Wissensökonomie
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Wissensökonomie
Zeitschrift für Regionalwirtschaft | eins 2008 | 10 € RegioPol | Zeitschrift für Regionalwirtschaft | eins 2008 Wissensökonomie ISBN 978-3-00-023500-9 Kontakt: NORD/LB Regionalwirtschaft Dr. Arno Brandt Friedrichswall 10, 30159 Hannover Tel. (0511) 361-51 04 E-Mail: arno.brandt@nordlb.de RegioPol Wissensökonomie Dr. Hannes Rehm, Vorstandsvorsitzender der NORD/LB Norddeutsche Landesbank Liebe Leserinnen und Leser, Deutschland kann die „Chancen der Globalisierung“ (Joseph E. Stiglitz) vor allem dann für sich nutzen, wenn wir in Zukunft noch stärker die Karte der „Ressource Wissen“ ausspielen. Nur wenn wir unser Ausbildungskapital vermehren und die Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung intensivieren, wird es uns gelingen, unsere Spitzenposition auf den internationalen Märkten zu behaupten und damit unseren Wohlstand zu steigern. Viele Experten sind sich einig, dass wir uns heute im Übergang zur Wissensökonomie befinden, der bedeutende Herausforderungen für Unternehmen, Mitarbeiter und staatliche Institutionen darstellt. Soweit wir uns auf die neuen Rahmenbedingungen angemessen einstellen, wird Deutschland es gemeinsam mit anderen Ländern der Europäischen Union schaffen, eine führende Position im globalen Wettbewerb einzunehmen. Wenn an der Rede von der Wissensökonomie etwas dran ist, dann hat dies auch Konsequenzen für den regionalen Strukturwandel in Deutschland. Inhalt Hannes Rehm Stefan Krätke Wissen und Ökonomie Die Metropo lisierung des europäischen Stadtsystems Seite 3 Arno Brandt Seite 21 Regionaler Struktur wandel in der Wissensökonomie Walter Siebel Seite 11 Claudia Hahn, Arno Brandt, Matthias Kiese, Stefan Krätke Manfred Steincke, Marie Christin Dickow Netzwerkananlyse in der Wissensökonomie Innovationspotenziale der Metropolregionen in Deutschland Seite 41 Seite 55 Talent, Toleranz, Technologie Dietrich Fürst Seite 31 Seite 65 Wissensregion Wissensökonomie Die Herausbildung von Metropolregionen, die als Knotenpunkte in der Wissensökonomie gelten, ist ein Ausdruck der regionalwirtschaftlichen Folgen der neuen Marktkonstellationen. Die NORD/LB hat daher in diesem Zusammenhang jüngst entschieden, die Metropolregion Hannover-BraunschweigGöttingen-Wolfsburg aktiv zu unterstützen. Zugleich stellt die wissensbasierte Ökonomie große Anforderungen an die Regional- und Strukturpolitik sowie an die kommunale Wirtschaftsförderung. Diese Anforderungen werden in dieser Ausgabe der RegioPol diskutiert. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass wir eine Neujustierung der regionalen Ebene brauchen, um die „Ressource Wissen“ im Zeitalter der Globalisierung erfolgreich ausschöpfen zu können. Martin Riemer-Streicher, Anne Neumann Wirtschaftspolitik in der Wissensökonomie Seite 75 Stefan Gärtner Entgrenzung der kommunalen Wirtschaftsförderung Seite 83 Arno Brandt Was kann und darf Clusterpolitik? Seite 95 Michael Kiesewetter, Torsten Windels Banking in der Wissensgesellschaft Seite 115 Burkart Lutz Ostdeutsche Lekt ionen: Kleinbetriebe in der Zeitfalle Seite 105 Außerhalb des Schwerpunktes: Michael Ahrens Die Initiative Maritimer Standort Nordwest Seite 125 Ulrich Matthias Rezension: Stadtpolitik Seite 129 1 Wissensökonomie 3 Hannes Rehm Wissen und Ökonomie D ie Rede von der Ökonomie des Wissens oder der Wissensgesellschaft scheint heute fast zum Allgemeingut geworden zu sein. Tatsächlich sprechen viele Anzeichen dafür, dass wir uns mitten im Übergang zur wissensbasierten Ökonomie befinden. Mit der Durchsetzung der Basisinnovation in den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und insbesondere mit den extrem gewachsenen Möglich keiten der Digitalisierung eröffnet sich die Option, eine neue Prosperitätskonstellation hervorzubringen. In technologischer Dimension wird diese Entwicklung durch weitere Basisinnovationen im Bereich der Biotechnologie oder der Mikrosystemtechnik flankiert. Mit der zunehmenden Globalisierung beschleunigen sich die Prozesse zur Durchsetzung der Wissensökonomie, die maßgeblich dazu beiträgt, dass in einem Hochlohnland wie Deutschland die internationale Wettbewerbsfähigkeit behauptet werden kann. Nun ist die Realisierung dauerhafter Wachstums perspektiven nicht nur an die Implementierung technologischer Innovationen in den Produktionsprozess gebunden, sondern immer auch ein Ergebnis von Veränderungen der Arbeitsbeziehungen und der politischen Rahmenbedingungen. Nur, was ist dann das eigentlich Neue an der wissensbasierten Ökonomie? Schließlich wurde immer schon Wissen in der Produktion benötigt, letztlich ist diese ohne jenes überhaupt nicht denkbar. Allein die Vorstellung, wissensbasierte Ökonomie bezeichne lediglich die (wenngleich enorme) Zunahme an Wissen durch die technologische Entwicklung und die schnellere Weitergabe durch die Neuen Medien bekommt die entscheidenden Veränderungen, die von dieser neuen Ökonomie induziert werden, nicht in den Blick. Dieser Sichtweise folgend erscheint schließlich die Effekt ivität des Informationsmanagements als maßgebliche Determinante für weiteres Wachstum (vgl. etwa Leidhold 2001). Keine Frage: Information und Informationsmanagement sind in der wissensbasierten Ökonomie wichtige Parameter. Aber Wissen und Information sind nicht identisch. Dieser Unterschied hat sogar grundlegende Konsequenzen für die Unternehmens- und Arbeitsor b Kunstobjekt, Frank Popp ganisation, die räumliche Differenzierung der wissens intensiven Branchen, die Einschätzung der künftigen Dynamik dieser Ökonomie und nicht zuletzt für den Stellenwert des „Humankapitals“. Dieser Aufsatz möchte daher die Grundlagen der Wissensökonomie freilegen und der Frage nachgehen, welche neuen Marktstrukturen sich in diesem Prozess herausbilden und ob damit eine neue Wachstumsdynamik begründet wird, die dauerhaft Bestand haben kann. Diese Entwicklungen haben natürlich auch Auswirkungen auf den Bankensektor. Die erforderliche Neuorientierung der Kreditwirtschaft in der wissensbasierten Ökonomie soll kurz umrissen werden, bevor abschließend der Gestaltungsbedarf seitens der Unternehmen und der Politik in einigen wesentlichen Eckpunkten skizziert wird. 1. Wissen und Information Wissensbasierte Ökonomien oder auch Wissensökonomien beruhen auf der Produktion, Distribution und A nwendung von Wissen und Informationen (vgl. OECD 1996:7). Diese nur scheinbar unspektakuläre Feststellung beinhaltet tatsächlich entscheidende Konsequenzen für die Wirtschaftsentwicklung und rührt in mancher Hinsicht an einige Grundfesten der ökonomischen Lehrmeinung. Zum einen wird Wissen in einer Wissensökonomie sowohl als Produktionsfaktor als auch als Produkt bedeutsam. Nicht mehr materielle Produkte, sondern die Entwicklung von Wissen, Innovationen und Knowhow ist in dieser Konstellation die treibende Größe des W irtschaftswachstums. Die wissensbasierte Ökonomie ist kein homogener Wirtschaftssektor, sondern repräsentiert ein breites Spektrum unterschiedlicher Akti vitäten, deren einheitliche funktionale Merkmale in der Produktion von Informationsgütern bzw. Gütern aus w issensintensiven Wirtschaftsbereichen liegen (vgl. Kujath 2005: 11). Die Wissensökonomie nimmt nicht A bschied vom Industriezeitalter, aber auch in den industriellen Bereichen nehmen die wissensintensiven Prozesse deutlich zu. 4 RegioPol eins 2008 Zum anderen können sich Informationsgüter entweder als Informationen oder als Wissen erweisen. Zentral ist in diesem Zusammenhang eben die Unterscheidung von Information und Wissen. Werden Daten in einem relevanten Kontext interpretiert, so handelt es sich um Informationen. Durch die Verknüpfung mit Erfahrungsmustern und deren kontextabhängiger sowie zweckge bundener Nutzung werden diese zu Wissen transformiert. Es entsteht folglich durch die Einbindung von Informa tionen in persönliche Erfahrungskontexte. „Wissen bezeichnet die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen.“ (Probst et al., 1997, S. 44). Informationen sind leicht ko difizierbar, sie sind eindeutig und daher einfach zu interpretieren. Im Gegensatz dazu ist Wissen vielfach vage und nur schwer zu kodifizieren und interpretieren. Dieser Unterschied zwischen Information und Wissen hat Folgen für die Kosten der Informationsweitergabe in räumlicher Hinsicht. Während sich die Grenzkosten der Vermittlung von Information im Raum durch die Verbesserung der Telekommunikation kaum verändern, steigen die Grenzkosten der Wissensvermittlung mit räumlicher Entfernung. Neben dieser Differenz ist darüber hinaus die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen relevant. Während explizites Wissen jenen Teil des Wissens darstellt, der in abstrakter Form vorliegt und grundsätzlich kodifizierbar ist, wird unter implizitem Wissen (tacit knowledge) das nur schwer kommunizierbare personengebundene Hintergrundwissen verstanden, das nur in der sozialen Interaktion weitergegeben und gelernt werden kann (learning by doing) (Polanyi 1967; Maier/ Tödtling/Trippl 2006, S. 111. f.) Mit diesen Differenzierungen ist bereits angezeigt, dass auch im Zeitalter der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien keineswegs davon die Rede sein kann, dass räumliche Entfernungen irrelevant geworden seien („death of distance“). Es kommt vielmehr darauf an, welche Art von Wissen bzw. Information weitergegeben werden soll. 2. B esonderheiten der Wissensökonomie Die wissensbasierte Ökonomie weist eine Reihe von Besonderheiten auf, die sie signifikant von vorgängigen Ökonomien, in denen die Produktion materieller Güter im Zentrum stand, unterscheidet. Diese Spezifika beziehen sich einerseits auf die besonderen Eigenschaften von Informationsgütern und anderseits auf die zentrale Rolle des Produktionsfaktors Wissen. Dabei zeigt sich, dass mit der Durchsetzung der wissensbasierten Öko nomie die Komplexität, Sensitivität und Dynamik des marktlichen Umfeldes wächst. Damit steigen sowohl die Anforderungen an die Akteure am Markt als auch die politischen Entscheidungsträger, soweit sie den regu lativen Rahmen für einen funktionsfähigen Wettbewerb in der Wissensökonomie setzen. Besonderheiten von Informationsgütern Informationsgüter unterscheiden sich grundlegend von materiellen Gütern. Aus ökonomischer Sicht ergeben sich aus diesem Sachverhalt erhebliche Konsequenzen, die unser Verständnis von der Funktionsweise von Märkten in der Wissensökonomie prägen. Nach Romer (1990, S. 73 ff.) zeichnen sich Informa tionsgüter durch die Eigenschaften der Nichtrivalität im Konsum und einer nur teilweisen Ausschließbarkeit aus. Rivalität bedeutet, dass der Konsum eines Gutes nur möglich ist, wenn der Nutzen des Gutes für andere Konsumenten geschmälert wird. Für die Wirksamkeit des Preismechanismus ist dies von zentraler Bedeutung. Bei Wissen besteht aber Nichtrivalität, weil es die eigentümliche Eigenschaft hat, dass es sich mit zunehmendem Gebrauch vermehrt. Wissensaustausch schafft neues Wissen, der Einsatz von Wissen vermehrt Wissen. Die Grenzkosten der Nutzung von Wissen sind damit gleich Null, bei normalen Marktgütern sind diese positiv. (Stiglitz 2006, S. 405). Nur ausschließbare Güter können vor der Nutzung Dritter geschützt werden, sodass Trittbrettfahrer von der Nutzung abgehalten werden können. Bei der Nutzung von Informationsgütern können jedoch nur teilweise Dritte zu vertretbaren Kosten ausgeschlossen werden. Dieses kann z. B. durch Patente stattfinden. Trotz Patentierung kann aber das bereits vorhandene Wissen als Basis für weitere Innovationen genutzt werden. Zudem reichen vielfach nur wenige Variationen aus, um Schutzrechte im Bereich des geistigen Eigentums zu umgehen. Patente sind darüber hinaus aus guten Gründen in ihrer Laufzeit begrenzt. Aus alledem folgt, dass Informationsgüter als quasi-öffentliche Güter zu betrachten sind (Krugman, 2005, S. 479, 522; Stiglitz, 1999a, S. 312). Eine wesentliche Differenz zwischen Informations gütern und physischen Gütern besteht in der Art und Weise ihrer Herstellung, die sich in unterschiedlichen Kostenstrukturen ausdrückt (Arrow, 1996, S. 120). Die Herstellung von Informationsgütern ist, aufgrund der Notwendigkeit kostspieliger Forschung und Entwicklung, durch hohe Fixkosten gekennzeichnet (Krugman, 2005, S. 520). Ist das Informationsgut erst einmal ent wickelt, lässt es sich nahezu kostenlos reproduzieren und in sehr kurzer Zeit weltweit verbreiten, d. h. es entsteht eine starke F ixkostendegression (Arrow, 1999, S. 15ff.). Die Entwicklung einer Software kann außerordentlich kostspielig sein, während die Kosten ihrer Vervielfältigung gegen Null tendieren. Folglich ist bei Informationsgütern von sinkenden Durchschnittskosten bei steigender Produkt ionsmenge auszugehen, sodass sich steigende Skalenerträge ergeben. Insofern ist bei Informationsgütern aufgrund ihrer charakteristischen Kostenstruktur eine immanente Tendenz zur höheren wirtschaftlichen Dynamik, aber auch zur ökonomischen Konzentration angelegt. Bei kaum einem anderen Gut lassen sich so überzeugend Netzwerkeffekte (Netzwerkexternalitäten) nachweisen wie bei Informationsgütern. Hierbei handelt es Wissensökonomie sich vielfach um Güter, bei denen der Nutzen mit der A nzahl der Nutzer, die das gleiche Gut in Gebrauch nehmen, wächst. Für einen einzelnen Konsumenten hängt dann der Grenznutzen des Gutes von der Anzahl anderer Konsumenten, die ein vergleichbares Gut nutzen, ab. Beispiele aus der Konsumwelt der Wissensökonomie gibt es für die Existenz von Netzwerkeffekten reichlich. So steigt der Nutzen von Mobilfunkgeräten mit der A nzahl ihrer Besitzer. Je mehr User ins Internet einsteigen, umso größer ist der Nutzen für jeden einzelnen. Derartige Externalitäten werden in der ökonomischen Theorie als direkte Netzwerkeffekte bezeichnet. Von indirekten Netzwerkeffekten spricht man, wenn z. B. mit zunehmender Verbreitung eines Gutes die Unterstützerkultur wächst (die Windows-Welt ist nicht zuletzt deshalb so populär, weil überall jemand anzutreffen ist, der sich mit dieser Software auskennt und folglich helfend eingreifen kann). Wenn ein Gut die Eigenschaften von Netzwerkeffekten aufweist, dann ist es auch wahrscheinlich mit dem Effekt positiver Rückkoppelungen verbunden: Wenn eine hinreichend große Anzahl potenzieller Nutzer das Gut erworben hat („Kritische Masse“), steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Personen das Gut erwerben. Erfolg (und Misserfolg) tendieren vor diesem Hintergrund dazu, selbstverstärkend zu sein. Eine weitere Besonderheit kann anhand des „Informationsparadoxons“ von Arrow veranschaulicht werden. „There is a fundamental paradox in the determination of demand for information; its value for the purchaser is not known until he has the information, but then he has in effect acquired it without cost.“ (Arrow 1962) Aufgrund dieses Paradoxons kann Wissen seitens der Nachfrager vor dem Kauf nicht unentgeltlich vollständig inspiziert werden. Die Nachfragerseite ist somit unsicher bezüglich der Güte der Information, da sie schlechter als die Anbieterseite über die Qualität des Gutes informiert ist. Daraus kann gefolgert werden, dass die Märkte für Informationsgüter durch Asymmetrien gekennzeichnet sind (Stiglitz, 2000, S. 1444). Derartige Informationsasymmetrien verweisen auf die Notwendigkeit, Vertrauen bzw. Reputation am Markt aufzubauen. Die Fähigkeit, sich in derartigen Märken erfolgreich zu positionieren, wird damit aber auch zu einem fragilen Unterfangen, weil Vertrauen ein hoch sensibles Gut ist, dass relativ leicht verspielt werden kann. Besonderheiten des Produktionsfaktors Wissen In der wissensbasierten Ökonomie wird Wissen zum entscheidenden Produktionsfaktor. Es basiert auf Forschung und Entwicklung, Humankapital und das Erfahrungswissen der Beschäftigten. Bezeichnend für den Produktionsfaktor Wissen ist, dass es im Gegensatz zu den traditionellen Produktionsfaktoren keine abnehmenden Grenzerträge aufweist (Stiglitz, 1999b, S. 10). Grund dafür ist, dass das Wissen trotz permanenter Weitergabe nicht gemindert wird. Im Rahmen der Wissensweitergabe kann zudem neues Wissen generiert oder 5 das bereits bestehende weiterentwickelt werden, wobei Lernen die Voraussetzung dafür bildet. „Knowledge is the fundamental resource in our contemporary economy and learning is the most important process.“ (Johnson/ Lundvall, 1994, S. 24). Eine Konsequenz ist daher, dass die Produktionsfunktion in der wissensbasierten Ökonomie steigende Skalenerträge aufweist. Auf der anderen Seite ist Wissen als Input relativ unsicher (Audretsch 2002, S.66), da es permanent im Wandel begriffen ist und Schutzrechte zur Absicherung geistigen Eigentums i. d. R. weder vollständig noch dauerhaft durchgesetzt werden können. Die Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen (siehe oben) verweist darauf, dass ein relevanter Wissensanteil personengebunden und nur mit sehr hohem Aufwand transferierbar ist. Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass die Informationsverteilung asymmetrisch ist, woraus sich eine Vielzahl von Konsequenzen insbesondere für die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen bzw. -beziehungen ergeben. Diese Betrachtung zeigt darüber hinaus, wie notwendig permanente Anstrengungen im Bereich privater und öffentlicher Bildungsmaßnahmen sind, um Verjüngungs- und Erneuerungsprozesse hinsichtlich der individuellen Wissensbasis zu gewährleisten. Unternehmen in der Wissensökonomie sind daher gefordert, ihre Investitionen in Humankapital, Forschung und Entwicklung und in Bindung ihrer qualifizierten Mitarbeiter zu intensivieren. 3. D ie Wachstumsdynamik der Wissensökonomie Mit dem Übergang zur wissensbasierten Ökonomie übernehmen das Ausbildungskapital sowie Forschung und Entwicklung die überragende Rolle im Wachstumsprozess. Paul Romer hat diesen Zusammenhang im Rahmen der von ihm begründeten „Neuen Wachstumstheorie“ thematisiert (Romer 1990). Danach steht der technologische Wandel im Zentrum des Wirtschaftswachstums. Romer betont insbesondere die komplementäre Beziehung zwischen Innovationsdynamik und Kapitalakkumulation und sieht einen Zusammenhang zwischen Investitionen in Ausbildungskapital und Wachstumsdividende. Technologische Veränderungen ohne komplementäre Verbesserungen der Qualifikation der Arbeitskräfte und der Kompetenzen des Managements führen nicht zur Ausschöpfung des Innovationspotenzials. Auf den Wachstumsprozess nehmen mithin zahlreiche Faktoren Einfluss: die Zeithorizonte des Managements, die Arbeitsbeziehungen und die politischen Rahmenbedingungen. Technologischer Fortschritt ist für Romer synonym mit der Akkumulation von Wissen. Die Herstellung von Wissen erfordert kostspielige Grundlagenforschung und ist daher durch hohe Fixkosten und sehr niedrige variable Kosten gekennzeichnet. Da Wissen aufgrund der nur einmal notwendigen Entwicklung nahezu kostenlos reproduziert und in einer sehr kurzen Zeit weltweit 6 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 7 Volkswirtschaftlich könnte sich ein dauerhaft höheres Wirtschaftswachstum ergeben, soweit der Wertschöpfungsanteil der Informationsgüter an der gesamtw irtschaftlichen Produktion steigt. v erbreitet werden kann, entsteht eine starke Fixkostendegression: „(…) the instructions for working with raw materials are inherently different from other economic goods. Once the cost of creating a new set of instructions has been incurred, the instruction can be used over and over again at no additional cost. Developing new and better instructions is equivalent to incurring a fixed cost. This property is taken to be the defining characteristic of technology.“ (Romer, 1990, S. 72). Somit ist bei Wissen von sinkenden Durchschnittskosten bei steigender Produktionsmenge auszugehen, wodurch sich steigende Skalenerträge ergeben. Diese Konstellation ist typisch für die Erstellung von Gütern in der Wissensökonomie. Volkswirtschaftlich könnte sich damit ein dauerhaft höheres Wirtschaftswachstum ergeben, soweit der Wertschöpfungsanteil der Informationsgüter an der gesamtwirtschaftlichen Produktion steigt. Zudem könnte sich das Wachstum beschleunigen, weil in einer wissensbasierten Ökonomie die dominierenden Technologien in Bezug auf den Faktor Arbeit eher komplementär als substitutiv wirken: Im Gegensatz zum traditionellen Modell der Sachkapitalintensivierung, bei dem menschliche Arbeitskraft substituiert wird, scheint „… die Wissensintensivierung (…) eher ein Prozess zu sein, bei dem das menschliche Innovationsvermögen eine sich selbst verstärkende komplementäre Rolle spielt.“ (Klodt 2003, S.18) Diese Überlegungen werden weitgehend durch den Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands gestützt (BMBF 2007). So konstatiert der OECDLändervergleich bei allen nach wie vor bestehenden Wachstumsunterschiede als Gemeinsamkeiten: „Die Relevanz der Investitionen in Informationstechnik für das Wirtschaftswachstum nimmt zu. Innerhalb der Sachkapitalinvestitionen bekommen Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnik ein deutlich stärkeres Gewicht. Die Struktur der Beschäftigten verschiebt sich in allen Ländern zugunsten der Hochqualifizierten. (...) Gerade der internationale Vergleich macht daher deutlich, dass die ausreichende Verfügbarkeit von Hochqualifizierten eine zentrale Voraussetzung dafür ist, dass in Zukunft Deutschland einen höheren Wachstumspfad beschreiben kann als in den letzten fünfzehn Jahren.“ b Kunstobjekt, Schloss Moyland, NRW (BMBF 2007, S. 4). Der Bericht macht aber auch deutlich, dass Deutschland noch einen erheblichen Nachholbedarf bei Innovationstechnik sowie Forschung und Entwicklung hat, um zur Spitze der übrigen OECD-Länder aufzuschließen. 4. Rolle der Banken in der Wissensökonomie Für das Vermarkten innovativer, wissensbasierter Produkte und Dienstleistungen ist nicht nur ihre technolo gische Neu- und Weiterentwicklung Voraussetzung. Damit aus Investitionen Innovationen werden, muss dem privaten Unternehmenssektor Liquidität von außen zur Verfügung gestellt werden. Kapital bei unsicheren Gewinnerwartungen bereitzustellen, um beispielsweise eine neue Technologie im Markt einzuführen, stellt ein erhebliches Risiko dar. Vor diesem Hintergrund spielen innovationsfreundliche Finanzinstitutionen eine wich tige Rolle in wissensbasierten Ökonomien. Auch wenn Banken auf diesem Gebiet eine besondere Verantwortung zufällt, sind hierbei insbesondere die Venture-Capital-Gesellschaften gefordert. Die veränderten Rahmenbedingungen, die auf den aktuellen wirtschaftlichen Strukturwandel zurückgehen, zwingen auch die deutschen Bankhäuser, ihre Geschäftsfelder neu zu justieren, interne Prozesse zu optimieren und strategische Ausrichtungen zu überdenken. Dabei üben folgende Entwicklungen großen Einfluss auf das Bankengeschäft aus: n Aufgrund der immer schneller voranschreitenden Entwicklung und der damit verbundenen geringeren Halbwertzeit von Wissen und Technologie ist die w issensbasierte Ökonomie gekennzeichnet durch wesentlich verkürzte Produktzyklen. Besonders in Bereichen wie der Informations- und Kommunikationsbranche wird dies deutlich. Aber auch in den „klassischen Industrien“ wie der Automobilbranche, die ebenfalls den wissensintensiven Wirtschafts bereichen zuzuordnen ist, konnte man in den vergangenen Jahren eine deutliche Verkürzung des Technologiezyklus beobachten (vgl. OECD 2000, S. 32). 8 RegioPol eins 2008 Folgerichtig müssen sich die Neuentwicklungen in verhältnismäßig kurzen Zeiträumen amortisieren, um die Entwicklungskosten einzuspielen. Neben der kürzeren Lebenszeit von Produkten sind mittlerweile ganze Branchen von kürzeren Lebenszyklen betroffen. n Aufgrund des steigenden Anteils an Wissen in Produkten und Dienstleistungen nimmt für die Banken die Relevanz von Fragen des Urheberrechts und des Patentschutzes zu. n Wissensbasierte Produkte überschreiten vielfach Branchengrenzen und erobern mit innovativen A nsätzen neue Wachstumsfelder. So werden heute beispielsweise Technologien aus dem Schifffahrtsund Flugzeugbau in Bereiche der zukunftsträchtigen Windkrafttechnologie übertragen. Für die Welt der Banken bedeutet das, dass für eine realistische A bschätzung der Rentabilität eines solchen Innova tionspfades genaue Kenntnisse der betreffenden Branchen nötig sind und technologische Expertisen aus dem wissenschaftlichen Umfeld einzubeziehen sind. Angesichts dieser Entwicklungen sind die Banken durch die veränderten Rahmenbedingungen mit einer steigenden Komplexität und vermehrten Unsicherheiten in ihren Geschäftsfeldern konfrontiert. Banken sind nicht zuletzt gefordert, selbst innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und auf sich verändernde Rahmenbedingen schnell zu reagieren. Systematischen Innovationsprozessen kommt bei Finanzdienstleistern zunehmend der gleiche Stellenwert zu wie z. B. in der Industrie. Hierfür ist eine disziplinenübergreifende Zusammenarbeit mindestens genauso entscheidend wie eine Kultur des Experimentierens, die eine entsprechende Fehlertoleranz aufweist. Eine solche Offenheit für neue Produktideen im Bankwesen ist auch insofern gefordert, da die Standardisierung einfacher Bankgeschäfte neue Formen des Banking eröffnet und damit neue Mitbewerber entstehen. Aufgrund der zunehmenden Komplexität der wissens intensiven Finanzprodukte und den wachsenden Unsicherheiten im Marktumfeld steigen die Qualifikationsan forderungen an die Mitarbeiter insbesondere auch im Bankensektor selbst. Vor diesem Hintergrund werden Ausund Weiterbildung und eine bereichsübergreifende Kommunikation im Rahmen des bankinternen Risikomanagements zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Banken in ihrem wirtschaftlichen Umfeld gezwungen sind, sich auf größere Unsicherheiten, mehr Komplexität und schnellere Veränderungen einzustellen. Mögliche Handlungsstrategien diesen Veränderungen zu begegnen, bestehen zum einen darin, den eigenen Innovationsprozess zu systematisieren und zum anderen die internen Wissensflüsse zu aktivieren und effektiv zu nutzen sowie die eigenen Qualifizierungsanstrengungen zu intensivieren. 5. Schlussbetrachtung Diese Betrachtung sollte gezeigt haben, dass die spezifisch neue Qualität der wissensbasierten Ökonomie nicht allein in ihrer Wissensintensität, sondern vielmehr in dem ambivalenten Charakter des Faktors Wissen selbst begründet liegt. Wissen fungiert hier ebenso als Ressource wie als Produkt. Als Ressource wird Wissen in der Nutzung nicht verbraucht, sondern sogar noch vermehrt, weshalb seine Grenzkosten im Gegensatz zu normalen Marktgütern bei Null liegen. Das Produkt W issen ermöglicht nur eine teilweise Ausschließbarkeit und ist als quasi-öffentliches Gut zu betrachten. Diese Besonderheiten verlangen den Marktteilnehmern neue strategische Entscheidungen z. B. in der Distribution ab. So war der vehemente Einsatz der Kulturindustrie für die Einführung des Kopierschutzes offensichtlich nur der vergebliche Versuch, die Eigenschaften herkömmlicher materieller Produkte auf Informationsgüter zu übertragen. Der wissensbasierten Ökonomie sind die Potenziale für höheres und beschleunigtes Wachstum inhärent. Wissen und Information unterscheiden sich jedoch in einer wesentlichen Beziehung: Während Information heute leicht zu kodifizieren und nahezu ohne räumliche Beschränkung ausgetauscht werden kann, ist Wissen, und insbesondere implizites Wissen, an Personen gebunden und befördert die räumliche Konzentration wissensintensiver Betriebe. Investitionen in der Wissensökonomie können deshalb nur dann eine maximale Effizienz erreichen, sofern sie auch Investitionen in Humankapital darstellen. Für die Unternehmen bedeutet das nicht nur verstärkte Anstrengungen in Aus- und Weiterbildung sowie in Forschung und Entwicklung, sondern auch eine flexible und offene Unternehmenskultur aufzubauen, die in der Lage ist, sich ständig wandelnde Anforderungen produktiv aufzunehmen. Sie sind in der Wissensökonomie gefordert, sich als lernende Organisationen zu bewähren. Das betrifft auch die Kreditwirtschaft. Ein beson derer Stellenwert muss dabei der Bereitstellung von Wagniskapital beigemessen werden. Die Politik sieht sich dagegen in der Pflicht, den Weg für eine Bildungspolitik des 21. Jahrhunderts frei zu machen. Angesichts des heute schon manifesten Fachkräftemangels und der sich abzeichnenden demogra fischen Entwicklung, muss eine im OECD-Durchschnitt immer noch zu geringe Studierquote als erheblicher Standortnachteil gewertet werden. Der zudem hohe A nteil von Schulabgängern ohne Abschluss führt nicht nur zu einer weiteren Reduktion des Arbeitskräftepools, sondern wirft auch die Frage auf, welche sozialen Verwerfungen sich diese Gesellschaft leisten kann. Die Erfahrung zeigt, dass es sich leider nicht erübrigt, darauf hinzuweisen, dass eine anzustrebende höhere Studierquote auch höhere Investitionen in die öffentliche Forschung und Lehre erfordert. Bereits heute ist die Ausstattung der deutschen Universitäten und Hochschulen nur teilweise als international konkurrenzfähig einzustufen. Wissensökonomie Aber es sind nicht nur der Staat und die Wirtschaft aufgefordert, sich den Bedingungen der Wissensöko nomie zu stellen. Wir bedürfen insgesamt einer inno vationsfreundlichen und lernbereiten Kultur. Lebens langes Lernen darf kein bloßes Schlagwort bleiben, es muss Eingang finden in den kulturellen Kodex unserer Einstellungen und Leitbilder. Nur auf diese Weise werden wir die Chancen und Potenziale der Wissensöko nomie ausschöpfen können. Quelle Audretsch, D. 2002: Knowledge, Globalization, and Regions: An Economist’s Perspective. In: Dunning, J. (Ed.): Regions, Globalization, and the Knowledge-Based Economy. Oxford. Oxford University Press Bade, F.-J./ Laaser, C.-F./ Soltwedel, R. 2004: Neue Ökonomie und Raumstruktur – Niedergang oder Akzentuierung städtischer Strukturen. In: Hassenpflug, D./ Tegeder, G. (Hrsg.): city.net – Städte im Zeitalter der Telekommunikation. Marburg: Tectum Verlag. BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) 2007: Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007. Bonn/ Berlin Bratl, H./ Trippl, M. (2001): Systemische Entwicklung regionaler Wirtschaften. Studie im Auftrag des Bundeskanzleramtes. Invent. Wien. Verfügbar von: http://www.austria.gv.at/2004/4/15/bratl_trippl. pdf Johnson, B./Lundvall, B.-Å. 1994: The Learning Economy. In: Journal of Industry Studies, Vol. 1, 1994, No. 2, pp. 23-42 Klodt et al. 2003: Die neue Ökonomie: Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen ( = Kieler Studien, Band 321) Krugman, P.; Wells, R. 2005: Microeconomics. New York Kujath, H. J. 2005: Die neue Rolle der Metropolregionen in der Wissensökonomie. In: Kujath, H. J. (Hrsg.): Knoten im Netz. Zur neuen Rolle der Metropolregionen in der Dienstleistungswirtschaft und Wissensökonomie. Leidhold, Wolfgang 2001: Wissensgesellschaft. In: Korte, Karl-Rudolf; Weidenfeld, Werner (Hg) 2001: Deutschland-Trendbuch. Fakten und Orientierungen. Opladen. S. 429-460 Maier, G., Tödtling, F., Trippl, M. 2006.: Regional- und Stadtökonomik 2 – Regionalentwicklung und Regionalpolitik, 3. Akt. Ausgabe, Wien/New York OECD 1996: The knowledge-based Economy. Working Paper Nr.: OECD/GD (96)102. OECD 2000: A New Economy? The Changing Role of Innovation and Information Technology in Growth. Paris. Polanyi, M. 1985: Implizites Wissen. Frankfurt am Main Romer, P. 1990: Endogenous Technological Change. In: The Journal of Political Economy, Vol. 98, 1990, No. 5, pp. 71 – 102 Stiglitz, J. E. 1999: Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl., München/ Wien Stiglitz, J. E. 2000: The contributions of the economics of information to twentieth century economics. In: Quarterly Journal of Economics, Vol. 115, 2000, No. 4, pp. 1441 – 1478 Stiglitz, J. E. 2006: Die Chancen der Globalisierung. München 9 10 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 11 Arno Brandt Regionaler Strukturwandel in der Wissensökonomie 1. Einleitung Eine wissenschaftliche Einschätzung der Entwicklung komplexer Systeme gleicht nicht selten einer Gratwanderung: Einerseits stellt sich die Reduktion auf das Wesentliche als unabdingbar dar, andererseits birgt eine zu starke Vereinfachung auf wenige oder einzelne Parameter die Gefahr mangelnden Erkenntnisgewinns oder gar eklatanter Fehlprognosen. Auch die räumlichen Auswirkungen der Wissensökonomie entziehen sich hart näckig einer linearen und eindimensionalen Fortschreibung einzelner Faktoren. Ohne Zweifel hat der Fortschritt der Informationsund Kommunikationstechnologien und insbesondere des Internets eine Beschleunigung der Markttransaktionen und damit eine nachhaltige Senkung der raumwirksamen Transaktionskosten befördert (Dohse et al. 2004, S. 14). Die Wissensökonomie eröffnet gerade in der Informationsverarbeitung und -übertragung neue Möglichkeiten, die eine höhere Effizienz erlauben. Diese Reduzierung von Transaktionskosten hat maßgeblich den Prozess der Globalisierung beschleunigt und damit das Kräfteparallelogramm der internationalen Ökonomie nachhaltig verschoben. Nicht selten jedoch hat dieser Befund zum Trugschluss verleitet, dass der Prozess der Globalisierung und Digitalisierung auf Dauer zur Ein ebnung aller ökonomischen Unterschiede führen müsse. Während im Hinblick auf die internationale Ökonomie die These „The world is flat“ prominente Fürsprecher fand (Friedman 2006), wurde in regionalökonomischer Perspektive „The death of distance“ verkündet (Cairncross 1997) und damit der Hoffnung Nahrung gegeben, dass nunmehr auch die letzten Residuen des traditionellen Stadt-Land-Gegensatzes in Auflösung begriffen seien. Nun wissen die Ökonomen aber bereits seit Adam Smith, dass mit der Größe des Marktes die Arbeitsteilung und damit die Spezialisierung tendenziell zunimmt. Dies gilt auch für die Spezialisierung der Wirtschafts räume untereinander. Im Prozess der Globalisierung ist daher statt Nivellierung vielmehr eine zunehmende Differenzierung zu erwarten (vgl. Dunning 2000, S.13). Joseph E. Stiglitz vertritt in diesem Kontext die These, dass die Welt nicht flach, sondern in vielerlei Hinsicht zerklüfteter geworden ist (Stiglitz 2006, S. 84f.). Paul Krugman hat darauf hingewiesen, dass die Stadt bzw. die Region eine „Weltwirtschaft im Kleinformat“ repräsentiert (Krugman 1999, S. 222). Was für die Weltwirtschaft im Ganzen gilt, gilt auch für die Regionen unter einander: Mit dem Übergang zur wissensbasierten Ökonomie ist eine zunehmende räumliche Ausdifferenzierung und wahrscheinlich auch eine Verschärfung der regionalen Disparitäten zu erwarten. Im Folgenden soll daher die Frage erörtert werden, wie sich der Übergang zur Wissensökonomie (vgl. DIW 2008, Rehm 2008) auf den regionalen Strukturwandel in Deutschland auswirkt. 2. G ewinner und Verlierer im regionalen Strukturwandel Erste Hinweise auf die Raumwirksamkeit der neuen Wissensökonomie ergeben sich aus der jüngeren Geschichte des regionalen Strukturwandels in Deutschland. Dabei lässt sich für die vergangenen Jahre eine äußerst differenzierte Entwicklung zwischen den verschiedenen Regionen erkennen. Während auf der sektoralen Ebene ein kontinuierlicher Beschäftigungsrückgang im Produk tionssektor bei gleichzeitigen Zuwächsen im Dienstleistungssektor stattfindet, sind auf der regionalen Ebene besonders die ländlichen Räume von Beschäftigungsverlusten gekennzeichnet. Anhand der vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung aufgestellten Untergliederung siedlungsstruktureller Raumtypen1 lässt sich der strukturelle Wandel in Das BBR unterscheidet zwischen: 1. Kernstädten in Agglomerationsräumen, 2. hoch verdichteten Kreisen in Agglomerationsräumen, 3. verdichteten Kreisen in Agglomerationsräumen, 4. ländlichen Kreisen in Agglomerationsräumen, 5. Kernstädten in verstädterten Räumen, 6. verdichteten Kreisen in verstädterten Räumen, 7. ländlichen Kreisen in verstädterten Räumen, 8. ländlichen Kreisen höherer Dichte in ländlichen Räumen, 9. ländlichen Kreisen geringerer Dichte in ländlichen Räumen. 1 b Objekt, PhantasieMechanik, phæno Wolfsburg (Detail) RegioPol eins 2008 12 Bezug auf die Beschäftigtenentwicklung nachzeichnen. Abbildung 1 verdeutlicht, dass besonders die peripheren Regionen in Deutschland im Zeitraum 1999 bis 2007 z. T. einen dramatischen Rückgang in der Beschäftigung hinnehmen mussten. Während der ländliche Raum sich in diesem Prozess des Strukturwandels zunächst als deutlicher Verlierer herauskristallisiert, sind es besonders die hoch verdichteten Kreise in den Agglomera tionsräumen, die von dieser Entwicklung profitieren konnten und sich als Gewinner des Strukturwandels positionieren. Auffällig ist jedoch, dass dieser Entwicklungsverlauf sich nicht unmittelbar in den Kernstädten abspielt, sondern vor allem in den z. T. unmittelbar angrenzenden (hoch-) verdichteten Kreisen stattfindet. Im Zuge des fortschreitenden Übergangs von der industriellen Produktion zur Dienstleistungswirtschaft haben die Kernstädte vor allem in den traditionellen industriellen Branchen deutliche Beschäftigungsverluste hinnehmen müssen. Die urbanen Zentren gewinnen hingegen zunehmend im Bereich der unternehmensnahen, wissensintensiven Dienstleistungen an Attraktivität. Offenkundig haben hier die Beschäftigungsgewinne in diesen Wirtschaftsbereichen die Verluste im industriellen Sektor nicht ausgleichen können. Stark zulegen können die hoch verdichteten Räume gerade bei der Beschäftigung in den wissensintensiven Dienstleistungsbereichen, wobei die hoch verdichteten Kreise hier noch stärkere Beschäftigungsgewinne verzeichneten als die Kernstädte der Agglomerations räume. 2 Dies sind gleichzeitig auch die Räume, die am stärksten bei der Beschäftigung im Bereich des wissensintensiven verarbeitenden Gewerbes verloren haben. Für die künftige Beschäftigungsbilanz der urbanen Räume dürfte es entscheidend darauf ankommen, inwieweit das Beschäftigungswachstum bei den wissensintensiven Dienstleistungen die Rationalisierungsdynamik bei den wissensintensiven Industrien über kompensiert. In diesen Räumen zeigt sich jedenfalls eine starke räumliche Konzentration der wissensintensiven Dienstleistungen (vgl. Abb. 2). Der Übergang zur wissensbasierten Ökonomie sollte in funktionaler Hinsicht insbesondere auch jene wirtschaftlichen Aktivitäten begünstigen, die den höherwertigen Dienstleistungen (Forschung und Entwicklung, leitende Verwaltungstätigkeiten, Unternehmensberatung, EDV und Marketing) zuzurechnen sind. Eine Verifizierung dieser These erfordert nicht nur die Einbeziehung der entsprechenden Dienstleistungsaktivitäten Abbildung 1: Entwicklung der Gesamtbeschäftigung und Beschäftigten in wissenintensiven Wirtschaftszweigen 1999 bis 2007 nach siedlungsstrukturellen Kreistypen (in%) Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, eigene Berechnungen 2 Die Abgrenzung wissensintensiver Wirtschaftsbereiche erfolgt hier nach den NIW/ISI-Listen 2006 (Legler/Frietsch 2006) Wissensökonomie 13 Abbildung 2: Räumliche Konzentration der wissensintensiven Dienstleistungswirtschaft Quelle: Bundesagentur für Arbeit, NIW/ ISI, eigene Berechnungen des tertiären Sektors, sondern auch die der Industrie (Management, F&E etc.) in die Betrachtung. Auf der funktionalen Ebene zeigt sich, dass höherwertige Dienst leistungstätigkeiten verglichen mit Produktionstätig keiten eindeutig zu den Agglomerationsräumen und dabei insbesondere zu den urbanen Zentren tendieren (vgl. Tab. 1). Deutlich wird auch, dass die ländlichen Räume in Deutschland mit einem Anteil von lediglich 5,5 Prozent einen gravierenden Rückstand bei den höherwertigen Dienstleistungen aufweisen. Wenn das Postulat vom Übergang zur Wissensökonomie zutrifft, dann spricht vieles dafür, dass eine höhere wirtschaftliche Dynamik in Zukunft vor allem dort zu erwarten ist, wo sich die höherwertigen Dienstleistungen bereits heute räumlich konzentrieren. 3. Wissensbasierte Ökonomie des Raumes Unsere Eingangsüberlegung zur differenzierten Darstellung komplexer Systeme sollte uns davor bewahren, die bisherige Argumentation als ausreichend zu betrachten. Diese hat uns wie erhofft erste Hinweise geliefert, jedoch noch nicht in die Lage versetzt, eine ausreichend fundierte Einschätzung über die künftige Entwicklung 14 RegioPol eins 2008 Tabelle 1: Anteile der höherwertigen Dienstleistungen an der Gesamtbeschäftigung im Jahr 2005 Kreistypisierung des BBR Beschäftigungsanteil (in %) Agglomerationsräume 11,4 1 = Kernstädte 2 = hoch verdichtete Kreise 3 = verdichtete Kreise 4 = ländliche Kreise verstädterte Räume 5 = Kernstädte 6 = verdichtete Kreise 7 = ländliche Kreise ländliche Räume 8 = ländliche Kreise höherer Dichte 9 = ländliche Kreise geringerer Dichte Gesamt 13,7 10,0 6,9 6,2 7,2 10,6 6,6 5,2 5,5 5,9 4,8 9,3 Quelle: Bade 2007, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, eigene Berechnungen zu treffen. Dafür bedarf es der Hinzuziehung weiterer Faktoren und insbesondere einer Antwort auf die Frage, was urbane Räume eigentlich dazu prädestiniert, zu bevorzugten Orten der Wissensökonomie zu werden? In der Theorie werden vor allem das Kontextmodell und das Ressourcenmodell diskutiert (vgl. Kujath 2005). Das Kontextmodell stellt die urbanen Räume als Orte der Wissensgenerierung und des Lernens dar. Danach begünstigen diese als Orte großer Akteursdichte und -vielfalt die Herausbildung dichter regionaler Kontaktnetze. Regionale Kontaktnetze dienen dabei als Basis für die Entstehung von regionalen Wissenskontexten. Das Ressourcenmodell stellt die urbanen Räume als Knoten globaler Wissensnetzwerke und Ressourcenpools dar. Hier setzt auch die These von den Metropol regionen als Knotenpunkte der Wissensökonomie an. Um sich in globale Wissensnetzwerke einbinden zu können, brauchen sie die räumliche Dichte von Wissensträgern, Wissensarbeitern und entsprechende Infrastrukturen wie Telekommunikation und Verkehr. Kontext- und Ressourcenmodell müssen keineswegs als alternative Erk lärungsansätze begriffen werden, sondern ergänzen sich zugunsten einer differenzierten Betrachtung der Raumwirksamkeit der Wissensökonomie. Es sind vor allem die folgenden Argumente, die aus ökonomischer Sicht dafür sprechen, dass sich die Fliehkräfte zugunsten der urbanen Zentren in Folge des Übergangs zur wissensbasierten Ökonomie verstärken: 1.Soweit die Unternehmen ihre Wissensressourcen aus überregionalen und globalen Quellen beziehen, liegt die funktionale Bedeutung der urbanen Räume in ihrer Knotenpunktfunktion innerhalb sich über lagernder Netzwerke. Die Informationsdienstleister in den urbanen Räumen fungieren als Schaltstellen, wobei ihre Verarbeitungskapazität von Wissen nicht an regionale Ressourcen gebunden sind. Hierfür sind die physische und telekommunikative Erreichbarkeit die wichtigsten Ressourcen. Urbane Räume sind dann Knoten, die zahlreiche Interaktionsbeziehungen zu anderen Räumen aufbauen und Zugang zu deren Märkten vermitteln. 2.In den großen urbanen Agglomerationsräumen lassen sich verhältnismäßig leicht durch kooperative Vernetzungen Verbundvorteile erzielen. Denn die Herstellung komplexer Informationsgüter erfordert immer häufiger die Zusammenführung hoch spezia lisierter Inputs aus verschiedenen Wissensbereichen. Spezialisierung erleichtert es den Firmen auf ihrem Wissensfeld große Absatzmärkte und damit auch Größenordnungen zu erreichen, mit denen sie Skaleneffekte erzielen können. Globale Handelsstrukturen sind ein Ausdruck dafür, dass höher entwickelte Länder sich zunehmend auf den Warenaustausch mit ausgewählten Gütern spezialisieren. Die Fokussierung dieser Länder auf spezielle Güterarten oder Endprodukte dürfte zugleich ein Indiz für die Existenz von Skaleneffekten sein (vgl. Storper 2000, S. 46). 3.In der Wissensökonomie spielt vor allem das impli zite Wissen (tacit knowledge) eine große Rolle. Während explizites Wissen leicht im Raum transferierbar ist, lässt sich das implizite Wissen nicht oder nur zu hohen Kosten distanzunabhängig übermitteln. Das implizite Wissen ist personengebunden und basiert auf den Erfahrungen bzw. lebensbegleitenden Lern- Wissensökonomie prozessen seiner Träger. Folglich ist das implizite Wissen schwer kommunizierbar, formalisierbar und teilbar, sodass es weitgehend nur in direktem Faceto-face-Kontakt und zu relativ hohen Kosten weitergegeben werden kann. Dies erschwert die Diffusion des impliziten Wissens über größere Distanzen hinaus (Audretsch 2000, S. 72, ders. 2008). Explizites und implizites Wissen verhalten sich komplementär zueinander, sodass eine Transformation von impli zitem in explizites Wissen nur in Grenzfällen möglich ist. Während der Austausch von kodifiziertem Wissen geringe Reibungsverluste erzeugt, ist der Austausch des an Personen gebundenen Wissens an interpersonelle Aktivitäten in räumlicher Nähe gebunden. In urbanen Räumen lassen sich dabei die Reibungsverluste der wirtschaftlichen Transak tionen bei der Wissensbeschaffung, -verarbeitung und -verbreitung im Vergleich zu anderen Räumen deutlich verringern. Räumliche Nähe begünstigt die Entstehung von Vertrauen, die wiederum Basis für die Herausbildung von Kooperationen ist. 4.Die Vernetzung der Unternehmen zu innovativen Clustern senkt durch Kooperation und Spezialisierung innerbetriebliche Kosten und erleichtert den regio nalen Kompetenzaufbau und gemeinsame Netzwerkprojekte auch für den internationalen Markt. Räum liche Nähe begünstigt dabei die Netzwerkbildung. Optimalerweise entwickelt sich aus der Summe lernender Unternehmen eine lernende Region. Dann erhöht sich die Wettbewerbsfähigkeit aller beteiligten Unternehmen und der Region, sodass sich eine Winwin-Situation einstellt (Cooke 2005, S. 46). 5.Die großen urbanen Arbeitsmärkte bilden einen Pool für spezialisierte Wissensarbeiter. Durch diesen Pool lassen sich die Kosten des Anpassungsprozesses von Angebot und Nachfrage auf hoch spezialisierten Märkten sowohl für die Wissensarbeiter als auch für die Unternehmen verringern. Nach Dunning (2000, S. 16) erhöhen sich die Suchkosten je komplexer das Wissen ist, das die Unternehmen benötigen, und je mehr dieses Wissen personengebunden ist. Ähn liches gilt für die Ermittlung von Partnern für die gemeinsame Produktion von hoch spezialisierten Dienstleistungen. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass es vor allem die ausgeprägt urbanen Standorte sind, die für die Wissensarbeiter („creative class“) in besonderer Weise attraktiv sind (Läpple, D. 2006; Florida, R. 2002). Die Verfügbarkeit (hoch-) qualifizierter Arbeitskräfte wird in der Wissensöko nomie zu einem entscheidenden Standortfaktor. 6.Je größer die Informationsasymmetrie zwischen den beteiligten Partnern der Transaktion und je un sicherer das mögliche Ergebnis dieser Beziehungen ist, umso höher fallen die Transaktionskosten aus. Räumliche Nähe, die z. B. eine genauere Einschätzung des Leistungspotenzials des Kontaktpartners erleichtert oder den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen begünstigt, senkt in diesem Zusammenhang die Transaktionskosten (Dunning 2000, S. 16). 15 7.Urbane Räume sind Standorte, von denen aus weltweite Transaktionen besonders kostengünstig orga nisiert werden können. Urbane Räume fungieren als Knotenpunkte des Informations- und Wissensaus tausches sowie als globale Informations- und Wissensmarktplätze, die in Kombination mit einer leistungsfähigen Transportinfrastruktur agieren können. Diese Infrastrukturen erleichtern die Ermittlung von Transaktionspartnern und ermöglichen eine Senkung der Kosten für langwierige Vertragsverhandlungen. 8.Wissensspillover gelten gemeinhin als Treiber des wirtschaftlichen Wachstums und als Hauptfaktoren einer räumlichen Ballung der wissensinnovativen Wirtschaftszweige. Zahlreiche Cluster haben eine enge Verbindung zwischen der Innovations- und Lernfähigkeit entwickelt. Mit anderen Worten: Sie erzeugen dynamische externe Effekte für die betei ligten Betriebe (vgl. Dunning 2000, S. 19). Die Pro duktivität eines Unternehmens oder einer Branche hängt damit nicht nur von der eigenen F&E Aktivität, sondern auch von der Höhe des allgemeinen W issenspools des sektoralen Umfeldes ab. „Wesent liches Merkmal von Innovationsprozessen, in denen Forschung und Entwicklung einen zentralen Stellenwert einnehmen, ist die Arbeitsteiligkeit und Inter aktiv ität. Innovation, Produktion, Verwertung und Vermarktung lassen sich in einer arbeitsteiligen W irtschaft nicht mehr ausschließlich durch einen einzelnen Akteur realisieren, sondern nur in Zusam menarbeit mit und in Wechselwirkung zwischen unterschiedlichen Partnern“ (Koschatzky 2005, S. 53). Die räumliche Nähe spielt auch im Zusammenhang mit Wissenspillovers eine entscheidende Rolle. 9.Produktionsprozesse, für die vorwiegend kodifizierbare Informationen wichtig sind, verlieren in starkem Maße ihre Raumbindung und werden ‚footloose‘. Produktionsaktivitäten, die einen hohen Anteil an gebundenem Wissen („tacit knowledge“) enthalten und die der persönlichen („face to face“) Kontakte bedürfen, werden dagegen eher zu einer räumlichen Konzentration in den Zentren neigen. (Dohse et al. 2004, S. 103). 10.Die Vorstellung, dass in der innovationsintensiven Einführungs- und Entwicklungsphase von Branchen eine Konzentration auf die urbanen Zentren erfolgt und mit zunehmender Reife und Standardisierung eine Diffusion in Richtung periphere Regionen eintritt, dürfte in der Wissensökonomie kaum Bestand haben. In einer Welt wissensintensiver Produktion, flexibler Spezialisierung und deutlich verkürzter Produktlebenszyklen wird der Markt für standardisierte Güter kleiner und die Zeitspanne für räumliche Diffusionsprozesse enger. Den neuen Unternehmen der Wissensökonomie wird folglich kaum Zeit bleiben, sich in die (bundesdeutsche) Peripherie zu begeben. Soweit Optionen auf Standardisierung bzw. Massenproduktion bestehen, werden diese kaum in den peripheren Regionen am Standort Deutschland realisiert werden, sondern in jenen Regionen Osteuropas 16 RegioPol eins 2008 bzw. Südostasiens zur Geltung kommen, die für dieses Produktionsmodell über die entsprechenden komparativen Vorteile verfügen. 4. Die Wiederentdeckung der Zentren im Lissabon-Prozess Mit dem Übergang zur wissensbasierten Ökonomie ist vor dem Hintergrund der angeführten raumtheoretischen Argumente davon auszugehen, dass die sich abzeichnenden ökonomischen Entwicklungen eine höhere Dynamik der urbanen Räume begünstigen. Aufgrund milieuspezifischer Faktoren, die insbesondere von den modernen Wissens arbeitern präferiert werden (Urbanität, kulturelle Vielfalt, Toleranz), dürften dabei die Zentren in besonderer Weise profitieren. Diese ökonomische Sogwirkung wird durch die Veränderung politischer Prioritäten im Rahmen der EUFörderkulisse verstärkt. Die EU-Strukturpolitik nimmt mittlerweile eine Neugewichtung des Wachstumszieles gegenüber dem Ausgleichsziel vor und orientiert sich damit in noch stärkerem Maße an den Strategien und Zielen von Lissabon und Göteborg. Entsprechend dieser Ziele werden die kohäsionspolitischen Maßnahmen auf eine begrenzte Zahl von Gemeinschaftsprioritäten konzentriert, während der Schwerpunkt „Innovation und Wachstum“ deutlich aufgewertet wurde. Die EU-Strukturpolitik hat mit dieser Neuorientierung einen Paradigmenwechsel mit einer deutlichen Relativierung der Ausgleichsfunktion eingeleitet (vgl. NIW 2005, S. 6). Die neuen strukturpolitischen Instrumente der EU sind damit weniger auf den Abbau regionaler Disparitäten ausgerichtet. Zwar entfallen noch immer 82 Prozent der regionalpolitischen EU-Mittel auf das Konvergenzziel, in dessen Rahmen die wirtschaftlich schwächsten Mitgliedsstaaten und Regionen gefördert werden, bezogen auf Westdeutschland existieren jedoch kaum noch Teilräume, die diesbezüglich prioritär unterstützt werden. Insofern ist auch seitens der EU – wie auch im Rahmen nationaler Wirtschafts- und Strukturpolitiken – kaum zu erwarten, dass den sich abzeich nenden Tendenzen zugunsten wachsender regionaler Disparitäten, die sich im Zuge des Übergangs zur wissensbasierten Ökonomie ergeben, entgegengewirkt wird. 5. „ Hidden Champions“ in der Regionalentwicklung Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Entwicklungsstrategien für die ländlich-peripheren Regionen in Deutschland verbleiben, d. h. inwieweit realis tischerweise davon ausgegangen werden kann, dass Polarisierung zwischen den dynamischen Zentren und den peripheren Teilregionen vermieden werden kann. Zunächst einmal lassen bereits die statistischen Werte der neun vom BBR definierten Raumtypen erkennen, dass in Deutschland keine einfache Dichotomie zwischen Zentrum und Peripherie existiert und damit insgesamt von keinem einheitlichen Bild auszugehen ist. Ein differenzierter Blick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Dynamik von ländlichen Räumen abseits der großen Metropolregionen zeigt, dass sich auch in der Peripherie außerordentliche Erfolgsgeschichten von Wirtschaftsräumen ereignen. In (West-) Deutschland exis tieren zahlreiche überaus wettbewerbsfähige Regionen, die nach der Raumtypologie des BBR in die Kategorie der ländlichen Räume mit höherer und geringerer Dicht fallen. Betrachtet man die Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten als einen Erfolgsindikator der Regionalentwicklung, dann erweisen sich im Beobachtungszeitraum u. a. der Wirtschaftsraum Cloppenburg-Vechta, die Landkreise Emsland und Leer in der Region Ems-Achse sowie der Landkreis Schwandorf in der Oberpfalz als besonders dynamische Wirtschaftsräume (vgl. Tab. 2). Ausgangspunkt einer aufstrebenden regionalökonomischen Entwicklung sind in vielen Fällen günstige Konstellationen der Wirtschaftsstruktur und vor allem die Spezialisierung auf besonders zukunftsträchtige Branchen, die sich in der Regel ebenfalls als wissensintensiv erweisen. Dies betrifft nicht zuletzt die Maritime Wirtschaft im Wirtschaftsraum der Ems-Achse in Niedersachsen (Meyer-Werft, Reedereiwirtschaft) oder die Automobilzulieferindustrie im Landkreis Schwandorf in der Oberpfalz. Allein der Landkreis Leer konnte sich innerhalb eines Zeitraums von weniger als 30 Jahren von einem Standort ohne nennenswerte Betriebe der Seeschifffahrt zum zweitgrößten Reedereistandort in Deutschland (nach Anzahl der bereederten Schiffe) entwickeln (NORD/LB/NIW 2006). Einen guten Überblick über relativ erfolgreiche ländliche Standorte in Deutschland erlaubt die Studie „Erfolgsbedingungen von Wachstumsmotoren außerhalb der Metropolregionen“ innerhalb des Forschungsprogramms „Modellvorhaben der Raumordnung“ (MORO) (BMVBS/BBR 2008). Es zeigt sich aber auch, dass eine Reihe der relativ erfolgreichen Regionen auch ohne ausgeprägte Anteile an wissensintensiven Branchen reüssieren können. Offenkundig gelingt es einer Vielzahl von Standorten ohne eine starke Wissensbasierung sich im System der funk tionalen Arbeitsteilung zu behaupten. Im Rahmen des MORO-Projektes – dessen kritische Auswertung noch aussteht – werden auf der Grundlage einer Reihe von Fallstudien Erfolgsbedingungen identifiziert, die Hinweise dafür liefern, wie im Rahmen einer langfristigen Strategie Wachstumsprozesse auch in strukturschwachen Regionen initiiert werden können. Dazu zählen der Abschied von einer ausgeprägten Subventionsorientierung, die Initiierung von Motivation innerhalb der regionalen Bevölkerung und die Mobilisierung der regionalen Akteure ebenso wie die Vernetzung der Unternehmen mit Wissenschaft und Forschung (z. B. Fachhochschulen, Kompetenzzentren) sowie der Ausbau der harten und weichen Standortfaktoren. Investitionen in Ausbildungskapital zur Sicherstellung der Verfüg barkeit qualifizierter Arbeitskräfte und dem Ausbau der Wissensökonomie 17 Tabelle 2: Rangordnung ländlicher Landkreise in Deutschland nach Beschäftigungswachstum im Zeitraum 1997 bis 2007 Rang Landkreis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 Vechta Eichstätt Regensburg Cloppenburg Biberach Pfaffenhofen a.d. Ilm Landshut Schwandorf Emsland Hohenlohekreis Donau-Ries Dingolfing-Landau Schwäbisch Hall Weilheim-Schongau Cham Rosenheim Fulda Rhein-Hunsrück-Kreis Neustadt a.d. Aisch – Bad Windsheim Oldenburg Leer Trier-Saarburg Ammerland Miesbach Main-Spessart Beschäftigungswachstum (absolut) Beschäftigungswachstum (relativ) 8.618 4.574 5.350 6.593 8.972 3.604 4.479 5.312 10.829 4.824 5.134 4.348 5.931 3.394 3.599 5.233 5.815 2.178 21,2 % 20,0 % 18,4 % 16,9 % 16,0 % 14,6 % 14,0 % 13,2 % 12,6 % 12,4 % 12,0 % 11,3 % 10,0 % 9,6 % 9,5 % 9,2 % 8,3 % 7,9 % 1.862 1.895 2.540 1.690 2.113 1.729 2.297 7,9 % 7,6 % 7,6 % 7,5 % 7,0 % 6,8 % 5,9 % Bundesagentur für Arbeit, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, eigene Berechnungen Kommunikationsinfrastruktur (DSL) kommt in diesem Zusammenhang ein besonderer Stellenwert zu. Zwar wird einerseits deutlich herausgestellt, dass auf der Basis tragfähiger Entwicklungskonzepte die „Entwicklung von Strategien zur optimalen Akquirierung von Fördermitteln“ geboten ist, aber anderseits die Notwendigkeit betont, „Wachstum und regionale Entwicklung selbst aktiv in die Hand zu nehmen und sich nicht auf Hilfe von außen zu verlassen“ (BMVBS/BBR 2008, S. 71 ff.). So richtig diese Hinweise auch sein mögen, zeigt die Diskussion um die Raumwirksamkeit der künftigen Wissensökonomie doch, wie sehr sich das raumwirtschaft liche Kräfteparallelogramm künftig noch verschieben wird. Zu einer Orientierung auf die endogenen Poten ziale vor Ort und insbesondere auf die Mobilisierung und Vernetzung der eigenen kreativen und intellektuellen Ressourcen gibt es für die betroffenen Regionen im Prinzip kaum eine strategische Alternative. Aber der Problemdruck dürfte angesichts der ökonomischen Rahmenbedingungen so stark zunehmen, dass zusätz liche Unterstützungsmaßnahmen seitens der Länder, des Bundes und der EU unabdingbar werden. Eine der artige Förderpolitik wäre keine Rückkehr zur Gießkanne, sondern eine strukturpolitische Weichenstellung zugunsten jener strukturschwachen Regionen, die die Herausforderungen der Wissensökonomie annehmen, ihre komparativen Vorteile identifizieren und entsprechende Gestaltungsstrategien entwickeln. Dies wäre schließlich auch kompatibel mit einer Wachstumsstrategie, die das Ausgleichsziel nicht aus dem Auge verliert. 6. Fazit So eingängig Schlagworte wie die vom „Tod der Ent fernung“ oder „Die Welt ist flach“ auch sein mögen, sie ersetzen nicht die differenzierte Betrachtung komplexer Sachverhalte. Es sind keineswegs allein die Informations- und Kommunikationstechnologien – so paradigmatisch und prägend ihr Aufstieg auch für die 18 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie wissensbasierte Ökonomie sein mag – die allein die künftige Entwicklungsrichtung bestimmen werden. Die Wissensökonomie wird aller Voraussicht nach ihre größte Dynamik in den urbanen Zentren entfalten. Die These von der Renaissance der Stadt (Häußermann/ Läpple/Siebel 2007, S. 362 ff.) findet hier ihre materielle Grundlage. Das bedeutet jedoch nicht, dass weniger verdichtete Kreise und Regionen in Zukunft per se von Wachstum und Fortschritt ausgeschlossen bleiben. Zwar werden auch sie nicht umhin kommen, sich auf die neuen Bedingungen der Wissensökonomie einzustellen; eine intelligente und engagierte Nutzung der endogenen Potenziale, die nötige Weitsicht (auch über den eigenen Tellerrand hinaus) und die Mobilisierung wie Vernetzung der maßgeblichen regionalen Akteure ermöglichen jedoch auch im ländlichen Raum Erfolgsgeschichten. Eine Unterstützung durch übergeordnete Gebietskörperschaften sind sie allemal wert. Quellen Audretsch, D. B. (2000): Knowledge, Globalization, and Regions: An Economist‘s Perspective; in: Dunning, J. H. (Ed.), Region, Globalization, and the Knowledge-Based Economy, Oxford 1999, S. 63 – 81 Audretsch, D. B. (2008): Die Entrepreneurial Society im Zeitalter der Globalisierung, in Beatrice Weder di Mauro: Chancen des Wachstums – Globale Perspektiven für den Wohlstand von morgen“, Frankfurt a.M./ New. York, S., S. 91 – 107 BMVBS/BBR (2008): Erfolgsbedingungen von Wachstumsmotoren außerhalb der Metropolen (MORO), Berlin, Bonn Cairncross, F. (1997): The Death of Distance. How the communications revolution will change our lives, Cambridge, MA: Harvard Business School Cooke, P. (2005): Regional Transformation and Regional Disequilibrium: New Knowledge Economies and their Discontents; in: Fuchs, G./Shapira, P. (Eds.), Rethinking Regional Innovation and Change: Path Dependency or Regional Breakthrough. Berlin 2005, S. 43 – 62 DIW (2008): Wissensintensive Branchen: Deutschland überholt bei der Wertschöpfung die USA, in: DIW: Wochenbericht 18/2008, S. 233 – 237 Dohse, D., Laaser, C.-F., Schrader, J.-V., Soltwedel, R. (2004): Räumlicher Strukturwandel im Zeitalter des Internets - Eine Untersuchung des raumwirtschaftlichen Vordringens des Internets als Transaktionsmedium, in: Wüstenroth Stiftung (Hrsg.) (2004): Räumlicher Strukturwandel im Zeitalter des Internets - Neue Herausforderungen für Raumordnung und Stadtentwicklung, Wiesbaden, S. 11 – 105 Dunning, J. H. (2000): Region, Globalization, and the Knowledge Economy: The Issues Stated; in: Dunning, J. H. (Ed.), Region, Globalization, and the Knowledge-Based Economy, Oxford 1999, S. 7 – 42 Florida, R., (2002): The Rise of the Creative Class, New York Friedman, Th. L. (2006): Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21.Jahrhunderts, Frankfurt a.M. Häußermann, H., Läpple, D., Siebel, W. (2008): Stadtpolitik, Frankfurt a.M., New York Koschatzky, K. (2005): Nutzen von Forschungskooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, in: Koschatzky, K.; Fritsch, M. [Hrsg.]: Den Wandel gestalten - Perspektiven des Technologietransfers im deutschen Innovationssystem, Stuttgart, S. 51 – 69 Krugman, P. (1999): Weltwirtschaft im Kleinformat, in: Krugman, P.: Der Mythos vom globalen Wirtschaftskrieg, Frankfurt a.M., New York, S. 223 – 232 Kujath, H. J. (2005): Die neue Rolle der Metropolregionen in der Wissensökonomie. In: Kujath, H. J. [Hrsg.]: Knoten im Netz. Zur neuen Rolle der Metropolregionen in der Dienstleistungswirtschaft und Wissensökonomie. Münster. S. 9 – 19. Legler, H., Frietsch, R. (2006): Neuabgrenzung der Wissenswirtschaft – Forschungsintensive Industrien und wissensintensive Dienstleistungen (NIW/ISI-Listen 2006). Studien zum deutschen Innovationssystem, 22 – 2007 Läpple, D. (2003): Thesen zu einer Renaissance der Stadt in der Wissensgesellschaft. In: Gestring, N. et. al. [Hrsg.]: Jahrbuch StadtRegion 2003. Schwerpunkt: Urbane Regionen. Opladen. S. 61 – 77. Läpple, D. (2006): Städtische Arbeitswelt im Umbruch - zwischen Wissensökonomie und Bildungsarmut, in: Heinrich-Böll-Stiftung: Das neue Gesicht der Stadt, Berlin, S. 19 – 35 NIW (2005): Regionale Wirtschaftsförderung nach 2006. Hannover, Studie im Auftrag der NORD/LB NORD/LB, NIW (2006): Wind im Rücken. Die Maritime Wirtschaft in der Wachstumsregion Ems-Ache, Hannover Rehm, H. (2008): Wissen und Ökonomie, in diesem Heft, S. 3 ff. Stiglitz, J. E. (2006): Die Chancen der Globalisierung, München 2006 Storper, M. (2000): Globalization and Knowledge Flows: An Industrial Geographer‘s Perspective; in: Dunning, J. H. [Ed.]: Region, Globalization, and the Knowledge-Based Economy, Oxford 1999, S. 42 – 62 b Kunst im öffentlichen Raum, London 19 20 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 21 Stefan Krätke Die Metropolisierung des europäischen Stadtsystems D ie dominanten wirtschaftlichen Entwicklungszentren im EU-Raum sind dynamische Großstadtregionen und Metropolräume, in denen sich wissensintensive Dienstleistungen und forschungsintensive Industrieaktivitäten konzentrieren. Insofern kann die räumliche Entwicklung Europas heute als eine „Metropolisierung“ von wirtschaftlichen Entwicklungsund Innovationspotenzialen charakterisiert werden. „Metropolisierung“ ist eine Umschreibung für die Konzentration von wirtschaftlichen Entwicklungspotenzialen – insbesondere der wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten – auf Metropolräume und Großstadtregionen. Die Großstadtregionen und Metropolräume fungieren dabei als „Motoren“ der gesamt- und regionalwirtschaftlichen Entwicklung im EU-Raum und zugleich als die herausragenden Knotenpunkte der weltwirtschaftlichen Integration Europas. Im Rahmen einer zunehmend innovationsgetriebenen Ökonomie sind die Entwicklungsaussichten von Städten und Regionen in besonderem Maße von Potenzialen und Kapazitäten im Bereich w issensintensiver Wirtschaftsaktivitäten bestimmt (Lo/ Schamp 2003; Kujath 2005 a; Cooke et al. 2007). So wird der Ausbau von wissensintensiven Aktivitätszweigen der Regionalwirtschaft, die Profilierung einer Region als Zentrum der „Knowledge Economy“, zu einem strategischen Fokus der wirtschaftlichen Entwicklungspolitik. Dieser Beitrag soll mit einer europäisch vergleichenden Analyse der heutigen ökonomischen Basis von Großstadtregionen und Metropolräumen zeigen, dass die Stadtregionen Europas im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels in Richtung auf eine zunehmend wissensintensive Wirtschaft durch abweichende Strukturprofile und unterschiedliche regionale Entwicklungs pfade geprägt sind. Um die Tendenzen des wirtschaftlichen Strukturwandels im EU-Raum unter dem Aspekt der Ausdifferenzie- rung ökonomischer Profile und Entwicklungspfade der europäischen Großstadtregionen nachzuzeichnen, wurden die in der Eurostat-Regiodatenbank bereitgestellten Daten zur wissensintensiven Wirtschaft für den Zeitraum 1997-2005 ausgewertet1. Der Vorteil einer Verwendung der Eurostat-Regiodatenbank liegt darin, regionale Wirtschaftsstrukturen auf gesamteuropäischer Ebene vergleichend analysieren zu können. Im Zuge der fortgeschrittenen Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft sind vergleichende regionalwirtschaft liche Analysen auf der nationalstaatlichen Maßstabs ebene trotz der meist detaillierteren Datenbasis mit dem Nachteil einer im Grunde unrealistischen Vergleichsperspektive verbunden: Die regionalen Ökonomien insbesondere der Großstadtregionen und Metropolräume stehen heute im direkten Wettbewerb mit Regionen des europäischen Wirtschaftsraumes (und darüber hinaus im globalen Wettbewerb), und können längst nicht mehr allein als Standortzentren eines nationalstaatlichen „Container“-Raumes oder eines nationalen Stadt- und Regionalsystems begriffen werden. Eine europäisch vergleichende Analyse von Wirtschaftsregionen eröffnet folglich die realistische Perspektive auf regionalwirtschaftliche Entwicklungsbedingungen der Gegenwart. Die europäisch vergleichende Regionalanalyse greift auf Statistiken der EU für die NUTS 2 Gliederungsebene zurück 2. Die relativ groben Raumabgrenzungen der NUTS 2 Ebene sind aber für die Zwecke einer Analyse der wirtschaftlichen Profile und Entwicklungsrichtungen der Großstadtregionen und Metropolräume der EU durchaus akzeptabel, wenn man bedenkt, dass sich in heutiger Zeit die wirtschaftlichen Verflechtungsräume der Großstädte und insbesondere der Metropolen Europas immer weiter ausgedehnt haben. In diesem thematischen Zusammenhang sind nicht die kleinräumigen administra tiven Gebietseinheiten, sondern die realen Wirtschafts- Die Stadtregionen der baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen wurden mangels regional differenzierender Daten nicht in die Untersuchung aufgenommen; auch die Stadtregionen der 2007 neu hinzugekommenen EU-Mitgliedsländer Rumänien und Bulgarien blieben wegen gravierender Lücken in der Datenbasis unberücksichtigt. 2 Die relevanten Wirtschaftsdaten sind ausschließlich auf dieser räumlichen Ebene verfügbar. 1 b Spiegelung, Hochhaus, Pudong, Shanghai RegioPol eins 2008 22 Abbildung 1: Relative Konzentration ausgewählter Teilsektoren der wissensintensiven Wirtschaft im Stadtsystem der EU 2005 Quelle: Eurostat REGIO-Datenbank; eigene Berechnungen räume der urbanen Zentren des Regionalsystems von primärem Interesse. Die strukturelle Analyse der Potenziale und Entwicklungspfade europäischer Großstadtregionen und Metropolräume im Bereich wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten bezieht insgesamt 57 Großstadtregionen im EU-Raum ein, unter denen ca. 20 – 25 als Metropolregionen qualifiziert werden könnten. Da es keine einheitliche Definition oder Abgrenzung von Metropolregionen / Metropolräumen gibt (vgl. Blotevogel 1998; Kujath 2005 b), kann dieser Ausdruck nur auf die Einkreisung von den nach überregionalen Funktionen und wirtschaftlichen Kapazitäten im EU-Raum „herausragenden“ Großstadtregionen zielen. Diese Einkreisung ist speziell für die Bundesrepublik Deutschland keineswegs deckungsgleich mit der offiziellen planungspolitischen Abgrenzung von nahezu allen Agglomerationsräumen des Landes als „Metropolregionen“ (IKM 2006). 3 Der verwendete Ausdruck „Großstadtregionen und Metropolräume“ ist so zu verstehen, dass im Kreis der untersuchten Großstadtregionen der EU auch eine Reihe von Metropolre gionen im oben genannten Sinne von stark herausragenden Zentren mit enthalten sind. In einzelnen Fällen (wie etwa London, Paris u. ä.) wird ausdrücklich die Bezeichnung Metropolregion verwendet, jedoch ohne den Anspruch, die Teilmenge der Metropolregionen unter den einbezogenen Großstadtregionen abschließend zu kennzeichnen. Aufgrund der Probleme der Akzeptanzfähigkeit einer genauen Auflistung der Metropolregionen Europas wird in dieser Studie jedoch darauf verzichtet, diese Metropolräume im Einzelnen vom Rest der Großstadtregionen abzugrenzen. 3 Wissensökonomie Für die Zwecke einer gesamteuropäischen Analyse wurden mehrere Stadtregionen zu einer Gesamtregion zusam mengefasst4: Dazu gehören Florenz/Bologna, Manchester/ Liverpool/Leeds/Sheffield, die „Randstad Holland“ mit Amsterdam/Rotterdam/Den Haag, das oberschlesische Industrierevier (Polen), die Region Sevilla/Malaga, die RheinRuhr-Agglomeration (von Dortmund über Essen, Duisburg, Düsseldorf bis Köln), die Region Hannover/Braunschweig / Göttingen, die Region Rhein-Neckar (Mannheim, Heidelberg) und das sogenannte „Sachsendreieck“ mit HalleLeipzig, Dresden und Chemnitz. Bei der Interpretation von Analyseergebnissen ist im Auge zu behalten, dass die aggregierte Analyse und Darstellung die polyzentrische interne Struktur dieser Großstadtregionen verdeckt. Die untersuchten 57 Großstadtregionen und Metropolräume umfassen insgesamt neun polyzentrische Stadtregionen. 1. D ie Großstadtregionen und Metropolräume Europas als Standortzentren der wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten Das Gesamtbild der EU-Regionalstruktur zeigt heute vor allem eine Konzentration der Wirtschaftskraft auf die Großstadtregionen und Metropolräume. Die 57 Großstadtre gionen der EU 25, die zusammen einen Anteil von 31 Prozent der Gebietsfläche der EU haben, vereinigten 2003 zusammen 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 56 Prozent aller Einwohner der EU 25 auf sich. Die wirtschaftliche Leistungskapazität im EU-Raum ist zu fast zwei Dritteln in einem „Inselreich“ von Großstadtregionen und Metropolräumen konzentriert. An die Befunde zur „Metropolisierung“ des EU-Wirtschaftsraumes knüpft die These an, dass die herausragende Wirtschaftskraft der europäischen Großstadtregionen mit der Konzentration von wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten in ihrem Raum zusammenhängt (vgl. Krätke 2005; Raspe/van Oort 2006; Moreno/Paci/Usai 2006): Die Konzentration dieser Wirtschaftsaktivitäten in Großstadtregionen und Metropolräumen ist sowohl bei wissensintensiven Dienstleistungen als auch bei forschungsintensiven Industriezweigen gegeben: In den untersuchten Großstadtregionen konzentrierten sich im Jahre 2005 auf 31 Prozent der EU-Gebietsfläche 60 Prozent der Arbeitsplätze forschungsintensiver Indus triezweige und 61 Prozent der Arbeitsplätze wissens intensiver Dienstleistungszweige. Neben dieser absoluten Konzentration der wissensintensiven Wirtschaft ist bei der überwiegenden Mehrheit der Großstadtregionen und Metropolräume der EU auch eine relative Konzentration von bedeutenden Teilsek toren der wissensintensiven Wirtschaft festzustellen (siehe Abb. 1): In 37 (von insgesamt 57 untersuchten) Großstadtregionen ist eine relative Konzentration von forschungsintensiven „High Technology“ Industrien und/oder „Medium High Technology“ Industrien gegeben, d. h. ein Beschäftigtenanteil in diesen Teilsektoren in der Stadtregion, der den Anteil dieser Teilsektoren an den Gesamtbeschäftigten der EU 25 übersteigt (d. h. ein 23 Standortquotient > 1; Spitzenreiter sind hier die Regionen Stuttgart, München, Rhein-Neckar, Hannover und Dublin mit Standortquotienten > 2). In 41 der untersuchten Großstadtregionen ist eine relative Konzentration von wissensintensiven marktbezogenen Unternehmensdiensten und/oder Finanzdienstleistungen gegeben (Spitzenreiter sind hier erwartungsgemäß die Metropolregionen von London und Paris sowie Stockholm). Aussagen zur Gesamtheit der Großstadtregionen verdecken jedoch den für regionalwissenschaftliche Stu dien zentralen Aspekt der Differenzierung zwischen den Großstadtregionen der EU mit Blick auf ihre sektoralen Profile und ihre Beschäftigtenentwicklung. Insgesamt qualifizieren sich die Großstadtregionen und Metropolräume der EU als die primären Standortzentren für wissensintensive Industriezweige und qualifizierte Unternehmensdienstleistungen. In solchen Befunden ist auch die Rede von den Metropolräumen/Großstadtregionen als den „regionalen Motoren“ der europäischen Wirtschaftsentwicklung begründet. Die „Metropolisierung“ der europäischen Wirtschaft kann als räumliche Artikulationsform des Bedeutungszuwachses von wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten begriffen werden. In der folgenden Analyse werden die Potenziale wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten der Großstadt regionen Europas ganz bewusst nach absoluten Größen dargestellt. Die in der Raumforschung häufig gedankenlos angewandte Normalisierung von Regionaldaten mit Bezug auf Einwohnerzahlen ist im thematischen Bezugsrahmen dieser Studie wenig aussagekräftig. Bei der Analyse von Potenzialen der wissensintensiven Wirtschaft im Stadtsystem Europas richtet sich der Blick auf die selektive Agglomeration von Wirtschaftsaktivitäten in einem Regionalsystem konkurrierender Standortzentren – in diesem Kontext sind absolute Konzentrationen von Aktivitäten ausschlaggebend. Standortentscheidungen des Unternehmenssektors werden auch nicht an den bei Regionalplanern beliebten Pro-Kopf-Kennziffern ausgerichtet, sondern an absoluten Konzentrationen von Unternehmen, Beschäftigten, Dienstleistern und Kunden, wo es um die Wahrnehmung von Agglomera tionsvorteilen geht. Im Wettbewerb der Regionen zählt heute mehr denn je absolute Stärke, also die konkreten Gegebenheiten in regionalen Wirtschaftsräumen5. Diese Stadtregionen bilden entweder einen zusammenhängenden Agglomerationsraum oder eine weitere Aufgliederung auf NUTS 2 Ebene ist nicht möglich. 5 Für die Branchendifferenzierung der Analyse werden auf Basis der Eurostat-Regiodatenbank folgende Gruppierungen durch Zusammenfassung von NACE-Zweigen unterschieden: 1.Forschungsintensive Industrien: 1.1 forschungsintensive „High Technology“ Industrien (NACE Zweige 30, 32, 33); 1.2 Forschungsintensive „Medium High Technology“ Industrien (NACE Zweige 24, 29, 31, 34, 35) 2.Wissensintensive Dienstleistungen: 2.1 wissensintensive technologiebezogene Dienste (NACE Zweige 64, 72, 73); 2.2 Wissensintensive marktbezogene Unternehmensdienste (NACE Zweige 61, 62, 70, 71, 74); 2.3 wissensintensive Finanzdienstleistungen (NACE Zweige 65, 66 und 67); 2.4 Wissensintensive Dienstleistungen im Bereich Bildung, Gesundheit, Kultur und Medien (NACE Zweige 80, 85, 92) 3.Wissensintensive Wirtschaft zusammen (= Aggregat aus 1. und 2.) 4 24 RegioPol eins 2008 Abbildung 2: Absolute Konzentration der wissensintensiven Wirtschaft im Stadtsystem der EU 2005 Anzahl Beschäftigte (Klassifizierung nach „National Breaks“) in NACE Branchen Nr. 24, 29 – 35, 61, 62, 64 – 67, 70 – 74, 80, 85, 92 145.107 bis 392.775 392.775 bis 889.493 889.493 bis 1.771.391 1.771.391 bis 4.347.355 1. Rang-Gruppe (von 5 Perzentilen) 2. Rang-Gruppe (von 5 Perzentilen) Quelle: Eurostat REGIO-Datenbank; eigene Berechnungen Die Gesamtdarstellung der absoluten Konzentrationen der wissensintensiven Wirtschaft in den Großstadt regionen und Metropolräumen der EU (siehe Abb. 2) lässt erkennen, dass der sogenannte Kernraum der EU einen Großteil der Standortzentren der Wissensökonomie einschließt, wobei London und Paris eine führende Position einnehmen und die Rhein-Ruhr-Agglomeration in aggre gierter Darstellung ebenfalls eine starke absolute Konzentration aufweist. Darüber hinaus existieren im euro päischen Raum aber eine Reihe weiterer herausragender Zentren wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten wie insbesondere Barcelona, Florenz/Bologna, Mailand, Kopenhagen, Hamburg, Amsterdam/Rotterdam/Den Haag, Birmingham und Manchester/Liverpool/Leeds. Diese Stadtregionen bilden die erste Rang-Gruppe von Beschäftigtenkonzentrationen der wissensintensiven Wirtschaft bei Unterteilung der 57 Stadtregionen nach fünf Perzen tilen. Die Anteile der wissensintensiven Wirtschaft an allen Beschäftigten reichen von 26,7 Prozent (Valencia) bis 60,3 Prozent (Stockholm), der Durchschnittswert für alle einbezogenen Stadtregionen beträgt 42,6 Prozent. Auf Deutschland bezogen, liegen acht der elf Metropolregionen (einschließlich Berlin) über diesem Durchschnittswert. Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen im Bereich der wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten im Zeitraum 1997 bis 2005 ist durch einen Zuwachs der „knowledge economy“ in allen Großstadtregionen und Metropolräumen der EU gekennzeichnet. An erster Stelle sind hier London, die Randstad Holland und die Rhein-RuhrAgglomeration zu nennen; an zweiter Stelle Paris, Frankfurt, Mannheim, Hamburg und Turin. Auch außerhalb des sogenannte EU-Kernraums ist jedoch in Metropolräumen wie Berlin, Nantes, Birmingham, Manchester/Liverpool/Leeds und insbesondere in der Region Dublin ein starkes Wachstum der Beschäftigtenzahl festzustellen. Ferner gibt es deutliche Anzeichen für einen Aufholprozess der Großstadtregionen und Metropolräume im Süden der EU, wo Madrid, Barcelona, Sevilla, Valencia, Wissensökonomie lorenz / Bologna und Rom, aber auch Bilbao, Neapel und F Palermo zu den Aufsteiger-Regionen der wissensinten siven Wirtschaft gehören. Die Mehrheit der Großstadtre gionen und Metropolräume der EU weist eine positive absolute Wachstumsdifferenz der Beschäftigten der wissensintensiven Wirtschaft gegenüber anderen Sektoren auf. In den herausragenden Wachstumszentren der „knowledge economy“ übertrifft der Zuwachs an Beschäftigten in der wissensintensiven Wirtschaft die Veränderung in den anderen Sektoren um 150.000 bis 450.000 Beschäf tigte. So stellt sich die wissensintensive Wirtschaft als „Motor“ des Beschäftigungswachstums im Stadtsystem der EU dar. 2. E ntwicklungspfade europäischer Großstadtregionen und Metropolräume Richtet man den Blick auf regionale Entwicklungszusammenhänge zwischen wissensintensiven Industrien und Unternehmensdienstleistungen, wäre zu prüfen, ob im Stadtsystem Europas eine Konvergenz oder Divergenz der Entwicklung wissensintensiver Industrien und Dienstleistungen erkennbar wird. Die Überlagerung der Veränderungen bei den Beschäftigtenzahlen beider Teilsektoren verdeutlicht zunächst, dass die wissens intensiven marktbezogenen Unternehmensdienstleistungen im Zeitraum 1997 bis 2005 in allen Großstadt regionen und Metropolräumen der EU einen höheren absoluten Beschäftigtenzuwachs verzeichnen als die wissensintensiven Industrieaktivitäten. Darüber hinaus ist aber eine „gespaltene“ Entwicklung festzustellen, insofern als ein Teil der Großstadt regionen und Metropolräume – vor allem im traditionellen Kernraum und im Norden der EU – bei wachsenden Beschäftigtenzahlen im Bereich wissensintensiver Unternehmensdienstleistungen eine Schrumpfung der Beschäftigtenzahl forschungsintensiver Industrien aufweist, d. h. eine deutliche Divergenz der Entwicklungsrichtungen beider Teilsektoren, wohingegen ein ganz erheblicher Teil der einbezogenen Großstadtregionen und Metropolräume eine Korrespondenz im Wachstum wissensintensiver Industrien und Unternehmensdienstleistungen zeigt. Diese 21 Stadtregionen, die vor allem im Süden der EU, in Polen, und in der Bundesrepublik Deutschland im Raum Stuttgart und Leipzig/Dresden/ Chemnitz liegen, sind durch eine Konvergenz der Entwicklungsrichtungen beider Teilsektoren gekennzeichnet. Diese Befunde zum Entwicklungszusammenhang von Industrie- und Dienstleistungsaktivitäten geben erste Hinweise auf eine Ausdifferenzierung von unterschiedlichen Entwicklungspfaden der Großstadtregionen und Metropolräume Europas im Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft. Die Ausdifferenzierung der ökonomischen Entwicklungspfade europäischer Stadtregionen kann über eine kombinierte Bewertung der Dynamik in Teilsektoren der wissensintensiven Wirtschaft europäischer Agglomera- 25 tionsräume verdeutlicht werden, deren Bewertungs basis die längerfristige Beschäftigtenentwicklung in den jeweiligen Teilsektoren ist. Dabei können bestimmte „Pfad-Typen“ europäischer Agglomerationen herauskristallisiert und mit den verschiedenen Ausgangskonstellationen bzw. besonderen Profilen der Großstadtregionen in Verbindung gebracht werden. Ergebnis dieser Analyse, deren Verfahrensschritte hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können (ausführliche Angaben in Krätke 2007), sind Erkenntnisse über verschiedenartige Entwicklungsrichtungen der Großstadtregionen und Metropolräume Europas im Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft und die spezifische Positionierung von bestimmten Stadtregionen im Rahmen dieser divergierenden Entwicklungspfade. Dabei wurden vier verschiedene Pfad-Typen unterschieden: 1. Stadtregionen, in denen wissensintensive Indus trien und technologiebezogene Dienstleistungen den Entwicklungspfad zur wissensintensiven Wirtschaft prägen, 2. Stadtregionen, in denen wissensintensive Dienstleistungen den Entwicklungspfad zur wissensintensiven Wirtschaft bestimmen, 3. Stadtregionen, deren Entwicklungspfad durch ein kombiniertes Wachstum von wissensintensiven Industrien und Dienstleistungen geprägt ist, und 4. Stadtregionen ohne erkennbaren Schwerpunkt der Entwicklungsrichtung bzw. mit insgesamt schwacher Entwicklungsdynamik im Bereich der wissens intensiven Wirtschaft. In den Stadtregionen Europas, die dem industrie- und technologiebezogenen Entwicklungspfad zugeordnet sind (Pfad 1), wachsen auch die Beschäftigtenzahlen in vielen Teilsektoren der Dienstleistungen (häufig mit absolut höherem Zuwachs als bei den industriellen Teilsektoren und den technologie-bezogenen Diensten). Bei der hier vorgenommenen Analyse von regionalen Entwicklungspfaden geht es jedoch nicht um die überkommenen und zunehmend nichtssagenden Vergleiche der Beschäftigtenzahlen von Industrie und Dienstleistungen, sondern um die spezifische Profilierung der Entwicklung wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten im Vergleich der europäischen Stadtregionen. Im Bezugsraum der EU-Stadtregionen sind die unterschiedlichen Profilierungen der Entwicklung anders zu identifizieren als im Bezugsraum einzelner Stadtregionen oder im Vergleich ausgewählter Stadtregionen eines bestimmten nationalen Wirtschaftsraumes. Angesichts der heutigen inter-regionalen Wettbewerbsverhältnisse ist der Bezugsraum EU der eigentlich relevante Rahmen für die Analyse der Ausdifferenzierung von regionalen Entwicklungspfaden. Der Entwicklungspfad (bzw. Pfad-Typus) einer Stadtregion ist als spezifische Profilierung ihrer Entwicklung im EU-weiten Vergleich zu interpretieren. Werden die Pfad-Typen (Entwicklungsrichtungen) der Großstadtregionen und Metropolräume mit ihrem jeweiligen Profil-Typus kombiniert (d. h. mit der jeweiligen RegioPol eins 2008 26 Abbildung 3: Entwicklungspfade europäischer Großstadtregionen und Metropolräume im Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft Pfad-Typus (Entwicklungsrichtung 1997 bis 2005) Profil-Typus (Ausgangskonstellation 1997) 0 1 2 3 3 Berlin, Birmingham, Florenz, Leipzig, Lyon, Mailand, Prag London, Paris, Hamburg, FrankfurtM., Düsseldorf, Madrid, Hannover, Mannheim Barcelona, Manchester, München 2 Kopenhagen, Rom, Warschau, Lissabon Amsterdam, Athen, Bordeaux, Brüssel, Marseille, Neapel, Palermo Sevilla, Wien 1 Stuttgart, Poznan, Ljubljana Bremen, Budapest, Glasgow, Nürnberg, Strasbourg, Toulouse, Turin Bilbao, Katowice, Nantes, Stockholm 0 Helsinki, Gdansk, Krakau, Lodz, Wroclaw Genua, Newcastle, Valencia, Zaragoza Bratislava, Dublin, Göteborg Profil-Typus: 0 Zentren mit gering profilierter Struktur 1 Etablierte Zentren wissensintensiver Industrien 2 Etablierte Zentren wissensintensiver Dienstleistungen 3Etablierte Zentren wissensintensiver Industrien und Dienstleistungen zugleich Ausgangskonstellation im Jahre 1997), ergibt sich ein differenziertes Bild der Entwicklungsdynamik im Stadtsystem Europas (siehe Abb. 3), das von überkommenen Trendbeschreibungen abweicht. Nach der zusammenfassenden Darstellung (Abb. 3) umfasst das europäische Stadtsystem heute Stadtregionen wie London und Paris, die sich – von der Ausgangskonstellation eines etablierten Zentrums wissensintensiver Industrien und Dienstleistungen herkommend – auf einem Entwicklungspfad bewegen, der von einem Schrumpfungsprozess der Industrieaktivitäten und starken Zuwachs im Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen geprägt ist. Diese Konstellation darf aber nicht einfach zum prägenden Entwicklungsmodell „der“ Metropolräume Europas schlechthin verallgemeinert werden. Für eine Stadt wie Berlin z. B. wäre eine Zuordnung zu einem Entwicklungspfad wie im Falle Londons, Pfad-Typus: 0 Entwicklung ohne profilierte Pfadausrichtung 1 Wissensintensive Industrien und technologie bezogene Dienste profilieren den Entwicklungspfad 2 Wissensintensive Dienstleistungen profilieren den Entwicklungspfad 3 Kombiniertes Wachstum von wissensintensiven Industrien und Dienstleistungen Paris und Madrids ein problematisches Zeichen, denn der Entwicklungspfad von London oder Paris dürfte für Berlin kaum tragfähig sein. So ist auch die Zuordnung der Metropolregion Rhein-Ruhr und der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen zu dem von Dienstleistungen geprägten Pfad eher ein Resultat von Arbeitsplatzverlusten in forschungsintensiven Industrieakti vitäten (1997 bis 2005) als ein Anzeichen für einen positiven Bedeutungszuwachs im Kreise führender Dienstleistungszentren des europäischen Stadtsystems. Bedauerlicherweise hat die simplifizierende Vorstellung, dass „die“ Metropolen Europas durchgehend auf dem Weg zur Profilierung als „Dienstleistungsmetropolen“ seien, zumindest in Deutschland jahrzehntelang die Stadt- und Regionalforschung geprägt und dabei den Blick auf die mögliche Ausdifferenzierung von Entwicklungspfaden weitgehend verstellt. Wissensökonomie 27 Einige Stadtregionen haben im Strukturwandel ihre Stärken erweitert, indem sie sowohl bei den wissensintensiven Industrieaktivitäten wie auch bei den wissens intensiven Dienstleistungen eine deutlich positive Beschäftigungsdynamik erreicht. Zweifellos gibt es im Stadtsystem der EU Stadtregionen, die vom wirtschaftsstrukturellen Profiltypus eines etablierten Zentrums forschungsintensiver Industrien herkommend im Untersuchungszeitraum auf einen von wissensintensiven Dienstleistungen dominierten Entwicklungspfad übergegangen sind, wie z. B. Glasgow, Nürnberg, Strasbourg, Toulouse und Turin. Demgegenüber ist aber eine Reihe von Großstadtregionen und Metropolräumen der EU von einer genau umgekehrten Entwicklungsrichtung gekennzeichnet: Stadtregionen, die vom Profiltypus eines etablierten Zentrums wissensintensiver Dienstleistungen ausgehend sich auf einen von wissensintensiven Industrien und technologiebezogenen Dienstleistungen geprägten Entwicklungspfad hin orientieren. Dazu gehören z. B. Kopenhagen, Rom und Lissabon. Ferner gibt es im Stadtsystem Europas auch Stadtregionen wie Helsinki, Lodz und Wroclaw, die sich von einem eher „diffusen“ wirtschaftsstrukturellen Profil-Typus auf einen von wissensintensiven Industrieak tivitäten geprägten Entwicklungspfad hin orientieren. Etliche Stadtregionen haben im Untersuchungszeitraum eine Entwicklungsrichtung eingeschlagen, die vom kombinierten Wachstum forschungsintensiver Industrieaktivitäten und wissensintensiver Dienstleistungen gekennzeichnet ist (Pfad-Typ 3): Dazu gehören die Stadtregionen Wien und Sevilla, die in der Ausgangskonstellation von 1997 als etablierte Zentren wissensintensiver Dienstleistungen einzustufen waren, und die Stadtregionen Bilbao, Nantes, Stockkolm, die in der Ausgangskonstellation als etablierte Zentren forschungsintensiver Industrien und technologiebezogener Dienste zu charakterisieren waren. All diese Stadtregionen haben im Strukturwandel sozusagen ihre Stärken erweitert, indem sie sowohl bei den wissensintensiven Industrieaktivitäten wie auch bei den wissensintensiven Dienstleistungen eine deutlich positive Beschäftigungsdynamik im europaweiten Vergleich der Stadtregionen erreichten. Darüber hinaus haben die Stadtregionen Dublin, Göteborg und Bratislava – von einem eher „diffusen“ Profil ausgehend – seit 1997 den „kombinierten Entwicklungspfad“ eingeschlagen. Weitere relevante Konstellationen umfassen Stadtregionen, bei denen Profil-Typus und Entwicklungspfad gleichgerichtet sind, d. h. ein bestimmtes wirtschaftsstrukturelles Profil im Untersuchungszeitraum weiter ausgebaut bzw. stärker akzentuiert wurde (z. B. Stuttgart und Poznan bei den forschungsintensiven Industrien; Athen, Brüssel und Amsterdam bzw. die Randstad Holland bei den wissensintensiven Dienstleistungen). Alle der einbezogenen Stadtregionen weisen im gegenwärtigen Strukturwandel einen erkennbaren Schwerpunkt der Entwicklungsrichtung auf (sodass keine Stadtregion dem Typus eines „diffusen“ Entwicklungspfades zuzuordnen war). Die meisten Metropolräume des europäischen Stadtsystems (wie z. B. Paris, Mailand, Barcelona, Madrid, Frankfurt-Main, München, Berlin, Hamburg) waren 1997 nach ihrem Profil-Typus als etablierte Zentren wissens intensiver Industrien und Dienstleistungen zugleich einzustufen. Seit 1997 haben sich viele dieser Stadtre gionen – mit Ausnahme von Barcelona, München und Manchester/Liverpool/Leeds, die ihren Profiltyp „weiter akzentuiert“ haben – in verschiedene Richtungen entwickelt, d. h. entweder einen von wissensintensiven Dienstleistungen geprägten Entwicklungspfad eingeschlagen oder einen von forschungsintensiven Industrien und technologiebezogenen Dienstleistungen bestimmten Entwicklungspfad. Auf dem „Dienstleistungspfad“ befinden sich u. a. London, Paris, Hamburg, Frankfurt-Main und Madrid. Dem „industrie- bzw. technologiebezogenen Pfad“ können u. a. die Stadtregionen Mailand, Lyon, Florenz/Bologna, Birmingham, Berlin und Leipzig/Dresden/Chemnitz zugeordnet werden. Die Metropolregion „Sachsendreieck“ (Leipzig/Dresden/Chemnitz) ist dem industrie- bzw. technologiebezogenen Entwicklungspfad aufgrund des im europäischen Vergleich starken realen Beschäftigtenzuwachses im Bereich der „Medium High Technology“ Industrien und der technologiebezogenen Dienstleistungen und aufgrund der positiven Regionaleffekte auch im Bereich der „High Technology Industrien“ zuzuordnen. Nach den Ergebnissen einer „Shift-Analyse“ der Beschäftigtenentwicklung hatte die Region 2005 in diesen Industrien 3.216 Beschäftigte mehr als bei einer Entwicklung gemäß der EUdurchschnittlichen Wachstumsrate zu erwarten gewesen wäre; im Bereich der „Medium High Technology“ 28 RegioPol eins 2008 Industrien ist die positive Abweichung von der EU-durchschnittlichen Entwicklung sogar auf 15.765 Beschäftigte zu beziffern. Die Zuordnung der Metropolregion Berlin-Brandenburg zum industrie- bzw. technologiebezogenen Entwicklungspfad mag auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, da diese Region als ein von starken Deindustrialisierungsprozessen betroffenes Gebiet gilt. Tatsächlich ist die industrielle Basis von Berlin seit 1990 insgesamt stark geschrumpft. Die aktuelle Pfadtypisierung bezieht sich demgegenüber auf die im europäischen Vergleich durchaus positiven Entwick lungen im Bereich bestimmter forschungsintensiver Industrien und im Bereich technologiebezogener Dienstleistungen im Zeitraum 1997 bis 2005. So ist nach Ergebnissen der „Shift-Analyse“ in der Metropolregion Berlin bei den „High Technology“ Industrien eine positive Abweichung von der EU-durchschnittlichen Entwicklung um 2.082 Beschäftigte zu verzeichnen, und der positive Regionaleffekt bei den technologiebezogenen Dienstleistungen lässt sich auf 11.019 Beschäftigte beziffern. Die realen Beschäftigungszuwächse der Metropolregion Berlin-Brandenburg bei den marktbezogenen Unternehmensdiensten sind demgegenüber im europäischen Vergleich als ein unterdurchschnittliches Wachstum ausgewiesen. Die Pfadtypisierung für Berlin-Brandenburg macht deutlich, dass diese Metropolregion im Zeitraum 1997 bis 2005 ihr Potenzial als Zentrum wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten weiter ausgebaut und dabei im europäischen Vergleich vor allem bei forschungsintensiven Industrieaktivitäten sowie technologiebezogenen Dienstleistungen eine positive Entwicklungsdynamik entfalten konnte. Die Pfadtypisierung europäischer Metropolregionen bezieht sich hier wie gesagt auf die spezifische Profilierung einer Region im Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft. Die Ausdifferenzierung von Entwicklungspfaden im Stadtsystem Europas macht zusammenfassend deutlich, dass die wissensintensiven Dienstleistungen keineswegs die allein bestimmende Komponente im Strukturwandel zur „knowledge economy“ sind und dass die forschungsintensiven Industrien ein ebenso prägender Bestandteil dieses Prozesses sind. Die Expansion der wissensintensiven Dienstleistungen bestimmt den Entwicklungspfad von Metropolregionen wie London, Paris, Madrid, Amsterdam, Frankfurt-Main, Hamburg u. a. Der Ausbau wissensintensiver Industrien und technologiebezogener Dienste charakterisiert demgegenüber den Entwicklungspfad bedeutender Großstadtregionen in Italien, Frankreich, Süddeutschland, Ostdeutschland und in Polen. Selbst im sogenannten Kernraum der EU (dem Fünfeck London, Paris, Mailand, München, Hamburg) ist der von wissensintensiven Dienstleistungen bestimmte Entwicklungspfad nicht das einzig erkenn bare Entwicklungsmodell. Die Mehrheit der Großstadtregionen und Metropolräume der EU ist durch einen Entwicklungspfad gekennzeichnet, bei dem die Dynamik im Bereich forschungsintensiver Industrieaktivitäten und technologiebezogener Dienste eine erhebliche Rolle spielt (d. h. die Entwick- lungspfade 1 und 3). Dies trifft für insgesamt 31 Großstadtregionen und Metropolräume aus dem Kreis von zusammen 57 hier untersuchten Regionen zu (darunter Pfad 1 mit 19 Fällen, Pfad 3 mit 12 Fällen), wohingegen ein von wissensintensiven Dienstleistungsaktivitäten dominierter Entwicklungspfad bei 26 der untersuchten Großstadtregionen und Metropolräume identifiziert wurde (vgl. Abb. 3, in der die Stadtregionen nach Pfad typen spaltenweise summiert werden können). Bei einem Drittel von 57 Stadtregionen wird die Profilierung des Entwicklungspfades ganz spezifisch von der positiven Dynamik im Bereich forschungsintensiver Industrien und technologiebezogener Dienstleistungen bestimmt. Dieser Befund ist für die strategische Ausrichtung der wirtschaftlichen Entwicklungspolitik europäischer Stadtregionen relevant, die in vielen Fällen schlecht beraten wären, ihre Entwicklungspolitik einseitig auf den Ausbau zu „Dienstleistungszentren“ zu konzentrieren. 3. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen In diesem Beitrag wurden die dominanten wirtschaftlichen Entwicklungszentren im EU-Raum als dynamische Großstadtregionen und Metropolräume charakterisiert, in denen sich die wissensintensiven Dienstleistungen und forschungsintensiven Industrieaktivitäten konzentrieren. Da sich im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels in Richtung auf einen Bedeutungszuwachs der wissensintensiven Wirtschaftsaktivitäten die Wirkungskräfte der räumlichen Agglomeration tendenziell verstärken, wird die wirtschaftsräumliche Struktur Europas heute weithin von einer „Metropolisierung“ von wirtschaftlichen Entwicklungs- und Innovationspotenzialen geprägt. Die Metropolisierung wird dabei vorrangig auf die selektive Konzentration der Potenziale wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten im Stadtsystem Europas bezogen. Dabei wurde die wissensintensive Wirtschaft als ein trans-sektoraler Querschnittsbereich betrachtet, der sowohl bestimmte Industriebranchen als auch bestimmte Dienstleistungszweige umfasst. Indem der Strukturwandel innerhalb der Industrie angemessen berücksichtigt wurde, d. h. der Bedeutungsgewinn forschungsintensiver Branchen innerhalb der Industrie der EU-Mitgliedsländer, sollte die Untersuchung auch zur Korrektur von sektoral einseitigen Perspektiven regionalwirtschaftlicher Analyse beitragen, die häufig den sogenannten Dienstleistungssektor in den Vordergrund der Betrachtung rücken. Es bringt wenig Erkenntnisfortschritte, die Großstadtregionen und Metropolräume zusammenfassend als Zentren wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten im Regionalsystem darzustellen. Vielmehr zeichnen sich die Großstadtregionen und Metropolräume Europas durch unterschiedliche Profile bzw. spezifische Branchenschwerpunkte auch im Bereich der wissensinten siven Wirtschaft aus. Darüber hinaus wurden in der A nalyse die unterschiedlichen Entwicklungspfade der Wissensökonomie Großstadtregionen und Metropolräume Europas im Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft herausgearbeitet. Im Ergebnis zeigt sich, dass die wissensintensiven Dienstleistungen keineswegs die allein bestimmende Komponente im Strukturwandel zur „knowledge economy“ sind, sondern dass die forschungsintensiven Industrien ein ebenso prägender Bestandteil dieses Prozesses sind. Die Expansion der marktbezogenen Unternehmensdienste und Finanzdienstleistungen bestimmt den Entwicklungspfad von Metropolregionen wie London, Paris, Madrid, Amsterdam, Frankfurt-Main und Hamburg. Der Ausbau wissensintensiver Industrien und technologiebezogener Dienste charakterisiert den Entwicklungspfad bedeutender Großstadtregionen in Italien, Frankreich, Süddeutschland, Ostdeutschland und in Polen. Die Mehrheit der Großstadtregionen und Metropolräume der EU ist durch einen Entwicklungspfad gekennzeichnet, bei dem die Dynamik im Bereich forschungsintensiver Industrieaktivitäten und technologiebezogener Dienste eine erhebliche Rolle spielt. Dieser Befund unterstreicht, dass für die Mehrzahl der Großstadtregionen und Metropolräume Europas die wissensintensiven Industrieaktivi täten nach wie vor eine bedeutende und entwicklungs fähige ökonomische Basis darstellen, sodass eine aktive industrielle Entwicklungspolitik der Großstadtregionen und Metropolräume nach wie vor relevant ist. Quellen Blotevogel, H.-H. (1998): Europäische Metropolregion Rhein-Ruhr. Theoretische, empirische und politische Perspektiven eines neuen raumordnungspolitischen Konzepts. Hrsg.: ILS, Dortmund: ILS Braczyk, H.-J./Cooke, Ph./Heidenreich, M. (Hg.) (1998): Regional Innovation Systems. The Role of Governances in a globalized World. London: UCL Press Cooke, Ph. (2002): Knowledge Economies. Clusters, Learning and Cooperative Advantage. London: Routledge Cooke, Ph./de Laurentis, C./Tödtling, F./Trippl, M. (2007): Regional Knowledge Economies. Cheltenham: Edward Elgar Eurostat (Hg.): Regio Database. http://www.europa.eu.int/comm/eurostat/ IKM Initiativkreis Europäische Metropolregionen in Deutschland (Hg.) (2006): Europäische Metropolregionen in Deutschland. Ansatz – Akteure – Aktivitäten. Stuttgart Krätke, S. (2007): Europas Stadtsystem zwischen Metropolisierung und Globalisierung. Profile und Entwicklungspfade der Großstadtregionen Europas im Strukturwandel zur wissensintensiven Wirtschaft. Münster, Hamburg, London: LIT Krätke, S. (2005): Wissensintensive Wirtschaftsaktivitäten im Regionalsystem der Bundesrepublik Deutschland. Clusterpotenziale und Beitrag zur regionalen Wirtschaftsleistung. In: Kujath, H.-J. (Hg.): Knoten im Netz. Zur neuen Rolle der Metropolregionen in der Dienstleistungswirtschaft und Wissensökonomie. Münster, Hamburg, London: LIT, 159 – 202 Kujath, H.-J. (Hg.) (2005 a): Knoten im Netz. Zur neuen Rolle der Metropolregionen in der Dienstleistungswirtschaft und Wissens ökonomie. Münster, Hamburg, London: LIT Kujath, H.-J. (2005 b): Deutsche Metropolregionen als Knoten in europäischen Netzwerken. In: Geographische Rundschau 3/2005, 20 – 28 Lo, V./Schamp, E.W. (Hg.) (2003): Knowledge, Learning, and Regional Development. Münster, Hamburg, London: LIT Moreno, R./Paci, R./Usai, St. (2006): Innovation Clusters in the European Regions, in: European Planning Studies, Vol. 14 (9), 1235 – 1264 Raspe, O./van Oort, F. (2006): The Knowledge Economy and Urban Economic Growth, in: European Planning Studies, Vol. 14 (9), 1209 – 1234 29 30 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 31 Walter Siebel Talent, Toleranz, Technologie Kritische Anmerkungen zu drei neuen Zauberworten der Stadtpolitik O ldenburg in Oldenburg wird 2009 den stolzen Titel „Stadt der Wissenschaft“ tragen. Die Stadt hat sich dazu einen Slogan gewählt, den Richard Florida propagiert hat: Talente, Toleranz, Technologie. Nun gehört Toleranz zu den Wesensmerkmalen urbaner Milieus und Städte waren immer Orte, wo das Neue in die Welt kam, weit mehr als ländliche Regionen und große Städte mehr als kleine. Aber woran liegt das, was macht Städte zu Zentren von Innovation und Kreativität? Im Folgenden wird die eher banale Antwort kritisiert, die Florida (2002) auf diese Frage gibt (I), dann werden ei nige tiefer reichende Erklärungen diskutiert (II) und zum Schluss soll auf die prekären Zusammenhänge von Ur banität und Kreativität eingegangen werden (III). 1. Floridas Dreifaltigkeit Die Frage nach den Gründen für die Innovationskraft von Städten scheint einfach zu beantworten: Erstens sind Städte die bevorzugten Standorte der Institutionen, in denen Neues produziert wird – Universitäten, Forschungseinrichtungen, innovative Betriebe, Galerien und Theater. Städte sind zweitens seit jeher die bevorzugten Ziele von Migration und damit Orte, in die neue Ideen von außerhalb importiert werden. Schließlich drittens, und das ist die Antwort, die Florida gibt, sind Städte Orte der Innovation, weil in ihnen hoch quali fizierte Menschen leben, die Angehörigen seiner „krea tiven Klasse“. Kurz: Städte sind kreativ, weil in ihnen k reative Menschen wohnen, weil sie Standort kreativer Betriebe und Importeure neuer Ideen sind. Floridas Argumentation kurzgefasst lautet: Die Betriebe der Wissensökonomie (Technologie) sind angewiesen auf die besonderen Fähigkeiten der sogenannten Kreativen, worunter Florida hoch qualifizierte Arbeitskräfte der Wissensökonomie versteht (Talent). Diese bevorzugen als Lebensumwelt offene, urbane Milieus (Toleranz). F loridas Dreifaltigkeit von Technology, Talent und Tolerance, seine drei T, als Erklärung für die Stadt als Ort der Innovation ist insofern richtig, als sich die Betrieb Straßenkünstler auf der Rambla, Barcelona be der Wissensökonomie in der Tat in Städten konzentrieren und insbesondere die der Kreativwirtschaft auf die Zentren. Zahl und Dichte der Betriebe der Kreativwirtschaft sind am höchsten im Zentrum und sinken zum Stadtrand hin (Ebert/Kunzmann 2007, 67), und wo ihre Arbeitsplätze sich konzentrieren, sind plausiblerweise auch die hoch qualifizierten Arbeitskräfte zu finden. Florida kehrt allerdings die Kausalität um: die Kreativen entscheiden sich für die Städte, weil sie dort leben wollen, und die Betriebe der Wissensökonomie, weil sie auf diese Arbeitskräfte angewiesen sind, müssen ihnen dahin folgen: Jobs to people, nicht people to jobs. Was die Kreativen in die Städte, insbesondere in bestimmte Städte zieht, ist ein tolerantes, abwechslungsreiches, urbanes Milieu. Die Urbanität einer Stadt wird damit als weicher Standortfaktor begriffen, als ein unverzicht bares Element der gehobenen Konsumansprüche hoch qualifiz ierter Arbeitskräfte. Florida betont zu Recht die Attrakt iv ität einer urbanen Stadt für hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Sie sind die Träger der in der Wissens ökonomie entscheidenden Produktivkraft. Deshalb empfiehlt er jedem Stadtpolitiker, die besonderen Qua litäten urbaner Milieus zu stärken, um das scheue Wild der Kreativen auf den eigenen Acker zu locken. An dieser Argumentation ist vielfältige Kritik geübt worden: n Nichts Neues: Florida bietet nur einen gut formulierten Neuaufguss von Erkenntnissen, die von anderen (Bell, Reich) und in der Wertwandelforschung schon vor langer Zeit formuliert worden sind (Göschel 2007). Dass eine Region ein attraktives urbanes Milieu bieten müsse, um in der modernen Gesellschaft konkurrenzfähig zu sein, war schon 1989 die Ausgangsthese für die Erneuerung des Ruhrgebiets durch die Internationale Bauausstellung Emscher-Park. Außerdem sind die Kreativen in einem sehr viel unmittelbareren Sinne Quelle ökonomischer Gewinne. Sie prägen eine kulturelle Szene, die wiederum attraktive Adressen macht, was nicht ohne Einfluss auf Immobilienpreise bleibt. Diesen Zusammenhang nutzen clevere 32 RegioPol eins 2008 I mmobiliendeveloper. Sie locken Musiker, Künstler, Studenten mit allenfalls symbolischen Mieten in Bestände an abgelegene Standorte, die aus der öffent lichen Wahrnehmung herausgefallen und also vergleichsweise wertlos sind. Indem diese Kreativen dort eine „Szene“ schaffen, rückt der Standort wieder in das Gesichtsfeld der städtischen Öffentlichkeit, es wird schick, dort hinzugehen, später auch, dort zu wohnen und zu arbeiten, die Preise steigen, man schmeißt die Kreativen wieder raus und verkauft mit Gewinn. Unter Bedingungen einer wachsenden Nachfrage kaufkräftiger Gruppen nach Urbanität wird die Stadt zur Wechselstube, wo kulturelles Kapital in ökonomisches umgewandelt werden kann. n Halbwahrheiten: Florida definiert seine kreative Klasse sehr weit: Neben dem „kreativen Kern“, zu dem er Wissenschaftler und Ingenieure, Professoren, Dichter, Schriftsteller, Künstler, Entertainer, Schauspieler, Designer, Architekten, Sachbuchautoren, Verleger, Kulturarbeiter, Politikberater, Meinungsmacher und Analysten rechnet, gehören zur „kreativen Klasse“ die professionellen Arbeitskräfte in einem weiten Bereich von Betrieben des High-Techsektors, des F inanzsystems, des Rechts- und des Gesundheits wesens sowie des Managements. Florida behauptet nun, dass dieses Sammelsurium von sehr unterschiedlich qualifizierten Mittelschichtsangehörigen eine Klasse bilden, die ähnliche Funktionen in der Wissensökonomie erfüllen, aus denen wiederum gleiche soziale und kulturelle Werte, Konsumweisen und soziale Identitäten folgen (Florida 68f). Aber den Beweis für diese Homogenität bleibt er schuldig. Die Milieuforschung hat gerade innerhalb der Mittelschicht weitreichende Differenzierungen in den Präferenzen und Lebensweisen zwischen eher tra ditionell und avantgardistisch orientieren Milieus nachgewiesen. Entscheidend für die Wohnstandortwahl innerhalb der Stadt oder in Suburbia ist, ob jemand die traditionelle Lebensweise der Zwei-Generationenfamilie gewählt hat oder eine nicht-familiale Lebensweise. Es dürfte eine ganze Menge von Managern, Professoren, Medizinern, etc. geben, die im Einfamilienhaus draußen vor der Stadt ganz zufrieden sind. Außerdem stimmt Florida’s These vom Zusammenhang zwischen seinen drei T’s und ökonomischem Wachstum nicht. Das höchste Wachstum gemessen an der Zahl der Arbeitsplätze, der Bevölkerung und der Formierung großer Unternehmen findet in Städten mit massiver Suburbanisierung, niedrigen Steuern und einem freundlichen Geschäftsklima wie Las Vegas und Memphis statt: nicht Talent, Techno logy and Tolerance, sondern skills, sun and sprawl (Malaga und Glaeser nach Peck 2005, 14). n Sozialpolitisch blind: Florida vertritt nur netter formuliert eine neoliberale Position, wenn er Flexibilität und Selbstverantwortung als die Maximen der Krea tiven anpreist. Seine stadtpolitischen Empfehlungen sind nur eine Modernisierung und Erweiterung der klassischen Maßnahmen zur Aufwertung und Gentri fizierung der Innenstädte. Florida’s Angebotspolitik richtet sich an andere Adressaten, nicht mehr primär an die Investoren, sondern an bestimmte Typen von Arbeitskräften, und empfiehlt andere Lockmittel, nicht mehr harte Standortfaktoren wie Autobahnanschlüsse und billige Gewerbeflächen, sondern weiche wie Jazzkeller und urbane Toleranz. Aber die Angebote, wie alle angebotsorientierte Politik begünstigen jene, die sich Mobilität leisten können und die Alternativen auf dem Markt finden. Damit – so Peck (2005) – vernachlässigt Florida systematisch die negativen Seiten dieser Entwicklung, nämlich die komplementäre Zunahme von schlecht bezahlten, niedrig qualifizierten und unsicheren Arbeitsplätzen in den personenbezogenen Dienstleistungen, durch die erst die Voraussetzungen für den aufwendigen Lebensstil der Kreativen geschaffen werden, kurz: Er übersieht die soziale Polarisierung der Stadt, wie sie als Folge von Gentrifizierung, Dienstleistungsökonomie und Globalisierung auftritt. 2. Die Stadt als Ort des Innovativen Florida’s Argumentation ist empirisch allenfalls halbwahr. Aber sein Erfolg ist wohl nicht zuletzt gerade damit auch zu erklären. Angesichts einer großzügigen Begrifflichkeit kann sich jeder, der eine höhere Schulbildung genossen hat, zu den Kreativen rechnen, und wer täte das nicht gerne, erst recht, wenn daraus folgt, dass sich die Stadtpolitik besonders um ihn kümmern müsse. Und dem Stadtpolitiker bietet er praktische Empfehlungen, die innerhalb des Handlungsspielraums städtischer Politiken umgesetzt werden können, eine wahlentscheidende Mittelschicht begünstigen und scheinbar keine negativen Nebenfolgen haben. Damit könnte man es belassen. Hier aber soll weiter auch nach dem theoretischen Gehalt gefragt werden: Trägt Florida etwas zu der Frage bei, warum Städte Zentren von Innovationen sind? Um es vorweg zu nehmen: wenig, um nicht zu sagen gar nichts, denn nach seiner Argumentation ist nicht die soziale Tatsache Stadt selber kreativ, sondern allein ihre Bewohner. Die Stadt ist nur deren bevorzugtes Umfeld. Florida banalisiert Urbanität zum konsumierbaren Am biente einer kaufkräftigen und anspruchsvollen Schicht von höher qualifizierten Dienstleistungsbeschäftigten. Aber einmal abgesehen davon, ob sie zurecht als kreative Klasse bezeichnet werden: Dass Städte Zentren von Innovation sind, weil in ihnen innovative Menschen leben, ist eine recht überraschungsfreie Antwort auf die Frage nach den Gründen städtischer Kreativität. Die Stadt wäre damit nicht als eine eigenständige Quelle von Innovation begriffen, sondern nur als ein Standort, an dem sich die kreativen Arbeitskräfte konzentrieren, anders gesagt. Die Innovation kommt von der Kreativität, wie die Armut von der Povertè kommt. Nun ist die Frage, was die Stadt zu einer eigenständigen Quelle des Neuen macht, heute nicht mehr so leicht zu beantworten wie im Mittelalter. Damals gab es eine Wissensökonomie Eine hoch differenzierte Arbeitsteilung ist eine entscheidende Bedingung von Produktivität. Das ist gerade in der Kreativwirtschaft und der Kulturproduktion zu beobachten. besondere Stadtkultur, die in einem höchst ambivalenten Verhältnis zum Land stand: zugleich in revolutio närer Spannung und in funktionalem Austausch. Max Weber hat die europäische Stadt als einen Fremdkörper in der Gesellschaft des Mittelalters bestimmt. Sie war als marktförmig organisierte Ökonomie und demokratisch verfasste Politik das ganz Andere des feudalistischen Herrschaftssystems und der Selbstversorgungswirtschaft des „Ganzen Hauses“ auf dem Land. Die europäische Stadt des Mittelalters ist für Weber der neben dem Protestantismus entscheidende Grund, weshalb sich nur in Europa Kapitalismus, Demokratie und rationales Recht, also die moderne Gesellschaft entwickeln konnten. Heute ist der Stadt das Land als ihr gesellschaftliches Gegenüber abhanden gekommen. In einer vollständig urbanisierten, demokratisch verfassten und marktförmig organisierten Gesellschaft wie der europäischen, so ließe sich argumentieren, werde auch die Qualität der Stadt, ihre Urbanität, zum ubiquitären Phänomen. Damit verlöre Stadtkultur ihre qualitative Besonderheit, die produktive Spannung der Stadt zum Land löst sich auf in einem mehr oder weniger vom Gleichen, allenfalls wäre die kulturelle Produktivität der großen Stadt etwas größer und etwas besser als die in Kleinstädten oder auf dem Land. Stimmt das? Die erste Antwort auf die Frage nach der besonderen Produktivität der Stadt hat Georg Simmel gegeben: Es sind die auf der Hand liegenden Merkmale, die eine städtische Siedlung vom Land unterscheiden: Größe, Dichte und Heterogenität der Bevölkerung. Die schiere Zahl der Menschen bedingt, dass noch das ausgefallenste Kulturangebot eine ökonomisch tragfähige Nachfrage findet und umgekehrt noch das eigenartigste Bedürfnis seine Befriedigung erfährt. Wenn jeder tausendste Stadtbewohner ein Avantgarde-Konzert besucht, so kommen in einer Millionen-Stadt tausend Menschen zusammen, in einer Kleinstadt von Zehntausend aber nur zehn. In der großen Stadt kann sich ein weitgefächertes kulturelles Angebot entfalten. Das wiederum treibt eine entsprechende Bildung des Publikumsgeschmacks voran. Es entsteht ein positiver Kreislauf gegenseitiger Differenzierung von Angebot und Nachfrage. Tritt zur Größe noch die Dichte der Großstadt, so wächst die Chance zur Spezialisierung bei Betrieben und Arbeitskräften, d. h. die Chance zu mehr Heterogenität, denn Größe und Dichte der Stadtbevölkerung treiben die Arbeitsteilung voran. Eine hoch differenzierte Arbeitsteilung aber ist eine entscheidende Bedingung von Produktivität. Das ist gerade in der Kreativwirtschaft und der Kulturproduktion zu beobachten. Sie ist durch kleine Betriebe und äußerst flexible und prekäre Beschäftigungsverhältnisse gekennzeichnet. Ihre Produktionen sind häufig nach dem Jam-Session-Modell organisiert: Für ein bestimmtes Vorhaben werden kurzfristig hoch spezialisierte A rbeitskräfte benötigt, die für eine beschränkte Zeit intensiv projektförmig zusammenarbeiten, um dann wieder auseinanderzugehen. Das ist nur möglich, wenn einerseits – aus Sicht der Betriebe – ein genügend dif ferenziertes Arbeitskräftepotenzial kurzfristig verfügbar ist, also möglichst viele Spezialisten in prekären A rbeitsverhältnissen, und andererseits – aus Sicht der Arbeitskräfte – eine genügend dichte Nachfrage nach ihren Leistungen besteht, also möglichst viele Betriebe mit kurzfristig zu bewältigenden Projekten. Nach dieser Argumentation korreliert die kulturelle Produktivität einer Stadt positiv mit der Größe, Dichte und Heterogenität ihrer Bevölkerung. In schrumpfenden Städten müsste demnach die kulturelle Produktivität sinken. Diese Korrelation aber ist nicht zwingend. Der Zusammenhang von kultureller Produktivität mit der Größe und Dichte einer Stadt kann durch andere Fak toren modifiziert werden. Bildung, Kaufkraft und Subventionen können den Rückgang der Bevölkerungszahl kompensieren. Ebensowenig zwingend ist der Zusammenhang mit dem Faktor Dichte. Dichte ist ein selten klar definiertes Konzept. Meist wird eine hohe Kontaktdichte kurzschlüssig mit physischer Dichte gleichgesetzt. Aber physische Nähe an sich sagt ebenso wenig aus über die Qualität der Kontakte, die dadurch ermöglicht werden, wie die Zahl der Einwohner etwas aussagt über die Qualität ihrer kulturellen Interessen. Physische Nähe ist unabdingbare Voraussetzung für bestimmte Kontakte, etwa Prügeleien oder Umarmungen, aber welchen Verlauf eine Begegnung nimmt, entscheidet sich nach den sozialen Kontexten, innerhalb derer sie zu stande kommt. Die Nachbarschaft bildungsorientierter 33 34 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie Migranten zu deutschen Grünalternativen mag produktive interkulturelle Diskurse auslösen, die zu deutschen Verlierern des ökonomischen Strukturwandels wird eher zu aggressiver gegenseitiger Abgrenzung führen. Zu unterscheiden ist die physische, die soziale, die kogni tive, die institutionelle und die organisatorische Dichte. In Konzepten des cluster building, des industrial districts oder des innovativen Milieus werden z. B. physische und organisatorische Dichte vermengt. Aber or ganisatorische Dichte kann die physische weitgehend überflüssig machen. Das wird eindrucksvoll durch den Erfolg multinationaler Unternehmen belegt, deren Zusammenhalt durch shared knowledge gewährleistet wird (Becker, 1996), Wissen, das im Falle solcher Unternehmen über die Organisation und nicht über physische Dichte geteilt wird. Größe, Dichte und Heterogenität sind notwendige, aber keine hinreichenden Erklärungen für eine besondere Produktivität von Stadt. Eine Kasernenstadt kann sehr groß und sehr dicht sein, sie ist dennoch kein Ort des Neuen. Armeen sind vollständig integrierte Institutionen, in denen jeder seinen Rang und seine Rolle kennt. Es fehlt die prinzipielle Offenheit sozialer Beziehungen, die unvollständige Integration, wie es Bahrdt genannt hat, die erst die Möglichkeit eröffnet, dass Neues ent stehen kann. Die frühen asiatischen und südamerika nischen Städte waren große und dicht bewohnte Siedlungen, aber sie waren rückwärtsgewandte Utopien, Abbild des ursprünglichen göttlichen Schöpfungsplans. Jeder Wandel ihrer sakralisierten Strukturen bedeutete, sich vom Heil des Ursprungs weiter zu entfernen. Das Neue war ihr Feind, nicht ihre Ratio wie in der europäischen Stadt. Es sind die von Weber formulierten Merkmale der europäischen Stadt, die aus Größe, Dichte und Heterogenität der Stadtbevölkerung erst Faktoren einer produktiven Stadtkultur machen: Markt, Demokratie und rationales Recht. Größe, Dichte und Heterogenität entfalten ihre produktiven Kräfte unter Bedingungen marktförmig organisierter Wirtschaft, demokratischer Politik und Rechtsstaatlichkeit. Unter diesen Bedingungen können Größe und Dichte die Arbeitsteilung vorantreiben und damit zu mehr Heterogenität und Differenz führen, was wiederum die urbane Lebensweise als die Kunst eines zivilisierten Umgangs mit Fremdheit notwendig macht. Das soll im Folgenden begründet werden. Bei Georg Simmel ist über Größe, Dichte und Heterogenität hinaus noch eine weitere Erklärung für die Kreativität von Stadt zu finden. Sie liegt in der Stadt als einem Ort, der systematisch die Chance und den Zwang zu kritischer Reflexion und damit zur Entstehung des Neuen produziert. Distanz ist eine Bedingung der Reflexion. Nietzsches Wanderer spricht: Man muss es „machen, wie es ein Wanderer macht, der wissen will, wie hoch die Türme einer Stadt sind: Dazu verlässt er die Stadt“ (Nietzsche 1955, 54). Wie Nietzsche hat auch Simmel (1992) an der Figur des Wandernden die Bedingungen produktiven Denkens dargestellt. Aber bei ihm, anders als bei Nietzsche, verlässt der Wandernde nicht die Stadt, sondern er kommt aus der Ferne in sie hinein. Heute b Camden Street, London 35 muss man in die Städte gehen, um Distanz zum konventionellen Denken zu gewinnen, denn Städte produzieren systematisch kritische Distanz. Einer dieser Mechanismen sind Wanderungsbewegungen. Städte sind von jeher die bevorzugten Ziele von Wanderungsbewegungen. Wanderer bringen Neues an einen Ort. Auch Simmel betont zunächst die Rolle des Fremden als Importeur von neuen Ideen. Aber wichtiger ist für ihn an der Figur des Fremden ein sozialstrukturelles Element, er nennt es die „Einheit von Nähe und Entferntheit“ (Simmel 1992, 765), die den Fremden zum „objektive(n) Mensch(en)“ werden lässt. Der Fremde, der der eigenen Kultur nicht mehr und der neuen noch nicht angehört, ist zur Reflexion zugleich gezwungen und befähigt: „Er ist der Freiere, praktisch und theoretisch, er übersieht die Verhältnisse vorurteilsloser, misst sie an allgemeineren, objektiveren Idealen und ist in seiner Aktion nicht durch Gewöhnung, Pietät, Antezedentien gebunden“ (daselbst 767). Bei Nietzsche ist es die heroische Leistung des einsamen Genies, das sich aus dem Alltag löst und so die Distanz gewinnt, die Vorbedingung jeder kritischen Reflexion ist: kritisches Denken als individuelle Begabung und Neigung. Simmel dagegen beschreibt eine soziale Rolle, d. h. eine sozialstrukturell definierte Chance, die zugleich einen Zwang zur Reflexion beinhaltet. Bei ihm ist der Zuwanderer „…der, der heute kommt und morgen bleibt“ (Simmel 1992, 764). Von woanders herkommend trägt er kritische Distanz in die Stadt hinein, da er als Fremder in ihr bleibt. In der Stadt ist „der Ferne nah … Der Fremde ist ein Element der Gruppe selbst“ (daselbst 765). Aber auch Simmels Migrant ist nur eine Form sozialstrukturell ermöglichter und erzwungener Reflexion. Moderne Gesellschaften produzieren aus sich heraus jene Distanz, die der Intellektuelle Nietzsches im heroischen Schritt aus der vertrauten Stadt heraus für sich erobert und die dem Simmel’schen Migranten beim nicht minder mutigen Schritt in eine fremde Stadt hinein aufgenötigt wird. Das grün-alternative Studentenmilieu, das Milieu der deutschen Oberschicht, die verschiedenen Subkulturen von Jugendlichen und die Reste des traditionellen Arbeitermilieus, sie alle sind Milieus von Einheimischen, aber sie dürften sich gegenseitig mit mindestens ähnlicher Befremdung wahrnehmen wie ein deutscher Industriearbeiter seinen türkischen Kollegen. Heutige Großstädte lassen sich definieren als Orte, an denen Fremde wohnen. Nur auf dem Dorf gibt es keine Fremden. Städte produzieren strukturell soziale und kulturelle Distanzen. Der Fremde ist der prototypische Städter. Im öffentlichen Raum der Stadt begegnet jeder, auch der Einheimische, dem andern als ein Fremder. Wenn aber Fremdheit und Differenz nicht erst durch Migration in eine Stadt und damit in die Gesellschaft importiert, sondern aus der Gesellschaft heraus ständig produziert werden, müssen moderne Gesellschaften auch vor aller Migration Mechanismen entwickeln, um mit Fremdheit und Differenz umzugehen. Wie schaffen es moderne Gesellschaften, bei andauernder Produktion von Differenz und wechselnden Fremdheiten nicht nur 36 RegioPol eins 2008 Moderne Gesellschaften werden nicht durch Homogenität integriert, sondern durch die Fähigkeit, Differenz auszuhalten. halbwegs konfliktfrei, sondern sogar produktiv zu funktionieren? Anders gesagt: Wie wird in modernen Gesellschaften Integration geleistet und was gewährleistet in der Stadt als einem Ort des Zusammenlebens von Fremden den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft in einer Weise, dass Differenz nicht vernichtet wird? Moderne Gesellschaften werden nicht durch Homogenität integriert, sondern durch die Fähigkeit, Differenz auszuhalten. Dazu haben moderne Gesellschaften vier Mechanismen der Integration entwickelt, deren Logik durchweg auf der Dethematisierung von Differenz beruht, auf der Fähigkeit, systematisch von Differenz ab zusehen. Es sind das der Markt, das Recht, die Demo kratie und die urbane Lebensweise. Der Markt ist farbenblind. Auf ihm zählen allein marktfähige Res sourcen: Geld, nachgefragte Waren und Qualifikation. Religion, politische Überzeugung und soziale Herkunft werden systematisch ausgeblendet. Auch Justitia ist blind. Vor dem Gesetz sind alle Bürger gleich, unabhängig von Macht und Geld. Das Recht macht sich sogar mittels Antidiskriminierungsgeboten und Gleichbehand lungsgesetzen zum Wächter der Neutralität in anderen gesellschaftlichen Sphären. Am demokratischen Prozess wiederum kann jeder teilnehmen, der die Bürgerrechte besitzt und die Verfassung achtet. Seine soziale Herkunft und ökonomische Potenz zählen nicht: one man one vote. Und schließlich begegnet jeder dem anderen im öffentlichen Raum der Stadt mit urbaner Indifferenz. Ob der Fremde zuhause im Koran liest oder atheistische Pamphlete verfasst, erfährt man gar nicht erst. Die von Simmel mit den Begriffen Distanziertheit, Blasiertheit, Gleichgültigkeit und Intellektualität beschriebene urbane Lebensweise, die urbane Indifferenz des gelernten Großstädters, seine Fähigkeit, die Fremdartigkeit des Fremden gleichsam systematisch zu übersehen, ist die Vorbedingung für das Nebeneinander der unterschiedlichsten Fremdheiten in der modernen Großstadt. Die urbane Lebensweise ist eine Bedingung für Stadt als Ort, wo „… man ohne Angst verschieden sein kann“ (Adorno 1964, 131). So ist es in der Theorie. In der Wirklichkeit nehmen die Systeme Markt, Demokratie, Recht und Stadt keineswegs nur die sie jeweils funktional interessierenden Eigenschaften eines Individuums wahr und sehen von allem anderen systematisch ab. Aber das ist kein durchschlagender Einwand. Entscheidend ist, dass die Dethematisierung von Differenz in der Logik dieser vier Systeme liegt, d. h. dass sie umso besser funktionieren, je weniger sie diskriminieren. Ein Markt, der die Besitzer markt fähiger Güter aufgrund etwa rassistischer Vorurteile von der Teilnahme am Marktgeschehen ausschließt, erzielt keine optimalen Ergebnisse, ein politischer Prozess, der die Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen systematisch vernachlässigt, wird auf Dauer erhebliche Konflikte produzieren, ein Rechtssystem, in dem Reichtum Recht verschaffen kann, zerstört seine Legitimität, und eine Stadt ohne die Blasè-Attitude des gelernten Großstädters würde in Chaos versinken. Doch nicht jeder Städter verfügt über die Fähigkeit zu urbaner Indifferenz. Um sich so verhalten zu können, sind ökonomische, soziale und psychische Unabhängigkeit vorausgesetzt. Wer auf andere angewiesen ist, kann sich eine blasierte Attitude ihnen gegenüber nicht leisten. Deshalb findet man den gelernten Großstädter auch nicht in den „städtischen Dörfern“ der Zuwanderer und der Unterschicht. Da sie nicht genügend in die formellen Systeme von Markt und Wohlfahrtsstaat integriert sind, sind ihre Angehörigen auf die informellen Hilfsnetze der Nachbarn, Freunde und Verwandten angewiesen, um in der Stadt zurechtzukommen. Urbane Indifferenz ist nur lebbar auf der Basis einer erfolgreichen Integra tion in den Markt oder wenigsten in ausreichende sozialstaatliche Sicherungssysteme (Häußermann 1995). Und abgesehen davon dürfte ein Leben in dauernder intellektualisierter Distanz und Blasiertheit wohl kaum mit psychischer Gesundheit einhergehen. Ebenso wenig wie ohne ökonomische Autonomie ist der Simmel’sche Großstädter ohne eine gesicherte und erfüllte private Sphäre denkbar (Siebel 2004, 26). Diese Voraussetzungen sind aber nur für Minderheiten gegeben. Die urbane Indifferenz als universeller Typus der Bewältigung der Verunsicherungen durch die stadttypische Nähe des Fremden ist nur unter der kontrafaktischen Annahme gleicher Teilhabe aller an den sozialen, politischen und ökonomischen Systemen der Gesellschaft denkbar. Simmels gelernter Großstädter als universeller Typus einer Dethematisierung von Differenz gehört in die Utopie ökonomischer Chancengleichheit, durchgesetz- Wissensökonomie ter Demokratie, allseitig gelungener sozialer Integration und psychischer Gesundheit. In der Realität treffen die Zuwanderer nicht auf ein wohlsituiertes akademisches Milieu, sondern sie werden durch die Filtermechanismen der Wohungsmärkte in Nachbarschaft zu den deutschen Verlierern des Strukturwandels gebracht. Verlierer aber sind selten in der Lage, offen und tolerant mit Fremdheit umzugehen, im Gegenteil, sie brauchen Sündenböcke, eine Rolle, für die gerade Zuwanderer sich gut eignen. Kein Wunder, wenn in solchen Quartieren weniger produktive Auseinandersetzung mit Differenz stattfindet als aggressive gegenseitige Abgrenzung. Deshalb verfügt die Stadt noch über einen zweiten Mechanismus, um Differenz zu dethematisieren, ohne Differenz vernichten zu müssen: die Konzentration verschiedener sozialer Gruppen in unterschiedlichen Quartieren der Stadt. Jeder Stadtbewohner sucht Konflikte zu minimieren. Wenn Blasiertheit und Gleichgültigkeit nicht auf entsprechende Verhaltensweisen treffen oder nicht praktikabel sind wie in einer länger bestehenden Nachbarschaft, dann geht man dem im Wortsinn aus dem Wege: man zieht in eine Nachbarschaft um, wo man auf ähnliche Verhaltensweisen und Orientierungen trifft. Segregation verringert die Konfliktmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Lebensweisen, indem sie so ziale und kulturelle Differenzen in räumliche Distanzen übersetzt. Urbane Lebensweise und Segregation sind nur ne gative Voraussetzungen einer produktiven Stadtkultur als Kultur der Differenz. Räumliche Distanz und die Indifferenz des gelernten Großstädters helfen, Konflikte zu vermeiden. Die urbane Lebensweise und die sozialräum liche Segregation erkaufen durch den Verzicht auf Kommunikation gleichsam ein Nebeneinanderherleben von Fremden. Das Produktive der urbanen Differenz aber ist nicht schon dadurch gewährleistet, dass man sich gegenseitig in Ruhe lässt. Bahrdt (1998) beschreibt das als die nur negative Bedingung von Öffentlichkeit. Es müsse aber noch eine positive hinzukommen, dass nämlich „dennoch Kommunikation und Arrangement zu stande kommen“ (1998, 93). Für Bahrdt ist das durch stilisierendes und repräsentierendes Verhalten, das über die Distanz hinweg etwas mitteilt, gewährleistet. Simmel betont im Sinne Durkheims die Arbeitsteilung als In tegrationsmechanismus, wobei gerade unter großstädtischen Bedingungen sich besonders differenzierte ar beitsteilige Verhältnisse herausbilden. Die dritte Bedingung ist die Dichte der Kontakte. Solche Dichte kann sich auf vielfältige Weise herstellen (s. o.). Räumliche Dichte kann temporär sein, wenn sich „räsonierende Privatleute“ (Habermas 1990) zum Publikum einer Aufführung etwa im Theater versammeln. Sie stellt sich aber auch – und das ist der weit wichtigere räumliche Mechanismus dichter Kommunikation – dauerhaft her innerhalb segregierter und dadurch intern homogener Wohnquartiere. Um die eigene Religion praktizieren, den eigenen Lebensstil leben oder auch nur um die eigene Sprache sprechen zu können, suchen die Menschen die Nachbarschaft mit Gleichgesinnten. 37 Urbane Differenz braucht, um sich zu entfalten oder auch nur zu erhalten, Zeiten und Räume der Homoge nität. Deshalb gibt es in jeder Stadt nicht nur temporäre Versammlungen von Menschen mit ähnlichen Interessen und die dauerhafte Konzentration bestimmter sozialer Gruppen in bestimmten Wohnquartieren, sondern auch räumliche Cluster von Betrieben oder Geschäften derselben Branche. So kann man gerade bei den rein technisch gesehen wenig standortgebundenen Arbeits plätzen der modernen wissensbasierten Industrien eine teilweise verblüffende Konzentration auf die großen Städte und hier sogar auf einzelne Straßenzüge und Quartiere beobachten. Dadurch kann sich ein Milieu entwickeln, das die in diesen Branchen geforderte Kreativität fördert. Ähnlich verhält es sich bei der dauerhaften Konzentration sozial und kulturell homogener Gruppen in unterschiedlichen Wohnquartieren. Segregation dient hier nicht nur der Vermeidung von Konflikten, indem soziale Distanz in räumliche übersetzt und dadurch entschärft wird. Kulturelle Segregation, die räumliche Konzentration von Menschen mit verwandten norma tiven Orientierungen, Interessen und Lebensweisen in einzelnen Stadtquartieren erleichtert auch die Bewahrung und die Ausdifferenzierung von Besonderheit. Die nach sozialen und kulturellen Merkmalen segregierte Stadt ist nicht nur ein Produkt der Zwänge von Immo bilienmärkten und Diskriminierung. Es gibt auch frei willige Segregation. Diese ist eine wesentliche Vor aussetzung für die Entfaltung von Differenz als der entscheidenden Bedingung der Produktivität von Stadt. Die Spezialisierung der verschiedenen Orte einer Stadt auf unterschiedliche Tätigkeiten oder kulturelle Milieus hilft, deren Besonderheiten zu entfalten, und kann dadurch die Produktivität der Stadt steigern. Segregation leistet damit auf der Ebene sozialer Gruppen das, was die Privatsphäre auf der Ebene der Individuen leistet. Hoch segregierte Räume sind quasi die „Privatsphären“ sozialer Gruppen. Und das kann eine Bedingung pro duktiver Stadtkultur sein, wie es die individuelle Privatsphäre ist für eine funktionierende Öffentlichkeit räsonierender Privatleute. Das lokalisierte Milieu als eine Bedingung für die Entfaltung einer kulturellen „Szene“ aber ist nicht ohne A mbivalenz. Wo schlägt produktive Binnenintegration in sklerotische Abschottung gegen außen um, und wo liegt die Grenze, an der Homogenität Exklusivität zur Folge hat, die den Anderen nicht mehr hereinlässt? Entscheidend ist auch hier, wie Segregation zustande kommt, ob freiwillig auf Grund ähnlicher Interessen, Präferenzen und gemeinsamer Angewiesenheit auf bestimmte Infrastrukturen, oder ob sie erzwungen ist. Erzwungene Segregation wird mit resigniertem Rückzug oder aggressiver Selbstabgrenzung gegen außen beantwortet. Das Konzept der kreativen Stadt als Mosaik städtischer Dörfer hebt die Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit von der Ebene des Individuums auf die Ebene der Gruppe als Träger von Differenz, eine pluralistische Formulierung des Konzepts der bürgerlichen Öffent lichkeit. So wie der Simmel’sche Großstädter das 38 RegioPol eins 2008 sychische, sozial und ökonomisch selbstständige In p dividuum voraussetzt, das über eine private Sphäre ge sicherter Autonomie verfügt, so ermöglicht hier die k reative Stadt die Verfügung der Gruppe über einen geschützten Raum, in dem sie ihre Besonderheit entfalten kann. Aber ebenso wie die bürgerliche Öffentlichkeit eine kontrafaktische Annahme darstellt, so ist die Stadt als Mosaik gleichberechtigter, aber differenter Welten ein kontrafaktischer Entwurf, denn sie unterstellt Freiwilligkeit der räumlich geformten Differenz, also Segregation ohne politische (Wohnungszuweisung), soziale (Diskriminierung) und ökonomische (Kaufkraft auf dem Wohnungsmarkt) bedingte Zwänge. Segregation würde auch unter den Bedingungen vollständiger Freiwilligkeit bei der Wahl des Wohnstandorts nicht aus den Städten verschwinden, im Gegenteil, aber sie wäre als freiwillig gesuchte und nach außen durchlässige anders beschaffen als die heute vorherrschende, über den ImmobilienMarkt und soziale Ungleichheit erzwungene Form der Segregation. Eine analoge Problemstellung findet sich in der Theorie innovativer Milieus (Camagni 1991). Sie erklärt Innovation als Ergebnis einer labilen Balance, in der widersprüchliche Anforderungen einander die Waage halten. Innovative Milieus müssen danach Heterogenität und Homogenität wahren. Je heterogener die Akteursnetze sind, desto breiter das in ihnen präsente Kompetenzspektrum. Zugleich aber ist ein Mindestmaß an Homo genität Voraussetzung, damit überhaupt Austausch und Kommunikation zustande kommen können. Innovative Netzwerke zeigen Offenheit und Geschlossenheit, Ho mogenität und Differenz, Vertrauen und Fremdheit zugleich. Kooperation setzt Vertrauen und gemeinsame Orientierungen voraus, also Ressourcen, die gewöhnlich in langjährig eingespielten Beziehungen gewachsen sind. Innovation aber braucht das Zusammenwirken mit Akteuren, die sich außerhalb der eingespielten Netze bewegen können. Innovative Milieus müssen das Di lemma lösen, ihre Netze nach außen offen zu halten, sodass ihre eingespielten Beziehungen und Problem lösungen irritiert werden können, und sich soweit ab zuschließen, dass Vertrauen und Handlungsfähigkeit gewahrt bleiben (Siebel et al 2001). In der Stadt als einem Mosaik gleichberechtigter kultureller Dörfer als Bedingung der Produktivität von Stadt verliert auch ein Begriff des öffentlichen Raums seine Gültigkeit, der die Öffentlichkeit städtischer Räume an der Präsenz prinzipiell aller Gruppen der Stadtbevölkerung misst. Zugänglichkeit im Sinne gleicher Chancen auf Teilhabe an den gesellschaftlichen Systemen von Politik, Ökonomie und sozialen Beziehungen kann nicht konkretistisch in räumliche Systeme übersetzt werden als Zugänglichkeit aller öffentlichen Räumen, der Stadt jederzeit und für alle. Öffentlichkeit lässt sich räumlich allenfalls in Bezug auf die ganze Stadt definieren, nicht in Bezug auf einzelne Orte. Die Stadt als Mosaik ver schiedener Lebenswelten, die sich berühren, aber nicht durchdringen (Park/Burgess 1974, 40), ist nicht nur dem resignierten Rückzug vor den städtischen Konflikten eschuldet. Sie ist vielmehr räumliche Bedingung für g die Entfaltung von Differenz, für die Möglichkeit, in einer Stadt verschiedene Lebensformen kennenzulernen und ausprobieren zu können. Die Öffentlichkeit von Räumen bemisst sich dann an der Zugänglichkeit homogener Orte für Außenstehende, nicht an der Abwesenheit von Homogenität, also dem Grad der Mischung von Funk tionen und sozialen Gruppen an jedem Ort (Wehrheim 2008). 3. D as prekäre Verhältnis von Kreativität und Urbanität Je größer und heterogener die Bevölkerung ist, je dichter die Kommunikation unter ihr, je besser Markt, Politik und Rechtsstaat funktionieren und je mehr urbane Lebensweise und freiwillige Segregation ein relativ konfliktfreies Zusammenleben in der Stadt ermöglichen, desto produktiver ist die Stadt. Vereinfacht gesagt: Die kreative Stadt ist die alltäglich funktionierende Stadt, und die Bedingungen, die dieses alltägliche Funktionieren garantieren, sind zugleich die Bedingungen von K reativität. Es sind kontrafaktische Bedingungen. In der Wirklichkeit heutiger Städte überlagern sich Diskriminierung und ökonomische Zwänge mit freiwilliger Segregation. Nur Minderheiten verfügen über die psychische, soziale und ökonomische Unabhängigkeit, um sich zugleich urban distanziert und in neugieriger Offenheit auf die Auseinandersetzung mit Fremdheit einzulassen. Markt, Demokratie und Recht sind nur als theoretische Modelle farbenblind. Es bleibt die Aufgabe einer Politik, die die Kreativität der Stadt unterstützen will, diesen idealen Bedingungen möglichst nahe zu kommen, indem sie die Funktionsfähigkeit dieser Mechanismen stärkt und im Übrigen sich auf die Moderation von Konflikten konzentriert. Aber selbst unter idealen Bedingungen wäre die kreative Stadt ein ungemütlicher Ort. Die kulturelle produktive Stadt ist Ort eines gelingenden Zusammenlebens von Fremden. Der Fremde ist eine ambivalente Figur. Er weckt Neugier und Besorgnis, er steht für das Unbekannte und Bedrohliche, aber auch für das elektrisierend Überraschende und Verlockende der urbanen Lebensweise. Diese Ambivalenz ist im ursprünglichen Gebrauch des Wortes kreativ im Deutschen enthalten. Das Wort kreativ, wörtlich schöpferisch, stammt aus dem Sakralen. Es bezieht sich auf die creatio durch den Schöpfergott. Später wurde es säkularisiert zur Eigenschaft des produktiven Künstlers. Schumpeter hat Kreativität weiter entheiligt zur technischen Kategorie Innovation. Aber gerade in seiner Fassung des Begriffs ist die Ambivalenz des Begriffs des Kreativen bewahrt. Schumpeter betont Innovation als einen Prozess der schöpferischen Zerstörung. Damit Neues möglich wird, muss immer auch Altes zerstört werden, um Platz zu machen für das Neue. Im Englischen dagegen ist die Wortbedeutung von creative verallgemeinert zu einer Fähigkeit, die jedem höher qualifizierten Beruf zukommt. Die deutsche Wissensökonomie Diskussion über kreative Stadt und Kreativwirtschaft hat diesen unspezifischen Gehalt des Begriffs übernommen. K reativität ist zu einer Allerweltseigenschaft banalisiert. Damit aber ist auch das Beunruhigende und Bedrohliche des Begriffs verloren gegangen, die schöpferische Zerstörung, das Revolutionäre der Kunst, die zutiefst verunsichernde Wirkung des sozialen Wandels. Kreati vität als schöpferischer Akt lebt von Spannungsver hältnissen. Die kreative Rolle der Stadt beruhte im europäischen Mittelalter auf dem Spannungsverhältnis zum Land. Aus Sicht der Stadt stand das Land für Rück ständigkeit, Unordnung und unbeherrschte Natur. Heute mit dem Ende des gesellschaftlichen Gegensatzes von Stadt und Land ist auch diese Möglichkeit der Externalisierung des Chaos, des Bösen, der Rückständigkeit in die Natur draußen vor den Mauern der Stadt beendet. Seitdem ist das Unheimliche in der Stadt selber angesiedelt. Jack the Ripper ist ebenso Stadtbewohner wie der Golem. Die Stadt wird selber zur Wildnis, kein Wunder, dass diese Metapher im 19. Jh. in der Literatur etwa bei Balzac (Stierle 1993) aufkommt, als zunächst die Industrialisierung den ökonomischen, später dann die Demokratisierung den politischen Gegensatz von Stadt und Land aufheben. Die kreative Stadt beruht auf internalisierten Spannungsverhältnissen: zwischen Nähe und Ferne, Vertrautem und Fremdem, Modernität und Rückständigkeit, z wischen Gegenwart und Vergangenheit, Schönheit und Hässlichkeit, Heiligkeit und Sünde. Das sündige Babel ist untergegangen, das heilige Jerusalem wäre wohl sterbenslangweilig. Die kreative Stadt wird beides sein müssen. Und eine erfolgreiche Politik für eine kreative Stadt hätte sehr prekäre Balancen zu bewahren und sich um ganz andere Stadtbewohner zu bemühen als nur um die Angehörigen der kreativen Klasse Floridas: Sie müsste dem Rat Athenes in der Orestie des Aischylos (zit. nach Muschg 2007, 32) folgen: „Gemeinden wir diese Töchter der Nacht ein. Errichten wir den Erinnyen ein Heiligtum in der Stadt. Ehren wir sie. So werden sie zu Eumeniden“. Quellen Adorno, Theodor W. 1964:, Minima Moralia, Frankfurt/M: Suhrkamp, Bahrdt, Hans-Paul 1998: Die moderne Großstadt. Opladen: Leske und Budrich Becker, Ulrich 1996: Das Überleben multinationaler Unternehmungen. Generierung und Transfer von Wissen im internationalen Wettbewerb. Frankfurt/Main: Peter Lang Camagni, Roberto (ed.) 1991: Innovation networks: spatial perspectives. London/New York: Belhaven Press Ebert, Ralf / Klaus R. Kunzmann 2007: Kulturwirtschaft, kreative Räume und Stadtentwicklung in Berlin. In: disp 171 (4/2007), S.64 – 79) Florida, Richard 2002: The Rise of the Creative Class. New York: Basic Books Göschel, Albrecht 2007: The Rise of the Creative Class: Zur Karriere eines Buches. In: kulturpolitische Mitteilungen 119 (IV/2007, 41) Habermas, Jürgen 1990: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt/Main: suhrkamp taschenbuch wissenschaft Häußermann, Hartmut (1995): Die Stadt und die Stadtsoziologie. In: Berliner Journal für Soziologie 5 (1995), H.1, S. 89 – 98 Muschg, Adolf 2007: Kulturmacht Europa. In Kulturpolitische Mitteilungen 118, III/07, Nietzsche, Friedrich 1955: Die Fröhliche Wissenschaft. In: Werke in drei Bänden, II Bd. München: Carl Hanser, Park, Robert E. und Burgess, Ernest W. 1974: The City. Chicago u.a.: University of Chicago Press Peck, Jamie 2005: Banal urbanism: creativity as scalar narrative. Paper presented at the Studies in Political Economy Conference, „Towards a political economy of scale“, York University, Toronto, Febr. 3 – 5, 2005 Siebel, Walter 2004 (Hg.): Die europäische Stadt. Frankfurt/M: edition suhrkamp Ders. und Oliver Ibert/Hans-Norbert Mayer 2001: Staatliche Planung von Innovation. In: Leviathan 4/2001 S. 526 – 543 Simmel, Georg 1992: Exkurs über den Fremden. In: ders.: Soziologie. Georg Simmel Gesamtausgabe Bd. 11, Frankfurt/M: Suhrkamp S. 764 – 771 Ders. 1993: Die Großstädte und das Geistesleben. In: ders.: Das Individuum und die Freiheit. Frankfurt/M: Fischer S. 192 – 204 Stierle, Karlheinz 1993: Der Mythos von Paris. Einleitung S. 12 ff. München Wien: Carl Hanser Wehrheim, Jan 2008: Der Fremde und die Ordnung der Räume. Habilitationsschrift. Universität Oldenburg 39 40 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 41 Claudia Hahn, Arno Brandt, Matthias Kiese, Stefan Krätke Netzwerkananlyse in der Wissensökonomie Ein strategisches Informationswerkzeug für Metropolregionen S eit den frühen 1990er Jahren rückten regionale Netzwerke als Element wissensbasierter regionaler Entwicklungsstrategien in den Mittelpunkt des Interesses von Wissenschaft, Politik und Praxis der Wirtschaftsförderung. Dieser kraftvollen Netzwerk-Rhetorik standen jedoch bislang überraschend wenig konkrete Analysen regionaler Netzwerkstrukturen gegenüber. Der vorliegende Beitrag diskutiert die Netzwerkanalyse als strategisches Informationswerkzeug für regionales Wissensmanagement und wendet diese Methodik exem plarisch auf die Metropolregion Hannover-BraunschweigGöttingen1 an. Visualisierungen in Netzwerkdiagrammen und Netzwerkparameter wie Größe, Dichte, Kohäsion, Zentralisierung und Verbindungsgrad für eine große Stichprobe von Akteuren und Verbindungen zeigen deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Kompetenzfeldern auf und unterstreichen den Nutzen der Netzwerkanalyse als Forschungsmethode und als notwendige Informationsgrundlage für ein regionales Wissensmanagement (vgl. Tab. 1). Aus den Ergebnissen lassen sich sowohl fallspezifische als auch allgemeine Empfehlungen für die Praxis des regionalen Wissensmanagements ab leiten. Es verbleiben jedoch einige methodische Defizite, die weiteren Forschungsbedarf begründen. 1. Netzwerke und Metropolregionen in der Wissensökonomie Hoch entwickelte Volks- und Regionalwirtschaften entwickeln sich zunehmend zu Wissensökonomien, die direkt auf der Produktion, Diffusion und Anwendung von Wissen beruhen (vgl. OECD 1996, Neef 1998, Cooke 2002 oder kritisch Sokol 2004). Nach Smith (2002, S. 7–12) äußert sich der Übergang zur Wissensökonomie in vier Entwicklungen: Erstens gewinnt Wissen als Produktionsf aktor relativ zu den konventionellen Pro duktionsfaktoren sowohl quantitativ als auch qualitativ an Bedeutung. Zweitens werden nicht nur die Inputs, 1 sondern auch Produkte und Dienstleistungen als Outputs immer wissensintensiver, wovon die steigenden Wertschöpfungs- und Beschäftigungsanteile von Hightech-Branchen im verarbeitenden Gewerbe und wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen zeugen. Drittens ist eine zunehmende Kodifizierung von Wissen zu beobachten: Implizite Wissensbestandteile (Knowhow, Know-who) werden mit zunehmender Geschwindigkeit in explizites Wissen (Know-what, Know-why) umgewandelt (vgl. L undvall & Johnson 1994). Vor allem über das Internet wird eine Fülle von Informationen verbreitet, deren S elektion und Nutzung in neuen Kontexten steigende Anforderungen an das implizite Wissen von Individuen stellt. So wies der amerikanische Soziologe Orrin E. Klapp bereits in den 1980er Jahren auf das Fehlen von Bedeutung (meaning) in Informa tionen hin: Während die Menge an verfügbaren Informationen stetig ansteigt, sinkt der Anteil des darin enthaltenen bedeutungsvollen Wissens (vgl. Klapp 1982, 1986). Es muss jedoch betont werden, dass implizites Wissen nur in sehr begrenztem Maße kodifizierbar ist und trotz der Kodifizierung nicht nur die einzige Quelle expliziten Wissens bleibt, sondern auch eine notwen dige Voraussetzung für dessen kontextspezifische Anwendung ist. Implizites und kodifiziertes Wissen sind also keine Substitute, sondern ergänzen sich gegenseitig in wechselseitigen Transformationsprozessen, wie das Modell der Wissensspirale von Nonaka & Takeuchi (1997) illustriert. Viertens haben neue Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet dazu beigetragen, die Kosten der Informationsbeschaffung und -diffusion dramatisch fallen zu lassen. Als weiteres Merkmal der Transformation zur Wissensökonomie ließe sich mit A rrow (1994) die Zunahme hybrider Wissensformen ergänzen: In Netzwerken zirkulierendes Wissen ist weder privat noch rein öffentlich, sondern als Klubgut nur für Mitglieder des Netzwerks frei verfügbar, während Nichtmitglieder von der (kostenfreien) Nutzung ausgeschlossen Seit Frühjahr 2008 firmiert die Metropolregion offiziell unter der Bezeichnung Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg. b London Eye (Detail) 42 RegioPol eins 2008 bleiben (vgl. Buchanan 1965). Solche wissensbasierten Netzwerke wurden bereits Anfang der 1990er Jahre von Cooke & Morgan (1993) als neues Paradigma der Regio nalentwicklung erkannt. Beim Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft wird die traditionelle industrielle Arbeitsteilung durch das Prinzip der Wissensteilung abgelöst, das bereits von Hayek (1937, 1945) beschrieb (siehe auch Helmstädter 1999, 2000). Wissen ist in der Gesellschaft auf eine große Zahl individueller und kollektiver Akteure verteilt und muss in immer neuer Form kombiniert werden, um neues Wissen zu erzeugen und kommerziell zu verwerten (vgl. Smith 2002). Das Prinzip der Wissensteilung kommt in interaktiven Innovationsmodellen (u. a. Kline & Rosenberg 1996) und dem darauf aufbauenden systemischen Innovationsverständnis zum Ausdruck, das den Konzepten der nationalen, regionalen oder metropolitanen Innovationssysteme zu Grunde liegt (vgl. Capello 2001, Fischer et al., Revilla Diez 2002, S. 64-67 sowie Simmie 2003). Metropolregionen werden allgemein als Knoten in der entstehenden Wissensökonomie angesehen, da sie über einen dynamischen Wissenspool mit einer großen Dichte und Vielfalt von Akteuren als Wissensträger verfügen. Räumliche Nähe fördert Face-to-face-Kontakte, beschleunigt den Transfer von implizitem Wissen (buzz, vgl. Storper & Venables 2004) und reduziert Unsicherheit durch den Aufbau von Vertrauen. Metropolregionen können also als Arenen lokalisierter Lernprozesse an gesehen werden (vgl. Maskell & Malmberg 1999, Malmberg & Maskell 2006, Brenner 2007, Lorenzen 2007). Sie wuchsen zwar schon immer durch Agglomerations ersparnisse (vgl. Richardson 1995), die gestiegene Bedeutung von Wissen als Produkt und Produktionsfaktor hat dieser Art von externen Effekten aber in Form lokalisierter Wissensspillover eine neue dynamische Qualität verliehen (vgl. Breschi & Lissoni 2001). In den letzten 15 Jahren hat sich das Denken in Netzwerken in Wissenschaft, Politik und Praxis regionaler Wirtschaftsförderung fest etabliert. Regionen brauchen interne Netzwerkstrukturen, um ihre Wissensbasis effektiv nutzen, ergänzend Wissen von regionsexternen Quellen absorbieren und erfolgreich in einem immer wissensintensiver werdenden Wettbewerb der Regionen bestehen zu können. Trotz dieses dominanten Erkenntnismusters besteht zwischen der allgegenwärtigen Netzwerk-Rhetorik und der empirischen Analyse regionaler Netzwerke eine auffällige Diskrepanz, da originäre Netzwerkanalysen auf der Meso-Ebene der Region kaum vorhanden sind. Ihr Fehlen führt dazu, dass in der Regel ungeprüft von messbaren Branchen- oder Technologieagglomerationen auf das Vorhandensein regionaler Netzwerke geschlossen wird. An diesem Forschungsde fizit setzt der vorliegende Beitrag an und identifiziert Forschungseinrichtungen und wissensintensive Unternehmen als Akteure und deren Verbindungen in wissensbasierten Netzwerken am Beispiel der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen (MRHBG). Dabei werden Netzwerkeigenschaften systematisch zwischen ver- schiedenen regionalen Kompetenzfeldern verglichen. Bevor die Ergebnisse präsentiert werden, soll jedoch zunächst die Methodik der Netzwerkanalyse als Werkzeug für eine wissensbasierte Regionalentwicklung eingeführt werden, gefolgt von kurzen Darstellungen der Untersuchungsregion und des gewählten Forschungsdesigns. Die empirischen Ergebnisse erlauben eine Reihe bedeutsamer Handlungsempfehlungen, die das Potenzial der Netzwerkanalyse als Informationswerkzeug für ein regionales Wissensmanagement illustrieren. Dennoch bleiben methodische Herausforderungen bestehen, die weiteren Forschungsbedarf begründen. 2. Netzwerkanalyse als Werkzeug für wissensbasierte Regionalentwicklung Regionale Netzwerk- und Clustertheorien sehen die Vorzüge der Clusterbildung vor allem in Vorteilen der Wissensteilung und -diffusion zwischen Organisationen (Unternehmen, Forschungseinrichtungen) und betonen, dass regionale Kooperationsbeziehungen in erster Linie als Ausdruck von Wissensaustausch zu werten seien. Aus solchen Wissensflüssen zwischen Organisationen entstehen wertvolle Innovationsimpulse für alle beteiligten Akteure. Es ist jedoch kaum möglich, diese Wissens flüsse innerhalb von Kooperationsbeziehungen direkt zu messen, da sie „keine Papierspur hinterlassen“, wie Krugman (1991, S. 53) behauptete. Für eine detailliertere Analyse von Wissensflüssen in regionalen Akteursnetzwerken bietet die empirische Netzwerkanalyse einen vielversprechenden Ansatz (vgl. Knoke & Kuklinski 1982, Burt & Minor 1983, Jansen 2006). Die Methode wurde ursprünglich in der Soziologie zur Analyse persönlicher Beziehungen einer kleinen Anzahl von Individuen entwickelt (vgl. Marsden & Lin 1982), findet aber zunehmend auch für die Untersuchung von Beziehungen zwischen Organisationen Verwendung. Der Nutzen dieser Methodik liegt in der Möglichkeit, spezifische Stärken und Schwächen wissensbasierter regionaler Netzwerkstrukturen aufzudecken. Auf regionaler Ebene kamen Netzwerkanalysen bislang aber kaum zur Anwendung. Zu den wenigen Beispielen zählt eine Netzwerkanalyse der Filmwirtschaft in Potsdam und Babelsberg (Krätke 2002), deren methodischen Ansatz Wrobel (2004) auf die Bremer Logistikbranche übertrug. Der Mangel an originären Netzwerkanalysen steht im krassen Gegensatz zu der großen Popularität, die der Netzwerkansatz in W issenschaft, Politik und Praxis genießt. Die Dichte und Strukturmerkmale regionaler Verflechtungen zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmen detailliert zu analysieren und die Netzwerkeigenschaften unterschiedlicher Kompetenzfelder innerhalb der Region sowie zwischen Regionen vergleichen zu können, bleibt also eine besondere Herausforderung für die regionale Netzwerkanalyse. Zuvor soll jedoch der methodische Ansatz der Netzwerkanalyse kurz vorgestellt werden. In einem ersten Schritt müssen relationale Informationen über die Kooperationsbeziehungen der regionalen Wissensökonomie 43 Tabelle 1: Definition von Netzwerkparametern Parameter Definition Netzgröße Netzwerkdichte Kohäsion Zentralisierung Verbindungsgrad Überregionaler Verbundenheitsgrad (national) Internationaler Verbundenheitsgrad Anzahl der Akteure im Kompetenzfeld Anzahl der Verbindungen, geteilt durch die Anzahl der Akteure Anzahl der unverbundenen Netzwerkkomponenten (je höher, desto geringer die Kohäsion) Summe der Dichtewerte der fünf zentralsten Akteure pro Kompetenzfeld Anzahl der Kooperationspartner aus einer bestimmten Gruppe (z. B. Unternehmen, internationale Partner), geteilt durch die Zahl der Partner insgesamt Anzahl der Akteure mit überdurchschnittlich starken Verbindungen ins übrige Bundesgebiet, geteilt durch die Anzahl aller Akteure im Kompetenzfeld Anzahl der Akteure mit überdurchschnittlich starken internationalen Verbindungen, geteilt durch die Anzahl aller Akteure im Kompetenzfeld Akteure gesammelt werden. Die Identifikation von Netzwerkbeziehungen fußt auf einer Befragung der relevanten Akteure zu ihren Kooperationen mit namentlich identifizierbaren Geschäftspartnern und Organisationen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Grundsätzlich stehen zur Erfassung von Netzwerk beziehungen zwei Alternativen zur Verfügung. Die erste Möglichkeit ist die sogenannte Listenabfrage, die dem Probanden eine vollständige Liste aller Netzwerkakteure vorlegt und ihn auf diese Weise um die Benennung der Interaktionspartner bittet. Diese Vorgehensweise verspricht eine vollständige Erfassung regionaler Netzwerkbeziehungen. Sie setzt jedoch voraus, dass alle relevanten Netzwerkakteure a priori bekannt sind, und ist damit nur für die Analyse relativ kleiner Netzwerke verwendbar. Der zweite Ansatz der offenen Abfrage fragt nach einer zuvor festgelegten Zahl der wichtigsten Kooperationspartner, wobei die Grundgesamtheit der Netzwerkakteure unbekannt bleibt. Dafür bietet sie die Möglichkeit, zuvor unbekannte Netzwerkakteure zu „entdecken“. Die offene Abfrage wird schwerpunktmäßig zur Untersuchung großer Netzwerke mit zahlreichen anfangs unbekannten Akteuren eingesetzt und empfiehlt sich daher für die Analyse regionaler Wissensnetzwerke wie die hier vorgestellte. Nachdem die Akteure und Beziehungen eines Netzwerks identifiziert wurden, folgt in einem zweiten Schritt die Beschreibung von Netzwerkeigenschaften mit Hilfe verschiedener Parameter wie der Netzwerkdichte, der Kohäsion und der Zentralisierung. Dabei wird die Posi tionierung individueller Akteure ebenso sichtbar wie bestimmte Strukturkomponenten. Die Analyse macht fokale Akteure sichtbar, die eine zentrale Position im Netzwerk einnehmen, aber auch relativ isolierte Akteure, die über keine oder nur schwache Verbindungen zu anderen Netzwerkakteuren verfügen. Es ist weiterhin möglich, die anderen Strukturmerkmale der Akteure zu ihrer jeweiligen Netzwerkposition in Beziehung zu setzen, z. B. ihren Verbindungsgrad oder ihre Zentralität. Die Netzwerkanalyse erlaubt also Aussagen sowohl über die Beschaffenheit des Netzwerks insgesamt als auch über die Position einzelner Akteure darin. Diese Ergebnisse lassen sich schließlich zwischen unterschiedlichen Netzwerken oder regionalen Kompetenzfeldern vergleichen (vgl. Krätke 2002). Mit der Methode der offenen Abfrage können regionale Netzwerke normalerweise nicht vollständig abgebildet werden, da einzelne Akteure nicht zur Teilnahme an der Befragung und andere nicht zur Offenlegung sämtlicher Partner motiviert werden können. Das Ergebnis bildet daher nur den beobachtbaren Teil regionaler Netzwerkbeziehungen ab. Die Abbildung eines klar de finierten Teils regionaler Netzwerkbeziehungen stellt aber dennoch einen erheblichen Informationsgewinn gegenüber dem sonst auf Vermutungen und anekdotische Evidenz beschränkten Wissensstand über die Netzwerkstrukturen einer Region dar. Die Netzwerkanalyse beschreibt die Positionierung einzelner Akteure anhand verschiedener Eigenschaften (vgl. Jansen 2006). Ein wesentlicher Indikator ist der Verbindungsgrad eines Akteurs, der die Stärke seiner Verbindungen zu allen anderen Akteuren misst; die Zentralität seiner Position im Netzwerk ist eine weitere Kennziffer. Ein hoher Verbundenheitsgrad signalisiert die fokale Stellung eines Unternehmens oder einer Forschungseinrichtung in einem regionalen Netzwerk (vgl. Krätke 2002). Die große Anzahl der in eine regionale Netzwerkanalyse einzubeziehenden Akteure erfordert eine Darstellung der Ergebnisse auf unterschiedlichen Aggrega tionsebenen. Die interregionalen, d. h. nationalen und internationalen Beziehungen lassen sich auf der gröberen Makro-Ebene darstellen. Unsere Untersuchung konzentriert sich auf die Meso-Ebene der Metropolregion, in der die einander überlappenden Beziehungen einer großen Zahl von Akteuren aufgedeckt werden sollen. Da nicht alle relevanten Akteure an der Befragung teilneh- 44 RegioPol eins 2008 Tabelle 2: Deutsche Metropolregionen, sortiert nach Bruttowertschöpfung (BWS) Metropolregion München Frankfurt/Rhein-Main Stuttgart Hamburg Berlin-Brandenburg Rhein-Ruhr Nürnberg Hannover-Braunschweig-Göttingen Sachsendreieck Rhein-Neckar Bremen-Oldenburg Bevölkerung Mio. 2006 5,1 5,5 5,3e 4,3 6,0 5,2e 3,5c 3,9e 3,5 2,4 2,4 Fläche km2 2006 21.500 14.800 15.400e 19.800 30.370 4.435e 20.544c 18.600 12.100 b 5.637 11.600b Bevölkerungs- dichte Ew./km 2006 236 374 343e 216 196 1.183e 171c 210e 290b 419 205b a) 2003, b) 2004, c) 2005, d) 2006, e) 2007 men und davon wiederum nicht alle vollständige Angaben zu ihren Partnern machen, kann die Netzwerkana lyse nur für ein Partialnetz durchgeführt werden. Auf der Basis einer sehr hohen Rücklaufquote kann aber dennoch ein sehr weit reichendes Bild der regionalen Wissensvernetzung erzeugt werden. Vom erfassten Partialnetz wird dann auf die Eigenschaften des vollstän digen Netzwerks geschlossen, d. h. die Stichprobe wird als repräsentativ für die Grundgesamtheit angesehen. Die Aufgliederung der Stichprobe in einzelne Kom petenzfelder erlaubt es zudem, deren Netzwerk eigenschaften miteinander zu vergleichen. Jeder befragte Akteur wurde einem spezifischen Kompetenzfeld zugeordnet und in diesem als „aktiver“ Akteur registriert. Alle von diesem Akteur offengelegten Koopera tionspartner wurden in der Folge der Darstellung dieses Kompetenzfelds zugeordnet. Unter den für die verschiedenen Kompetenzfelder ermittelten Netzwerkparametern ist die Dichte der Netzwerkbeziehungen ein zentrales Kriterium, da sich dichte Interaktionen im regionalen Kontext positiv auf interaktive Lernprozesse auswirken. Zur Bestimmung der Netzwerkdichte wurde zunächst die mit einem or dinalen Intensitätsmaß gewichtete Summe der Verbindungen ermittelt und durch die Anzahl der befragten A kteure geteilt, die als aktive Netzwerkknoten eingestuft wurden. Zusätzlich wurde der durchschnittliche Verbindungsgrad berechnet, indem die Summe der gewichteten Verbindungen auf die Anzahl der Akteure in dem jeweiligen Netzwerk bezogen wurde. Nach der Dichte ist die Kohäsion ein weiteres wich tiges Merkmal von Netzwerkstrukturen. Netzwerkko häsion lässt sich ermitteln durch die Anzahl unterein ander kaum verbundener Netzwerkkomponenten und isolierter Akteure: Je höher deren Zahl, desto weniger kohärent ist eine regionale Netzwerkstruktur. Dieser Analyseschritt trägt dazu bei, Verknüpfungsdefizite in fragmentierten Kooperationsbeziehungen ebenso sichtbar zu machen wie nur schwach integrierte oder vollständig isolierte Akteure. Von einer starken Netzwerk kohäsion kann gesprochen werden, wenn eine regionale Netzwerkstruktur keine unverbundenen Teilnetzwerke oder einzelne isolierte Akteure aufweist. Als dritte Netzwerkeigenschaft wurde die Zentralisierung in die Analyse einbezogen. Diese wird bestimmt durch die Anzahl der mit ihrer Intensität gewichteten Verbindungen der fünf zentralsten Akteure in jedem Kompetenzfeld. Akteure mit einem hohen Zentralisierungsgrad können eine größere Vielfalt spezialisierter Wissensressourcen erschließen als weniger zentrale Akteure und somit als Katalysatoren angesehen werden, die die Wissensdiffusion in regionalen Netzwerken beschleunigen. Die Netzwerkparameter Dichte, Kohäsion und Zentralisierungsgrad sind für wissensbasierte Kooperationen und regionale Innovationsnetzwerke besonders bedeutend. Eine geringe Dichte und schwache Kohäsion weist all gemein auf Defizite in der regionalen Wissenszirkulation und eine unzureichende Nutzung von Wissensressourcen und spezialisierten Kompetenzen hin. Zusätzlich wurden mit dem Verbindungsgrad zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen sowie dem überregionalen Verbundenheitsgrad zwei weitere Netzwerkeigenschaften in die Analyse einbezogen. Ein schwacher regionaler Verbundenheitsgrad zwischen Wissenschaft und Wirtschaft beeinträchtigt tendenziell die Wissensflüsse zwischen Forschungseinrichtungen Wissensökonomie BWS Mrd. Euro 2006 171 168 164 124 118d 116 103 93 64 a 62d 55b BWS/ Erwerbstätige Euro 2005 62.200 60.500 61.200 61.300d 45.600d 51.448 57.775 50.811 39.000a 56.700d 50.000a Arbeits- losigkeit %; 2007 7,2d 10,2 n.a. 10,6c 17,1 14,2 6,3 9,1 19,8c 8,0d 13,7c 45 FuE-Personal Wissenschaftler Hightechin der Industrie u. Ingenieure Gründungen %; Anteil 2005 %; Anteil 2005 D = 100; 2002–05 13,7 6,6 8,5 6,7 6,0 5,0 6,1 5,7 5,4 6,5 5,0 5,8 3,4 5,2 2,8 2,7 2,7 3,4 3,3 3,0 3,4 2,4 143 105 90 81 83 87 104 89 84 137 94 Quelle: Initiativkreis Europäische Metropolregionen in Deutschland (www.deutsche-metropolregionen.org, Abruf am 9. April 2008); Berechnungen der NORD/LB auf Basis von Daten der Universität Dortmund und des ZEW und Unternehmen, und ein schwacher überregionaler Verbundenheitsgrad erschwert den Zugang zu regionsexternen Wissensquellen und Innovationsimpulsen. Auf der Basis der relationalen Daten und der verschiedenen Netzwerkparameter, mit denen sich die Kooperationsbeziehungen zwischen den regionalen Wissens trägern abbilden lassen, bieten die Ergebnisse der Netzwerkanalyse detaillierte und akteursbezogene A nsatzpunkte für ein Netzwerkmanagement. Als Grundlage politischer Handlungsempfehlungen liefern die Ergebnisse einer regionalen Netzwerkanalyse Ansatzpunkte zur Entwicklung spezifischer Maßnahmen zur Mobilisierung von Akteuren und zur Verbesserung von Interaktionen und Wissensflüssen zwischen regionalen Akteuren. Solche Maßnahmen leisten einen direkten Beitrag zur Verbesserung der Wissenszirkulation in der verteilten regionalen Wissensbasis. Ungeachtet dieser Vorteile hat die Netzwerkanalyse wie andere Methoden auch bestimmte Grenzen und Schwächen. Sie ist ein aufwendiges und anspruchsvolles Verfahren, das nur bei einer sehr hohen Rücklaufquote bzw. einer nahezu vollständigen Erfassung der relevanten Akteure verlässliche Ergebnisse liefert. Selbst wenn eine sehr hohe Rücklaufquote erreicht werden kann, stellt das eingeschränkte Wissen der befragten Indivi duen über die Transaktions- und Kommunikationsbe ziehungen ihrer Organisationen eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle dar, die bei der Interpretation geringfügiger Unterschiede in den Werten der Netzwerkparameter berücksichtigt werden sollte. Ähnliches gilt für die subjektive Bewertung der Kooperationsintensitäten durch die befragten Probanden. Aus praktischer Sicht sind jedoch nicht diese methodischen Schwächen für die seltene Anwendung von Netzwerkanalysen als Informationsgrundlage regionaler Netzwerkstrategien verantwortlich, sondern vielmehr der in relativ hohen Kosten resultierende Zeit- und Ressourcenbedarf. Als Folge wird nach wie vor allzu oft und unreflektiert von räumlichen Akteurskonzentrationen auf kollektive Lernprozesse geschlossen. Der Verzicht auf eine eingehende Netzwerkanalyse kann aber langfristig ungleich höhere Kosten in Form eines unzureichend fundierten und auf die „falschen“ Akteure fokussierten Netzwerkmanagements nach sich ziehen. 3. U ntersuchungsregion und Forschungsdesign 3.1 Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen Die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen (MRHBG) umfasst 3,9 Mio. Einwohner auf einer Fläche von 18.600 km2 (vgl. Tab. 2). Sie wurde im April 2005 von der Ministerkonferenz für Raumordnung offiziell als eine von elf Europäischen Metropolregionen in Deutschland ausgewiesen. Unter den deutschen Metropolregionen nimmt die MRHBG nach Größe, Wirtschaftskraft und Wissenspotenzial einen mittleren Rang ein, letzteres gemessen am Anteil der FuE-Beschäftigten in der Industrie, dem Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure an den Beschäftigten insgesamt sowie der auf den Bundesdurchschnitt bezogenen Zahl von Hightech-Unternehmensgründungen. Die Region verfügt also über ein be deutendes Wissenspotenzial, kommt aber noch nicht an 46 RegioPol eins 2008 Schwach ausgeprägte intraregionale Innovationsverpflechtungen behindern die Umsetzung der gut entwickelten Forschungsinfrastruktur in Innovation und damit Wachstum und Beschäftigung. die führenden süddeutschen Hightech-Agglomera tionen heran. Sie gehört damit zur breiten Masse so genannter „Normalregionen“, die in regionalwissenschaftlichen Untersuchungen allzu oft vernachlässigt werden (vgl. Krumbein et al. 1994). Aufgrund ihrer 16 Universitäten und Fachhochschulen, die rund 433 Fakultäten und Institute in ökonomisch relevanten Disziplinen umfassen, wird die MRHBG zuweilen als niedersächsisches „Forschungsdreieck“ bezeichnet. Dafür sprechen auch 52 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, unter denen sich renommierte Institute der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft befinden, aber auch einige bedeutende industrielle FuE-Zentren, von denen die VW-Konzernforschung am Hauptsitz in Wolfsburg besonders ins Gewicht fällt. Bisherige Forschungsergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass die nur schwach ausgeprägten intraregionalen Innovationsverflechtungen eine effiziente Umsetzung dieser gut entwickelten Forschungs infrastruktur in Innovationen und damit schließlich auch regionales Wachstum und Beschäftigung behindern. Dies war ein wesentliches Ergebnis des European Regional Innovation Survey (ERIS), das Ende der 1990er Jahre regionale Innovationspotenziale und innovative Netzwerke in elf europäischen Regionen untersuchte, dar unter auch das heute als MRHBG firmierende niedersächsische „Forschungsdreieck“ (vgl. Backhaus & Seidel 1998, Fritsch et al. 1998, Backhaus 2000, Sternberg 2000). Um dieses Wissenspotenzial stärker zu nutzen, haben einige Städte und Landkreise innerhalb der Metropolre gion sich bereits mit Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammengetan, um clusterorientierte Strategien für die Regionalentwicklung zu formulieren und umzu setzen. Aufbauend auf Konzeptentwicklungen durch die Managementberatung McKinsey & Co. führte dies zu Umsetzungsorganisationen wie der Wolfsburg AG, der hannoverimpuls GmbH und der Projekt REGION BRAUNSCHWEIG GMBH sowie einer Neuorientierung der regionalen Strukturpolitik der Landesregierung auf solche Regionalen Wachstumskonzepte (vgl. Kiese & Schätzl 2008 sowie zahlreiche Beiträge darin). Auf der Suche nach Inhalten erklärte die neu formierte MRHBG die Wissensvernetzung zu einem Leitprojekt und vergab den Auftrag einer Studie zur Unter- suchung der Wissensvernetzung in der Metropolregion, um Handlungsansätze zur Verbesserung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. 3.2 Forschungsdesign Um den Entwicklungsstand wissensbasierter Netzwerke in der MRHBG mit der Methodik der Netzwerkanalyse bewerten zu können, wurde eine schriftliche Befragung aller ökonomisch relevanten (Fach-)Hochschulinstitute und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie innovationsorientierter Unternehmen durchgeführt. Die erste Erhebungsphase zwischen Januar und Juni 2006 beschränkte sich auf Forschungseinrichtungen, von denen 496 in der MRHGB als Grundgesamtheit identifiziert wurden. 403 Einrichtungen beteiligten sich an der Erhebung, was einer respektablen Rücklaufquote von 81 Prozent entspricht. Diese 403 Einrichtungen gaben insgesamt 363 verschiedene regionale Unternehmen als Kooperationspartner an. Diese namentlich genannten Unternehmen bildeten den Ausgangspunkt zur Erstellung einer Unternehmensdatenbank für die zweite Erhebungsphase. Durch eine Befragung regionaler und kommunaler Wirtschafts förderer konnten weitere innovationsorientierte Unternehmen hinzugefügt werden, die die Datenbank auf 770 Einträge anwachsen ließ. Nach Abzug einiger Unternehmen, die sich selbst nicht als innovationsorientierte klassifizierten, blieben noch 670 Unternehmen als Ausgangspunkt der zweiten Erhebungsphase übrig. Diese Unternehmen wurden zwischen Oktober 2006 und Mai 2007 ebenfalls einer schriftlichen Befragung unterzogen, an denen sich 363 Unternehmen beteiligten. Die daraus resultierende Rücklaufquote von 61 Prozent ist gemessen an den sonst bei Unternehmensbefragungen üblichen Werten ebenfalls sehr zufriedenstellend, andererseits aber auch eine Voraussetzung, um in den einzelnen Kompetenzfeldern gesicherte Schlussfolgerungen von den Stichprobenergebnissen auf die gesamte regionale Netzwerkstruktur ziehen zu können. In beiden Erhebungsphasen zusammen wurden 1.138 Akteure befragt, darunter neben den Forschungseinrichtungen und inno- Wissensökonomie vationsorientierten Unternehmen auch weitere Akteure wie Kammern, Verbände, Stiftungen, Wirtschaftsförderungseinrichtungen und Netzwerkinitiativen, die in der ersten Erhebungsphase als Kooperationspartner der Forschungseinrichtungen identifiziert werden konnten. Für die Erhebungen wurden drei Kooperationsformen unterschieden, die sich in absteigender Reihenfolge nach der Intensität unterscheiden: Eine langfristige strategische Kooperation dient dazu, die Wettbewerbsfähigkeit der Akteure durch einen intensiven Wissensaustausch über mehrere Jahre zu verbessern. Ein typisches Beispiel für eine derart intensive Kooperation sind Forschungs- und Entwicklungspartnerschaften. n Eine punktuelle Kooperation zur Bearbeitung von Einzelthemen kann trotz ihres temporären Charakters intensiven Wissensaustausch umfassen und für konkrete Problemlösungen in langfristige, vertrauens basierte Beziehungen eingebettet sein. n Kooperationen im Bereich der Ausbildung und Quali fizierung umfassen die gemeinschaftliche Produktion impliziten Wissens durch Berufsausbildung, Praktika oder Weiterbildungsmaßnahmen. 47 Mathematik, Chemie, Biologie und Geowissenschaften) sowie den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften noch zwei schwerpunktmäßig akademisch orientierte Kompetenzfelder einbezogen. Die vollständigen Ergebnisse der Untersuchung finden sich in Brandt (2007). 4. Ergebnisse der Netzwerkanalyse n Nach der ersten Erhebungsphase wurden die Akteure neun Kompetenzfeldern zugeordnet, von denen sieben einen direkten ökonomischen Anwendungsbezug haben. Dabei handelt es sich um Life Sciences (medizinische Forschung, Medizintechnik, Pharmazeutik und Biotechnologie), die Informations- und Kommunikationswirtschaft einschließlich der Medien, Energiewirtschaft und Umwelttechnologie, Agrar- und Forstwissenschaft, Planen und Bauen einschließlich Bautechnik, die Mobi litätswirtschaft (Straßen- und Schienenfahrzeugbau, Luft- und Raumfahrt) sowie Produktions- und Verfahrenstechnik (Materialwissenschaften, Fertigungstechnik, Mechatronik, Mikrosystemtechnik, Messtechnik und Optische Technologien). Die im Folgenden präsentierten Ergebnisse konzentrieren sich auf diese sieben Felder mit direkten Möglichkeiten zur kommerziellen Wissensverwertung. In die Erhebungen wurden daneben mit der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung (Physik, 4.1 Querschnittsergebnisse Die Befragungen identifizierten insgesamt 2.183 Ko operationsbeziehungen innerhalb der MRHGB. Mit 58 Prozent wurde die Mehrzahl dieser Beziehungen als langfristige strategische Kooperationen eingestuft. 35 Prozent entfielen auf themenspezifische punktuelle Kooperationen und nur 7 Prozent auf Kooperationen im Bereich der Ausbildung und Qualifizierung. Tabelle 3 stellt die Netzwerkparameter der sieben anwendungsorientierten Kompetenzfelder vergleichend gegenüber. Insgesamt sind die Netzwerke ähnlich groß mit der Ausnahme der Produktions- und Verfahrenstechnik, die eine deutlich größere Anzahl von Akteuren umfasst. Die Netzwerkdichte, definiert als durchschnittliche Anzahl der Verbindungen pro Akteur, variiert ebenfalls nicht besonders stark zwischen den Kompetenzfeldern. Überdurchschnittlich dichte Netzwerkbeziehungen lassen sich jedoch in der Mobilitätswirtschaft und dem damit verbundenen Querschnittsfeld der Produktionstechnik erkennen. Größere Unterschiede weisen die Kompetenzfelder dagegen bei den Netzwerkparametern Kohäsion und Zentralisierung auf. Wie bereits die Netzwerkdichte, so ist auch die Kohäsion am geringsten in den Life Sciences und den IuK-Technologien, während die verbundenen Netzwerkstrukturen der Mobilitätswirtschaft und Produktionstechnologien nicht nur am dichtesten, sondern durch die regionalwirtschaftliche Bedeutung von VW und einigen großen Zulieferern auch am stärksten zentralisiert erscheinen. Ohne Berücksichtigung räumlicher Maßstabsebenen und über alle Kompetenzfelder hinweg fallen beim Verbindungsgrad zunächst deutliche Unterschiede zwischen 48 RegioPol eins 2008 Tabelle 3: Netzwerkparameter für sieben regionale Kompetenzfelder Netzwerkparameter 1 2 3 4 5 6 7 167 16,8 23 289 209 14,5 29 282 180 18,4 20 265 122 15,7 19 268 164 16,8 13 225 192 26,0 12 452 367 22,5 22 555 Verbindungsgrad W b U 47,3% 56,2% 49,8% 39,5% U b W 43,0% 24,2% 29,1% 43,3% U b U 9,5% 15,9% 15,0% 5,0% 46,9% 28,3% 12,5% 56,8% 20,6% 19,5% 54,4% 32,2% 11,1% Regionaler Verbindungsgrad W b U U b W alle b U alle b W Größe (Anzahl Akteure) Dichte Kohäsion Zentralisierung 40,7% 24,8% 56,9% 36,8% 33,6% 24,2% 52,2% 52,2% 24,5% 30,8% 40,2% 53,3% 36,0% 23,9% 47,0% 40,9% 37,7% 32,2% 52,1% 42,2% 44,3% 24,0% 59,4% 35,1% Interregionaler Verbundenheitsgrad 39,8% 25,2% (national) 28,9% 34,3% 32,4% 46,0% 33,7% 27,8% 42,9% 24,3% 33,3% 20,0% Internationaler Verbundenheitsgrad 17,5% 38,5% 36,5% 59,3% 43,9% 20,3% Kompetenzfelder: 1 = Life Sciences; 2 = IuK-Wirtschaft; 3 = Energiewirtschaft und Umwelttechnologie; 4 = Agrar- und Forstwissenschaft; 5 = Planen und Bauen, Bautechnik; 6 = Mobilitätswirtschaft; 7 = Produktions- und Verfahrenstechnik U = innovationsorientierte Unternehmen W = Wissenschaft (Forschungseinrichtungen) den Akteursgruppen auf. Mit einem gewogenen Mittelwert von 51,4 Prozent ist der Verbundenheitsgrad von Forschungseinrichtungen zu Unternehmen deutlich höher als in der umgekehrten Richtung mit 30,8 Prozent. Mit lediglich 12,9 Prozent ist der durchschnittliche Verbundenheitsgrad jedoch zwischen Unternehmen unterein ander am geringsten. Von geringfügigen Schwankungen abgesehen, trifft dieses Muster auf die meisten Kompetenzfelder zu. So ist der Verbundenheitsgrad zwischen Unternehmen in der Agrar- und Forstwissenschaft besonders gering, aber wesentlich höher in der Mobilitätswirtschaft mit ihrem relativ stabilen und hierarchischen Zu liefersystem. In der räumlichen Dimension wird zwischen Kooperationen auf der regionalen, nationalen und internationalen Maßstabsebene unterschieden. Insgesamt scheinen Verbindungen zu innovationsorientierten Firmen stärker lokalisiert zu sein als solche mit Forschungseinrichtungen. Über alle Maßstabsebenen hinweg sind die Akteure der Mobilitätswirtschaft überdurchschnittlich stark mit externen Partnern vernetzt. Der Verbundenheitsgrad außerhalb der Region ist jedoch auch in den Agrar- und Forstwirtschaften sowie in den Life Sciences ebenso überdurchschnittlich. Letztere weisen außerdem einen überdurchschnittlichen Verbundenheitsgrad mit Forschungseinrichtungen in der Region auf, sind aber deutlich weniger mit regionalen Unternehmen vernetzt. Dieser Unterschied reflektiert die Diskrepanz zwischen einer gut entwickelten regionalen Forschungsinfrastruktur auf der einen und dem geringen regionalen Besatz an Life Sciences-Unternehmen auf der anderen Seite. Der internationale Verbundenheitsgrad kann als Indikator für den Zugang zu Wissen von der weltweiten Forschungsfront bzw. für den Entwicklungsstand der externen Clusterdimension gesehen werden (pipelines, vgl. Bathelt et al. 2004, Bathelt 2007). In dieser Hinsicht unterscheiden sich die sieben Kompetenzfelder allerdings deutlich. Wie von einem jungen und wissenschafts basierten Feld erwartet werden kann, sind die Life Sciences am stärksten in internationale Wissensnetzwerke eingebunden, dicht gefolgt vom kleinsten Kompetenzfeld der Agrar- und Forstwissenschaft, deren internationale Ausrichtung sich ebenfalls durch ihre starke Forschungsorientierung erklären lässt. Am anderen Ende Wissensökonomie 49 Abbildung 1: Regionale Netzwerkstruktur der Mobilitätswirtschaft des Spektrums weisen die Netzwerke der IuK-Wirtschaft und der Produktionstechnik die wenigsten internatio nalen Verbindungen auf, erstere reichen sogar kaum über die Grenzen der Metropolregion hinaus. Auf der Grundlage dieser Übersicht sollen nun zwei Kompetenzfelder für eine vertiefende und vergleichende Bewertung ausgewählt werden. Die bisherigen Ergebnisse empfehlen für einen solchen Vergleich das kohärente und stark zentralisierte Kompetenzfeld der Mobilitätswirtschaft sowie als Kontrast die IuK-Technologien mit einer ähnlichen Zahl an Akteuren, aber deutlich geringerer Dichte, Kohärenz und Zentralisierung. 4.2 Fallstudie Mobilitätswirtschaft Mit Herstellern von Straßen- und Schienenfahrzeugen sowie dem Luft- und Raumfahrzeugbau, deren Zuliefe rern, Dienstleistern und Forschungseinrichtungen repräsentiert die Mobilitätswirtschaft eine traditionelle industrielle Stärke der Metropolregion. In der Stichprobe ist sie als mittelgroßes Netzwerk mit 192 Akteuren vertreten, von denen fast ein Drittel der Automobilindustrie zugeordnet werden kann. Wie Abb. 1 zeigt, wird das Netzwerk von einer großen und nach innen stark verbundenen Komponente dominiert, in der acht Akteure besonders stark in regionale Wissensflüsse integriert sind. Einer dieser Akteure ist VW als der fokale Akteur des Netzwerks. Neben dieser zentralen Netzwerkkomponente gibt es nur wenige relativ isolierte kleinere Komponenten und unverbundene Einzelakteure. Diese Struktur drückt sich in der höchsten Dichte aller untersuchten Kompetenzfelder und der zweitstärksten Zentralisierung nach der Produktionstech nik aus. Diese Maßzahlen lassen sich als günstige Voraussetzungen für die intraregionale Wissenszirkulation deuten, zumal mehr als die Hälfte der in Abb. 1 dargestellten Verbindungen langfristige stabile Kooperationen als intensivste Form der Zusammenarbeit sind. Ein zu hohes Maß an Zentralisierung und Stabilität von „strong ties“ kann jedoch auch als mangelnde Flexibilität sowie als Anfälligkeit gegenüber Verkrustungen und Lock-in-Effeken gewertet werden (vgl. Grabher 1993). Dieser Gefahr kann aber durch eine kontinuierliche Erneuerung des Unternehmensbestandes in Form von Neugründungen sowie 50 RegioPol eins 2008 Abbildung 2: Regionale Netzwerkstruktur der IuK-Wirtschaft eine ausreichende Offenheit gegenüber regionsexternem Wissen entgegengewirkt werden. Die Mobilitätswirtschaft verfügt außerdem über die stärksten Verbindungen zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen, und auch Kooperationen von Unternehmen untereinander machen einen überproportionalen Anteil der Verbindungen aus. Die starke Orientierung der Forschungseinrichtungen an Großunternehmen nicht nur in der Region, sondern bundesweit, geht jedoch im Vergleich der Kompetenzfelder mit einem geringeren Anteil an Kooperationen der Forschungs einrichtungen untereinander einher. Für die große Bedeutung nationaler Kooperationen sind ebenfalls die innovationsorientierten Unternehmen verantwortlich, während die regionalen Forschungseinrichtungen weniger als in anderen Kompetenzfeldern über überregio nale oder sogar internationale Kooperationen verfügen. Zusammenfassend lassen sich in der Mobilitätswirtschaft die intensivsten Netzwerkbeziehungen feststellen, insbesondere zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Das von der Automobilindustrie geprägte Kompetenzfeld ist am stärksten in nationale Netzwerke integriert, was die dominante Position von VW und seinen Forschungsund Entwicklungspartnern reflektiert. 4.3 Fallstudie IuK-Wirtschaft Mit 209 Akteuren ist das Kompetenzfeld der Informationsund Kommunikationswirtschaft einschließlich der Medien das zweitgrößte Netzwerk in der Untersuchung. Es ist nur geringfügig größer als das Netzwerk der Mobilitätswirtschaft, weist aber eine grundsätzlich andere Netzwerkstruktur auf, wie Abb. 2 zeigt. Die IuK-Wirtschaft hat unter allen Kompetenzfeldern die meisten isolierten Akteure. Seine fragmentierte Struktur erklärt, warum die Netzwerkdichte geringer ist als in allen anderen Feldern. Dennoch sind ei nige Forschungseinrichtungen und innovationsorientierte Unternehmen relativ gut in regionale Wissensflüsse integriert. Kooperationen zwischen regionalen Forschungseinrichtungen sind zwar nur schwach ausgeprägt, dafür ist der Verbindungsgrad zwischen Wissenschaft und Wirtschaft überdurchschnittlich und intensiver als in der umgekehrten Richtung. Eine mögliche Erklärung ist die starke Anwendungsorientierung der Forschungseinrichtungen und damit auch ihrer Kooperationen. Auch die Intensität der Kooperationsbeziehungen der Unternehmen untereinander liegt über dem Durchschnitt aller Kompetenzfelder. Verglichen mit anderen Kompetenzfeldern sind die Netzwerkbeziehungen der IuK-Wirtschaft vorrangig intra Wissensökonomie regional ausgerichtet. Nur 35 Prozent der befragten Akteure gaben Verflechtungen mit Partnern außerhalb der Metropolregion an. Dies trifft in besonderem Maße auf Unternehmen zu, Forschungseinrichtungen verfügen dagegen häufiger über überregionale Verbindungen. Wie in anderen Kompetenzfeldern sind langfristige strategische Partnerschaften auch in der IuK-Wirtschaft die häufigste Kooperationsform, allerdings ist der Anteil kurzfristiger themenspezifischer Zusammenarbeit hier am höchsten. Insgesamt unterscheidet sich die IuK-Wirtschaft in ihren Netzwerkstrukturen deutlich durch deren geringe Dichte und Binnenorientierung (intraregionale Ausrichtung) von der Mobilitätswirtschaft. Mit doppelt so vielen isolierten Akteuren wie in jedem anderen Kompetenzfeld kann der fragmentierte Charakter des IuK-Netzwerks als Ursache, aber gleichzeitig auch als Folge einer relativ heterogenen Wissensbasis gedeutet werden. Diese starke Fragmentierung stellt ein ernsthaftes Hindernis für die regionale Wissenszirkulation und eine Herausforderung für ein regionales Wissensmanagement dar. 5. Implikationen für Politik und Forschung Mit der ersten Netzwerkanalyse dieser Größe, die Kooperationsbeziehungen zwischen Forschungseinrichtungen und innovationsorientierten Unternehmen über alle Kompetenzfelder einer ganzen Metropolregion hinweg abbildet, verfügt die MRHGB über einen Informa tionsvorsprung gegenüber anderen Metropolregionen, der zur Entwicklung und Umsetzung einer regionalen Wissensmanagementstrategie genutzt werden kann. Aus den zentralen Ergebnissen der Netzwerkanalyse zu strukturellen Merkmalen und einzelnen Akteuren in den Kompetenzfeldern lässt sich unmittelbar die Notwendigkeit ableiten, dass eine wissensbasierte regionale Ver netzungsstrategie die Unterschiede zwischen den ein zelnen Kompetenzfeldern berücksichtigen und nutzen muss. Ein derart differenzierter Ansatz kann sich auf die Felder Mobilitätswirtschaft, Produktions- und Verfahrens technik, Life Sciences, IuK-Wirtschaft sowie auf Energiewirtschaft und Umwelttechnologie konzentrieren. Die Analyse konnte bedeutende Netzwerkknoten in der Mobilitätswirtschaft und der mit ihr verbundenen Produktionstechnik identifizieren. In beiden Feldern sind die fokalen Akteure in dichte Kooperationsbeziehungen eingebettet. Eine regionale Netzwerkstrategie könnte sich darauf konzentrieren, periphere Akteure zu integrieren und institutionelle Hemmnisse regionaler Kooperationen zu überwinden. Dies erscheint in der Mobilitätswirtschaft am dringendsten geboten, wo sich mehr als 55 Prozent der Akteure in der Region Braunschweig und weitere 30 Prozent in der benachbarten Region Hannover konzentrieren. Trotz dieser teilräumlichen Konzentration finden mehr als die Hälfte der identifizierten Kooperationsbeziehungen innerhalb der Region Braunschweig, aber nur 17 Prozent zwischen der 51 Region Braunschweig und der Region Hannover statt. Hinzu kommt, dass die Stadt Wolfsburg sowie die Regionen Hannover und Braunschweig unabhängige, über lappende und zum Teil kompetitive Strategien der Clusterförderung verfolgen und z. B. in der Ansiedlung von Automobilzulieferern direkt gegeneinander konkurrieren (vgl. Kiese & Schätzl 2008 und die regionalen Beiträge darin). Nimmt man die Ergebnisse der Netzwerkanalyse ernst, sollte die Metropolregion die Mobilitätswirtschaft als Modell für eine flexible Geometrie der Clusterförderung nutzen, die sich an der räumlichen Reichweite von Netzwerken orientiert und das bisherige underbounding überwindet, in der der administrativ bestimmte räumliche Zuschnitt der Clusterpolitik kleiner ist als die Ausdehnung der funktionalen Verflechtungen. Neben der Dominanz etablierter Netzwerkstrukturen in der Mobilitätswirtschaft und in der Produktionstechnik belegen die Untersuchungsergebnisse aber auch die Potenziale der noch unterentwickelten Netzwerkstrukturen in den Life Sciences, der IuK-Wirtschaft sowie in der Energiewirtschaft und Umwelttechnologie. Im Gegensatz dazu sollte jedoch von einer Vernetzungsförderung im Bereich Planen und Bauen auf Ebene der Metropolregion aus Gründen der Subsidiarität abgesehen werden, da die Netzwerke in diesem Kompetenzfeld hauptsächlich subregional bzw. lokal in den einzelnen Teilräumen der MRHBG ausgerichtet sind. Auf der an deren Seite erscheinen die Netzwerkbeziehungen der Agrar- und Forstwissenschaft zu stark international ausgerichtet für eine sinnvolle Vernetzungsarbeit im regionalen Zuschnitt. Da die Metropolregion hier offenbar keinen „natürlichen“ Kooperationsraum darstellt, erscheinen Versuche, die intraregionale Wissenszirku lation in diesen beiden Kompetenzfeldern durch ein regionales Netzwerkmanagement zu verbessern, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Neben der übergeordneten Notwendigkeit zur Differenzierung zwischen den Kompetenzfeldern lassen sich aus den Ergebnissen der Netzwerkanalyse eine Reihe weiterer Herausforderungen ableiten, denen sich ein regionales Netzwerkmanagement annehmen sollte: n Netzwerkmanagement könnte versuchen, identifizierte Lücken in regionalen Netzwerkstrukturen zu schließen, um die Wissenszirkulation zu verbessern. Mögliche Instrumente hierfür sind eine gezielte Gründungs-, Ansiedlungs- und Kooperationsförderung. Ein derart hohes Maß an Selektivität dürfte in der Praxis der regionalen Wirtschaftsförderung aber nur schwer umsetzbar sein. n Die Netzwerkanalyse hat bislang isolierte Akteure und Netzwerkfragmente entdeckt, deren Integration eine bessere Nutzung vorhandener Wissensressourcen erlauben und neue Möglichkeiten für kollektive Lernprozesse erschließen würde. Es ist aber nicht auszuschließen, dass einzelne Akteure und Netzwerkkomponenten aus guten Gründen relativ isolierte Positionen einnehmen. Die Gründe für Isolation und Fragmentierung sowie mögliche Integrations- RegioPol eins 2008 52 n n n n hemmnisse begründen den Bedarf an weiterer Forschung, etwa in Form von auf den Ergebnissen der Netzwerkanalyse aufbauenden Fallstudien. Im konkreten Fall der MRHBG bezieht sich die Forderung nach einer besseren Netzwerkintegration aber nicht zuletzt auch auf die zwischen einzelnen SubRegionen fragmentierten Netzwerkkomponenten. Die Netzwerkanalyse hat insbesondere die Kooperation und Arbeitsteilung der Hochschulen als verbesserungswürdig herausgestellt. Die Vereinbarung einer Zusammenarbeit der Universität Hannover mit der TU Braunschweig und der TU Clausthal als virtuelle Niedersächsische Technische Hochschule (NTH) stellt einen ersten Schritt in diese Richtung dar. Die Netzwerkanalyse hat aber nicht nur die Schwächen regionaler Netzwerkstrukturen in Form von isolierten und fragmentierten Elementen, sondern auch die Stärken in Gestalt zentraler bzw. fokaler Akteure aufgedeckt. Diese Akteure als Knoten und Multipli katoren in regionalen Wissensnetzwerken zu integrieren, muss als zentrale Voraussetzung eines erfolgreichen regionalen Wissensmanagements angesehen werden. Ihre strategische Relevanz für ein regionales Netzwerkmanagement fußt nicht nur auf ihrer Bedeutung als Wissensträger, sondern auch auf ihrer zentralen Netzwerkposition, die ihnen eine schnelle Verbreitung von Wissen ermöglicht. Für ein regionales Netzwerkmanagement zu aktivierende strategische Akteure sollten aber nicht ausschließlich im Zentrum etablierter Netzwerke gesucht werden, sondern auch an den Schnittstellen zu anderen etablierten Kom petenzfeldern. Dort können bislang unverknüpfte W issensbestandteile, die dennoch auf einer gemein samen wissenschaftlichen Basis beruhen (related variety, vgl. Frenken et al. 2007) zu neuen radikalen Inventionen und Innovationen neu kombiniert werden. Als weitere Akteursgruppe verdienen KMU die spezielle Aufmerksamkeit einer regionalen Netzwerkstrategie, da sie aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen weniger als Großunternehmen in regionale Wissensnetzwerke integriert sind, aus dem gleichen Grund aber überproportional von einer stärkeren Einbindung profitieren können. Weiterhin erscheint es selbstverständlich, dass Netzwerkstrategien über die Region hinausgehende Verbindungen stärken müssen. Auf diese Weise können überregionale und internationale Wissensströme angezapft und durch die kontinuierliche Absorption neuen Wissens von außen Lock-in-Effekte durch eine einseitige Binnenorientierung vermieden werden. Eine wissensbasierte Netzwerkstrategie für die MRHBG sollte in Form einer Schaltzentrale institutionalisiert werden, die die teilräumlichen Clusterinitiativen und Wirtschaftsförderungsagenturen in den Kompetenzfeldern koordiniert, für die die Ergebnisse der Netzwerkanalyse einen metropolitanen Zuschnitt der Interaktionsmuster nachweisen bzw. empfehlen. Ein solches metropolitanes Wissens- und Netzwerkmanagement würde die Metropolregion als nicht nur administrativen, sondern auch funktionalen Kooperationsraum etablieren. Es könnte zudem einen Ausgleich zwischen Subsidiarität und intraregionaler Konkurrenz einerseits sowie gemeinsamen Interessen und einer einheitlichen Positionierung im wissensbasierten Wettbewerb der Metropolregionen andererseits herbeiführen. Der wesentliche praktische Nachteil der Netzwerkanalyse ist in den relativ hohen Kosten ihrer Durchführung zu sehen. Politische Visionen und langfristige Führungskraft (leadership, vgl. Glaab 2007) sind daher als notwendige Voraussetzung anzusehen, um nicht nur für die Durchführung der Analyse, sondern auch für die Umsetzung ihrer Ergebnisse in der Entwicklung und Realisierung einer regionalen Wissensmanagementstrategie die erforderlichen Ressourcen mobilisieren zu können. Im Fall der MRHBG bleibt daher abzuwarten, ob die durch die Netzwerkanalyse geschaffene reichhaltige empirische Basis in eine effektive Wissensmanagementstra tegie umgesetzt werden kann. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass eine einseitige Orientierung am „Netzwerk-Paradigma“ nicht zur Ausblendung des Wettbewerbs als wichtiger alternativer Quelle von Wissensspillovern in Form sogenannter Porter-Externalitäten führen sollte (vgl. Glaeser et al. 1992, S. 1127 f.). Die vorgestellten Ergebnisse unterstreichen das Potenzial der Netzwerkanalyse als einem strategischen Informationswerkzeug für das regionale Wissensmanagement. Die Methode gewährt detailliertere Einblicke in regionale Netzwerkstrukturen als die herkömmliche Analyse regionaler Innovationspotenziale, wie sie beispielsweise das European Regional Innovation Survey (ERIS) Ende der 1990er Jahre in elf europäischen Regionen anwandte (vgl. Fritsch et al. 1998, Sternberg 2000). ERIS erfasste Kooperationsbeziehungen lediglich aus der Sicht jeweils eines Akteurs (Industrie, Wissenschaft und wissensintensive Unternehmensdienstleistungen) mit ordinal bewerteter Intensität und differenzierte nach der Akteursgruppe des Partners sowie der räumlichen Maßstabsebene der Kooperationsbeziehung. Die Netzwerkanalyse geht einen entscheidenden Schritt weiter, indem sie Kooperationsbeziehungen zwischen konkret identifizierten Partnern von beiden Seiten erfasst, zu Netzwerkdiagrammen zusammenfügt und mit Hilfe verschiedener Parameter und im Vergleich mehrerer Kompetenzfelder charakterisiert. Die Netzwerkanalyse hat jedoch auch ihre Schwächen und Grenzen, da sie auf den subjektiven Einschätzungen und dem u. U. begrenzten Informationsstand der befragten Individuen aufbaut. Sie kann lediglich Hinweise auf die Existenz tatsächlicher Wissensströme liefern und deren Intensität nur näherungsweise bestimmen. An diesem Defizit sollten detailliertere Fallstudien ansetzen, um das Ausmaß und die Wirkungen wissensbasierter regionaler Kooperationen näher zu bestimmen, aber auch um die Gründe für die unterschiedlichen Netzwerkeigenschaften der Kompetenzfelder und die Ursachen möglicher Vernetzungshemmnisse zutage zu fördern. Die Gründe für die Wissensökonomie Fragmentierung regionaler Netzwerkkomponenten und die Isolierung einzelner Akteuren zu kennen, ist schließlich eine entscheidende Voraussetzung, um zielgerichtete Ansätze eines regionalen Wissensmanagements entwickeln und beurteilen zu können. Die Identifikation von regionalen Vernetzungsdefiziten in der Analyse bedeutet schließlich noch nicht automatisch, dass ihre Schließung gewollt und möglich ist oder die regionale Wissenszirku lation tatsächlich verbessern würde. Sie könnten auch auf eine zu heterogene regionale Wissensbasis hinweisen, die eher eine feinere Abgrenzung der Kompetenzfelder denn eine Vernetzung „um jeden Preis“ erfordern würde. Quellen Arrow, K.J. (1994): Methodological Individualism and Social Knowledge. In: American Economic Association Papers and Proceedings, 84(2), S. 1–9. Backhaus, A. 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Frankfurt am Main: Peter Lang 54 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 55 Manfred Steincke, Marie Christin Dickow Innovationspotenziale der Metropolregionen in Deutschland Benchmarking der Knotenpunkte der Wissensökonomie D ie elf deutschen Metropolregionen gelten als Knotenpunkte der neuen Wissensökonomie. Sie zeichnen sich durch eine große Akteursdichte und -vielfalt aus, welche günstige Voraussetzungen für vielfältige persönliche Kontakte bieten. Dichte Kommunikationsnetze begünstigen die Entstehung einer regionalen Wissensbasis und von Lernprozessen. Des Weiteren stellen die Metropolregionen einen Ressourcenpool in Hinblick auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte, eine entwickelte wissenschaftliche Infrastruktur, Zuliefermärkte und eine gut ausgestattete Kommuni kations- und Transportinfrastruktur dar. Als Knoten globaler Wissensnetzwerke bieten sie ideale Standortqua litäten für hochwertige Dienstleistungen wie Forschung und Entwicklung oder die Medien- und Kreativindus trien. Zusätzlich tragen Metropolregionen bedeutend zur Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit eines Landes bei, gewährleisten die weltwirtschaftliche Integra tion und sind Zentren des internationalen kulturellen Transfers (vgl. NORD/LB 2007). Im Folgenden werden die elf deutschen Metropolregionen einer vergleichenden Betrachtung unterzogen und ihre innovativen Potenziale anhand ausgewählter Input- und Outputindikatoren analysiert. 1. Wirtschaftsstruktur und -entwicklung Die Analyse von Struktur und Entwicklung der regionalen Wirtschaft lässt grundsätzliche Aussagen über das regionale Innovationspotenzial zu, denn die Position im Strukturwandel und der wirtschaftliche Erfolg einer Region können als Hinweis auf die Nutzung von innovato rischen Potenzialen gewertet werden. Die Metropolregionen zeigen sich im wirtschaftlichen Strukturwandel weit fortgeschritten. In München, Hamburg, Frankfurt/Rhein-Main und Berlin-Brandenburg gehörten im Jahr 2006 rund drei Viertel aller sozial versicherungspflichtig Beschäftigten dem Dienstleistungssektor an. Unter den norddeutschen Metropolre gionen rangiert Hamburg derzeit an vorderster Position, b Kunstobjekt, Frank Popp (Detail) während Hannover-Braunschweig-Göttingen und Bremen/Oldenburg jeweils Anteile von rund zwei Drittel aller Beschäftigten im Dienstleistungssektor für sich verbuchen. Die Schlusslichter bilden die Metropolregionen Rhein-Neckar, Nürnberg und Stuttgart, die noch immer besonders stark durch die Industrie geprägt sind und in denen rund 60 Prozent aller Beschäftigten dem Dienstleistungssektor angehören. Die Beschäftigtenentwicklung verlief des Weiteren im Zeitraum von 1999 bis 2006 in München am günstigsten. Die Metropolregion konnte sich gegenüber dem bundesweiten Rückgang von jahresdurchschnittlich 0,6 Prozent ein deutliches Plus von 0,7 Prozent erarbeiten. Auf den folgenden Plätzen dieses Rankings liegen die Metropol regionen Nürnberg und Stuttgart mit gleichbleibender Entwicklung. Nahezu gleichauf folgen Hamburg, Frankfurt/Rhein-Main, Bremen/Oldenburg und Rhein-Neckar mit einem leichten Rückgang von 0,1 Prozent. Die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen positioniert sich darüber hinaus mit Verlusten von 0,6 Prozent im Mittelfeld der Metropolräume, während insbesondere in den ostdeutschen Regionen Berlin-Brandenburg und Halle/ Leipzig-Sachsendreieck entgegen dem ohnehin schwachen Bundestrend sehr deutliche Beschäftigungsverluste von bis zu 1,9 Prozent zu verkraften waren. Im Vergleich der Metropolregionen konnte ausschließlich die Region München zuletzt Beschäftigungszuwächse sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor vermelden (Abb. 1). Aber auch Stuttgart und Nürnberg, die im Dienstleistungssektor deutliche Gewinne verzeichneten, zeigen eine insgesamt positive Dynamik. Die Metropolregion Frankfurt/ Rhein-Main ist in den vergangenen Jahren durch einen starken Abbau von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe gekennzeichnet, kann diesen aber durch eine besonders günstige Entwicklung im Dienstleistungssektor annähernd kompensieren. Aufschluss über die Perspektiven der deutschen Metropolregionen gibt nicht zuletzt eine Gegenüberstellung der Bevölkerungsentwicklung. Wachstumsstarke Regionen können sich gegenüber dem demografischen Trend 56 RegioPol eins 2008 Abbildung 1:Beschäftigungsentwicklung im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor in den Metropolregionen 1999 bis 2006 JD: Jahresdurchschnittliche Veränderung in Prozent Quelle: Bundesagentur für Arbeit. – Berechnungen der NORD/LB. (und dessen Folgen) wesentlich besser behaupten, als Regionen, in denen Bevölkerungsrückgang und zunehmende Alterung eine Abwärtsspirale in Gang zu setzen drohen. Insofern besitzen vor allem München (+0,96 Prozent), Hamburg (+0,45 Prozent) und Stuttgart (+0,44 Prozent) mit dem stärksten jahresdurchschnittlichen Bevölkerungswachstum im Zeitraum 1999 bis 2005 aller deutschen Metropolregionen eine sehr gute Ausgangsbasis für die weitere Entwicklung. Dahinter folgen mit leichtem Abstand Bremen/Oldenburg (+0,3 Prozent), Frankfurt (+ 0,27 Prozent), Nürnberg (+0,26 Prozent) und Rhein-Neckar (+0,21 Prozent), die ebenfalls zulegen konnten. Alle anderen Metropolregionen nördlich des Mains mussten dagegen Einbußen hinnehmen, so auch besonders das Sachsendreieck mit einen Rückgang von 0,55 Prozent. 2. Wissensbasierte Wirtschaftsbereiche Umfang und Struktur wissensintensiver Wirtschafts bereiche sind in der wissensbasierten Ökonomie ein wichtiger Indikator für das Innovationspotenzial und die osition einer Region im internationalen StandortwettP bewerb. Im verarbeitenden Gewerbe weisen die Metropolregionen Stuttgart und Rhein-Neckar die höchsten Anteile wissensintensiver Wirtschaftszweige (bezogen auf die gesamte Beschäftigung) auf (Tab. 1). Die stärkste Entwicklungsdynamik geht in diesem Bereich allerdings von München, Hamburg und dem Sachsendreieck aus. Bei den wissensintensiven Dienstleistungen präsentieren sich München und Frankfurt/Rhein-Main vor Rhein-Ruhr und Hamburg mit den höchsten Anteilen an der Gesamtbeschäftigung (Tab. 1). In Bezug auf die Entwicklungsdynamik sind in diesem Bereich die Metropolregionen München, Stuttgart und Nürnberg führend. Unternehmensorientierte Dienstleistungen weisen zum größten Teil eine hohe Wissensintensität auf und befördern zudem häufig innovative Prozesse in anderen Wirtschaftsbereichen. Daher werden sie als aussagekräftiger Indikator für regionale Innovationspotenziale herangezogen. In diesem Sektor behaupten sich die Metropolregionen Frankfurt/Rhein-Main und München vor Hamburg auf den vorderen Plätzen (Tab. 1). Spitzenreiter beim Wachstum in diesem Segment ist Nürnberg vor Hamburg und Bremen/Oldenburg. Wissensökonomie 57 Tabelle 1: Anteile wissensintensiver Wirtschaftszweige an der Gesamtbeschäftigung in den Metropolregionen 2006 Wissensintensive Wirtschaftszweige im VG Rang Anteil Metropolregion in % Wissensintensive Wirtschafts- zweige im Dienstleistungssektor Anteil Metropolregion in % Unternehmensorientierte Dienstleistungen Anteil Metropolregion in % 1 20,2 Stuttgart 32,0 München 31,3 2 18,3 Rhein-Neckar 28,2 Frankfurt/Rhein-Main 30,3 3 14,6 Nürnberg 25,2 Rhein-Ruhr 27,5 4 14,4 Hannover-Braunschweig- 25,0 Hamburg 24,2 Göttingen 5 13,7 München 24,0 Berlin-Brandenburg 23,5 6 9,4 Frankfurt/Rhein-Main 23,4 Stuttgart 21,6 7 8,9 Rhein-Ruhr 22,6 Rhein-Neckar 21,2 8 8,8 Hamburg 22,2 Hannover-Braunschweig- 21,1 Göttingen 9 8,7 Bremen/Oldenburg 20,5 Nürnberg 20,8 10 7,5 Halle/Leipzig- 20,1 Halle/Leipzig- 20,6 Sachsendreieck Sachsendreieck 11 5,2 Berlin-Brandenburg 19,3 Bremen/Oldenburg 20,3 10,9 Metropolregionen 24,5 Metropolregionen 24,4 insgesamt insgesamt 11,0 Deutschland 22,2 Deutschland 21,3 Frankfurt/Rhein-Main München Hamburg Rhein-Ruhr Berlin-Brandenburg Halle/LeipzigSachsendreieck Stuttgart Bremen/Oldenburg Nürnberg Rhein-Neckar Hannover-BraunschweigGöttingen Metropolregionen insgesamt Deutschland Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2007, eigene Berechnungen 3. Innovationsaktivitäten Die betrieblichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (FuE) spielen im regionalen Innovationsprozess eine entscheidende Rolle. Die FuE-Intensität einer Region errechnet sich aus dem Anteil der hoch qualifizierten Beschäftigten mit Schlüsselqualifikationen für FuE-Pro zesse (Naturwissenschaftler und Ingenieure) im ver arbeitenden Gewerbe bezogen auf die Gesamtbeschäf tigung in diesem Sektor. Im Vergleich zeigt sich, dass die Metropolregion München mit Abstand die höchste FuEIntensität besitzt, es folgen Stuttgart und Hamburg (Abb. 2). Auf den letzten Plätzen finden sich die Metropolregionen Rhein-Ruhr und Bremen/Oldenburg wieder. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den FuE-Aus gaben im öffentlichen Bereich. In Deutschland wurden im Jahr 2003 insgesamt rund 16,5 Mrd. Euro für die Forschung und Entwicklung aufgewendet, wovon knapp 7,3 Mrd. Euro auf den Staatssektor1 sowie etwa 9,2 Mrd. Euro auf den Hochschulsektor entfielen. Bei den absoluten Ausgaben für FuE sowohl im Staatssektor als auch bei Universitäten und Fachhochschulen liegt die Metropol region Bremen/Oldenburg mit Aufwendungen in Höhe von 385.000 Euro vor Nürnberg mit 374.000 Euro auf dem vorletzten Rang unter den Vergleichsregionen. Die meisten Ausgaben werden insgesamt in den Metropol regionen Rhein-Ruhr (2,1 Mio. Euro), Berlin-Brandenburg (1,9 Mio. Euro) und München (1,5 Mio. Euro) getätigt. Bei den FuE-Ausgaben im Hochschulsektor kann auch Hannover-Braunschweig-Göttingen mit knapp 1,3 Mio. Euro eine der vorderen Positionen belegen. Bei der Anzahl des FuE-Personals im Staatssektor sind Berlin-Brandenburg und München darüber hinaus führend. Im Hochschulbereich besitzt die Metropolregion Rhein-Ruhr vor BerlinBrandenburg die üppigste Ausstattung mit FuE-Personal. Des Weiteren erweist sich die Zahl der Patentanmeldungen in einer Region zwar nicht als ein eindeutiger Vergleichsmaßstab für Innovationsaktivitäten, sie stellt jedoch einen der wenigen quantifizierbaren Output- Indikatoren dar und vermag in dieser Hinsicht wertvolle Anhaltspunkte zu liefern. Mit Blick auf Abbildung 3 zeigt sich im Vergleich der Metropolregionen ein eindeutiges Außeruniversitäre Einrichtungen inkl. private Organisationen ohne Erwerbscharakter 1 58 RegioPol eins 2008 Abbildung 2: FuE-Intensität in den Metropolregionen 2005 Quelle: Bade 2006. – Berechnungen und Darstellung der NORD/LB. Süd-Nord-Gefälle. In absoluten Größen sind die Metropolräume Stuttgart und Rhein-Ruhr die bedeutendsten Patentanmelder. Bezogen auf die Zahl der Einwohner werden in Stuttgart und München die meisten Patente hervorgebracht. Die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen nimmt dabei in Relation zur Einwohnerzahl einen guten sechsten Platz ein, während Hamburg auf Position acht rangiert und Bremen/Oldenburg das Schlusslicht bildet. 4. Existenzgründerpotenziale Die Betrachtung des Indikators „Existenzgründungen“ lässt darüber hinaus Aussagen über eine möglicher weise rege Gründerszene zu, die generell auf ein güns tiges Innovationsklima in einer Region hindeutet. Hinsichtlich der Unternehmensgründungen rangieren die Metropolregionen München und Hamburg im bundesweiten Vergleich auf dem ersten und zweiten Platz. Es folgen Frankfurt/Rhein-Main und Hannover-Braunschweig-Göttingen. Eine Gegenüberstellung der Gründungsaktivitäten der städtischen Zentren in den Metropolregionen führt außerdem zu dem Ergebnis, dass in der Stadt Hamburg eine besonders dynamische Gründerszene anzutreffen ist. Das Innovationspotenzial einer Region resultiert darüber hinaus in hohem Maße aus Unternehmensgründungen in den Bereichen Spitzentechnik und höherwertige Technik im verarbeitenden Gewerbe, technologieintensive Dienstleistungen, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie unternehmensorientierte Dienstleistungen2. In der differenzierten Betrachtung halten 2 Die Abgrenzung der Wirtschaftszweige basiert auf der Umschlüsselung der ISI/NIW Liste - Fassung von 2000 - nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige Ausgabe 1993 des Statistischen Bundesamtes. Wissensökonomie 59 Abbildung 3: Patentanmeldungen in den Metropolregionen 2005 Quelle: Deutsches Patent- und Markenamt, Patentatlas Deutschland 2006. – Statistisches Bundesamt. – Berechnungen und Darstellung der NORD/LB. München und Rhein-Neckar die Spitzenpositionen bei Existenzgründungen im Bereich der Spitzentechnik. München belegt vor Hamburg auch bei Gründungen im Bereich der höherwertigen Technik den ersten Platz. Beide Metropolräume sind auch hinsichtlich der Gründungen in den Dienstleistungsbereichen auf den vor deren Rängen vertreten. Deutliche Schwächen bei der Gründungsintensität in allen wissensintensiven Bereichen zeigen dahingegen die Metropolregionen Halle/ Leipzig-Sachsendreieck und Bremen/Oldenburg. 5. W issenschafts- und Forschungspotenziale Eine weitere Säule des regionalen Innovationssystems bildet die wissenschaftliche Infrastruktur, die einen Rahmen für innovationsfreundliche Wirtschaftsbedin- gungen setzt. Um die Wissenschafts- und Forschungspotenziale zwischen den deutschen Metropolregionen vergleichen zu können, werden im Folgenden Indika toren analysiert, die das quantitative Forschungspo tenzial an Hochschulen und an außeruniversitären Forschungseinrichtungen widerspiegeln. Im Hinblick auf die Ausstattung mit Lehr- und Forschungspersonal an den Hochschulen liegen die Metropolregionen Rhein-Ruhr und Berlin-Brandenburg basierend auf den absoluten Zahlen auf den vorderen Rängen. Im Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerzahl der Metropolräume weist jedoch München vor dem Sachsendreieck die beste Ausstattung auf. Hamburg belegt in diesem Zusammenhang gemeinsam mit Bremen/Oldenburg den letzten Rang. Die Metropolregion Hamburg kann sich allerdings in Bezug auf die außeruniversitären Forschungseinrichtungen deutlich besser positionieren. Bezogen auf die 60 RegioPol eins 2008 Abbildung 4: DFG-Bewilligungen an Hochschulen und außeruniversitäre Einrichtungen 2002 bis 2004 Quelle: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Berechnungen und Darstellung der NORD/LB regionale Gesamtbeschäftigung belegt Hamburg bei der Zahl der Mitarbeiter in außeruniversitären Forschungseinrichtungen den fünften Rang hinter München, Berlin-Brandenburg, Rhein-Neckar und dem Sachsendreieck. Vergleichsweise schwach ausgestattet sind in diesem Bereich die Metropolregionen Nürnberg und Stuttgart. Ein wichtiges Indiz für das Forschungspotenzial einer Region ist zudem die Ausstattung mit entsprechenden Fördergeldern. Das BMBF stellt Mittel zur Förderung von Forschungsprojekten bereit, die gemeinsam von jeweils mindestens einem Partner aus der Wirtschaft und aus der Wissenschaft durchgeführt werden (Verbundforschung). Es ist davon auszugehen, dass die Fördermittel vornehmlich in die Regionen fließen, in denen ein förderungswürdiges Potenzial besteht. Die meisten Verbundforschungsmittel flossen im Jahr 2006 nach Berlin-Brandenburg (226 Mio. Euro) und München (203 Mio. Euro), die letzten Plätze in diesem Ranking belegen Rhein- Neckar (51 Mio. Euro), Nürnberg (47 Mio. Euro) und Bremen/Oldenburg (37 Mio. Euro). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) leistet des Weiteren finanzielle Unterstützung für Forschungsvorhaben bzw. Personen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Die Verteilung der Fördergelder auf die Metropolregionen entspricht in etwa der Ausstattung der Regionen mit Lehr- und Forschungspersonal. Die Metropolregionen Rhein-Ruhr und Berlin-Brandenburg sind auch in diesem Bereich führend, während Bremen/Oldenburg den letzten Rang einnimmt (Abb. 4). Nicht zuletzt werden vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) seit dem Jahr 1998 Rankings deutschsprachiger Universitäten und Fachhochschulen erstellt. Das ForschungsRanking bereitet die erhobenen Daten unter dem Gesichtspunkt der universitären Forschungsleistungen auf. Ein beachtliches Potenzial forschungsgeldstarker Hochschulen aus unterschied Wissensökonomie 61 Abbildung 5: Forschungsgeldstarke Hochschulen in den Metropolregionen Quelle: CHE-HochschulRanking 2006. - Darstellung der NORD/LB. lichen Fachrichtungen weist vor allem die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen auf (Abb. 5). 6. Qualifikationspotenzial Wissen und Kreativität stellen in der Wissensgesellschaft den entscheidenden Motor für die Innovationsleistungen einer Region dar. In der „people-driven-economy“ sind qualifizierte Arbeitskräfte die erfolgskritische Ressource. Dementsprechend weisen vor allem jene Standorte eine besondere ökonomische Leistungsfähigkeit auf, die über einen umfangreichen Pool an qualifizierten Fach- und Führungskräften verfügen. Das Potenzial einer Region, innovative Produkte und Dienstleistungen hervorzubringen, gründet sich dabei maßgeblich auf deren Ausstattung an Hochqualifizierten, d. h. Beschäftigte mit Hochschul- bzw. Fachhochschulabschluss. Räumliche Kristallisationspunkte für Innovationen sind demzufolge vornehmlich die großen urbanen Zentren, die aufgrund ihrer besonderen Attraktivität eine hohe Verdichtung von Wissensarbeitern aufweisen. Metropolregionen sind in diesem Zusammenhang deutlich besser mit Hochqualifizierten ausgestattet als der Durchschnitt aller Wirtschaftsräume in Deutschland. Auf den vorderen Rängen rangieren die Zentren wissensintensiver Industrien und Dienstleistungen München, Stuttgart und Frankfurt sowie Halle/Leipzig- Sachsendreieck und Berlin-Brandenburg. Die Quote hoch qualifizierter Arbeitskräfte an der Gesamtbeschäftigung liegt insbesondere in der Metropolregionen München mit 17 Prozent und Halle/Leipzig-Sachsen dreieck mit knapp 14 Prozent klar über dem bundes weiten Durchschnitt von 9,5 Prozent. Die norddeutschen Metropolräume Hamburg und Hannover-Braunschweig- Göttingen befinden sich darüber hinaus mit leicht unterdurchschnittlichem Qualifikationsniveau im Mittelfeld, während Bremen-Oldenburg mit einer Hochquali 62 RegioPol eins 2008 Abbildung 6: Rangpositionen aller deutschen Metropolregionen bei strukturellen Innovationsindikatoren Hamburg Hannover-Braunschweig-Göttingen Frankfurt/Rhein-Main Stuttgart Nürnberg Halle/Leipzig-Sachsendreieck Bremen/Oldenburg Rhein-Ruhr Rhein-Neckar München Berlin-Brandenburg Patentanmeldungen im Jahr 2005 je 10.000 Einw. Studierende in allen Fächergruppen WS 04/05 (absolut) Lehr- und Forschungspersonal an Hochschulen je 1.000 Einw. (WS 04/05) DFG-Bewilligungen an Hochschulen und außeruniv. Einr. 2002 – 2004 in Mio. Euro 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 BMBF-Förderung – laufende Verbundprojekte in Mio. Euro Gründungsintensität (Gründungen je Erwerbsfähigem) 2002–2005 – Spitzentechnik im verarbeitenden Gewerbe (D=100) Beschäftigte in wissensintensiven Wirtschaftszweigen im verarbeitenden Gewerbe 2006 (Anteil an insg. in v. H.) Beschäftigte in wissensintensiven Wirtschaftszweigen im Dienstleistungssektor 2006 (Anteil an insg. in v. H.) Wissenschaftlerintensität 2005 (nach Bade) FuE-Intensität 2005 (nach Bade) Beschäftigte in unternehmensorientierten Dienstleistungen 2006 (Anteil an insg. in v. H.) Hoch qualifizierte Beschäftigte 2006 (Anteil an insg. in v. H.) Quelle: Darstellung der NORD/LB. fiziertenquote von lediglich 7 Prozent das Schlusslicht der deutschen Metropolregionen bildet. 7. Zusammenfassung Die in den vorangegangenen Abschnitten herangezo genen Innovationsindikatoren lassen bereits eine klare Tendenz erkennen, welche Metropolregionen sich innerhalb Deutschlands als Spitzenreiter hinsichtlich ihrer Innovationspotenziale positionieren. Die Rangpositionen 1 bis 11 der deutschen Metropolräume werden in Bezug auf die bereits aufgezeigten Kenngrößen sowie weiterer ergänzender Indikatoren in den folgenden Abbildungen zusammenfassend dargestellt. Verglichen werden strukturelle sowie entwicklungsorientierte Innovationsindikatoren. Je weiter außen sich dabei die Verbindungslinie der Rangpositionen der jeweiligen Metropolregion befindet, desto günstiger fällt die Position der Region beim Vergleich des Innovationspotenzials insgesamt aus. Nicht unerwartet präsentiert sich die Metropolregion München als innovativster Großraum innerhalb Deutschlands (Abb. 6). Als besonders herausragend erweisen sich im Raum München vor allem der Anteil Beschäftigter in wissensintensiven Wirtschaftszweigen des Dienstleistungssektors und die Hochqualifiziertenquote. Zudem ist München hinsichtlich der Intensität von FuEAktivitäten wie auch der Ausstattung mit Lehr- und Forschungspersonal an Hochschulen sowie der Wissenschaftlerintensität sehr gut aufgestellt. Bemerkenswert ist zudem, dass sich die Beschäftigung in den wissens intensiven Wirtschaftszweigen sowie der Anteil Hochqualifizierter mit FuE-Funktionen in den vergangenen Jahren überaus dynamisch entwickelt haben, was auch weiterhin auf eine außerordentliche Dynamik in diesen Bereichen schließen lässt (Abb. 7). Über ein ähnlich hohes Innovationspotenzial verfügen darüber hinaus die südlich gelegenen Metropolregionen Frankfurt/RheinMain und Stuttgart. Während Stuttgart insbesondere bei den Patentanmeldungen sowie beim Anteil der Wissensarbeiter im verarbeitenden Gewerbe punkten kann, liegt die Dienstleistungsmetropole Frankfurt speziell beim Beschäftigtenanteil in unternehmensorientierten Dienst leistungen vorn. Unter den norddeutschen Metropolregionen ist es darüber hinaus Hamburg und Hannover-Braunschweig- Wissensökonomie 63 Abbildung 7: Rangpositionen aller deutschen Metropolregionen bei entwicklungsorientierten Innovationsindikatoren Hamburg Hannover-Braunschweig-Göttingen Frankfurt/Rhein-Main Stuttgart Nürnberg Halle/Leipzig-Sachsendreieck Bremen/Oldenburg Rhein-Ruhr Rhein-Neckar München Berlin-Brandenburg Patentanmeldungen beim DPMA 2000 –2005 jd in v. H. Lehr- und Forschungspersonal an Hochschulen WS99/00 – WS04/05 jd in v. H. Hoch qualifizierte Beschäftigte mit FuE-Funktionen insgesamt 1995 – 2005 jd in v. H. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Veränderung der Gründungsintensität (Unternehmensgründungen je Erwerbsfähigem) 1998–2001 bis 2002–2005 in v. H. – Spitzentechnik im verarbeitenden Gewerbe Beschäftigte in wissensintensiven Wirtschaftszweigen im verarbeitenden Gewerbe 1999–2006 jd in v. H. Beschäftigte in wissensintensiven Wirtschaftszweigen im Dienstleistungssektor 1999–2006 jd in v. H. Hoch qualifizierte Beschäftigte mit FuE-Funktionen im verarbeitenden Gewerbe 1995 – 2005 jd in v. H. Hoch qualifizierte Beschäftigte 2000 –2006 jd in v. H. Beschäftigte in unternehmensorientierten Dienstleistungen 1999–2006 jd in v. H. jd: jahresdurchschnittliche Entwicklung Quelle: Darstellung der NORD/LB. Göttingen gelungen, sich in einigen Bereichen erfolgreich gegenüber den starken süddeutschen Metropolräumen zu behaupten, wenngleich beide hinsichtlich struktureller Indikatoren auf den hinteren Plätzen rangieren. Es zeigt sich allerdings auch, dass die Metropolregion Bremen/Oldenburg bei der Mehrzahl der Indikatoren momentan das Schlusslicht dieses Rankings bildet (Abb. 6). Eine nähere Betrachtung der entwicklungsorientierten Innovationsindikatoren zeigt jedoch, dass gerade strukturell benachteiligte Metropolräume z. T. eine beachtenswerte Entwicklungsdynamik vorweisen können. Bislang schwächer mit Innovationspotenzialen ausgestattete Regionen wie Bremen/Oldenburg oder auch Nürnberg befinden sich in einem Aufholprozess (Abb. 7). Aber auch die Metropolregion Hannover-BraunschweigGöttingen kann hinsichtlich der Entwicklung eine günstigere Position einnehmen. Die Region hat vor allem beim Anteil der Hochqualifizierten an der Gesamtbeschäftigung erheblich zugelegt. Es wird allerdings auch deutlich, dass ein vergleichsweise geringes Niveau des Innovationspotenzials einer Metropolregion keine zwingende Voraussetzung für eine besonders hohe Dynamik in diesem Bereich ist. Die Metropolregionen München und Stuttgart zeigen bei vielen Indikatoren neben einer umfangreichen Ausstattung zugleich eine besonders günstige Position bei der Entwicklung des regionalen Innovationspotenzials. Quellen: NORD/LB (2007): Wissensvernetzung in der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen. Studie im Auftrag der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen. Hannover. 64 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 65 Dietrich Fürst Wissensregion Die neueste Modeerscheinung in der regionalen Strukturpolitik? 1. Wissensregionen im Kontext sich wandelnder Vorstellungen über die „richtige“ regionale Strukturpolitik Regionale Strukturpolitik und die Wirtschaftspolitik von Regionen kämpfen seit fast 30 Jahren um neue, theoriebasierte Ansätze, wie die komplexen regionalen Wirtschaftsstrukturen und -prozesse mit Hilfe politisch-administrativer Initiativen unterstützt werden können, um sich den geänderten Rahmenbedingungen schneller und effektiver anpassen zu können. Relativ früh war dabei klar, dass den externen staatlichen Interventionen enge Grenzen gesetzt sind – sie führen eher zu Mitnahme-Effekten oder stabilisieren Strukturen, als dass sie wesentliche Impulse zu Veränderungen auslösen. „Endogene Entwicklungsstrategien“ war das Gegenkonzept. Aber was es inhaltlich bedeuten könnte, blieb zunächst unklar: Wie die Strukturen aus sich heraus sich aktiv und wirkungsvoll „modernisieren“ können, war deshalb strittig, weil marktliche Kräfte zwar einige Unternehmen veranlassen, sich pro-aktiv zu verändern. Aber solche Impulse von Einzelunternehmen bleiben wirkungslos, wenn sie nicht in der Region auf breitere Resonanz stoßen. Deshalb sind für regionale Wirtschaftsstrukturen und -prozesse immer auch komplementäre „Gemeinschaftsgüter“ relevant, die sich den Marktkräften entziehen oder nur verzögert darauf reagieren. Das betrifft z. B. Forschungs- und Bildungseinrichtungen, das Management von Arbeitsmärkten, Verbesserung der Verkehrs- und Telekommunikations-Infrastruktur, aber auch soziale Infra struktureinrichtungen wie Kindergärten, Gesundheits einrichtungen, Freizeiteinrichtungen, Wohnqualitäten, Kulturqualitäten etc. Ganz offensichtlich erfordern Umstrukturierungsprozesse ergänzende Leistungen, die weniger über den Markt als über personelle Interaktionen, zivilgesellschaftliche Initiativen oder Gemeinschaftsleistungen verschiedener Akteure erfolgen und statt marktlicher Koordination Abstimmungen über Verhandlungen und Gespräche benötigen. Damit verschob sich der Fokus derer, die nach Lösungen suchten, immer stärker auf das, was heute „governance“ genannt wird, b Buddhistische Schule, Pingyao, China d. h. außermarktliche Vernetzungen von Akteuren zur Erledigung gemeinsam betreffender Belange. Das be gann in Nordrhein-Westfalen mit den – vom Staat initiier ten – Regionalkonferenzen, die „bottom-up“ regionale Entwicklungskonzepte erarbeiten sollten, die zur Struk turveränderung und Regionalentwicklung einen wesentlichen Beitrag leisten und vom Staat gefördert werden konnten. Der Erfolg war zwar anfangs gering, aber die Stoßrichtung war richtig – deshalb wurde die Idee dieser Regionalkonferenzen verfeinert und über Konzepte des „Regionalmanagement“ in die offizielle Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ übernommen, nachdem die EU-Kommission ihre EU-Strukturpolitik schon zu Beginn der 1990er Jahre auf Ansätze regionaler Selbst-Steuerung umstellte. Angestoßen durch amerikanische Wirtschaftsgeografen, insbesondere Michael PORTER und Paul KRUGMAN wurde der Vernetzung wirtschaftlicher Akteure mehr Aufmerksamkeit gewidmet, um die Vorteile vertiefender Wertschöpfungsketten, von „economies of scale“ (in Forschung, Produktion und Marketing) und von „knowledge spill-overs“ in einer Region wirksamer nutzen zu können (vgl. Scott/ Storper 2003): Die Nähe von Dienstleistern, hoch qualifizierten Arbeitskräften, hochwertiger Infrastruktur etc. wird in einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft mit schnell sich ändernden Märkten sehr hoch bewertet. Damit verbindet sich auch das Konzept der „Cluster“, das über Beratungsfirmen in die öffentliche Wahrnehmung gedrückt wurde. Die Grundidee der „Cluster“ ist die Ausschöpfung von Vorteilen der räumlichen Nähe zwischen wirtschaftlichen Akteuren, die über Wertschöpfungsketten miteinander verbunden sind, aber bisher ihre Verbindung nicht erkannt oder nicht ausgeschöpft hatten: Solche Vorteile betreffen auch persönliche Bindungen, Vertrauen, Sozialkapital, die nicht über Märkte verhandelt werden können. Das führte zur Diskussion von „innovative milieus“, „innovation systems“ oder „Wissensregionen“, in Reak tion darauf, dass sich Unternehmen im harten globalen Wettbewerb oft nur halten können, wenn sie sich auf 66 RegioPol eins 2008 issensintensive Güter und Dienstleistungen spezialiw sieren. Auch hier geht es primär um „Cluster“. Das Neue dabei ist jedoch dreierlei (vgl. van Winden, van den Berg, Pol 2007): 1. wird „Wissen“ als Ressource der Wirtschaftsentwicklung betrachtet, das nicht ubiquitär vorhanden ist, sondern in einer Region ungleich verteilt, teilweise selektiv, teilweise auch nicht-kodifiziert, als sogenanntes „tacit knowledge“, vorhanden ist. Darunter versteht man Erfahrungen, erlernte Routinen, spezi fisches Know-how, das Menschen, Organisationen oder ganze Regionen besitzen und das auch als „Investition“ zu werten ist. Der Umgang mit Wissen verlangt hoch qualifiziertes Personal. Deshalb stellen dieses und seine permanente Fortbildung in einer Wissensregion eine zentrale Einflussgröße dar. Denn je mehr Menschen über relevantes Wissen verfügen und je mehr sie kommunizieren, umso mehr entstehen „knowledge spillovers“, die für innovatorische Prozesse wesentlich sind und eine Art „öffentliches Gut“ repräsentieren. Wissensökonomie ist eine „people-driven economy“ (Richard Florida). Deshalb wird dem „Wettbewerb um Talente“ (Florida 2002) eine so große Bedeutung zugeordnet. Aber es sind vor allem die Verdichtungsräume, die dabei Gewinner sind (Mai/ Schlömer 2007). 2. steht Kooperation zur gemeinsamen Wissensnutzung und Wissensmehrung im Vordergrund: Dem marktlichen Wettbewerb wird nicht-marktliche Kooperation zur Seite gestellt, weil Wissensregionen auch von Leistungen abhängen, die nicht über den Markt erstellt werden können, wie tacit knowledge, spezifisches Forschungs-Know-how, Sozialkapital, kreative Foren, kreative Milieus u. ä. (Scott/Storper 2003) 3. geht es um (kollektive) Lernprozesse: Wissensmehrung und Wissensumsetzung sind eng verschränkt, und es kommt darauf an, Wissen nicht exklusiv zu behandeln, sondern möglichst viele Akteure, die in der Region mit dem Wissen konstruktiv arbeiten können, am Prozess der Wissensmehrung und -nutzung zu beteiligen. Das mag zunächst wie „akademische Fingerübungen“ aussehen, indem über immer neue Differenzierungen, immer neue Begriffe und immer neue Aspekte, die als wichtig definiert werden, von einzelnen Wissenschaftlern „Definitionsmacht“ beansprucht wird, um sich in der „scientific community“ Bedeutung zu verschaffen. Aber es spricht viel dafür, dass das Konzept tragfähiger ist – darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden. 2. S trukturelemente einer Wissensregion Eine Wissensregion ist dadurch gekennzeichnet, dass Wissensproduzenten, Wissensvermittler und Wissensnutzer so miteinander verbunden sind, dass die Region ihre wirtschaftliche Entwicklung auf die Ressource Wissen basieren kann. „Wissen“ unterscheidet sich von „Information“ dadurch, dass es sich bei Wissen um Kenntnisse über Funktional- und Kausalbeziehungen handelt, während „Informationen“ lediglich sinnbezogene Bewertungen von Zeichen sind. „Wissen“ kann sich beziehen auf Fakten, Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten von Variablen-Verknüpfungen, auf soziale Beziehungen (zu wissen, wer was weiß) sowie auf Fertigkeiten und Fähigkeiten (Know-how). Auch das implizite Wissen/tacit knowledge gehört dazu, das aber empirisch sehr schwer zu erfassen ist, wie ohnehin Investitionen in nicht-materielle Wissensmehrung statistisch unterwertig behandelt werden. Eine Studie von HASKEL, MARRANO und WALLIS (2008) zeigt jedoch, dass für jeden Euro, den Unternehmen in harte Investitionen stecken, nochmals mindestens so viel als „intangible investment“ eingeplant werden kann (z. B. Schulung des Personals, Software-Verbesserung, Forschungsleistungen). Wissensregionen haben Innovationspotenziale, die über Innovationssysteme genutzt und entwickelt werden. Innovationssysteme sind das Zusammenspiel von Wissensproduzenten, Wissensnutzern, Wissensvermittlern und einer Reihe von komplementären Strukturen (z. B. Infrastruktureinrichtungen). Um effektiv zu funktionieren, erfordern sie auch „Manager“/„Promotoren“, die das (statische) Potenzial in (dynamische) Prozesse der Innovationsentwicklung verwandeln können. Wissensökonomie 67 Wissen durch Austausch und Vernetzung mehren, kollektive Lernprozesse fördern und die Magnetwirkung der Region für die Ansiedlung von Unternehmen und die Anziehung qualifizierter Fachkräfte verbessern. Das Besondere dabei ist, dass für Wissensregionen nicht die engen, sektoralisierten und institutionell verengten Wissenseinheiten wichtig sind, sondern die interdisziplinäre Verknüpfung, die neuartigen WissensVerbindungen (vgl. Cooke/Piccaluga 2004). Deshalb sind Wissensregionen eng verbunden mit dem „Cluster“Konzept (vgl. Porter 1998): Es geht darum, die Vorteile der räumlichen Agglomeration von Unternehmen über die gesamte Wertschöpfungskette zu „internalisieren“. Das bedeutet: Wissen durch Austausch und Vernetzung zu mehren, kollektive Lernprozesse zu fördern und die Magnetwirkung der Region für die Attrahierung von Unternehmen und qualifizierten Fachkräften zu verbessern. Solche Regionen bieten Spezialisierung und Vielfalt (i. S. von: Ressourcenzugriff, Kompetenzen, Kreativitätspotenzial). Aber sie werden erst „Wissensregionen“, wenn zwischen denen, die mit Wissen umgehen, Vernetzungen entstehen, die zu Austausch und produktiver Weiterentwicklung führen können. Deshalb verbinden sich damit Stichworte wie „Kommunikation“, kollektives Lernen, „regional governance“. Wissensregionen bestehen immer aus vielfältigen Vernetzungen und Netzwerken. „Vernetzung“ bezeichnet „Sich-kennen-Verhältnisse“; Netzwerke sind i. d. R. projektbezogen. Vernetzungen und Netzwerke sind beide erforderlich – Vernetzungen erleichtern den Aufbau von projektbezogenen Netzwerken und sind zudem sehr viel weniger raumgebunden. Eine noch klarere Differenzierung hat GRABHER (2004) entwickelt. Er unterscheidet a) „communality“: Das ist der „beziehungsorientierte“ Typus Netzwerk, das aber zusätzlich durch private Kontakte unterstützt wird: Man kennt sich aus früheren Beziehungen, aus der gemeinsamen Ausbildungszeit, aus Clubs etc. und trifft sich auch außerprofessionell. b) „sociality“: Dieser „karriereorientierte“ Netzwerktypus enthält Akteure, die sich primär nur professionell begegnen, zu denen aber auch flüchtige Bekanntschaften gehören. Es dominiert der professionelle Kontakt, das Netzwerk wird von den Beteiligten primär instrumentell wahrgenommen. „Wissen“ wird ausgetauscht und gemeinsam genutzt. c) „connectivity“: entspricht dem Terminus der „projektorientierten“ „Vernetzung“ – es kann sich auch lediglich um virtuelle Kontakte über das Internet handeln. Der professionelle Informationstransfer steht im Vordergrund. 3. F unktionale Akteure, die dabei wichtig sind Wissensregionen leben von Wissensnutzung und deren Umsetzung in innovative Projekte oder Produkte. Das „Cluster“ einer Wissensregion umfasst deshalb immer Akteure aus drei Funktionsbereichen: (1) aus dem Bereich der Basis-Strukturen in denen Wissen erzeugt und umgesetzt wird; (2) aus dem Bereich der KomplementärStrukturen, in dem Akteure tätig sind, die katalysatorisch oder unterstützend die Basis-Strukturen verstärken; (3) aus dem Bereich der Führungsfunktionen, über welche solche Cluster und Vernetzungen organisiert, vorangetrieben und zielorientiert ausgerichtet werden. 1) zu den Basis-Strukturen gehören: n Wissensproduzenten: Das sind vor allem Hochschulen, Forschungseinrichtungen, FuE-Abteilungen von Unternehmen. Die Relevanz von Hochschulen und Forschungseinrichtungen für Wissensregionen be stimmt sich allerdings von ihren Forschungspro grammen und -ansätzen: Die Effektivität ist höher, wenn es sich um angewandte, transdisziplinäre und bezogen auf Verwendbarkeit „reflexive“ Forschungsansätze handelt und Hochschulen in die regionale Wissensproduktion eingebunden sind; n Wissensvermittler und Wissens-Tranferstellen: Das sind primär Fortbildungs-Einrichtungen, BeratungsDienstleister, Medien, Messen, Bibliotheken u. ä., aber zunehmend auch regionales Wissensmanagement mit regionsspezifischen Datenbänken und Informa tionssystemen; n Wissensnutzer: Das sind alle Unternehmen, Politiker, Verwaltungsleute, die wissensbasierte Aktivitäten durchführen. 68 RegioPol eins 2008 Diese Strukturen werden geprägt von qualifiziertem Personal und von deren Fähigkeit, das Qualifikations niveau permanent weiterzuentwickeln. Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen allein sind für die regionale Entwicklung nicht ausreichend – das „richtige“ Personal ist entscheidend (Raspe/van Oort 2006). Basis-Strukturen müssen extern vernetzt sein. Studien zeigen, dass für den Erfolg einer Wissensregion der Wissensaustausch über die Regionsgrenzen hinweg mitentscheidend ist – Regionen hängen auch vom Input an ex ternem Wissen ab, zumal Betriebe immer spezialisierter arbeiten, wofür die Region nicht mehr die alleinige InputEbene sein kann (vgl. Simmie 2005). Vielmehr ermöglicht die moderne IuK-Technik, dass sich die Wertschöpfungsketten global ausrichten, länger und global verteilt werden. FROMHOLD-EISEBITH plädiert deshalb für eine Vernetzung von regionalen, nationalen und internationalen „innovation systems“ (Fromhold-Eisebith 2007). Die Trennung von Produktion, Vermittlung und Nutzung ist bei Wissen häufig nur theoretischer Natur, weil in der Praxis Wissensregionen sich gerade dadurch auszeichnen, dass jeder der Akteure gleichzeitig Produzent, Vermittler und Nutzer sein kann. Allerdings sind die Schwerpunkte unterschiedlich – so sind Forschungseinrichtungen primär Produzenten, Verwaltungsleute, Politiker und wirtschaftliche Praktiker primär Nutzer sowie „Consultants“ primär Vermittler. Wegen dieser engen Kopplung der Funktionen sind kooperative Netzwerke für Wissensregionen typisch, allerdings in der spezifischen Form, dass solche Netzwerke nicht statische „Kartelle“ sind, sondern Anreizen der ständigen Wissensvermehrung und -nutzung ausgesetzt sind (z. B. über externe Wettbewerbsimpulse, interne Prämien u. ä.). Netzwerke sind wegen ihrer geringen formalen Strukturen, der Gleichrangigkeit der Akteure (es gibt praktisch keine hierarchischen Strukturen) und wegen ihrer spezifischen Handlungslogik, die auf Kommunikation und Verhandlung beruht, ideale Organisationsformen für Informations- und Wissensaustausch sowie für innovatorische Kommunikationsprozesse. Aber Netzwerke sind kein Instrument in dem Sinne, dass sie „top-down“ und interventionistisch eingesetzt werden könnten: Denn sie entwickeln sich auf der Basis von freiwilligen Kooperationen. Aber funktionierende Wissensregionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Voraussetzungen schaffen und sichern, dass Netzwerke leicht entstehen und wirkungsvoll arbeiten können. 2) Komplementär-Strukturen unterstützen die BasisStrukturen. Insbesondere wirken sie wesentlich daraufhin hin, dass die Basis-Strukturen in ihrer Leistung für die regionale Wirtschaftsentwicklung gefördert und in ihren Potenzialen entfaltet werden. Dazu gehören in erster Linie: n komplementäre Infrastruktureinrichtungen (z. B. Kommunikations-Infrastruktur, Wissensmanagement-Systeme) n komplementäre Arbeitsmarktstrukturen (z. B. Ausbildungs- und Fortbildungseinrichtungen, Arbeitsvermittlungen) n n komplementäre Migrationspolitiken (z. B. Attrahierung von Ausländern, Förderung der Integration von Ausländern) komplementäre Dienstleistungen für Finanzierungsund Existenzgründungsfragen 3) Der dritte Funktionsbereich, der für eine Wissensregion wichtig ist, sind geeignete Steuerungs-Strukturen („governance“). Sie müssen Netzwerke organisieren, Akteure koordinieren und ihnen Führung geben, aber auch über Rückkopplungsschleifen (Evaluation, Monitoring) lernoffen sein. Steuerungs-Strukturen müssen Anreize für Kooperation und Vernetzungen aufweisen. Dabei sind für die Governance in der Re gion drei Ebenen wichtig: zwischen wirtschaftlichen Akteuren, zwischen wirtschaftlichen und politischadministrativen Akteuren und zwischen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren. Führung ist allerdings ein schillernder Begriff. Für Wissensregionen sind vor allem drei Funktionsbereiche wichtig: a) Koordination der Akteure, b) Impuls geber/„facilitator“ und c) Förderung kollektiver Lernprozesse. Wissensregionen kranken meist an fehlender Führung, weil Wissensregionen nicht „verfasst“ sind (Fehlen institutioneller „natürlicher“ Führung), es immer eine Vielzahl von Impuls- und Steuerungsstellen gibt und die Verantwortung für gemeinsames Handeln diffus ist („kollektive Unverantwortlichkeit“) n Impulsgeber sind Akteure mit direkter Funktion in der Entwicklung einer Wissensregion (z. B. regionale Wirtschaftsförderer) sowie Akteure, die Anreize setzen können, ohne selbst für die Regionalentwicklung tätig zu werden (z. B. Stiftungen) n inter-sektorale Koordinations- und KonfliktregelungsStellen werden meist durch organisierte Foren geschaffen n Medien (Zeitung, Radio, Fernsehen) wirken diffus in den Steuerungs-Strukturen mit, ohne jedoch Führungsfunktion wahrzunehmen. Die zentrale Rolle von „Governance“ in Wissensregionen wird jedoch weitgehend anerkannt (Cooke/Heidenreich/Braczyk 2004). Aber wie eine erfolgreiche Governance beschaffen sein muss und wie weit sie überhaupt von „Machern“ gestaltet werden kann, ist offen: „More in-depth research is needed into the governance of the knowledge economy“ (van Winden, van den Berg, Pol 2007, 547). 4. Ergänzende Unterstützungen Während die eben genannten Funktionsbereiche noch vergleichbar gut sichtbar (und in gewisser Weise politisch auch gestaltbar sind), findet man in funktionierenden Wissensregionen weitere Elemente, deren Bedeutung für die Wirksamkeit der Wissensregion weniger klar ist, die aber offensichtlich unabdingbar sind. Dazu ge hören zunächst einmal alle Maßnahmen, welche die Wissensökonomie isikokosten innovatorischer Ansätze mindern helfen. R Risikokosten betreffen den leichten und erschwinglichen Zugang zu Beratungsleistungen im Aufbau und in der Durchführung von Existenzgründungen. Hier haben sich Technologie- und Gründungszentren sehr bewährt, aber auch organisierte Netzwerke, Coaching u. ä. für „StartUps“ sind wichtig. Schwierigkeiten liegen auch darin, Prozesse zu etablieren, die den Transfer von Wissensproduk tion in Wissens-Umsetzung oder von Wissen in Innovation erleichtern. Dazu wird in der Literatur vorgeschlagen, „Wissensbilanzen“ aufzustellen (die das in der Region verfügbare Wissen und Know-how transparent machen) und „Querschnittakteure“ einzusetzen, welche die Verbindungen über die fragmentierten, sektoralisierten Handlungsstrukturen der Region hinweg ermöglichen. Das können „knowledge guides“ sein, die helfen, die „richtigen“ Fragen zu formulieren, aber auch Unternehmensberater können diese Funktion wahrnehmen. Des Weiteren sind „Synapsen“ zwischen den Akteuren einer Wissensregion notwendig, um Impulse auffangen und nutzen zu können. Hier sind i. d. R. Großunternehmen erfolgreicher als KMU, weil Großunternehmen über Forschungseinrichtungen und Stabstellen geeignete „Grenzgänger“ zu anderen Akteuren haben, insbesondere zu Forschungseinrichtungen. Solche Grenzgänger sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Bedürfnisse ihrer Betriebe gut kennen, gleichzeitig aber auch nachvollziehen können, was in Forschung und W issenschaft passiert, sodass sie relativ schnell die erforderlichen Querverbindungen herstellen können. Meist sind solche Grenzgänger eingebunden in regionale Wissens-Milieus, d. h. Netzwerke, an denen Akteure aus Forschung und Umsetzung beteiligt sind (Matthiesen/Bürkner 2004). Gut funktionierende Wissensregionen unterhalten meist auch irgendeine Form von organisierten kollektiven Lernprozessen. Gemeint sind damit Rückkopplungsschleifen, die den Akteuren signalisieren, ob sie mit ihren Maßnahmen auf dem richtigen Wege sind oder wo Verbesserungen notwendig sein könnten. Das sind vor allem Formen der Prozess-Evaluierung und Anreize für kollektives Handeln. Vielfach wird dabei allerdings zu wenig berücksichtigt, dass Innovationen auch Verlierer schaffen, nämlich diejenigen, die ihr Vermögen oder ihr Know-how durch Innovationen entwertet sehen und möglicherweise aus dem Markt gedrängt werden. Wenn es viele sind, die zudem einflussreich positioniert sind oder sich gut organisieren können, können dadurch innovatorische Prozesse in einer Region blockiert werden. Um das zu verhindern, sind Kompensations-Mechanismen erforderlich, welche die mit Innovationen/ Veränderungen verbundenen Kosten erträglich halten und Verlierer des Wandels in gewisser Weise „auffangen“ (z. B. Auffangstrukturen auf dem Arbeitsmarkt). Letztlich sollte auch nicht unterschätzt werden, dass Wissensregionen komplementäre sozio-kulturelle Be- dingungen erfordern, nämlich dafür geeignete Mentalitäten in der Region. Dazu gehören: Offenheit und Toleranz für Neues und für alternative Lebensstile, Vertrauen auf der Basis von kooperativen Partnerschaften, Kommunikationsfreude, höhere Risikobereitschaft, aktive Annahme neuer Herausforderungen, Selbstvertrauen und insbesondere Selbstverantwortung für das eigene Geschick.1 5. Gestaltbarkeit der Wissensregionen? Über die Gestaltbarkeit von Wissensregionen wird in der Literatur viel gestritten. Marktwirtschaftlich orientierte Wissenschaftler sind sehr skeptisch, weil sie nicht glauben, dass so komplexe Systeme wie Wissensgesellschaften, die zudem von Initiativen vieler Einzelakteure leben, systematisch entwickelt werden können. Kommunitaristisch ausgerichtete Wissenschaftler, die dem kollektiven Handeln sehr viel mehr zutrauen, sind eher optimistisch gestimmt: In modernen, fragmentierten Gesellschaften mit marktwirtschaftlicher Steuerung ist gerade das Gemeinwohldenken, das Denken in Kollektivgütern, eher unterentwickelt. Da Wissen ein Gut ist, das sich durch Kooperation vermehrt, und Risiken der Wissensumsetzung im Kollektiv leichter zu tragen sind als individuell, gehen diese Wissenschaftler davon aus, dass Wissens regionen zumindest politisch-administrativ (oder zivilgesellschaftlich) unterstützt werden müssen. Z. B. bedarf es einer „kritischen Masse“ von vernetzten Akteuren mit innovativer Mentalität und Offenheit für neue Ideen, ein „konstruktiver Handlungsdruck“ ist erforderlich (der als „challenge“ Ideen und Handlungen freisetzt), man braucht Handlungsmöglichkeiten (die vor allem dann eingeengt sind, wenn eine starke Pfadabhängigkeit von nicht-zukunftsfähigen Wirtschaftsstrukturen vorliegt), und die vorhandenen Strukturen müssen anschlussfähig für neue Entwicklungspfade sein: Kollektives Lernen bindet sich an vorhandenes Gelerntes zurück, hohe Transaktionskosten von Veränderungen unterdrücken dagegen Lernen. Gleichwohl sind die regionalen „Begabungen“ unterschiedlich: Verdichtungsräume oder „Metropolregionen“ sind hier deutlich im Vorteil, weil „the development of Europe‘s economic territory can be chraracterised as a process of metropolisation of economic development potentials and innovation capacities“ (Krätke 2007, 25). Sie sind die Räume mit der höchsten „Begabung“ für Wissensregionen, weil sie über eine hoch qualifizierte Infrastruktur mit internationaler Anbindung verfügen, Zugang zu „the best and brightest“ Fachleuten haben und hoch-attraktive Räume für quali fiziertes Personal sind. Deshalb bemüht sich fast jeder Verdichtungsraum, „Wissensregion“ zu werden. Dabei ist jedoch nicht immer leicht zu erkennen, ob „Wissensregion“ nur als Marketing-Etikett verwendet wird, oder ob sich dahinter Untersuchungen (z. B. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) zeigen die hohe Korrelation zwischen Sozialkapital, Risikoneigung, Offenheit für Neues mit Innovationsfähigkeit (DIW-Wochenbericht v. 22.02.2006) 1 69 RegioPol eins 2008 70 auch eine neuartige Konzeption der Regionalentwicklung entfaltet. 6. K önnte die Region Hannover eine Wissensregion sein? n Nach den vorliegenden Daten ist die Region Hannover im interregionalen Vergleich (Deutschland) als Wissensregion gut positioniert: a) Basisstrukturen: Wissensproduzenten, Wissensnutzer, Wissensvermittler n n Quantitativ nimmt Hannover hier eine gute Position ein. Problematisch ist, ob die Hochschul- und Forschungseinrichtungen sich ausreichend auf die A nforderungen der regionalen Wirtschaft einlassen. Jedoch scheint auch hier die Region relativ gut platziert zu sein: Die Netzwerkstudie (Brandt/Krätke 2007) zeigt die relativ gute Vernetzung in wichtigen Kompetenzfeldern der Region wie Verfahrenstechnik, Informations- und Kommunikationstechnologie, Energie und Umwelt, Mobilität, Agrar- und Forstwirtschaft. „Die Region Hannover ist ein überregional bedeutender Hochschul- und Forschungsstandort mit mehr als 37.000 Studierenden“ (Regionalmonitoring Niedersachsen 2005, 109). Ferner gilt: Der Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure liegt sowohl im verarbei tenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die Zahl der Wissenschaftler und Ingenieure ist in den letzten Jahren insgesamt leicht gestiegen“ (Regionalmonitoring Niedersachsen 2005, 107). Die „Wissenschaftlerin tensität“ liegt in der Region mit 3,3 Prozent (bezogen auf alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, 2005) über dem Bundesdurchschnitt (2,9 Prozent), allerdings geringfügig unter dem Durchschnitt aller Metropolregionen (3,4 Prozent). Wesentlich höher sind die Werte lediglich für die Metropolregionen München (5,8 Prozent) und Stuttgart (5,2 Prozent). Die Region Hannover ist ein Hochschul- und Forschungsstandort (= für Forschungen außerhalb privater Unternehmen). Zur Region gehören u. a.: Univer sität Hannover, MHH, TiHo, Hochschule f. Musik u. Theater, FHS Hannover, Ev. FHS Hannover sowie weitere ca. 1.000 Wissenschaftler in außeruniversit ären Forschungs-Einrichtungen (Bundesanstalt f. Geowissenschaften u. Rohstoffe, Laser Zentrum Hannover, Produktionszentrum Hannover, Max-Planck-Institute u. a.). Der Anteil des FuE-Personals an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten liegt (2005) mit 6,4 Prozent oberhalb des Bundesdurchschnitts (5,3 Pro- n zent) und aller deutschen Metropolregionen (5,3 Prozent), wird aber von den Metropolregionen München (13,7 Prozent), Stuttgart (8,5 Prozent) und von der Stadt Hamburg (10,1 Prozent) deutlich übertroffen. Wissensvermittler (Fortbildungseinrichtungen, Bibliotheken, Beratungsdienstleistungen, IuK-Dienstleistungen) sind ausreichend vorhanden, und mit der TIB verfügt die Region über eine herausragende Bibliothek für Naturwissenschaften und Technik. Nimmt man die „unternehmensorientierten Dienstleister“ als Indikator, so liegt die Region Hannover mit 28 Prozent des Dienstleistungspersonals (bezogen auf alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, 2005) deutlich über dem Durchschnitt aller deutscher Metropolregionen (23,7 Prozent). Lediglich die Metropolregionen München (31,5 Prozent), Frankfurt (41,9 Prozent) und die Stadt Hamburg (35,2 Prozent) sind hier stärker vertreten. Bei IuK-Dienstleistungen wird die Region Hannover nur von Rhein-Neckar, München und Karlsruhe übertroffen (Steincke 2007, 5). Es wird relativ viel getan für „Start-Ups/Neugründungen“: n Hannoverimpuls hat zahlreiche Initiativen für cluster-spezifische Unternehmens-Gründungen/ Attrahierungen gestartet wie Plug & Work (2005 mit Schwerpunkt auf der Informations- und Kommunikationsbranche), Lighthouse (2005, mit Schwerpunkt auf optische Technologie) sowie generelle Initiativen für Neugründer organisiert wie Business Labor, Summer und Winter School 2005, Start-Up Impuls 2005 n mehr als 30 Technologietransferzentren unterstützen die Start-Ups und KMU Dennoch scheint es einige Schwächen zu geben. llerdings liegt dazu kein ausreichendes empirisches A Material vor, sodass es sich primär um subjektive Einschätzungen handelt. Vermutungen richten sich auf: a) den möglicherweise zu geringen Besatz an hoch qualifizierten Arbeitskräften (Fachhochschul- und Hochschulabschluss) in den sozialversicherungspflicht igen Beschäftigungsverhältnissen: Der Anteil Hochquali fizierter lag in den Zentren der Metropolregion Hannover2 (2005) bei 10,5 Prozent, in den Zentren aller übrigen Metropolregionen aber deutlich höher3. Das könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass das verarbeitende Gewerbe noch einen relativ großen A nteil an der Wertschöpfung hat. b) die relativ geringe Einbindung der größeren Unternehmen und Forschungseinrichtungen in die Region. Obwohl die Region Hannover mit 23 der 100 größten Unternehmen Niedersachsens (NORD/LB 2006) und 16 Konzernzentralen (Durchschnitt der 50 größten deutschen Städte = 12) 4 unternehmerisches FuE- Potenzial besitzt, sind die FuE-Kapazitäten häufig zu Stadt Braunschweig, Region Hannover, Kreis Göttingen München: 20,1%, Stuttgart: 19,9% Nürnberg: 13,6%, Hamburg: 12,1%, Bremen/Oldenburg: 11,0% Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft/Wirtschaftswoche 2006 2 3 4 Wissensökonomie wenig auf die regionalen FuE-Potenziale ausgerichtet. Zudem gibt es überdurchschnittlich viele Betriebe, die lediglich Konzern-Dependencen mit geringer FuE-Kapazität sind. „Forschung und Entwicklung“ außerhalb der Hochschulen ist in der Region Hannover „ausgesprochen schwach ausgeprägt“ (Entwicklungsbericht 2005, 39). Die geringe außeruniversitäre Forschung oder das geringe Potenzial, vorhandenes Wissen in Innovationen umzusetzen, wird auch durch die Patententwicklung bestätigt: Im Durchschnitt der Jahre 1995–2000 wurden in der Region Hannover jährlich 3,8 Patente je 10.000 E angemeldet, in der Region Stuttgart jedoch 12,4 und in der Region Nürnberg 8,9. In Stuttgart geht zudem die überwiegende Zahl der Anmeldungen auf drei Großkonzerne zurück (2003: 2.200 Anmeldungen der drei Großkonzerne gegenüber 1.500 sonstigen Anmeldern: Kumm 2006, 69). Es fehlt ins besondere an ausreichend „Systemführern“, die in bestimmten Clustern und Kompetenzfeldern wesentliche Impulsgeber und Netzwerker sind. c) die relativ starke Pfadabhängigkeit der Wissensvernetzung (abhängig von älteren Wirtschaftsstrukturen) und die relativ hohen Kosten, auf neue Pfade umzusteigen (z. B. auch fehlendes Know-how des Umstiegs): „Von den rund 4.500 Wissenschaftlern und Ingenieuren im verarbeitenden Gewerbe entfällt je ein Fünftel auf den Straßenfahrzeugbau und die Gummiverarbeitung. Weitere wichtige Branchen mit einem vergleichsweise hohen Anteil an Wissenschaftlern und Ingenieuren sind der Maschinenbau, die Elektronik und die Elektrotechnik“ (Regionalreport NIW S.107). d) die schwache Einbindung der KMU in die Wissensvernetzung, was allerdings in anderen deutschen Regionen auch kaum besser gelungen ist. Zwar gibt es in der Region Hannover eine Reihe von Unterstützungsmaßnahmen für KMU: z. B. über Technologietransferstellen, Innovationsberater in den Kammern und Beratungsbüros und Fördermaßnahmen. Aber bei einer Allensbachbefragung von 2003 (im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung) wurde die Stadt Hannover von den befragten KMU hinsichtlich Wirtschaftsfreundlichkeit und Wirtschaftsförderung nur auf Rang 21 (von 25 untersuchten Städten) gesetzt, wobei besonders kritisch angemerkt wurden: die Leistung der Wirtschaftsförderungseinrichtungen (Rang 25), die sonstigen städtischen Dienstleistungen (Rang 21), die IHK (Rang 24), das Arbeitsamt (Rang 19) und die Kreditinstitute (Rang 17).5 27 Prozent der befragten Unternehmer würden zu Investitionen in der Stadt abraten (im Vergleich: 21% im Durchschnitt aller befragten Städte). Allerdings sollte man solche Befragungen aus methodischen Gründen nicht zu hoch bewerten6. Sie erlauben lediglich Tendenz-Aussagen. Dennoch: Eine Untersuchung von 20 Städten auf Basis der Unternehmensbefragungen (2006) ergab für den Index „Unternehmerfreundlichkeit“ nur den Mittelwert von 2,63 (Durchschnitt = 2,76).7 e) die zu schmale Wissensvernetzung zwischen Forschungseinrichtungen und Betrieben: Sie wird noch immer viel zu häufig nicht systematisch herbeigeführt (Kooperationen als Zufalls-Ereignisse) 8, sie ist zudem zu eng projektbezogen und zu wenig offen für nicht-planbare Neuerungen („spielerische Innova tion“). Ansätze der Hannoverimpuls GmbH sind bemüht, hier Verbesserungen zu erreichen. b) Komplementärstrukturen Komplementärstrukturen sind überdurchschnittlich gut ausgebildet, insbesondere hinsichtlich n n n IuK-Technologie (Steincke 2007, 5), überregionale Verkehrsanbindung, ÖPNV, Aus- und Fortbildungseinrichtungen (Es gibt eine Vielzahl solcher Einrichtungen, teilweise unterstützt von den Kammern, zudem engagieren sich die regionalen Hochschulen in der Fortbildung.), sowie Lebensqualität, Wohnungsmarkt und Einkaufsmöglichkeiten – eine Bewertung durch eine Umfrage bei Unternehmen durch Ernst & Young aus dem Jahre 2006 ergab für Hannover die Note 2,96 (Durchschnitt aller beteiligten 20 Städte: 3,00). Schwächen zeigen sich möglicherweise in Folgendem, was zur Zeit jedoch nur ein „informed guess“ ist, der empirisch nicht belegt ist: a) die Abstimmung zwischen den Einrichtungen im Bereich Fort- und Ausbildung: Sie gilt als sub-optimal – hier fehlt ein geeignetes Koordinationssystem mit angeschlossenem „Wissensmanagement“. b) Risikokapital für KMU: Es bildet noch immer einen Engpass, zumal sich auch das Sparkassensystem aus diesem Finanzierungs-Sektor zurückzieht. c) Mentalitäts-Charakteristika: In gewisser Weise könnten auch Mentalitäts-Merkmale negativ wirken: eine zu große Risiko-Aversion, ein zu geringes „kollektives Selbstbewusstsein“ u. ä. Nach Zahlen des ZEW/ 25 Städte wurden untersucht, 2.566 KMU befragt, davon 104 in Hannover. Es werden subjektive Eindrücke vermittelt, die nichtvergleichbaren (subjektiven) Bewertungsskalen unterliegen. Zudem sind hierbei Durchschnittswerte wenig aussagefähig – es kommt primär auf die Streuung an. Ferner können die Antworten von emotionalen Frustrationserfahrungen beeinflusst sein, dass sich die Stadtverwaltung primär mit den großen Unternehmen befasst und die kleineren eher vernachlässigt: Darauf deutet hin, dass Berlin, Frankfurt, Köln und München in der Rangordnung bei den Befragten noch hinter Hannover rangieren. 7 Untersuchung von Ernst & Young aus dem Jahre 2006; „Notengebung“ von 1-4, 4 = sehr zufrieden; „Unternehmerfreundlichkeit“ umfasst die Leistungen der Stadtverwaltung, der regionalen Politik, der IHK, des Arbeitsamtes und der Wirtschaftsförderung) 8 Bei vielen Betrieben spielen persönliche Netzwerke oder Hochschulverbindungen vom Studium her eine wesentlich größere Rolle in der Wissenschaft-PraxisKooperation als eine systematische Auswertung der verfügbaren wissenschaftlichen Potenziale 5 6 71 RegioPol eins 2008 72 Mannheim steht die Region Hannover im Vergleich mit anderen deutschen Zentren vergleichsweise schlecht da (Bezugsjahre: 2001–2004, Deutschland = 100): Die Region erhält danach den Wert 96, während die Zentren aller anderen Metropolregionen darüber liegen. Aber das ist zu differenzieren: Zwar schnitt die Region Hannover im Vergleich zu den meisten Metropolregionen Deutschlands unterdurchschnittlich ab9, aber vergleichbare Regionen waren ebenfalls nicht sonderlich erfolgreich.10 Auch in einer Auswertung des Regional Entrepreneurship Monitor für 200311 (Oberschachtsiek 2003) steht die Region Hannover im Vergleich mit zehn anderen deutschen Verdichtungsräumen bei den meisten Indikatoren nicht schlecht da: mindestens als „durchschnittlich“ bei einigen sogar „überdurchschnittlich“. Das gilt für die Einschätzung von Gründungschancen, für die Angst vor Scheitern als Gründungshemmnis sowie für die Rahmenbedingungen, Finanzierungsmöglichkeiten und Umgang mit Behörden. Lediglich bei den Fragen, wie die Befragten ihre eigenen Gründungsfähig keiten, ihre „Fördermöglichkeiten“ und ihre „Weiterbildungsmöglichkeiten“ einschätzten, kam die Re gion in der Meinung der Befragten schlecht weg. c) Die „governance“ der Wissensregion: Die auf Wissensregionen ausgerichtete Governance ist üblicherweise ein Schwachpunkt fast aller Wissensre gionen. Sie wird noch immer zu stark von politisch-ad ministrativen Akteuren und zu wenig aus der Wirtschaft und den Hochschulen bestimmt. Auch die Region Hannover scheint hier Schwächen zu haben, und zwar bezogen auf n n n n „langfristige strategische Kooperation“: die Vernetzungen erfolgen primär projektbezogen (s. Brandt/ Krätke 2007), flexible Ressourcennutzung: Ressourcen sind schwierig auf neue Themen zu lenken, Wettbewerbsanreize für innovatorisches, interdisziplinäres Verhalten, geeignete Foren der nicht-zweckgerichteten Inter aktion und insbesondere der intersektoralen und interdisziplinären personellen Vernetzungen über Clubs, Arbeitsgruppen, Gesprächskreise etc., um eingefahrene institutionelle Routinen leichter aufbrechen zu lassen und neue Ideen zu kreieren. In Hannover dominieren primär Vernetzungen und fach- n gebundene Netzwerke (z. B. Messe Hannover: Förderung der Region als „Wissenschaftsstandort“, FHS Hannover: „Kompetenzzentrum“ zur Energietechnik; „Hannoverimpuls“: Branchenforen für Wissenstransfer, „Pro Hannover Region“ für Vernetzung der Wirtschaft, „Civilia Hannover e. V.“ zur Vernetzung von Politik und Wirtschaft) sowie räumliche Cluster von wissensintensiven Produzenten (z. B. Wissenschaftspark Hannover/Garbsen, Produktionszentrum Hannover; Technologiezentrum TCH, EXPO Park). Aber es gibt noch zu wenige Netzwerke im Sinne der GRABHERschen communality12, auch wenn sich die Situa tion gegenüber einer Studie aus dem Jahr 1999/2000 (Schubert et al. 2001) deutlich verbessert hat, Promotoren-Strukturen, die neue Prozesse anstoßen und dafür Mitstreiter gewinnen können: Es fehlt offenbar an einer „development coalition“, d. h. einer „place-based alliance of social, economic and political actors dedicated to economic growth in a specific location“ (Keating 1998, 144). Die regionalen Groß unternehmen halten sich hier zu stark zurück und scheinen sich zu wenig für die Regionsentwicklung zu interessieren. Solche Einschätzungen sind allerdings mit Vorsicht zu behandeln. Denn Mangel an regionaler Akteursvernetzung muss nicht nachteilig für die Regionsentwicklung wirken. So kann eine starke überregionale Vernetzung ein Hinweis auf hohe Offenheit für neue Ideen und An regungen sein (Einbezug von Ideen und Wissen aus anderen Regionen). Aber sie kann genauso gut auch Zeichen für einen Schwachpunkt der Wissensregion sein: Eine Wissensregion entfaltet sich nicht, wenn sich attraktive Netzwerkpartner in der Region nicht entwickeln können, weil es an einem stimulierenden Umfeld mangelt oder weil regionale Nachfrager die Potenziale der Region ignorieren oder weil die potenziellen Netzwerkführer sich von vornherein gar nicht für ihre Region als Adressat interessieren. Durchschnittliches Niveau der Unternehmensgründungen 2001 bis 2004 je Erwerbsfähigem, Deutschland = 100: Region Hannover = 96 Metropolregion Stuttgart = 83, Nürnberg = 96, Bremen/Oldenburg 100 11 Der Regional Entrepreneurship Monitor wurde von Sternberg/Wagner (Hannover/Lüneburg) nach dem Vorbild des „Global Entrepreneurship Monitor“ in Deutschland aufgebaut und deckt 11 Regionen ab: Köln, Hannover, München, Stuttgart, Lüneburg, Schleswig-Holstein, Main-Rhön, Mittelhessen, Westsachsen, Mittleres Mecklenburg und Emscher-Lippe. Befragt wurden je Region 1.000 (Hannover: 2.000) repräsentativ ausgewählte Personen zwischen 18 und 64 Jahren 12 „communality“: dauerhafte Netzwerke, über Projekte hinausgehend, beziehungsorientiert, mit hohem Grad des Sozialkapitals, über fachliche Abgrenzungen hinausreichend. 9 10 Wissensökonomie Quellen Bertelsmann-Stiftung: Unternehmerfreundliche Großstädte (Befragung durch das Institut für Demoskopie, Allensbach), Gütersloh 2003 Brandt, A./ Krätke St. u.a.: Wissensvernetzung in der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen. Studie im Auftrag der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen, Hannover, August 2007 Branchenreport Region Hannover (Hannoverimpuls/ NORD/LB), Hannover 2005 Cooke, P./ Piccaluga, A., Hg.: Regional economies as knowledge laboratories, Cheltenham/GB 2004 Cooke, P./ Heidenreich, M./ Braczyk, H.: Regional innovation systems: The role of governance in a globalized world, 2. Aufl., London 2004 DIW-Wochenbericht vom 22.02.2006, 89 ff. 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Die zur Verfügung stehenden Gestaltungselemente sind die Mitarbeit an und Durchführung von gesetzlichen Rahmenbedingungen durch Gesetze, Verordnungen, Richtlinien usw. sowie die Wirtschaftsförderung durch finanzielle Anreize über Förderprogramme und organisatorische Hilfestellungen wie Netzwerke oder Bera tungen. Die Wirtschaftspolitik in einem Bundesland ist eingebunden in die Regelungen und Absprachen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Die dort verabredeten Ziele und Rahmen sind Leitlinien für die Umsetzung von Politik in den einzelnen Bundes ländern. Der Handlungsspielraum ist dadurch begrenzt. Theoretisch ist davon auszugehen, dass die Rahmenbedingungen in ganz Europa gleich sind. Was in Niedersachsen möglich ist, gilt auch überall in Europa und umgekehrt. Dennoch sind der Mix der Instrumente und die Art und Weise der Umsetzung unterschiedlich und kennzeichnen den Wettbewerb der Regionen untereinander. Der Alltag der Wirtschaftspolitik in Niedersachsen lässt sich anhand der zentralen politischen Wirkungs felder der Lissabon-Strategie beschreiben. Erstes Ziel ist die Realisierung der Wissensgesellschaft auf Basis der Vereinbarung der EU-Staats- und Regierungschefs: 1. „Die Unternehmen und die Bürger müssen Zugang zu einer kostengünstigen Kommunikationsinfrastruktur von internationalem Rang und zu einer breiten Pa lette von Dienstleistungen haben. 2. Jedem Bürger müssen die Fähigkeiten vermittelt werden, die für das Leben und die Arbeit in dieser neuen Informationsgesellschaft erforderlich sind. 3. Das lebenslange Lernen muss als Grundbestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells aufgewertet werden.“ (http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/ cms_Data/docs/pressData/de/ec/00100-r1.d0.htm) b Objekt, PhantasieMechanik, phæno Wolfsburg (Detail) Die Wissensökonomie beschreibt den Zusammenhang von Wissen und wirtschaftlichem Erfolg einzelner Unternehmen sowie den erfolgreichen Wettbewerb zwischen Volkswirtschaften. Ein Beispiel dafür ist die Erfolgsgeschichte der deutschen Exportwirtschaft. Im Vordergrund der Exporte stehen zwar Industrieprodukte und nicht etwa wissensbasierte Dienstleistungen. Aber Wissen und wissensbasierte Dienstleistungen stecken in den Industrieprodukten, den Maschinen, den Fahr zeugen, den Elektro- und Elektronikerzeugnissen oder Industrieanlagen. Nicht die günstigen Rohstoffe oder niedrige Löhne oder Subventionen oder Steuerbefrei ungen sind die Grundlage des Erfolges. Es sind die hohe Qualität und der hohe Nutzen dieser Produkte, und diese Eigenschaften sind wissensbasiert. Auch die Kosten bzw. Preise der deutschen Produkte sind trotz hoher Löhne wettbewerbsfähig. Diese hohe Wettbewerbsfähigkeit ist durch Prozessreorganisation und -innovationen erzielt worden. Wesentliche Voraussetzung dieses Erfolges ist ein hohes allgemeines Ausbildungsniveau und die Fähigkeit, aus verschiedenen Disziplinen Wissen zusammenzuführen und umzusetzen. Wissen ist mehr als das enzyklopädische Wissen. Zum theoretischen Wissen muss das praktische Können kommen. Also das Rechnen als Wissensgrundlage für die Erstellung von Kalkulationen und das Lesen und Schreiben als Wissensgrundlage beispielsweise für das Gestalten von Werbebotschaften. Je komplexer die Herausforderung, umso höher ist die benötigte Qualifika tion und desto länger der Qualifizierungsweg und umso geringer ist die Zahl derjenigen, die das Qualifikations niveau erreichen, z. B. wenn es um die Konstruktion komplexer Industrieanlagen geht. Dieser Mechanismus ist vergleichbar mit dem Spitzensport. Es gibt nur eine überschaubare Gruppe von Menschen, die für diese Leistungen in Frage kommt und diese Personen sind sehr begehrt! Darüber hinaus ist für die Wirtschaft eine weitere Eigenschaft besonders wichtig, die aber mit organisierter Qualifizierung kaum zu erfassen ist. Man spricht von Pionier- oder Erfindergeist und unternehmerischem Risiko. 76 RegioPol eins 2008 Während sich der Spitzensport in einem geregelten Gefüge befindet, handelt es sich hier um geniale Köpfe, die nicht aus der vorgegebenen Struktur kommen müssen. Sie bewegen sich in Bereichen, die bisher nicht erschlossen waren. Sie sind es, die all das gangbar machen, was bisher nicht zu gehen schien. Diese Köpfe, die allein oder mit ihren Teams Innovationen schaffen, Produkte wettbewerbsfähiger machen oder neue Produkte und Problemlösungen erarbeiten, sind der Motor einer innovativen Ökonomie. Hier ist das Risiko zu Hause und nicht jedes Vorhaben gelingt oder ist gar ein öko nomischer Erfolg. Die Träger dieser Eigenschaften stammen aus ganz verschiedenen Bereichen, aus der wissenschaftlichen Forschung, aus der Forschung und Entwicklung von Unternehmen, aus der Produktion und dem Vertrieb, sowohl aus Großunternehmen als auch kleinen Unter nehmen oder aus privatem Engagement. Es sind Krea tivität, Gestaltungswille und Entdeckereigenschaften gefordert, die man nur bedingt trainieren und erfahren kann. In einer Volkswirtschaft gehört dieser Personenkreis zu den entscheidenden Leistungsträgern. Aber wie sollen Unternehmen diese Personen erkennen, um sie zu engagieren, zu unterstützen, zu finanzieren oder mit Ihnen zu kooperieren? Eine Stecknadel im Heuhaufen suchen? Oft teilen diese genialen Köpfe ihr Schicksal mit denen von Künstlern, deren Werke erst nach ihrem Tode zu Ehren kommen. Und weil die Suche nach ihnen so schwierig ist, gehen Unternehmen zum Teil dazu über, nicht die Personen zu suchen, sondern ihre Werke. Die Forschungs- und Entwicklungsbudgets werden nicht in die eigene Forschung investiert, sondern in innovative Unternehmen, deren Produkte und Marktfähigkeit sich bereits abzeichnen. Den findigen Kopf kauft man gleich mit und reduziert so das Risiko einer „Fehlentwicklung“ drastisch – kaufen statt selber Innovationen entwickeln, ist ein erkennbarer Trend. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen arbeiten Regierungen und Verwaltungen daran, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass nutzbares Wissen für die Wirtschaft entsteht und dazu beiträgt, ihre Leistungsfähigkeit im Wettbewerb zu stärken. Die Marktwirtschaft steht und fällt mit dem Leistungswettbewerb, wie die offene Gesellschaft insgesamt. Schließlich ist der Wettbewerb ein „Entdeckungsverfahren“, das neues Wissen in vielfältiger Gestalt hervorbringt und durchsetzt, manchmal auch scheitert (von Hayek 1969, S. 249 ff.) Aus Sicht einer deskriptiven Ökonomie sind folgende vier Aspekte des Wissens für die Wirtschaft derzeit besonders wichtig: 1. breite Wissensbasis, damit weiteres Wissen und Können auf möglichst vielen „Schultern“ getragen werden kann; 2. laufende Qualifizierung, damit Wissen erhalten, weiterentwickelt und an neue Situationen angepasst werden kann; 3. Exzellenzwissen, damit eine Vielzahl von Innovationen entsteht, aus der ausgewählt werden kann, und die Zahl der überlebensfähigen/marktgängigen Entwicklungen möglichst groß ist; 4. Wissen als Wirtschaftsgut, damit der Spagat zwischen erwünschtem Wissenstransfer und dem Recht an der individuellen Idee geklärt werden kann. 1. Breite Wissensbasis Mit einer breiten Wissensbasis ist gemeint, dass möglichst viele Menschen über ein Wissen verfügen, auf das aufgebaut werden kann. Für die Wirtschaft ist diese W issensbasis wichtig, weil sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter braucht, die über genügend Grundlagen ver fügen, um den laufend wachsenden Anforderungen in einem modernen Unternehmen gerecht werden zu können. Das gelingt über die duale Berufsbildung und die verschiedenen Akademien und Hochschulausbildungen. Spezialisten beschaffen sich Unternehmen am Arbeitsmarkt. Die Anforderungen auf Seiten der Unternehmen wachsen und es wird schwieriger und teurer, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Diese Entwicklung wird sich zukünftig noch verschärfen, weil mindestens für die nächsten 20 Jahre mit einem Rückgang der Zahl der Menschen zu rechnen ist, die ins Wirtschaftsleben eintreten. Neben den Aufgaben, die hier das öffentliche und private Schul- und Hochschulsystem zu erfüllen hat, ist es wichtig, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass an jedem Ort und zu jeder Zeit der Zugang zu aktuellem Wissen für jeden ermöglicht wird. Was bisher Aufgabe von Bibliotheken, Volkshochschulen, klassischen Medien usw. war, wird ergänzt und zunehmend abgelöst durch das Internet. Das Internet revolutionierte unsere Welt in gleichem Maße wie die Erfindung des Buchdrucks oder der Dampfmaschine. Das Internet ist das Betriebssystem unserer modernen Gesellschaft. Es stellt jederzeit abrufbares Wissen zur Verfügung, ermöglicht Konzernen, ihre Buchhaltung in Indien über Nacht erledigen zu lassen, 24 Stunden, 7 Tage, 52 Wochen. Damit ist der Zugang zum Internet ein Standortfaktor mit vergleichbarer Bedeutung wie die klassischen Infrastrukturen Straße oder Schiene geworden. Standortentscheidungen sowohl von Unternehmen wie auch Privathaushalten werden in zunehmendem Maße von der Verfügbarkeit leistungsstarker Kommunikationsinfrastruktur abhängig gemacht. Nun ist das Internet nicht gleichzusetzen mit Wissen, aber es erleichtert den Zugang zu Wissen und bietet völlig neue Möglichkeiten. Suchmaschinen und andere wissens(ver)schaffende Dienste machen dieses Medium unerlässlich für Volkswirtschaften, in denen überwiegend wissensbasierte Industrieprodukte und Dienst leistungen produziert werden. Da Internet ein univer selles Medium ist, ist langfristig davon auszugehen, dass es überall verfügbar sein wird. Diese Anforderung ist aktuell noch nicht erfüllt. Das Ziel „Verbreiterung der W issensbasis“ stützt sich auf Gleichbehandlungsgrund sätze, die in ihrem Geist im Grundgesetz zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse verankert sind, ins- Wissensökonomie besondere in Art. 91a und 104b. Daraus folgt die Notwendigkeit, Disparitäten in der Breitbandanbindung abzubauen. Das Wirtschaftsressort, das auch für die wesentlichen Infrastrukturmaßnahmen zuständig ist, hat diesen Auftrag übernommen. Diese Aufgabe ist hoch komplex und zeigt beispielhaft, wie das Gefüge von Unternehmen, Nachfragern, Administration und Recht zusammengebracht werden muss, um den gerechten Zugang zu Wissen schneller zu ermöglichen, als es der Markt schafft. Der Telekommunikationsmarkt ist liberalisiert und funktioniert nach marktwirtschaftlichen Prinzipien. Im Hinblick auf den Ausbau breitbandiger Netze stellt dies für Flächenländer wie Niedersachsen eine besondere Herausforderung dar. Der Ausbau der Infrastruktur erfolgt nach betriebswirtschaftlichen Kriterien, sodass dicht besiedelte Gebiete in erster Linie angeschlossen werden, weil sich hier die Geschäftsmodelle der Anbieter rechnen und mit den geringsten Risiken verbunden sind. Regionen, die dünn besiedelt oder abgelegen sind, werden beim Ausbau bisher vernachlässigt. Die betroffenen Kommunen können und wollen diesen Zustand nicht hinnehmen, sehen sie sich doch der Gefahr ausgesetzt, den Anschluss in der globalisierten Wissensgesellschaft zu verlieren und deutliche Nachteile als Standort zu haben. Die Niedersächsische Landesregierung arbeitet daran, das entstandene Ungleichgewicht auszubalancieren. Im Mittelpunkt der niedersächsischen Aktivitäten steht dabei das Breitband Kompetenz Zentrum Niedersachsen in Osterholz-Scharmbeck. Dieses Zentrum steht den bisher un- bzw. unterversorgten Kommunen als Ansprechpartner zur Verfügung. Mit Hilfe von standardisierten Tools werden die Gemeinden in die Lage versetzt, ihre Bedarfe zu analysieren, dem ersten Schritt zur Schließung der Lücke in der Breitbandanbindung. Gemeinsam mit dem Breitband Kompetenz Zentrum Niedersachsen können dann auf Basis der Bedarfsanalyse die technischen Möglichkeiten ausgelotet werden, die betriebswirtschaftlichen Alternativen berechnet sowie potenzielle Provider angesprochen werden. Auch technische Alternativen zur klassischen DSL-Technologie werden in Betracht gezogen (www.breitband-niedersachsen.de). Führen all diese Bemühungen nicht zu einer Lösung aus dem Markt heraus, hat die Niedersächsische Landesregierung Mittel aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung, die als ultima ratio eingesetzt werden können. Öffentlich finanzierte Investitionen werden in Einzelfällen aller Voraussicht nach erforderlich sein. Sie sind aber auf Dauer nicht hilfreich, da bei den sich abzeichnenden Innovationsschüben aller Voraussicht nach wieder keine funktionierenden Geschäftsmodelle vorliegen werden. Deshalb soll über das Niedersächsische Breitband Kompetenz Zentrum versucht werden, raumübergreifende Kooperationen zu organisieren, damit möglichst viele funktionierende Geschäftsmodelle entwickeln werden können, die auch den zukünftigen An forderungen genügen. 77 2. L aufende Qualifizierung – lebenslanges Lernen Die spürbare Belebung auf dem Arbeitsmarkt hat auch in Niedersachsen zu einem zunehmenden Mangel an Fachkräften geführt. In einzelnen Agenturbezirken in Niedersachsen ist die Arbeitslosenquote auf inzwischen bis zu 4,7 Prozent gesunken. Damit nähern sich diese Regionen der Vollbeschäftigung, die bei einer Arbeitslosenquote von 3 bis 4 Prozent angenommen werden kann. Über die aktuelle Situation hinaus werden die Folgen des demografischen Wandels den niedersächsischen A rbeitsmarkt nachhaltig betreffen. Ab dem Jahr 2020, wenn die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach aus dem erwerbsfähigen Alter herauswachsen und sich die jüngeren Alterskohorten verknappen, wird sich ein spürbarer Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials bemerkbar machen (vgl. Abb 14). Des Weiteren wird sich der strukturelle Wandel auf der Nachfrageseite des Arbeitsmarktes fortsetzen: Arbeitsintensive Produktionen mit geringen Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten werden weiter in Länder mit geringen Arbeitskosten verlagert, sodass der hiesige Bedarf an Hochqualifizierten weiter steigen und der Bedarf an Geringqualifizierten weiter sinken wird. Allein im Zeitraum 1990 bis 2005 ist der Anteil der Hochqualifizierten an allen Erwerbstätigen in Niedersachsen von rund 11,9 Prozent auf 14,6 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil der Erwerbstätigen ohne Berufsabschluss von 25 Prozent im Jahr 1996 auf rund 17 Prozent im Jahr 2005 gesunken. Vor diesem Hintergrund sind gezielte Maßnahmen notwendig, um einerseits das aktuelle Fachkräftean gebot zu verbessern und andererseits dem zukünftigen Mangel an Fachkräften vorzubeugen. Erfolgreiche An sätze sind sowohl in branchen- als auch in regionalspe zifischen Aktivitäten zu finden. Beispielhaft sollen an dieser Stelle die Niedersächsische Logistikinitiative, hannoverimpuls, die Wachstumsregion Braunschweig oder die Wolfsburg AG erwähnt sein. Die Basis für Beschäftigungsfähigkeit ist eine gute Schulbildung und der Erwerb einer beruflichen Qualifikation in dualer Ausbildung, schulischer Berufsausbildung oder im Hochschulstudium. Die Landesregierung und ihre Partner im Niedersächsischen Pakt für Ausbildung haben mit ihren gemeinsamen Anstrengungen dazu beigetragen, dass sich die Situation auf dem Ausbildungsmarkt in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Dabei wird den aktuellen Veränderungen des Ausbildungsmarktes Rechnung getragen und auf absehbare Herausforderungen reagiert (www.ausbildung.niedersachsen.de). Zum Teil kann auf die sich stetig verändernden Anforderungsprofile des Arbeitsmarktes nur mit individuellen Lösungen reagiert werden. Ein Beispiel dazu verdeutlicht, wie so etwas umgesetzt werden kann: Ein innova tives hannoversches Unternehmen, das im Bereich der Animation und 3D-Software arbeitet, konnte den Bedarf an Fachkräften nicht decken. Nach intensiver Recherche am Markt wurde festgestellt, dass dieser Mangel ein RegioPol eins 2008 Abbildung 1: Entwicklung ausgewählter Altersgruppen in Niedersachsen 2005 bis 2025 Altersgruppen der Bevölkerung in Niedersachsen 8.000.000 7.000.000 Altersgruppe (in Jahren) 65 und älter 6.000.000 60 bis 65 55 bis 60 5.000.000 50 bis 55 45 bis 50 4.000.000 40 bis 45 35 bis 40 3.000.000 30 bis 35 25 bis 30 2.000.000 18 bis 25 bis unter 18 2025 2022 2019 2016 2013 2010 2007 2004 2001 1998 1995 0 1992 1.000.000 1989 78 Quelle: NIW 2007 Branchenproblem ist. In Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr wurde ein Fortbildungsprojekt gestartet, das inzwischen das zweite Geschäftsfeld des Unternehmens bildet. Das Unternehmen hat für die Branche ausgebildet und unterhält ein Kursangebot, das Schulungen anbietet, die auf dem Markt sehr gefragt sind. Der Erfolg gibt dem Modell Recht: Alle Absolventen sind nach dem Abschluss in Beschäftigung bzw. Selbstständigkeit. Laufende Qualifizierung und lebenslanges Lernen sind eigentlich Selbstverständlichkeiten. Aber sie sind nicht Realität. Dafür gibt es verschiedene Gründe, u. a. weil entsprechende Angebote nicht vorhanden, nicht bekannt oder zu teuer sind oder einfach zu viel Zeit kosten. An dieser Stelle unterstützt die Niedersächsische Landesregierung die Wirtschaft mit speziellen Förderprogrammen. Mit dem Programm „Individuelle Weiterbildung in Niedersachsen“ (IWiN) fördert das Land Niedersachsen die Weiterbildung von Beschäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Hierzu werden Zuschüsse aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Landes gezahlt. Durch die Förderung soll der Strukturwandel in den niedersächsischen KMU unterstützt werden. Gefördert wird die berufliche Weiterbildung von einzelnen Beschäftigten in KMU und von etriebsinhabern und -inhaberinnen von Unternehmen B mit weniger als 50 Beschäftigten. Die Weiterbildung muss sich auf die Vermittlung von beruflichen Fachkenntnissen, die Vermittlung von methodischen Kenntnissen oder die Stärkung der Sozialkompetenz im Beruf beziehen. (www.iwin-niedersachsen.de) 3. eLearning und serious games Wie bereits dargestellt, fordert die Wissensgesellschaft von jedem Einzelnen, sich kontinuierlich mit der sich vergrößernden Informationsbasis auseinanderzusetzen. Neben fachspezifischem Wissen verändern sich auch die uns zur Verfügung stehenden Informationssysteme. Als Beispiel sei an dieser Stelle auf die neuen Kommunika tionsformen des Web 2.0 hingewiesen, die das Kommunikationsverhalten entscheidend verändert haben. Anstelle einer unidirektionalen Kommunikation stehen dank der Web-2.0-Technologie multidirektionale Kommunikationswege offen. Die Integration dieser vielfältigen Austauschmöglichkeiten in die Herausforderung des lebenslangen Lernens zeigt sich in der Entwicklung des eLearning. Zwar hat sich eLearning nicht wie prognostiziert zur ausschließlichen Lehr- und Lernmethode des 21. Jahrhunderts entwickelt, die Vorteile liegen Wissensökonomie 79 Die Herausforderung für die Wirtschaftspolitik liegt darin, die Träger von Exzellenzw issen ausfindig zu machen und ihnen über finanzielle Anreize bei der Übersetzung ihres Wissens in funktio nierende Geschäftsmodelle zu helfen. j edoch klar auf der Hand: lernen zu jeder Zeit, an jedem Ort, in individuellem Tempo mit personalisierten Inhalten. Auch vor dem Hintergrund der beschriebenen strukturellen Veränderungen unserer Gesellschaft kommt eLearning eine besondere Bedeutung zu. Der demografische Wandel und die damit einhergehende Verknappung von Arbeitskräften erfordert die kontinuierliche Weiterbildung und -entwicklung des Personals und aller in der Wirtschaft handelnden Personen. Mit gezielten eLearning-Angeboten die den Einzelnen begleitend schulen, kann aktiv auf Veränderungen im Geschäftsprozess reagiert werden und der Einzelne länger und effektiv auf seinem Arbeitsplatz tätig sein, denn das Wissen altert schneller. Das Land Niedersachsen hat die Bedeutung der neuen Lernmethoden bereits früh erkannt und im Jahr 2003 das Kompetenzzentrum eLearning ins Leben gerufen. Diese koordinierende Stelle bündelt die vorhandenen Potenziale im Land. Darüber hinaus erforscht das Zen trum das Nachfragepotenzial für das Lernen mit neuen Medien und ermöglicht dementsprechend bei Bedarf eine Vernetzung von Anbietern und Nachfragern. Die A ngebote des Kompetenzzentrums richten sich dabei an Anwender aus Wirtschaft, Verwaltung, Bildung und W issenschaft. (www.elearning-zentrum.de) Eine besondere Form des eLearning sei an dieser Stelle erwähnt: serious games. Unter serious games versteht man ein digitales Lernspiel, das in einer hard- und softwarebasierten virtuellen Umgebung stattfindet, die auf Lern- bzw. Bildungsprozesse hin angelegt ist. Serious games nutzen Technologien aus der Unterhaltungssoftwareindustrie für Aus- und Weiterbildung, Training und Simulation. Die Entwicklung von serious games wird vom Markt sehr positiv eingeschätzt. Durch die realitätsnahe Simulation können Erfahrungen gemacht werden, vor allem in Bereichen, die gefährlich sind, wie z. B. die Evakuierung eines brennenden Hochhauses, oder die in einer realen Situation nicht reversibel sind, beispiels weise die Reakt ion von Organismen auf Eingriffe. Die völlig neuen Chancen gepaart mit deutlichen Kosten reduktionen machen diesen jungen Wissensmarkt so interessant (www.seriousgames-conference.de). 4. E xzellenzwissen – Innovations förderung Exzellenzwissen und Innovationen gehen Hand in Hand. Dabei tragen nicht nur akademisch gebildete Personen das Potenzial für Exzellenzwissen mit sich, auch Praktiker können über Erfahrungen zu exzellentem Wissen gelangen. Doch Innovationen sind mehr: „Als entscheidender Schlüssel für wirtschaftliches Wachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit wird zunehmend die Kreativität einer Gesellschaft erkannt.“ (Hirche, 2007) Die Bedeutung von Innovationen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und Niedersachen ist unbestritten. Innovationen sind die Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, für sichere Arbeitsplätze und damit für den Wohlstand von morgen. Die Herausforderung für die Wirtschaftspolitik liegt darin, die Träger von Exzellenzwissen ausfindig zu machen und ihnen über finanzielle Anreize bei der Übersetzung ihres Wissens in funktionierende Geschäftsmodelle zu helfen. Neben einer Vielzahl verbundener Aktivitäten um das Thema „Innovation“ in Niedersachsen (vom Innovationszentrum über die Innovationskampagne bis hin zur Ideen- Expo, www.innovatives.niedersachsen.de), gibt es zwei zentrale Standbeine der niedersächsischen finanz iellen Innovationsförderung: das Niedersächsische Innova tionsförderprogramm und die 2007 gegründete Stiftung Zukunfts- und Innovationsfonds. Das Innovationsförderprogramm richtet sich an niedersächsische Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und Handwerksunternehmen. Zur Beschleunigung innovativer Entwicklungen und Prozesse werden für diese Unternehmen Anreize für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten für neue Produkte, Produktionsverfahren oder Dienstleistungen, insbesondere auch in Zusammenarbeit mit Forschungs einrichtungen, gegeben (www.nbank.de). Die Stiftung RegioPol eins 2008 80 Zukunfts- und Innovationsfonds Niedersachsen unterstützt Projekte, die durch niedersächsische Unternehmen, wissenschaftliche Einrichtungen und andere Projektträger in Niedersachsen durchgeführt werden. Durch die Förderung der Stiftung Zukunfts- und Innovationsfonds Niedersachsen werden herausragende Projekte aus folgenden Bereichen unterstützt: n Entwicklung, Transfer und Implementierung von Technologien und Innovationen in niedersächsischen Unternehmen, n Erkundung und Erforschung technologischer Zukunftsfelder für die niedersächsische Wirtschaft, n Förderung des Dialogs zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Schule und Gesellschaft zu technologischen und nachhaltigen Innovationen. 5. W issen als Wirtschaftsgut: Schutz und Finanzierung Am Anfang der Wissenskette stehen neues Wissen, Innovationen, Erkenntnisse. Über den Zeitablauf diffundiert in aller Regel das Exzellenzwissen zu Allgemeinwissen. Vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs der Volkswirtschaften, müsste jede Volkswirtschaft Wert darauf legen, dass Expertenwissen möglichst schnell in der eigenen Volkswirtschaft diffundiert. Ganz im Gegensatz dazu steht der Anspruch, neues Wissen zu schützen und damit dem Produzenten einer Idee das Recht einzuräumen, mit seinem Wissen wie mit einem Wirtschaftsgut umzugehen: es also nach Belieben zu verkaufen, weiterzugeben, geheim zu halten oder öffentlich zu machen. Dieser Spagat ist in Deutschland mit der Schaffung von Patenten seit 1877 geregelt und wird heute exzellent administriert. Einerseits kann neues Wissen durch die Veröffentlichung von Patenten in die Breite diffundieren, sodass sich sowohl Anwendungs- und Service bereiche im Zusammenhang mit dem angemeldeten Patent entwickeln können. Andererseits dienen Patente dazu, Interessenten anzusprechen, die die Idee aufkaufen oder nutzen wollen. Für andere Ideenentwickler w iederum sind sie der Hinweis, ob ein entsprechendes Feld besetzt und wie es besetzt ist. Man spart also volkswirtschaftlich einen Teil der Doppelentwicklungen und schafft gleichzeitig die Basis für Weiterentwicklungen. Diese Institution leistet im Prinzip eine hervorragende Arbeit, wenn nicht immer wieder versucht würde, geschützte Entwicklungen zu kopieren. Zumindest dort, wo europäisches Recht gilt oder die WTO-Absprachen eingehalten werden, besteht ein respektierter Patentschutz. In Deutschland funktioniert die Beschaffung von Schutzrechten durch das Deutsche Patent- und Markenamt professionell ebenso wie der gerichtliche Rechtsschutz für Patente und Marken durch die Staatsanwaltschaften und Gerichte bis hin zum Bundespatentgericht. In Niedersachsen begleitet man den gewerblichen Patent- und Markenschutz durch Unterstützung auf verschiedenen Ebenen: n Beratung und Vernetzung durch den VTN: Der Verein Technologie-Centren Niedersachsen e. V. (VTN) wurde im Jahr 1997 mit sieben Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen. Heute zählt der Verein 27 niedersächsische Technologie- und Gründerzentren als Mitglieder. Ziel des Vereins ist die flächendeckende Präsentation und Information über die wirtschaftsfördernden Leistungen der niedersächsischen Technologiezentren. Sie unterstützen die Unternehmen vor Ort insbesondere dadurch, dass sie durch Ver netzung auf Vereinsebene Synergien schaffen. Im Vordergrund stehen Existenzgründer im innovativen technologischen Bereich. Über den Verein werden individuell Kontakte zu regionalen Netzwerken sowie zu bundesweiten Organisationen, zu Behörden, zu Projektpartnern usw. hergestellt. Zur Stärkung des Wissens- und Informationstransfers führt das Land Niedersachsen gezielt Projekte mit dem Verein durch. Für ein Flächenland wie Niedersachsen ist diese Arbeit im Verbund besonders wichtig, weil so alle Regionen erreicht werden (www.vtn.de). n Förderung und Beratung von Schutzrechten durch das EZN: Das Bundesprogramm SIGNO wird vom Erfinderzentrum Norddeutschland (EZN) in Hannover betreut. SIGNO steht für den Schutz von Ideen für die gewerbliche Nutzung und leitet sich aus dem Lateinischen signum oder signet ab (www.signo-deutschland.de). Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr hat 1981 das EZN ins Leben gerufen, um das Wissen von Unternehmen durch schnelle und marktgerechte rechtliche Absicherung ihrer Innova tionen zu schützen. Seitdem hat das Zentrum mehr als 13.000 Technologiebewertungen durchgeführt und weit über 1.500 Patentanmeldungen bzw. Patentfamilien betreut. Aus deren Verwertung resultieren bis heute Umsätze von mehr als 600 Millionen Euro (www.ezn.de). n Verfolgung von Produktpiraterie: Wer Recht setzt, muss auch dafür sorgen, dass die verbrieften Rechte aktiv geschützt werden. Das geschieht überall in Deutschland, aber am Standort der weltgrößten Messen in besonderer Weise. Auf der CeBIT 2008 w urden beispielsweise über 50 Messestände gezielt nach Patentrechtsverletzungen durchsucht. 180 Beamte von Polizei und Zoll führten die Aktion der Staatsanwaltschaft Hannover durch. Unternehmerverbände schätzen, dass durch Produktpiraterie dem Standort Deutschland jährlich ein Schaden in Höhe von 25 Milliarden Euro entsteht. Man mag über die tatsächliche Höhe streiten, unbenommen ist aber, dass bei Aktionen dieser Art hunderte von Produkten beschlagnahmt werden, was ein Beleg für das Ausmaß der Schutzverletzungen ist. Der Schutz des Wirtschaftsgutes Wissen ist eine Seite, seine Finanzierung eine andere: Die Herstellung oder Beschaffung neuen Wissens ist in aller Regel mit Kosten verbunden. In erster Linie sind das Aufwendungen für Arbeitszeit, aber auch für Laboreinrichtungen, Computer Wissensökonomie und Computerprogramme usw. Von der ersten Idee bis zu einer patentierbaren oder marktgängigen Lösung muss investiert werden, einschließlich der Kosten für den Patentschutz. Unabhängig davon, ob das Wissen oder die „Schöpfung“ auf Papier niedergelegt, in einem Computerprogramm oder sonstigem Datenträger enthalten ist oder in einem Prototyp verbaut wird, der Wert des Endproduktes ist nicht eindeutig bestimmbar. Geldgeber stellen sich in aller Regel auf die sichere Seite und setzen den Wert an, den man mit Sicherheit bei einer Vermarktung der Idee oder des Prototypen erlangen kann. Und das ist in vielen Fällen nur ein geringer Wert, z. B. ein PC, auf dessen Festplatte aber der Algorithmus für ein neues Kompressionsformat liegt oder der Materialwert für einen Roboter, der über menschliche Sprache gesteuert werden kann. Das Problem ist das Wissen derer, die das Risiko einschätzen müssen, und der Glaube oder das Wissen vom Markterfolg. So werden auf der einen Seite bei der Produktion von Wissen betriebswirtschaftliche Werte verzehrt, auf der anderen Seite wächst aber der Buchwert des wissensbasierten Produktes nicht in gleichem Maße. Überschuldungssituationen können eintreten, wenn das Eigenkapital nicht hoch genug ist. Wenn Darlehen für die Finanzierung der Entwicklungsphase erforderlich sind, wird es aus den oben genannten Gründen schwer, Geldgeber zu finden. Hier setzt die Niedersächsische Landesregierung an und führt Gespräche mit der Bankenwirtschaft. Dabei geht es in erster Linie darum, die verschiedenen Positionen zu verstehen. Einen generellen Ausweg gibt es nicht. Jede Situation ist ein Einzelfall und entsprechend werden die Fälle bei Banken auch individuell geprüft. Banken und die Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank) arbeiten an dieser Stelle eng zusammen, wenn es um Innovationsförderungen, Innovationskredite oder um Bürgschaften geht. (www.nbank.de) Bürgschaften sind ein sehr interessantes Instrument, um zusammen mit Banken eine Idee, eine Innovation in ein Geschäftsmodell zu übersetzen. Sowohl die Geschäftsbank als auch die N-Bank bzw. das Niedersächsische Finanzministerium legen hohe Maßstäbe an das zu verbürgende Vorhaben. Die Motivation des Landes Niedersachsen, eine Bürgschaft zu erteilen, besteht in der Schaffung und Erhaltung hoch qualifizierter Arbeitsplätze in Niedersachsen. Allein durch die Steuerrückflüsse und die Multiplikatoreffekte ergeben sich interessante fiskalische Effekte für das Land. Über die Steueranteile der Beschäftigten sowie der Kaufkraft derer, die in so anspruchsvollen Vorhaben tätig sind, fließt dem Land ein hoher Anteil des Risikos zurück. 81 6. Resümee Der Zusammenhang von Wissen und Ökonomie wird auf europäischer Ebene sowie auf Bundes- und Landes ebene nicht bestritten. Er gilt laut der Erklärung von Lissabon als Postulat für wirtschaftlichen Erfolg. In der Koalitionsvereinbarung der niedersächsischen Landesregierung von 2008 findet sich eine Aussage unter dem Punkt 4 zu Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, die diese Annahme ebenfalls vertritt:“... Die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer und zukunftssicherer Arbeitsplätze sowie die Stärkung des Wachstums behalten … höchste Priorität. Dabei ist es unverzichtbar dass Bildungs-, Technologie- und Forschungspolitik … zielgerichtet zusammenwirken, …“ Die Regionen in Europa haben durch ihre Kultur hoheit, die sich in Kultus- und Wissenschaftspolitik niederschlägt, den stärksten Einfluss auf die Art und Weise, wie Wissen entsteht. Die Regierungen der National staaten und die Europäische Kommission wirken durch Ihre Forschungspolitik ein. Wirtschaftspolitik selbst kann nur einen kleinen Teil zur Entstehung von Wissen beitragen, aber diese Beiträge sind wichtige Instrumente, um W issen in Mehrwert umzusetzen. Was die Wirtschaftspolitik in naher Zukunft verstärkt herausfordern wird, sind auf der einen Seite die schnelle Veralterung des Wissens sowie die wachsende Komplexität und auf der anderen Seite Fragen der Finanzier barkeit von Wissen und wissensbasierten Produkten und Dienstleistungen. Der demografische Wandel wird die daraus erwachsenden Probleme verstärken, denn immer weniger Menschen werden im Erwerbsleben stehen und es wird zunehmend ältere Ideengeber mit sich ver schärfender Finanzierungsproblematik geben. Quellen Hirche, W. 2007, Niedersachsen 2021, Hannover von Hayek, F. A., 1969: Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, Tübingen 1969, S. 249-265. 82 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 83 Stefan Gärtner Entgrenzung der kommunalen Wirtschaftsförderung Regionale Wirtschaftspolitik in der wissensintensiven Ökonomie D ass ein Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft stattfindet, wird Land auf Land ab festgestellt und ist nicht ohne Auswirkung auf die Regionalpolitik und die Entwicklungskonzepte von Städten und Regionen geblieben. Es scheint, als würden allein das in einer Stadt oder Region vorhandene Wissen, die Intensität des lokalen Wissensaustausches und die Fähigkeit, die Kreativen und Aktiven zu attraktivieren und an den Standort zu binden, die Wettbewerbsfähigkeit von Räumen bestimmen. Obwohl viele Untersuchungen auf derartige Zusammenhänge hinweisen, stellen sich immer wieder die Fragen, wie sich das vor Ort vorhandene Wissen und die diesbezügliche Austauschintensität messen lassen, ob Wissen und regionale Rahmenbedingungen, die dessen Austausch fördern, für alle Regionen die relevanten Erfolgsressourcen sind, und ob – und wenn ja, wie – sich die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen lassen, damit Städte und Region an der Wissensökonomie teilhaben können. Diese Fragen können im Rahmen dieses Artikels nicht hinreichend beantwortet werden, wohl aber können diesbezügliche Chancen und Herausforderungen aus dem Blickwinkel der kommunalen Wirtschaftsförderung diskutiert werden: Kapitel 1 geht zunächst einmal der Frage nach, warum sich die Regionalpolitik und -wissenschaft so intensiv mit den Themen Wissensgesellschaft bzw. wissensintensive Ökonomie beschäftigen. Das darauf folgende Kapitel 2 versucht eine Antwort auf die Frage zu finden, ob es für Städte und Regionen überhaupt sinnvoll ist, sich diesem Thema zu widmen. Kapitel 3 bündelt mögliche Chancen und Herausforderungen aus Sicht der kommunalen Wirtschaftsförderung und das 4. Kapitel schließt mit einem Fazit. 1. Wissen und regionale Entwicklung Begriffe wie wissensintensive Ökonomie und Wissensgesellschaft spielen in der politischen und wissenschaftlichen Debatte der Industrienationen eine große Rolle. Beispielsweise strebt die EU in ihrer im Jahre 2000 verabschiedeten Lissabon-Agenda1 an, Europa innerhalb von zehn Jahren zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen (Europäischer Rat 2000). Neben einer mehr oder weniger ernsthaften Förderung der Forschungslandschaft und Bildungschancen widmen sich sowohl die EU als auch die Nationalstaaten und ihre Regionen im Rahmen der Regional- und Stadtentwicklungspolitik dem Thema Wissens- und Kompetenzent wicklung. So wurde die Regionalpolitik der EU in den letzten Jahren auch mit Verweis auf die Lissabon-Strategie neu ausgerichtet (de Bruijn/Lagendijk 2005: 1169). Dass die Kombination von Wissen und Raum in der bundesdeutschen Politik angekommen ist, zeigt sich an Slogans wie „Stadt des Wissens“ (z. B. http://www.berlin-stadt-deswissens.de) oder „Wissensstadt“ (z. B. Landeshauptstadt München 2005) und an der Diskussion um Metropolre gionen (Thierstein/Goebel 2007, Blotevogel 1998). Hinzu kommt, dass als Wettbewerbe oder Ausschreibungen organisierte regionalpolitische Programme regionale Wissensstärken, Wissensspillover und Innovationspotenziale mittlerweile in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. So setzt beispielsweise das Land NRW im Rahmen der durch die EU geförderten regionalen Strukturpolitik (Ziel-II), neben Querschnittszielen wie Umwelt und Gleichberechtigung, vor allem auf Innovation. Ziel ist es, die besten Ideen und Projekte zu fördern. Während in der Vergangenheit die strukturpolitischen Mittel auf die schwachen Regionen (z. B. Ruhrgebiet) konzentriert wurden, werden die Mittel in der aktuellen Förderperiode unabhängig von der regio nalen Bedürftigkeit vergeben und haben darüber hinaus In Lissabon wurde auf einer Sondersitzung des Europäischen Rats am 23.-24. März 2000 beschlossen, die Union auf ein neues strategisches Ziel festzulegen, in dessen Rahmen Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt als Bestandteil einer wissensbasierten Wirtschaft gestärkt werden sollen. 1 b Kunst im öffentlichen Raum, London 84 RegioPol eins 2008 inen räumlichen Fokus auf Städte. „Denn“ – so das e zuständige Ministerium – „die Entwicklung einer wissensbasierten Ökonomie und die Stärkung der unternehmerischen und innovatorischen Potenziale erfordern (…) attraktive Standort- und Stadtqualitäten“ (Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes NordrheinWestfalen 2007). Um die Verbindung von Raum und Wissen einordnen zu können, ist zunächst einmal der Blick 10 bis 15 Jahre zurückzurichten. Damals galt die traditionelle europäische Stadt als intermediärer Raum, in dem Wirtschaft, Kultur, Wissenstransfer, Bildung, Kreativität, Wohnen usw. stattfindet, als sterbende „Spezies“. Nicht nur, dass die Stadt zugunsten des suburbanen Raums in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung verloren hatte, sondern auch der geografische Raum selbst schien – ausgelöst durch das informationstechnologische Paradigma und den „Dot-Com-Hype“ – obsolet zu werden. „The Death of Distance“ (Cairncross 1997) wurde ausgerufen und Raum als relationales Gebilde, in dem Wissen effizient ausgetauscht werden kann, wurde kurzerhand ins World-Wide-Web verlegt (Grote Westrick et al. 2003, Castells 1989). Doch die Erkenntnis, dass die Realität mit den Prognosen nicht Schritt halten kann bzw. teilweise eine gegensätzliche Richtung einschlägt und dass räumliche Strukturen und deren geografische Verortung sogar oder gerade bei dematerialisierten Wirtschaftsgütern wie der Finanzwirtschaft eine Rolle spielen, haben dazu geführt, dass der (Stadt-)Raum seit einigen Jahren als Handlungsebene wiederentdeckt wurde. Seitdem wird von regionalen „Fühlungsvorteilen“ oder „Face-toface-Kontakten“ gesprochen und Wissensspillover, die – so zunehmend die Erkenntnis – räumliche Nähe erfordern, nehmen eine zentrale Rolle in der regionalwissenschaft lichen Diskussion ein (Koschatzky 2001: 106 ff). Doch bereits Jahrzehnte zuvor hat Wissen in Verbindung mit räumlicher Nähe eine Rolle gespielt. Man denke etwa an die Campus- und Technologieparks, die in den 1970er und 80er Jahren auf der grünen Wiese entstanden sind. Ziel war es, Wissen räumlich zu ballen und so eine kritische Masse und Spillover zu generieren. Heute haben sich die Standortanforderungen, insbesondere für die kreativen Berufe geändert. Wurde die regionale Wettbewerbsfähigkeit traditionell vor allem durch harte Standortfaktoren – wie technische Infrastrukturen und Verkehrsanbindungen – definiert und standen in den letzten Jahren eher die weichen Standortfaktoren – wie Kultur- und Freizeitangebote – im Zentrum der Betrachtung, geht es aktuell vor allem um die „ultraweichen Standortfaktoren“ (Ahrens 2004: 7): Regionale Sozio- bzw. Innovationskulturen (Grote Westrick/Rehfeld 2006), die sich in einem den Wissensaustausch befähi genden Raum manifestieren oder aus diesem entstehen, sind wichtige Voraussetzungen für Wissens- und Kompetenzbildung. Da die Ausprägungen einer gemeinsamen Kultur bzw. ethischen Orientierung, ebenso wie die relevanten Wissensbestände, je nach Branche und Ort sehr unterschiedlich sind, kommt es nicht nur allgemein zu einer Agglomerationsbildung, sondern zu einer räum lichen Spezialisierung (Gärtner 2006: 40ff.). Markusen (1996) spricht von „sticky places“, an denen milieuartig spezialisierte Trägergruppen von Wissen bzw. Wissens kulturen entstehen und die weitere Akteure anziehen und binden. Diese ultraweichen Standortfaktoren manifestieren sich oft in urbanen Qualitäten, was u. a. darin begründet liegt, dass bei gut ausgebildeten Personen, insbesondere solchen, die in urbanen kreativen Branchen arbeiten, Wohn- und Arbeitswelten räumlich häufig zusammenfallen (z. B. Gärtner et al. 2003: 64ff.). „Für die hoch flexiblen und entgrenzten Wirtschaftsbereiche der Wissensproduktion hat die städtische Konzentration von verwandten Betrieben und deren Beschäftigten die Funktion eines ‚Zufallsgenerators‘ für Kontakte, In formationen und Gelegenheiten“ (Hannemann/Läpple 2004: o.S.). Daneben lässt sich die zunehmende Bedeutung von Wissen und Kompetenz in der Regionalpolitik durch eine raumwissenschaftliche Flankierung begründen. So sehen viele Regionalökonomen in der Förderung einer regio nalen wissensbasierten Ökonomie das Patentrezept (Krätke 2007: 7). Egal ob wir das Konzept der „Innovativen Milieus“ (Camagni 1991), der „Lernenden Regionen“ (Florida 1995), der „Regionalen Innovationssysteme“ (z.B. Koschatzky 2001: 10) oder auch der „Produktionscluster“ (Porter 1993, Rehfeld 1999) betrachten, es geht fast immer um endogene Wissens- und Kompetenzressourcen und deren intraregionale Austauschprozesse. Aufgrund der hohen Bedeutung von Wissen sprechen einige Wissenschaftler nach dem „geographical turn“ der Sozialwissenschaften und dem „cultural turn“ der Raumwissenschaften jetzt vom „knowledge turn“ (Matthiesen/Bürkner 2004: 67). Empirisch lässt sich die Frage, ob regionale Wissensdichte und Wissensspillover für den wirtschaftlichen Erfolg von Städten und Regionen entscheidend sind, nur schwer überprüfen. Zwar existieren Untersuchungen, die beispielsweise für die USA zeigen, dass Städte, in denen die technologische Kompetenz ausgeprägt ist, die besonders tolerant sind und einen hohen Anteil ausgebildeter Menschen vorweisen können, zu den erfolgreichen Regionen gehören (Florida 2005), allerdings stellt sich die Frage, ob nicht diese Städte deshalb gut ausgebildete kreative Menschen anziehen, weil sie über einen hohen Wohlstand und eine hohe Lebensqualität verfügen. Ferner besteht die Gefahr, dass solche Untersuchungen reale äußerst komplexe Zusammenhänge auf wenige Faktoren reduzieren und eine Steuerungsmöglichkeit vermitteln, die – wenn überhaupt – nur für we nige Regionen vorhanden ist. Betrachtet man den regionalwirtschaftlichen Entwicklungsstand der Städte und Kreise zeigt sich für Deutschland neben einem deutlichen West-Ost- und einem schwachen Süd-Nord-Gefälle ein Gefälle zwischen Städten mit vornehmlich wissensintensiven Sektoren und altindustriellen Agglomerationen, also zwischen neuer Wissens- und alter Industriearbeit. Die strukturschwachen Regionen im Westen sind altindustrielle Verdichtungsregionen und ausgewählte ländliche Räume, Wissensökonomie 85 Abbildung 1: Überlappende Raumbezüge Messewirtschaft Wasserwirtschaft Kompetenzfeld Metallwirtschaft Ernährungswirtschaft Kleinkunst IT er st lu C Zweckverband Entsorgung Quelle: Gärtner 2008 vor allem im ehemaligen Zonenrandgebiet (BBR 2005: 152). Dem Osten geht es zwar insgesamt schlecht, aber die ländlichen peripheren Regionen sind dort besonders benachteiligt (Klemmer 2004). Dies liegt unter anderem darin begründet, dass die ländlichen Regionen Ostdeutschlands hinsichtlich der Bevölkerungsdichte, der Lage im Raum, aber auch der Infrastrukturen deutlich „ländlicher“ sind als die in Westdeutschland. Krätke (2007) hat in einer aktuellen Studie für Europa aufgezeigt, dass sich die wissensintensiven Ökonomien in den dominanten wirtschaftlichen Entwicklungszentren konzentrieren. Allerdings „zeigt sich, dass die wissens intensiven Dienstleistungen keineswegs die allein bestimmende Komponente im Strukturwandel zur ‚knowledge economy‘ sind, sondern dass die forschungsintensiven Industrien ein ebenso prägender Bestandteil dieses Prozesses sind“ (Krätke 2007: 141). Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Spezialisierung und einem Wandel von der inner- zur zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung (Piore/ Sabel 1984) spielen Wissensteilungsprozesse und damit einhergehend räumlich geografische Aspekte nicht nur in der Dienstleistungswirtschaft, sondern ebenso in der produzierenden Wirtschaft eine größere Rolle. Analytisch ist der Zusammenhang zwischen Wissen, den damit verbundenen Austauschprozessen und räumlicher Entwicklung neben fehlenden Daten auch deshalb schwierig einzufangen, da sich Wissensgeografien nicht an administrativen Gebietskulissen orientieren. Soziale bzw. relationale Räume, in denen Wissen ausgetauscht wird, überlagern sich geografisch und unterscheiden sich von in administrativen Grenzen gebundenen Städten und Regionen (z. B. Bormann 2001, Läpple 1991). Werden administrative Räume hinsichtlich relevanter Wissensprozesse als eine gewisse Menge an Wissen aufnehmende Containerräume analysiert, besteht die Gefahr, dass wichtige Potenziale übersehen werden. So sind die für eine Region oder Stadt relevanten thema tischen Wissensfelder in ihrer geografischen Verortung zu entgrenzen. Folgende drei Skalierungen können dabei für die Analyse relevant sein: Großräumlich: Wissensbezogene Transaktionsräume und endogene Kompetenzen haben je nach thematischem Fokus eine andere geografische Verortung, wie in der folgenden Abbildung abstrakt dargestellt. All diese Räume folgen einer eigenen Logik, weisen verschiedene Merkmale auf und sind unterschiedlich starr bzw. flexibel, haben aber Schnittpunkte und Integrationsfelder. Diese überregionalen, sich überlagernden Raumbezüge (funktionale Geometrien) müssen in der Analyse von für die Stadt bzw. Region relevantem Wissen in den Blick genommen werden. Globalräumlich: Sassen stellt sich die globale Ökonomie „als die Materialisierung eines weltweiten Gitters strategischer Orte“ vor (2000: 183). „Der mächtigste 86 RegioPol eins 2008 Abbildung 2: Ebenen der regionalen Wirtschaftspolitik EU, Bund, Land Regionalpolitik / Regionale Strukturpolitik (auf Teilräume ausgerichtete Wirtschaftspolitik) Umverteilung von Ressourcen Gemeinsame Ziele Divergierende Ziele Verbesserung des eigenen Standorts Standortpolitik, z. B. kommunale Wirtschaftsförderung Kommunen, Kreise, … Quelle: Gärtner 2008 Faktor innerhalb dieser neuen Geografie der Zentralität verbindet auf interurbaner Ebene die großen internationalen Finanz- und Geschäftszentren: New York, Tokio, Paris, Frankfurt, Zürich, Amsterdam, Los Angeles, Sydney, Hongkong und andere“ (184). Sassen geht von einem intensiven Austausch zwischen den Städten aus und sieht „zumindest im Ansatz die Formierung eines transnationalen urbanen Systems“ (184 ff.). Dass sich ökonomische Wissensräume unabhängig von geografischer Nähe konstituieren und weltweit aufspannen können, wird mittlerweile auch medial wahrgenommen, wie in einem Artikel vom Januar 2008 im Time-Magazin nachgelesen werden konnte: „Nylonkong“ wird in diesem Artikel als gemeinsamer Raum – bestehend aus New York, London und Hong Kong analysiert. Diese Städte – so der Autor – weisen eine gemeinsame Wirtschaftskultur auf, verfügen über verdichtete Flugverbindungen und sind durch hoch leistungsfähige Glasfaserkabel sowie ein Finanznetzwerk miteinander verbunden. „Understand this network of cities – Nylongkong, we call it – and you understand our time“ (Elliott 17.Januar 2008). Sicherlich ist hinsichtlich der Bedeutung dieses Raums eine Relativierung angemessen und es werden nur wenige deutsche Städte und Regionen von solchen weltweit aufgespannten Räumen betroffen sein, trotzdem sind „nachbarschaftsferne Wissensräume“ für die Analyse von Wissensteilungsprozessen in Augenschein zu nehmen. Kleinräumlich: Stadtteile differenzieren sich innerhalb von Städten zunehmend aus. Gerade kreative Mi lieus bzw. die dazu notwendigen Befähigungsräume konzentrieren sich auf einzelne Stadtteile und können bei Betrachtung der Gesamtstadt, insbesondere im Hinblick auf deren Images, verwischen. 2. Sollen Städte und Regionen darauf reagieren? Obwohl die wachsende Bedeutung von Wissen für die ökonomische Entwicklung unbestreitbar ist, stellt sich die Frage, ob die Vehemenz, mit der sich Städte und Regionen diesem Thema widmen, angemessen ist? Aus Sicht des Autors lassen sich die folgenden vier Argu mente finden, die begründen, warum Wissen und Kompetenz ein bedeutendes Handlungsfeld für die regionale und städtische Wirtschaftsentwicklung ist. Erstens die Realität: Viele Untersuchungen – auch wenn die meisten mit Fallstudien arbeiten – zeigen, dass Räume mit einer Dominanz wissensintensiver Sektoren regionalwirtschaftlich erfolgreich sind und entsprechende Träger von Wissen anziehen und binden. Somit er scheint es sinnvoll, sich mit diesem Thema zu beschäf tigen und lokale Wissenspotenziale zu eruieren. Zweitens die „Self-fulfilling-prophecy“: Wenn alle davon reden, dass Wissensressourcen an Bedeutung gewinnen, wird dies auch geschehen. Städte und Regionen, die als wissensintensiv wahrgenommen werden und die ein Image als „sticky places“ haben, werden von Investoren und Kreativen bevorzugt und werden daher tatsächlich regionalwirtschaftlich erfolgreich sein. Drittens die Lebensqualität: Städte für die „Kreative Klasse“ attraktiv zu machen, bedeutet öffentliche Räume zu gestalten, städtische Revitalisierungsmaßnahmen durchzuführen, in Bildung und Betreuungseinrichtungen für Kinder zu investieren, Urbanität zu fördern und Freiraum für neue Kultur- und Freizeitnutzung sowie für ökonomische Experimente zu schaffen. Diese, die Wissensökonomie 87 Die wissensintensive Ökonomie ist ein ernst zu nehmendes Handlungsfeld für Städte und Regionen. rbane Lebensqualität verbessernden und Städte atu traktiver machenden Faktoren können keine Fehlinves titionen sein. Viertens der vorauseilende Fördergehorsam: Klingt negativ und es besteht die Gefahr, dass Regionen und Städte nur noch in aktuellen Förderprogrammen herausgestellten Themen hinterherlaufen, ohne ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Auf der anderen Seite würde es als politisches Versagen interpretiert, würden Städte und Regionen nicht versuchen, hier und da ein paar Fördermittel abzugreifen und sei es nur, indem die Rhetorik in den entsprechenden Förderanträgen angepasst wird. Also ist die wissensintensive Ökonomie ein ernst zunehmendes Handlungsfeld für Städte und Regionen. Vor dem Hintergrund, dass die „raumbedeutsamen Kausa litäten“ (Matthiesen 2004: 11) nicht eindeutig bekannt sind und sich „wissenbasierte Raumentwicklungsdynamiken“ (ebenda: 21) nicht erzwingen lassen, stellt sich nur die Frage, wie eine solche Politik vor Ort umgesetzt werden kann. 3. Entgrenzung der kommunalen Wirtschaftsförderung Die Wirtschaftspolitik der Kommunen und Kreise wird allgemein als kommunale Wirtschaftsförderung bezeichnet. Grundsätzlich kann darunter „die zur Daseinsvorsorge zählende Aufgabe der Gemeinden, Städte und Landkreise, die durch die Schaffung oder Verbesserung der Standortbedingungen für die Wirtschaft mittels Förderung und Pflege der öffentlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen, das wirtschaftliche und soziale Wohl der Bevöl kerung im kommunalen Gebiet sichert oder steigert“ (Schubert 1998: 122), verstanden werden. Um die Chancen und Herausforderungen der kommunalen Wirtschaftsförderung im Bezug auf eine wissens orientierte Raumpolitik beleuchten zu können, ist zunächst die Einordnung der Rolle und Funktion der kommunalen Wirtschaftsförderung im Verhältnis zu anderen raumwirksamen Ebenen vorzunehmen: Regionale Wirtschaftspolitik ist eine Mehrebenenpolitik und wird auf der EU-, Bundes-, Landesebene und der kom- munalen Ebene vollzogen. Eine klare Unterscheidung der verschiedenen Rollen, die in der folgenden Abbildung skizziert sind, bietet Lammers (1998): Die von der übergeordneten Raumebene betriebene Raumwirtschaftspolitik bezeichnet er als Regionalpolitik (kann auch als regionale Strukturpolitik bezeichnet werden). Diese Politik strebt eine räumliche Steuerung und eine Umverteilung von Ressourcen an. Traditionell war es Ziel dieser Politik, zu einer ausgeglichenen Regionalentwicklung beizutragen und schwache Räume besonders zu fördern. Neuerdings erfolgt dies zunehmend mit dem Ziel der Aktivierung von Wachstumspotenzialen (Gärtner 2008, Beetz 2006). Die Standortpolitik, federführend organisiert von den kommunalen Wirtschaftsförderungsorganisationen, strebt eine Verbesserung des eigenen Standorts (Stadt, Kreis, Region) an, und zwar unabhängig von den regionalpolitischen Zielen der höheren Raumebenen (Land, Bund, EU). Die Unterscheidung zwischen Regional- und Standortpolitik ist keinesfalls banal, denn kommunale Wirtschaftsförderung kann unabhängig von gesamträum lichen Zielen eine egozentrierte Politik verfolgen. Dies ist deshalb von Bedeutung, da sich die übergeordneten Raumebenen die Fragen stellen müssen, inwiefern eine wissens- und kompetenzorientierte Regionalpolitik erfolgreiche Regionen zu Lasten schwächerer Räume fördert und ob dies – und wenn ja, in welcher Form – kompensiert werden soll. Kommunale Wirtschaftsförderung darf also Standortpolitik nach dem Motto „Mitnehmen, was man kriegen kann“ betreiben, sollte aber den Bogen nicht überspannen. Schon aus eigenem Interesse sollte sich die kommunale Wirtschaftsförderung an tatsächlich vorhandenem Wissen und regionalen Kompetenzen orientieren, weil sonst eine Profil- und authentische Image bildung erschwert wird. Eine am lokalen Wissen orientierte Wirtschaftsför derung ist auf das Wissen und die Kompetenzen der regionalen Unternehmen angewiesen und benötigt selbst umfassendes Wissen bezüglich der regionalen Wissensbestände, aktueller Trends etc. Da dieses W issen unter den lokalen Akteuren verteilt ist, ist sie auf eine Vielzahl an Institutionen, Personen und Unternehmen 88 RegioPol eins 2008 angewiesen. Akteure der Wirtschaftsförderung sind daher nicht nur die Angestellten innerhalb der Wirtschaftsförderungseinrichtungen und in den städtischen Ämtern (z. B. Stadtplanungsamt, Umweltamt usw.) sowie in halbstaatlichen Einrichtungen wie Kammern, sondern ebenso die Kunden der Wirtschaftsförderung: die Unternehmen. Aufgabe der Wirtschaftsförderung ist es, diese einzubinden und an der regionalen Standortentwicklung zu beteiligen. Somit ist sowohl hinsichtlich der Ziel gruppen als auch der Akteure der kommunalen Wirtschaftsförderung eine Entgrenzung angezeigt. Wirt schaftsförderung ist danach weder rein aus der Verwaltungsperspektive, noch ausschließlich aus Sicht der Unternehmen zu formulieren. Ausgangspunkt sollte vielmehr sein, den Standort als einen Ort zu begreifen, der durch Institutionen, Bürger und Unternehmen gemeinsam getragen wird und an dem Identität, Lebensqualität und insbesondere Wissen gebildet wird. Wirtschaftsförderung darf sich also hinsichtlich der Akteursstruktur nicht auf sich selbst beschränken. Eine Entgrenzung muss darüber hinaus auch hinsichtlich der Themenfelder und der geografischen Raumbezüge stattfinden, wie in den folgenden beiden Unterkapiteln skizziert wird: 3.1 T hematische Entgrenzung der kommunalen Wirtschaftsförderung Konzentrierte sich die Wirtschaftsförderung früher auf Handlungsfelder wie die Erschließung von Gewerbeflächen, die Bereitstellung wirtschaftsnaher Infrastrukturen sowie die Ansiedlung neuer und die Umsiedlung vorhandener Unternehmen, geht es heute auch darum, die spezifischen regionalen Kompetenzen und Wissensressourcen zu erkennen, zu bündeln und zu unterstützen. Die folgende Ideensammlung skizziert mögliche Bausteine, die eine am regionalen Wissen orientierte thematisch entgrenzte Wirtschaftsförderung zusätzlich zu den traditionellen Feldern beinhalten kann: Wissensspillover funktionieren je nach Branche und Standort unterschiedlich. Letzteres bezieht sich auf die gebaute Umgebung, auf Plätze, Gebäude und Strukturen, aber auch auf die regionale Kultur. Hinsichtlich der Wirkungsweisen ist wenig bekannt. Auch gibt es keine Patentrezepte dergestalt: Virtuositätsgrad der Branche x Urbanitätsgrad = Wissensspezifisches Milieu vor Ort Die Aufgabe der kommunalen Wirtschaftsförderung ist es, die regionalen Wissensbestände zu entdecken, ein Gespür für die jeweiligen Milieus zu entwickeln, die urbane Attraktivität zu erhöhen und eine tolerante Atmosphäre zu fördern. Entwicklung regionaler Bildungs- und Wissensressourcen Neben der Förderung der relativen Wissensstärken einer Region, geht es darum, Bildung und die Chancen zum Wissenserwerb in der Breite zu unterstützen. Dies ist zwar nicht die originäre Aufgabe der kommunalen Wirtschaftsförderung, wohl ist die regionale Wirtschaft aber auf gut ausgebildete kreative Menschen angewiesen. Wirtschaftsförderung kann im Sinne einer entgrenzten Wirtschaftsförderung Akteure auffordern, vor Ort in regionale Bildung zu investieren, Austauschprozesse zwischen Schulen, Universitäten und regionalen Unternehmen initiieren und Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in der Region anstoßen. Einige Städte sind zumindest formal in den letzten Jahren schon einen Schritt in diese Richtung gegangen, indem sie die Funktionsbereiche „Beschäftigung und Qualifizierung“ in die kommunalen Wirtschaftsförderungsämter bzw. -gesellschaften inte griert haben. Regionale Bildung kann einen an den re gionalen Kompetenzen orientierten Fokus haben, wobei jedoch zu beachten ist, dass eine gute generelle Aus bildung der Menschen in der Region die Basis ist, in der Zukunft neue Themen besetzen zu können. Lokale endogene Wissenspotenziale sind spezifisch und müssen entdeckt werden Ähnlich wie bei der Cluster- bzw. Kompetenzfeldpolitik (z. B. Rehfeld 1999) muss eine Stadt oder Region Kenntnis über ihre relativen Stärken haben, also erkennen, in welchen Feldern sie besser ist als andere Regionen und über spezifische Wettbewerbsvorteile verfügt. Dies ist deshalb für die regionale Wirtschaftsförderungsstrategie von Bedeutung, da Wissensaustausche spezifisch sind und das für den Austausch von Wissen notwendige Vertrauen in bestimmten sozioökonomischen Milieus entsteht. So haben die Medienunternehmen in Köln oder Berlin andere Arten von Orten, an denen sie Wissen austauschen, andere Routinen, Werte und Normen und bilden andere Vertrauensregime als beispielsweise Un ternehmen der „Maritimen Wirtschaft“ im Raum Ems. Chancen müssen vor allem in wissensfernen Regionen ergriffen werden Auch wenn sich die kommunale Wirtschaftsförderung keine Gedanken über gesamträumliche Auswirkungen einer am Wissen und an regionalen Kompetenzen orientierten Raumpolitik machen muss, stellt sich für strukturschwache wissensferne Räume die Frage, wie sie sich zur Teilnahme an einer wissensintensiven Ökonomie qualifizieren können. Gerade für solche Städte und Regionen ist es wichtig, neue Wege zu gehen und regional begründete Chancen zu ergreifen. Ein Beispiel: Im Rahmen des Struktur- und Siedlungswandels ergeben sich insbesondere in altindustriellen Räumen immer wieder Leerstände (Gebäude und Wissensökonomie lächen), die temporär für kulturelle oder ökonomische F A ktivitäten genutzt werden können. Verstanden als „Möglichkeitsräume“ könnten solche Flächen- und Gebäudebrachen städtebauliche und durchaus auch ökonomische Potenziale bedingen. Unter Möglichkeitsräumen sind in diesem Kontext Raumlabore zu ver stehen, in denen neue Nutzungskonzepte auf ihre Funktionalität und ökonomische Tragfähigkeit hin getestet werden können. Solche Möglichkeitsräume sind besonders geeignet für das „kreative Milieu“, das unsere Wirtschaftsförderer und Stadtplaner so gerne in ihren Städten haben möchten. Dieses Milieu fühlt sich nur selten von auf dem Reißbrett entwickelten „Inkubatoren“ angezogen, die aus Kostengründen oftmals nicht in den bevorzugten Innenstadtquartieren lokalisiert sind. Akteure dieses Milieus wollen Raum entdecken, ihn sich aneignen und gestalten. Solche Projekte kosten der öffent lichen Hand wenig Geld und sind bezogen auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis mit geringeren Risiken verbunden als zum Beispiel die Errichtung von Dienstleistungs- oder Gründerzentren. Im Rahmen der klassischen Wirtschaftsförderung lassen sich derartige Vorhaben allerdings nur schwer umsetzen, da sie nicht planbar sind, die Aktivität lokaler Akteure erfordern und ein neues Raumverständnis implizieren, das sich von statischen konstanten Raumnutzungen verabschiedet. Entgrenzte, an lokalen Wissensmilieus orientierte Wirtschaftsförderung muss daher ein Gespür für stadtteilspezifische Milieus entwickeln und vor allem die potenziellen Nutzer solcher Projekte als Akteure der Wirtschaftsförderung begreifen. Unterstützen kann die Wirtschaftsförderung derartige Aktivitäten zum Beispiel durch Wettbewerbe und die Schaffung der notwendigen genehmigungsrechtlichen Freiräume. Einzelne Beispiele dafür gibt es bereits im In- und Ausland (z.B. http://www.zwischennutzung.net/mainframe.html). Wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, sind diese Projekte vor allem in urbanen, historisch gewachsenen Innenstadtquartieren in Städten mit einem adäquaten Image und einer entsprechenden Gesamtstruktur erfolgreich. Unabhängig davon sind ebenso für weniger urbane Räume unkonventionelle aus der spezifischen regionalen Situation resultierende Handlungsfelder vorstellbar. Zurzeit wird beispielsweise an vielen Orten über den Anbau von Energiepflanzen auf Industriebrachen diskutiert. Auch ließe sich darüber nachdenken, Megagewächshäuser auf solchen Flächen unterzubringen. Dies vor dem Hintergrund, dass der Gartenbau stark von Energiepreisen abhängig ist und daher zurzeit versucht, durch Hightech-Gewächshäuser Kostenvorteile zu generieren (NRZ 23. Januar 2008). Weil solche Gewächshäuser keinen Kontakt zum Boden haben, ließen sie sich problemlos auf Industriebrachen realisieren. Stand orte im Umfeld von Kraftwerken erscheinen besonders sinnvoll für solche Vorhaben, da dort durch eine Kraft- Wärme-Kopplung eine hohe Energieeffizienz erreicht werden könnte. Eine solche wissensintensive Landwirtschaft würde eine Kompetenzbildung forcieren und ehemalige Industriearbeiter könnten als eine Art Franchisenehmer zu „urbanen Landwirten“ werden und Teile dieser 89 Megaanlagen bewirtschaften. Diese Beispiele sind keinesfalls als Projektvorschläge zu verstehen, vielmehr soll damit aufgezeigt werden, dass eine entgrenzte Wirtschaftsförderung Wissen über Trends benötigt, regionale Zeitfenster erkennen muss und den Mut benötigt, auch unkonventionelle Themen zu besetzen. Wissensorientierte Image- und Profilbildung Städte und Regionen versuchen durch bestimmte Images – die zumeist an Wissen und Kompetenz orientiert sind – Kapital und Kreative anzuziehen. Für Städte mit einer langen Tradition als Dienstleistungs- und Wissensstadt (z. B. Darmstadt, Freiburg oder Tübingen) ist es einfacher, sich mit einem dementsprechenden Image zu profilieren. Schwieriger ist es dagegen für vom Strukturwandel betroffene Städte und Regionen. Images lassen sich nicht aus dem luftleeren Raum kreieren, sondern benötigen meist regionale Wurzeln und müssen vor Ort gelebt werden. Zwar sind auch radikale Brüche möglich, diese müssen aber konsequent stattfinden und gelebt werden (Grote Westrick/Rehfeld 2006). Auch wenn die Leuchtturmprojekte viel kritisiert wurden, haben Städte wie Bilbao mit dem Guggenheim-Museum oder Dubai, wo sich alles – angefangen von Megage bäuden, über Skianlagen bis zu ganzen Inseln – gestalten lässt, eigenständige Images herausgebildet, die nach innen und außen wirken. Wenig erfolgversprechend erscheint der Versuch einiger Städte, modische und nichtssagende Images durch ein paar Werbeslogans zu entwickeln. Dass ein Werbeslogan zur Stadt passen muss, macht der Werbefachmann Bernd Michael in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung (11. März 2008) klar: „München hat erfolgreich mit ‚Weltstadt mit Herz‘ geworben; das passt zu München, das gemütlich ist, aber keine Provinz. (…). Das heutige ‚Munich loves you‘ ist eher peinlich. Auch ‚München mag Dich‘ klingt anbiedernd“ (ebenda). Images lassen sich nicht dauerhaft dadurch verändern, indem ein Claim ausgerufen wird, der nur wenig mit der Stadt zu tun hat. So hat zwar die altindustrielle Stadt Dortmund mit ihrer an endogenen Kompetenzen orientierten Wirtschaftsförderungspolitik nachhaltig ihr Image aufpoliert und es damit sogar in der Serie „Stille Stars – Deutschlands unbekannte Wachstumsregionen“ ins Handelsblatt geschafft (Handelsblatt 21. Juli 2004), die Kampagne „Das neue Dortmund macht Laune“ hat dazu allerdings weniger beigetragen. Zur Teilhabe an einer wissensintensiven Wirtschaft reicht es also nicht, ein Image zu kreieren ohne die tatsächlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in Augenschein zu nehmen. Im Rahmen einer zunehmenden Bedeutung „expressiver, ästhetischer Lebensäußerun- gen“ (Blotevogel 2003: 14), urbaner Qualitäten, sozialer Strukturen und Netzwerke für Innovationen sowie regio naler, sozialer und kultureller Werte (Thierstein 2004) gewinnt (urbane) Lebensqualität an Bedeutung. Dazu ge hören neben einer umwelt- und sozialverantwortlichen 90 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie Wirtschaft auch Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote, gebaute Umwelt und ebenso herausragende Kinderbetreuungsangebote, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleisten. Dies fällt keineswegs in die Kategorie „Gedöhne“, sondern ist eine reale Standortqualität und damit ein wichtiges Handlungsfeld. Gelingt es einer entgrenzten Wirtschaftsförderung, die Lebensqualität zu verbessern, stellt sich von alleine ein positives Image ein. 3.2 Räumlich-geografische Entgrenzung der kommunalen Wirtschaftsförderung Im Rahmen einer am Wissen orientierten Raumpolitik werden die vor Ort vorhandenen wirtschaftsstruktu rellen Kompetenzen und regionalen Netzwerke, aber auch Milieu- und Kulturfaktoren, Wissenskulturen und städtebaulichen Strukturen zu Potenzialfaktoren und sollten Ausgangspunkt einer eigenständigen Strategie sein, deren Bezugsräume allerdings in der Regel über enge administrative Regionen hinausgehen bzw. sich teilweise kleinräumiger verorten. Für die kommunale Wirtschaftsförderung heißt dies, eine am lokalen Wissen orientierte Strategie in verschiedenen thematischen Raumfiguren (vgl. Kap. 1) zu denken. Großräumlich bedeutet das, ein Bewusstsein darüber zu erlangen, dass die Räume, in denen Wissenspoten ziale verdichtet vorliegen, Wissensspillover stattfinden und Images geprägt werden, sich nicht administrativ begrenzen lassen. Um dem gerecht zu werden, reicht es nicht aus, wie es beispielsweise bei der Bestimmung von Metropolregionen geschehen ist, die Ränder aus zudehnen und einen bestimmten Teil – meist wiederum administrativ abgegrenzte Gebietskulissen – einzubinden. Es geht weniger um Größe als vielmehr um Themen und die entsprechenden Wissensgeografien. „Je nach betrachtetem Thema, wie zum Beispiel Kooperationsmuster von Wirtschaftsbranchen, lässt sich eine andere sinnvolle Ausdehnung begründen“ (Thierstein/Goebel 2007: 24). Regionale Wissenswertschöpfungsketten beschränken sich zwar nicht auf einen administrativen Raum, allerdings wird zur Aufspürung dieser Wertschöpfungsketten (z. B. für die Auswertung statistischer Daten) zunächst einmal ein solcher Raum als Bezugspunkt benötigt. Wichtig ist jedoch, dass diese Bezugsräume als Denkfigur perforierte Grenzen haben, um die tatsäch liche Verortung des Wissensraums erfassen zu können. Verändert sich der geografische Analyseraum eines W issensfeldes, verändern sich in der Regel auch Größe und Struktur der Wissenswertschöpfungskette, also des sektoralen Bezugsraums. Bei der Beachtung sich überlagernder Wissensräume geht es zunächst darum, die möglichen Bezugsräume für verschiedene Themen zu orten. Um von diesen W issensgeografien zu profitieren und diese strategisch zu nutzen, sind entsprechende Governance-Strukturen gemeinsam mit den Akteuren anderer Gebietskulissen zu gestalten. b Kunstobjekt, Museum Louisiana, Dänemark 91 Die Städte Wuppertal, Remscheid und Solingen in NRW haben beispielsweise eine integrierte regionale Wirtschaftsförderungsstrategie (www.kompetenzhoch3de), die im Kern die Entwicklung wirtschaftsstruktureller Kompetenzfelder beinhaltet. Neben der gemeinsamen Entwicklung der regionalen Kompetenzen agiert jede kommunale Wirtschaftsförderung weiterhin unabhängig und offeriert den lokalen Unternehmen einen individuellen Service im Rahmen der klassischen Wirtschaftsförderung. Dazu gehört Gewerbeflächenmanagement, Standortberatung, Genehmigungsmanagement, Gründungsberatung, Potenzialberatung und vieles mehr (Gärtner/Terstriep 2006). Dieser Ansatz ist nur ein Beispiel, das verdeutlicht, wie das Agieren in administrativ entgrenzten Räumen für die Wirtschaftsförderung aussehen kann. Wobei sich dies beim beschriebenen Fall zwangsläufig aus der Innensicht noch immer an admi nistrativen Grenzen orientiert, auch wenn es sich dabei um einen größeren Raum handelt. Globalräumlich heißt dies, sich zwar bewusst zu sein, dass näheräumliche überkommunale Bezüge bedeutend sind, sich Räume aber auch unabhängig von Proximitätsfaktoren weltweit aufspannen können. Wissensräume können sich auch deshalb global gestalten, da regionale Wissensnetzwerke mitunter internationale Konzerne bzw. deren Tochtergesellschaften beinhalten, was in der Re gionalökonomie, die den Fokus auf regionale Netzwerke kleiner und mittlerer Unternehmen setzt, oft ignoriert wird (Markusen 1996: 309ff.). Eine am Wissen orientierte Wirtschaftsförderung sollte sich der wichtigsten überre gionalen Raumkontexte bewusst sein, an die die regio nalen Wissensfelder angedockt sind, und eine Kopplung lokaler und internationaler Verflechtung unterstützen. Kleinräumlich bedeutet dies, spezifische Wissens milieus in Augenschein zu nehmen und die Potenziale der Stadtteile als Kulisse für eine wissensintensive Wirtschaft abzuklopfen. Bestimmte Stadtteile beherbergen spezifische Wissensmilieus, die nur teilweise von der Gesamtstadt abhängen. Einige Stadtteile unterschiedlicher Städte können aufgrund ähnlicher Milieus größere Gemeinsamkeiten und Transaktionsbeziehungen untereinander haben als die einzelnen Stadtteile mit ihrer Gesamtstadt. So konkurrieren beispielsweise bestimmte Wirtschaftssegmente weniger zwischen Berlin und Hamburg als zwischen Friedrichshain-Kreuzberg (Berlin) und St. Pauli- Karolinenviertel (Hamburg). Krätke verweist am Beispiel der Medienwirtschaft auf das kulturelle Kapital, ein für Akteure, die auf kreatives Wissen angewiesen sind, „gesellschaftlich produzierter Standortvorteil“ (2004: 202). Er führt am Beispiel des Umzuges des Musikkonzerns Universal Music in den Szenebezirk Friedrichshain-Kreuzberg aus, dass städtische Teilräume für Standortent scheidungen aufgrund ihres Images eine Bedeutung haben. „Ein Unternehmen wie Universal Music benötigt sozusagen einen Draht zur Subkultur, denn die Musik wirtschaft lebt (wie auch andere Zweige des Medien- und Kultursektors) von Trends, die relativ schnell veränderlich sind. Folglich sucht man die Nähe zur Quelle von neuen Trends, nämlich den Subkulturen, die sich im Raum 92 RegioPol eins 2008 estimmter Metropolen wie Berlin entfalten“ (Krätke b 2004: 103). Stadterneuerung entwickelt sich seit Jahren von der rein baulichen Stadtsanierung hin zu Strategien, die die ökonomische Revitalisierung als ein wichtiges Element berücksichtigt. Allerdings liegen solche an der „lokalen Ökonomie“ orientierten Maßnahmen vor allem im Auf gabengebiet der Stadterneuerungsämter. So sind die Stadtteile zwar mehr und mehr ins Blickfeld stadtpolitischen Handels gerückt, aber eher aus einer sozialpolitischen Motivation heraus bzw. zur Verhinderung sozialer Krisenkreisläufe, anstatt die Potenziale für die Gesamtstadt zu betrachten. Die kommunale Wirtschaftsförderung sollte sich daran beteiligen, eine auf Quartiers ebene heruntergebrochene Wirtschaftsförderung zu betreiben und die stadtteilspezifischen Potenziale, aber auch die Problemlagen berücksichtigen. Dies umfasst auch die Kommunikation eines an den lokalen Gegebenheiten orientierten Images auf Stadtteilebene. 4. Fazit „Mitnehmen, was man kriegen kann“ ist zwar für eine egozentrierte Politik wie die kommunale Wirtschaftsförderung legitim und bedingt sinnvoll, aber gesamträumlich nicht optimal. Obwohl dieser Artikel den Blickwinkel der kommunalen Wirtschaftsförderung einnimmt, wird darauf hingewiesen, dass die Fördermittel gewährende Raumebene (Land, Bund, EU) sehr genau abwägen sollte, ob eine Stadt oder Region bezüglich eines in einen Wettbewerb eingebrachten Vorhabens relative Wissensstärken aufweist und ob das Vorhaben zu der Region oder Stadt passt. Wenn einzelne Städte und Regionen versuchen, relative Wissensstärken aus dem Nichts darzustellen, ist dies gesamträumlich nicht sinnvoll. Auch für wissensferne Regionen, die sich, um den Ausschreibungen und Wettbewerben zu entsprechen, mit Profilen vermarkten, die den regionalen Gegebenheiten fern sind, ist dies nur suboptimal. Um konsequent relative Wissensstärken sowie Kompetenzen und gleichzeitig eine sozialpolitisch gebotene Stabilisie rung schwacher Räume zu unterstützen, bedarf es eines anderen regional- bzw. strukturpolitischen Vorgehens: Eine wissens- und wachstumsorientierte Regionalpolitik sollte unabhängig von Ausgleichszielen dort erfolgen, wo sie regional angezeigt ist und gesamträumlich sinnvoll erscheint. Unabhängig davon sollten schwache Räume besonders gefördert und dort vor allem ein breites Bildungsangebot aufrechterhalten werden. Für die kommunale Wirtschaftsförderung heißt dies im Umkehr schluss, sich nicht auf jeden Wettbewerb des Landes, des Bundes oder der EU zu bewerben, sondern zu ver suchen, die regionalen Wissensstärken und Kompetenzen herauszustellen. Es geht darum die Chancen zu ergreifen, die sich aufgrund der spezifischen regionalen Situation ergeben: So ist es Aufgabe einer wissensorientierten Wirtschafts förderung, Trends zu erkennen und – insofern die Region diesbezüglich über besondere Standortfaktoren verfügt – diese als Pioniere zu testen. Wirtschaftsförderer sollten nicht der allgemeinen Mode folgend, blind auf wissensintensive Dienstleistungen setzen. Denn die wissensintensiven Ökonomien Europas sind oftmals industriebasiert (Krätke 2007) und in vielen Städten bilden die industriellen Kerne Ankerfunktionen für unternehmensnahe wissensintensive Dienstleistungen. Städte und Regionen können sich dann erfolgreich positionieren, wenn sie eine vernetzte Politik und eine gemeinsame Entwicklungsstrategie mit vielen Akteuren verfolgen. Die kommunale Wirtschaftsförderung kann diesbezüglich Triebfeder sein, kann dies aber nicht allein bewerkstelligen. Da, wie in diesem Artikel ausgeführt, eine am lokalen Wissen orientierte Wirtschaftsförderung verschiedene, über die administrative Gebietsku lisse hinausgehende Raumbezüge beachten sollte, muss sie sich neben einer thematischen Entgrenzung nicht nur nach innen entgrenzen, indem sie sich vor Ort Kooperationspartner sucht, sondern auch nach außen und über die administrativen Grenzen hinaus entsprechende Governance-Strukturen aufbauen. Wissensökonomie Quellen Ahrens, D. (2004): Stadt und Region in der Wissensgesellschaft. In Matthiesen, U. (Hg.): Stadtregion und Wissen. Analysen und Plädoyers für eine wissensbasierte Stadtpolitik. Wiesbaden. S. 53 – 63 BBR (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung), 2004: Indikatoren und Karten zur Raumentwicklung – Ausgabe 2004. CD-Rom BBR (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung), 2005: Raumordnungsbericht 2005: Berichte. Band 21. Bonn Beetz, S. (2006): Regionale Disparitäten und Steuerung ländlicher Entwicklung. 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Gerade im „Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“, der geradezu als konstitutives Element von innovativen Clustern gilt, sieht die Bundesregierung den strategischen Vorteil dieses Konzepts. Für die Spitzencluster ist also gesorgt. Wie aber soll sich Politik auf Länder- bzw. regionaler und kommunaler Ebene gegenüber möglichen Clusterpotenzialen verhalten? Gerade in den noch jungen, innovativen Technologiefeldern verläuft die Entwicklung teilweise in einem atemberaubenden Tempo. Hier den Dingen ihren Lauf zu lassen, wie es manche Ökonomen nahelegen, bis das fertige Cluster klar zutage tritt, erscheint in Zeiten zunehmender Standortkonkurrenz sträflicher als fahrlässig. Die qualifiziertesten Arbeitskräfte und innovativsten Unternehmen werden nicht auf Dauer in Regionen zu halten sein, die ihren Wirtschafts- und Forschungs bereichen gegenüber vornehme Zurückhaltung üben. Die Politik ist also gefordert. Es bleibt jedoch die Frage zu klären, ob und inwieweit die Clusterbildung einer politischen Initiierung und Steuerung überhaupt zugänglich ist. Nach Rehfeld ist dies nur eingeschränkt der Fall, da die Clusterentstehung oftmals von Zufällen abhängig, theoretisch nicht zu erfassen und deshalb als Grundlage für eine systematische Clusterpolitik nicht geeignet sei (Rehfeld 2006, S. 148 f.). Zudem entstünden Cluster nur an national oder international herausragenden Standorten. Der Hinweis, dass der Entstehungs zusammenhang mancher Cluster auf Zufallskonstella tionen zurückzuführen ist, ist noch kein systematisches Argument gegen die prinzipielle Gestaltbarkeit von C lustern. Clusterprozesse können zufällig, aber prinzi piell auch politisch gezielt angestoßen werden. Dafür bedarf es aber bestimmter Voraussetzungen (z. B. muss ein gegebenes Minimum an Clusterpotenzial am Standort vorhanden sind), die aber keineswegs nur an Spitzen standorten anzutreffen sind. Clusterpotenziale können nicht zuletzt auch in traditionell strukturschwachen Regionen existieren und ändern sich mit dem Wandel gesamt- und weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen (NORD/LB/NIW 2007). Interessanterweise hat Paul Krugman, dem ansonsten bekanntlich die Bedeutung des Faktors Zufall in der Ökonomie keineswegs fremd ist, frühzeitig auf die Rolle staatlicher Institutionen bei der Entwicklung von Clustern hingewiesen. Aus seiner Sicht zeigt sich: „the stories of the founding of high techno logy clusters are less romantic. In general the new high technology clusters were the product less of intrepid individuals than of visionary bureaucrats …“ (Krugman 1991, S. 64). Auch Brenner/Fornahl sehen die Beeinflussung regionaler Standortbedingungen als zentralen Ansatzpunkt für Clusterpolitik (Brenner/Fornahl o.J, S. 10). Voraussetzung sei jedoch die Existenz einer kritischen Masse zur Clusterbildung und das Vorhandensein „lokaler Externalitäten“, die als Mechanismen der Clusterbildung wirken. Dazu zählen Brenner/Fornahl u. a. die Verfügbarkeit von Humankapital, Firmenneugründungen, Innovation und Risikokapitalgeber (ebd. S. 13 f.). Die gegenwärtige Popularität von Clusterkonzepten erklärt sich zum einen als Folgeerscheinung der Globa lisierung, die den Standortwettbewerb zwischen den Regionen verschärft. Die Sicherung und Steigerung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit wird zunehmend als Schlüssel der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigung angesehen. Damit gewinnen auch kommunizierbare Alleinstellungsmerkmale einen exponierten Stellenwert (Kiese 2008 S. 49). Das Clusterkonzept in seiner Fokussierung auf ökonomische Schwerpunkte entfaltet seinen besonderen Reiz im Zusammenhang mit der Knappheit öffentlicher Ressourcen, da eine aktive b Gartenzwerge, „Kluster: was dick und dicht zusammensitzet“ (Grimmsches Wörterbuch) 96 RegioPol eins 2008 Wirtschaftsförderung in der Breite offenkundig Schwierigkeiten bereitet. Zum anderen liegen die Ursachen für den derzeitigen Siegeszug der Clusterkonzepte in einem tief greifenden Strukturwandel, der als Übergang zur w issensbasierten Ökonomie (Wissensgesellschaft/Wissensökonomie) charakterisiert wird (Heidenreich 2000, 2004, Kujath 2005, Strambach 2004, Brandt 1999, Picot/ Reichwald/Wigand 2003, Reichwald/Hermann 2000). Dieser beeinflusst nicht zuletzt auch die Entwicklungsund Wettbewerbsbedingungen von Regionen. Ökonomische Netzwerkstrukturen bzw. Kooperationsbeziehungen entlang der Wertschöpfungsketten werden dabei für die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe von immer größerer Bedeutung. Insbesondere innovative Netzwerke, die auf den intensiven Austausch von (implizitem) Wissen angewiesen sind, profitieren von den besonderen ökonomischen Vorteilen räumlicher Nähe. Clusterpolitik findet in diesem Kontext einen fruchtbaren Nährboden und erscheint damit in besonderer Weise erfolgsträchtig zu sein. Wenn (staatliche) Politik den Prozess der Clusterbildung positiv gestalten will, steht sie allerdings zunächst vor der Herausforderung, hinreichende Informationen über die strategische Ausgangslage ihrer Bemühungen zu akquirieren. In diesem Zusammenhang wird vielfach argumentiert, dass der Staat bei der Wahrnehmung dieser Funktion hoffnungslos überfordert ist. So gibt es für Wolfgang Franz „viele Studien, die zeigen, dass man wirtschaftliche Entwicklungen nicht vorhersagen kann“ (Franz 2004). Insbesondere warnt er in diesem Zusammenhang davor, sich auf bestimmte Branchenschwerpunkte zu konzentrieren. Diese Sorge erscheint insbesondere bei industriell veralteten Clustern berechtigt zu sein, in deren Firmennetzwerken eine rechtzeitige Verjüngung der Clusterstrukturen durch innovative Ak tivitäten versäumt wurde. Es gibt jedoch im Rahmen staatlicher (regionaler) Politik eine Vielzahl von Instrumenten, um die bestehenden Informationsprobleme und damit Risiken zu reduzieren. Voraussetzung ist natürlich, dass man weiß, wonach zu suchen ist. Mit an deren Worten: Was macht einen Cluster eigentlich aus? 1. Das Clusterkonzept Unter einem Cluster wird zunächst eine räumliche Konzentration vernetzter Unternehmen bzw. Betriebe und Institutionen (Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen, Kammern, Verbände etc.) verstanden, die sich auf miteinander verwandte Wirtschaftszweige beziehen (Porter 1999, S. 52 f., Sternberg 2005, S. 120). Dabei breiten sich Cluster, ökonomisch betrachtet, in einem dreidimensionalen Raum vertikal über die Vertriebs kanäle abwärts bis zu den Kunden sowie horizontal zu den Herstellern komplementärer Produkte und Dienstleistungen aus. Die bloße geografische Häufung erlaubt es jedoch noch nicht von einem Cluster zu reden. Mit der regionalen Konzentration von Betrieben einer Branche bzw. einer Wertschöpfungskette ist zunächst nur ein Clusterpotenzial vorhanden. Ein funktionierendes Cluster benötigt jedoch eine Konstellation, in der diese räumlich konzentrierten Betriebe Austauschbeziehungen untereinander und mit komplementären Institutionen (z. B. aus Wissenschaft und Bildung) pflegen. Diese intraregionale Vernetzung besteht bei Clustern im Wesentlichen aus mehr oder minder lockeren Verbindungen („weak ties“) (Granovetter 1973, S. 1360 ff.). Die räumliche Konzentration von Clustern steht dabei nicht im Widerspruch zu interregionalen und internationalen Kooperationen. Im Gegenteil: Durch überregionale Vernetzung erweitern sich die Optionen der Arbeitsteilung und der Generierung von innovationsrelevanten Inputs, die zu einer maßgeblichen Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit eines Clusters und der mit ihm verbundenen Betriebe beitragen. Nicht räumliche Abschottung, sondern eine starke regionale Wissensbasis, an der Informationen bzw. Anregungen aus aller Welt verarbeitet werden können, ist mit einem richtig verstandenen C lusterkonzept gemeint (Läpple 2000, 2001). Gerade die überregionalen Kontakte können, in Verbindung mit einer ausgeprägten Exportorientierung, den intraregionalen Kooperationsgedanken fördern, indem etwa gemeinsame Qualitätsstandards entwickelt werden (ARL 2006, S. 2). Die überregionale Kooperation mindert zudem die Wahrscheinlichkeit der Verkrustung von Strukturen durch institutionelle Lock-in-Effekte, die auf Dauer die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Regionen in Frage stellen können. 2. Effizienzvorteile von Clustern Wenn sich regionale Cluster über lange Zeiträume behaupten, müssen sie über spezifische Vorteile verfügen, die eine Überlegenheit gegenüber den Strukturen einer bloßen Konkurrenzökonomie begründen (Brandt 2008). Tatsächlich lassen sich signifikante ökonomische Effi zienzvorteile im Prozess der Clusterung verifizieren. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Alfred Marshall die räumliche Konzentration von Betrieben an bestimmten Standorten beobachtet und plausible wirtschaftliche Argumente für deren Entstehung und relative Stabilität gefunden. Das Geheimnis dieser räumlichen Konzentration lag in ihren spezifischen ökonomischen Effizienzvorteilen, die (1) auf „a local market of skills“, (2) auf „the growth of subsidiary trades „ und (3) auf „the use of highly specialized machinery“ beruhten (Marshall 1920, S. 225). Diese Effizienzvorteile sind im Wesent lichen die drei ökonomischen Argumente, die bis heute für die Überlegenheit erfolgreicher Cluster angeführt werden: ein spezialisierter Arbeitskräftepool, spezifische Inputs bzw. Infrastruktur sowie Wissens-Spillover. Alle drei Argumente werden von Paul Krugman in „Geography and Trade“ noch einmal aufgegriffen und modelltheoretisch fundiert (Krugman 1991, S. 35 ff.). Für Krugman handelt es sich bei den Effizienzvorteilen von Clustern um nichts anderes als um spezifische Fälle po sitiver externer Effekte (Krugman 1993, S. 175 f., 1999, Wissensökonomie S. 114 ff., Martin/Sunley 1996). Dabei kann grundsätzlich zwischen technologischen und monetären bzw. peku niären Externalitäten unterschieden werden. Technologische Externalitäten beruhen auf einem Austausch von Wissen der Betriebe untereinander und zu Forschungseinrichtungen (Wissens-Spillover) (Krugman/Wells 2005, S. 469). Diese Spillover führen im Rahmen der Koopera tionsbeziehungen eines regionalen Clusters zu wechselseitigen Lernprozessen der beteiligten Unternehmen. Auf diesem Wege kann sich eine regionale Wissensbasis entwickeln, die den Wettbewerbsvorteil des jeweiligen Clusters weiter ausbaut. Mit Polanyis Konzept des „impli ziten Wissens“ kann plausibel begründet werden, dass der räumlichen Nähe beim Wissenstransfer eine entscheidende Bedeutung zukommt (Polanyi 1985, Granovetter 1973, Läpple 2001). Pekuniäre Externalitäten stellen dagegen auf die Größe des Marktes ab. In großen Märkten können ggf. steigende Skalenerträge realisiert werden (z. B. regionale Zulieferbasis und Arbeitskräftepool). Diese Effekte werden bei vollständiger Konkurrenz durch den Marktmechanismus übertragen und nach einer daraus resultierenden Veränderung der Preise internalisiert. In einer Welt steigender Skalenerträge und unvollständiger Konkurrenz spielen die pekuniären Effekte durch das Auftreten von Marktgrößen-Effekten eine beachtliche Rolle (Krugman 1993, S. 166 f.). Die gleichzeitige Existenz pekuniärer und technologischer Externalitäten führt schließlich zu einem dynamischen Selbstverstärkungsprozess (positive Rückkoppelung), der den Vorsprung der an einem Cluster beteiligten Unternehmen weiterhin ausbaut. 3. Anreize der Clusterbildung Damit können wir zur Ausgangsfrage zurückkehren. Diese besteht darin, ob sich die regionalen Clusterpotenziale in hinreichendem Maße autonom durch den Marktmechanismus zu funktionierenden Clustern herausbilden und ob diese Prozesse einer politischen Gestaltung zugänglich sind. Viele Argumente sprechen dafür, dass es sich beim Prozess der Clusterbildung um einen klassischen Fall von Marktversagen handelt, weil potenzielle Nutznießer von Clusterprozessen i. d. R. nicht oder nur zu sehr hohen Kosten davon abgehalten werden können, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten. Aus der Perspektive des einzelnen Unternehmens gibt es daher keinen hinreichend starken Anreiz zur Cluster bildung aktiv beizutragen. Aus diesem Grund kommt es zur Unterversorgung von Wirtschaftsräumen mit Clustern. Es lässt sich sogar argumentieren, dass die genannten positiven externen Effekte der Clusterbildung zumindest zum Teil den Charakter von öffentlichen Gütern tragen. Bei öffentlichen Gütern handelt es sich um einen „Extremfall eines positiven externen Effektes.“ (Stiglitz 1999, S. 176). Öffentliche Güter sind durch die Eigenschaft der Nicht-Rivalität im Konsum und durch das Prinzip der Nicht-Ausschließbarkeit gekennzeichnet. Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass es 97 sich bei den ökonomischen Vorteilen von Clustern im Wesentlichen um externe Effekte handelt, so dass der Aspekt der Nicht-Ausschließbarkeit per definitionem gegeben ist. Nicht-Rivalität liegt vor, wenn die ökono mischen Vorteile, die ein beteiligter Betrieb aus der E xistenz eines Clusters zieht, gleichermaßen auch von den anderen beteiligten Betrieben genutzt werden können. Cluster verfügen aber gerade über die genuine Eigenschaft, dass durch die zunehmende Beteiligung von Unternehmen und anderen Institutionen an Pro zessen des Wissensspillovers zusätzliches Wissen und in dessen Folge größere Wertschöpfung entsteht. Darüber hinaus gibt es noch weitere Argumente, warum es im Prozess der Clusterbildung zu Marktversagen kommen kann. So ist davon auszugehen, dass die er warteten externen Effekte erst dann nennenswerte Resultate auf der Ebene der Wertschöpfung bewirken, wenn eine kritische Masse von Unternehmen bzw. Betrieben eines Branchenzusammenhangs erreicht worden ist. Das bedeutet möglicherweise lange Inkuba tionsphasen mit erheblichen Zeiträumen zwischen den notwendigen Investitionen in der Anfangsphase und den Outputs eines dynamischen, funktionsfähigen C lusters. Ob es am Ende zu einem dynamischen Cluster kommt, ist überdies mit hohen Unsicherheiten behaftet. Privaten Investoren fehlt unter diesen Voraussetzungen ein hinreichend starker Anreiz, sich für den Prozess der Clusterbildung in zureichendem Maße zu engagieren. Wenn die Clusterbildung für die Regionalentwicklung von Vorteil ist (und vieles spricht im Übergang zur w issensbasierten Ökonomie dafür), der Markt aber nicht von selbst in ausreichendem Maße Cluster entstehen lässt, ist der politische Wille, die Clusterung im eigenen „Geschäftsbereich“ anzuregen, legitim, wenn nicht geboten. Eine anspruchsvolle Aufgabe der Clusterforschung wäre es daher, der Politik die dafür notwendigen Instrumente und Eckdaten zur Verfügung zu stellen. Ein notwendiger Schwerpunkt wird dabei in der Förderung von Kooperationen und damit auf dem Netzwerk management liegen. Denn Cluster und insbesondere innovative Cluster zeichnen sich in maßgeblicher Weise durch intensive Kooperationsbeziehungen aus. Die dabei entstehenden Netzwerke fester und dichter zu k nüpfen, ist zu einer Kernaufgabe der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik geworden. 4. Netzwerkanalyse Wie kann eine solche Analyse des vorhandenen Clusterpotenzials aussehen? Obwohl die intensiven Verflechtungen zwischen den räumlich konzentrierten Betrieben überhaupt erst eine Ansammlung von Unternehmen qualitativ in ein Cluster „umschlagen“ lassen (s. o.), gelangen diese Kooperationsbeziehungen nur in den seltensten Fällen direkt in den Fokus von Clusterstudien. Es mag an dem nicht geringen Aufwand liegen, den fundierte Netzwerkanalysen erfordern, dass überwiegend nur indirekte Nachweise geführt werden, indem RegioPol eins 2008 98 von der Existenz des Einen auf das Vorhandensein des Anderen geschlossen wird oder gar Experteninterviews die gezielte Expertise ersetzen. Dabei steht der Verzicht auf originäre Netzwerkanalysen in keinem Verhältnis zu dem Stellenwert, den die regionalwissenschaftliche und -politische Debatte den formellen und informellen Netzwerkbeziehungen beimisst. Erst aus der Analyse von Umfang, Struktur und Intensität der regionalen Vernetzung lassen sich überhaupt tragfähige cluster politische Handlungsempfehlungen formulieren. Um fassende Netzwerkanalysen wurden zuletzt von der NORD/LB Regionalwirtschaft über die Wissensvernetzung in der Metropolregion Hannover-BraunschweigGöttingen (NORD/LB 2007) und über die Maritime W irtschaft in der Metropolregion Hamburg (NORD/LB et. al. 2008) erstellt. Aufgrund einer überdurchschnittlich hohen Rücklaufquote1 konnte jeweils ein sehr weitreichendes Bild der Vernetzung in den Regionen gezeichnet werden, das vielfältige Auswertungen und die Definition konkreter Handlungsansätze ermöglicht. Anhand dieser Studien lässt sich exemplarisch der Nutzen von Netzwerkanalysen für die Feststellung von Clusterpotenzialen darstellen. Die Netzwerkanalyse liefert vor allem Erkenntnisse hinsichtlich der Größe des Netzwerks, der Netzwerkdichte, der Kohäsion, der Netzwerk-Zentralisierung, des Verbindungsgrades zur regionalen Wirtschaft sowie des überregionalen Verbundenheitsgrades der Akteure in den einzelnen Kompetenz- bzw. Clusterfeldern (Krätke 2002b; Krätke/Scheuplein 2001). Ein zentrales Kriterium der Netzwerkanalyse ist die Netzwerkdichte. Sie gibt Auskunft über das Ausmaß bzw. die Intensität der Netzwerkbeziehungen. Eine hohe Vernetzungsdichte ist eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Innovationen und damit auch Grundlage für ein dynamisches, funktionsfähiges Cluster. Da die Auswertung sowohl auf der Mikro-, Meso- als auch der Makro-Ebene erfolgt, lassen sich neben den gesamten regionalen Vernetzungen auch branchenspezifische und sektorale Verflechtungen detailliert darstellen. Vor allem die überregionalen ooperationen sind ein wichtiger Hinweis, ob das re K gionale Cluster ausreichend in die internationalen Wissensströme eingebunden ist und längerfristig seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern vermag. Der Vorteil derartiger Netzwerkanalysen liegt nicht zuletzt darin, dass sie wie kein anderes analytisches Instrument die Qualität der tatsächlichen regionalen Beziehungsgeflechte abzubilden vermögen. Diese Qualität gilt dabei in der Cluster- und Regionalforschung als zentrale Entscheidungsgrundlage der Clusterpolitik. 5. Eckpunkte von Clusterpolitik Der Politik stehen also durchaus erfolgversprechende Instrumente zur Verfügung, um steuernd und initiierend in den Prozess der Clusterbildung einzugreifen. Grundsätzlich können jedoch keine „Patentrezepte“ für Clusterpolitik bereitgestellt werden. Welche Maßnahmen in den einzelnen Fällen zum Einsatz kommen, kann sich nur aus den Bedingungen vor Ort herleiten. Dennoch können einige notwendige Rahmenbedingungen und beispielhafte clusterpolitische „Werkzeuge“ benannt werden, deren Einsatz inzwischen dokumentiert wurde. Die politische Handlungsebene der Clusterpolitik ist die Region. Wie weit oder eng der clusterpolitische Raum abzugrenzen ist, kann jedoch nur im Rahmen einer Strategie der „variablen Geometrie“ entschieden werden. Clusterräume orientieren sich nicht an administrativen Grenzen, sondern ergeben sich aufgrund ihrer spezifischen Verflechtungsbeziehungen. Dabei kann grundsätzlich auf der Basis räumlicher Netzwerkanalysen auch geklärt werden, wie sich der Clusterraum definiert (NORD/LB 2002b, Krätke 2002a,b). Zentrale Erfolgsvoraussetzung für clusterpolitische Strategien ist vor allem, dass sich die regionalen Akteure mit den umsetzungsreifen Projekten identifizieren und diese aktiv mittragen. Dabei kommt es im Kern darauf an, dass die beteiligten Unternehmen die clusterpolitischen Projekte und die verantwortliche Umsetzungsorganisation unterstützen. Brenner/Fornahl Die Rücklaufquote betrug im ersten Fall bei den Wissenschaftseinrichtungen 81 Prozent und bei den Unternehmen 68,4 Prozent, im zweiten Fall 80 und 40 Prozent. 1 Wissensökonomie 99 Bei der Entwicklung clusterpolitischer Basisstrategien und der Konzeption von Projekten ist ein beteiligungsorientiertes Verfahren zu empfehlen! achen darauf aufmerksam, dass der frühzeitigen Mit m wirkung einzelner Unternehmerpersönlichkeiten oder Netzwerke hinsichtlich der „Initiierung und des Erfolgs von Koordinierungsprozessen in der Entstehungsphase eines Clusters“ eine tragende Rolle zukommt (Brenner/Fornahl o.J. S.15). Vor diesem Hintergrund ist insbesondere ein beteiligungsorientiertes Verfahren bei der Entwicklung der clusterpolitischen Basisstrategien und der Konzeption von Projekten zu empfehlen. Darüber hinaus sollte im Zuge der Clusterpolitik ein strategisches Controlling implementiert werden, das die eingeleiteten Maßnahmen in den identifizierten Fokusbranchen im Zeitablauf analysiert und fortlaufend prognostiziert (hannoverimpuls GmbH 2005), damit Fehlentwicklungen frühzeitig aufgedeckt und korrigiert werden können. Diese Vorgehensweise garantiert zwar noch keinen sicheren Erfolg von Clusterpolitik, kann allerdings ihre Erfolgswahrscheinlichkeit deutlich erhöhen. Nach Kiese sind für die Clusterpolitik in Deutschland vier räumlich-administrative Maßstabsebenen relevant. Dabei handelt es sich um die supranationale Ebene der EU, die Bundesebene, die Länderebene und die (inter-) kommunale Ebene (Kiese 2008, S. 40). Aufgrund des notwendigen regionalisierten Zuschnitts von Clusterpolitik sollte sich die Wirtschafts- und Strukturpolitik über geordneter Gebietskörperschaften darauf beschränken, die Rahmenbedingungen für entsprechende Gestaltungsansätze zu verbessern. Damit ist insbesondere die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die wirtschaftsnahe und Forschungsinfrastruktur gemeint, aber auch ein Ausbau der Bildungsinfrastruktur in den Regionen. Spezielle Fördermittel, die darauf abgestellt sind, die regionale Innovationsfähigkeit zu erhöhen, sollten primär in Wettbewerbsverfahren vergeben werden. In diesem Zusammenhang gibt es eine ganze Reihe von Förderinstrumenten, die im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) oder der EU-Strukturpolitik (EFRE, ESF) zur Verfügung gestellt werden und die für die Entwicklung und Umsetzung von Clusterstrategien genutzt werden können (Alecke/Untiedt 2005, S. 12 f.). Die Bundes- und Landespolitik sollte sich im Rahmen ihrer Regionalisierungsstrategie darauf konzentrieren, Anreize für die Herausbildung von überregionalen Kooperationen zu schaffen, Qualitätsstandards zu definieren und deren Einhaltung zu kontrollieren. Sie sollte aber darauf verzichten, genaue Verfahrensregeln vorzugeben, die sich vielfach aufgrund der spezifischen Bedingungen vor Ort als all zu enge Korsettstangen erweisen und das Zustandekommen von regionalen und überregionalen Kooperationen erschweren. Unter diesen Voraussetzungen kann Politik durch gezielte, auf die jeweils regionalspezifischen Potenziale und Probleme orientierte Strategien und Projekte die Herausbildung und Stabilisierung von Clustern befördern. An der mühevollen Strategie- und Projektentwicklung, die sich eng an die Bedingungen und Potenziale vor Ort auszurichten hat, kommt eine seriöse Clusterpolitik jedoch nicht herum. Folgende Ansatzpunkte für clusterpolitische Maßnahmen kommen grundsätzlich infrage: n n Optimierung der Standortbedingungen: Aufbau und Entwicklung von Bildungs-, Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen, um Angebotslücken im Kontext der jeweiligen Branchencluster zu schließen (Fritsch 2005, Schätzl 1999, 2003, S. 235, Deutsche Bank Research 2005); Erhöhung der Standortattrak tivität für (hoch)qualifizierte Fachkräfte (Florida 2002a, 2002b); Entwicklung eines innovations- bzw. kreativitätsfördernden Anregungspotenzials im Rahmen der Stadtentwicklung (Camagni 2000, Helbrecht 2004, 2005, Siebel/Ibert/Mayer 2001); Aktivitäten zur Stärkung des Clusterbewusstseins bzw. der -identität und Verbesserung des Standortimages im Rahmen eines professionellen Standortmarketings bzw. -managements (NORD/LB 2005b, Grabow/Henckel/ Hollbach-Grömig 1999); Bereitstellung von ergänzenden wirtschaftsnahen Infrastrukturen, die die Standortbedingungen der jeweiligen Clusterbranchen begünstigen (Enright 2003, Rehfeld 1999); Branchenspezifische Maßnahmen: Organisation von Branchendialogen und Branchenplattformen, um Informationsaustausch und informelle Kommunikation zwischen den regionalen Betrieben und Forschungs- 100 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie n n n einrichtungen zu begünstigen (Enright 2003); Ini tiierung von regionalen Leitprojekten, um Koopera tionen anzuregen und kollektive Lernprozesse zu ermöglichen (Rehfeld 1999); Herausarbeitung von Leitbildern bzw. einer Vision bezüglich des Entwicklungspotenzials des regionalen Clusters (Rehfeld 1999); Errichtung von zielgruppenspezifischen Gewerbe- bzw. Technologieparks (NORD/LB 2002a, 2003, 2005b; Hahn 2003); Stimulierung des Gründungsgeschehens: Ergänzung der Clusterstruktur bzw. der Wertschöpfungskette durch gezielte Unternehmensansiedlung sowie die Förderung von Ausgründungen (NORD/LB 2005b); Förderung von Unternehmensgründungen, um dazu beizutragen, dass ein Cluster auch längerfristig lebendig, innovativ und damit überlebensfähig bleibt (Sternberg/Kiese/Schätzl 2004); Ansiedlung und Förderung komplementärer unternehmensorientierter Dienstleistungen und die Initiierung von zielgruppenspezifischen Dienstleistungsinitiativen (NORD/LB 2005a); Hilfe bei der Finanzierung: Akquirierung von Fördergeldern, die speziell zur Finanzierung von Cluster aktivitäten dienen (Untiedt/Janson 2005; Eberstein/ Karl 2005); Einrichtung von regionalen Beteiligungsfonds zur Finanzierung von jungen High-Tech-Be trieben, die der Verjüngung des regionalen Clusterpotenzials dienen (Steinbeis Finance & Management Service GmbH 2004); Förderung überregionaler und internationaler Vernetzung, Wissens- und Netzwerkmanagement: Qua lifiziertes Netzwerkmanagement (Moderation, Media tion), um dazu beizutragen, Kommunikationsbarrieren zu überwinden und Konflikte im Prozess der Herausbildung von Kooperationen besser zu bewältigen (Enright 2003); Etablierung eines Clustermanagements (Kremer/Harmes-Liedke/Korflür 2000, S. 112 ff.); Förderung der interregionalen bzw. internationalen Vernetzung lokaler Cluster (z. B. durch die Ausrichtung überregional ausstrahlungsfähiger Fachkongresse), um Lernprozesse zu befördern und Lock-inEffekte zu vermeiden (Fritsch 2005; Sternberg 1998); Entwicklung eines regionalen Wissensmanagements, um die Wissensbestände vor Ort transparent zu machen und diese für Innovationsprozesse zu aktivieren (Brake 2004, Hamburg/Widmaier 2004); Die meisten der genannten Instrumente entstammen den traditionellen Maßnahmenkatalogen der Wirtschaftsförderungen, die allerdings zum Zwecke der C lusterbildung bzw. -verstärkung neu kombiniert und insbesondere systemisch zur Anwendung gelangen. Zu den neuen Aufgaben zählt dagegen vor allem das Netzwerkmanagement, das bedeutende Auswirkungen auf die künftige Wirtschafts- und Strukturpolitik haben dürfte. b Kunstobjekt, Museumsinsel Hombroich bei der Neuss, NRW (Detail) 101 6. Clustermanagement Nach Rehfeld bilden die beteiligten Unternehmen die Schlüsselakteure eines Clustermanagements, aber auch die Wirtschaftsförderungen müssen sich auf neue Funktionen einstellen. Hierzu zählt er die Impuls- und Initiierungsfunktion, Moderations- und Koordinierungsfunk tion, Kooperations- und Netzwerkfunktion, Transfer- und Brückenfunktion sowie Organisations- und Dienstleistungsfunktion (Rehfeld 2006, S. 169 f.). Nicht zuletzt wird die geografische Ausdehnung funktionierender Cluster die Arbeit der Wirtschaftsförderer verändern. Zunehmend werden sie selbst gezwungen sein, mit der Wirtschaftsförderung benachbarter Standorte Koope rationen einzugehen, wo bislang Konkurrenzdenken das Leitmotiv bestimmte. In vielen Fällen wird die Politik geneigt sein, sich dafür zu entscheiden, Aufgaben des Cluster-Managements auf intermediäre Institutionen zu übertragen und hierfür die notwendigen finanziellen Ressourcen, ggf. auch in Arrangements des Public-Private-Partnerships (PPP) bereitzustellen (Brandt/Jung 2004, Brandt/Jung/Bredemeier/Lange 2007). Intermediäre oder hybride Institu tionen (Standortmanagement-Agenturen, Kammern, Verbände etc.) können damit im Prozess der Clusterbildung eine zentrale Rolle einnehmen. PPP-Modelle bergen jedoch grundsätzlich das Risiko, dass es im Ver hältnis von öffentlichen Institutionen zu privaten Unternehmen zu erheblichen Informationsasymmetrien kommen kann (Schedler/Proeller 2003, S.221, Krebs 2004). Strategische Controllingsysteme sind vor diesem Hintergrund in besonderer Weise gefordert, um der Gefahr einseitiger Interessenswahrnehmung vorzubeugen. Wenn allerdings für eine Politik der Clusterbildung gesellschaftliche Ressourcen (z. B. Steuermittel) aufzubringen sind, bedarf es in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen der demokratischen Legitimation. Auch Institutionen des Standortmanagements, die als PPP angelegt sein können, kommen um ihrer dauerhaften Unterstützung (und Finanzierung) willen an dieser Ma xime nicht vorbei. 7. Fazit und Ausblick Es lässt sich mit Hilfe der ökonomischen Theorie (der externen Effekte und der öffentlichen Güter) zeigen, dass im Prozess der Clusterbildung Marktversagen vorliegt. Nicht in allen Regionen können Cluster trotz vorhandener Voraussetzungen ohne externe Geburtshilfe aus ihrer Latenzphase heraustreten. Hier bedarf es der aktiven politischen Gestaltung. Die „zufällige“ Entstehung von Clustern an einigen herausragenden Stand orten über einen Zeitraum von Jahrzehnten kann kein Gegenargument in Bezug auf politisches Handeln im Prozess der Clusterbildung sein. Im Kern handelt es sich bei Clusterpolitik um Netzwerkgestaltung. Die Analyse der vorhandenen Kooperationsbeziehungen und die Moderation und Förderung der regionalen Vernetzung 102 RegioPol eins 2008 werden zu zentralen Aufgaben der Wirtschafts- und Strukturpolitik. Mit der Netzwerkanalyse steht der C lusterpolitik dabei ein wirksames Instrument zur Ver fügung. Werden Funktionen wie das Clustermanagement auf intermediäre Institutionen übertragen, stellt sich für die Politik ein Legitimations- und Steuerungsproblem. Die demokratisch gebotene Transparenz von PPP-Modellen verweist in diesem Zusammenhang auf die Wirtschaftsforschung, die nicht zuletzt bei der notwendigen Eva luierung von Clusterinitiativen zurate gezogen werden sollte. Allerdings ist das empirische Fundament der Clusterforschung zurzeit noch wenig belastbar. Das liegt vor allem daran, dass die Diskussion über das Phänomen der Cluster und daran anknüpfende Strategien der Clusterpolitik noch relativ jung ist. Bislang liegen noch keine Langzeitstudien über die Wirksamkeit von Clusterkonzepten vor. Die Clusterpolitikforschung beschränkt sich meist auf die Darstellung von Best-practice-Beispielen und erfolgt über Fallstudien (Kiese 2008, S. 51f.). Auch Rehfeld sieht hier noch grundsätzlichen Forschungs bedarf: „Eine systematische Fundierung über die Bedeutung von Clustern für die Beschäftigtenentwicklung gegenüber breit diversifizierten Strukturen gibt es nicht“ (Rehfeld 2006, S. 145). Dabei sieht sich die empirische Forschung in der clusterpolitischen Praxis oft mit Hindernissen konfrontiert, die vor allem auf zweierlei Weise die Evaluierung von Clusteransätzen erschweren. Zum einen verbergen sich clusterpolitische Ansätze oft unter anderen Labels wie etwa „Kompetenznetzen“ (K iese 2008, S. 51) oder sind umgekehrt in vermeintlicher „Clusterpolitik“ gar nicht enthalten. Zum anderen erweisen sich Clusterinitiativen, deren Management als PPP organisiert wurde, oft als institutionelle Arkan bereiche, deren Erfolgsbilanzen mangels Transparenz keine (wissenschaftliche) Falsifizierung befürchten müssen. Hier stellt sich neben dem oben erwähnten demo krat ischen Legitimationsproblem auch das empirische Problem einer ungenügenden Datengrundlage. In den Fällen, in denen die Politik eine derartige Intransparenz toleriert oder gar fördert, entzieht sie sich selbst der Möglichkeit, ihre Voraussetzungen für effektive Clusterpolitik zu optimieren. Quellen Alecke, B.; Untiedt, G., 2005: Zur Förderung von Clustern – „Heilsbringer“ oder „Wolf im Schafspelz“? Münster: GEFRA. Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) 2006: Wie hell strahlen „Leuchttürme“? Anmerkungen zur Clusterpolitik in ländlichen Räumen. Positionspapier Nr. 66. Hannover Brake, K., 2004: Städte – Standorte (in) der Wissensgesellschaft. 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Frankfurt. 103 104 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 105 Burkart Lutz Ostdeutsche Lektionen: Kleinbetriebe in der Zeitfalle 1. Veränderungsdruck und Strategie wechsel als Überlebensproblem kleiner Unternehmen Kleine Unternehmen, also Unternehmen, deren Beschäftigtenzahl und/oder deren Umsatz deutlich unter dem Durchschnitt ihrer Branche liegen, leisten durch ihre F lexibilität, vielfach durch ihre Kundennähe und nicht selten auch durch beträchtliches Innovationspotenzial einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftskraft, zum Beschäftigungsniveau und zum Wohlstand moderner Gesellschaften. Es war deshalb auch nicht verwunderlich, dass in der neuen Wirtschaftsstruktur, die in Ostdeutschland nach der Zerschlagung der großen DDRKombinate und massivem Personalabbau entstand, Kleinunternehmen eine besonders wichtige Stellung innehaben. Dieses hohe Gewicht von Kleinunternehmen (einschließlich kleinerer selbstständiger Betriebsteile großer Unternehmen) erklärt sich nicht zuletzt aus ihrem besonderen Leistungspotenzial, insbesondere ihrer beträchtlichen Flexibilität und ihrer Fähigkeit zu kleinschrittigen Innovationen, die sich insbesondere aus der hohen Bedeutung von in Personen inkorporiertem Wissen ergibt. Allerdings gibt es einen Preis für das beträchtliche volkswirtschaftliche Gewicht von Kleinunternehmen. Dieser Preis liegt vor allem in ihrer Verletzlichkeit gegenüber einem schnellen Wandel wesentlicher Parameter ihres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes, die bisher als stabil betrachtet wurden und betrachtet werden durften. Viele Kleinunternehmen stehen gegenwärtig – z. B. wegen rascher, gegebenenfalls sprunghafter Entwicklungen der für sie wesentlichen Techniken, weil sie z wischen großen und starken Lieferanten und Kunden in eine „Machtsenke“ geraten sind oder weil neue, aggressive Konkurrenten aufgetreten sind – unter zunehmendem Veränderungsdruck, auf den die Unter nehmen bestenfalls nur unzureichend vorbereitet sind. Diese unzureichende Vorbereitung trifft in aller Regel umso mehr zu und ist umso schwerwiegender, je b Astronomische Uhr, Sankt-Marien-Kirche, Rostock (Detail) s chneller sich dieser Druck aufbaut und je abrupter der Wandel der Umfeldbedingungen ist. Der Fortbestand vieler Unternehmen und ihre Fähigkeit, ihre Stärken zu nutzen und weiter auszubauen, hängen deshalb nicht zuletzt davon ab, wie gut es ihnen gelingt, eine doppelte Aufgabe zu bewältigen: 1. unerwartet auftretenden Veränderungsdruck rechtzeitig wahrzunehmen und rechtzeitig (und dies heißt oftmals: mit ausreichend langem Vorlauf) auf ihn zu reagieren. 2. trotz knapper Zeit des Führungspersonals und knapper Ressourcen des Betriebes auf den Veränderungsdruck in einer Weise zu reagieren, die den Fortbestand wesentlicher Voraussetzungen und Grundlagen ihres Humankapitals, von der Nachwuchsrekrutierung und Nachwuchsausbildung bis zur Akquisition neuen Wissens, nicht gefährdet, sondern weiterentwickelt und stärkt. Im Hinblick auf diese doppelte Aufgabe ist es offen kundig besonders dringlich, kleine Unternehmen, vor allem solche, die in sehr innovativen Feldern oder unter sich sehr rasch verändernden Umfeldbedingungen tätig sind, bei der Übernahme bzw. der Konzeption und Implemen tation schneller und wirksamer Lösungen zu unterstützen. Dieser Aufsatz will mit Hilfe des in mehrfacher Hinsicht höchst lehrreichen Beispiels einer großen Zahl von ostdeutschen kleinen Unternehmen, denen hierbei eine ausgesprochene Vorreiterfunktion zufällt, zeigen, welcher Art eine sinnvolle und hilfreiche Unterstützung sein könnte bzw. sein sollte. Hierzu ist vor allem zu klären, welche Risiken für welche Betriebe sich aus schnellen und unerwarteten Veränderungen der Umfeldbedingungen ergeben können, welche Lösungswege sich anbieten und welche Voraussetzungen realisiert sein müssen, damit diese Wege mit guten Erfolgsaussichten beschritten werden können. Bei den Überlegungen zu diesen – ganz überwiegend noch weitgehend offenen – Fragen ist besonderes RegioPol eins 2008 106 ewicht auf die bisher wohl unbestritten hohe BedeuG tung zu legen, die gegenwärtig der Qualifikation der Fach- und Führungskräfte in der übergroßen Mehrheit dieser Betriebe zukommt. Die wichtigsten empirischen Belege, auf die sich der Aufsatz bezieht, stammen aus intensiven Analysen des „Beschäftigten-Panels“ der Bundesagentur für Arbeit und einer Befragung von rund 1.300 ausbildenden Betrieben in Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt im letzten Quartal 2006. Diese Arbeiten fanden statt mit Förderung durch die DFG (im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 580 der Universitäten Halle-Wittenberg und Jena) und mit Unterstützung durch das Land Sachsen-Anhalt und den europäischen Sozialfonds.1 2. Die ostdeutsche Ausgangslage: Ein starkes Ungleichgewicht im Beschäftigungssystem Die gegenwärtigen Strukturen und die sich abzeichnenden neuen Entwicklungen der ostdeutschen Wirtschaft sind in mehrfacher Hinsicht konditioniert durch das Zusammenwirken von starken demografischen Veränderungen und einem schwachen Wirtschaftswachstum. a) Die Ursachen: Sehr große Unterschiede im Zustrom zum und im Abstrom vom Arbeitsmarkt In dem Jahrzehnt zwischen der Mitte der 90er Jahre und der Gegenwart war der ostdeutsche Arbeitsmarkt vor allem geprägt durch das Zusammentreffen von zwei demografischen Tendenzen: 1. Die eine dieser beiden Tendenzen führte während eines guten Jahrzehnts zu einem sehr starken Zustrom von Nachwuchskräften in Ausbildung und Erwerbstätigkeit. Das Angebot an Nachwuchskräften war seit der Mitte der 90er Jahre und bis vor Kurzem vorrangig davon geprägt, dass (als Spätfolge einer aufwendigen Geburtenpolitik der DDR) Jahr für Jahr sehr starke Jahrgänge die allgemeinbildenden Schulen verließen und ganz überwiegend einen Ausbildungsplatz suchten. Die Zahl der jährlichen Schulabgänger lag im hier betrachteten Zeitraum zwischen rund 220.000 und 240.000 Jugendlichen und Jungerwachsenen, was zwischen vier Prozent und fünf Prozent des Gesamtbestandes an Erwerbstätigen entspricht. 2. Aus der anderen, gegenläufigen Tendenz resultierte gleichfalls während langer Zeit ein ausgesprochen schwacher Abstrom aus Erwerbstätigkeit in Rente. In der ostdeutschen Wirtschaft war und ist bis heute die Nachfrage nach Arbeitskräften und insbesondere nach Nachwuchskräften ausgesprochen gering. Die Ursachen hierfür lagen und liegen neben dem schwache Wirtschaftswachstum vor allem in zwei Tatsachen, die bewirkten, dass in der hier interessierenden Zeit nur eine geringe Zahl von älteren Beschäftigten aus Erwerbstätigkeit (und nicht aus länger dauernder Arbeitslosigkeit) in Rente übertrat und Arbeitsplätze räumte, die möglicherweise neu besetzt werden können: Dies waren zum einen die insgesamt schwache Besetzung der älteren Jahrgänge in Ostdeutschland, zum anderen die massiven Frühverrentungsprogramme der Jahre um 1990. Aus den verfügbaren statistischen Daten ergibt sich für diesen Abstrom aus Erwerbstätigkeit in Rente ein Schätzwert von jährlich rund 80.000 bis 90.000 Personen pro Jahr. 3. Die Wirkungen der beiden komplementären erwerbsdemografischen Entwicklungen wurden oftmals noch verstärkt durch die Effekte eines langjährig schwachen Wirtschaftswachstums, das kaum dazu ausreichte, die Produktivitätsgewinne auszugleichen, ge schweige denn, die Entstehung neuer A rbeitsplätze zu veranlassen. b) Die Folgen anhaltender Ungleichgewichte Das Zusammenwirken dieser Entwicklungen erzeugte während mindestens eines Jahrzehnts, von der Mitte der 90er Jahre bis zur Mitte des gegenwärtigen Jahrzehnts, ausgeprägte Ungleichgewichte – sowohl an den Arbeitsmärkten für Nachwuchskräfte und für qualifizierte Erwachsene wie im Beschäftigungssystem. Von besonderer Bedeutung für die hier vorgestellten Überlegungen ist offensichtlich, dass diese Ungleichgewichte nicht nur konjunktureller, vorübergehender und zeitlich begrenzter, sondern weithin struktureller Art waren und sind. Offenkundig konnten sich die meisten der über lebenden ostdeutschen Betriebe in diesem ungleich gewichtigen Zustand mehr oder minder gut einrichten: n n n n n Nachwuchs war nicht nur für alle Betriebe, die ausbilden wollten und konnten, überreichlich vorhanden. Das Verdienstniveau liegt bis heute weit unter den westdeutschen Vergleichswerten, so verdienen z. B. die Fachkräfte in der Metall- und Elektroindustrie nur zwei Drittel des westdeutschen Durchschnitts. Die erfahrenen, qualifizierten Beschäftigten waren (und sind vielfach noch heute) froh, einen Arbeitsplatz zu haben und zu behalten und stellen wenig Forderungen – abgesehen vom Erhalt der Arbeitsplätze. Die freiwillige, nicht durch Personalabbau oder Betriebsschließungen erzwungene Fluktuation war und ist immer noch sehr gering. Tarifverträge und tarifliche Regelungen sowie der betriebspolitische Einfluss von Betriebsräten spielten Detailliertere Informationen über die Ergebnisse der Befragung finden sich bei: Grünert, H; Lutz, B; Wiekert, I. (2007) Betriebliche Ausbildung und Arbeitsmarktlage – eine vergleichende Untersuchung in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Niedersachsen. Forschungsberichte aus dem zsh 07– 4. Halle. Internetseite:http:// www.zsh-online.de/pdf/o7 4FB.pdf 1 Wissensökonomie 107 Abbildung 1: Schulabgänger und 63-jährige Beschäftigte in Ostdeutschland 2001 bis 2020 (absolute Zahlen) 250.000 200.000 150.000 100.000 63-jährige 50.000 Beschäftigte Schulabsolventen 2020 2019 2018 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 0 Quelle: Schulabgänger; Prognose der Kultusministerkonferenz 2007; sozialversicherungspflichtig Beschäftigte: hochgerechnet aus dem Beschäftigtenpanel der Bundesagentur für Arbeit; neue Bundesländer; absolute Zahlen und spielen vor allem in der großen Zahl von kleinen Betrieben kaum eine Rolle. Deshalb prägten und prägen die Folgen dieser ngleichgewichte bis heute auch die Strukturen der U meisten industriellen Betriebe. Hierbei waren vor allem zwei Wirkungsmechanismen wesentlich: Zum einen waren und sind diese Folgen offenbar für nicht wenige ostdeutsche Betriebe eine wichtige, nicht selten sogar essenzielle Voraussetzung ihres Über lebens. Dies gilt vor allem für Verdienste und Arbeits zeiten. Zum anderen haben sich diese Rahmenbedingungen in vielfältiger Weise in den innerbetrieblichen Verhältnissen niedergeschlagen – von den Formen der Arbeitsorganisation über die Personalstrukturen bis zu den naheliegenden betrieblichen Reaktionsweisen auf unvorhergesehene Ereignisse und Handlungszwänge. 3. Der aktuelle rasche Umschlag in den Knappheitsverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt Diese Bedingungskonstellation, die aus offenkundigen Gründen mit ausgeprägten Vorteilen für die Arbeitgeber verbunden war, geht nunmehr sehr rasch zu Ende. egenwärtig bahnt sich ein schneller, in mancher HinG sicht nachgerade dramatischer Umschlag in den Nachfrage-Angebots-Relationen, insbesondere für indus trielle Fach- und Führungskräfte an. Auch in der Verursachung dieses Umbruchs kombinieren sich rasche und starke Veränderungen im Angebot von und in der Nachfrage nach industriellen Fachkräften, die diesmal jedoch eindeutig zu Gunsten der Arbeitnehmer und zu Ungunsten der Arbeitgeber wirken. a) Tief greifende Veränderungen im Angebot … Auf der Angebotsseite setzte, nachdem während eines guten Jahrzehnts sehr starke Jahrgänge die ostdeutschen Schulen verlassen hatten, vor Kurzem ein massiver Rückgang der Zahl der Schulabgänger ein. Dieser Rückgang wird in den nächsten Jahren mit fast 15 Prozent pro Jahr seinen Höhepunkt erreichen. Im Jahre 2011 werden in allen neuen Bundesländern nicht einmal halb so viele junge Männer und Frauen wie in den vergangenen Jahren die allgemeinbildenden Schulen verlassen (Kultusministerkonferenz, 2007). Betrachtet man die in- und ausländischen Erfahrungen zur Reaktion von Eltern, Schülern und Lehrern auf schnellen Rückgang der Jahrgangsstärke, so liegt die Erwartung sehr nahe, dass mit abnehmender Schüler- RegioPol eins 2008 108 Tabelle 1: Rolle der Fachkräfte im Betrieb (2006; drei Bundesländer; Zeilenprozent) Qualität der Fachkräfte für den betrieblichen Erfolg nicht entscheidend entscheidend insgesamt Ausbildungsbetriebe mit … Beschäftigten 19 und weniger 20 bis 99 100 und mehr Gesamt 13,4 15,5 18,3 14,1 86,6 84,5 81,7 85,9 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006 zahl auch die Neigungen und die Möglichkeiten deutlich wachsen, länger im Bildungssystem zu verweilen und einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben. Ein Gymnasium zu besuchen und zu studieren, was zumindest vorübergehend zu einem noch stärkeren Rückgang der Zahl der Schulabgänger und der Bewerber für einen Ausbildungsplatz führen würde. b) … und wachsende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften Zugleich erhöht sich schon jetzt aus zwei Gründen die Nachfrage nach – gut qualifizierten – Nachwuchskräften: n n Der konjunkturelle Aufschwung seit 2006 führte und führt zur Entstehung neuer Arbeitsplätze, deren A nforderungen ganz überwiegend auf qualifizierte Fach- und Führungskräfte abgestellt sind. Nunmehr erreichen zunehmend stärkere Alters kohorten das Rentenalter und räumen Arbeitsplätze (wieder ganz überwiegend mit erheblichen Qualifikationsanforderungen), die überwiegend neu besetzt werden müssen. c) Ein grundlegend neues Ungleichgewicht Das Zusammenwirken der Veränderungen auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite wird in den nächsten Jahren im Beschäftigungssystem zur Herausbildung eines grundlegend anderen Ungleichgewichts führen. Um dies zu veranschaulichen, sind diese Veränderungen anhand von zwei Kennziffern (Zahl der Abgänger aus allgemeinbildenden Schulen und Anzahl der Erwerbs tätigen, die im betrachteten Jahr 63 Jahre alt werden) in einem Schaubild für zwei Jahrzehnte in absoluten Zahlen dargestellt. Das Schaubild Abb. 1 zeigt, dass der Umschlag im Verhältnis von Angebot und Nachfrage qualifizierter rbeitskräfte bereits jetzt, wenngleich zunächst noch A relativ langsam, eingesetzt hat. Dies zeigt sich vor allem dann sehr klar, wenn man berücksichtigt, dass die Heranbildung (Ausbildung und Sammlung erster Berufserfahrungen) einer vollwertigen Fachkraft mindestens drei, bei anspruchsvolleren Berufen vier bis fünf Jahre dauert. Mit dem gegenwärtigen Rückgang der Schulabgängerzahlen ist deshalb eine massive Verknappung von Fachkräften in vier bis fünf Jahren vorprogrammiert. Die Fachkräftelücke wird deshalb keine vorübergehende Erscheinung bleiben. d) Wie sollen und können die Betriebe auf die neue Lage reagieren? Alles spricht dafür, dass die Differenz zwischen der Nachfrage nach und dem Angebot an Fachkräften in den kommenden Jahren immer größer werden und während längerer Zeit anhalten wird, sofern die ostdeutsche W irtschaft nicht in großen Teilen völlig zusammenbricht. Dies wird sehr viele Betriebe dazu zwingen, wenn sie überleben wollen, ihre Politik und Praxis der Anwerbung und Rekrutierung von – passfähig qualifizierten – A rbeitskräften, ihre Weiterbildung, aber auch nennenswerte Teile ihrer Arbeits- und Betriebsorganisation stark zu verändern. Sie müssen dies vielleicht tun, ohne auf eigene Erfahrungen oder auf anderswo bewährte Vor bilder zurückgreifen zu können. Schon heute besteht deshalb für einen großen und rasch wachsenden Teil der ostdeutschen Wirtschaft akuter Handlungsbedarf, der in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. n n Wie werden und können die Betriebe hierauf reagieren? Werden sie diese nachgerade dramatische Verän derung der Knappheitsverhältnisse am Ausbildungsstellenmarkt und (um einige Jahre zeitversetzt) am Arbeitsmarkt für Nachwuchskräfte noch so rechtzeitig wahrnehmen, dass sie wirksam reagieren können? Wissensökonomie 109 Tabelle 2: Rolle der Fachkräfte im Betrieb – Zeitvergleich 2001 bis 2006 (Sachsen-Anhalt; nach Betriebsgröße; Prozent) Qualität der Fachkräfte ist für den Betrieb Ausbildungsbetriebe mit … Beschäftigten 19 und weniger 20 bis 99 100 und mehr Gesamt Entscheidend 2001 2006 85,7 88,7 87,1 80,0 85,8 90,0 86,0 86,7 Nicht entscheidend 2001 2006 14,3 11,3 12,9 20,0 14,2 10,0 14,0 13,3 Quelle: zsh-Betriebsbefragung 2001 und zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006 n n n Welche Aufgaben werden sie hierbei zu lösen haben? Gibt es Erfahrungswerte und Vorbilder, die man an die neuen Bedingungen anpassen und auf sie übertragen könnte? Welche Rolle werden hierbei bestehende oder neu ins Leben gerufene Formen der Kooperation von Be trieben, Verbünden, Cluster oder Poolkonstruktionen spielen? Will man Fragen dieser Art beantworten, so stößt man allerdings sehr schnell auf wesentliche Sachverhalte, die nicht schnell verändert werden können und sehr eng mit der aktuellen Struktur großer Teile der ostdeutschen Wirtschaft verbunden sind. 4. Betriebliche Strukturmerkmale als Ressourcen und Ursache hoher Verletzlichkeit Zwei betriebliche Strukturmerkmale sind im Hinblick darauf von besonderer Wichtigkeit, wie Betriebe auf die sehr rasche, in mancher Hinsicht ausgesprochen abrupte Veränderung der Knappheitsverhältnisse auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt reagieren sollen und reagieren können. Es sind dies: (a) der hohe Wert von beruf licher Qualifikation und Berufausbildung und (b) die Dominanz von kleinen Betrieben. Diese Sachverhalte bezeichnen einerseits zentrale Ressourcen der Betriebe, die es zu bewahren und auszubauen gilt. Sie verursachen andererseits in einer Situation schnellen Umschlags der Ungleichgewichte im Beschäftigungssystem mit hoher Wahrscheinlichkeit gravierende Schwächen und eine entsprechend hohe Verletzlichkeit sehr vieler ostdeutscher Betriebe. Beide Sachverhalte begründen im Zusammenwirken die „Zeitfalle“, in die viele ostdeutsche Betriebe zu ge raten Gefahr laufen. Sie sind sehr knapp zu erläutern. a) Der hohe Wert von beruflicher Qualifikation und Berufausbildung In der großen Zahl von (ganz überwiegend ausbildenden) ostdeutschen Betrieben verschiedener Größenklassen und Branchen, die vom Zentrum für Sozialforschung Halle (zsh) im vierten Quartal 2006 befragt wurden, findet sich nur eine kleine Gruppe von 13 Prozent, die nicht der Aussage zustimmten, „die Qualität unserer Fachkräfte ist entscheidend für den Erfolg unseres Betriebes“. Der größere Teil dieser kleinen Gruppe optiert für die alternative Aus sage: „Die Qualität unserer Fachkräfte ist wichtig, aber wir haben auch andere Stärken.“ In der hohen Einschätzung der strategischen Bedeutung der Qualifikation ihrer Fachkräfte sind sich die meisten Betriebe einig. So gibt es z. B. kaum Differenzen zwischen den in der Erhebung erfassten drei Bundesländern (Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-A nhalt). Auch zwischen den Wirtschaftsbereichen differieren die Aussagen erstaunlich wenig. Nennenswerte Unterschiede bestehen vor allem, wie in Tabelle 1 ersichtlich, zwischen den Betriebsgrößenklassen. Kleine Betriebe mit bis zu 19 Beschäftigten bezeichnen (mit 87 Prozent) die Qualität ihrer Fachkräfte etwas häufiger, größere Betriebe mit 100 und mehr Beschäftigten (82 Prozent) etwas seltener als entscheidenden Erfolgsfaktor. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Interviewpartner bei einer Befragung über betriebliche Berufsausbildung für das Thema Facharbeit besonders sensi bilisiert sein mögen, ist der Befund eindeutig. Auch im Zeitverlauf ist diese Einstellung der Betriebe, wie Tabelle 2 zeigt, sehr stabil. Die gleiche Frage nach der Bedeutung der Fachkräfte für den Betrieb wurde in Sachsen-Anhalt bereits im Jahre 2001 einer vergleich baren und vergleichbar großen Stichprobe gestellt. Damals nannten 85 Prozent der Ausbildungsbetriebe die Qualität ihrer Fachkräfte als entscheidenden Erfolgs faktor. Weitere 12 Prozent bezeichneten sie als eine Stärke neben anderen. RegioPol eins 2008 110 Tabelle 3: Welchen Hauptweg verfolgt Ihr Betrieb bei der Einstellung von Fachkräften? (2006; drei Bundesländer; Zeilenprozent) Hauptweg der Einstellung von Fachkräften vom Arbeitsmarkt passgenauer mit interner eigene Ausbildung Qualifikation vom Weiterbildung Arbeitsmarkt Insgesamt Ausbildungsbetriebe mit … Beschäftigten 19 und weniger 20 bis 99 100 und mehr Gesamt 13,8 17,8 13,6 14,7 53,6 50,2 56,6 53,1 32,5 32,0 29,8 32,2 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006 Zwischen 2001 und 2006 ist die Häufigkeit der Zustimmung zu der These, dass die Qualität der Fachkräfte für den Erfolg des Betriebes entscheidend sei, nochmals leicht gestiegen, wobei der Anstieg vor allem bei den sehr kleinen Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten und bei den größeren Betrieben mit 100 und mehr Beschäftigten erfolgte. Im Jahre 2001 wurde, zusätzlich zu ausbildenden Betrieben, auch eine größere Stichprobe von nicht ausbildenden Betrieben zur Rolle der Fachkräfte für den Erfolg des Betriebes befragt. Auch diese Betriebe zeigen ein sehr ähnliches Bild: 78 Prozent der Betriebe optierten für die Aussage, dass die Qualität ihrer Fachkräfte entscheidend für den Erfolg des Betriebes sei. 17 Prozent entschieden sich für „eine Stärke neben anderen“. Angesichts dieser allgemein hohen Wertschätzung von Facharbeit liegt die Frage nahe, wie die Betriebe die für ihren Erfolg offenkundig so wichtigen Fachkräfte gewinnen. In der Befragung 2006 wurden die Betriebe gebeten, unter drei möglichen Rekrutierungswegen den für ihn „hauptsächlichen“ zu nennen. Die drei Alterna tiven waren: Die Rekrutierung von Fachkräften aus einem breiten beruflichen Spektrum vom Arbeitsmarkt mit anschließender interner Weiterbildung, die eigene Ausbildung oder die Rekrutierung von Fachkräften mit möglichst passgenauer Qualifikation vom Arbeitsmarkt. Die Tabelle 3 lässt eine eindeutige Präferenz der ausbildenden Betriebe erkennen, bei der Rekrutierung ihres Fachkräftenachwuchses auf selbst ausgebildete Kräfte zu setzen. Mehr als die Hälfte aller ausbildenden Betriebe (53 Prozent) betrachtet die eigene Ausbildung als Hauptweg zur Einstellung von Fachkräften, nur 15 Prozent stellen vorwiegend Fachkräfte vom Arbeitsmarkt ein, die sie dann intern für ihre Tätigkeit qualifiz ieren. b) Ausgeprägt kleinbetriebliche Strukturen Das zweite betriebliche Strukturmerkmal, das im Umschlag der Knappheitsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und im Beschäftigungssystem von hoher Wichtigkeit werden kann, besteht in der ausgesprochen kleinbetrieblichen Struktur sehr großer Teile der ostdeutschen Wirtschaft. Im Hinblick auf mögliche Verzerrungen durch die sehr unterschiedlichen Betriebsgrößen der Wirtschaftsbereiche sei dies in Tabelle 4 am Beispiel eines wichtigen Wirtschaftsbereichs, der Metall- und Elektroindustrie, demonstriert, wobei sehr starke Unterschiede sichtbar werden. Im Jahre 2006 waren in den neuen Bundesländern 69 Prozent aller Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in kleineren und kleinen Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten tätig und nur 17 Prozent in größeren Betrieben mit 500 und mehr Beschäftigten. Hingegen lagen in den alten Bundesländern die Anteile der kleineren und kleinen Betriebe und der großen Betriebe mit knapp 43 Prozent und gut 41 Prozent praktisch gleichauf. Mehr als zwei Drittel aller Beschäftigten der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie sind in Betrieben tätig, die im allgemeinen Verständnis als „klein“ oder zumindest als „kleiner“ zu bezeichnen sind, wobei das Schwergewicht eindeutig auf Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten liegt. Für Betriebe in dieser Größe ist nun ganz überwiegend charakteristisch, n n n dass sie über kein professionelles Personalmanagement verfügen, dass längerfristige Entwicklungen im sozialen Umfeld des Betriebes, im Bildungssystem und im Beschäftigungssystem erst dann wahrgenommen werden, wenn es hierfür konkrete Veranlassung (z. B. akuter Einstellungsbedarf) gibt, dass Personalpolitik vor allem eine Sache ist, die von Wissensökonomie 111 Tabelle 4: Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie nach Betriebsgröße (Spaltenprozent) Anteil der Beschäftigten in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten 50 bis 199 Beschäftigten 200 bis 499 Beschäftigten 500 und mehr Beschäftigten Insgesamt Alte Länder Neue Länder 22,6% 20,2% 16,1% 41,1% 100,0% 40,6% 28,3% 14,3% 16,8% 100,0% Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, eigene Berechnungen n n den – wenigen – Vorgesetzten neben ihrer eigent lichen technischen oder wirtschaftlichen Verantwortung betrieben wird, dass personalwirtschaftliche Überlegungen und Planungen, wenn überhaupt, nur mit sehr kurzen Zeithorizonten angestellt werden und dass personelle Entscheidungen sehr häufig ad hoc und an Hand von Erfahrungssätzen getroffen werden. Vor allem im Zusammenwirken mit der hohen Bedeutung von Berufsqualifikation und Berufsausbildung ergibt sich aus diesem sehr traditionsreichen Verhaltensmuster sehr vieler kleiner Betriebe in einer Situation rascher und starker Veränderungen wichtiger Rahmenbedingungen ein sehr hohes Risiko. 5. Die „Zeitfalle“ als Risiko sehr vieler kleiner Betriebe Mit den unter 3. dargestellten, tief greifenden und raschen Veränderungen im Angebot von und in der Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften und insbesondere mit dem Umschlag in den Ungleichgewichten am Arbeitsmarkt, die nun nicht mehr, wie bisher, zu L asten der Arbeitnehmer, sondern zu Lasten der Beschäftigen wirken, verbinden sich ohne Zweifel weitreichende Herausforderungen für die Betriebe. Das Risiko sehr vieler kleiner Betriebe, in dieser für sie hochgradig neuartigen Situation in eine Zeitfalle zu geraten, ist umso größer, je ausgeprägter die beiden eben skizzierten betrieblichen Strukturmerkmale sind. a) Qualifikationsniveau und der Zeitbedarf erfolgversprechender Lösungen Die hohe Bedeutung von Berufsqualifikation und Berufsausbildung hat zur Folge, dass erfolgversprechende Reaktionen der Betriebe auf grundlegende Veränderungen in den Angebots-Nachfrage-Beziehungen spezifisch qualifizierter Arbeitskräfte nur in mittel- bis langfristiger Perspektive möglich sind. Geht man von einer „Produktionszeit“ von Fachkräften aus, die sich aus der Ausbildungsdauer und dem Erwerb erster Erfahrungen in der beruflichen Praxis zusammensetzt und mindestens bei vier bis fünf Jahren liegt, so müssen Betriebe bevorstehende schwerwiegende Veränderungen im Angebot an Fachkräften, insbesondere deren dauerhafte Verknappung, mit einem mindestens gleich langen Vorlauf wahrnehmen. Nur dann haben sie genügend Zeit und damit eine ernsthafte Chance, sich auf die neue Lage vorzubereiten und auf neue Lösungspfade einstellen. Es ist evident, dass der notwendige Vorlauf min destens proportional mit der Höhe der benötigten Qualifikationen wächst. b) Die zeitliche und sachliche Beschränkung von Wahrnehmung und Handeln von Kleinbetrieben Unter diesen Bedingungen sind betriebliche Planungshorizonte und Handlungsperspektiven einer Größen ordnung unumgänglich, die gegenwärtig selbst in großen, als „gut geführt“ geltenden Unternehmen nicht selbstverständlich sind, zumindest im Hinblick auf personalwirtschaftliche und personalpolitische Sachverhalte. Zeitperspektiven, die dem zu erwartenden Bedarf an frühzeitiger Wahrnehmung der Herausforderungen und an ausreichendem Vorlauf zielgerichteten Handelns angemessen wären, sind sicherlich in kleineren und kleinen Betrieben allenfalls in ausgesprochenen Ausnahmefällen anzutreffen. Um zu zeigen, was dies bedeutet, bietet sich nochmals ein Rückgriff auf Ergebnisse der bereits mehrfach zitierten Befragung ausbildender Betriebe im vierten Quartal 2006 an. In dieser Befragung, die zu einem Zeitpunkt stattfand, zu dem bereits ein nachdrücklicher Rückgang der Zahl der Schulabgänger festzustellen war, wurden die Betriebe gefragt, wie sie die zukünftige 112 RegioPol eins 2008 Tabelle 5: Bisherige und erwartete Entwicklung der Bewerberzahlen (2006; Tabellenprozent) Die Bewerberzahl … ist nicht gesunken … ist gesunken Insgesamt … wird nicht sinken … wird sinken Gesamt 49% 23% 72% 5% 23% 28% 54% 46% 100% Quelle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006 ntwicklung auf dem Markt für Ausbildungsplatzbe E werber einschätzen und ob sie damit rechnen, dass Bewerber um Ausbildungsplätze knapper werden. Angesichts der sehr klaren Zahlen der Schulstatistik und der zum Zeitpunkt der Befragung bereits sehr lebhaften öffentlichen Diskussion über die Konsequenzen des demografischen Wandels war an sich eine eindeutig mehrheitliche Bejahung der Frage zu erwarten, ob die Zahl der Lehrstellenbewerber abnehmen werde. Die Antworten widersprechen dieser Erwartung ganz offenkundig. c) Kleinbetriebe lernen nur durch eigene Erfahrung Eine deutliche Mehrheit von rund 55 Prozent der befragten Betriebe war – entgegen der an sich hoch plausiblen Erwartung – der Meinung, dass nicht mit sinkender Bewerberzahl zu rechnen sei. Wie ist zu erklären, dass Veränderungen, die offenkundig von sehr großer Bedeutung für sie sind oder werden können, von vielen Betriebe auch dann (noch) nicht wahrgenommen werden, wenn sie offensichtlich sind? Die Befragungsergebnisse legen, wie Tabelle 5 zeigt, eine eindeutige Antwort auf diese Frage nahe: Es besteht offenkundig ein sehr deutlicher und enger Zusammenhang zwischen der Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der Bewerberzahlen auf der einen Seite und den eigenen aktuellen Erfahrungen der Betriebe mit t atsächlichem Rückgang der Zahl der Lehrstellenbe werber auf der anderen Seite. In der Tabelle 5 sind vor allem zwei Gruppen von Betrieben hervorzuheben: Zur ersten Gruppe, die knapp ein Viertel aller befragten Betriebe stellt, gehört die große Mehrheit der Betriebe, die bereits Erfahrungen mit rückläufigen Bewerberzahlen gemacht haben. Diese Betriebe rechnen – realistisch – damit, dass diese Entwicklung anhält oder sich noch verstärkt. Viele von ihnen haben ver mutlich noch die Chance, sich rechtzeitig auf die neuen Verhältnisse einzustellen. Ganz anders ist die Lage bei der größten Gruppe, der knapp die Hälfte der befragten Betriebe angehört. Diese Betriebe haben bisher keine Erfahrungen mit sinkenden Bewerberzahlen gemacht. Sie rechnen auch in Zukunft nicht mit einem Rückgang der Bewerberzahlen, wobei sie häufig darauf verweisen, dass sie als Ausbildungs betrieb attraktiv seien oder in besonders attraktiven Berufen ausbilden würden. Die Betriebe dieser Gruppe wurden (noch) nicht von den Auswirkungen der massiven Veränderungen in der Nachfrage nach Fachkräften und vor allem im Angebot an Fachkräften betroffen. Sie hatten noch keine Gelegenheit zu lernen und sind überzeugt, auch in Zukunft mit den bis jetzt bewährten Verhaltensmustern gut zurechtzukommen. Für sie stellen die neuen, sich gegenwärtig herausbildenden Ungleichgewichte auf den Märkten für Lehrstellenbewerber und für Nachwuchskräfte mit den jeweils für den Betrieb wesent lichen Qualifikat ionen ein sehr hohes, oftmals über lebensgefährdendes Risiko dar. Diese Betriebe sind, so kann man ohne große Übertreibung formulieren, auf dem Weg in die Zeitfalle und werden dies mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erst feststellen, wenn es zu spät ist, erfolgreich gegenzusteuern. d) Ein vorläufiges Fazit In einer Zeit tief greifender und schneller Veränderungen in Angebot von und Nachfrage nach qualifizierten Fachund Führungskräften zeigt sich ein struktureller Widerspruch zwischen: n n den langfristigen Perspektiven des Planens und des Handelns, die unverzichtbar sind, um die qualifikatorischen Ressourcen der meisten Betriebe zu erhalten und zu entwickeln auf der einen Seite und den für kleine Betriebe charakteristischen Formen und Verfahren der schnellen Wahrnehmung von Gelegenheiten, der flexiblen Anpassung an neue Bedingungen und eines vorwiegend personen- und nicht regelbezogenenen Führungsstils auf der anderen Seite. Dieser Widerspruch verschärft sich in dem Maße, in dem das Tempo des Wandels sich beschleunigt. Ihn aufzulösen, einen gangbaren Mittelweg zwischen den Wissensökonomie widerstreitenden Anforderungen zu finden, ist eine Aufgabe, mit der man die am meisten betroffenen kleinen Betriebe nicht allein lassen kann. Die eben – verkürzt und vereinfachend – dargestellten Befunde legen vielmehr die Vermutung nahe, dass es in den kommenden Jahren zu einer zentralen Aufgabe der Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik werden wird, kleinen Betrieben in wirtschaftlich eher schwachen Regionen und in einer Konstellation sehr schneller Veränderung wesentlicher Parameter dabei zu helfen, Auswege aus der Zeitfalle zu finden und zu beschreiten. Hierbei wird es insbesondere darum gehen, den dramatischen zeitlichen Rückstand, in den diese Betriebe vielfach bereits geraten sind, Schritt für Schritt zu überwinden, ohne ihre wesentliche Ressource, das Qualifikationspotenzial ihrer Fach- und Führungskräfte zu opfern. Nur wenn dies wenigstens in ernst zu nehmenden A nsätzen und Teilschritten gelingt, wird es für beträchtliche Teile der ostdeutschen Wirtschaft eine Zukunft geben. Die Lösung der damit bezeichneten Aufgaben wird ohne Zweifel mutige Innovationen verschiedener Art erfordern, die nur mit öffentlicher Förderung und in enger Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis möglich sind. 113 114 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 115 Michael Kiesewetter, Torsten Windels Banking in der Wissensgesellschaft 1. Spuren der Wissensgesellschaft Die Wissensgesellschaft als Modell von Wirtschaft und Gesellschaft begegnet uns alltäglich in Form sogenannter stilisierter Fakten. In Rostock werden unter dem Leitgedanken „Wissen schafft Wirtschaft“ (vgl. Universität Rostock 2008) Existenzgründertreffen in Kooperation mit der Universität veranstaltet, die den Aufbau von Kontakten zwischen Studierenden und Absolventen mit der Wirtschaft fördern sollen. Die Region Südniedersachsen hat die Devise ausgegeben: „Für Deutschland als Hochlohnland ist Wissen der entscheidende Erfolgsfaktor. Bei den hohen Arbeitskosten müssen wir die besseren Produkte haben: Also muss in der Regel auch mehr Wissen drinstecken. Sonst sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig.“ (von der Oelnitz 2008, S. 14). Nicht zuletzt erachtet das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landes Niedersachsen „Wissen“ als den dritten starken Produktionsfaktor neben den klassischen Produktivkräften Arbeit und Kapital (vgl. Niedersächsisches Ministe rium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 2007, S. 7). In der Wissensgesellschaft ist auch die Kreditwirtschaft bestrebt, den Anteil von Wissen an ihren Produkten und Dienstleistungen zu erhöhen und seinen Einsatz in ihren Arbeits- und Entwicklungsprozessen zu opti mieren. Zudem müssen innovative Lösungen für eine sich verändernde Nachfrage angeboten werden. Die Herausforderungen der wissensbasierten Ökonomie an das Banking gründen nicht zuletzt in seiner spezifischen Funktion für die Volkswirtschaft. 2. Was ist Banking?1 Die klassische, volkswirtschaftliche Funktion von Banken und Sparkassen ist die Vermittlung von Geld-(Kapital-) besitzern und (solventen) Geld-(Kapital-)suchern. Dabei werden z. B. kleine, kurzfristige Anlagebeträge in große und langfristige Kredite umgewandelt. Diese Fristentransformation läuft durch die Bankbilanz. Daneben können auch Partner des Geld- oder Kapitalmarkts unmittelbar Geld bzw. Kapital tauschen (gegen Schuld verschreibungen, Aktien oder Mischformen). Diese F inanzdienstleistungsgeschäfte liefern der Bank Pro visionserträge für Vermittlung und Beratung. Stark gewachsen sind derivative Geschäfte, die zur Absicherung von Risiken (Marktpreisrisiken, Adressrisiken) dienen, aber natürlich auch Spekulationsgeschäfte motivieren, die den Banken ebenfalls Provisionserträge liefern. Diese Entwicklung des sogenannten Investment Bankings hat die Bankenlandschaft in den letzten Jahren stark geprägt. 3. Neue Arbeitsteilung im Bankgeschäft „Banking is necessary, Banks are not“ befand MicrosoftGründer Bill Gates. Gates bezieht dies vereinfacht auf standardisierte (online-) Bankgeschäfte (Zahlungsverkehr, einfaches Sparen, beratungsloser Börsenhandel und beratungslose Kreditprodukte). Damit entfällt der Bedarf an Bank-Niederlassungen und an Bankberatern, die face-to-face mit dem Kunden die „Bankgeschäfte“ abwickeln. Zwar ist rechtlich nach wie vor eine Bank lizenz erforderlich, aber die neue Struktur bringt neue Wettbewerber auf den Markt, die das Standardbank geschäft erheblich unter Druck gesetzt haben. Dieser Wandel lässt sich anhand einiger Fakten illustrieren: n 36 Prozent der Bürger in Deutschland nutzten im A pril 2008 Online-Banking, im Jahr 2000 waren es erst 11 Prozent (vgl. Bankenverband 2007) Zu Wissensgesellschaft: z. B. Georg Simonis, Paradoxien der Wissensgesellschaft, in: Mensch & Computer 2006, München 2006, S. 37 f.; zu Wissensmanagement: z. B. Franz Lehner, Wissensmanagement, 2. Auflage, München/Wien 2008, S. 43 ff.; zu Wissensökonomie: z. B. Hans Joachim Kujath, Wissensgesellschaft und wissensbasierte Ökonomie? Was ist das – was ist neu?, Tagung ‚Wirtschaftsförderung in der Wissensgesellschaft‘ 26./27.10.2006 https://www.nordlb.de/ fileadmin/Sparkassen/pdf/Veranstaltungen/Tagung_Loccum_Kujath.pdf 1 b Ausstellungsobjekt auf der Schweizer EXPO 2003 (Detail) RegioPol eins 2008 116 Tabelle 1: Definition der Geschäftsarten Bankgeschäfte2 Finanzdienstleistungen3 Einlagengeschäft Pfandbriefgeschäft Kreditgeschäft Diskontgeschäft Finanzkommissionsgeschäft Depotgeschäft Garantiegeschäft Girogeschäft Emissionsgeschäft E-Geld-Geschäft Anlagevermittlung Anlageberatung Betrieb eines multilateralen Handelssystems Platzierungsgeschäft Abschlussvermittlung Finanzportfolioverwaltung Eigenhandel Drittstaateneinlagenvermittlung Finanztransfergeschäft Sortengeschäft Kreditkartengeschäft n n n n n Auto-Banken werden Privatkundenbanken Auslandsbanken eröffnen Online-Niederlassungen Direct-Broker erweitern ihre Geschäfte zu Direkt banken und sind heute häufig Töchter von großen „Normalbanken“ PayPal (der ebay-Bezahldienst) erwirbt eine deutsche Banklizenz, um weitere Geschäftsfelder aufzubauen IBAN (International Banking Account Number) und SEPA (Single European Payment Area, Liberalisierung in der EU) senken die grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrskosten für die Bankkunden. Der Prozess der Arbeitsteilung im Bankgeschäft vertieft sich. Es entstehen Spezialisten für Bank-IT, Wert papierabwicklung, Zahlungsverkehr, Kreditservice usw. Die Treiber dieser auch als „Industrialisierung des Bankbetriebs“ bezeichneten Prozesse sind Kostendegressionen durch Größeneffekte („economies of scale“) 4. Die Standardisierung des Bankgeschäfts stellt naturgemäß eine dezentral organisierte Bankengruppe wie die Sparkassen/Landesbanken (oder die Volksbanken) vor größere Anpassungsprobleme als zentral organisierte Institute, weil die Willensbildungsprozesse zur Verständigung auf eine zentrale Lösung vielstimmiger sind5. Diese Entwicklungen der Arbeitsteilung sind auch in der Sparkassen-Finanzgruppe deutlich sichtbar. Im Jahr 2004 wurde die Wertpapierabwicklung in der dwpBank zusammengefasst (vgl. dwpank). Zur effizienteren reditbearbeitung (Stichwort: Kreditfabrik) haben K NORD/LB und Sparkasse Hannover 2005 die Kredit service NORD GmbH gegründet, die offen für weitere Sparkassen ist (vgl. NORD/LB; Sparkasse Hannover 2005). Darüber hinaus wird die IT der Sparkassen aktuell auf einen Zentraldienstleister fusioniert (vgl. Sparkassen Informatik und FinanzIT 2008). In diesem Wettbewerbsumfeld gibt es grundsätzlich zwei Strategien zur Weiterentwicklung des Geschäftsmodells von Banken. Zum einen Größenwachstum, um die Erträge bei sinkenden Stückpreisen zu steigern, und zum anderen Innovation, also die Entwicklung neuer Produkte, durch die sich höhere Erträge generieren lassen. Beide Strategien werden durchaus miteinander verschränkt. Bezogen auf die NORD/LB baut das Geschäftsmodell auf strategischen Geschäftsfeldern auf. Neben der Präsenz in den klassischen Kundenbereichen Sparkassen, Mittelstand, Privat- und Gewerbekunden sowie Öffentliche Kunden sind dies vor allem Spezialisierungen in Produktmärkten, in denen die Bank kritische Größen aufweist, die dank des überregionalen Antritts die Bekanntheit erhöhen, die Verteilung der Kompetenz kosten (Marktanalyse, Kundenzugang sowie rechtliche, bankliche und sachinhaltliche Produkt- und Markterfahrungen) über das Volumen verteilen und damit wett bewerbsfähige Stückpreise ermöglichen. Für den Kreditbereich der NORD/LB zählen dazu beispielsweise die Schiffs- und Flugzeugfinanzierungen, die Immobilien finanzierungen, das Agrar-Banking, Infrastrukturfinan- 2 § 1 Abs. 1 Kreditwesengesetz 3 § 1 Abs. 1a Kreditwesengesetz 4 „Die Industrialisierung des Bankensektors ist eine langfristige Entwicklung (…). Es wird jedoch tendenziell eine zunehmende Spezialisierung einzelner Banken stattfinden. Die Banken befinden sich noch in einem frühen Stadium der Industrialisierung.“ Martin Engstler (Fraunhofer Institut Arbeit und Organisation) Artikel vom 19.07.2007 in http://www.bank-zweinull.de/2007/07/19/industrialisierung-im-bankenbereich/ (Innovationsforum Bank & Zukunft, www.bankundzukunft.de), s. auch Hermann Josef Lamberti, Industrialisierung des Bankgeschäfts, in Die Bank Juni 2004 5 „Für die Zukunft sehen insbesondere die Sparkassen noch große Potenziale durch Kostensenkungsprogramme und die Einführung optimierter Steuerungsinstrumente effektiver am Markt agieren zu können (46 Prozent).“ (Zusammenfassung der) IAO-Trendstudie Bank und Zukunft 2008, wie sich Banken auf die Herausforderungen von morgen bereits heute vorbereiten, Dieter Spath (Hrsg.) / Martin Engstler / Claus-Peter Praeg / Christian Vocke (Autoren), erscheint Ende Mai 2008, Vorab-Zusammenfassung unter www.bankundzukunft.de ) Wissensökonomie 117 Heute sind die Fähigkeiten hoch qualifizierter Arbeitskräfte eine wesent liche Ressource für den ökonomischen Erfolg von Banken. zierungen und die Finanzierung von Projekten im Bereich erneuerbare Energien. Bei der gegenwärtigen und mehr noch der zukünf tigen Entwicklung des Bankgeschäfts spielen die Mit arbeiter eine zunehmend wichtigere Rolle. Diese vor allem kreative Rolle des (Mit-) Arbeiters war und ist nicht immer so zentral gewesen. Heute sind die Fähigkeiten hoch qualifizierter Arbeitskräfte eine wesentliche Ressource für den ökonomischen Erfolg von Banken. Das kreative Potenzial der Mitarbeiter gilt mittlerweile als eine zentrale Quelle für innovative Entwicklungen im Bankgeschäft. 4. Der Mensch in der Produktion Die klassische industrielle Fließbandfertigung (1.000 rote VW Käfer mit gleicher Ausstattung) zielte noch darauf ab, den Menschen in der Produktion durch die Maschine zu ersetzen6. Fehlerbehaftung und geringes Tempo menschlicher Tätigkeit in der Industrieproduk tion sollten minimiert werden. Die Arbeit wurde in immer kleinere Teilschritte zerlegt und schließlich einer weiterentwickelten Maschine übergeben. Entsprechend musste sich der Kunde auf den Industriestandard einstellen. Die Mechanismen der Automatisierung sind natürlich auch heute noch nicht abgeschlossen.7 Als Analogie hierzu kann für den Bankbetrieb die Entwicklung des beleghaften, handschriftlichen Zahlungs verkehrsträgers genommen werden. Neben einer zunehmenden Maschinenlesbarkeit auch von Handschriften wurden Überweisungsautomaten aufgestellt und schließlich das Online-Banking eingeführt. Zudem wurde die Einreichung von Zahlungsbelegen deutlich verteuert. In diesem Prozess erlernt der Kunde die Maschinenstandards (Anmeldung mit PIN, Kontonummer, Bankleitzahl, TAN) oder er trägt die höheren Kosten. Steigender Wohlstand und rasante Entwicklung der Produktionstechnologie ermöglichen heute eine zunehmende Differenzierung der Produktlandschaften bis hin zur maschinellen Einzelfertigung (ein roter Golf nach einem blauen Golf). Der Fliessbandarbeiter wurde durch Automaten auf der Technikseite und den Maschinensteuerer (in verringerter Anzahl) auf der Arbeiterseite ersetzt. Steigende Komplexität im Produkt, in der Produkt vielfalt und in der Produktionstechnik erhöhen aber die Störanfälligkeit von Produktionssystemen erheblich. Scheinbar weniger technikzentrierte und mehr menschenorientierte Gruppenarbeit mit Qualitätssicherungsprozessen wurden eingeführt 8. Die Fähigkeiten des Menschen sind hier nicht durch die Maschine zu ersetzen. Das gilt insbesondere für sein Vermögen, in komplexen Situationen und bei Störungen schneller und angemessener zu reagieren. Es wird das koordinierende Wissen der Facharbeiter benötigt, um Maschinen zu steuern, Prozesse zu optimieren (Verbesserungsmana gement), Probleme zu lösen und das Produkt fehlerfrei 6 Sinnbild hierfür ist die Fließbandproduktion des Ford T (daher auch Fordismus oder spezifischer Taylorismus nach Frederic Winslow Taylor, The principles of scientific management (1911)). 7 „Waren früher die Mitarbeiter mit umfassenden Aufgaben ihrer Ressorts betraut, so ist die Arbeitsweise heute durch Spezialisierung der Tätigkeit geprägt. Durch Taylorisierung der Arbeit“, Thorsten Bonne, Matthias Fank, Frank Linde, Unternehmensinterne Call Center: Personalarbeit aus erster Hand, in: Wissensmanagement 4/2008, S. 16 8 Auch lean production oder Toyotismus genannt. Das Toyota Produktionssystem (TPS) verbindet die Produktivität der Massenproduktion mit der Qualität der Werkstattfertigung. Vgl: James P. Womack, Daniel T. Jones, Daniel Roos: Die zweite Revolution in der Autoindustrie, Frankfurt a. M. 1991 RegioPol eins 2008 118 und effizient zu fertigen. Der Entscheidungsspielraum des Arbeiters steigt. Am Anfang war das einfache Standardprodukt, das aufgrund seines günstigen Preises seine Käufer fand (Ford T, VW Käfer). Mit flexiblerer Produktionstechnik konnte die Variantenzahl des Standardprodukts erheblich verbreitert werden. Die Innovation, vor der wir heute stehen, geht noch einen Schritt weiter. Im Werkzeugmaschinenbau ist dieses Prinzip schon seit geraumer Zeit gängig: Es gibt keine Standards. Das Produkt entsteht für die spezifischen Anforderungen des Kunden. Mit dem Wissen der Ingenieure wird hierfür eine spezielle, hoch produktive Maschine geschaffen. Ein Wettbewerb ist nur einschränkt möglich. Diese Entwicklung findet bankbetrieblich ihre Entsprechung in der Strukturierten Finanzierung. Das einzelne Investment wird zwischen den Investoren (Sponsoren) und den Financiers über die Lebens- bzw. Kreditdauer (Entwicklung, Bau, Betrieb) geplant und mit einer maßgeschneiderten Finanzierung (tailor-made) versehen. Wesentlich ist hier, dass die Bank sämtliche Teilschritte des Investments ähnlich gut kennen sollte wie der Sponsor. Ohne diese Kenntnisse kann die Bank keine passgenaue Finanzierung liefern und läuft Gefahr, von (vorhersehbaren) Risiken überrascht zu werden und damit die erwartete Gewinnmarge zu verfehlen. Kom petenz der Bank macht die Kundenberatung (z. B. Im mobilienfinanzierung) effizient und vertrauenswürdig. Kundenzugang, Reputation und Spezialisierungseffi zienz erschweren den Marktzutritt für Wettbewerber. 5. Weiterentwicklung des wissensbasierten Bankgeschäfts Die Beispiele Werkzeugmaschinenbau und Strukturierte Finanzierung zeigen, dass diese wissensbasierte Einzelfertigung nichts grundsätzlich Neues ist, jedoch rückt dieses Produktionsprinzip nunmehr von der Nische ins Zentrum. Auch sind bei der Produktion von Wissen bestimmte ökonomischen Eigenheiten zu berücksichtigen, die sich von der industriellen Fertigung unterscheiden. a) Wissensbasierte Produkte beinhalten mehr Gewinnpotenzial9. Dies ergibt sich entweder durch die relative Einzigartigkeit des Produktes10, wirkliche Innovation11 oder durch Produkt- oder Marktintransparenzen und dem daraus folgenden fehlenden oder geringeren Wett- bewerb. Ein anderes Beispiel ist die kundenindividuelle Leistung, die ebenfalls durch fehlenden Wettbewerb höhere Preise ermöglicht. Dauerhaft bleibt ein (Wissens-) Vorteil nur durch eigentumsrechtliche Absicherung der Idee (z. B. Patente und Lizenzen), stetige Innovation oder Individualprodukte, die den (realen oder vermeintlichen) Nutzen für den Kunden erhöhen. Letztere lassen sich vor allem durch Kundennähe und/oder eine etablierte Qua litätsmarke vermitteln, beides verringert insbesondere auch die Unsicherheit des Kunden hinsichtlich der Qualität des Produkts. Die Weiterentwicklung des Bankgeschäfts in diese Richtung kann marktseitig an zwei Punkten ansetzen: Erstens am Kunden. Die Kundenberater der Bank kennen ihre Kunden, d. h. die Personen, Produkte, Märkte, Wertschöpfungsketten, Entwicklungstendenzen und natürlich die Bilanz sowie die damit zusammenhängenden Finanzproduktbedarfe. Und zweitens an den Produkten. Die Produktspezialisten bieten Komplettlösungen für Kunden an (Analysemethoden, rechtliche Bedingungen, Finanzierungsrisiken und wettbewerbsfähigen Preis). Einfache Produkte mit hoher Standardisierung werden lediglich über die Menge bei niedrigen Kosten zu vertreiben sein. Dies wird nur noch der Produktspezialist mit hoher Automatisierung oder niedrigen Lohnkosten anbieten können. Diesen durch Konzentration zu schaffen oder als Dienstleister zu nutzen, ist – wie gezeigt – bereits heute Realität. Die intensive Kundenberatung und die lokale Präsenz, die die NORD/LB bietet, führen zu erhöhten Kosten, die nicht nur mit dem Vertrieb einfacher Produkte zu decken sind. Anknüpfend an die Hypothese, dass der Vorteil des regionalen Bankmodells in der Nähe zum Kunden liegt (Kundenzugang, Kunden-Wissen, Cross-Selling), muss sich diese vorteilhafte Nähe letztlich auch auszahlen. Hier greifen die beschriebenen Prozesse von Breite (Kundenanzahl) und Tiefe (differenzierte Produktpalette für Kundengruppen) zur Erzielung von Erträgen im effizient organisierten Massengeschäft und zur Erhöhung der Wertschöpfung durch kundenindividuelle Leistungsangebote. Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Wissensbasierung im Bankgeschäft liefern eine effiziente Wissensorganisation, eine Produktentwicklung durch Vernetzungen der Teilbereiche und die Kundenberatung. OECD-Studien verweisen auf die Zusammenhänge von Bildungsinvestitionen und Wachstum, s. z. B. OECD, Human Capital Investments, An International Comparison, Paris 1998 oder OECD Insights, Human Capital, Paris 2007; Credit Suisse benennt die Entwicklung zur Wissensgesellschaft als einen von sechs Megatrends, Credit Suisse, Megatrends – Chancen und Risiken für KMU, Juni 2007, S. 6 10 „Die Differenzierung mittels Wissen schafft die entscheidenden Wettbewerbsvorteile.“ Oliver Loisel, Innovation in der Wissensökonomie, in: innovation.spirit, Journal für angewandte Innovation, S. 38-42. Auch scheinbar einfache und vergleichbare Bankprodukte wie eine private Immobilienfinanzierung sind durch die verschiedenen Ausstattungsmerkmale differenzierbar (Laufzeit, Tilgung, Sondertilgung, Änderung der Tilgungsrate, ...; vgl. Capital 09/2008 vom 21.05.2008). Differenzierungsmerkmale werden kundengruppenspezifisch gesetzt. 11 Z. B. Michael O. R. Kröher, Wirtschaftsfaktor Wissen - Wie unsere Spitzenforschung den Standort Deutschland voranbringt, Berlin 2007 9 Zur grundsätzlichen Bedeutung und Funktionsweisen der Wissensökonomie vgl. den Aufsatz von Hannes Rehm, Wissen und Ökonomie, in diesem Heft a) Wissensökonomie a) Effiziente Wissensorganisation Wissen (und damit auch zumeist der Wissensarbeiter) ist teuer und knapp. Wissen ist auch heute noch ganz überwiegend personengebundenb). D. h. wissensbasierte Wertschöpfung braucht den (wissenden) Menschen12. Dies ist einerseits banal. Andererseits ist es als leitendes Prinzip der Produktion in der Wissensgesellschaft ein wichtiger Anhaltspunkt für die Organisation, die Personal- und Produktpolitik von Unternehmen.13 Die effiziente Organisation der Produktion, des Austauschs und der Anwendung von Wissen führt zum W issensmanagement. „Welches Wissen (d. h. nicht Daten und auch nicht Informationen!) ist überhaupt erforderlich, um die Leistung (z. B. Herstellung eines Produktes) durch die Organisation zu erbringen? n Welches Wissen ist erforderlich, um gegebenenfalls Anpassungen der bestehenden Leistungserstellungsprozesse vorzunehmen? n Welches Wissen ist ggf. erforderlich, um neue Produkte oder Leistungen zu entwickeln?“14 n Welche Organisation und Unternehmenskultur fördert die Produktion und die Bereitstellung von (in-/ externem) Wissen? n In welchen externen Netzwerken organisiere ich mir Wissen (und Wissensarbeiter)? n Dienstleistungsunternehmen fehlt es häufig an systematischen Innovationsprozessen. F&E-Abteilungen sind typische Erscheinungen in Industrieunternehmen. Innovationen kommen im Bankbetrieb häufig aus den Fachbereichen, die den Bedarf im Wettbewerb erkennen oder die vom Kunden gefordert werden. Auf der Strecke bleibt hier eine (effiziente) Innovationsplanung und -organisation und Innovationsfelder, die zwischen den Fachbereichen entstehen (könnten). Nach einer Untersuchung von PwC15 haben 80 Prozent der befragten Dienstleister (29 Prozent davon Banken und Versicherungen) kein Innovationsmanagement und 57 Prozent verfügen über keine Innovationsstrategie. Innovationen wurden in erster Linie von der Geschäftsführung, durch Kundenanforderung, den Vertrieb oder die Mitarbeiter, angestoßen. Zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren für Innovation zählt PwC die Kundenorientierung, kreative Mitarbeiter und eine entsprechende Unternehmenskultur. Als Hemmnisse wurden dagegen maßgeblich Zeitmangel und die organisatorische Struktur benannt. Häufig wird gleiches oder ähnliches Wissen an verschiedenen Stellen der Bank benötigt. Es ist möglich das Wissen in jedem dieser Bedarfsfelder aufzubauen und vorzuhalten. Dies führt aber zu prohibitiv hohen Kosten. Den kostengünstigeren, parallelen Zugriff auf Wissen ohne Zugangsprobleme, Problemverständnisse und Interessenkonflikte zu organisieren, ist durchaus komplex16. b) Produktentwicklung durch Vernetzungen Es geht nicht um Produkt oder Kunde, sondern Geschäftsentwicklung durch Verknüpfung von Produkt und Kunde. Dabei stellt sich die Frage: Wer führt im System, der Kundenbetreuer oder der Produktmanager? Wahr bleibt, ein Kundenbetreuer ohne Produktverkauf und ein Produktmanager ohne Kunde ist Nichts. Die NORD/LB hat natürlich Kundenzugang und Produkt spezialitäten. Der Produktspezialist hat Kunden, die nicht der klassischen Kundenbetreuung zugeordnet sind, und der Kundenbetreuer tut gut daran, bei Bedarf die Produkte anzubieten, in denen die Bank Spezialist ist. Häufig liegt in der systematischen Abfrage dieser Zwischenwelten aber noch ein erhebliches Geschäftspotenzial für beide Seiten. Zur Charakterisierung dieser Wissensarbeiter: Robert Reich spricht von Symbolanalytikern („symbol analysts“). Robert B. Reich, Die neue Weltwirtschaft – Das Ende der nationalen Ökonomie, Berlin 1993 „Die Wissenswirtschaft (…) führt zu neuen Produktionsformen, neuen Arten von Unternehmen und neuen Formen der Ausbildung und Organisation.“; Internationales Arbeitsamt (ILO), Globalisierung in Europa – Menschenwürdige Arbeit in der Informationswirtschaft, Genf 2000; Thomas Schmidle, New Labor – Wandel der internen Arbeitsstrukturen der New Economy durch die neuen Kommunikationsprozesse, München/Ravensburg 2002; hierzu auch Robert Reich a.a.O., S. 200. 14 Z. B. Franz Lehner, Wissensmanagement, 2. Auflage, München/Wien 2008, S. 37; Hinsichtlich der Barriere und Erfolgsfaktoren des Wissensmanagements (S. 289 ff.) kommt er zu ähnlichen Ergebnissen wie PwC für das Innovationsmanagement (s. Fußnote 15) 15 PriceWaterhouseCoopers, Innovation Performance – Das Erfolgsgeheimnis innovativer Dienstleister, Juni 2006 (www.pwc.de); Der Wettbewerb „WissensWirtschaft.NRW“ greift diese Ansätze in fünf Handlungsfeldern auf: Service Engineering & Design, Service Management, Wertschöpfungsketten und Wertschöpfungsnetzwerke, Modulare Service-Architekturen für industrielle Dienstleistungen, Entwicklung von Dienstleistungen für technologieintensive Produkte (http:// www.nrw.de/Presseservice/meldungen/05_2008/080515MWME.php). 16 Z.B. Research-Analysten „Es wird in Zukunft immer schwerer werden, Analysten über die Einwerbung von Handelsaufträgen zu bezahlen“, urteilt Plümer. Daher seien die Experten gehalten, nicht nur Kauf- und Verkaufsempfehlungen zu geben. Sie sollten den Firmenkundenbetreuern Tipps geben, welche Bankdienstleistungen die Unternehmen brauchen können und den Produktentwicklern auf der Derivateseite zur Seite stehen. Interessenkonflikte scheut Plümer dabei nicht: „Es geht nicht darum, solche Konflikte zu vermeiden. Es geht darum, sie zu managen. Nur so lässt sich das Know-how der Analysten für die Bank als Ganzes erschließen.“ Banken kaufen Analysen zu, Handelsblatt, 05.04.2007 (Markus Plümer, Co-Head of Research der Commerzbank) 12 13 b) 119 Beispiel Wissenstechnologie – Künstliche Intelligenz: Trotz zunehmender Erfolge, Wissen in die IT einzubinden, bleibt es IT – Informationstechnologie und nicht WT – Wissenstechnologie. Dabei ist es durchaus bemerkenswert, wie über statistische Modelle oder Einzelfallabgleichen technisches Gerät heute in der Lage ist Erfahrungswissen abzubilden und im Massenmarkt zur Verfügung zu stellen. Ein Alltagsbeispiel: Heute kann fast jede Digitalkamera ab 200 EUR aus den Lichtdaten für ein Foto besser „beurteilen“ (meint: errechnen), ob ein Aufhellblitz bei einer Gegenlichtaufnahme zugeschaltet werden muss, ob bei bewegten Motiven eine kürzere Verschlusszeit gewählt werden sollte oder sie kann das Gesicht im Bildausschnitt identifizieren und fokussieren, weil es zumeist (statistisch) von Interesse ist. In mehr als 95 Prozent der Fälle ist das gespeicherte Erfahrungswissen der Kamera „intelligenter“ als das Foto-Wissen eines beliebigen Nutzers. Ganz zu schweigen von den Profilverknüpfungen von User und Produkt bei Google, ebay oder Amazon. Im Bankbetrieb sagt heute ein mathematisch-statistisches Modell, welches Ausfallrisiko der Kredit eines Kunden (oder eines ABS-Portfolios) hat und wie damit der Zins zu kalkulieren ist. Im konkreten Einzelfall versagt dies naturgemäß. Im Ergebnis ist das Foto nichts geworden oder der Kredit muss abgeschrieben werden (oder es kommt zu einer Finanzkrise). Hier ist der wissende Profifotograf oder der wissende Kreditberater / Risikomanager (oder der Regulierer) gefragt. Leider meistens erst hinterher. 120 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie So eröffnet die gute Position der Bank in der Projekt finanzierung im Bereich der regenerativen Energien auch der Kundenberatung den Zugang zu den Anlagenherstellern. Oder der Landwirt als Lieferant von Energiepflanzen setzt auf steigende Preise. Dies sichert den Kredit der Bank. Dagegen sind Ölmühlen oder Biogasanlagen von steigenden Rohstoffpreisen eher bedroht und erhöhen (verteuern) die Kreditkosten. Welche Meinung hat die Bank? Schlimmstenfalls sind hier verschiedene Meinungen möglich. Idealerweise bietet die Bank beiden Kunden Absicherungsgeschäfte an. Hierzu muss sie beide Seiten kennen, intern miteinander reden und Produktkenntnisse zu Sicherungsgeschäften im Hause finden und am Kunden umsetzen. c) Kundenberatung „Schaltergeschäft“ und „Kreditantrag“ stehen für eine vergangene Zeit, in der der Kunde die Bank aufsuchen musste, um eine Dienstleistung nachzufragen. Liberalisierung und Wettbewerb haben diese Ära beendet. Heute bemühen sich die Banken um Kunden. Das dreigliedrige deutsche Bankensystem aus Sparkassen, Genossenschafts banken und Privatbanken gilt als wettbewerbsintensiv und versorgt die deutsche Volkswirtschaft mit kosten günstigen, vielfältigen Bankprodukten. Die Marktanteile im lokalen Kundengeschäft bieten gute Geschäftspotenziale. Der Trend geht von der (passiven) Kundenbetreuung zur (aktiven) Kundenberatung. Der Kundenberater spricht den Kunden an. Das Wissen über den Kunden bietet den Ansatzpunkt zur Identifikation von Finanz- oder Beratungsbedarfen, die durch Finanzprodukte befriedigt werden können. Einem Strukturvertrieb zum Absatz von provisionsstarken Standardprodukten im Inter esse des (kurzfristigen) Profits der Bank steht bei höher wertigen Kundenbeziehungen das Ziel einer langfristigen Kundenbindung entgegen. Private Ziele, Steuerfragen und Erbschaftsthemen des Privatkunden, bilanzielle Tendenzen, Marktentwicklungen der Firmenkunden, Risikoberatun gen bei Sparkassen und Versicherungen sind Ansatzpunkte für eine höherwertige, wissensbasierte Kundenberatung.17 6. Banking in der Wissensgesellschaft – Drei Beispiele a) Schiffsfinanzierung Die NORD/LB zählt zu den größten Schiffsfinanzierern der Welt. Die langjährige Erfahrung, die Fähigkeit, unse- re Kunden durch zyklische Entwicklungen zu begleiten, und unser Know-how werden von Kunden geschätzt und eröffnen Möglichkeiten für neue Geschäfte. Die Markt- und Produktspezialisierung eröffnet den Zugang zu Kunden, der auch außerhalb des reinen Schiffsfinanzierungsgeschäftes für weitere Geschäfte genutzt wird. Zudem wurde ein Teil des Kreditportfolios genutzt, um durch die Emission eines ersten Schiffspfandbriefs – eine weitere Stärke der Bank – für eine Innovation einzusetzen (vgl. NORD/LB 2006a). Norddeutschland ist in Deutschland die Schwerpunktregion für das Reedergeschäft. Die Netzwerkanalyse der NORD/LB Regionalwirtschaft zeigt die Vernetzung der Reeder mit der lokalen, regionalen und überregionalen Wirtschaft auf (vgl. Hahn 2007). Die identifizierten Netzwerklücken können wiederum Ansatzpunkte für das Vermittlungs- und Beratungsgeschäft sein (z. B. M&A-Finanzierungen). b) Versicherungsberatung Versicherungen sind wichtige Bestandskunden der Bank. Das neue Aufsichtsrecht für Versicherungen SOLVENCY II wird voraussichtlich 2012 in Kraft treten und die Versicherungslandschaft mit erheblich erhöhten Anforderungen an das Risikomanagement konfrontieren. Als Bank hat die NORD/LB Erfahrung mit der Regulierung nach Basel II und als Landesbank ist sie in der Bilanzberatung für Sparkassen tätig. In Zusammenarbeit der Bereiche Research und Sales sowie in interdisziplinärer Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Versicherungswissenschaften (KVW) wurde ein Konzept zur Asset-Liability-Beratung von Versicherungen entwickelt (vgl. KVW 2007, S. 21 ff.). Zur neutraleren Beratung wurde mit der NORD/Advisors GmbH dieser Ansatz rechtlich verselbstständigt und wird in diesem Jahr etabliert (vgl. nord advisors). Ziel ist die Kundenberatung, die sich durch Honorare finanziert. Ziel ist weiterhin die engere Bindung der Kunden an die Bank durch Bereitstellung von Know-how für das zukünftige Aufsichtsrecht und die verbesserte Kenntnis über die Kunden durch den Beratungsprozess. Hierdurch lassen sich wissensbasierte Finanzprodukte liefern oder mit dem Kunden entwickeln. Es ist aber auch absehbar, dass weitere Kunden und Produktbereiche von diesem Beratungsansatz profitieren werden. So soll die NORD/Advisors GmbH auch als Portfolioberater Kunden beraten. Auch Fonds-Advisories sind vereinbart und geplant. Im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge werden Firmenkunden angesprochen, die von der NORD/Advisors Anlagekonzepte Kostendruck und Qualitätswettbewerb sind Treiber in der Bankwirtschaft: „Wettbewerbsorientierte Herausforderungen für 2008 werden neben einem weiter steigenden Preiswettbewerb bei Standardprodukten (96 Prozent), insbesondere in Zusammenhang mit dem zunehmenden Vertrieb von Finanzprodukten über Nichtbanken (73 Prozent) sowie dem Eindringen ausländischer Banken in den Inlandsmarkt (47 Prozent) gesehen. Hinzu kommt ein zunehmender Qualitätsanspruch der Kunden (54 Prozent), der sich in steigenden Anforderungen an die Beratungs- und Servicequalität zeigt.“ Fraunhofer Institut Arbeitswirtschaft und Organisation, Bank & Zukunft 2008; „Die Finanzberatungswelt wird sich immer stärker polarisieren. Auf der einen Seite gibt es die Preisführer, das sind Discountanbieter und Direktbanken. Hier erhält der Anleger zwar günstige Konditionen, aber eingeschränkten Service und oftmals keine Beratung. Für die Finanzberater gilt es nun, in diesem Bereich zu punkten: Nur wer sich als Beratungsführer positionieren kann, wird langfristig bei den immer preisbewussteren und aufgeklärteren Kunden seine Leistung rechtfertigen können.“ JPMorgan Asset Management, Pressemitteilung vom 29. Mai 2008 zur Vorstellung der Studie „Perspektiven-Update: Aktuelle Trends im freien Finanzberatungsmarkt in Deutschland“ 17 b Verwaltungsgebäude der NORD/LB, Hannover 121 RegioPol eins 2008 122 gestellt bekommen. Dies liegt genau im Fokus eines Bankings in der Wissensgesellschaft. c) Risikomanagement Nicht nur von den Produkt- und Kundenbereichen, sondern auch aus der Banksteuerung kommen Impulse für neue Produkte. Die gestiegenen aufsichtsrechtlichen Anforderungen an das Risikomanagement von Banken haben zu mehr Transparenz hinsichtlich der Kreditportfolien geführt. Aufgrund der regionalen Ausrichtung der NORD/LB und aufgrund der Spezialisierungen (Schiffe, Flugzeuge, Immobilien, …) liegen naturgemäß branchenbezogene Klumpenrisiken vor, die die Risikosteuerung herausfordern. Mit Kreditrisikolimiten werden heute die Risiken der Kreditportfolios überwiegend gesteuert. Die risikoadäquate Beschränkung von Geschäftsmöglichkeiten begrenzen aber auch das Ertragspotenzial für die Institute. Als Ausweg bietet sich der Kreditrisikohandel an, der in seiner Wahrnehmung derzeit durch die US-Kreditverbriefungskrise belastet ist. Nach dieser Krise wird sich der Kreditrisikohandel aber weiter entwickeln (vermutlich mit geänderten Anforderungen an Transparenz und Struktur).18 Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den Sparkassen. Auch dort bringt die lokale Orientierung natürlich Klumpenrisiken in den Kreditportfolios durch die regionalen Branchenschwerpunkte mit sich. Eine Kreditlimitierung beeinträchtigt auch hier das Mittelstandsgeschäft vor Ort. Durch Risikohandel zwischen Sparkassen und Landesbanken kann ein vernünftiger Risikotausch durch Kauf und Verkauf vollzogen werden, um die Kreditportfolios besser zu diversifizieren. Die NORD/LB hat hier das Instrument S-Port entwickelt und bietet es ihren Sparkassen an. „Im Bereich des Kreditrisikohandels der Sparkassen verfügt der NORD/LB Konzern mit der Kreditrisikohandels-Plattform S-Port über ein bundesweit einmaliges Angebot. S-Port erlaubt es, einzelne mittelständische Kreditrisiken synthetisch zu handeln. Die NORD/LB tritt sowohl als Sicherungsgeber als auch als Sicherungsnehmer auf. Darüber hinaus werden Kreditrisiken zwischen Sparkassen transferiert. Mittlerweile wurden von diver- sen Banken Anfragen zur Zusammenarbeit gestellt, was die Qualität des Produktes und die strategische Ausrichtung bestätigt.“ (NORD/LB 2006b, S. 55). Die Verbindung des Bilanzstrukturmanagements mit der Asset-Liability-Beratung, die gemeinsam von NORD/LB-Verbundgeschäft und NORD/LB-Research entwickelt wurde, ergibt sehr gute Ansatzpunkte für die Optimierung der Kreditportfolios bei Sparkassen. 7. Schlussbetrachtung Die Devise „Wissen ist Macht“19 als angewandtes Leitbild des (Monopol-) Wissens und für sich Bewahrens wird auch heute noch bemüht, z. B. in der Debatte über den Schutz des geistigen Eigentums. In der Wissensgesellschaft kommt aber immer stärker das Leitbild offener Architekturen, der Wissensnetz werke und einer neuen Balance aus Kooperation und Wettbewerb (neudeutsch: coopetition) zum Tragen. Sinkende Kosten durch neue mediale Vermittlungsformen (Internet als Informations- und Arbeitsplattform, Englisch als Sprachstandard) befördern einen globalen Austausch von Erkenntnissen. Und offene Systeme können hierbei durchaus höhere Dynamiken entfalten als eigentumsrechtlich geschlossene Systeme20. Die Netzwerkdebatte um das Wachstums- und Preisrätsel des Dotcom-Booms Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts (hohes Wachstum bei niedrigen Preisen) hat Netzwerkvorteile stark in das Zentrum der Analyse gerückt. Alte ökonomische Weisheiten über Wachstum und Inflation, Preisanreize und Eigentumsrechte schienen außer Kraft gesetzt (daher: New Economy). Dies war sicher übertrieben, aber die Aufmerksamkeit für die Besonderheiten von Netzwerkprozessen gaben und geben wichtige Impulse für weitere Unter suchungen zu den Grundprinzipien moderner Wissenswirtschaft 21. Es nützt das beste Wissen nichts, wenn keiner weiß, dass man etwas weiß. Kommunikation über sein Wissen und Können sind neben der Weiterentwicklung des Wissens Daueraufgabe, um Banking in der Wissensgesellschaft getreu dem Leitbild der NORD/LB im Interesse der Kunden, der Eigner, der Mitarbeiter und der Gesellschaft werthaltig zu entwickeln. S. hierzu: Ministerien stehen hinter Kreditbranche, FTD vom 28. Mai 2008 Sehr spannend geschildert für eine spätere Epoche in dem historischen Roman von Wolfram zu Mondfeld, Johannes K. Soyener; Der Meister des siebten Siegels, Bergisch Gladbach, 1994 20 „Darüber hinaus zeigt sich, dass Open-Source-Software schon aufgrund der Art und Weise der offenen und freien Entwicklung grundsätzlich innovativer als eine kommerzielle Entwicklung sein kann.“ Bundesministerium für Bildung und Forschung, Open-Source-Software und ihre Bedeutung für Innovatives Handeln, 2006, S. ii; oder „Bei OSS (Open Source Software, T.W.) wird (…) Algorithmen und Lösungen vollständig frei zur Verfügung gestellt. Dies wird in vielen Bereichen als Chance und potentieller Innovationsmotor gesehen. Allerdings entsteht die Problematik, dass auf Open-Source basierender Code üblicherweise nicht mehr im Kontext einer proprietären Entwicklung (Closed-Source) gewinnorientiert vermarktet werden darf. Damit können die traditionellen Geschäftsmodelle in diesen Fällen nicht weiter genutzt und neue Produkte und Lösungen nicht mehr über Kauf oder bezahlte Lizenzen vertrieben werden“; Bundesministerium für Bildung und Forschung, Innovationsverhalten deutscher Software-Entwicklungsunternehmen, 2006, S. 85 21 „Zwei charakteristische Merkmale der IKT-Branche sind ihre Wettbewerbsbetontheit und ihre Innovationskraft. Darüber hinaus gibt es viele Segmente des IKT-Markts, die durch „Netzwerkeffekte“ gekennzeichnet sind – d. h. der Wert eines Produkts für einen einzelnen Kunden steigt mit der Gesamtzahl der Benutzer. Obwohl diese Netzwerkeffekte bedeuten, dass ein bestimmtes IKT-Produkt oder eine IKT-Dienstleistung rasch Marktanteile gewinnen kann, müssen die dominierenden Anbieter aufgrund der niedrigen Eintrittsbarrieren, die für viele IKT-Sektoren wie Software und Online-Dienste gelten, stets innovativ und wettbewerbsbewusst bleiben, weil sie ansonsten Gefahr laufen, rasch Marktanteile an ihre innovativeren und leichtfüßigeren Konkurrenten zu verlieren.“ Microsoft, Stellungnahme zum Kok-Bericht, „Die Herausforderung annehmen: Die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“ (http://www1.microsoft.at/mediabase/file.asp?id=16579) 18 19 Wissensökonomie Die erfolgreiche (d. h. wettbewerbsfähige) Annahme und Gestaltung der Herausforderungen der wissens basierten Ökonomie entscheidet wesentlich und vermutlich auch in zunehmendem Maße über die Zukunft der jeweiligen Bank. Quellen: Bankenverband (2007): Pressemitteilung vom 06.05.2008. 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Bergisch Gladbach. 123 124 RegioPol eins 2007 Wissensökonomie 125 Außerhalb des Schwerpunktes: Michael Ahrens Die Initiative Maritimer Standort Nordwest D ie Initiative Maritimer Standort Nordwest ist ein Zusammenschluss der wichtigsten marit imen Wirtschaftsverbände und Hafenorganisationen der Region. Mitglieder sind: Der Allgemeine Wirtschaftsverband Wilhelmshaven-Friesland e. V., bremenports GmbH & Co. KG, die Handelskammer Bremen, die IHK Bremerhaven, die IHK für Ostfriesland und Papenburg, die IHK Stade, die Oldenburgische IHK, Seaports of Niedersachsen GmbH, der Unternehmensverband Bremische Häfen e. V., die Wilhelmshavener Hafenwirtschaftsvereinigung e. V. und der Wirtschaftsverband Weser e. V. Die Initiative vertritt die Interessen des Nordwestens und seiner Häfen, welche Wachstums- und Jobmotor für ganz Deutschland sind. Im Jahr 2007 wurden in den niedersächsischen und bremischen Seehäfen 134 Millionen Tonnen umgeschlagen. Weit mehr als 100.000 Arbeitsplätze sind in der Region mit der seehafenorientierten Wirtschaft verbunden, welche von der Nachfrage der 200 Millionen Verbraucher in Europa profitiert. Ziel der Initiative ist es, länderübergreifend und abgestimmt die gemeinsamen Interessen der maritimen Wirtschaft im Nordwesten zu vertreten und hierzu die Menschen in der Region über die Chancen und Potenziale der maritimen Wirtschaft und die erforderlichen Projekte und Infrastrukturmaßnahmen zu informieren. Auf nationaler Ebene konnten die Bundespolitik und die küstenfernen Bundesländer im Rahmen der parlamentarischen Abende in Berlin für die überregionale Bedeutung der maritimen Wirtschaft sensibilisiert werden. Die Initiative versucht außerdem auf die zeitgerechte und bedarfsorientierte Realisierung von Infrastrukturprojekten hinzuwirken, um die Wettbewerbsfähigkeit der Hafen standorte, der gesamten maritimen Wirtschaftsstruktur und des Tourismus im Nordwesten zu stärken. Hierzu nimmt sie auch Einfluss auf die Entstehung und Umsetzung relevanter europäischer und nationaler Gesetze. Aufgrund des anhaltenden Booms in der Containerbranche gehen die Prognosen von einem weiteren Anstieg der Beschäftigung aus. Wurden 1985 weltweit b Detail der Rickmer Rickmers, Hamburger Hafen noch weniger als 60 Millionen Standardcontainerein heiten (TEU; twenty-feet-equivalent-unit) umgeschlagen, waren es 2007 bereits über 450 Millionen TEU. Alle Prognosen gehen hier von einem weiteren Anstieg deutlich über dem Wachstum der Weltwirtschaft aus. Die Seehafenstandorte im Nordwesten haben mit den in Bau befindlichen und geplanten Ausbaumaßnahmen in Bremerhaven und Wilhelmshaven die Chance, in besonderem Maße von dieser Entwicklung zu profitieren. Schließlich werden 90 Prozent des europäischen Außenhandels und 30 Prozent des innereuropäischen Umschlags über See abgewickelt. In den für den deutschen Außenhandel relevanten Häfen zwischen Antwerpen und Hamburg wird sich der Containerumschlag bis 2015 annähernd verdoppeln. Die Abwicklung des steigenden Containerumschlags wird somit eine zentrale verkehrspolitische Aufgabe der nächsten Jahre sein. Nur durch die Entwicklung aller Hafenstandorte, die Anpassung der seewärtigen Zufahrten und den Ausbau der Hinterlandanbindungen kann diese Entwicklung gemeistert und der deutschen Wirtschaft ein wettbewerbsfähiger Zugang zu den Weltmärkten gesichert werden. In diesem Sinne erfüllen die deutschen Seehäfen auch eine lebenswichtige Funktion für den E xportweltmeister Deutschland. Die Initiative setzt sich daher für den Ausbau zahlreicher Infrastrukturprojekte ein. Hierzu gehören der durchgängige sechsstreifige Ausbau der A 1, der Neubau der Küstenautobahn A 22, der Ausbau der Anbindung des Überseehafens Bremerhaven, die Neuanbindung des Hafens Emden an die A 31, die Fertigstellung der A 281 einschließlich Weserquerung, der Ausbau der Schienennetze im Seehafenhinterlandverkehr, der Neubau der Strecke Hamburg/Bremen – Hannover (Y-Trasse), der Ausbau der Strecke Bremen – Langwedel – Uelzen – Stendal – Berlin/Magdeburg, die Ertüchtigung der Strecke Oldenburg – Wilhelmshaven, der Ausbau des Bahnknotens Bremen und die Sanierung der Strecke Hude – Nordenham. Die Anpassung von Weser und Ems, 126 RegioPol eins 2007 Wissensökonomie 127 Die Schwerpunkte bei der Entwicklung der Küstenregion und der Meere haben sich eindeutig zu Lasten der ökonomischen Gestaltungsmöglichkeiten verschoben. für den umweltfreundlichen Verkehrsträger Binnenschiff ist für Deutschland ebenfalls von größter Bedeutung. Um sich in dem immer stärker werdenden Wettbewerb halten zu können, plädiert die Initiative außerdem für die Erarbeitung eines regionalen Logistikkonzepts. Ein weiteres Ziel ist die Stärkung der industriellen Basis. Nur so ist es möglich die Loco-Quote zu erhöhen und für Beschäftigungswachstum zu sorgen. Die Initiative begrüßt die aktuellen Hafenentwicklungsmaßnahmen. Hierzu zählen die Norderweiterung des Seehafens Brake um 30 Hektar, die Errichtung einer Schwerlastplattform für Windkraftanlagen in Cuxhaven oder der Bau des Jade-Weser-Ports. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurden u. a. die Broschüren „Chancen nutzen, Zukunft gestalten“, „Zukunft Weser“, „Drehscheibe Nordwest“ sowie „Bahn frei für die Küstenautobahn – für wachsende Mobilität“ publiziert. Die Initiative konnte außerdem einen großen Beitrag zur Sponsoring-Kampagne der IHKs für die A 22 leisten. Losgelöst von den Infrastrukturprojekten fordert die Initiative generell die Rückgewinnung wirtschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten an der Küste. Die Schwerpunkte bei der Entwicklung der Küstenregion und der Meere haben sich eindeutig zu Lasten der ökonomischen Gestaltungsmöglichkeiten verschoben. Die Küstenre gion wurde mit einer Vielzahl von rechtlichen Vorgaben überschwemmt, die kaum oder überhaupt nicht miteinander abgestimmt sind. Die „Inflation“ an neuen Ge setzen, Richtlinien, Verordnungen, Übereinkommen etc. b Landmark, Insel Spiekeroog mit umweltorientiertem Meeres- und Küstenbezug hat zu einem vielfachen Durcheinander von Planungs- und A bstimmungsverfahren sowie zur Schwächung der ökonomischen Potenziale geführt. Ziel muss es sein, die notwendigen wirtschaftlichen Gestaltungsmöglich keiten in der Küstenregion zu erhalten bzw. zurück zugewinnen. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde durch die Beteiligung an dem Konsultationsprozess zum „EU-Grünbuch Meerespolitik“ gegangen. Die Initiative hat in ihrer Stellungnahme und der Broschüre „EU-Grünbuch Meerespolitik – Chancen für die maritime Wirtschaft“ klar Stellung bezogen. Um auch zukünftig über neue Richtlinien, Verordnungen und Gesetze, welche die maritime Wirtschaft betreffen, zeitnah informieren zu können, hat die Initiative die Maritime Umweltdatenbank ins Leben gerufen. Über diese Datenbank können Mitglieder und interessierte Unternehmen aktuelle Informationen und Stellungnahmen der anderen Mitglieder zu fachspezifischen Themen einholen und sich gleichzeitig über eine Plattform austauschen. 128 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 129 Ulrich Matthias Rezension: Stadtpolitik von Hartmut Häußermann, Dieter Läpple und Walter Siebel. Frankfurt am Main 2008. Suhrkamp Verlag. Broschiert, 403 Seiten, 14,– Euro. ISBN: 3518125125 A ls Alexander Mitscherlich die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ beklagte, befand sich der Fordismus auf dem Scheitelpunkt seiner Karriere als Leitthema der Stadtplanung und -entwicklung. Die 1970er und 80er Jahre waren in dieser Hinsicht bereits von Rückzugsgefechten gekennzeichnet, die von zu nehmenden Protesten und Gegenentwürfen begleitet wurden. Seither ist der Stadtpolitik nicht nur ein Leitbild abhanden gekommen; im Gefolge von Globalisierung, demografischem Wandel, Massenarbeitslosigkeit und den finanziellen Belastungen durch die Bundespolitik sind die Fundamente ihrer tradierten Wachstumsstra tegien weggebrochen. In dieser Phase der mühsamen Neuorientierung kommt mit dem Buch von Hartmut Häußermann, Dieter Läpple und Walter Siebel ein Werk auf den Markt, das die Grundlagen der Stadtpolitik freilegt und den neuen Rahmenbedingungen und Handlungsmöglichkeiten nachspürt. Der Bogen ist also weit gespannt und – um es gleich vorwegzunehmen – den Autoren ist es (er wartungsgemäß) gelungen, ihr komplexes Thema derart umfassend, fundiert und stringent zwischen zwei Buchdeckeln zu entwickeln, dass sich diese Arbeit gar nicht dagegen wird wehren können, in den Kanon verpflichtender Fachlektüre aufgenommen zu werden. Die Komplexität von Stadtpolitik erweist sich schon darin, dass ihr Aufgabenspektrum in nahezu demselben Ausmaß und Tempo gewachsen ist, wie den Städten ihre Autonomie und ihr Handlungsspielraum abhanden kamen. Die Autoren zeichnen diesen Prozess in seinen Grundzügen von den Städten des Mittelalters bis in die Gegenwart nach, ohne dabei jedoch in Geschichtsschreibung zu verfallen. Der Fokus der Betrachtung richtet sich eindeutig darauf, die Fundamente der heutigen Erscheinungsformen von Stadt und Stadtpolitik zu vermessen, um die Tragfähigkeit des aktuellen Aufbaus und seiner möglichen Weitentwicklung beurteilen zu können. Dieses Vorhaben kann natürlich nur in der Beschränkung auf ein bestimmtes Modell von Stadt gelingen. Gegenstand des Buches ist die „Europäische Stadt“, die in ihrer Entwicklung nicht nur die spezifische Form von b Balkon, Lissabon Öffentlichkeit hervorgebracht hat, die für unser west liches Verständnis von Demokratie bis heute prägend ist (vgl. Habermas 1990), sondern eben auch das entsprechende Publikum (Sennett 1986). Die bürgerliche Emanzipation ist im politischen Sinn die des Citoyen, des Stadtbürgers. Die funktionale Trennung der Stadt in der Ära des Fordismus hat den öffentlichen Raum beschädigt. Es sind nicht die Bewohner, die von der autogerechten Stadt profitieren, sondern die Pendler. Massive Suburbanisierungsprozesse in der Nachkriegszeit haben dem schwindenden öffentlichen Raum schließlich auch wichtige Teile seines Publikums entzogen. Je funktionaler die Stadt wurde, desto mehr drohte sie ihre wesentlichen Funktionen einzubüßen. Insofern muss es bemerkenswert erscheinen, dass dennoch weite Teile der Städte vom Umbau verschont geblieben sind. Letztlich war es vor allem die Zivilge sellschaft in einer Koalition aus Quartiersbewohnern, Bürgerinitiativen und Anwaltsplanern, die den Vorhaben der Stadtplaner zunehmend massiveren Widerstand entgegensetzten. Gerade diese Mobilisierung ihrer Bürger kann sich heute für die Städte als Glücksfall erweisen. Die zentrifugalen Kräfte der Suburbanisierung scheinen mittlerweile zu erlahmen und einer neuen Wertschätzung urbaner Qualitäten zu weichen. Inzwischen ist schon von einer Renaissance der europäischen Stadt die Rede. Vor allem der Übergang zur Wissens gesellschaft eröffnet den Städten in dieser Hinsicht neue Chancen. Diese zu nutzen ist jedoch nicht mehr die alleinige Aufgabe von Architekten und Stadtplanern. Angesichts rapide geschrumpfter Handlungsspielräume und latenter Steuerungs- und Legitimationsprobleme der administrativ exekutierten Stadtpolitik ist die Einbe ziehung auch sozialwissenschaftlichen, ökonomischen und naturwissenschaftlichen Sachverstands heute unabdingbare Voraussetzung für erfolgversprechende Stadtentwicklung. Dieser Erfolg wird sich jedoch nur einstellen, wenn die gegenwärtig zu beobachtenden Tendenzen zur räumlichen und gesellschaftlichen Ausdifferenzierung 130 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie Vor allem die Integration wird zum Gradmesser für die Zukunft der europäischen Stadt werden. der Städte nicht durch kulturell oder infrastrukturell bedingte Grenzziehungen zementiert werden. Vor allem die Integration wird zum Gradmesser für die Zukunft der europäischen Stadt werden. Insbesondere Bildung und Qualifikation gelten als die entscheidenden Parameter. Das deutsche Bildungssystem war schon in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nur noch eingeschränkt als fortschrittlich zu bezeichnen, heute ist es nicht nur nicht konkurrenzfähig, sondern ein ausgesprochener Standortnachteil. Vor allem die Städte sind es, die den von den Landesregierungen produzierten Missstand verwalten müssen. Dennoch bleibt Integration eine der wichtigsten Aufgaben für die Städte. Häußermann, Läpple und Siebel wenden sich gegen die verbreitete Einstellung, die Konzentration von Migranten in bestimmten Vierteln ver hindern und für eine möglichst gute „Durchmischung“ der Bevölkerung sorgen zu müssen. Starke ethnische Milieus seien eben auch in der Lage, funktionierende Netzwerke zu schaffen, die den Migranten, besonders bei fehlender staatlicher Unterstützung, überhaupt erst das Fundament für die Integration in die Stadtgesellschaft lieferten. Voraussetzung sei allerdings, dass erstens die ethnische nicht mit der sozialen Segregation zusammenfalle, also nur in marginalisierten Quartieren auftrete, und zweitens die entstehenden Mosaike der Stadt durchlässig blieben. Dafür ist schließlich die A ktivierung der Zivilgesellschaft eine wesentliche Bedingung. Ein erfolgreicher Ansatz zur Integration über ein Modell von „urban Governance“, das eine neue multiund transkulturelle Topografie der Stadt entstehen ließe, wäre gewiss eines der sichtbarsten Zeichen für eine Renaissance der europäischen Stadt. b Hochhaus hinter Stadtmauer, Osaka Quellen Habermas, Jürgen (1990): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt am Main Mitscherlich, Alexander (1965): Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden. Frankfurt am Main. Sennett, Richard (1986): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt am Main. 131 132 RegioPol eins 2008 Wissensökonomie 133 Die Autoren Michael Ahrens, Dr., geb. 1949, Studium der Chemie und der Werkstoffwissenschaften an der Technischen Univer sität Clausthal, Abschluss: Dipl.-Chemiker; Promotion zum Doktor-Ingenieur; von 1979 bis 1985 Manager eines Sonderforschungsbereiches auf dem Gebiet der Fest körperphysik an der Universität Göttingen, seit dem 1. Januar 1986 bei der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer tätig, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer, zuständig für die Bereiche Verkehr, Schifffahrt und Häfen, Industrie, Umweltschutz, Post, Telekommunikation, Innovationsberatung, EU-Binnenmarkt, Mitglied der DIHK- Ausschüsse (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) „Verkehr“ und „Telekommunikation“, Federführung „Verkehr“ des NIHK (Niedersächsischer Industrie- und Handelskammertag); Geschäftsführer der Niedersächsischen Hafenvertretung e. V., Geschäftsführer der Sea ports of Niedersachsen GmbH. Arno Brandt, Dr., geb. 1955; Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover, Abschluss: Diplom-Ökonom; von 1985 bis 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Markt und Konsum der Universität Hannover, Promotion 1994; seit 1990 Mitarbeiter der Norddeutschen Landesbank, dort Bankdirektor und Leiter der NORD/LB Regionalwirtschaft; Arbeitsschwerpunkte: Standortmanagement und -marketing, Clusterpolitik, Wirtschaftsförderung, Kulturtourismus und regionalwirtschaftliche Effekte von Großprojekten; Mitglied des Beirates der Zeitschrift „Neues Archiv für Niedersachsen“; Mitglied des Konvents der Evangelischen Akademie Loccum; Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Marie Christin Dickow, geb. 1980, Studium der Geografie mit den Nebenfächern Volkswirtschaftslehre sowie Städtebau, Landesplanung und Raumordnung an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Abschluss 2008 als Diplom-Geographin; seit Juni 2008 Mitarbeiterin der RegioNord Consulting mit den Arbeitsschwerpunkten Regional analysen, Clusterstrategien sowie Maritime Wirtschaft. Dietrich Fürst, Prof. Dr. rer. pol. Dipl.-Vw., 1940, Stu dium VWL (Kiel, Köln), wissenschaftlicher Mitarbeiter: 1965 – 1967 im Kommunalwissenschaftlichen Forschungszentrum (heute: Difu), 1967 – 1974 im Sem. f. Finanzwissenschaft Uni Köln, 1968 Promotion, 1974 Habilitation, 1974 – 1981 Professor in Konstanz, 1981 – 2003 Professor b Kunstobjekt, Frank Popp (Detail) in Hannover (Landesplanung und Raumforschung), seit Ende 2003 im Ruhestand. Forschungsschwerpunkte: Regionalplanung, Planungsorganisation und Regionalmanagement, Regionalisierung, regionale Kooperation, regional governance, Planungstheorie, Steuerungstheorie. Stefan Gärtner, Dr., geb. 1970; Studium der Raumplanung an der Universität Dortmund und Liverpool; seit 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Arbeit und Technik, Forschungsschwerpunkt Innovation, Raum, Kultur; Arbeitsschwerpunkte: städtische und regionale Ökonomien, Regionalentwicklung und regionale Strukturpolitik, Wirtschaftsförderung, Kompetenzfeldentwicklung, nachhaltiges Wirtschaften sowie die Rolle regionaler Banken in der Regionalentwicklung; bis 2001 Tätigkeiten im Bereich „nachhaltiges Wirtschaften“ und Ausbildung zum Bankkaufmann; im Juli 2007 hat Stefan Gärtner seine Disser tation „Ausgewogene Strukturpolitik: Sparkassen aus regionalökonomischer Perspektive“ abgeschlossen. Claudia Hahn, geb. 1978, studierte von 1998 bis 2003 Geografie, Studienrichtung Wirtschaftsgeografie, mit den Nebenfächern Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre an der Universität Hannover, Abschluss als Diplom-Geografin. Von 2003 bis 2006 Tätigkeit als freie Beraterin. Seit 2007 Mitarbeiterin bei der NORD/LB Re gionalwirtschaft. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Standortmanagement, Stadt- und Regional marketing, Clusterstrategien sowie Kulturtourismus. Matthias Kiese, Dr., geb. 1971, studierte Geografie sowie Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Hannover und an der London School of Economics and Political Science. Nach einjährigem Forschungsaufenthalt an der National University of Singapore und anschließender Promotion über regionale Innovationspotenziale in Süd ostasien arbeitete er 2002 am Hannover-Projekt zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Region Hannover mit und ist seit 2002 Wissenschaftlicher Assis tent am Institut für Wirtschafts- und Kulturgeografie der Leibniz Universität Hannover. Im Sommersemester 2008 vertritt er eine Professur für Wirtschaftsgeografie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Michael Kiesewetter, geb. 1969, studierte Internationale Betriebswirtschaftslehre in Dortmund und in Plymouth, betreute ab 1995 in der NORD/LB internationale Firmen- 134 RegioPol eins 2008 kunden, war 2003–2006 Mitglied des Vorstands der DnB NORD Latvia in Riga, zuständig für Risikomanagement und Produktentwicklung, seit 2006 Leiter der Konzernentwicklung der NORD/LB. Stefan Krätke, Prof. Dr., geb. 1952, Studium der Stadtplanung und Architektur / Stadt- und Regionalökonomie in Dortmund und Berlin. 1981 Promotion Technische Universität Berlin. 1980 – 1990 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt „Internationaler Vergleich der Stadterneuerung“ der Hochschule der Künste Berlin. 1991 – 1992 Professurvertretung Prof. Dr. Dieter Läpple „Stadtökonomie“ an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. 1993 – 1994 Professor für Planungsökonomie und Stadtentwicklung an der FH Hamburg, seit 1994 Professor für Wirtschafts- und Sozialgeografie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), Leiter der Forschungsstelle „Europäisch vergleichende Stadt- und Regionalforschung. 1998 – 2006 Berufung für Legislaturperiode des Deutschen Bundestages in den Beirat für Raumordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen, Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung des Europäischen Raumentwicklungskonzepts EUREK“ sowie „Regionale Wirkungen der EU-Osterweiterung“. Seit 2004 externer Sachverständiger der Enquete-Kommission des Berliner Abgeordnetenhauses „Eine Zukunft für Berlin“. Seit 2006 Consultant der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) für regionale Industrieund Clusterpolitik im Programm Wirtschafts- und Strukturreform der VR China (beim National Development Research Council, VR China). Burkart Lutz, Prof. Dr. Dr. h.c., geb. 1925, arbeitete von 1951 bis 1954 in der industriesoziologischen Forschung im Rahmen des WWI. Von 1955 bis 1965 war er als freiberuflicher Sozialwissenschaftler in München tätig, sodann von 1965 bis 1990 als geschäftsführender Direktor des Institutes für Sozialwissenschaftliche Forschung e. V. in München. Von 1983 bis 1986 war er zudem Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Seit Anfang der neunziger Jahre ist er als Mitbegründer und Forschungs direktor des zsh tätig. 1997 erhielt er den Schader-Preis, 2000 verlieh ihm die Universität Halle den Ehrendoktor. Wichtigste Arbeitsgebiete sind Technik und Arbeit, Bildung und Berufsbildung, Arbeitsmarkt, Entwicklungsperspek tiven industrieller Gesellschaften. Ulrich Matthias, geb. 1960, studierte Politik und Literaturwissenschaft an den Universitäten Göttingen und Hannover, Mitherausgeber eines Hochschulmagazins, Abschlussarbeit zum Magister Artium über „die Medien im Strukturwandel der Öffentlichkeit“, Konzeption von Öffentlichkeitsarbeit und deren Umsetzung in diversen Veranstaltungen, Publikationen und Pressearbeit u. a. als PRReferent, Verlagsredakteur und Chefredakteur, Entwicklung und Durchführung von kulturkulinarischen „Events“, seit 2000 als freier Journalist tätig mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur. Anne Neumann, geb. 1980; von 2000 bis 2005 Studium der Angewandten Medienwissenschaften (Medienmanagement) am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover, Abschluss als Diplom-Medienwissenschaftlerin; Berufseinstieg als Project Manager bei PRIME research F.A.Z.-Institut, Mainz; seit 2007 als Referentin für Grundsatzfragen der Informations- und Kommunikationswirtschaft in Niedersachsen im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Hannes Rehm, Dr., geb. 1943 in Berlin; nach dem Stu dium der Wirtschaftswissenschaften 1974 Berufseinstieg bei der Westdeutschen Landesbank in Düsseldorf, nach verschiedenen Funktionen von 1982 bis 1987 Leiter des Zentralbereichs Vorstandsstab; von 1987 bis 1989 Hauptgeschäftsführer für den Verband öffentlicher Banken; danach geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes und hauptamtlicher Stellvertreter des Präsidenten; ab 1993 Vorstand der Norddeutschen Landesbank und seit 1997 stellvertretender Vorstandsvorsitzender; mit Wirkung zum 1. Juli 2004 zum Vorstandsvorsitzenden gewählt; u. a. ist Dr. Rehm Aufsichtsratsvorsitzender der LBS Norddeutsche Landesbausparkasse Berlin/Hannover, Mitglied des Aufsichtsrates der Deutschen Hypothekenbank (Aktien-Gesellschaft), der Bremer Landesbank Kreditanstalt Oldenburg, der Provin zial Lebensversicherung Hannover, der Salzgitter AG, der Porzellanmanufaktur Fürstenberg, Vorsitzender des Verwaltungsrates der Norddeutschen Landesbank Luxembourg S.A., Luxembourg sowie der Unterstützungskasse der NORD/LB, Mitglied des Vorstandes des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Mitglied der Girozentralleiterkonferenz und des Haushaltsprüfungsausschusses des DSGV, Mitglied der Verbandsversammlung des DSGV ö. K, Mitglied des Verwaltungsrates der DekaBank, der Joh. Berenberg, Gossler & Co., Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes Öffentlicher Banken (VÖB) und des Sparkassenverbandes Niedersachsen, Hannover, Mitglied des Vorstandes der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Hannover sowie Präsident der Industrie- und Handelskammer Hannover. Martin Riemer-Streicher, Dr., geb. 1948; Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Göttingen, Abschluss: Dipl. Hdl. (1975); Referendar und Assessor an Berufsbildenden Schulen in Niedersachsen 1975 bis 1980. Von 1981 bis 1987 wissenschaftlicher Angestellter und Hochschulassistent am Institut für Markt und Konsum der Universität Hannover, Promotion 1985; 1988 bis 1992 Marketingleiter bei WINI-Büromöbel, Coppenbrügge; 1992 bis dato als Referatsleiter im Niedersächsischen Ministe rium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in den Bereichen: Marketing und Öffentlichkeitsarbeit; Grundsatzangelegenheiten der Wirtschaftspolitik; Informations- und Kommunikationswirtschaft; Finanz-, Kommunikationsdienstleistun gen, Freie Berufe. Wissensökonomie Walter Siebel, Prof. Dr., geb. 1938, seit 1975 Prof. für Soziologie mit Schwerpunkt Stadt- und Regionalforschung an der Carl von Ossieztky Universität Oldenburg, von 1989 bis 1995 wiss. Direktor der IBA Emscherpark, 1991– 93 Fellow am Kulturwiss. Institut im Wissenschaftszentrum NRW, 1995 Fritz Schumacher Preis der Alfred-TöpferStiftung für Gesellschaftswissenschaften, Mitglied in verschiedenen wiss. Beiräten u. a. des Hanse Wissenschaftskollegs Delmenhorst und des Beirats für Raumordnung beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Letzte Buchveröffentlichungen: Die europäische Stadt, 2004 und Stadtpolitik (zus. mit Häußermann und Läpple), beide edition suhrkamp. Manfred Steincke, geb. 1963, studierte Geografie, Studienrichtung Wirtschaftsgeografie, mit den Nebenfächern Volkswirtschaftslehre sowie Städtebau, Landesplanung und Raumordnung an der Universität Hannover, Abschluss als Diplom-Geograf. Von 1996 bis 1999 tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Niedersächsischen Institut für Wirtschaftsforschung mit Schwerpunkt bei der Berichterstattung zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands für das BMBF, seit 1999 Tätigkeit als freier Projektmitarbeiter bei der NORD/LB Regionalwirtschaft mit einem Arbeitsschwerpunkt bei Regionalanalysen. Torsten Windels, geb. 1963, studierte von 1982 bis 1989 Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover, analysierte ab 1990 in der Volkswirtschaftlichen Abteilung der NORD/LB die deutsche Konjunktur (Deutsche Einheit), war von 1991 – 1996 Referent für Wirtschaft, Technologie und Verkehr in der Niedersächsischen Staatskanzlei und seit 1996 wieder in der Volkswirtschaftlichen Abteilung der NORD/LB im Bereich Länderanalyse und Euro-Einführung, seit 2000 Leiter der Zentralen Wertpapierberatung, ab 2005 Leiter des Research der NORD/LB und seit Mitte 2007 zudem Chefvolkswirt der NORD/LB. 135 136 RegioPol eins 2008 Bildnachweis Arno Brandt: S. 2, 6, 10, 18, 20, 30, 34, 40, 54, 64, 74, 82, 90, 100, 104, 114, 125, 127, 128, 130, 132 NORD/LB: S. 120 Mann+Maus oHG: S. 95 Titelbild: Kunstobjekt, Frank Popp, Foto: Arno Brandt Impressum Verantwortung und Chefredaktion: Dr. Arno Brandt Redaktion: Claudia Hahn Gestaltung: Mann+Maus oHG Druck: Druckhaus Pinkvoss GmbH Auflage: 2.000 Exemplare Zeitschrift für Regionalwirtschaft | eins 2008 | 10 € RegioPol | Zeitschrift für Regionalwirtschaft | eins 2008 Wissensökonomie ISBN 978-3-00-023500-9 Kontakt: NORD/LB Regionalwirtschaft Dr. Arno Brandt Friedrichswall 10, 30159 Hannover Tel. (0511) 361-51 04 E-Mail: arno.brandt@nordlb.de RegioPol Wissensökonomie