammen mit Banken eine Idee, eine Innovation in
ein Geschäftsmodell zu übersetzen. Sowohl die Geschäftsbank als auch die N-Bank bzw. das Niedersächsische Finanzministerium legen hohe Maßstäbe an das zu
verbürgende Vorhaben. Die Motivation des Landes Niedersachsen, eine Bürgschaft zu erteilen, besteht in der
Schaffung und Erhaltung hoch qualifizierter Arbeitsplätze in Niedersachsen. Allein durch die Steuerrückflüsse
und die Multiplikatoreffekte ergeben sich interessante
fiskalische Effekte für das Land. Über die Steueranteile
der Beschäftigten sowie der Kaufkraft derer, die in so
­anspruchsvollen Vorhaben tätig sind, fließt dem Land
ein hoher Anteil des Risikos zurück.
81
6. Resümee
Der Zusammenhang von Wissen und Ökonomie wird auf
europäischer Ebene sowie auf Bundes- und Landes­
ebene nicht bestritten. Er gilt laut der Erklärung von
­Lissabon als Postulat für wirtschaftlichen Erfolg. In der
­Koalitionsvereinbarung der niedersächsischen Landesregierung von 2008 findet sich eine Aussage unter dem
Punkt 4 zu Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, die diese Annahme ebenfalls vertritt:“... Die Sicherung bestehender
und die Schaffung neuer und zukunftssicherer Arbeitsplätze sowie die Stärkung des Wachstums behalten …
höchste Priorität. Dabei ist es unverzichtbar dass
­Bildungs-, Technologie- und Forschungspolitik … zielgerichtet zusammenwirken, …“
Die Regionen in Europa haben durch ihre Kultur­
hoheit, die sich in Kultus- und Wissenschaftspolitik niederschlägt, den stärksten Einfluss auf die Art und Weise,
wie Wissen entsteht. Die Regierungen der National­
staaten und die Europäische Kommission wirken durch
Ihre Forschungspolitik ein. Wirtschaftspolitik selbst
kann nur einen kleinen Teil zur Entstehung von Wissen
beitragen, aber diese Beiträge sind wichtige Instrumente, um ­W issen in Mehrwert umzusetzen.
Was die Wirtschaftspolitik in naher Zukunft verstärkt
herausfordern wird, sind auf der einen Seite die schnelle
Veralterung des Wissens sowie die wachsende Komplexität und auf der anderen Seite Fragen der Finanzier­
barkeit von Wissen und wissensbasierten Produkten und
Dienstleistungen. Der demografische Wandel wird die
daraus erwachsenden Probleme verstärken, denn immer
weniger Menschen werden im Erwerbsleben stehen und
es wird zunehmend ältere Ideengeber mit sich ver­
schärfender Finanzierungsproblematik geben.
Quellen
Hirche, W. 2007, Niedersachsen 2021, Hannover
von Hayek, F. A., 1969: Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren,
in: Freiburger Studien, Tübingen 1969, S. 249-265.
82
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
83
Stefan Gärtner
Entgrenzung der kommunalen
Wirtschaftsförderung
Regionale Wirtschaftspolitik in der wissensintensiven Ökonomie
D
ass ein Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft stattfindet, wird Land auf Land ab
festgestellt und ist nicht ohne Auswirkung auf
die Regionalpolitik und die Entwicklungskonzepte von
Städten und Regionen geblieben. Es scheint, als würden
allein das in einer Stadt oder Region vorhandene Wissen,
die Intensität des lokalen Wissensaustausches und die
Fähigkeit, die Kreativen und Aktiven zu attraktivieren
und an den Standort zu binden, die Wettbewerbsfähigkeit von Räumen bestimmen.
Obwohl viele Untersuchungen auf derartige Zusammenhänge hinweisen, stellen sich immer wieder die Fragen, wie sich das vor Ort vorhandene Wissen und die
diesbezügliche Austauschintensität messen lassen, ob
Wissen und regionale Rahmenbedingungen, die dessen
Austausch fördern, für alle Regionen die relevanten Erfolgsressourcen sind, und ob – und wenn ja, wie – sich
die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen lassen, damit Städte und Region an der Wissensökonomie
teilhaben können.
Diese Fragen können im Rahmen dieses Artikels nicht
hinreichend beantwortet werden, wohl aber können
diesbezügliche Chancen und Herausforderungen aus
dem Blickwinkel der kommunalen Wirtschaftsförderung
diskutiert werden: Kapitel 1 geht zunächst einmal der
Frage nach, warum sich die Regionalpolitik und -wissenschaft so intensiv mit den Themen Wissensgesellschaft
bzw. wissensintensive Ökonomie beschäftigen. Das darauf folgende Kapitel 2 versucht eine Antwort auf die
­Frage zu finden, ob es für Städte und Regionen überhaupt sinnvoll ist, sich diesem Thema zu widmen. Kapitel
3 bündelt mögliche Chancen und Herausforderungen
aus Sicht der kommunalen Wirtschaftsförderung und
das 4. Kapitel schließt mit einem Fazit.
1. Wissen und regionale Entwicklung
Begriffe wie wissensintensive Ökonomie und Wissensgesellschaft spielen in der politischen und wissenschaftlichen Debatte der Industrienationen eine große Rolle.
Beispielsweise strebt die EU in ihrer im Jahre 2000 verabschiedeten Lissabon-Agenda1 an, Europa innerhalb
von zehn Jahren zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“
zu machen (Europäischer Rat 2000).
Neben einer mehr oder weniger ernsthaften Förderung
der Forschungslandschaft und Bildungschancen widmen
sich sowohl die EU als auch die Nationalstaaten und ihre
Regionen im Rahmen der Regional- und Stadtentwicklungspolitik dem Thema Wissens- und Kompetenzent­
wicklung. So wurde die Regionalpolitik der EU in den letzten Jahren auch mit Verweis auf die Lissabon-Strategie
neu ausgerichtet (de Bruijn/Lagendijk 2005: 1169). Dass
die Kombination von Wissen und Raum in der bundesdeutschen Politik angekommen ist, zeigt sich an Slogans
wie „Stadt des Wissens“ (z. B. http://www.berlin-stadt-deswissens.de) oder „Wissensstadt“ (z. B. Landeshauptstadt
München 2005) und an der Diskussion um Metropolre­
gionen (Thierstein/Goebel 2007, Blote­vogel 1998). Hinzu
kommt, dass als Wettbewerbe oder Ausschreibungen organisierte regionalpolitische Programme regionale Wissensstärken, Wissensspillover und Innovationspotenziale
mittlerweile in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. So
setzt beispielsweise das Land NRW im Rahmen der durch
die EU geförderten regionalen Strukturpolitik (Ziel-II), neben Querschnittszielen wie Umwelt und Gleichberechtigung, vor allem auf Innovation. Ziel ist es, die besten Ideen
und Projekte zu fördern. Während in der Vergangenheit die
strukturpolitischen Mittel auf die schwachen Regionen
(z. B. Ruhrgebiet) konzentriert wurden, werden die Mittel in
der aktuellen Förderperiode unabhängig von der regio­
nalen Bedürftigkeit vergeben und haben darüber hinaus
In Lissabon wurde auf einer Sondersitzung des Europäischen Rats am 23.-24. März 2000 beschlossen, die Union auf ein neues strategisches Ziel festzulegen,
in dessen Rahmen Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt als Bestandteil einer wissensbasierten Wirtschaft gestärkt werden sollen.
1
b Kunst im öffentlichen Raum, London
84
RegioPol eins 2008
­ inen räumlichen Fokus auf Städte. „Denn“ – so das
e
­zuständige Ministerium – „die Entwicklung einer wissensbasierten Ökonomie und die Stärkung der unternehmerischen und innovatorischen Potenziale erfordern (…)
attraktive Standort- und Stadtqualitäten“ (Ministerium für
Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes NordrheinWestfalen 2007).
Um die Verbindung von Raum und Wissen einordnen
zu können, ist zunächst einmal der Blick 10 bis 15 Jahre
zurückzurichten. Damals galt die traditionelle europäische Stadt als intermediärer Raum, in dem Wirtschaft,
Kultur, Wissenstransfer, Bildung, Kreativität, Wohnen
usw. stattfindet, als sterbende „Spezies“. Nicht nur, dass
die Stadt zugunsten des suburbanen Raums in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung verloren hatte,
sondern auch der geografische Raum selbst schien –
ausgelöst durch das informationstechnologische Paradigma und den „Dot-Com-Hype“ – obsolet zu werden.
„The Death of Distance“ (Cairncross 1997) wurde ausgerufen und Raum als relationales Gebilde, in dem Wissen
effizient ausgetauscht werden kann, wurde kurzerhand
ins World-Wide-Web verlegt (Grote Westrick et al. 2003,
Castells 1989). Doch die Erkenntnis, dass die Realität mit
den Prognosen nicht Schritt halten kann bzw. teilweise
eine gegensätzliche Richtung einschlägt und dass räumliche Strukturen und deren geografische Verortung sogar oder gerade bei dematerialisierten Wirtschaftsgütern wie der Finanzwirtschaft eine Rolle spielen, haben
dazu geführt, dass der (Stadt-)Raum seit einigen Jahren
als Handlungsebene wiederentdeckt wurde. Seitdem
wird von regionalen „Fühlungsvorteilen“ oder „Face-toface-Kontakten“ gesprochen und Wissensspillover, die –
so zunehmend die Erkenntnis – räumliche Nähe erfordern,
nehmen eine zentrale Rolle in der regionalwissenschaft­
lichen Diskussion ein (Koschatzky 2001: 106 ff).
Doch bereits Jahrzehnte zuvor hat Wissen in Verbindung mit räumlicher Nähe eine Rolle gespielt. Man denke etwa an die Campus- und Technologieparks, die in
den 1970er und 80er Jahren auf der grünen Wiese entstanden sind. Ziel war es, Wissen räumlich zu ballen und
so eine kritische Masse und Spillover zu generieren.
Heute haben sich die Standortanforderungen, insbesondere für die kreativen Berufe geändert. Wurde die regionale Wettbewerbsfähigkeit traditionell vor allem durch
harte Standortfaktoren – wie technische Infrastrukturen
und Verkehrsanbindungen – definiert und standen in
den letzten Jahren eher die weichen Standortfaktoren –
wie Kultur- und Freizeitangebote – im Zentrum der Betrachtung, geht es aktuell vor allem um die „ultraweichen Standortfaktoren“ (Ahrens 2004: 7): Regionale
Sozio- bzw. Innovationskulturen (Grote Westrick/Rehfeld
2006), die sich in einem den Wissensaustausch befä­hi­
genden Raum manifestieren oder aus diesem ent­stehen,
sind wichtige Voraussetzungen für Wissens- und Kompetenzbildung. Da die Ausprägungen einer gemeinsamen
Kultur bzw. ethischen Orientierung, ebenso wie die relevanten Wissensbestände, je nach Branche und Ort sehr
unterschiedlich sind, kommt es nicht nur allgemein zu
­einer Agglomerationsbildung, sondern zu einer räum­
lichen Spezialisierung (Gärtner 2006: 40ff.). Markusen
(1996) spricht von „sticky places“, an denen milieu­artig
spezialisierte Trägergruppen von Wissen bzw. Wissens­
kulturen entstehen und die weitere Akteure anziehen
und binden. Diese ultraweichen Standortfaktoren manifestieren sich oft in urbanen Qualitäten, was u. a. darin
begründet liegt, dass bei gut ausgebildeten Personen,
insbesondere solchen, die in urbanen kreativen Branchen arbeiten, Wohn- und Arbeitswelten räumlich häufig
zusammenfallen (z. B. Gärtner et al. 2003: 64ff.). „Für die
hoch flexiblen und entgrenzten Wirtschaftsbereiche der
Wissensproduktion hat die städtische Konzentration
von verwandten Betrieben und ­deren Beschäftigten
die Funktion eines ‚Zufallsgenerators‘ für Kontakte, In­
formationen und Gelegenheiten“ (Hannemann/Läpple
2004: o.S.).
Daneben lässt sich die zunehmende Bedeutung von
Wissen und Kompetenz in der Regionalpolitik durch eine
raumwissenschaftliche Flankierung begründen. So sehen
viele Regionalökonomen in der Förderung einer regio­
nalen wissensbasierten Ökonomie das Patentrezept
(Krätke 2007: 7). Egal ob wir das Konzept der „Innovativen Milieus“ (Camagni 1991), der „Lernenden Regionen“
(Florida 1995), der „Regionalen Innovationssysteme“
(z.B. Koschatzky 2001: 10) oder auch der „Produktionscluster“ (Porter 1993, Rehfeld 1999) betrachten, es geht
fast immer um endogene Wissens- und Kompetenzressourcen und deren intraregionale Austauschprozesse.
Aufgrund der hohen Bedeutung von Wissen sprechen
­einige Wissenschaftler nach dem „geographical turn“
der Sozialwissenschaften und dem „cultural turn“ der
Raumwissenschaften jetzt vom „knowledge turn“
(Matthiesen/Bürkner 2004: 67).
Empirisch lässt sich die Frage, ob regionale Wissensdichte und Wissensspillover für den wirtschaftlichen
­Erfolg von Städten und Regionen entscheidend sind, nur
schwer überprüfen. Zwar existieren Untersuchungen,
die beispielsweise für die USA zeigen, dass Städte, in
­denen die technologische Kompetenz ausgeprägt ist,
die besonders tolerant sind und einen hohen Anteil ausgebildeter Menschen vorweisen können, zu den erfolgreichen Regionen gehören (Florida 2005), allerdings
stellt sich die Frage, ob nicht diese Städte deshalb gut
ausgebildete kreative Menschen anziehen, weil sie über
einen hohen Wohlstand und eine hohe Lebensqualität
verfügen. Ferner besteht die Gefahr, dass solche Untersuchungen reale äußerst komplexe Zusammenhänge auf
wenige Faktoren reduzieren und eine Steuerungsmöglichkeit vermitteln, die – wenn überhaupt – nur für we­
nige Regionen vorhanden ist.
Betrachtet man den regionalwirtschaftlichen Entwicklungsstand der Städte und Kreise zeigt sich für
Deutschland neben einem deutlichen West-Ost- und
­einem schwachen Süd-Nord-Gefälle ein Gefälle zwischen
Städten mit vornehmlich wissensintensiven Sektoren
und altindustriellen Agglomerationen, also zwischen
neuer Wissens- und alter ­Industriearbeit. Die strukturschwachen Regionen im Westen sind altindustrielle Verdichtungsregionen und ausgewählte ländliche Räume,
Wissensökonomie
85
Abbildung 1: Überlappende Raumbezüge
Messewirtschaft
Wasserwirtschaft
Kompetenzfeld
Metallwirtschaft
Ernährungswirtschaft
Kleinkunst
IT
er
st
lu
C
Zweckverband
Entsorgung
Quelle: Gärtner 2008
vor allem im ehemaligen Zonenrandgebiet (BBR 2005:
152). Dem Osten geht es zwar insgesamt schlecht, aber
die ländlichen peripheren Regionen sind dort besonders
benachteiligt (Klemmer 2004). Dies liegt unter anderem
darin begründet, dass die ländlichen Regionen Ostdeutschlands hinsichtlich der Bevölkerungsdichte, der
Lage im Raum, aber auch der Infrastrukturen deutlich
„ländlicher“ sind als die in Westdeutschland.
Krätke (2007) hat in einer aktuellen Studie für Europa
aufgezeigt, dass sich die wissensintensiven Ökonomien
in den dominanten wirtschaftlichen Entwicklungszentren
konzentrieren. Allerdings „zeigt sich, dass die wissens­
intensiven Dienstleistungen keineswegs die allein bestimmende Komponente im Strukturwandel zur ‚knowledge
economy‘ sind, sondern dass die forschungsintensiven
­Industrien ein ebenso prägender Bestandteil dieses Prozesses sind“ (Krätke 2007: 141). Vor dem ­Hintergrund ­einer
zunehmenden Spezialisierung und einem Wandel von der
inner- zur zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung (Piore/­
Sabel 1984) spielen Wissensteilungsprozesse und damit
einhergehend räumlich geografische Aspekte nicht nur
in der Dienstleistungswirtschaft, sondern ebenso in der
produzierenden Wirtschaft eine größere Rolle.
Analytisch ist der Zusammenhang zwischen Wissen,
den damit verbundenen Austauschprozessen und räumlicher Entwicklung neben fehlenden Daten auch deshalb
schwierig einzufangen, da sich Wissensgeografien nicht
an administrativen Gebietskulissen orientieren. Soziale
bzw. relationale Räume, in denen Wissen ausgetauscht
wird, überlagern sich geografisch und unterscheiden
sich von in administrativen Grenzen gebundenen Städten und Regionen (z. B. Bormann 2001, Läpple 1991).
Werden administrative Räume hinsichtlich relevanter
Wissensprozesse als eine gewisse Menge an Wissen
­aufnehmende Containerräume analysiert, besteht die
Gefahr, dass wichtige Potenziale übersehen werden. So
sind die für eine Region oder Stadt relevanten thema­
tischen Wissensfelder in ihrer geografischen Verortung
zu entgrenzen. Folgende drei Skalierungen können dabei für die Analyse relevant sein:
Großräumlich: Wissensbezogene Transaktionsräume
und endogene Kompetenzen haben je nach thematischem Fokus eine andere geografische Verortung, wie in
der folgenden Abbildung abstrakt dargestellt. All ­diese
Räume folgen einer eigenen Logik, weisen verschiedene
Merkmale auf und sind unterschiedlich starr bzw. flexibel, haben aber Schnittpunkte und Integrationsfelder.
Diese überregionalen, sich überlagernden Raumbezüge
(funktionale Geometrien) müssen in der Analyse von für
die Stadt bzw. Region relevantem Wissen in den Blick
­genommen werden.
Globalräumlich: Sassen stellt sich die globale Ökonomie „als die Materialisierung eines weltweiten Gitters
­strategischer Orte“ vor (2000: 183). „Der mächtigste
86
RegioPol eins 2008
Abbildung 2: Ebenen der regionalen Wirtschaftspolitik
EU, Bund, Land
Regionalpolitik / Regionale Strukturpolitik (auf Teilräume ausgerichtete Wirtschaftspolitik)
Umverteilung von Ressourcen
Gemeinsame Ziele
Divergierende Ziele
Verbesserung des eigenen Standorts
Standortpolitik, z. B. kommunale Wirtschaftsförderung
Kommunen, Kreise, …
Quelle: Gärtner 2008
­­
Faktor
innerhalb dieser neuen Geografie der Zentra­lität
verbindet auf interurbaner Ebene die großen internationalen Finanz- und Geschäftszentren: New York, Tokio, Paris,
Frankfurt, ­Zürich, Amsterdam, Los Angeles, Sydney, Hongkong und andere“ (184). Sassen geht von einem intensiven
Austausch zwischen den Städten aus und sieht „zumindest im Ansatz die Formierung eines transnationalen urbanen Systems“ (184 ff.). Dass sich ökonomische Wissensräume unabhängig von geografischer Nähe konstituieren
und weltweit aufspannen können, wird mittlerweile auch
medial wahrgenommen, wie in einem Artikel vom Januar
2008 im Time-Magazin nachgelesen werden konnte: „Nylonkong“ wird in diesem Artikel als gemeinsamer Raum –
bestehend aus New York, London und Hong Kong analysiert. Diese Städte – so der Autor – weisen eine gemeinsame
Wirtschaftskultur auf, verfügen über verdichtete Flugverbindungen und sind durch hoch leistungsfähige Glasfaserkabel sowie ein Finanznetzwerk miteinander verbunden.
„Understand this network of cities – Nylongkong, we call it
– and you understand our time“ (Elliott 17.Januar 2008).
­Sicherlich ist hinsichtlich der Bedeutung dieses Raums
­eine Relativierung angemessen und es werden nur wenige
deutsche Städte und Regionen von solchen weltweit aufgespannten Räumen betroffen sein, trotzdem sind „nachbarschaftsferne Wissensräume“ für die Analyse von Wissensteilungsprozessen in Augenschein zu nehmen.
Kleinräumlich: Stadtteile differenzieren sich innerhalb von Städten zunehmend aus. Gerade kreative Mi­
lieus bzw. die dazu notwendigen Befähigungsräume
konzentrieren sich auf einzelne Stadtteile und können
bei Betrachtung der Gesamtstadt, insbesondere im Hinblick auf deren Images, verwischen.
2. Sollen Städte und Regionen
darauf reagieren?
Obwohl die wachsende Bedeutung von Wissen für die
ökonomische Entwicklung unbestreitbar ist, stellt sich
die Frage, ob die Vehemenz, mit der sich Städte und
­Regionen diesem Thema widmen, angemessen ist? Aus
Sicht des Autors lassen sich die folgenden vier Argu­
mente finden, die begründen, warum Wissen und
­Kompetenz ein bedeutendes Handlungsfeld für die
­regionale und städtische Wirtschaftsentwicklung ist.
Erstens die Realität: Viele Untersuchungen – auch
wenn die meisten mit Fallstudien arbeiten – zeigen, dass
Räume mit einer Dominanz wissensintensiver Sektoren
regionalwirtschaftlich erfolgreich sind und entsprechende Träger von Wissen anziehen und binden. Somit er­
scheint es sinnvoll, sich mit diesem Thema zu beschäf­
tigen und lokale Wissenspotenziale zu eruieren.
Zweitens die „Self-fulfilling-prophecy“: Wenn alle
­da­von reden, dass Wissensressourcen an Bedeutung
­gewinnen, wird dies auch geschehen. Städte und Regionen, die als wissensintensiv wahrgenommen werden
und die ein Image als „sticky places“ haben, werden von
Investoren und Kreativen bevorzugt und werden daher
tatsächlich regionalwirtschaftlich erfolgreich sein.
Drittens die Lebensqualität: Städte für die „Kreative
Klasse“ attraktiv zu machen, bedeutet öffentliche ­Räume
zu gestalten, städtische Revitalisierungsmaßnahmen
durchzuführen, in Bildung und Betreuungseinrichtungen für Kinder zu investieren, Urbanität zu fördern
und Freiraum für neue Kultur- und Freizeitnutzung sowie
für ökonomische Experimente zu schaffen. Diese, die
Wissensökonomie
87
Die wissensintensive Ökonomie ist
ein ernst zu nehmendes Handlungsfeld
für Städte und Regionen.
­ rbane Lebensqualität verbessernden und Städte atu
traktiver machenden Faktoren können keine Fehlinves­
titionen sein.
Viertens der vorauseilende Fördergehorsam: Klingt
negativ und es besteht die Gefahr, dass Regionen und
Städte nur noch in aktuellen Förderprogrammen herausgestellten Themen hinterherlaufen, ohne ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Auf der anderen Seite würde
es als politisches Versagen interpretiert, würden Städte
und Regionen nicht versuchen, hier und da ein paar Fördermittel abzugreifen und sei es nur, indem die Rhetorik
in den entsprechenden Förderanträgen angepasst wird.
Also ist die wissensintensive Ökonomie ein ernst zunehmendes Handlungsfeld für Städte und Regionen. Vor
dem Hintergrund, dass die „raumbedeutsamen Kausa­
litäten“ (Matthiesen 2004: 11) nicht eindeutig bekannt
sind und sich „wissenbasierte Raumentwicklungsdynamiken“ (ebenda: 21) nicht erzwingen lassen, stellt sich
nur die Frage, wie eine solche Politik vor Ort umgesetzt
werden kann.
3. Entgrenzung der kommunalen
Wirtschaftsförderung
Die Wirtschaftspolitik der Kommunen und Kreise wird allgemein als kommunale Wirtschaftsförderung bezeichnet.
Grundsätzlich kann darunter „die zur Daseinsvorsorge
zählende Aufgabe der Gemeinden, Städte und Landkreise,
die durch die Schaffung oder Verbesserung der Standortbedingungen für die Wirtschaft mittels Förderung und
Pflege der öffentlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen, das wirtschaftliche und soziale Wohl der Bevöl­
kerung im kommunalen Gebiet sichert oder steigert“
(Schubert 1998: 122), verstanden werden.
Um die Chancen und Herausforderungen der kommunalen Wirtschaftsförderung im Bezug auf eine wissens­
orientierte Raumpolitik beleuchten zu können, ist zunächst die Einordnung der Rolle und Funktion der
kommunalen Wirtschaftsförderung im Verhältnis zu
­anderen raumwirksamen Ebenen vorzunehmen: Regionale Wirtschaftspolitik ist eine Mehrebenenpolitik und
wird auf der EU-, Bundes-, Landesebene und der kom-
munalen Ebene vollzogen. Eine klare Unterscheidung
der verschiedenen Rollen, die in der folgenden Abbildung skizziert sind, bietet Lammers (1998): Die von der
übergeordneten Raumebene betriebene Raumwirtschaftspolitik bezeichnet er als Regionalpolitik (kann
auch als regionale Strukturpolitik bezeichnet werden).
Diese Politik strebt eine räumliche Steuerung und eine
Umverteilung von Ressourcen an. Traditionell war es Ziel
dieser Politik, zu einer ausgeglichenen Regionalentwicklung beizutragen und schwache Räume besonders zu
fördern. Neuerdings erfolgt dies zunehmend mit dem
Ziel der Aktivierung von Wachstumspotenzialen (Gärtner 2008, Beetz 2006). Die Standortpolitik, federführend
organisiert von den kommunalen Wirtschaftsförderungsorganisationen, strebt eine Verbesserung des
­eigenen Standorts (Stadt, Kreis, Region) an, und zwar
unabhängig von den regionalpolitischen Zielen der höheren Raumebenen (Land, Bund, EU).
Die Unterscheidung zwischen Regional- und Standortpolitik ist keinesfalls banal, denn kommunale Wirtschaftsförderung kann unabhängig von gesamträum­
lichen Zielen eine egozentrierte Politik verfolgen. Dies
ist deshalb von Bedeutung, da sich die übergeordne­ten Raumebenen die Fragen stellen müssen, inwiefern
eine wissens- und kompetenzorientierte Regionalpolitik
­erfolgreiche Regionen zu Lasten schwächerer Räume
fördert und ob dies – und wenn ja, in welcher Form –
kompensiert werden soll.
Kommunale Wirtschaftsförderung darf also Standortpolitik nach dem Motto „Mitnehmen, was man kriegen kann“ betreiben, sollte aber den Bogen nicht überspannen. Schon aus eigenem Interesse sollte sich die
kommunale Wirtschaftsförderung an tatsächlich vorhandenem Wissen und regionalen Kompetenzen orientieren, weil sonst eine Profil- und authentische Image­
bildung erschwert wird.
Eine am lokalen Wissen orientierte Wirtschaftsför­
derung ist auf das Wissen und die Kompetenzen der
­regionalen Unternehmen angewiesen und benötigt
selbst umfassendes Wissen bezüglich der regionalen
Wissensbestände, aktueller Trends etc. Da dieses ­W issen
unter den lokalen Akteuren verteilt ist, ist sie auf eine
Vielzahl an Institutionen, Personen und Unternehmen
88
RegioPol eins 2008
angewiesen. Akteure der Wirtschaftsförderung sind
­daher nicht nur die Angestellten innerhalb der Wirtschaftsförderungseinrichtungen und in den städtischen
Ämtern (z. B. Stadtplanungsamt, Umweltamt usw.) sowie
in halbstaatlichen Einrichtungen wie Kammern, sondern
ebenso die Kunden der Wirtschaftsförderung: die Unternehmen. Aufgabe der Wirtschaftsförderung ist es, diese
einzubinden und an der regionalen Standortentwicklung
zu ­beteiligen. Somit ist sowohl hinsichtlich der Ziel­
gruppen als auch der Akteure der kommunalen Wirtschaftsförderung eine Entgrenzung angezeigt. Wirt­
schafts­förderung ist danach weder rein aus der
Verwaltungsperspektive, noch ausschließlich aus Sicht
der Unternehmen zu formulieren. Ausgangspunkt sollte
vielmehr sein, den Standort als einen Ort zu begreifen,
der durch Institutionen, Bürger und Unternehmen gemeinsam getragen wird und an dem Identität, Lebensqualität und insbesondere Wissen gebildet wird.
Wirtschaftsförderung darf sich also hinsichtlich der
Akteursstruktur nicht auf sich selbst beschränken. Eine
Entgrenzung muss darüber hinaus auch hinsichtlich der
Themenfelder und der geografischen Raumbezüge
stattfinden, wie in den folgenden beiden Unterkapiteln
skizziert wird:
3.1 T
hematische Entgrenzung der kommunalen Wirtschaftsförderung
Konzentrierte sich die Wirtschaftsförderung früher auf
Handlungsfelder wie die Erschließung von Gewerbeflächen, die Bereitstellung wirtschaftsnaher Infrastrukturen sowie die Ansiedlung neuer und die Umsiedlung vorhandener Unternehmen, geht es heute auch darum, die
spezifischen regionalen Kompetenzen und Wissensressourcen zu erkennen, zu bündeln und zu unterstützen.
Die folgende Ideensammlung skizziert mögliche Bausteine, die eine am regionalen Wissen orientierte thematisch entgrenzte Wirtschaftsförderung zusätzlich zu den
traditionellen Feldern beinhalten kann:
Wissensspillover funktionieren je nach Branche und
Standort unterschiedlich. Letzteres bezieht sich auf die
gebaute Umgebung, auf Plätze, Gebäude und Strukturen, aber auch auf die regionale Kultur. Hinsichtlich der
Wirkungsweisen ist wenig bekannt. Auch gibt es keine
Patentrezepte dergestalt:
Virtuositätsgrad der Branche x Urbanitätsgrad =
Wissensspezifisches Milieu vor Ort
Die Aufgabe der kommunalen Wirtschaftsförderung ist
es, die regionalen Wissensbestände zu entdecken, ein
Gespür für die jeweiligen Milieus zu entwickeln, die
­urbane Attraktivität zu erhöhen und eine tolerante
­Atmosphäre zu fördern.
Entwicklung regionaler Bildungs- und Wissensressourcen
Neben der Förderung der relativen Wissensstärken einer
Region, geht es darum, Bildung und die Chancen zum
Wissenserwerb in der Breite zu unterstützen. Dies ist
zwar nicht die originäre Aufgabe der kommunalen Wirtschaftsförderung, wohl ist die regionale Wirtschaft aber
auf gut ausgebildete kreative Menschen angewiesen.
Wirtschaftsförderung kann im Sinne einer entgrenzten
Wirtschaftsförderung Akteure auffordern, vor Ort in regionale Bildung zu investieren, Austauschprozesse zwischen Schulen, Universitäten und regionalen Unternehmen initiieren und Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen
in der Region anstoßen. Einige Städte sind zumindest
formal in den letzten Jahren schon einen Schritt in diese
Richtung gegangen, indem sie die Funktionsbereiche
„Beschäftigung und Qualifizierung“ in die kommunalen
Wirtschafts­förderungsämter bzw. -gesellschaften inte­
griert haben. Regionale Bildung kann einen an den re­
gionalen Kom­petenzen orientierten Fokus haben, wobei
jedoch zu ­beachten ist, dass eine gute generelle Aus­
bildung der Menschen in der Region die Basis ist, in der
Zukunft neue Themen besetzen zu können.
Lokale endogene Wissenspotenziale sind spezifisch und müssen entdeckt werden
Ähnlich wie bei der Cluster- bzw. Kompetenzfeldpolitik
(z. B. Rehfeld 1999) muss eine Stadt oder Region Kenntnis über ihre relativen Stärken haben, also erkennen, in
welchen Feldern sie besser ist als andere Regionen und
über spezifische Wettbewerbsvorteile verfügt. Dies ist
deshalb für die regionale Wirtschaftsförderungsstrategie von Bedeutung, da Wissensaustausche spezifisch
sind und das für den Austausch von Wissen notwendige
Vertrauen in bestimmten sozioökonomischen Milieus
entsteht. So haben die Medienunternehmen in Köln oder
Berlin andere Arten von Orten, an denen sie Wissen austauschen, andere Routinen, Werte und Normen und bilden andere Vertrauensregime als beispielsweise Un­
ternehmen der „Maritimen Wirtschaft“ im Raum Ems.
Chancen müssen vor allem in wissensfernen Regionen ergriffen werden
Auch wenn sich die kommunale Wirtschaftsförderung
keine Gedanken über gesamträumliche Auswirkungen
einer am Wissen und an regionalen Kompetenzen orientierten Raumpolitik machen muss, stellt sich für strukturschwache wissensferne Räume die Frage, wie sie sich
zur Teilnahme an einer wissensintensiven Ökonomie
qualifizieren können. Gerade für solche Städte und
Regio­nen ist es wichtig, neue Wege zu gehen und regional begründete Chancen zu ergreifen.
Ein Beispiel: Im Rahmen des Struktur- und Siedlungswandels ergeben sich insbesondere in altindustriellen
Räumen immer wieder Leerstände (Gebäude und
Wissensökonomie
­ lächen), die temporär für kulturelle oder ökonomische
F
­A ktivitäten genutzt werden können. Verstanden als
„Möglichkeitsräume“ könnten solche Flächen- und
­Gebäudebrachen städtebauliche und durchaus auch
ökonomische Potenziale bedingen. Unter Möglichkeitsräumen sind in diesem Kontext Raumlabore zu ver­
stehen, in denen neue Nutzungskonzepte auf ihre Funktionalität und ökonomische Tragfähigkeit hin getestet
werden können. Solche Möglichkeitsräume sind besonders geeignet für das „kreative Milieu“, das unsere Wirtschaftsförderer und Stadtplaner so gerne in ihren Städten haben möchten. Dieses Milieu fühlt sich nur selten
von auf dem Reißbrett entwickelten „Inkubatoren“ angezogen, die aus Kostengründen oftmals nicht in den bevorzugten Innenstadtquartieren lokalisiert sind. Akteure
dieses Milieus wollen Raum entdecken, ihn sich aneignen und gestalten. Solche Projekte kosten der öffent­
lichen Hand wenig Geld und sind bezogen auf das
­Kosten-Nutzen-Verhältnis mit geringeren Risiken verbunden als zum Beispiel die Errichtung von Dienstleistungs- oder Gründerzentren. Im Rahmen der klassischen
Wirtschaftsförderung lassen sich derartige Vorhaben allerdings nur schwer umsetzen, da sie nicht planbar sind,
die Aktivität lokaler Akteure erfordern und ein neues
Raumverständnis implizieren, das sich von statischen
konstanten Raumnutzungen verabschiedet. Entgrenzte,
an lokalen Wissensmilieus orientierte Wirtschaftsförderung muss daher ein Gespür für stadtteilspezifische
­Milieus entwickeln und vor allem die potenziellen Nutzer
solcher Projekte als Akteure der Wirtschaftsförderung
begreifen. Unterstützen kann die Wirtschaftsförderung
derartige Aktivitäten zum Beispiel durch Wettbewerbe
und die Schaffung der notwendigen genehmigungsrechtlichen Freiräume. Einzelne Beispiele dafür gibt es
bereits im In- und Ausland (z.B. http://www.zwischennutzung.net/mainframe.html). Wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, sind diese Projekte vor allem in urbanen,
historisch gewachsenen Innenstadtquartieren in Städten mit einem adäquaten Image und einer entsprechenden Gesamtstruktur erfolgreich. Unabhängig davon sind
ebenso für weniger urbane Räume unkonventionelle aus
der spezifischen regionalen Situation resultierende Handlungsfelder vorstellbar. Zurzeit wird beispielsweise an
­vielen Orten über den Anbau von Energiepflanzen auf Industriebrachen diskutiert. Auch ließe sich darüber nachdenken, Megagewächshäuser auf solchen Flächen unterzubringen. Dies vor dem Hintergrund, dass der Gartenbau
stark von Energiepreisen abhängig ist und daher zurzeit
versucht, durch Hightech-Gewächshäuser Kostenvorteile
zu generieren (NRZ 23. Januar 2008). Weil solche Gewächshäuser keinen Kontakt zum Boden haben, ließen sie
sich problemlos auf Industriebrachen realisieren. Stand­
orte im Umfeld von Kraftwerken erscheinen besonders
sinnvoll für solche Vorhaben, da dort durch eine Kraft-­
Wärme-Kopplung eine hohe Energieeffizienz erreicht
­werden könnte. Eine solche wissensintensive Landwirtschaft würde eine Kompetenzbildung forcieren und ehemalige Industriearbeiter könnten als eine Art Franchisenehmer zu „urbanen Landwirten“ werden und Teile dieser
89
Megaanlagen bewirtschaften. Diese Beispiele sind keinesfalls als Projektvorschläge zu verstehen, vielmehr soll damit aufgezeigt werden, dass eine entgrenzte Wirtschaftsförderung Wissen über Trends benötigt, regionale
Zeitfenster erkennen muss und den Mut benötigt, auch
unkonventionelle Themen zu besetzen.
Wissensorientierte Image- und Profilbildung
Städte und Regionen versuchen durch bestimmte
­Images – die zumeist an Wissen und Kompetenz orientiert sind – Kapital und Kreative anzuziehen. Für Städte
mit einer langen Tradition als Dienstleistungs- und Wissensstadt (z. B. Darmstadt, Freiburg oder Tübingen) ist
es einfacher, sich mit einem dementsprechenden Image
zu profilieren. Schwieriger ist es dagegen für vom Strukturwandel betroffene Städte und Regionen. Images lassen sich nicht aus dem luftleeren Raum kreieren, sondern benötigen meist regionale Wurzeln und müssen
vor Ort gelebt werden. Zwar sind auch radikale Brüche
möglich, diese müssen aber konsequent stattfinden
und gelebt werden (Grote Westrick/Rehfeld 2006). Auch
wenn die Leuchtturmprojekte viel kritisiert wurden, haben Städte wie Bilbao mit dem Guggenheim-Museum
oder Dubai, wo sich alles – angefangen von Megage­
bäuden, über Skianlagen bis zu ganzen Inseln – gestalten lässt, eigenständige Images herausgebildet, die
nach innen und außen wirken.
Wenig erfolgversprechend erscheint der Versuch
­einiger Städte, modische und nichtssagende Images
durch ein paar Werbeslogans zu entwickeln. Dass ein
­Werbeslogan zur Stadt passen muss, macht der Werbefachmann Bernd Michael in einem Interview in der
­Süddeutschen Zeitung (11. März 2008) klar: „München
hat erfolgreich mit ‚Weltstadt mit Herz‘ geworben; das
passt zu München, das gemütlich ist, aber keine Provinz.
(…). Das heutige ‚Munich loves you‘ ist eher peinlich.
Auch ‚München mag Dich‘ klingt anbiedernd“ (ebenda).
Images lassen sich nicht dauerhaft dadurch verändern,
indem ein Claim ausgerufen wird, der nur wenig mit der
Stadt zu tun hat. So hat zwar die altindustrielle Stadt
Dortmund mit ihrer an endogenen Kompetenzen
­orientierten Wirtschaftsförderungspolitik nachhaltig ihr
Image aufpoliert und es damit sogar in der Serie „Stille
Stars – Deutschlands ­unbekannte Wachstumsregionen“
ins Handelsblatt geschafft (Handelsblatt 21. Juli 2004),
die Kampagne „Das neue Dortmund macht Laune“ hat
dazu allerdings weniger bei­getragen.
Zur Teilhabe an einer wissensintensiven Wirtschaft
reicht es also nicht, ein Image zu kreieren ohne die tatsächlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in Augenschein zu nehmen. Im Rahmen einer zunehmenden
­Bedeutung „expressiver, ästhetischer Lebensäußerun-­
gen“ (Blotevogel 2003: 14), urbaner Qualitäten, sozialer
Strukturen und Netzwerke für Innovationen sowie regio­
naler, sozialer und kultureller Werte (Thierstein 2004) gewinnt (urbane) Lebensqualität an Bedeutung. Dazu ge­
hören neben einer umwelt- und sozialverantwortlichen
90
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
Wirtschaft auch Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote,
gebaute Umwelt und ebenso herausragende Kinderbetreuungsangebote, die die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf gewährleisten. Dies fällt keineswegs in die Kategorie
„Gedöhne“, sondern ist eine reale Standortqualität und
damit ein wichtiges Handlungsfeld. ­Gelingt es einer entgrenzten Wirtschaftsförderung, die Lebensqualität zu
­verbessern, stellt sich von alleine ein positives Image ein.
3.2 Räumlich-geografische Entgrenzung der kommunalen Wirtschaftsförderung
Im Rahmen einer am Wissen orientierten Raumpolitik
werden die vor Ort vorhandenen wirtschaftsstruktu­
rellen Kompetenzen und regionalen Netzwerke, aber
auch Milieu- und Kulturfaktoren, Wissenskulturen und
städtebaulichen Strukturen zu Potenzialfaktoren und
sollten Ausgangspunkt einer eigenständigen Strategie
sein, deren Bezugsräume allerdings in der Regel über
enge ­administrative Regionen hinausgehen bzw. sich
teilweise kleinräumiger verorten. Für die kommunale
Wirtschaftsförderung heißt dies, eine am lokalen Wissen
orientierte Strategie in verschiedenen thematischen
Raumfiguren (vgl. Kap. 1) zu denken.
Großräumlich bedeutet das, ein Bewusstsein darüber
zu erlangen, dass die Räume, in denen Wissenspoten­
ziale verdichtet vorliegen, Wissensspillover stattfinden
und Images geprägt werden, sich nicht administrativ begrenzen lassen. Um dem gerecht zu werden, reicht es
nicht aus, wie es beispielsweise bei der Bestimmung
von Metropolregionen geschehen ist, die Ränder aus­
zudehnen und einen bestimmten Teil – meist wiederum
­administrativ abgegrenzte Gebietskulissen – einzubinden. Es geht weniger um Größe als vielmehr um Themen
und die entsprechenden Wissensgeografien. „Je nach
betrachte­tem Thema, wie zum Beispiel Kooperationsmuster von Wirtschaftsbranchen, lässt sich eine andere
sinnvolle Ausdehnung begründen“ (Thierstein/Goebel
2007: 24).
Regionale Wissenswertschöpfungsketten beschränken sich zwar nicht auf einen administrativen Raum, allerdings wird zur Aufspürung dieser Wertschöpfungsketten (z. B. für die Auswertung statistischer Daten)
zunächst einmal ein solcher Raum als Bezugspunkt benötigt. Wichtig ist jedoch, dass diese Bezugsräume als
Denkfigur perforierte Grenzen haben, um die tatsäch­
liche Verortung des Wissensraums erfassen zu können.
Verändert sich der geografische Analyseraum eines
­W issensfeldes, verändern sich in der Regel auch Größe
und Struktur der Wissenswertschöpfungskette, also des
sektoralen Bezugsraums.
Bei der Beachtung sich überlagernder Wissensräume
geht es zunächst darum, die möglichen Bezugsräume
für verschiedene Themen zu orten. Um von diesen
­W issensgeografien zu profitieren und diese strategisch
zu nutzen, sind entsprechende Governance-Strukturen
gemeinsam mit den Akteuren anderer Gebietskulissen
zu gestalten.
b Kunstobjekt, Museum Louisiana, Dänemark
91
Die Städte Wuppertal, Remscheid und Solingen in NRW
haben beispielsweise eine integrierte regionale Wirtschaftsförderungsstrategie (www.kompetenzhoch3de),
die im Kern die Entwicklung wirtschaftsstruktureller
Kompetenzfelder beinhaltet. Neben der gemeinsamen
Entwicklung der regionalen Kompetenzen agiert jede
kommunale Wirtschaftsförderung weiterhin unabhängig und offeriert den lokalen Unternehmen einen individuellen Service im Rahmen der klassischen Wirtschaftsförderung. Dazu gehört Gewerbeflächenmanagement,
Standortberatung, Genehmigungsmanagement, Gründungsberatung, Potenzialberatung und vieles mehr
(Gärtner/Terstriep 2006). Dieser Ansatz ist nur ein Beispiel, das verdeutlicht, wie das Agieren in administrativ
entgrenzten Räumen für die Wirtschaftsförderung aussehen kann. Wobei sich dies beim beschriebenen Fall
zwangsläufig aus der Innensicht noch immer an admi­
nistrativen Grenzen orientiert, auch wenn es sich dabei
um einen größeren Raum handelt.
Globalräumlich heißt dies, sich zwar bewusst zu sein,
dass näheräumliche überkommunale Bezüge bedeutend
sind, sich Räume aber auch unabhängig von Proximitätsfaktoren weltweit aufspannen können. Wissensräume
­können sich auch deshalb global gestalten, da regionale
Wissensnetzwerke mitunter internationale Konzerne bzw.
deren Tochtergesellschaften beinhalten, was in der Re­
gionalökonomie, die den Fokus auf regionale Netzwerke
kleiner und mittlerer Unternehmen setzt, oft ignoriert
wird (Markusen 1996: 309ff.). Eine am Wissen orientierte
Wirtschaftsförderung sollte sich der wichtigsten überre­
gionalen Raumkontexte bewusst sein, an die die regio­
nalen Wissensfelder angedockt sind, und eine Kopplung
lokaler und internationaler Verflechtung unterstützen.
Kleinräumlich bedeutet dies, spezifische Wissens­
milieus in Augenschein zu nehmen und die Potenziale der
Stadtteile als Kulisse für eine wissensintensive ­Wirtschaft
abzuklopfen. Bestimmte Stadtteile beherbergen spezifische Wissensmilieus, die nur teilweise von der Gesamt­stadt abhängen. Einige Stadtteile unterschiedlicher Städte
können aufgrund ähnlicher Milieus größere Gemeinsamkeiten und Transaktionsbeziehungen untereinander haben als die einzelnen Stadtteile mit ihrer ­Gesamtstadt.
So konkurrieren beispielsweise bestimmte Wirtschaftssegmente ­weniger zwischen Berlin und Hamburg als
­zwischen Friedrichshain-Kreuzberg (Berlin) und St. Pauli-­
Karolinenviertel (Hamburg). Krätke verweist am Beispiel
der Medienwirtschaft auf das kulturelle Kapital, ein für
­Akteure, die auf kreatives Wissen ­angewiesen sind, „gesellschaftlich produzierter Standortvorteil“ (2004: 202).
Er führt am Beispiel des Umzuges des Musikkonzerns
­Universal Music in den Szenebezirk Friedrichshain-Kreuzberg aus, dass städtische Teilräume für Standortent­
scheidungen aufgrund ihres Images eine Bedeutung haben. „Ein Unternehmen wie Universal ­Music benötigt
sozusagen einen Draht zur Subkultur, denn die Musik­
wirtschaft lebt (wie auch andere Zweige des Medien- und
Kultursektors) von Trends, die relativ schnell veränderlich
sind. Folglich sucht man die Nähe zur Quelle von neuen
Trends, nämlich den Subkulturen, die sich im Raum
92
RegioPol eins 2008
­ estimmter Metropolen wie Berlin entfalten“ (Krätke
b
2004: 103).
Stadterneuerung entwickelt sich seit Jahren von der
rein baulichen Stadtsanierung hin zu Strategien, die die
ökonomische Revitalisierung als ein wichtiges Element
berücksichtigt. Allerdings liegen solche an der „lokalen
Ökonomie“ orientierten Maßnahmen vor allem im Auf­
gabengebiet der Stadterneuerungsämter. So sind die
Stadtteile zwar mehr und mehr ins Blickfeld stadtpolitischen Handels gerückt, aber eher aus einer sozialpolitischen Motivation heraus bzw. zur Verhinderung sozialer
Krisenkreisläufe, anstatt die Potenziale für die Gesamtstadt zu betrachten. Die kommunale Wirtschaftsförderung sollte sich daran beteiligen, eine auf Quartiers­
ebene heruntergebrochene Wirtschaftsförderung zu
betreiben und die stadtteilspezifischen Potenziale, aber
auch die Problemlagen berücksichtigen. Dies umfasst
auch die Kommunikation eines an den lokalen Gegebenheiten orientierten Images auf Stadtteilebene.
4. Fazit
„Mitnehmen, was man kriegen kann“ ist zwar für eine egozentrierte Politik wie die kommunale Wirtschaftsförderung
legitim und bedingt sinnvoll, aber gesamträumlich nicht
optimal. Obwohl dieser Artikel den Blickwinkel der kommunalen Wirtschaftsförderung einnimmt, wird darauf hingewiesen, dass die Fördermittel gewährende Raumebene
(Land, Bund, EU) sehr genau abwägen sollte, ob eine Stadt
oder Region bezüglich eines in einen Wettbewerb eingebrachten Vorhabens relative Wissensstärken aufweist und
ob das Vorhaben zu der Region oder Stadt passt. Wenn
einzelne Städte und Regionen versuchen, relative Wissensstärken aus dem Nichts darzustellen, ist dies gesamträumlich nicht sinnvoll. Auch für wissensferne Regionen,
die sich, um den Ausschreibungen und Wettbewerben zu
entsprechen, mit Profilen vermarkten, die den regionalen
Gegebenheiten fern sind, ist dies nur suboptimal. Um
­konsequent relative Wissensstärken sowie Kompetenzen
und gleichzeitig eine sozialpolitisch gebotene Stabili­sie­
rung schwacher Räume zu unterstützen, bedarf es ­eines
anderen regional- bzw. strukturpolitischen Vorgehens:
Eine wissens- und wachstumsorientierte Regionalpolitik
sollte unabhängig von Ausgleichszielen dort erfolgen, wo
sie regional angezeigt ist und gesamträumlich sinnvoll
­erscheint. Unabhängig davon sollten schwache Räume
­besonders gefördert und dort vor allem ein breites
­Bildungsangebot aufrechterhalten werden. Für die kommunale Wirtschaftsförderung heißt dies im Umkehr­
schluss, sich nicht auf jeden Wettbewerb des Landes,
des Bundes oder der EU zu bewerben, sondern zu ver­
suchen, die regionalen Wissensstärken und Kompetenzen
herauszustellen.
Es geht darum die Chancen zu ergreifen, die sich aufgrund der spezifischen regionalen Situation ergeben: So
ist es Aufgabe einer wissensorientierten Wirtschafts­
förderung, Trends zu erkennen und – insofern die Region
diesbezüglich über besondere Standortfaktoren verfügt
– diese als Pioniere zu testen. Wirtschaftsförderer sollten nicht der allgemeinen Mode folgend, blind auf
wissens­intensive Dienstleistungen setzen. Denn die
wissens­intensiven Ökonomien Europas sind oftmals industriebasiert (Krätke 2007) und in vielen Städten bilden
die industriellen Kerne Ankerfunktionen für unternehmensnahe wissensintensive Dienstleistungen.
Städte und Regionen können sich dann erfolgreich
positionieren, wenn sie eine vernetzte Politik und eine
gemeinsame Entwicklungsstrategie mit vielen Akteuren
verfolgen. Die kommunale Wirtschaftsförderung kann
diesbezüglich Triebfeder sein, kann dies aber nicht allein
bewerkstelligen. Da, wie in diesem Artikel ausgeführt,
eine am lokalen Wissen orientierte Wirtschaftsförderung verschiedene, über die administrative Gebietsku­
lisse hinausgehende Raumbezüge beachten sollte, muss
sie sich neben einer thematischen Entgrenzung nicht
nur nach innen entgrenzen, indem sie sich vor Ort
­Kooperationspartner sucht, sondern auch nach außen
und über die administrativen Grenzen hinaus entsprechende Governance-Strukturen aufbauen.
Wissensökonomie
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RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
95
Arno Brandt
Was kann und
darf Clusterpolitik?
Clusterstrategien: Legitimität, Wirksamkeit, Gestaltbarkeit
Ü
berall dort, wo heute Wirtschaftsentwicklung
in einem gemeinsamen Kontext mit Innovation
gedacht wird, fällt früher oder später nahezu
unweigerlich auch der Begriff „Cluster“. Im Rahmen ihrer
Hightech-Strategie fördert auch die Bundesregierung
ausdrücklich nachgewiesene „Spitzencluster“. Diese
zeichnen sich durch „eine wissenschaftlich hochwertige
und praxisorientierte Nachwuchsförderung sowie attrak­
tive Lehr- und Weiterbildungsangebote, langfristig angelegte Forschungsstrategien, marktnahe Technologieentwicklung, günstige Bedingungen für Gründungen
und den strategischen Ausbau internationaler Koope­
rationen“ aus (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2008). Gerade im „Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“, der geradezu als konstitutives
Element von innovativen Clustern gilt, sieht die Bundesregierung den strategischen Vorteil dieses Konzepts.
Für die Spitzencluster ist also gesorgt. Wie aber soll
sich Politik auf Länder- bzw. regionaler und kommunaler
Ebene gegenüber möglichen Clusterpotenzialen verhalten? Gerade in den noch jungen, innovativen Technologiefeldern verläuft die Entwicklung teilweise in einem
atemberaubenden Tempo. Hier den Dingen ihren Lauf zu
lassen, wie es manche Ökonomen nahelegen, bis das
­fertige Cluster klar zutage tritt, erscheint in Zeiten zunehmender Standortkonkurrenz sträflicher als fahrlässig. Die qualifiziertesten Arbeitskräfte und innovativsten Unternehmen werden nicht auf Dauer in Regionen
zu halten sein, die ihren Wirtschafts- und Forschungs­
bereichen gegenüber vornehme Zurückhaltung üben.
Die Politik ist also gefordert. Es bleibt jedoch die Frage zu klären, ob und inwieweit die Clusterbildung einer
politischen Initiierung und Steuerung überhaupt zugänglich ist. Nach Rehfeld ist dies nur eingeschränkt der
Fall, da die Clusterentstehung oftmals von Zufällen abhängig, theoretisch nicht zu erfassen und deshalb als
Grundlage für eine systematische Clusterpolitik nicht
geeignet sei (Rehfeld 2006, S. 148 f.). Zudem entstünden
Cluster nur an national oder international herausragenden Standorten. Der Hinweis, dass der Entstehungs­
zusammenhang mancher Cluster auf Zufallskonstella­
tionen zurückzuführen ist, ist noch kein systematisches
Argument gegen die prinzipielle Gestaltbarkeit von
­C lustern. Clusterprozesse können zufällig, aber prinzi­
piell auch politisch gezielt angestoßen werden. Dafür
bedarf es aber bestimmter Voraussetzungen (z. B. muss
ein ­gegebenes Minimum an Clusterpotenzial am Standort vorhanden sind), die aber keineswegs nur an Spitzen­
standorten anzutreffen sind. Clusterpotenziale können
nicht zuletzt auch in traditionell strukturschwachen
­Regionen existieren und ändern sich mit dem Wandel
gesamt- und weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen
(NORD/LB/NIW 2007). Interessanterweise hat Paul Krugman, dem ansonsten bekanntlich die Bedeutung des
Faktors Zufall in der Ökonomie keineswegs fremd ist,
frühzeitig auf die Rolle staatlicher Institutionen bei der
Entwicklung von Clustern hingewiesen. Aus seiner Sicht
zeigt sich: „the stories of the founding of high techno­
logy clusters are less romantic. In general the new high
technology clusters were the product less of intrepid
­individuals than of visionary bureaucrats …“ (Krugman
1991, S. 64). Auch Brenner/Fornahl sehen die Beeinflussung regionaler Standortbedingungen als zentralen Ansatzpunkt für Clusterpolitik (Brenner/Fornahl o.J, S. 10).
Voraussetzung sei jedoch die Existenz einer kritischen
Masse zur Clusterbildung und das Vorhandensein „lokaler Externalitäten“, die als Mechanismen der Clusterbildung wirken. Dazu zählen Brenner/Fornahl u. a. die Verfügbarkeit von Humankapital, Firmenneugründungen,
Innovation und Risikokapitalgeber (ebd. S. 13 f.).
Die gegenwärtige Popularität von Clusterkonzepten
erklärt sich zum einen als Folgeerscheinung der Globa­
lisierung, die den Standortwettbewerb zwischen den
Regionen verschärft. Die Sicherung und Steigerung der
­regionalen Wettbewerbsfähigkeit wird zunehmend als
Schlüssel der wirtschaftlichen Entwicklung und der
­Beschäftigung angesehen. Damit gewinnen auch kommunizierbare Alleinstellungsmerkmale einen exponierten Stellenwert (Kiese 2008 S. 49). Das Clusterkonzept in
seiner Fokussierung auf ökonomische Schwerpunkte
entfaltet seinen besonderen Reiz im Zusammenhang mit
der Knappheit öffentlicher Ressourcen, da eine aktive
b Gartenzwerge, „Kluster: was dick und dicht zusammensitzet“ (Grimmsches Wörterbuch)
96
RegioPol eins 2008
Wirtschaftsförderung in der Breite offenkundig Schwierigkeiten bereitet. Zum anderen liegen die Ursachen für
den derzeitigen Siegeszug der Clusterkonzepte in einem
tief greifenden Strukturwandel, der als Übergang zur
­w issensbasierten Ökonomie (Wissensgesellschaft/Wissensökonomie) charakterisiert wird (Heidenreich 2000,
2004, Kujath 2005, Strambach 2004, Brandt 1999, Picot/
Reichwald/Wigand 2003, Reichwald/Hermann 2000).
Dieser beeinflusst nicht zuletzt auch die Entwicklungsund Wettbewerbsbedingungen von Regionen. Ökonomische Netzwerkstrukturen bzw. Kooperationsbeziehungen entlang der Wertschöpfungsketten werden
dabei für die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe von
­immer größerer Bedeutung. Insbesondere innovative
Netzwerke, die auf den intensiven Austausch von (implizitem) Wissen angewiesen sind, profitieren von den
­besonderen ökonomischen Vorteilen räumlicher Nähe.
Clusterpolitik findet in diesem Kontext einen frucht­baren
Nährboden und erscheint damit in besonderer Weise
­erfolgsträchtig zu sein.
Wenn (staatliche) Politik den Prozess der Clusterbildung positiv gestalten will, steht sie allerdings zunächst
vor der Herausforderung, hinreichende Informationen
über die strategische Ausgangslage ihrer Bemühungen
zu akquirieren. In diesem Zusammenhang wird vielfach
argumentiert, dass der Staat bei der Wahrnehmung dieser Funktion hoffnungslos überfordert ist. So gibt es für
Wolfgang Franz „viele Studien, die zeigen, dass man
wirtschaftliche Entwicklungen nicht vorhersagen kann“
(Franz 2004). Insbesondere warnt er in diesem Zusammenhang davor, sich auf bestimmte Branchenschwerpunkte zu konzentrieren. Diese Sorge erscheint insbesondere bei industriell veralteten Clustern berechtigt
zu sein, in deren Firmennetzwerken eine rechtzeitige
Verjüngung der Clusterstrukturen durch innovative Ak­
tivitäten versäumt wurde. Es gibt jedoch im Rahmen
staat­licher (regionaler) Politik eine Vielzahl von Instrumenten, um die bestehenden Informationsprobleme
und damit Risiken zu reduzieren. Voraussetzung ist natürlich, dass man weiß, wonach zu suchen ist. Mit an­
deren Worten: Was macht einen Cluster eigentlich aus?
1. Das Clusterkonzept
Unter einem Cluster wird zunächst eine räumliche Konzentration vernetzter Unternehmen bzw. Betriebe und
Institutionen (Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen, Kammern, Verbände etc.) verstanden, die sich auf
miteinander verwandte Wirtschaftszweige beziehen
(Porter 1999, S. 52 f., Sternberg 2005, S. 120). Dabei
­breiten sich Cluster, ökonomisch betrachtet, in einem
dreidimensionalen Raum vertikal über die Vertriebs­
kanäle abwärts bis zu den Kunden sowie horizontal zu
den Herstellern komplementärer Produkte und Dienstleistungen aus. Die bloße geografische Häufung erlaubt
es jedoch noch nicht von einem Cluster zu reden. Mit der
regionalen Konzentration von Betrieben einer Branche
bzw. ­einer Wertschöpfungskette ist zunächst nur ein
Clusterpotenzial vorhanden. Ein funktionierendes Cluster benötigt jedoch eine Konstellation, in der diese
räumlich konzentrierten Betriebe Austauschbeziehungen untereinander und mit komplementären Institutionen (z. B. aus Wissenschaft und Bildung) pflegen. Diese
intraregionale Vernetzung besteht bei Clustern im Wesentlichen aus mehr oder minder lockeren Verbindungen
(„weak ties“) (Granovetter 1973, S. 1360 ff.).
Die räumliche Konzentration von Clustern steht ­dabei
nicht im Widerspruch zu interregionalen und internationalen Kooperationen. Im Gegenteil: Durch überregionale
Vernetzung erweitern sich die Optionen der Arbeitsteilung und der Generierung von innovationsrelevanten
­Inputs, die zu einer maßgeblichen Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit eines Clusters und der mit ihm verbundenen Betriebe beitragen. Nicht räumliche Abschottung,
sondern eine starke regionale Wissensbasis, an der Informationen bzw. Anregungen aus aller Welt verarbeitet
werden können, ist mit einem richtig verstandenen
­C lusterkonzept gemeint (Läpple 2000, 2001). Gerade die
überregionalen Kontakte können, in Verbindung mit
­einer ausgeprägten Exportorientierung, den intraregionalen Kooperationsgedanken fördern, indem etwa gemeinsame Qualitätsstandards entwickelt werden (ARL
2006, S. 2). Die überregionale Kooperation mindert zudem die Wahrscheinlichkeit der Verkrustung von Strukturen durch institutionelle Lock-in-Effekte, die auf Dauer
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Regionen in
Frage stellen können.
2. Effizienzvorteile von Clustern
Wenn sich regionale Cluster über lange Zeiträume behaupten, müssen sie über spezifische Vorteile verfügen,
die eine Überlegenheit gegenüber den Strukturen einer
bloßen Konkurrenzökonomie begründen (Brandt 2008).
Tatsächlich lassen sich signifikante ökonomische Effi­
zienzvorteile im Prozess der Clusterung verifizieren.
­Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Alfred
­Marshall die räumliche Konzentration von Betrieben an
bestimmten Standorten beobachtet und plausible wirtschaftliche Argumente für deren Entstehung und relative Stabilität gefunden. Das Geheimnis dieser räumlichen
Konzentration lag in ihren spezifischen ökonomischen
Effizienzvorteilen, die (1) auf „a local market of skills“, (2)
auf „the growth of subsidiary trades „ und (3) auf „the use
of highly specialized machinery“ beruhten (Marshall
1920, S. 225). Diese Effizienzvorteile sind im Wesent­
lichen die drei ökonomischen Argumente, die bis heute
für die Überlegenheit erfolgreicher Cluster angeführt
werden: ein spezialisierter Arbeitskräftepool, spezifische
Inputs bzw. Infrastruktur sowie Wissens-Spillover.
Alle drei Argumente werden von Paul Krugman in
„Geography and Trade“ noch einmal aufgegriffen und
modelltheoretisch fundiert (Krugman 1991, S. 35 ff.). Für
Krugman handelt es sich bei den Effizienzvorteilen von
Clustern um nichts anderes als um spezifische Fälle po­
sitiver externer Effekte (Krugman 1993, S. 175 f., 1999,
Wissensökonomie
S. 114 ff., Martin/Sunley 1996). Dabei kann grundsätzlich
zwischen technologischen und monetären bzw. peku­
niären Externalitäten unterschieden werden. Technologische Externalitäten beruhen auf einem Austausch von
Wissen der Betriebe untereinander und zu Forschungseinrichtungen (Wissens-Spillover) (Krugman/Wells 2005,
S. 469). Diese Spillover führen im Rahmen der Koopera­
tionsbeziehungen eines regionalen Clusters zu wechselseitigen Lernprozessen der beteiligten Unternehmen.
Auf diesem Wege kann sich eine regionale Wissensbasis
entwickeln, die den Wettbewerbsvorteil des jeweiligen
Clusters weiter ausbaut. Mit Polanyis Konzept des „impli­
ziten Wissens“ kann plausibel begründet werden, dass
der räumlichen Nähe beim Wissenstransfer eine entscheidende Bedeutung zukommt (Polanyi 1985, Granovetter 1973, Läpple 2001). Pekuniäre Externalitäten stellen dagegen auf die Größe des Marktes ab. In großen
Märkten können ggf. steigende Skalenerträge realisiert
werden (z. B. regionale Zulieferbasis und Arbeitskräftepool). Diese Effekte werden bei vollständiger Konkurrenz
durch den Marktmechanismus übertragen und nach
­einer daraus resultierenden Veränderung der Preise internalisiert. In einer Welt steigender Skalenerträge und
unvollständiger Konkurrenz spielen die pekuniären
­Effekte durch das Auftreten von Marktgrößen-Effekten
­eine ­beachtliche Rolle (Krugman 1993, S. 166 f.). Die
gleichzeitige Existenz pekuniärer und technologischer
Externalitäten führt schließlich zu einem dynamischen
Selbstverstärkungsprozess (positive Rückkoppelung),
der den Vorsprung der an einem Cluster beteiligten
­Unternehmen weiterhin ausbaut.
3. Anreize der Clusterbildung
Damit können wir zur Ausgangsfrage zurückkehren.
­Diese besteht darin, ob sich die regionalen Clusterpotenziale in hinreichendem Maße autonom durch den
Marktmechanismus zu funktionierenden Clustern herausbilden und ob diese Prozesse einer politischen Gestaltung zugänglich sind. Viele Argumente sprechen dafür, dass es sich beim Prozess der Clusterbildung um
einen klassischen Fall von Marktversagen handelt, weil
potenzielle Nutznießer von Clusterprozessen i. d. R. nicht
oder nur zu sehr hohen Kosten davon abgehalten werden können, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten. Aus
der Perspektive des einzelnen Unternehmens gibt es
­daher keinen hinreichend starken Anreiz zur Cluster­
bildung aktiv beizutragen. Aus diesem Grund kommt es
zur Unterver­sorgung von Wirtschaftsräumen mit Clustern. Es lässt sich sogar argumentieren, dass die genannten positiven ­externen Effekte der Clusterbildung
zumindest zum Teil den Charakter von öffentlichen
­Gütern tragen. Bei ­öffentlichen Gütern handelt es sich
um einen „Extremfall eines positiven externen Effektes.“
(Stiglitz 1999, S. 176). Öffentliche Güter sind durch die
Eigenschaft der Nicht-Rivalität im Konsum und durch
das Prinzip der Nicht-Ausschließbarkeit gekennzeichnet.
Die bisherigen ­Überlegungen haben gezeigt, dass es
97
sich bei den ökonomischen Vorteilen von Clustern im
Wesentlichen um externe Effekte handelt, so dass der
Aspekt der Nicht-Ausschließbarkeit per definitionem
­gegeben ist. Nicht-Rivalität liegt vor, wenn die ökono­
mischen Vorteile, die ein beteiligter Betrieb aus der
­E xistenz eines Clusters zieht, gleichermaßen auch von
den anderen beteiligten Betrieben genutzt werden
­können. Cluster verfügen aber gerade über die genuine
Eigenschaft, dass durch die zunehmende Beteiligung
von Unternehmen und anderen Institutionen an Pro­
zessen des Wissensspillovers zusätzliches Wissen und
in dessen Folge größere Wertschöpfung entsteht.
Darüber hinaus gibt es noch weitere Argumente, warum es im Prozess der Clusterbildung zu Marktversagen
kommen kann. So ist davon auszugehen, dass die er­
warteten externen Effekte erst dann nennenswerte
­Resultate auf der Ebene der Wertschöpfung bewirken,
wenn ­eine kritische Masse von Unternehmen bzw. Betrieben eines Branchenzusammenhangs erreicht worden ist. Das bedeutet möglicherweise lange Inkuba­
tionsphasen mit erheblichen Zeiträumen zwischen den
notwendigen Investitionen in der Anfangsphase und
den Outputs eines dynamischen, funktionsfähigen
­C lusters. Ob es am Ende zu einem dynamischen Cluster
kommt, ist überdies mit hohen Unsicherheiten behaftet.
Privaten Investoren fehlt unter diesen Voraussetzungen
ein hinreichend starker Anreiz, sich für den Prozess der
Clusterbildung in zureichendem Maße zu engagieren.
Wenn die Clusterbildung für die Regionalentwicklung
von Vorteil ist (und vieles spricht im Übergang zur
­w issensbasierten Ökonomie dafür), der Markt aber nicht
von selbst in ausreichendem Maße Cluster entstehen
lässt, ist der politische Wille, die Clusterung im eigenen
„­Geschäftsbereich“ anzuregen, legitim, wenn nicht geboten. Eine anspruchsvolle Aufgabe der Clusterforschung wäre es daher, der Politik die dafür notwendigen
Instrumente und Eckdaten zur Verfügung zu stellen. Ein
notwendiger Schwerpunkt wird dabei in der Förderung
von Kooperationen und damit auf dem Netzwerk­
management liegen. Denn Cluster und insbesondere innovative Cluster zeichnen sich in maßgeblicher Weise
durch ­intensive Kooperationsbeziehungen aus. Die dabei entstehenden Netzwerke fester und dichter zu
­k nüpfen, ist zu einer Kernaufgabe der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik geworden.
4. Netzwerkanalyse
Wie kann eine solche Analyse des vorhandenen Clusterpotenzials aussehen? Obwohl die intensiven Verflechtungen zwischen den räumlich konzentrierten Betrieben
überhaupt erst eine Ansammlung von Unternehmen
qualitativ in ein Cluster „umschlagen“ lassen (s. o.),
­gelangen diese Kooperationsbeziehungen nur in den
seltensten Fällen direkt in den Fokus von Clusterstudien.
Es mag an dem nicht geringen Aufwand liegen, den
­fundierte Netzwerkanalysen erfordern, dass überwiegend nur indirekte Nachweise geführt werden, indem
RegioPol eins 2008
98
von der Existenz des Einen auf das Vorhandensein des
Anderen geschlossen wird oder gar Experteninterviews
die ­gezielte Expertise ersetzen. Dabei steht der Verzicht
auf originäre Netzwerkanalysen in keinem Verhältnis
zu dem Stellenwert, den die regionalwissenschaftliche
und -politische Debatte den formellen und informellen
Netzwerkbeziehungen beimisst. Erst aus der Analyse
von Umfang, Struktur und Intensität der regionalen
­Vernetzung lassen sich überhaupt tragfähige cluster­
politische Handlungsempfehlungen formulieren. Um­
fassende Netzwerkanalysen wurden zuletzt von der
NORD/LB ­Regionalwirtschaft über die Wissensvernetzung in der Metropolregion Hannover-BraunschweigGöttingen (NORD/LB 2007) und über die Maritime
­W irtschaft in der Metropolregion Hamburg (NORD/LB
et. al. 2008) erstellt. Aufgrund einer überdurchschnittlich hohen Rücklaufquote1 konnte jeweils ein sehr weitreichendes Bild der Vernetzung in den Regionen gezeichnet werden, das vielfältige Auswertungen und die
Definition konkreter Handlungsansätze ermöglicht. Anhand dieser Studien lässt sich exemplarisch der Nutzen
von Netzwerkanalysen für die Feststellung von Clusterpotenzialen darstellen.
Die Netzwerkanalyse liefert vor allem Erkenntnisse
hinsichtlich der Größe des Netzwerks, der Netzwerkdichte, der Kohäsion, der Netzwerk-Zentralisierung, des
Verbindungsgrades zur regionalen Wirtschaft sowie des
überregionalen Verbundenheitsgrades der Akteure in
den einzelnen Kompetenz- bzw. Clusterfeldern (Krätke
2002b; Krätke/Scheuplein 2001). Ein zentrales Kriterium
der Netzwerkanalyse ist die Netzwerkdichte. Sie gibt
Auskunft über das Ausmaß bzw. die Intensität der Netzwerkbeziehungen. Eine hohe Vernetzungsdichte ist eine
wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Innovationen und damit auch Grundlage für ein dynamisches,
funktionsfähiges Cluster. Da die Auswertung sowohl auf
der Mikro-, Meso- als auch der Makro-Ebene erfolgt, lassen sich neben den gesamten regionalen Vernetzungen
auch branchenspezifische und sektorale Verflechtungen
detailliert darstellen. Vor allem die überregionalen
­ ooperationen sind ein wichtiger Hinweis, ob das re­
K
gionale Cluster ausreichend in die internationalen Wissensströme eingebunden ist und längerfristig seine
Wettbewerbsfähigkeit zu sichern vermag.
Der Vorteil derartiger Netzwerkanalysen liegt nicht
zuletzt darin, dass sie wie kein anderes analytisches
­Instrument die Qualität der tatsächlichen regionalen Beziehungsgeflechte abzubilden vermögen. Diese Qualität
gilt dabei in der Cluster- und Regionalforschung als
­zentrale Entscheidungsgrundlage der Clusterpolitik.
5. Eckpunkte von Clusterpolitik
Der Politik stehen also durchaus erfolgversprechende
Instrumente zur Verfügung, um steuernd und initiierend
in den Prozess der Clusterbildung einzugreifen. Grundsätzlich können jedoch keine „Patentrezepte“ für Clusterpolitik bereitgestellt werden. Welche Maßnahmen in
den einzelnen Fällen zum Einsatz kommen, kann sich nur
aus den Bedingungen vor Ort herleiten. Dennoch können einige notwendige Rahmenbedingungen und beispielhafte clusterpolitische „Werkzeuge“ benannt werden, deren Einsatz inzwischen dokumentiert wurde.
Die politische Handlungsebene der Clusterpolitik ist
die Region. Wie weit oder eng der clusterpolitische Raum
abzugrenzen ist, kann jedoch nur im Rahmen einer Strategie der „variablen Geometrie“ entschieden werden.
­Clusterräume orientieren sich nicht an administrativen
Grenzen, sondern ergeben sich aufgrund ihrer spezifischen Verflechtungsbeziehungen. Dabei kann grundsätzlich auf der Basis räumlicher Netzwerkanalysen auch geklärt werden, wie sich der Clusterraum definiert (NORD/LB
2002b, Krätke 2002a,b). Zentrale Erfolgsvoraussetzung für
clusterpolitische Strategien ist vor allem, dass sich die
­regionalen Akteure mit den umsetzungsreifen Projekten
identifizieren und diese aktiv mittragen. Dabei kommt es
im Kern darauf an, dass die beteiligten Unternehmen
die clusterpolitischen Projekte und die verantwortliche
Um­setzungsor­ganisation unterstützen. Brenner/Fornahl
Die Rücklaufquote betrug im ersten Fall bei den Wissenschaftseinrichtungen 81 Prozent und bei den Unternehmen 68,4 Prozent, im zweiten Fall 80 und 40 Prozent.
1
Wissensökonomie
99
Bei der Entwicklung clusterpolitischer
­Basisstrategien und der Konzeption von
Projekten ist ein beteiligungsorientiertes
Verfahren zu empfehlen!
­ achen darauf aufmerksam, dass der frühzeitigen Mit­
m
wirkung einzelner Unternehmerpersönlichkeiten oder
Netzwerke hinsichtlich der „Initiierung und des Erfolgs von
Koordinierungsprozessen in der Entstehungsphase eines
Clusters“ eine ­tragende Rolle zukommt (Brenner/Fornahl
o.J. S.15). Vor diesem Hintergrund ist insbesondere ein
­beteiligungsorientiertes Verfahren bei der Entwicklung
der clusterpolitischen Basisstrategien und der Konzeption
von Projekten zu empfehlen.
Darüber hinaus sollte im Zuge der Clusterpolitik ein
strategisches Controlling implementiert werden, das die
eingeleiteten Maßnahmen in den identifizierten Fokusbranchen im Zeitablauf analysiert und fortlaufend prognostiziert (hannoverimpuls GmbH 2005), damit Fehlentwicklungen frühzeitig aufgedeckt und korrigiert werden
können. Diese Vorgehensweise garantiert zwar noch
­keinen sicheren Erfolg von Clusterpolitik, kann allerdings
ihre Erfolgswahrscheinlichkeit deutlich erhöhen.
Nach Kiese sind für die Clusterpolitik in Deutschland
vier räumlich-administrative Maßstabsebenen relevant.
Dabei handelt es sich um die supranationale Ebene der
EU, die Bundesebene, die Länderebene und die (inter-)
kommunale Ebene (Kiese 2008, S. 40). Aufgrund des notwendigen regionalisierten Zuschnitts von Clusterpolitik
sollte sich die Wirtschafts- und Strukturpolitik über­
geordneter Gebietskörperschaften darauf beschränken,
die Rahmenbedingungen für entsprechende Gestaltungsansätze zu verbessern. Damit ist insbesondere
die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die wirtschaftsnahe und Forschungsinfrastruktur gemeint, aber
auch ein Ausbau der Bildungsinfrastruktur in den Regionen. Spezielle Fördermittel, die darauf abgestellt sind,
die regionale Innovationsfähigkeit zu erhöhen, sollten
primär in Wettbewerbsverfahren vergeben werden. In
diesem Zusammenhang gibt es eine ganze Reihe von
Förderinstrumenten, die im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) oder der EU-Strukturpolitik (EFRE, ESF)
zur Verfügung gestellt werden und die für die Entwicklung und Umsetzung von Clusterstrategien genutzt
­werden können (Alecke/Untiedt 2005, S. 12 f.).
Die Bundes- und Landespolitik sollte sich im Rahmen
ihrer Regionalisierungsstrategie darauf konzentrieren,
Anreize für die Herausbildung von überregionalen
­Kooperationen zu schaffen, Qualitätsstandards zu definieren und deren Einhaltung zu kontrollieren. Sie sollte
aber darauf verzichten, genaue Verfahrensregeln vorzugeben, die sich vielfach aufgrund der spezifischen Bedingungen vor Ort als all zu enge Korsettstangen erweisen und das Zustandekommen von regionalen und
überregionalen Kooperationen erschweren. Unter diesen Voraussetzungen kann Politik durch gezielte, auf die
jeweils regionalspezifischen Potenziale und Probleme
orientierte Strategien und Projekte die Herausbildung
und Stabilisierung von Clustern befördern. An der mühevollen Strategie- und Projektentwicklung, die sich eng
an die Bedingungen und Potenziale vor Ort auszurichten
hat, kommt eine seriöse Clusterpolitik jedoch nicht
­herum.
Folgende Ansatzpunkte für clusterpolitische
Maßnahmen kommen grundsätzlich infrage:
n
n
Optimierung der Standortbedingungen: Aufbau und
Entwicklung von Bildungs-, Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen, um Angebotslücken im Kontext der jeweiligen Branchencluster zu schließen
(Fritsch 2005, Schätzl 1999, 2003, S. 235, Deutsche
Bank Research 2005); Erhöhung der Standortattrak­
tivität für (hoch)qualifizierte Fachkräfte (Florida
2002a, 2002b); Entwicklung eines innovations- bzw.
kreativitätsfördernden Anregungspotenzials im Rahmen der Stadtentwicklung (Camagni 2000, Helbrecht
2004, 2005, Siebel/Ibert/Mayer 2001); Aktivitäten
zur Stärkung des Clusterbewusstseins bzw. der -identität und Verbesserung des Standortimages im Rahmen eines professionellen Standortmarketings bzw.
-managements (NORD/LB 2005b, Grabow/Henckel/
Hollbach-Grömig 1999); Bereitstellung von ergänzenden wirtschaftsnahen Infrastrukturen, die die Standortbedingungen der jeweiligen Clusterbranchen begünstigen (Enright 2003, Rehfeld 1999);
Branchenspezifische Maßnahmen: Organisation von
Branchendialogen und Branchenplattformen, um Informationsaustausch und informelle Kommunikation
zwischen den regionalen Betrieben und Forschungs-
100
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
n
n
n
einrichtungen zu begünstigen (Enright 2003); Ini­
tiierung von regionalen Leitprojekten, um Koopera­
tionen anzuregen und kollektive Lernprozesse zu
ermöglichen (Rehfeld 1999); Herausarbeitung von
Leitbildern bzw. einer Vision bezüglich des Entwicklungspotenzials des regionalen Clusters (Rehfeld
1999); Errichtung von zielgruppenspezifischen
­Gewerbe- bzw. Technologieparks (NORD/LB 2002a,
2003, 2005b; Hahn 2003);
Stimulierung des Gründungsgeschehens: Ergänzung
der Clusterstruktur bzw. der Wertschöpfungskette
durch gezielte Unternehmensansiedlung sowie die
Förderung von Ausgründungen (NORD/LB 2005b);
Förderung von Unternehmensgründungen, um dazu
beizutragen, dass ein Cluster auch längerfristig
­lebendig, innovativ und damit überlebensfähig bleibt
(Sternberg/Kiese/Schätzl 2004); Ansiedlung und
­Förderung komplementärer unternehmensorientierter Dienstleistungen und die Initiierung von zielgruppenspezifischen Dienstleistungsinitiativen (NORD/LB
2005a);
Hilfe bei der Finanzierung: Akquirierung von Fördergeldern, die speziell zur Finanzierung von Cluster­
aktivitäten dienen (Untiedt/Janson 2005; Eberstein/
Karl 2005); Einrichtung von regionalen Beteiligungsfonds zur Finanzierung von jungen High-Tech-Be­
trieben, die der Verjüngung des regionalen Clusterpotenzials dienen (Steinbeis Finance & Management
Service GmbH 2004);
Förderung überregionaler und internationaler Vernetzung, Wissens- und Netzwerkmanagement: Qua­
lifiziertes Netzwerkmanagement (Moderation, Media­
tion), um dazu beizutragen, Kommunikations­barrieren
zu überwinden und Konflikte im Prozess der Herausbildung von Kooperationen besser zu bewältigen
(­Enright 2003); Etablierung eines Clustermanagements (Kremer/Harmes-Liedke/Korflür 2000, S. 112 ff.);
Förderung der interregionalen bzw. internationalen
Vernetzung lokaler Cluster (z. B. durch die Ausrichtung überregional ausstrahlungsfähiger Fachkongresse), um Lernprozesse zu befördern und Lock-inEffekte zu vermeiden (Fritsch 2005; Sternberg 1998);
Entwicklung eines regionalen Wissensmanagements,
um die Wissensbestände vor Ort transparent zu machen und diese für Innovationsprozesse zu aktivieren
(Brake 2004, Hamburg/Widmaier 2004);
Die meisten der genannten Instrumente entstammen
den traditionellen Maßnahmenkatalogen der Wirtschaftsförderungen, die allerdings zum Zwecke der
­C lusterbildung bzw. -verstärkung neu kombiniert und
insbesondere systemisch zur Anwendung gelangen. Zu
den neuen Aufgaben zählt dagegen vor allem das Netzwerkmanagement, das bedeutende Auswirkungen auf
die künftige Wirtschafts- und Strukturpolitik haben
­dürfte.
b Kunstobjekt, Museumsinsel Hombroich bei der Neuss, NRW (Detail)
101
6. Clustermanagement
Nach Rehfeld bilden die beteiligten Unternehmen die
Schlüsselakteure eines Clustermanagements, aber auch
die Wirtschaftsförderungen müssen sich auf neue Funktionen einstellen. Hierzu zählt er die Impuls- und Initiierungsfunktion, Moderations- und Koordinierungsfunk­
tion, Kooperations- und Netzwerkfunktion, Transfer- und
Brückenfunktion sowie Organisations- und Dienstleistungsfunktion (Rehfeld 2006, S. 169 f.). Nicht zuletzt
wird die geografische Ausdehnung funktionierender
Cluster die Arbeit der Wirtschaftsförderer verändern.
Zunehmend werden sie selbst gezwungen sein, mit der
Wirtschaftsförderung benachbarter Standorte Koope­
rationen einzugehen, wo bislang Konkurrenzdenken
das Leitmotiv bestimmte.
In vielen Fällen wird die Politik geneigt sein, sich dafür zu entscheiden, Aufgaben des Cluster-Managements
auf intermediäre Institutionen zu übertragen und hierfür die notwendigen finanziellen Ressourcen, ggf. auch
in Arrangements des Public-Private-Partnerships (PPP)
bereitzustellen (Brandt/Jung 2004, Brandt/Jung/Bredemeier/Lange 2007). Intermediäre oder hybride Institu­
tionen (Standortmanagement-Agenturen, Kammern,
Verbände etc.) können damit im Prozess der Clusterbildung eine zentrale Rolle einnehmen. PPP-Modelle bergen jedoch grundsätzlich das Risiko, dass es im Ver­
hältnis von öffentlichen Institutionen zu privaten
Unternehmen zu erheblichen Informationsasymmetrien
kommen kann (Schedler/Proeller 2003, S.221, Krebs
2004). Strategische Controllingsysteme sind vor diesem
Hintergrund in besonderer Weise gefordert, um der Gefahr einseitiger Interessenswahrnehmung vorzubeugen.
Wenn allerdings für eine Politik der Clusterbildung gesellschaftliche Ressourcen (z. B. Steuermittel) aufzubringen sind, bedarf es in einem demokratisch verfassten
Gemeinwesen der demokratischen Legitimation. Auch
Institutionen des Standortmanagements, die als PPP
­angelegt sein können, kommen um ihrer dauerhaften
Unterstützung (und Finanzierung) willen an dieser Ma­
xime nicht vorbei.
7. Fazit und Ausblick
Es lässt sich mit Hilfe der ökonomischen Theorie (der
­externen Effekte und der öffentlichen Güter) zeigen,
dass im Prozess der Clusterbildung Marktversagen vorliegt. Nicht in allen Regionen können Cluster trotz vorhandener Voraussetzungen ohne externe Geburtshilfe
aus ihrer Latenzphase heraustreten. Hier bedarf es der
aktiven politischen Gestaltung. Die „zufällige“ Entstehung von Clustern an einigen herausragenden Stand­
orten über einen Zeitraum von Jahrzehnten kann kein
Gegenargument in Bezug auf politisches Handeln im
Prozess der Clusterbildung sein. Im Kern handelt es sich
bei Clusterpolitik um Netzwerkgestaltung. Die Analyse
der vorhandenen Kooperationsbeziehungen und die
Moderation und Förderung der regionalen Vernetzung
102
RegioPol eins 2008
werden zu zentralen Aufgaben der Wirtschafts- und
Strukturpolitik. Mit der Netzwerkanalyse steht der
­C lusterpolitik dabei ein wirksames Instrument zur Ver­
fügung.
Werden Funktionen wie das Clustermanagement auf
intermediäre Institutionen übertragen, stellt sich für die
Politik ein Legitimations- und Steuerungsproblem. Die
demokratisch gebotene Transparenz von PPP-Modellen
verweist in diesem Zusammenhang auf die Wirtschaftsforschung, die nicht zuletzt bei der notwendigen Eva­
luierung von Clusterinitiativen zurate gezogen werden
sollte.
Allerdings ist das empirische Fundament der Clusterforschung zurzeit noch wenig belastbar. Das liegt vor
­allem daran, dass die Diskussion über das Phänomen der
Cluster und daran anknüpfende Strategien der Clusterpolitik noch relativ jung ist. Bislang liegen noch keine
Langzeitstudien über die Wirksamkeit von Clusterkonzepten vor. Die Clusterpolitikforschung beschränkt sich
meist auf die Darstellung von Best-practice-Beispielen
und erfolgt über Fallstudien (Kiese 2008, S. 51f.). Auch
Rehfeld sieht hier noch grundsätzlichen Forschungs­
bedarf: „Eine systematische Fundierung über die Bedeutung von Clustern für die Beschäftigtenentwicklung
­gegenüber breit diversifizierten Strukturen gibt es nicht“
(Rehfeld 2006, S. 145). Dabei sieht sich die empirische
Forschung in der clusterpolitischen Praxis oft mit
­Hindernissen konfrontiert, die vor allem auf zweierlei
Weise die Evaluierung von Clusteransätzen erschweren.
Zum einen verbergen sich clusterpolitische Ansätze oft
unter anderen Labels wie etwa „Kompetenznetzen“
(­K iese 2008, S. 51) oder sind umgekehrt in vermeint­licher „Clusterpolitik“ gar nicht enthalten. Zum anderen
erweisen sich Clusterinitiativen, deren Management als
PPP organisiert wurde, oft als institutionelle Arkan­
bereiche, deren Erfolgsbilanzen mangels Transparenz
­keine (wissenschaftliche) Falsifizierung befürchten müssen. Hier stellt sich neben dem oben erwähnten demo­
kra­t ischen Legitimationsproblem auch das empirische
­Problem einer ungenügenden Datengrundlage. In den
Fällen, in denen die Politik eine derartige Intransparenz
toleriert oder gar fördert, entzieht sie sich selbst der
Möglichkeit, ihre Voraussetzungen für effektive Clusterpolitik zu optimieren.
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103
104
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
105
Burkart Lutz
Ostdeutsche Lektionen:
Kleinbetriebe in der Zeitfalle
1. Veränderungsdruck und Strategie wechsel als Überlebensproblem
kleiner Unternehmen
Kleine Unternehmen, also Unternehmen, deren Beschäftigtenzahl und/oder deren Umsatz deutlich unter dem
Durchschnitt ihrer Branche liegen, leisten durch ihre
­F lexibilität, vielfach durch ihre Kundennähe und nicht
selten auch durch beträchtliches Innovationspotenzial
­einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftskraft, zum
­Beschäftigungsniveau und zum Wohlstand moderner
Gesellschaften. Es war deshalb auch nicht verwunderlich, dass in der neuen Wirtschaftsstruktur, die in Ostdeutschland nach der Zerschlagung der großen DDRKombinate und massivem Personalabbau entstand,
Kleinunternehmen eine besonders wichtige Stellung innehaben. ­Dieses hohe Gewicht von Kleinunternehmen
(einschließlich kleinerer selbstständiger Betriebsteile
großer Unternehmen) erklärt sich nicht zuletzt aus
ihrem besonderen Leistungspotenzial, insbesondere
­ihrer beträchtlichen Flexibilität und ihrer Fähigkeit zu
kleinschrittigen Innovationen, die sich insbesondere
aus der hohen Bedeutung von in Personen inkorporiertem Wissen ergibt.
Allerdings gibt es einen Preis für das beträchtliche
volkswirtschaftliche Gewicht von Kleinunternehmen.
Dieser Preis liegt vor allem in ihrer Verletzlichkeit gegenüber einem schnellen Wandel wesentlicher Parameter
ihres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes,
die bisher als stabil betrachtet wurden und betrachtet
werden durften.
Viele Kleinunternehmen stehen gegenwärtig – z. B.
wegen rascher, gegebenenfalls sprunghafter Entwicklungen der für sie wesentlichen Techniken, weil sie
­z wischen großen und starken Lieferanten und Kunden
in eine „Machtsenke“ geraten sind oder weil neue,
­aggressive Konkurrenten aufgetreten sind – unter zunehmendem Veränderungsdruck, auf den die Unter­
nehmen bestenfalls nur unzureichend vorbereitet sind.
Diese unzureichende Vorbereitung trifft in aller Regel
umso mehr zu und ist umso schwerwiegender, je
b Astronomische Uhr, Sankt-Marien-Kirche, Rostock (Detail)
s­ chneller sich dieser Druck aufbaut und je abrupter der
Wandel der Umfeld­bedingungen ist.
Der Fortbestand vieler Unternehmen und ihre Fähigkeit, ihre Stärken zu nutzen und weiter auszubauen,
­hängen deshalb nicht zuletzt davon ab, wie gut es
ihnen ­gelingt, eine doppelte Aufgabe zu bewältigen:
1. unerwartet auftretenden Veränderungsdruck rechtzeitig wahrzunehmen und rechtzeitig (und dies heißt
oftmals: mit ausreichend langem Vorlauf) auf ihn zu
reagieren.
2. trotz knapper Zeit des Führungspersonals und knapper Ressourcen des Betriebes auf den Veränderungsdruck in einer Weise zu reagieren, die den Fortbestand wesentlicher Voraussetzungen und Grundlagen
ihres Humankapitals, von der Nachwuchsrekrutierung
und Nachwuchsausbildung bis zur Akquisition neuen
Wissens, nicht gefährdet, sondern weiterentwickelt
und stärkt.
Im Hinblick auf diese doppelte Aufgabe ist es offen­
kundig besonders dringlich, kleine Unternehmen, vor allem solche, die in sehr innovativen Feldern oder unter sich
sehr rasch verändernden Umfeldbedingungen tätig sind,
bei der Übernahme bzw. der Konzeption und Implemen­
tation schneller und wirksamer Lösungen zu unterstützen.
Dieser Aufsatz will mit Hilfe des in mehrfacher Hinsicht höchst lehrreichen Beispiels einer großen Zahl
von ostdeutschen kleinen Unternehmen, denen hierbei
eine ausgesprochene Vorreiterfunktion zufällt, zeigen,
welcher Art eine sinnvolle und hilfreiche Unterstützung
sein könnte bzw. sein sollte. Hierzu ist vor allem zu­
klären, welche Risiken für welche Betriebe sich aus
schnellen und unerwarteten Veränderungen der Umfeldbedingungen ergeben können, welche Lösungswege
sich anbieten und welche Voraussetzungen realisiert
sein müssen, damit diese Wege mit guten Erfolgsaussichten beschritten werden können.
Bei den Überlegungen zu diesen – ganz überwiegend
noch weitgehend offenen – Fragen ist besonderes
RegioPol eins 2008
106
­ ewicht auf die bisher wohl unbestritten hohe BedeuG
tung zu legen, die gegenwärtig der Qualifikation der
Fach- und Führungskräfte in der übergroßen Mehrheit
dieser Betriebe zukommt.
Die wichtigsten empirischen Belege, auf die sich der
Aufsatz bezieht, stammen aus intensiven Analysen des
„Beschäftigten-Panels“ der Bundesagentur für Arbeit und
einer Befragung von rund 1.300 ausbildenden Betrieben
in Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt im
letzten Quartal 2006. Diese Arbeiten fanden statt mit
­Förderung durch die DFG (im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 580 der Universitäten Halle-Wittenberg
und ­Jena) und mit Unterstützung durch das Land
Sachsen-Anhalt und den europäischen Sozialfonds.1
2. Die ostdeutsche Ausgangslage:
Ein starkes Ungleichgewicht im Beschäftigungssystem
Die gegenwärtigen Strukturen und die sich abzeichnenden neuen Entwicklungen der ostdeutschen Wirtschaft
sind in mehrfacher Hinsicht konditioniert durch das Zusammenwirken von starken demografischen Veränderungen und einem schwachen Wirtschaftswachstum.
a) Die Ursachen: Sehr große Unterschiede im
Zustrom zum und im Abstrom vom Arbeitsmarkt
In dem Jahrzehnt zwischen der Mitte der 90er Jahre und
der Gegenwart war der ostdeutsche Arbeitsmarkt vor
­allem geprägt durch das Zusammentreffen von zwei
­demografischen Tendenzen:
1. Die eine dieser beiden Tendenzen führte während eines
guten Jahrzehnts zu einem sehr starken Zustrom von
Nachwuchskräften in Ausbildung und Erwerbs­tätigkeit.
Das Angebot an Nachwuchskräften war seit der Mitte
der 90er Jahre und bis vor Kurzem vorrangig davon
geprägt, dass (als Spätfolge einer aufwendigen Geburtenpolitik der DDR) Jahr für Jahr sehr starke Jahrgänge die allgemeinbildenden Schulen verließen und
ganz überwiegend einen Ausbildungsplatz suchten.
Die Zahl der jährlichen Schulabgänger lag im hier
­betrachteten Zeitraum zwischen rund 220.000 und
240.000 Jugendlichen und Jungerwachsenen, was
zwischen vier Prozent und fünf Prozent des Gesamtbestandes an Erwerbstätigen entspricht.
2. Aus der anderen, gegenläufigen Tendenz resultierte
gleichfalls während langer Zeit ein ausgesprochen
schwacher Abstrom aus Erwerbstätigkeit in Rente.
In der ostdeutschen Wirtschaft war und ist bis heute
die Nachfrage nach Arbeitskräften und insbesondere
nach Nachwuchskräften ausgesprochen gering. Die
Ursachen hierfür lagen und liegen neben dem
­schwache Wirtschaftswachstum vor allem in zwei
­Tat­sachen, die bewirkten, dass in der hier interessierenden Zeit nur eine geringe Zahl von älteren Beschäftigten aus Erwerbstätigkeit (und nicht aus länger dauernder Arbeitslosigkeit) in Rente übertrat und
Arbeitsplätze räumte, die möglicherweise neu besetzt werden können: Dies waren zum einen die insgesamt schwache Besetzung der älteren Jahrgänge
in Ostdeutschland, zum anderen die massiven Frühverrentungsprogramme der Jahre um 1990.
Aus den verfügbaren statistischen Daten ergibt sich
für diesen Abstrom aus Erwerbstätigkeit in Rente
ein Schätzwert von jährlich rund 80.000 bis 90.000
Personen pro Jahr.
3. Die Wirkungen der beiden komplementären erwerbsdemografischen Entwicklungen wurden oftmals noch
verstärkt durch die Effekte eines langjährig schwachen Wirtschaftswachstums, das kaum dazu ausreichte, die Produktivitätsgewinne auszugleichen, ge­
schweige denn, die Entstehung neuer ­A rbeitsplätze
zu veranlassen.
b) Die Folgen anhaltender Ungleichgewichte
Das Zusammenwirken dieser Entwicklungen erzeugte
während mindestens eines Jahrzehnts, von der Mitte der
90er Jahre bis zur Mitte des gegenwärtigen Jahrzehnts,
ausgeprägte Ungleichgewichte – sowohl an den Arbeitsmärkten für Nachwuchskräfte und für qualifizierte Erwachsene wie im Beschäftigungssystem. Von besonderer Bedeutung für die hier vorgestellten Überlegungen
ist offensichtlich, dass diese Ungleichgewichte nicht nur
konjunktureller, vorübergehender und zeitlich begrenzter, sondern weithin struktureller Art waren und sind.
Offenkundig konnten sich die meisten der über­
lebenden ostdeutschen Betriebe in diesem ungleich­
gewichtigen Zustand mehr oder minder gut einrichten:
n
n
n
n
n
Nachwuchs war nicht nur für alle Betriebe, die ausbilden wollten und konnten, überreichlich vorhanden.
Das Verdienstniveau liegt bis heute weit unter den
westdeutschen Vergleichswerten, so verdienen z. B.
die Fachkräfte in der Metall- und Elektroindustrie nur
zwei Drittel des westdeutschen Durchschnitts.
Die erfahrenen, qualifizierten Beschäftigten waren
(und sind vielfach noch heute) froh, einen Arbeitsplatz zu haben und zu behalten und stellen wenig Forderungen – abgesehen vom Erhalt der Arbeitsplätze.
Die freiwillige, nicht durch Personalabbau oder Betriebsschließungen erzwungene Fluktuation war und
ist immer noch sehr gering.
Tarifverträge und tarifliche Regelungen sowie der
­betriebspolitische Einfluss von Betriebsräten spielten
Detailliertere Informationen über die Ergebnisse der Befragung finden sich bei: Grünert, H; Lutz, B; Wiekert, I. (2007) Betriebliche Ausbildung und Arbeitsmarktlage – eine vergleichende Untersuchung in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Niedersachsen. Forschungsberichte aus dem zsh 07– 4. Halle. Internetseite:http://
www.zsh-online.de/pdf/o7 4FB.pdf
1
Wissensökonomie
107
Abbildung 1: Schulabgänger und 63-jährige Beschäftigte in Ostdeutschland 2001 bis 2020
(absolute Zahlen)
250.000
200.000
150.000
100.000
63-jährige
50.000
Beschäftigte
Schulabsolventen
2020
2019
2018
2017
2016
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
0
Quelle: Schulabgänger; Prognose der Kultusministerkonferenz 2007; sozialversicherungspflichtig Beschäftigte:
hochgerechnet aus dem Beschäftigtenpanel der Bundesagentur für Arbeit; neue Bundesländer; absolute Zahlen
und spielen vor allem in der großen Zahl von kleinen
Betrieben kaum eine Rolle.
Deshalb prägten und prägen die Folgen dieser
­ ngleichgewichte bis heute auch die Strukturen der
U
meisten industriellen Betriebe. Hierbei waren vor allem
zwei Wirkungsmechanismen wesentlich:
Zum einen waren und sind diese Folgen offenbar für
nicht wenige ostdeutsche Betriebe eine wichtige, nicht
selten sogar essenzielle Voraussetzung ihres Über­
lebens. Dies gilt vor allem für Verdienste und Arbeits­
zeiten.
Zum anderen haben sich diese Rahmenbedingungen
in vielfältiger Weise in den innerbetrieblichen Verhältnissen niedergeschlagen – von den Formen der Arbeitsorganisation über die Personalstrukturen bis zu den
­naheliegenden betrieblichen Reaktionsweisen auf unvorhergesehene Ereignisse und Handlungszwänge.
3. Der aktuelle rasche Umschlag
in den Knappheitsverhältnissen
auf dem Arbeitsmarkt
Diese Bedingungskonstellation, die aus offenkundigen
Gründen mit ausgeprägten Vorteilen für die Arbeitgeber
verbunden war, geht nunmehr sehr rasch zu Ende.
­ egenwärtig bahnt sich ein schneller, in mancher HinG
sicht nachgerade dramatischer Umschlag in den Nachfrage-Angebots-Relationen, insbesondere für indus­
trielle Fach- und Führungskräfte an. Auch in der
Ver­ursachung dieses Umbruchs kombinieren sich rasche
und starke Veränderungen im Angebot von und in der
Nachfrage nach industriellen Fachkräften, die diesmal
jedoch eindeutig zu Gunsten der Arbeitnehmer und zu
Ungunsten der Arbeitgeber wirken.
a) Tief greifende Veränderungen im Angebot …
Auf der Angebotsseite setzte, nachdem während eines
guten Jahrzehnts sehr starke Jahrgänge die ostdeutschen Schulen verlassen hatten, vor Kurzem ein massiver Rückgang der Zahl der Schulabgänger ein. Dieser
Rückgang wird in den nächsten Jahren mit fast 15 Prozent pro Jahr seinen Höhepunkt erreichen. Im Jahre 2011
werden in allen neuen Bundesländern nicht einmal halb
so viele junge Männer und Frauen wie in den vergangenen Jahren die allgemeinbildenden Schulen verlassen
(Kultusministerkonferenz, 2007).
Betrachtet man die in- und ausländischen Erfahrungen zur Reaktion von Eltern, Schülern und Lehrern auf
schnellen Rückgang der Jahrgangsstärke, so liegt die
­Erwartung sehr nahe, dass mit abnehmender Schüler-
RegioPol eins 2008
108
Tabelle 1: Rolle der Fachkräfte im Betrieb (2006; drei Bundesländer; Zeilenprozent)
Qualität der Fachkräfte für den betrieblichen Erfolg
nicht entscheidend
entscheidend
insgesamt
Ausbildungsbetriebe mit … Beschäftigten
19 und weniger
20 bis 99
100 und mehr
Gesamt
13,4
15,5
18,3
14,1
86,6
84,5
81,7
85,9
100,0
100,0
100,0
100,0
Quelle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006
zahl auch die Neigungen und die Möglichkeiten deutlich
wachsen, länger im Bildungssystem zu verweilen und
­einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben. Ein Gymnasium zu besuchen und zu studieren, was zumindest
vorübergehend zu einem noch stärkeren Rückgang der
Zahl der Schulabgänger und der Bewerber für einen
­Ausbildungsplatz führen würde.
b) … und wachsende Nachfrage nach qualifizierten
Arbeitskräften
Zugleich erhöht sich schon jetzt aus zwei Gründen die
Nachfrage nach – gut qualifizierten – Nachwuchskräften:
n
n
Der konjunkturelle Aufschwung seit 2006 führte und
führt zur Entstehung neuer Arbeitsplätze, deren
­A nforderungen ganz überwiegend auf qualifizierte
Fach- und Führungskräfte abgestellt sind.
Nunmehr erreichen zunehmend stärkere Alters­
kohorten das Rentenalter und räumen Arbeitsplätze
(wieder ganz überwiegend mit erheblichen Qualifikationsanforderungen), die überwiegend neu besetzt
werden müssen.
c) Ein grundlegend neues Ungleichgewicht
Das Zusammenwirken der Veränderungen auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite wird in den nächsten
Jahren im Beschäftigungssystem zur Herausbildung
­eines grundlegend anderen Ungleichgewichts führen.
Um dies zu veranschaulichen, sind diese Veränderungen
anhand von zwei Kennziffern (Zahl der Abgänger aus
­allgemeinbildenden Schulen und Anzahl der Erwerbs­
tätigen, die im betrachteten Jahr 63 Jahre alt werden)
in einem Schaubild für zwei Jahrzehnte in absoluten
Zahlen dargestellt.
Das Schaubild Abb. 1 zeigt, dass der Umschlag im
­Verhältnis von Angebot und Nachfrage qualifizierter
­ rbeitskräfte bereits jetzt, wenngleich zunächst noch
A
relativ langsam, eingesetzt hat. Dies zeigt sich vor allem
dann sehr klar, wenn man berücksichtigt, dass die Heranbildung (Ausbildung und Sammlung erster Berufserfahrungen) einer vollwertigen Fachkraft mindestens
drei, bei anspruchsvolleren Berufen vier bis fünf Jahre
dauert. Mit dem ­gegenwärtigen Rückgang der Schulabgängerzahlen ist deshalb eine massive Verknappung
von Fachkräften in vier bis fünf Jahren vorprogrammiert.
Die Fachkräfte­lücke wird deshalb keine vorübergehende
Erscheinung bleiben.
d) Wie sollen und können die Betriebe
auf die neue Lage reagieren?
Alles spricht dafür, dass die Differenz zwischen der
­Nachfrage nach und dem Angebot an Fachkräften in den
kommenden Jahren immer größer werden und während
längerer Zeit anhalten wird, sofern die ostdeutsche
­W irtschaft nicht in großen Teilen völlig zusammenbricht.
Dies wird sehr viele Betriebe dazu zwingen, wenn sie
überleben wollen, ihre Politik und Praxis der Anwerbung
und Rekrutierung von – passfähig qualifizierten –
­A rbeitskräften, ihre Weiterbildung, aber auch nennenswerte Teile ihrer Arbeits- und Betriebsorganisation stark
zu verändern. Sie müssen dies vielleicht tun, ohne auf
eigene Erfahrungen oder auf anderswo bewährte Vor­
bilder zurückgreifen zu können.
Schon heute besteht deshalb für einen großen und
rasch wachsenden Teil der ostdeutschen Wirtschaft akuter Handlungsbedarf, der in den nächsten Jahren noch
zunehmen wird.
n
n
Wie werden und können die Betriebe hierauf reagieren?
Werden sie diese nachgerade dramatische Verän­
derung der Knappheitsverhältnisse am Ausbildungsstellenmarkt und (um einige Jahre zeitversetzt) am
­Arbeitsmarkt für Nachwuchskräfte noch so rechtzeitig
wahrnehmen, dass sie wirksam reagieren können?
Wissensökonomie
109
Tabelle 2: Rolle der Fachkräfte im Betrieb – Zeitvergleich 2001 bis 2006
(Sachsen-Anhalt; nach Betriebsgröße; Prozent)
Qualität der Fachkräfte ist
für den Betrieb
Ausbildungsbetriebe mit … Beschäftigten
19 und weniger
20 bis 99
100 und mehr
Gesamt
Entscheidend
2001
2006
85,7
88,7
87,1
80,0
85,8
90,0
86,0
86,7
Nicht entscheidend
2001
2006
14,3
11,3
12,9
20,0
14,2
10,0
14,0
13,3
Quelle: zsh-Betriebsbefragung 2001 und zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006
n
n
n
Welche Aufgaben werden sie hierbei zu lösen haben?
Gibt es Erfahrungswerte und Vorbilder, die man an
die neuen Bedingungen anpassen und auf sie übertragen könnte?
Welche Rolle werden hierbei bestehende oder neu ins
Leben gerufene Formen der Kooperation von Be­
trieben, Verbünden, Cluster oder Poolkonstruktionen
spielen?
Will man Fragen dieser Art beantworten, so stößt man
allerdings sehr schnell auf wesentliche Sachverhalte, die
nicht schnell verändert werden können und sehr eng mit
der aktuellen Struktur großer Teile der ostdeutschen
Wirtschaft verbunden sind.
4. Betriebliche Strukturmerkmale
als Ressourcen und Ursache hoher
Verletzlichkeit
Zwei betriebliche Strukturmerkmale sind im Hinblick darauf von besonderer Wichtigkeit, wie Betriebe auf die
sehr rasche, in mancher Hinsicht ausgesprochen abrupte Veränderung der Knappheitsverhältnisse auf dem
ostdeutschen Arbeitsmarkt reagieren sollen und reagieren können. Es sind dies: (a) der hohe Wert von beruf­
licher Qualifikation und Berufausbildung und (b) die
­Dominanz von kleinen Betrieben. Diese Sachverhalte bezeichnen einerseits zentrale Ressourcen der Betriebe,
die es zu bewahren und auszubauen gilt. Sie verursachen andererseits in einer Situation schnellen Umschlags
der Ungleichgewichte im Beschäftigungssystem mit
­hoher Wahrscheinlichkeit gravierende Schwächen und
eine entsprechend hohe Verletzlichkeit sehr vieler ostdeutscher Betriebe.
Beide Sachverhalte begründen im Zusammenwirken
die „Zeitfalle“, in die viele ostdeutsche Betriebe zu ge­
raten Gefahr laufen. Sie sind sehr knapp zu erläutern.
a) Der hohe Wert von beruflicher Qualifikation
und Berufausbildung
In der großen Zahl von (ganz überwiegend ausbildenden)
ostdeutschen Betrieben verschiedener Größenklassen
und Branchen, die vom Zentrum für Sozial­forschung Halle
(zsh) im vierten Quartal 2006 befragt wurden, findet sich
nur eine kleine Gruppe von 13 Prozent, die nicht der Aussage zustimmten, „die Qualität unserer Fachkräfte ist entscheidend für den Erfolg unseres Betriebes“. Der größere
Teil dieser kleinen Gruppe optiert für die alternative Aus­
sage: „Die Qualität unserer Fachkräfte ist wichtig, aber
wir haben auch andere Stärken.“
In der hohen Einschätzung der strategischen Bedeutung der Qualifikation ihrer Fachkräfte sind sich die
meisten Betriebe einig. So gibt es z. B. kaum Differenzen
zwischen den in der Erhebung erfassten drei Bundesländern (Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-­A nhalt).
Auch zwischen den Wirtschaftsbereichen differieren die
Aussagen erstaunlich wenig.
Nennenswerte Unterschiede bestehen vor allem, wie in
Tabelle 1 ersichtlich, zwischen den Betriebsgrößenklassen. Kleine Betriebe mit bis zu 19 Beschäftigten bezeichnen (mit 87 Prozent) die Qualität ihrer Fachkräfte etwas
häufiger, größere Betriebe mit 100 und mehr Beschäftigten (82 Prozent) etwas seltener als entscheidenden
­Erfolgsfaktor.
Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Interviewpartner bei einer Befragung über betriebliche Berufsausbildung für das Thema Facharbeit besonders sensi­
bilisiert sein mögen, ist der Befund eindeutig.
Auch im Zeitverlauf ist diese Einstellung der Betriebe,
wie Tabelle 2 zeigt, sehr stabil. Die gleiche Frage nach
der Bedeutung der Fachkräfte für den Betrieb wurde in
Sachsen-Anhalt bereits im Jahre 2001 einer vergleich­
baren und vergleichbar großen Stichprobe gestellt. Damals nannten 85 Prozent der Ausbildungsbetriebe die
Qualität ihrer Fachkräfte als entscheidenden Erfolgs­
faktor. Weitere 12 Prozent bezeichneten sie als eine
­Stärke ­neben anderen.
RegioPol eins 2008
110
Tabelle 3: Welchen Hauptweg verfolgt Ihr Betrieb bei der Einstellung von Fachkräften?
(2006; drei Bundesländer; Zeilenprozent)
Hauptweg der Einstellung von Fachkräften
vom Arbeitsmarkt
passgenauer
mit interner
eigene Ausbildung Qualifikation vom
Weiterbildung
Arbeitsmarkt
Insgesamt
Ausbildungsbetriebe mit … Beschäftigten
19 und weniger
20 bis 99
100 und mehr
Gesamt
13,8
17,8
13,6
14,7
53,6
50,2
56,6
53,1
32,5
32,0
29,8
32,2
100,0
100,0
100,0
100,0
Quelle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006
Zwischen 2001 und 2006 ist die Häufigkeit der Zustimmung zu der These, dass die Qualität der Fachkräfte
für den Erfolg des Betriebes entscheidend sei, nochmals
leicht gestiegen, wobei der Anstieg vor allem bei den
sehr kleinen Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten
und bei den größeren Betrieben mit 100 und mehr Beschäftigten erfolgte.
Im Jahre 2001 wurde, zusätzlich zu ausbildenden Betrieben, auch eine größere Stichprobe von nicht ausbildenden Betrieben zur Rolle der Fachkräfte für den Erfolg
des Betriebes befragt. Auch diese Betriebe zeigen ein
sehr ähnliches Bild: 78 Prozent der Betriebe optierten
für die Aussage, dass die Qualität ihrer Fachkräfte entscheidend für den Erfolg des Betriebes sei. 17 Prozent
entschieden sich für „eine Stärke neben anderen“.
Angesichts dieser allgemein hohen Wertschätzung
von Facharbeit liegt die Frage nahe, wie die Betriebe die
für ihren Erfolg offenkundig so wichtigen Fachkräfte
­gewinnen. In der Befragung 2006 wurden die Betriebe
gebeten, unter drei möglichen Rekrutierungswegen den
für ihn „hauptsächlichen“ zu nennen. Die drei Alterna­­
tiven waren: Die Rekrutierung von Fachkräften aus ­einem
breiten beruflichen Spektrum vom Arbeitsmarkt mit
­anschließender interner Weiterbildung, die eigene Ausbildung oder die Rekrutierung von Fachkräften mit
­möglichst passgenauer Qualifikation vom Arbeitsmarkt.
Die Tabelle 3 lässt eine eindeutige Präferenz der ausbildenden Betriebe erkennen, bei der Rekrutierung ihres
Fachkräftenachwuchses auf selbst ausge­bildete Kräfte
zu setzen. Mehr als die Hälfte aller ausbildenden Betriebe (53 Prozent) betrachtet die eigene Ausbildung als
Hauptweg zur Einstellung von Fachkräften, nur 15 Prozent stellen vorwiegend Fachkräfte vom Arbeitsmarkt
ein, die sie dann intern für ihre Tätigkeit qualifi­z ieren.
b) Ausgeprägt kleinbetriebliche Strukturen
Das zweite betriebliche Strukturmerkmal, das im Umschlag
der Knappheitsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und im
Beschäftigungssystem von hoher Wichtigkeit werden
kann, besteht in der ausgesprochen kleinbetrieblichen
Struktur sehr großer Teile der ostdeutschen Wirtschaft. Im
Hinblick auf mögliche Verzerrungen durch die sehr unterschiedlichen Betriebsgrößen der Wirtschaftsbereiche sei
dies in Tabelle 4 am Beispiel eines wichtigen Wirtschaftsbereichs, der Metall- und Elektroindustrie, demonstriert,
wobei sehr starke Unterschiede sichtbar werden.
Im Jahre 2006 waren in den neuen Bundesländern
69 Prozent aller Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in kleineren und kleinen Betrieben mit weniger als
200 Beschäftigten tätig und nur 17 Prozent in größeren
Betrieben mit 500 und mehr Beschäftigten. Hingegen lagen in den alten Bundesländern die Anteile der kleineren
und kleinen Betriebe und der großen Betriebe mit knapp
43 Prozent und gut 41 Prozent praktisch gleichauf.
Mehr als zwei Drittel aller Beschäftigten der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie sind in Betrieben ­tätig,
die im allgemeinen Verständnis als „klein“ oder ­zumindest
als „kleiner“ zu bezeichnen sind, wobei das Schwergewicht
eindeutig auf Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten
liegt.
Für Betriebe in dieser Größe ist nun ganz über­wiegend
charakteristisch,
n
n
n
dass sie über kein professionelles Personalmanagement verfügen,
dass längerfristige Entwicklungen im sozialen Umfeld des Betriebes, im Bildungssystem und im Beschäftigungssystem erst dann wahrgenommen werden, wenn es hierfür konkrete Veranlassung (z. B.
akuter Einstellungsbedarf) gibt,
dass Personalpolitik vor allem eine Sache ist, die von
Wissensökonomie
111
Tabelle 4: Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie nach Betriebsgröße
(Spaltenprozent)
Anteil der Beschäftigten in Betrieben mit
weniger als 50 Beschäftigten
50 bis 199 Beschäftigten
200 bis 499 Beschäftigten
500 und mehr Beschäftigten
Insgesamt
Alte Länder
Neue Länder
22,6%
20,2%
16,1%
41,1%
100,0%
40,6%
28,3%
14,3%
16,8%
100,0%
Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, eigene Berechnungen
n
n
den – wenigen – Vorgesetzten neben ihrer eigent­
lichen technischen oder wirtschaftlichen Verantwortung betrieben wird,
dass personalwirtschaftliche Überlegungen und
­Planungen, wenn überhaupt, nur mit sehr kurzen
Zeithorizonten angestellt werden und
dass personelle Entscheidungen sehr häufig ad hoc
und an Hand von Erfahrungssätzen getroffen werden.
Vor allem im Zusammenwirken mit der hohen Bedeutung von Berufsqualifikation und Berufsausbildung ergibt sich aus diesem sehr traditionsreichen Verhaltensmuster sehr vieler kleiner Betriebe in einer Situation
rascher und starker Veränderungen wichtiger Rahmenbedingungen ein sehr hohes Risiko.
5. Die „Zeitfalle“ als Risiko sehr vieler kleiner Betriebe
Mit den unter 3. dargestellten, tief greifenden und
­raschen Veränderungen im Angebot von und in der
Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften und insbesondere mit dem Umschlag in den Ungleichgewichten
am Arbeitsmarkt, die nun nicht mehr, wie bisher, zu
­L asten der Arbeitnehmer, sondern zu Lasten der Beschäftigen wirken, verbinden sich ohne Zweifel weitreichende Herausforderungen für die Betriebe.
Das Risiko sehr vieler kleiner Betriebe, in dieser für
sie hochgradig neuartigen Situation in eine Zeitfalle zu
geraten, ist umso größer, je ausgeprägter die beiden
eben skizzierten betrieblichen Strukturmerkmale sind.
a) Qualifikationsniveau und der Zeitbedarf
erfolgversprechender Lösungen
Die hohe Bedeutung von Berufsqualifikation und Berufsausbildung hat zur Folge, dass erfolgversprechende Reaktionen der Betriebe auf grundlegende Veränderungen
in den Angebots-Nachfrage-Beziehungen spezifisch
qualifizierter Arbeitskräfte nur in mittel- bis langfristiger
Perspektive möglich sind.
Geht man von einer „Produktionszeit“ von Fachkräften aus, die sich aus der Ausbildungsdauer und dem Erwerb erster Erfahrungen in der beruflichen Praxis zusammensetzt und mindestens bei vier bis fünf Jahren
liegt, so müssen Betriebe bevorstehende schwerwiegende Veränderungen im Angebot an Fachkräften, insbesondere deren dauerhafte Verknappung, mit einem
mindestens gleich langen Vorlauf wahrnehmen. Nur
dann haben sie genügend Zeit und damit eine ernsthafte
Chance, sich auf die neue Lage vorzubereiten und auf
neue Lösungspfade einstellen.
Es ist evident, dass der notwendige Vorlauf min­
destens proportional mit der Höhe der benötigten
­Qualifikationen wächst.
b) Die zeitliche und sachliche Beschränkung von
Wahrnehmung und Handeln von Kleinbetrieben
Unter diesen Bedingungen sind betriebliche Planungshorizonte und Handlungsperspektiven einer Größen­
ordnung unumgänglich, die gegenwärtig selbst in großen, als „gut geführt“ geltenden Unternehmen nicht
selbstverständlich sind, zumindest im Hinblick auf
­personalwirtschaftliche und personalpolitische Sachverhalte. Zeitperspektiven, die dem zu erwartenden
­Bedarf an frühzeitiger Wahrnehmung der Herausforderungen und an ausreichendem Vorlauf zielgerichteten
Handelns angemessen wären, sind sicherlich in kleineren und kleinen Betrieben allenfalls in ausgesprochenen
Ausnahmefällen anzutreffen.
Um zu zeigen, was dies bedeutet, bietet sich nochmals ein Rückgriff auf Ergebnisse der bereits mehrfach
zitierten Befragung ausbildender Betriebe im vierten
Quartal 2006 an. In dieser Befragung, die zu einem Zeitpunkt stattfand, zu dem bereits ein nachdrücklicher
Rückgang der Zahl der Schulabgänger festzustellen war,
wurden die Betriebe gefragt, wie sie die zukünftige
112
RegioPol eins 2008
Tabelle 5: Bisherige und erwartete Entwicklung der Bewerberzahlen (2006; Tabellenprozent)
Die Bewerberzahl
… ist nicht gesunken
… ist gesunken
Insgesamt
… wird nicht sinken
… wird sinken
Gesamt
49%
23%
72%
5%
23%
28%
54%
46%
100%
Quelle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006
­ ntwicklung auf dem Markt für Ausbildungsplatzbe­
E
werber einschätzen und ob sie damit rechnen, dass Bewerber um Ausbildungsplätze knapper werden.
Angesichts der sehr klaren Zahlen der Schulstatistik
und der zum Zeitpunkt der Befragung bereits sehr lebhaften öffentlichen Diskussion über die Konsequenzen
des demografischen Wandels war an sich eine ein­deutig
mehrheitliche Bejahung der Frage zu erwarten, ob die
Zahl der Lehrstellenbewerber abnehmen werde.
Die Antworten widersprechen dieser Erwartung ganz
offenkundig.
c) Kleinbetriebe lernen nur durch eigene Erfahrung
Eine deutliche Mehrheit von rund 55 Prozent der befragten Betriebe war – entgegen der an sich hoch plausiblen
Erwartung – der Meinung, dass nicht mit sinkender Bewerberzahl zu rechnen sei.
Wie ist zu erklären, dass Veränderungen, die offenkundig von sehr großer Bedeutung für sie sind oder werden können, von vielen Betriebe auch dann (noch) nicht
wahrgenommen werden, wenn sie offensichtlich sind?
Die Befragungsergebnisse legen, wie Tabelle 5 zeigt,
eine eindeutige Antwort auf diese Frage nahe: Es besteht offenkundig ein sehr deutlicher und enger Zusammenhang zwischen der Einschätzung der zukünftigen
Entwicklung der Bewerberzahlen auf der einen Seite und
den eigenen aktuellen Erfahrungen der Betriebe mit
­t atsächlichem Rückgang der Zahl der Lehrstellenbe­
werber auf der anderen Seite.
In der Tabelle 5 sind vor allem zwei Gruppen von Betrieben hervorzuheben:
Zur ersten Gruppe, die knapp ein Viertel aller befragten Betriebe stellt, gehört die große Mehrheit der
­Be­triebe, die bereits Erfahrungen mit rückläufigen
­Bewerberzahlen gemacht haben. Diese Betriebe rechnen – realistisch – damit, dass diese Entwicklung anhält
oder sich noch verstärkt. Viele von ihnen haben ver­
mutlich noch die Chance, sich rechtzeitig auf die neuen
Verhältnisse einzustellen.
Ganz anders ist die Lage bei der größten Gruppe, der
knapp die Hälfte der befragten Betriebe angehört. Diese
Betriebe haben bisher keine Erfahrungen mit sinkenden
Bewerberzahlen gemacht. Sie rechnen auch in Zukunft
nicht mit einem Rückgang der Bewerberzahlen, wobei
sie häufig darauf verweisen, dass sie als Ausbildungs­
betrieb attraktiv seien oder in besonders attraktiven­
­Berufen ausbilden würden.
Die Betriebe dieser Gruppe wurden (noch) nicht von
den Auswirkungen der massiven Veränderungen in der
Nachfrage nach Fachkräften und vor allem im Angebot
an Fachkräften betroffen. Sie hatten noch keine Gelegenheit zu lernen und sind überzeugt, auch in Zukunft
mit den bis jetzt bewährten Verhaltensmustern gut
­zurechtzukommen. Für sie stellen die neuen, sich
­gegenwärtig herausbildenden Ungleichgewichte auf
den Märkten für Lehrstellenbewerber und für Nachwuchskräfte mit den jeweils für den Betrieb wesent­
lichen Qualifika­t ionen ein sehr hohes, oftmals über­
lebensgefährdendes Risiko dar.
Diese Betriebe sind, so kann man ohne große Übertreibung formulieren, auf dem Weg in die Zeitfalle und
werden dies mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erst feststellen, wenn es zu spät ist, erfolgreich gegenzusteuern.
d) Ein vorläufiges Fazit
In einer Zeit tief greifender und schneller Veränderungen
in Angebot von und Nachfrage nach qualifizierten Fachund Führungskräften zeigt sich ein struktureller Widerspruch zwischen:
n
n
den langfristigen Perspektiven des Planens und des
Handelns, die unverzichtbar sind, um die qualifikatorischen Ressourcen der meisten Betriebe zu erhalten
und zu entwickeln auf der einen Seite
und den für kleine Betriebe charakteristischen Formen und Verfahren der schnellen Wahrnehmung von
Gelegenheiten, der flexiblen Anpassung an neue
­Bedingungen und eines vorwiegend personen- und
nicht regelbezogenenen Führungsstils auf der anderen Seite.
Dieser Widerspruch verschärft sich in dem Maße, in
dem das Tempo des Wandels sich beschleunigt. Ihn
­aufzulösen, einen gangbaren Mittelweg zwischen den
Wissensökonomie
widerstreitenden Anforderungen zu finden, ist eine Aufgabe, mit der man die am meisten betroffenen kleinen
Betriebe nicht allein lassen kann.
Die eben – verkürzt und vereinfachend – dargestellten Befunde legen vielmehr die Vermutung nahe, dass
es in den kommenden Jahren zu einer zentralen Auf­gabe der Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik
werden wird, kleinen Betrieben in wirtschaftlich eher
schwachen Regionen und in einer Konstellation sehr
schneller Veränderung wesentlicher Parameter dabei zu
helfen, Auswege aus der Zeitfalle zu finden und zu beschreiten. Hierbei wird es insbesondere darum gehen,
den dra­matischen zeitlichen Rückstand, in den diese
­Betriebe vielfach bereits geraten sind, Schritt für Schritt
zu überwinden, ohne ihre wesentliche Ressource, das
Qualifikationspotenzial ihrer Fach- und Führungskräfte
zu opfern.
Nur wenn dies wenigstens in ernst zu nehmenden
­A nsätzen und Teilschritten gelingt, wird es für beträchtliche Teile der ostdeutschen Wirtschaft eine Zukunft
­geben.
Die Lösung der damit bezeichneten Aufgaben wird
ohne Zweifel mutige Innovationen verschiedener Art erfordern, die nur mit öffentlicher Förderung und in enger
Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis möglich
sind.
113
114
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
115
Michael Kiesewetter, Torsten Windels
Banking in der
Wissensgesellschaft
1. Spuren der Wissensgesellschaft
Die Wissensgesellschaft als Modell von Wirtschaft und
Gesellschaft begegnet uns alltäglich in Form sogenannter stilisierter Fakten. In Rostock werden unter dem Leitgedanken „Wissen schafft Wirtschaft“ (vgl. Universität
Rostock 2008) Existenzgründertreffen in Kooperation
mit der Universität veranstaltet, die den Aufbau von Kontakten zwischen Studierenden und Absolventen mit der
Wirtschaft fördern sollen. Die Region Südniedersachsen
hat die Devise ausgegeben: „Für Deutschland als Hochlohnland ist Wissen der entscheidende Erfolgsfaktor. Bei
den hohen Arbeitskosten müssen wir die besseren Produkte haben: Also muss in der Regel auch mehr Wissen
drinstecken. Sonst sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig.“ (von der Oelnitz 2008, S. 14). Nicht zuletzt erachtet
das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des
Landes Niedersachsen „Wissen“ als den dritten starken
Produktionsfaktor neben den klassischen Produktivkräften Arbeit und Kapital (vgl. Niedersächsisches Ministe­
rium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 2007, S. 7).
In der Wissensgesellschaft ist auch die Kreditwirtschaft bestrebt, den Anteil von Wissen an ihren Produkten und Dienstleistungen zu erhöhen und seinen Einsatz
in ihren Arbeits- und Entwicklungsprozessen zu opti­
mieren. Zudem müssen innovative Lösungen für eine
sich verändernde Nachfrage angeboten werden. Die
­Herausforderungen der wissensbasierten Ökonomie an
das Banking gründen nicht zuletzt in seiner spezifischen
Funktion für die Volkswirtschaft.
2. Was ist Banking?1
Die klassische, volkswirtschaftliche Funktion von ­Banken
und Sparkassen ist die Vermittlung von Geld-(Kapital-)
besitzern und (solventen) Geld-(Kapital-)­suchern. Dabei
werden z. B. kleine, kurzfristige Anlagebeträge in große
und langfristige Kredite umgewandelt. Diese Fristentransformation läuft durch die Bankbilanz. Daneben
können auch Partner des Geld- oder Kapitalmarkts unmittelbar Geld bzw. Kapital tauschen (gegen Schuld­
verschreibungen, Aktien oder Mischformen). Diese
­F inanzdienstleistungsgeschäfte liefern der Bank Pro­
visionserträge für Vermittlung und Beratung. Stark gewachsen sind derivative Geschäfte, die zur Absicherung
von Risiken (Marktpreisrisiken, Adressrisiken) dienen,
aber natürlich auch Spekulationsgeschäfte motivieren,
die den Banken ebenfalls Provisionserträge liefern. Diese Entwicklung des sogenannten Investment Bankings
hat die Bankenlandschaft in den letzten Jahren stark
­geprägt.
3. Neue Arbeitsteilung im Bankgeschäft
„Banking is necessary, Banks are not“ befand MicrosoftGründer Bill Gates. Gates bezieht dies vereinfacht auf
standardisierte (online-) Bankgeschäfte (Zahlungsverkehr, einfaches Sparen, beratungsloser Börsenhandel
und beratungslose Kreditprodukte). Damit entfällt der
Bedarf an Bank-Niederlassungen und an Bankberatern,
die face-to-face mit dem Kunden die „Bankgeschäfte“
abwickeln. Zwar ist rechtlich nach wie vor eine Bank­
lizenz erforderlich, aber die neue Struktur bringt neue
Wettbewerber auf den Markt, die das Standardbank­
geschäft erheblich unter Druck gesetzt haben.
Dieser Wandel lässt sich anhand einiger Fakten illustrieren:
n
36 Prozent der Bürger in Deutschland nutzten im
­A pril 2008 Online-Banking, im Jahr 2000 waren es
erst 11 Prozent (vgl. Bankenverband 2007)
Zu Wissensgesellschaft: z. B. Georg Simonis, Paradoxien der Wissensgesellschaft, in: Mensch & Computer 2006, München 2006, S. 37 f.; zu Wissensmanagement: z. B. Franz Lehner, Wissensmanagement, 2. Auflage, München/Wien 2008, S. 43 ff.; zu Wissensökonomie: z. B. Hans Joachim Kujath, Wissensgesellschaft
und wissensbasierte Ökonomie? Was ist das – was ist neu?, Tagung ‚Wirtschaftsförderung in der Wissensgesellschaft‘ 26./27.10.2006 https://www.nordlb.de/
fileadmin/Sparkassen/pdf/Veranstaltungen/Tagung_Loccum_Kujath.pdf
1
b Ausstellungsobjekt auf der Schweizer EXPO 2003 (Detail)
RegioPol eins 2008
116
Tabelle 1: Definition der Geschäftsarten
Bankgeschäfte2
Finanzdienstleistungen3
Einlagengeschäft
Pfandbriefgeschäft
Kreditgeschäft
Diskontgeschäft
Finanzkommissionsgeschäft
Depotgeschäft
Garantiegeschäft
Girogeschäft
Emissionsgeschäft
E-Geld-Geschäft
Anlagevermittlung
Anlageberatung
Betrieb eines multilateralen Handelssystems
Platzierungsgeschäft
Abschlussvermittlung
Finanzportfolioverwaltung
Eigenhandel
Drittstaateneinlagenvermittlung
Finanztransfergeschäft
Sortengeschäft
Kreditkartengeschäft
n
n
n
n
n
Auto-Banken werden Privatkundenbanken
Auslandsbanken eröffnen Online-Niederlassungen
Direct-Broker erweitern ihre Geschäfte zu Direkt­
banken und sind heute häufig Töchter von großen
„Normalbanken“
PayPal (der ebay-Bezahldienst) erwirbt eine deutsche
Banklizenz, um weitere Geschäftsfelder aufzubauen
IBAN (International Banking Account Number) und
SEPA (Single European Payment Area, Liberalisierung
in der EU) senken die grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrskosten für die Bankkunden.
Der Prozess der Arbeitsteilung im Bankgeschäft vertieft sich. Es entstehen Spezialisten für Bank-IT, Wert­
papierabwicklung, Zahlungsverkehr, Kreditservice usw.
Die Treiber dieser auch als „Industrialisierung des Bankbetriebs“ bezeichneten Prozesse sind Kostendegressionen durch Größeneffekte („economies of scale“) 4.
Die Standardisierung des Bankgeschäfts stellt naturgemäß eine dezentral organisierte Bankengruppe wie
die Sparkassen/Landesbanken (oder die Volksbanken)
vor größere Anpassungsprobleme als zentral organisierte Institute, weil die Willensbildungsprozesse zur Verständigung auf eine zentrale Lösung vielstimmiger
sind5.
Diese Entwicklungen der Arbeitsteilung sind auch
in der Sparkassen-Finanzgruppe deutlich sichtbar. Im
Jahr 2004 wurde die Wertpapierabwicklung in der dwpBank zusammengefasst (vgl. dwpank). Zur effizienteren
­ reditbearbeitung (Stichwort: Kreditfabrik) haben
K
NORD/LB und Sparkasse Hannover 2005 die Kredit­
service NORD GmbH gegründet, die offen für weitere
Sparkassen ist (vgl. NORD/LB; Sparkasse Hannover 2005).
Darüber hinaus wird die IT der Sparkassen aktuell auf
­einen Zentraldienstleister fusioniert (vgl. Sparkassen
­Informatik und FinanzIT 2008).
In diesem Wettbewerbsumfeld gibt es grundsätzlich
zwei Strategien zur Weiterentwicklung des Geschäftsmodells von Banken. Zum einen Größenwachstum, um die
Erträge bei sinkenden Stückpreisen zu steigern, und zum
anderen Innovation, also die Entwicklung neuer Produkte, durch die sich höhere Erträge generieren lassen.
Beide Strategien werden durchaus miteinander verschränkt. Bezogen auf die NORD/LB baut das Geschäftsmodell auf strategischen Geschäftsfeldern auf. Neben
der Präsenz in den klassischen Kundenbereichen Sparkassen, Mittelstand, Privat- und Gewerbekunden sowie
Öffentliche Kunden sind dies vor allem Spezialisierungen in Produktmärkten, in denen die Bank kritische
­Größen aufweist, die dank des überregionalen Antritts
die Bekanntheit erhöhen, die Verteilung der Kompetenz­
kosten (Marktanalyse, Kundenzugang sowie rechtliche,
bankliche und sachinhaltliche Produkt- und Markterfahrungen) über das Volumen verteilen und damit wett­
bewerbsfähige Stückpreise ermöglichen. Für den Kreditbereich der NORD/LB zählen dazu beispielsweise die
Schiffs- und Flugzeugfinanzierungen, die Immobilien­
finanzierungen, das Agrar-Banking, Infrastrukturfinan-
2 § 1 Abs. 1 Kreditwesengesetz
3 § 1 Abs. 1a Kreditwesengesetz
4 „Die Industrialisierung des Bankensektors ist eine langfristige Entwicklung (…). Es wird jedoch tendenziell eine zunehmende Spezialisierung einzelner Banken
stattfinden. Die Banken befinden sich noch in einem frühen Stadium der Industrialisierung.“ Martin Engstler (Fraunhofer Institut Arbeit und Organisation)
Artikel vom 19.07.2007 in http://www.bank-zweinull.de/2007/07/19/industrialisierung-im-bankenbereich/ (Innovationsforum Bank & Zukunft, www.bankundzukunft.de), s. auch Hermann Josef Lamberti, Industrialisierung des Bankgeschäfts, in Die Bank Juni 2004
5 „Für die Zukunft sehen insbesondere die Sparkassen noch große Potenziale durch Kostensenkungsprogramme und die Einführung optimierter Steuerungsinstrumente effektiver am Markt agieren zu können (46 Prozent).“ (Zusammenfassung der) IAO-Trendstudie Bank und Zukunft 2008, wie sich Banken auf die
Herausforderungen von morgen bereits heute vorbereiten, Dieter Spath (Hrsg.) / Martin Engstler / Claus-Peter Praeg / Christian Vocke (Autoren), erscheint Ende
Mai 2008, Vorab-Zusammenfassung unter www.bankundzukunft.de )
Wissensökonomie
117
Heute sind die Fähigkeiten hoch
­qualifizierter Arbeitskräfte eine wesent­
liche Ressource für den ökonomischen
­Erfolg von Banken.
zierungen und die Finanzierung von Projekten im Bereich erneuerbare Energien.
Bei der gegenwärtigen und mehr noch der zukünf­
tigen Entwicklung des Bankgeschäfts spielen die Mit­
arbeiter eine zunehmend wichtigere Rolle. Diese vor
­allem kreative Rolle des (Mit-) Arbeiters war und ist nicht
immer so zentral gewesen. Heute sind die Fähigkeiten
hoch qualifizierter Arbeitskräfte eine wesentliche Ressource für den ökonomischen Erfolg von Banken. Das
kreative Potenzial der Mitarbeiter gilt mittlerweile als
­eine zentrale Quelle für innovative Entwicklungen im
Bankgeschäft.
4. Der Mensch in der Produktion
Die klassische industrielle Fließbandfertigung (1.000
rote VW Käfer mit gleicher Ausstattung) zielte noch darauf ab, den Menschen in der Produktion durch die
­Maschine zu ersetzen6. Fehlerbehaftung und geringes
Tempo menschlicher Tätigkeit in der Industrieproduk­
tion sollten minimiert werden. Die Arbeit wurde in immer
kleinere Teilschritte zerlegt und schließlich einer weiterentwickelten Maschine übergeben. Entsprechend musste sich der Kunde auf den Industriestandard einstellen.
Die Mechanismen der Automatisierung sind natürlich
auch heute noch nicht abgeschlossen.7
Als Analogie hierzu kann für den Bankbetrieb die Entwicklung des beleghaften, handschriftlichen Zahlungs­
verkehrsträgers genommen werden. Neben einer zunehmenden Maschinenlesbarkeit auch von Hand­schrif­ten
wurden Überweisungsautomaten aufgestellt und schließlich das Online-Banking eingeführt. Zudem wurde die
­Einreichung von Zahlungsbelegen deutlich verteuert. In
diesem Prozess erlernt der Kunde die Maschinenstandards
(Anmeldung mit PIN, Kontonummer, Bankleitzahl, TAN)
oder er trägt die höheren Kosten.
Steigender Wohlstand und rasante Entwicklung der
Produktionstechnologie ermöglichen heute eine zunehmende Differenzierung der Produktlandschaften bis hin
zur maschinellen Einzelfertigung (ein roter Golf nach
­einem blauen Golf). Der Fliessbandarbeiter wurde durch
Automaten auf der Technikseite und den Maschinensteuerer (in verringerter Anzahl) auf der Arbeiterseite
­ersetzt.
Steigende Komplexität im Produkt, in der Produkt­
vielfalt und in der Produktionstechnik erhöhen aber die
Störanfälligkeit von Produktionssystemen erheblich.
Scheinbar weniger technikzentrierte und mehr menschenorientierte Gruppenarbeit mit Qualitätssicherungsprozessen wurden eingeführt 8. Die Fähigkeiten
des Menschen sind hier nicht durch die Maschine zu
­ersetzen. Das gilt insbesondere für sein Vermögen, in
komplexen Situationen und bei Störungen schneller und
angemessener zu reagieren. Es wird das koordinierende
Wissen der Facharbeiter benötigt, um Maschinen zu
steuern, Prozesse zu optimieren (Verbesserungs­mana­
gement), Probleme zu lösen und das Produkt fehlerfrei
6 Sinnbild hierfür ist die Fließbandproduktion des Ford T (daher auch Fordismus oder spezifischer Taylorismus nach Frederic Winslow Taylor, The principles of
scientific management (1911)).
7 „Waren früher die Mitarbeiter mit umfassenden Aufgaben ihrer Ressorts betraut, so ist die Arbeitsweise heute durch Spezialisierung der Tätigkeit geprägt.
Durch Taylorisierung der Arbeit“, Thorsten Bonne, Matthias Fank, Frank Linde, Unternehmensinterne Call Center: Personalarbeit aus erster Hand, in:
Wissensmanagement 4/2008, S. 16
8 Auch lean production oder Toyotismus genannt. Das Toyota Produktionssystem (TPS) verbindet die Produktivität der Massenproduktion mit der Qualität der
Werkstattfertigung. Vgl: James P. Womack, Daniel T. Jones, Daniel Roos: Die zweite Revolution in der Autoindustrie, Frankfurt a. M. 1991
RegioPol eins 2008
118
und effizient zu fertigen. Der Entscheidungsspielraum
des Arbeiters steigt.
Am Anfang war das einfache Standardprodukt, das
aufgrund seines günstigen Preises seine Käufer fand
(Ford T, VW Käfer). Mit flexiblerer Produktionstechnik
konnte die Variantenzahl des Standardprodukts erheblich verbreitert werden.
Die Innovation, vor der wir heute stehen, geht noch
einen Schritt weiter. Im Werkzeugmaschinenbau ist
­dieses Prinzip schon seit geraumer Zeit gängig: Es gibt
­keine Standards. Das Produkt entsteht für die spezifischen Anforderungen des Kunden. Mit dem Wissen der
Inge­nieure wird hierfür eine spezielle, hoch produktive
Maschine geschaffen. Ein Wettbewerb ist nur einschränkt
möglich.
Diese Entwicklung findet bankbetrieblich ihre Entsprechung in der Strukturierten Finanzierung. Das einzelne Investment wird zwischen den Investoren (Sponsoren) und den Financiers über die Lebens- bzw.
Kreditdauer (Entwicklung, Bau, Betrieb) geplant und mit
einer maßgeschneiderten Finanzierung (tailor-made)
versehen. Wesentlich ist hier, dass die Bank sämtliche
Teilschritte des Investments ähnlich gut kennen sollte
wie der Sponsor. Ohne diese Kenntnisse kann die Bank
keine passgenaue Finanzierung liefern und läuft Gefahr,
von (vorhersehbaren) Risiken überrascht zu werden und
damit die erwartete Gewinnmarge zu verfehlen. Kom­
petenz der Bank macht die Kundenberatung (z. B. Im­
mobilienfinanzierung) effizient und vertrauenswürdig.
­Kundenzugang, Reputation und Spezialisierungseffi­
zienz erschweren den Marktzutritt für Wettbewerber.
5. Weiterentwicklung des ­
wissensbasierten Bankgeschäfts
Die Beispiele Werkzeugmaschinenbau und Strukturierte
Finanzierung zeigen, dass diese wissensbasierte Einzelfertigung nichts grundsätzlich Neues ist, jedoch rückt
dieses Produktionsprinzip nunmehr von der Nische ins
Zentrum. Auch sind bei der Produktion von Wissen bestimmte ökonomischen Eigenheiten zu berücksichtigen,
die sich von der industriellen Fertigung unterscheiden. a)
Wissensbasierte Produkte beinhalten mehr Gewinnpotenzial9. Dies ergibt sich entweder durch die relative
Einzigartigkeit des Produktes10, wirkliche Innovation11
oder durch Produkt- oder Marktintransparenzen und
dem daraus folgenden fehlenden oder geringeren Wett-
bewerb. Ein anderes Beispiel ist die kundenindividuelle
Leistung, die ebenfalls durch fehlenden Wettbewerb
­höhere Preise ermöglicht. Dauerhaft bleibt ein (Wissens-)
Vorteil nur durch eigentumsrechtliche Absicherung der
Idee (z. B. Patente und Lizenzen), stetige Innovation oder
Individualprodukte, die den (realen oder vermeintlichen)
Nutzen für den Kunden erhöhen. Letztere lassen sich vor
allem durch Kundennähe und/oder eine etablierte Qua­
litätsmarke vermitteln, beides verringert insbesondere
auch die Unsicherheit des Kunden hinsichtlich der
­Qua­lität des Produkts.
Die Weiterentwicklung des Bankgeschäfts in diese
Richtung kann marktseitig an zwei Punkten ansetzen:
Erstens am Kunden. Die Kundenberater der Bank kennen ihre Kunden, d. h. die Personen, Produkte, Märkte,
Wertschöpfungsketten, Entwicklungstendenzen und natürlich die Bilanz sowie die damit zusammenhängenden
Finanzproduktbedarfe. Und zweitens an den Produkten.
Die Produktspezialisten bieten Komplettlösungen für
Kunden an (Analysemethoden, rechtliche Bedingungen,
Finanzierungsrisiken und wettbewerbsfähigen Preis).
Einfache Produkte mit hoher Standardisierung werden lediglich über die Menge bei niedrigen Kosten zu
vertreiben sein. Dies wird nur noch der Produktspezialist
mit hoher Automatisierung oder niedrigen Lohnkosten
anbieten können. Diesen durch Konzentration zu schaffen oder als Dienstleister zu nutzen, ist – wie gezeigt –
bereits heute Realität.
Die intensive Kundenberatung und die lokale Präsenz, die die NORD/LB bietet, führen zu erhöhten Kosten, die nicht nur mit dem Vertrieb einfacher Produkte
zu decken sind.
Anknüpfend an die Hypothese, dass der Vorteil des
regionalen Bankmodells in der Nähe zum Kunden liegt
(Kundenzugang, Kunden-Wissen, Cross-Selling), muss
sich diese vorteilhafte Nähe letztlich auch auszahlen.
Hier greifen die beschriebenen Prozesse von Breite (Kundenanzahl) und Tiefe (differenzierte Produktpalette für
Kundengruppen) zur Erzielung von Erträgen im effizient
organisierten Massengeschäft und zur Erhöhung der
Wertschöpfung durch kundenindividuelle Leistungsangebote.
Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Wissensbasierung im Bankgeschäft liefern eine effiziente Wissensorganisation, eine Produktentwicklung durch Vernetzungen der Teilbereiche und die Kundenberatung.
OECD-Studien verweisen auf die Zusammenhänge von Bildungsinvestitionen und Wachstum, s. z. B. OECD, Human Capital Investments, An International
Comparison, Paris 1998 oder OECD Insights, Human Capital, Paris 2007; Credit Suisse benennt die Entwicklung zur Wissensgesellschaft als einen von sechs
Megatrends, Credit Suisse, Megatrends – Chancen und Risiken für KMU, Juni 2007, S. 6
10
„Die Differenzierung mittels Wissen schafft die entscheidenden Wettbewerbsvorteile.“ Oliver Loisel, Innovation in der Wissensökonomie, in: innovation.spirit,
Journal für angewandte Innovation, S. 38-42. Auch scheinbar einfache und vergleichbare Bankprodukte wie eine private Immobilienfinanzierung sind durch die
verschiedenen Ausstattungsmerkmale differenzierbar (Laufzeit, Tilgung, Sondertilgung, Änderung der Tilgungsrate, ...; vgl. Capital 09/2008 vom 21.05.2008).
Differenzierungsmerkmale werden kundengruppenspezifisch gesetzt.
11
Z. B. Michael O. R. Kröher, Wirtschaftsfaktor Wissen - Wie unsere Spitzenforschung den Standort Deutschland voranbringt, Berlin 2007
9
Zur grundsätzlichen Bedeutung und Funktionsweisen der Wissensökonomie vgl. den Aufsatz von Hannes Rehm, Wissen und Ökonomie, in diesem Heft
a)
Wissensökonomie
a) Effiziente Wissensorganisation
Wissen (und damit auch zumeist der Wissensarbeiter) ist
teuer und knapp. Wissen ist auch heute noch ganz überwiegend personengebundenb). D. h. wissensbasierte Wertschöpfung braucht den (wissenden) Menschen12. Dies ist
einerseits banal. Andererseits ist es als leitendes Prinzip
der Produktion in der Wissensgesellschaft ein wichtiger
Anhaltspunkt für die Organisation, die Personal- und
Produktpolitik von Unternehmen.13
Die effiziente Organisation der Produktion, des Austauschs und der Anwendung von Wissen führt zum
­W issensmanagement.
„Welches Wissen (d. h. nicht Daten und auch nicht
­Informationen!) ist überhaupt erforderlich, um die
Leistung (z. B. Herstellung eines Produktes) durch
die Organisation zu erbringen?
n Welches Wissen ist erforderlich, um gegebenenfalls
Anpassungen der bestehenden Leistungserstellungsprozesse vorzunehmen?
n Welches Wissen ist ggf. erforderlich, um neue Produkte oder Leistungen zu entwickeln?“14
n Welche Organisation und Unternehmenskultur fördert die Produktion und die Bereitstellung von (in-/
externem) Wissen?
n In welchen externen Netzwerken organisiere ich mir
Wissen (und Wissensarbeiter)?
n
Dienstleistungsunternehmen fehlt es häufig an systematischen Innovationsprozessen. F&E-Abteilungen
sind typische Erscheinungen in Industrieunternehmen.
Innovationen kommen im Bankbetrieb häufig aus den
Fachbereichen, die den Bedarf im Wettbewerb erkennen
oder die vom Kunden gefordert werden. Auf der Strecke
bleibt hier eine (effiziente) Innovationsplanung und
-organisation und Innovationsfelder, die zwischen den
Fachbereichen entstehen (könnten).
Nach einer Untersuchung von PwC15 haben 80 Prozent der befragten Dienstleister (29 Prozent davon Banken und Versicherungen) kein Innovationsmanagement
und 57 Prozent verfügen über keine Innovationsstrategie. Innovationen wurden in erster Linie von der Geschäftsführung, durch Kundenanforderung, den Vertrieb
oder die Mitarbeiter, angestoßen. Zu den wichtigsten
­Erfolgsfaktoren für Innovation zählt PwC die Kundenorientierung, kreative Mitarbeiter und eine entsprechende
Unternehmenskultur. Als Hemmnisse wurden dagegen
maßgeblich Zeitmangel und die organisatorische Struktur benannt.
Häufig wird gleiches oder ähnliches Wissen an verschiedenen Stellen der Bank benötigt. Es ist möglich das
Wissen in jedem dieser Bedarfsfelder aufzubauen und
­vorzuhalten. Dies führt aber zu prohibitiv hohen Kosten.
Den kostengünstigeren, parallelen Zugriff auf Wissen
ohne ­Zugangsprobleme, Problemverständnisse und Interessenkonflikte zu organisieren, ist durchaus komplex16.
b) Produktentwicklung durch Vernetzungen
Es geht nicht um Produkt oder Kunde, sondern Geschäftsentwicklung durch Verknüpfung von Produkt und
Kunde. Dabei stellt sich die Frage: Wer führt im System,
der Kundenbetreuer oder der Produktmanager? Wahr
bleibt, ein Kundenbetreuer ohne Produktverkauf und ein
Produktmanager ohne Kunde ist Nichts.
Die NORD/LB hat natürlich Kundenzugang und Produkt­
spezialitäten. Der Produktspezialist hat Kunden, die nicht
der klassischen Kundenbetreuung zugeordnet sind, und
der Kundenbetreuer tut gut daran, bei Bedarf die Produkte
anzubieten, in denen die Bank Spezialist ist. Häufig liegt in
der systematischen Abfrage dieser Zwischenwelten aber
noch ein erhebliches Geschäftspotenzial für beide Seiten.
Zur Charakterisierung dieser Wissensarbeiter: Robert Reich spricht von Symbolanalytikern („symbol analysts“). Robert B. Reich, Die neue Weltwirtschaft –
Das Ende der nationalen Ökonomie, Berlin 1993
„Die Wissenswirtschaft (…) führt zu neuen Produktionsformen, neuen Arten von Unternehmen und neuen Formen der Ausbildung und Organisation.“;
Internationales Arbeitsamt (ILO), Globalisierung in Europa – Menschenwürdige Arbeit in der Informationswirtschaft, Genf 2000; Thomas Schmidle,
New Labor – Wandel der internen Arbeitsstrukturen der New Economy durch die neuen Kommunikationsprozesse, München/Ravensburg 2002; hierzu auch
Robert Reich a.a.O., S. 200.
14
Z. B. Franz Lehner, Wissensmanagement, 2. Auflage, München/Wien 2008, S. 37; Hinsichtlich der Barriere und Erfolgsfaktoren des Wissensmanagements
(S. 289 ff.) kommt er zu ähnlichen Ergebnissen wie PwC für das Innovationsmanagement (s. Fußnote 15)
15
PriceWaterhouseCoopers, Innovation Performance – Das Erfolgsgeheimnis innovativer Dienstleister, Juni 2006 (www.pwc.de); Der Wettbewerb „WissensWirtschaft.NRW“ greift diese Ansätze in fünf Handlungsfeldern auf: Service Engineering & Design, Service Management, Wertschöpfungsketten und Wertschöpfungsnetzwerke, Modulare Service-Architekturen für industrielle Dienstleistungen, Entwicklung von Dienstleistungen für technologieintensive Produkte (http://
www.nrw.de/Presseservice/meldungen/05_2008/080515MWME.php).
16
Z.B. Research-Analysten „Es wird in Zukunft immer schwerer werden, Analysten über die Einwerbung von Handelsaufträgen zu bezahlen“, urteilt Plümer. Daher
seien die Experten gehalten, nicht nur Kauf- und Verkaufsempfehlungen zu geben. Sie sollten den Firmenkundenbetreuern Tipps geben, welche Bankdienstleistungen die Unternehmen brauchen können und den Produktentwicklern auf der Derivateseite zur Seite stehen. Interessenkonflikte scheut Plümer dabei nicht:
„Es geht nicht darum, solche Konflikte zu vermeiden. Es geht darum, sie zu managen. Nur so lässt sich das Know-how der Analysten für die Bank als Ganzes
erschließen.“ Banken kaufen Analysen zu, Handelsblatt, 05.04.2007 (Markus Plümer, Co-Head of Research der Commerzbank)
12
13
b)
119
Beispiel Wissenstechnologie – Künstliche Intelligenz: Trotz zunehmender Erfolge, Wissen in die IT einzubinden, bleibt es IT – Informationstechnologie und nicht
WT – Wissenstechnologie. Dabei ist es durchaus bemerkenswert, wie über statistische Modelle oder Einzelfallabgleichen technisches Gerät heute in der Lage ist
Erfahrungswissen abzubilden und im Massenmarkt zur Verfügung zu stellen.
Ein Alltagsbeispiel: Heute kann fast jede Digitalkamera ab 200 EUR aus den Lichtdaten für ein Foto besser „beurteilen“ (meint: errechnen), ob ein Aufhellblitz
bei einer Gegenlichtaufnahme zugeschaltet werden muss, ob bei bewegten Motiven eine kürzere Verschlusszeit gewählt werden sollte oder sie kann das
Gesicht im Bildausschnitt identifizieren und fokussieren, weil es zumeist (statistisch) von Interesse ist. In mehr als 95 Prozent der Fälle ist das gespeicherte
Erfahrungswissen der Kamera „intelligenter“ als das Foto-Wissen eines beliebigen Nutzers. Ganz zu schweigen von den Profilverknüpfungen von User und
Produkt bei Google, ebay oder Amazon.
Im Bankbetrieb sagt heute ein mathematisch-statistisches Modell, welches Ausfallrisiko der Kredit eines Kunden (oder eines ABS-Portfolios) hat und wie damit
der Zins zu kalkulieren ist. Im konkreten Einzelfall versagt dies naturgemäß. Im Ergebnis ist das Foto nichts geworden oder der Kredit muss abgeschrieben
werden (oder es kommt zu einer Finanzkrise). Hier ist der wissende Profifotograf oder der wissende Kreditberater / Risikomanager (oder der Regulierer) gefragt.
Leider meistens erst hinterher.
120
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
So eröffnet die gute Position der Bank in der Projekt­
finanzierung im Bereich der regenerativen Energien auch
der Kundenberatung den Zugang zu den Anlagenherstellern. Oder der Landwirt als Lieferant von Energiepflanzen
setzt auf steigende Preise. Dies sichert den Kredit der Bank.
Dagegen sind Ölmühlen oder Biogasanlagen von steigenden Rohstoffpreisen eher bedroht und erhöhen (verteuern)
die Kreditkosten. Welche Meinung hat die Bank? Schlimmstenfalls sind hier verschiedene Meinungen möglich. Idealerweise bietet die Bank beiden Kunden Absicherungsgeschäfte an. Hierzu muss sie beide Seiten kennen, intern
miteinander reden und Produktkenntnisse zu Sicherungsgeschäften im Hause finden und am Kunden umsetzen.
c) Kundenberatung
„Schaltergeschäft“ und „Kreditantrag“ stehen für eine vergangene Zeit, in der der Kunde die Bank aufsuchen musste, um eine Dienstleistung nachzufragen. Liberalisierung
und Wettbewerb haben diese Ära beendet. Heute bemühen sich die Banken um Kunden. Das dreigliedrige deutsche Bankensystem aus Sparkassen, Genossenschafts­
banken und Privatbanken gilt als wettbewerbsintensiv
und versorgt die deutsche Volkswirtschaft mit kosten­
günstigen, vielfältigen Bankprodukten.
Die Marktanteile im lokalen Kundengeschäft bieten gute Geschäftspotenziale. Der Trend geht von der (passiven)
Kundenbetreuung zur (aktiven) Kundenberatung. Der Kundenberater spricht den Kunden an. Das Wissen über den
Kunden bietet den Ansatzpunkt zur Identi­fikation von Finanz- oder Beratungsbedarfen, die durch ­Finanzprodukte
befriedigt werden können. Einem Strukturvertrieb zum Absatz von provisionsstarken Stan­dard­produkten im Inter­
esse des (kurzfristigen) Profits der Bank steht bei höher­
wertigen Kundenbeziehungen das Ziel einer langfristigen
Kundenbindung entgegen. Private Ziele, Steuerfragen und
Erbschaftsthemen des Privatkunden, bilanzielle Tendenzen, Marktentwicklungen der Firmenkunden, Risikoberatun­
gen bei Sparkassen und Versicherungen sind Ansatzpunkte
für eine höherwertige, wissensbasierte Kundenberatung.17
6. Banking in der Wissensgesellschaft –
Drei Beispiele
a) Schiffsfinanzierung
Die NORD/LB zählt zu den größten Schiffsfinanzierern
der Welt. Die langjährige Erfahrung, die Fähigkeit, unse-
re Kunden durch zyklische Entwicklungen zu begleiten,
und unser Know-how werden von Kunden geschätzt
und eröffnen Möglichkeiten für neue Geschäfte.
Die Markt- und Produktspezialisierung eröffnet den
Zugang zu Kunden, der auch außerhalb des reinen
Schiffsfinanzierungsgeschäftes für weitere Geschäfte
genutzt wird. Zudem wurde ein Teil des Kreditportfolios
genutzt, um durch die Emission eines ersten Schiffspfandbriefs – eine weitere Stärke der Bank – für eine
­Innovation einzusetzen (vgl. NORD/LB 2006a).
Norddeutschland ist in Deutschland die Schwerpunktregion für das Reedergeschäft. Die Netzwerkanalyse der NORD/LB Regionalwirtschaft zeigt die Vernetzung der Reeder mit der lokalen, regionalen und
überregionalen Wirtschaft auf (vgl. Hahn 2007). Die identifizierten Netzwerklücken können wiederum Ansatzpunkte für das Vermittlungs- und Beratungsgeschäft
sein (z. B. M&A-Finanzierungen).
b) Versicherungsberatung
Versicherungen sind wichtige Bestandskunden der
Bank. Das neue Aufsichtsrecht für Versicherungen
SOLVENCY II wird voraussichtlich 2012 in Kraft treten
und die Versicherungslandschaft mit erheblich erhöhten
Anforderungen an das Risikomanagement konfrontieren. Als Bank hat die NORD/LB Erfahrung mit der Regulierung nach Basel II und als Landesbank ist sie in der
Bilanzberatung für Sparkassen tätig. In Zusammenarbeit
der Bereiche Research und Sales sowie in interdisziplinärer Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Versicherungswissenschaften (KVW) wurde ein Konzept zur
Asset-Liability-Beratung von Versicherungen entwickelt
(vgl. KVW 2007, S. 21 ff.). Zur neutraleren Beratung wurde
mit der NORD/Advisors GmbH dieser Ansatz rechtlich
verselbstständigt und wird in diesem Jahr etabliert (vgl.
nord advisors). Ziel ist die Kundenberatung, die sich
durch Honorare finanziert. Ziel ist weiterhin die engere
Bindung der Kunden an die Bank durch Bereitstellung
von Know-how für das zukünftige Aufsichtsrecht und die
verbesserte Kenntnis über die Kunden durch den Beratungsprozess. Hierdurch lassen sich wissensbasierte Finanzprodukte liefern oder mit dem Kunden entwickeln.
Es ist aber auch absehbar, dass weitere Kunden und
Produktbereiche von diesem Beratungsansatz profitieren werden. So soll die NORD/Advisors GmbH auch als
Portfolioberater Kunden beraten. Auch Fonds-Advisories sind vereinbart und geplant. Im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge werden Firmenkunden angesprochen, die von der NORD/Advisors Anlagekonzepte
Kostendruck und Qualitätswettbewerb sind Treiber in der Bankwirtschaft: „Wettbewerbsorientierte Herausforderungen für 2008 werden neben einem weiter
steigenden Preiswettbewerb bei Standardprodukten (96 Prozent), insbesondere in Zusammenhang mit dem zunehmenden Vertrieb von Finanzprodukten über
Nichtbanken (73 Prozent) sowie dem Eindringen ausländischer Banken in den Inlandsmarkt (47 Prozent) gesehen. Hinzu kommt ein zunehmender Qualitätsanspruch der Kunden (54 Prozent), der sich in steigenden Anforderungen an die Beratungs- und Servicequalität zeigt.“ Fraunhofer Institut Arbeitswirtschaft und
Organisation, Bank & Zukunft 2008; „Die Finanzberatungswelt wird sich immer stärker polarisieren. Auf der einen Seite gibt es die Preisführer, das sind
Discountanbieter und Direktbanken. Hier erhält der Anleger zwar günstige Konditionen, aber eingeschränkten Service und oftmals keine Beratung. Für die
Finanzberater gilt es nun, in diesem Bereich zu punkten: Nur wer sich als Beratungsführer positionieren kann, wird langfristig bei den immer preisbewussteren
und aufgeklärteren Kunden seine Leistung rechtfertigen können.“ JPMorgan Asset Management, Pressemitteilung vom 29. Mai 2008 zur Vorstellung der Studie
„Perspektiven-Update: Aktuelle Trends im freien Finanzberatungsmarkt in Deutschland“
17
b Verwaltungsgebäude der NORD/LB, Hannover
121
RegioPol eins 2008
122
gestellt bekommen. Dies liegt genau im Fokus eines
Bankings in der Wissensgesellschaft.
c) Risikomanagement
Nicht nur von den Produkt- und Kundenbereichen, sondern auch aus der Banksteuerung kommen Impulse für
neue Produkte. Die gestiegenen aufsichtsrechtlichen
Anforderungen an das Risikomanagement von Banken
haben zu mehr Transparenz hinsichtlich der Kreditportfolien geführt. Aufgrund der regionalen Ausrichtung der
NORD/LB und aufgrund der Spezialisierungen (Schiffe,
Flugzeuge, Immobilien, …) liegen naturgemäß branchenbezogene Klumpenrisiken vor, die die Risikosteuerung herausfordern. Mit Kreditrisikolimiten werden
­heute die Risiken der Kreditportfolios überwiegend gesteuert.
Die risikoadäquate Beschränkung von Geschäftsmöglichkeiten begrenzen aber auch das Ertragspotenzial für die Institute. Als Ausweg bietet sich der Kreditrisikohandel an, der in seiner Wahrnehmung derzeit durch
die US-Kreditverbriefungskrise belastet ist. Nach dieser
Krise wird sich der Kreditrisikohandel aber weiter entwickeln (vermutlich mit geänderten Anforderungen an
Transparenz und Struktur).18
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den Sparkassen.
Auch dort bringt die lokale Orientierung natürlich Klumpenrisiken in den Kreditportfolios durch die regionalen
Branchenschwerpunkte mit sich. Eine Kreditlimitierung
beeinträchtigt auch hier das Mittelstandsgeschäft vor
Ort. Durch Risikohandel zwischen Sparkassen und Landesbanken kann ein vernünftiger Risikotausch durch
Kauf und Verkauf vollzogen werden, um die Kreditportfolios besser zu diversifizieren. Die NORD/LB hat hier das
Instrument S-Port entwickelt und bietet es ihren Sparkassen an.
„Im Bereich des Kreditrisikohandels der Sparkassen
verfügt der NORD/LB Konzern mit der Kreditrisikohandels-Plattform S-Port über ein bundesweit einmaliges
Angebot. S-Port erlaubt es, einzelne mittelständische
Kreditrisiken synthetisch zu handeln. Die NORD/LB tritt
sowohl als Sicherungsgeber als auch als Sicherungsnehmer auf. Darüber hinaus werden Kreditrisiken zwischen
Sparkassen transferiert. Mittlerweile wurden von diver-
sen Banken Anfragen zur Zusammenarbeit gestellt, was
die Qualität des Produktes und die strategische Ausrichtung bestätigt.“ (NORD/LB 2006b, S. 55).
Die Verbindung des Bilanzstrukturmanagements
mit der Asset-Liability-Beratung, die gemeinsam von
NORD/LB-Verbundgeschäft und NORD/LB-Research entwickelt wurde, ergibt sehr gute Ansatzpunkte für die
­Optimierung der Kreditportfolios bei Sparkassen.
7. Schlussbetrachtung
Die Devise „Wissen ist Macht“19 als angewandtes Leitbild
des (Monopol-) Wissens und für sich Bewahrens wird
auch heute noch bemüht, z. B. in der Debatte über den
Schutz des geistigen Eigentums.
In der Wissensgesellschaft kommt aber immer stärker
das Leitbild offener Architekturen, der Wissensnetz­
werke und einer neuen Balance aus Kooperation und
Wettbewerb (neudeutsch: coopetition) zum Tragen. Sinkende Kosten durch neue mediale Vermittlungsformen
(Internet als Informations- und Arbeitsplattform, Englisch als Sprachstandard) befördern einen globalen Austausch von Erkenntnissen. Und offene Systeme können
hierbei durchaus höhere Dynamiken entfalten als eigentumsrechtlich geschlossene Systeme20.
Die Netzwerkdebatte um das Wachstums- und Preisrätsel des Dotcom-Booms Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts (hohes Wachstum bei niedrigen Preisen) hat Netzwerkvorteile stark in das Zentrum der
Analyse gerückt. Alte ökonomische Weisheiten über
Wachstum und Inflation, Preisanreize und Eigentumsrechte schienen außer Kraft gesetzt (daher: New Economy). Dies war sicher übertrieben, aber die Aufmerksamkeit für die Besonderheiten von Netzwerkprozessen
gaben und geben wichtige Impulse für weitere Unter­
suchungen zu den Grundprinzipien moderner Wissenswirtschaft 21.
Es nützt das beste Wissen nichts, wenn keiner weiß,
dass man etwas weiß. Kommunikation über sein Wissen
und Können sind neben der Weiterentwicklung des Wissens Daueraufgabe, um Banking in der Wissensgesellschaft getreu dem Leitbild der NORD/LB im Interesse der
Kunden, der Eigner, der Mitarbeiter und der Gesellschaft
werthaltig zu entwickeln.
S. hierzu: Ministerien stehen hinter Kreditbranche, FTD vom 28. Mai 2008
Sehr spannend geschildert für eine spätere Epoche in dem historischen Roman von Wolfram zu Mondfeld, Johannes K. Soyener; Der Meister des siebten Siegels,
Bergisch Gladbach, 1994
20
„Darüber hinaus zeigt sich, dass Open-Source-Software schon aufgrund der Art und Weise der offenen und freien Entwicklung grundsätzlich innovativer als eine
kommerzielle Entwicklung sein kann.“ Bundesministerium für Bildung und Forschung, Open-Source-Software und ihre Bedeutung für Innovatives Handeln,
2006, S. ii; oder „Bei OSS (Open Source Software, T.W.) wird (…) Algorithmen und Lösungen vollständig frei zur Verfügung gestellt. Dies wird in vielen Bereichen
als Chance und potentieller Innovationsmotor gesehen. Allerdings entsteht die Problematik, dass auf Open-Source basierender Code üblicherweise nicht mehr
im Kontext einer proprietären Entwicklung (Closed-Source) gewinnorientiert vermarktet werden darf. Damit können die traditionellen Geschäftsmodelle in
diesen Fällen nicht weiter genutzt und neue Produkte und Lösungen nicht mehr über Kauf oder bezahlte Lizenzen vertrieben werden“; Bundesministerium für
Bildung und Forschung, Innovationsverhalten deutscher Software-Entwicklungsunternehmen, 2006, S. 85
21
„Zwei charakteristische Merkmale der IKT-Branche sind ihre Wettbewerbsbetontheit und ihre Innovationskraft. Darüber hinaus gibt es viele Segmente des
IKT-Markts, die durch „Netzwerkeffekte“ gekennzeichnet sind – d. h. der Wert eines Produkts für einen einzelnen Kunden steigt mit der Gesamtzahl der Benutzer.
Obwohl diese Netzwerkeffekte bedeuten, dass ein bestimmtes IKT-Produkt oder eine IKT-Dienstleistung rasch Marktanteile gewinnen kann, müssen die
dominierenden Anbieter aufgrund der niedrigen Eintrittsbarrieren, die für viele IKT-Sektoren wie Software und Online-Dienste gelten, stets innovativ und
wettbewerbsbewusst bleiben, weil sie ansonsten Gefahr laufen, rasch Marktanteile an ihre innovativeren und leichtfüßigeren Konkurrenten zu verlieren.“
Microsoft, Stellungnahme zum Kok-Bericht, „Die Herausforderung annehmen: Die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“
(http://www1.microsoft.at/mediabase/file.asp?id=16579)
18
19
Wissensökonomie
Die erfolgreiche (d. h. wettbewerbsfähige) Annahme
und Gestaltung der Herausforderungen der wissens­
basierten Ökonomie entscheidet wesentlich und vermutlich auch in zunehmendem Maße über die Zukunft
der jeweiligen Bank.
Quellen:
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(http://www.bankenverband.de/).
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Bundesministerium für Bildung und Forschung (2006): Innovationsverhalten deutscher Software- Entwicklungsunternehmen.
NORD/LB (2006a): Presseinformation vom 03.04.2006.
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und der Sparkasse Hannover vom 09.09.2005.
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www.nrw.de/Presseservice/meldungen/05_2008/080515MWME.php).
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123
124
RegioPol eins 2007
Wissensökonomie
125
Außerhalb des Schwerpunktes:
Michael Ahrens
Die Initiative
Maritimer Standort Nordwest
D
ie Initiative Maritimer Standort Nordwest ist ein
Zusammenschluss der wichtigsten mari­t imen
Wirtschaftsverbände und Hafenorganisationen
der Region. Mitglieder sind: Der Allgemeine Wirtschaftsverband Wilhelmshaven-Friesland e. V., bremenports
GmbH & Co. KG, die Handelskammer Bremen, die IHK
Bremerhaven, die IHK für Ostfriesland und ­Papenburg,
die IHK Stade, die Oldenburgische IHK, ­Seaports of Niedersachsen GmbH, der Unternehmensverband Bremische Häfen e. V., die Wilhelmshavener Hafenwirtschaftsvereinigung e. V. und der Wirtschaftsverband Weser e. V.
Die Initiative vertritt die Interessen des Nordwestens
und seiner Häfen, welche Wachstums- und Jobmotor für
ganz Deutschland sind. Im Jahr 2007 wurden in den niedersächsischen und bremischen Seehäfen 134 Millionen
Tonnen umgeschlagen. Weit mehr als 100.000 Arbeitsplätze sind in der Region mit der see­hafenorientierten
Wirtschaft verbunden, welche von der Nachfrage der
200 Millionen Verbraucher in Europa ­profitiert.
Ziel der Initiative ist es, länderübergreifend und abgestimmt die gemeinsamen Interessen der maritimen
Wirtschaft im Nordwesten zu vertreten und hierzu die
Menschen in der Region über die Chancen und Potenziale der maritimen Wirtschaft und die erforderlichen Projekte und Infrastrukturmaßnahmen zu informieren. Auf
nationaler Ebene konnten die Bundespolitik und die küstenfernen Bundesländer im Rahmen der parlamentarischen Abende in Berlin für die überregionale Bedeutung
der maritimen Wirtschaft sensibilisiert werden. Die Initiative versucht außerdem auf die zeitgerechte und bedarfsorientierte Realisierung von Infrastrukturprojekten
hinzuwirken, um die Wettbewerbsfähigkeit der Hafen­
standorte, der gesamten maritimen Wirtschaftsstruktur
und des Tourismus im Nordwesten zu stärken. Hierzu
nimmt sie auch Einfluss auf die Entstehung und Umsetzung relevanter europäischer und nationaler Gesetze.
Aufgrund des anhaltenden Booms in der Containerbranche gehen die Prognosen von einem weiteren Anstieg der Beschäftigung aus. Wurden 1985 weltweit
b Detail der Rickmer Rickmers, Hamburger Hafen
noch weniger als 60 Millionen Standardcontainerein­
heiten (TEU; twenty-feet-equivalent-unit) umgeschlagen, waren es 2007 bereits über 450 Millionen TEU. Alle
Prognosen gehen hier von einem weiteren Anstieg deutlich über dem Wachstum der Weltwirtschaft aus. Die
Seehafenstandorte im Nordwesten haben mit den in
Bau befindlichen und geplanten Ausbaumaßnahmen in
Bremerhaven und Wilhelmshaven die Chance, in besonderem Maße von dieser Entwicklung zu profitieren.
Schließlich werden 90 Prozent des europäischen Außenhandels und 30 Prozent des innereuropäischen Umschlags über See abgewickelt. In den für den deutschen
Außenhandel ­relevanten Häfen zwischen Antwerpen
und Hamburg wird sich der Containerumschlag bis 2015
annähernd verdoppeln.
Die Abwicklung des steigenden Containerumschlags
wird somit eine zentrale verkehrspolitische Aufgabe der
nächsten Jahre sein. Nur durch die Entwicklung aller Hafenstandorte, die Anpassung der seewärtigen Zufahrten
und den Ausbau der Hinterlandanbindungen kann diese
Entwicklung gemeistert und der deutschen Wirtschaft
ein wettbewerbsfähiger Zugang zu den Weltmärkten gesichert werden. In diesem Sinne erfüllen die deutschen
Seehäfen auch eine lebenswichtige Funktion für den
­E xportweltmeister Deutschland.
Die Initiative setzt sich daher für den Ausbau zahlreicher Infrastrukturprojekte ein. Hierzu gehören der
durchgängige sechsstreifige Ausbau der A 1, der Neubau
der Küstenautobahn A 22, der Ausbau der Anbindung
des Überseehafens Bremerhaven, die Neuanbindung
des Hafens Emden an die A 31, die Fertigstellung der
A 281 einschließlich Weserquerung, der Ausbau der
Schienennetze im Seehafenhinterlandverkehr, der Neubau der Strecke Hamburg/Bremen – Hannover (Y-Trasse),
der Ausbau der Strecke Bremen – Langwedel – Uelzen –
Stendal – Berlin/Magdeburg, die Ertüchtigung der Strecke ­Oldenburg – Wilhelmshaven, der Ausbau des
Bahnknotens Bremen und die Sanierung der Strecke
Hude – ­Nordenham. Die Anpassung von Weser und Ems,
126
RegioPol eins 2007
Wissensökonomie
127
Die Schwerpunkte bei der Entwicklung der
Küstenregion und der Meere haben sich
eindeutig zu Lasten der ökonomischen
­Gestaltungsmöglichkeiten verschoben.
für den umweltfreundlichen Verkehrsträger Binnenschiff
ist für Deutschland ebenfalls von größter Bedeutung.
Um sich in dem immer stärker werdenden Wettbewerb halten zu können, plädiert die Initiative außerdem
für die Erarbeitung eines regionalen Logistikkonzepts.
Ein weiteres Ziel ist die Stärkung der industriellen Basis.
Nur so ist es möglich die Loco-Quote zu erhöhen und für
­Beschäftigungswachstum zu sorgen. Die Initiative begrüßt die aktuellen Hafenentwicklungsmaßnahmen.
Hierzu zählen die Norderweiterung des Seehafens Brake
um ­30 Hektar, die Errichtung einer Schwerlastplattform
für Windkraftanlagen in Cuxhaven oder der Bau des
­Jade-Weser-Ports.
Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurden u. a. die
Broschüren „Chancen nutzen, Zukunft gestalten“,
„­Zukunft Weser“, „Drehscheibe Nordwest“ sowie „Bahn
frei für die Küstenautobahn – für wachsende Mobilität“
publiziert. Die Initiative konnte außerdem einen großen
Beitrag zur Sponsoring-Kampagne der IHKs für die A 22
leisten.
Losgelöst von den Infrastrukturprojekten fordert die
Initiative generell die Rückgewinnung wirtschaftlicher
Gestaltungsmöglichkeiten an der Küste. Die Schwerpunkte bei der Entwicklung der Küstenregion und der
Meere haben sich eindeutig zu Lasten der ökonomischen
Gestaltungsmöglichkeiten verschoben. Die Küstenre­
gion wurde mit einer Vielzahl von rechtlichen Vorgaben
überschwemmt, die kaum oder überhaupt nicht miteinander abgestimmt sind. Die „Inflation“ an neuen Ge­
setzen, Richtlinien, Verordnungen, Übereinkommen etc.
b Landmark, Insel Spiekeroog
mit umweltorientiertem Meeres- und Küstenbezug hat
zu ­einem vielfachen Durcheinander von Planungs- und
­A bstimmungsverfahren sowie zur Schwächung der ökonomischen Potenziale geführt. Ziel muss es sein,
die notwendigen wirtschaftlichen Gestaltungsmöglich­
keiten in der Küstenregion zu erhalten bzw. zurück­
zugewinnen. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde
durch die Beteiligung an dem Konsultationsprozess zum
„EU-Grünbuch Meerespolitik“ gegangen. Die Initiative
hat in ihrer Stellungnahme und der Broschüre „EU-Grünbuch Meerespolitik – Chancen für die maritime Wirtschaft“ klar Stellung bezogen.
Um auch zukünftig über neue Richtlinien, Verordnungen und Gesetze, welche die maritime Wirtschaft betreffen, zeitnah informieren zu können, hat die Initiative die
Maritime Umweltdatenbank ins Leben gerufen. Über
diese Datenbank können Mitglieder und interessierte
Unternehmen aktuelle Informationen und Stellungnahmen der anderen Mitglieder zu fachspezifischen Themen
einholen und sich gleichzeitig über eine Plattform austauschen.
128
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
129
Ulrich Matthias
Rezension: Stadtpolitik
von Hartmut Häußermann, Dieter Läpple und Walter Siebel.
Frankfurt am Main 2008. Suhrkamp Verlag. Broschiert, 403 Seiten,
14,– Euro. ISBN: 3518125125
A
ls Alexander Mitscherlich die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ beklagte, befand sich der Fordismus auf dem Scheitelpunkt seiner Karriere als
Leitthema der Stadtplanung und -entwicklung. Die
1970er und 80er Jahre waren in dieser Hinsicht bereits
von Rückzugsgefechten gekennzeichnet, die von zu­
nehmenden Protesten und Gegenentwürfen begleitet
wurden. Seither ist der Stadtpolitik nicht nur ein Leitbild
abhanden gekommen; im Gefolge von Globalisierung,
demografischem Wandel, Massenarbeitslosigkeit und
den finanziellen Belastungen durch die Bundespolitik
sind die Fundamente ihrer tradierten Wachstumsstra­
tegien weggebrochen.
In dieser Phase der mühsamen Neuorientierung
kommt mit dem Buch von Hartmut Häußermann, Dieter
Läpple und Walter Siebel ein Werk auf den Markt, das die
Grundlagen der Stadtpolitik freilegt und den neuen
­Rahmenbedingungen und Handlungsmöglichkeiten
nachspürt. Der Bogen ist also weit gespannt und – um
es gleich vorwegzunehmen – den Autoren ist es (er­
wartungsgemäß) gelungen, ihr komplexes Thema derart
umfassend, fundiert und stringent zwischen zwei Buchdeckeln zu entwickeln, dass sich diese Arbeit gar nicht
dagegen wird wehren können, in den Kanon verpflichtender Fachlektüre aufgenommen zu werden.
Die Komplexität von Stadtpolitik erweist sich schon
darin, dass ihr Aufgabenspektrum in nahezu demselben
Ausmaß und Tempo gewachsen ist, wie den Städten ihre
Autonomie und ihr Handlungsspielraum abhanden kamen. Die Autoren zeichnen diesen Prozess in seinen
Grundzügen von den Städten des Mittelalters bis in die
Gegenwart nach, ohne dabei jedoch in Geschichtsschreibung zu verfallen. Der Fokus der Betrachtung richtet sich
eindeutig darauf, die Fundamente der heutigen Erscheinungsformen von Stadt und Stadtpolitik zu vermessen,
um die Tragfähigkeit des aktuellen Aufbaus und seiner
möglichen Weitentwicklung beurteilen zu können.
Dieses Vorhaben kann natürlich nur in der Beschränkung auf ein bestimmtes Modell von Stadt gelingen.
­Gegenstand des Buches ist die „Europäische Stadt“, die
in ihrer Entwicklung nicht nur die spezifische Form von
b Balkon, Lissabon
Öffentlichkeit hervorgebracht hat, die für unser west­
liches Verständnis von Demokratie bis heute prägend
ist (vgl. Habermas 1990), sondern eben auch das entsprechende Publikum (Sennett 1986). Die bürgerliche
Emanzipation ist im politischen Sinn die des Citoyen, des
Stadtbürgers.
Die funktionale Trennung der Stadt in der Ära des
­Fordismus hat den öffentlichen Raum beschädigt. Es
sind nicht die Bewohner, die von der autogerechten
Stadt profitieren, sondern die Pendler. Massive Suburbanisierungsprozesse in der Nachkriegszeit haben dem
schwindenden öffentlichen Raum schließlich auch wichtige Teile seines Publikums entzogen. Je funktionaler
die Stadt wurde, desto mehr drohte sie ihre wesentlichen
Funktionen einzubüßen.
Insofern muss es bemerkenswert erscheinen, dass
dennoch weite Teile der Städte vom Umbau verschont
geblieben sind. Letztlich war es vor allem die Zivilge­
sellschaft in einer Koalition aus Quartiersbewohnern,
Bürgerinitiativen und Anwaltsplanern, die den Vorhaben
der Stadtplaner zunehmend massiveren Widerstand
entgegensetzten. Gerade diese Mobilisierung ihrer
­Bürger kann sich heute für die Städte als Glücksfall erweisen. Die zentrifugalen Kräfte der Suburbanisierung
scheinen mittlerweile zu erlahmen und einer neuen
Wertschätzung urbaner Qualitäten zu weichen. Inzwischen ist schon von einer Renaissance der europäischen
Stadt die Rede. Vor allem der Übergang zur Wissens­
gesellschaft eröffnet den Städten in dieser Hinsicht neue
Chancen. Diese zu nutzen ist jedoch nicht mehr die alleinige Aufgabe von Architekten und Stadtplanern. Angesichts rapide geschrumpfter Handlungsspielräume und
latenter Steuerungs- und Legitimationsprobleme der
administrativ exekutierten Stadtpolitik ist die Einbe­
ziehung auch sozialwissenschaftlichen, ökonomischen
und naturwissenschaftlichen Sachverstands heute unabdingbare Voraussetzung für erfolgversprechende
Stadtentwicklung.
Dieser Erfolg wird sich jedoch nur einstellen, wenn
die gegenwärtig zu beobachtenden Tendenzen zur
räumlichen und gesellschaftlichen Ausdifferenzierung
130
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
Vor allem die Integration wird
zum ­Gradmesser für die Zukunft
der euro­päischen Stadt werden.
der Städte nicht durch kulturell oder infrastrukturell bedingte Grenzziehungen zementiert werden. Vor allem
die Integration wird zum Gradmesser für die Zukunft der
europäischen Stadt werden. Insbesondere Bildung und
Qualifikation gelten als die entscheidenden Parameter.
Das deutsche Bildungssystem war schon in der ersten
Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nur noch eingeschränkt als fortschrittlich zu bezeichnen, heute ist es
nicht nur nicht konkurrenzfähig, sondern ein ausgesprochener Standortnachteil. Vor allem die Städte sind es,
die den von den Landesregierungen produzierten Missstand verwalten müssen.
Dennoch bleibt Integration eine der wichtigsten Aufgaben für die Städte. Häußermann, Läpple und Siebel
wenden sich gegen die verbreitete Einstellung, die Konzentration von Migranten in bestimmten Vierteln ver­
hindern und für eine möglichst gute „Durchmischung“
der Bevölkerung sorgen zu müssen. Starke ethnische
­Milieus seien eben auch in der Lage, funktionierende
Netzwerke zu schaffen, die den Migranten, besonders
bei fehlender staatlicher Unterstützung, überhaupt erst
das Fundament für die Integration in die Stadtgesellschaft lieferten. Voraussetzung sei allerdings, dass erstens die ethnische nicht mit der sozialen Segregation
­zusammenfalle, also nur in marginalisierten Quartieren
auftrete, und zweitens die entstehenden Mosaike der
Stadt durchlässig blieben. Dafür ist schließlich die
­A ktivierung der Zivilgesellschaft eine wesentliche Bedingung.
Ein erfolgreicher Ansatz zur Integration über ein
­Modell von „urban Governance“, das eine neue multiund transkulturelle Topografie der Stadt entstehen­
ließe, ­wäre gewiss eines der sichtbarsten Zeichen für
­eine ­Renaissance der europäischen Stadt.
b Hochhaus hinter Stadtmauer, Osaka
Quellen
Habermas, Jürgen (1990): Strukturwandel der Öffentlichkeit.
Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft.
Frankfurt am Main
Mitscherlich, Alexander (1965): Die Unwirtlichkeit unserer Städte.
Anstiftung zum Unfrieden. Frankfurt am Main.
Sennett, Richard (1986): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens.
Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt am Main.
131
132
RegioPol eins 2008
Wissensökonomie
133
Die Autoren
Michael Ahrens, Dr., geb. 1949, Studium der Chemie und
der Werkstoffwissenschaften an der Technischen Univer­
sität Clausthal, Abschluss: Dipl.-Chemiker; Promotion zum
Doktor-Ingenieur; von 1979 bis 1985 Manager eines
­Sonderforschungsbereiches auf dem Gebiet der Fest­
körperphysik an der Universität Göttingen, seit dem 1. Januar 1986 bei der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer tätig, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer,
zuständig für die Bereiche Verkehr, Schifffahrt und Häfen,
Industrie, Umweltschutz, Post, Telekommunikation, Innovationsberatung, EU-Binnenmarkt, Mitglied der DIHK-­
Ausschüsse (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) „Verkehr“ und „Telekommunikation“, Federführung
„Verkehr“ des NIHK (Niedersächsischer Industrie- und
­Handelskammertag); Geschäftsführer der Niedersächsischen Hafenvertretung e. V., Geschäftsführer der Sea­
ports of Niedersachsen GmbH.
Arno Brandt, Dr., geb. 1955; Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover, Abschluss: Diplom-Ökonom; von 1985 bis 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Markt und Konsum der Universität
Hannover, Promotion 1994; seit 1990 Mitarbeiter der
Norddeutschen Landesbank, dort Bankdirektor und Leiter
der NORD/LB Regionalwirtschaft; Arbeitsschwerpunkte:
Standortmanagement und -marketing, Clusterpolitik, Wirtschaftsförderung, Kulturtourismus und regionalwirtschaftliche Effekte von Großprojekten; Mitglied des Beirates der
Zeitschrift „Neues Archiv für Niedersachsen“; Mitglied des
Konvents der Evangelischen Akademie Loccum; Lehrbeauftragter am ­Institut für Politische Wissenschaft der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover.
Marie Christin Dickow, geb. 1980, Studium der Geografie
mit den Nebenfächern Volkswirtschaftslehre sowie Städtebau, Landesplanung und Raumordnung an der Gottfried
Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Abschluss 2008 als
Diplom-Geographin; seit Juni 2008 Mitarbeiterin der RegioNord Consulting mit den Arbeitsschwerpunkten Regional­
analysen, Clusterstrategien sowie Maritime Wirtschaft.
Dietrich Fürst, Prof. Dr. rer. pol. Dipl.-Vw., 1940, Stu­
dium VWL (Kiel, Köln), wissenschaftlicher Mitarbeiter:
1965 – 1967 im Kommunalwissenschaftlichen Forschungszentrum (heute: Difu), 1967 – 1974 im Sem. f. Finanzwissenschaft Uni Köln, 1968 Promotion, 1974 Habilitation,
1974 – 1981 Professor in Konstanz, 1981 – 2003 Professor
b Kunstobjekt, Frank Popp (Detail)
in Hannover (Landesplanung und Raumforschung), seit
Ende 2003 im Ruhestand. Forschungsschwerpunkte: Regionalplanung, Planungsorganisation und Regionalmanagement, Regionalisierung, regionale Kooperation, regional
governance, Planungstheorie, Steuerungstheorie.
Stefan Gärtner, Dr., geb. 1970; Studium der Raum­planung
an der Universität Dortmund und Liverpool; seit 2002 als
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Arbeit und Technik, Forschungsschwerpunkt Innovation, Raum, Kultur;
­Arbeitsschwerpunkte: städtische und regionale Ökonomien, Regionalentwicklung und regionale Strukturpolitik,
Wirtschaftsförderung, Kompetenzfeldentwicklung, nachhaltiges Wirtschaften sowie die Rolle regionaler Banken in
der Regionalentwicklung; bis 2001 Tätigkeiten im Bereich
„nachhaltiges Wirtschaften“ und Ausbildung zum Bankkaufmann; im Juli 2007 hat Stefan Gärtner seine Disser­
tation „Ausgewogene Strukturpolitik: Sparkassen aus regionalökonomischer Perspektive“ abgeschlossen.
Claudia Hahn, geb. 1978, studierte von 1998 bis 2003
­Geografie, Studienrichtung Wirtschaftsgeografie, mit den
Nebenfächern Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre an der Universität Hannover, Abschluss als
Diplom-Geografin. Von 2003 bis 2006 Tätigkeit als freie Beraterin. Seit 2007 Mitarbeiterin bei der NORD/LB Re­
gionalwirtschaft. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den
­Bereichen Standortmanagement, Stadt- und Regional­
marketing, Clusterstrategien sowie Kulturtourismus.
Matthias Kiese, Dr., geb. 1971, studierte Geografie sowie
Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität
Hannover und an der London School of Economics and Political Science. Nach einjährigem Forschungsaufenthalt an
der National University of Singapore und anschließender
Promotion über regionale Innovationspotenziale in Süd­
ostasien arbeitete er 2002 am Hannover-Projekt zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Region
Hannover mit und ist seit 2002 Wissenschaftlicher Assis­
tent am Institut für Wirtschafts- und Kulturgeografie der
Leibniz Universität Hannover. Im Sommersemester 2008
vertritt er eine Professur für Wirtschaftsgeografie an der
Ludwig-Maximilians-Universität München.
Michael Kiesewetter, geb. 1969, studierte Internationale
Betriebswirtschaftslehre in Dortmund und in Plymouth,
betreute ab 1995 in der NORD/LB internationale Firmen-
134
RegioPol eins 2008
kunden, war 2003–2006 Mitglied des Vorstands der DnB
NORD Latvia in Riga, zuständig für Risikomanagement und
Produktentwicklung, seit 2006 Leiter der Konzernentwicklung der NORD/LB.
Stefan Krätke, Prof. Dr., geb. 1952, Studium der Stadtplanung und Architektur / Stadt- und Regionalökonomie in
Dortmund und Berlin. 1981 Promotion Technische Universität Berlin. 1980 – 1990 Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Forschungsschwerpunkt „Internationaler Vergleich der
Stadterneuerung“ der Hochschule der Künste Berlin.
1991 – 1992 Professurvertretung Prof. Dr. Dieter Läpple
„Stadtökonomie“ an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. 1993 – 1994 Professor für Planungsökonomie und Stadtentwicklung an der FH Hamburg, seit 1994
Professor für Wirtschafts- und Sozialgeografie an der
­Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), Leiter der
Forschungsstelle „Europäisch vergleichende Stadt- und
Regionalforschung. 1998 – 2006 Berufung für Legislaturperiode des Deutschen Bundestages in den Beirat für
Raumordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen, Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung
des Europäischen Raumentwicklungskonzepts EUREK“
­sowie „Regionale Wirkungen der EU-Osterweiterung“. Seit
2004 externer Sachverständiger der Enquete-Kommission
des Berliner Abgeordnetenhauses „Eine Zukunft für Berlin“. Seit 2006 Consultant der Deutschen Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ) für regionale Industrieund Clusterpolitik im Programm Wirtschafts- und Strukturreform der VR China (beim National Development Research
Council, VR China).
Burkart Lutz, Prof. Dr. Dr. h.c., geb. 1925, arbeitete von
1951 bis 1954 in der industriesoziologischen Forschung
im Rahmen des WWI. Von 1955 bis 1965 war er als freiberuflicher Sozialwissenschaftler in München tätig, sodann
von 1965 bis 1990 als geschäftsführender Direktor des Institutes für Sozialwissenschaftliche Forschung e. V. in München. Von 1983 bis 1986 war er zudem Vorsitzender der
Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Seit Anfang der
neunziger Jahre ist er als Mitbegründer und Forschungs­
direktor des zsh tätig. 1997 erhielt er den Schader-Preis,
2000 verlieh ihm die Universität Halle den Ehrendoktor.
Wichtigste Arbeitsgebiete sind Technik und Arbeit, Bildung
und Berufsbildung, Arbeitsmarkt, Entwicklungsperspek­
tiven industrieller Gesellschaften.
Ulrich Matthias, geb. 1960, studierte Politik und Literaturwissenschaft an den Universitäten Göttingen und Hannover, Mitherausgeber eines Hochschulmagazins, Abschlussarbeit zum Magister Artium über „die Medien im
Strukturwandel der Öffentlichkeit“, Konzeption von Öffentlichkeitsarbeit und deren Umsetzung in diversen Veranstaltungen, Publikationen und Pressearbeit u. a. als PRReferent, Verlagsredakteur und Chefredakteur, Entwicklung
und Durchführung von kulturkulinarischen „Events“, seit
2000 als freier Journalist tätig mit den Schwerpunkten
Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur.
Anne Neumann, geb. 1980; von 2000 bis 2005 Studium
der Angewandten Medienwissenschaften (Medienmanagement) am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung an der Hochschule für Musik und Theater
Hannover, Abschluss als Diplom-Medienwissenschaftlerin;
Berufseinstieg als Project Manager bei PRIME research
F.A.Z.-Institut, Mainz; seit 2007 als Referentin für Grundsatzfragen der Informations- und Kommunikationswirtschaft in Niedersachsen im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr.
Hannes Rehm, Dr., geb. 1943 in Berlin; nach dem Stu­
dium der Wirtschaftswissenschaften 1974 Berufseinstieg
bei der Westdeutschen Landesbank in Düsseldorf, nach
verschiedenen Funktionen von 1982 bis 1987 Leiter des
Zentralbereichs Vorstandsstab; von 1987 bis 1989 Hauptgeschäftsführer für den Verband öffentlicher Banken; danach geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes und hauptamtlicher
Stellvertreter des Präsidenten; ab 1993 Vorstand der Norddeutschen Landesbank und seit 1997 stellvertretender
Vorstandsvorsitzender; mit Wirkung zum 1. Juli 2004 zum
Vorstandsvorsitzenden gewählt; u. a. ist Dr. Rehm Aufsichtsratsvorsitzender der LBS Norddeutsche Landesbausparkasse Berlin/Hannover, Mitglied des Aufsichtsrates
der Deutschen Hypothekenbank (Aktien-Gesellschaft), der
Bre­mer Landesbank Kreditanstalt Oldenburg, der Provin­
zial Lebensversicherung Hannover, der Salzgitter AG, der
Porzellanmanufaktur Fürstenberg, Vorsitzender des Verwaltungsrates der Norddeutschen Landesbank Luxembourg S.A., Luxembourg sowie der Unterstützungskasse
der NORD/LB, Mitglied des Vorstandes des Deutschen
Sparkassen- und Giroverbandes, Mitglied der Girozentralleiterkonferenz und des Haushaltsprüfungsausschusses
des DSGV, Mitglied der Verbandsversammlung des DSGV
ö. K, Mitglied des Verwaltungsrates der DekaBank, der
Joh. Berenberg, Gossler & Co., Mitglied des Vorstandes
des Bundesverbandes Öffentlicher Banken (VÖB) und des
Sparkassenverbandes Niedersachsen, Hannover, Mitglied
des Vorstandes der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Hannover sowie Präsident der Industrie- und Handelskammer Hannover.
Martin Riemer-Streicher, Dr., geb. 1948; Studium der
Wirtschaftswissenschaften an der Universität Göttingen,
Abschluss: Dipl. Hdl. (1975); Referendar und Assessor an
Berufsbildenden Schulen in Niedersachsen 1975 bis 1980.
Von 1981 bis 1987 wissenschaftlicher Angestellter und
Hochschulassistent am Institut für Markt und Konsum der
Universität Hannover, Promotion 1985; 1988 bis 1992
­Marketingleiter bei WINI-Büromöbel, Coppenbrügge; 1992
bis dato als Referatsleiter im Niedersächsischen Ministe­
rium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in den Bereichen:
Marketing und Öffentlichkeitsarbeit; Grundsatzangelegenheiten der Wirtschaftspolitik; Informations- und Kommunikationswirtschaft; Finanz-, Kommunikationsdienstleistun­
gen, Freie Berufe.
Wissensökonomie
Walter Siebel, Prof. Dr., geb. 1938, seit 1975 Prof. für
­Soziologie mit Schwerpunkt Stadt- und Regionalforschung
an der Carl von Ossieztky Universität Oldenburg, von 1989
bis 1995 wiss. Direktor der IBA Emscherpark, 1991– 93
­Fellow am Kulturwiss. Institut im Wissenschaftszentrum
NRW, 1995 Fritz Schumacher Preis der Alfred-TöpferStiftung für Gesellschaftswissenschaften, Mitglied in verschiedenen wiss. Beiräten u. a. des Hanse Wissenschaftskollegs Delmenhorst und des Beirats für Raumordnung
beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Letzte Buchveröffentlichungen: Die europäische
Stadt, 2004 und Stadtpolitik (zus. mit Häußermann und
Läpple), beide edition suhrkamp.
Manfred Steincke, geb. 1963, studierte Geografie, Studienrichtung Wirtschaftsgeografie, mit den Neben­fächern
Volkswirtschaftslehre sowie Städtebau, Landesplanung
und Raumordnung an der Universität Hannover, Abschluss
als Diplom-Geograf. Von 1996 bis 1999 tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Niedersächsischen ­Institut
für Wirtschaftsforschung mit Schwerpunkt bei der Berichterstattung zur technologischen Leistungsfähigkeit
Deutschlands für das BMBF, seit 1999 Tätigkeit als freier
Projektmitarbeiter bei der NORD/LB Regionalwirtschaft
mit einem Arbeitsschwerpunkt bei Regionalanalysen.
Torsten Windels, geb. 1963, studierte von 1982 bis 1989
Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover,
analysierte ab 1990 in der Volkswirtschaftlichen Abteilung
der NORD/LB die deutsche Konjunktur (Deutsche Einheit),
war von 1991 – 1996 Referent für Wirtschaft, Technologie
und Verkehr in der Niedersächsischen Staatskanzlei und
seit 1996 wieder in der Volkswirtschaftlichen Abteilung der
NORD/LB im Bereich Länderanalyse und Euro-Einführung,
seit 2000 Leiter der Zentralen Wertpapierberatung, ab
2005 Leiter des Research der NORD/LB und seit Mitte 2007
zudem Chefvolkswirt der NORD/LB.
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RegioPol eins 2008
Bildnachweis
Arno Brandt: S. 2, 6, 10, 18, 20, 30, 34, 40, 54, 64,
74, 82, 90, 100, 104, 114, 125, 127, 128, 130, 132
NORD/LB: S. 120
Mann+Maus oHG: S. 95
Titelbild: ­Kunstobjekt, Frank Popp,
Foto: Arno Brandt
Impressum
Verantwortung und Chefredaktion:
Dr. Arno Brandt
Redaktion: Claudia Hahn
Gestaltung: Mann+Maus oHG
Druck: Druckhaus Pinkvoss GmbH
Auflage: 2.000 Exemplare
Zeitschrift für Regionalwirtschaft | eins 2008 | 10 €
RegioPol | Zeitschrift für Regionalwirtschaft | eins 2008
Wissensökonomie
ISBN 978-3-00-023500-9
Kontakt:
NORD/LB Regionalwirtschaft
Dr. Arno Brandt
Friedrichswall 10, 30159 Hannover
Tel. (0511) 361-51 04
E-Mail: arno.brandt@nordlb.de
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