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Sic et Non. zeitschrift für philosophie und kultur. im netz www.sicetnon.org Martinis, Marihuana und ein alter Mann Ein Essay über Drogen, Sucht und Altmanfilme Martinis, Marihuana und ein alter Mann/ Mißbrauch in Altmans Filmen Ein Martini ohne Olive ist Kulturbolschewismus... Wer kann im Kino Drogen konsumieren? Das Publikum im Kinosessel – Nein. Nur die Typen auf der Leinwand, die können eine Zigarette nach der anderen sich anstecken, die können sich die schönsten Sachen reinziehen, ohne daß ein Polizist oder der Platzanweiser einschreitet (und einen wegen „Erregung als öffentliches Ärgernis“ irgendwie anfasselt). Der Heroische Kinoheld und die Filmdiva, sie nehmen statt dessen stellvertretend auf der schneeweißen Leinwand für das Publikum ihren „Kick“, und manchmal sterben sie daran, oder sie werden süchtig oder müssen eine Therapie machen. Bei Robert-Altman-filmen fällt auf, daß ziemlich oft irgend eine Substanz konsumiert wird: Alkohol, Kaffee, Kokain, Morphin, Heroin, Opium, Lakritze, Coca Cola, Spinat, Nikotin. Alle Sorten. Oft ist einer oder mehrere der Protagonisten abhängig, süchtig, nach einer legalen oder illegalen Drogen. Bsp. : Der Privatdetektiv Marlowe als einziger Kettenraucher in „The long goodbye“ - Carolyn Stilton (aus „Kansas City“) ist Laudanum-abhängig. Harry Belafonte als Gangsterboß und Jazzclub-Besitzer schnieft all zu oft Koks (ebenfalls „Kansas City“). Mrs. Miller ist Opiumkonsumentin bis zum Ende McCabe ist spielsüchtig und trinkt gerne Ei mit Whiskey Tom Waits ist einer der heimlichsten und witzigsten Filmalkoholiker (in „Short Cuts“) Eine Heroinsüchtige in „A Wedding“ gibt sich einen Schuß auf der Toilette Popeye (Robin Williams, früher selbst kokainsüchtig) ist, wie zu erwarten, Spinat-abhängig Spielsucht ist auch das Thema in California Split Shelly Duvall raucht eigentlich in jedem Altmanfilm Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Vielleicht sind sie aber auch gar nicht abhängig, wer weiß das schon. Denn Selbst eine Katze verschmäht manchmal eine bestimmte Sorte von Dosenfutter und ist somit abhängig von ihrer speziellen Droge – Katzenfutter („The long goodbye“). Droge = Requisit „ Sie rauchen aber viel...“ „Ich rauche ja nicht auf Lunge!“ (Dialog zwischen K.Carradine und S.Duvall in „Thieves like us“) Drogen scheinen, bei näherer Betrachtung, ein durchgängiges Motiv in Altmanfilmen zu sein. Über Drogen wird diskutiert, sie werden ganz selbstverständlich konsumiert und manchmal verändern sie sogar die Persönlichkeit. Ein Beispiel, Zigaretten als Teil des Liebesspiel: Wer erinnert sich nicht an die Szene, wenn Shelly Duvall in Thieves like us genüßlich wunderbare Rauchkringel in die Luft bläst. Der Dunst verflüchtigt sich ganz langsam, entschwebt ins Nichts. Bekommt man da nicht Lust, ihr gleich zu tun? Drogen und ihr Konsum sind ständig präsent. Ob als gekühltes Bier in der Human-Blood-Box (Handle with care !) im Koreakrieg oder Zigaretten auf dem Nachttisch. Einer der geflohene Sträflinge („Chicamaw“, der Halbindianer) in „Thieves like us“ will nur drei Dinge im Leben: Mann, bin ich blau, das gebe ich gern zu. Weißt du, es gibt eigentlich nur drei Dinge auf der Welt, die ich wirklich gern tue: Lieben, trinken und Banken ausrauben. HAHAHA .Und weil es hier nicht genug Frauen gibt für jeden von uns, dann trinke ich und raube Banken aus. Milchiggrüner Opiumdunst, ein Rauch-vernebelter Club folgt den Autoabgasen in einer Garage, football-spielende Soldaten ziehen neben dem Spielfeld an einem Joint; die Bilder verschwimmen, der Ton breitet sich aus und klingt, wie von weit weit weit weg. In Nashville wird in einer Szene nur ein voller Aschenbecher auf einem Tisch ausgeleert. Des öfteren gehen auch irgend welche Transportmittel zu Bruch („Short cuts“ und Cookies Fortune, beides mal eine Wisky-Flasche), Carylyn läßt am Ende von Kansas City ihre Laudanumflasche fallen (sie geht dabei nicht kaputt!) und Jerry (Chris Penn in „Short Cuts“) erschlägt ein Mädchen mit einer verbeulten Bierdose. Bier als Requisite, so scheint es, hat eine schlechte Wirkung auf den Charakter. Droge = McGuffin Lautsprecherdurchsage bei M.A.S.H.: „Achtung, Achtung, Mitteilung an alle, die amerikanische Ärztekammer hat Marihuana zu einem gefährlichen Rauschgift erklärt. Trotz früherer Behauptungen einiger Ärzte, daß es nicht gefährlicher sei, als Alkohol...“ Es gibt keinen ominösen Koffer, voll mit irgendwelchen Drogen, der zufällig irgendwo stehen gelassen wird. Den fast schon klassischen McGuffin, ein Koffer voller weißem Pulver, hinter dem alle her sind, verweigert Altman. Im Altmanuniversum werden keine Drogenklischees an den Tag gelegt, der Drogenumgang wird nebenbei in Szene gesetzt, er steht dabei nicht im unmittelbaren Mittelpunkt, sondern wird als Subtext miterzählt. Gleichzeitig charakterisiert die jeweilige Droge wiederum den Protagonisten, der das eine bevorzugt; eher diese Flüssigkeit oder jenes Pülverchen, je nach Geschmack. Eine andere Art von Mißbrauch von Drogen wird zum Beispiel in MASH dazu verwendet, den koreanischen Jugendlichen Hojo vor dem Militärdienst zu retten. Die amerikanischen Ärzte setzen den Jungen gezielt unter Drogen, um ihn wehruntauglich zu machen, ohne Erfolg. Der Schwindel wird vom koreanischen Amtsarzt aufgedeckt. (Die Person von Hojo, der bis dahin im Lazarett Drinks mixte, wird ab dieser Szene stillschweigend fallen gelassen) Später gewinnen die Ärzte mit Hilfe eines ähnlichen Tricks das entscheidende Footballmatch. Der herausragende Spieler der gegnerischen Mannschaft wird in einem Handgemenge mit einer Spritze (Substanz: undefinierbar) außer Gefecht gesetzt. Halluzinationen sind die Folge. Natürlich wird die Einstichstelle vorher von den Ärzten desinfiziert. Ordnung muß schließlich auch im Krieg sein. Kurzfristige daraus resultierende These: Drogen treiben in Altmanfilmen die Handlung voran, sie sind integriert in den Alltag und Bestandteil der Person. Die „Wild Turkey“-Flasche von Wills in „Cookies Fortune“ ist handlungsrelevant, der Staatsanwalt versucht den Tathergang zu rekonstruieren, befragt ständig die Zeugen nach dem vermeintlichen Diebstahl der Flasche, dann verfolgt er den Weg von Wills durch die Stadt, kommt in den Spirituosenladen, in dem ein Junge versucht eine Zeugenaussage zu machen, und schließlich kommt der Staatsanwalt zu dem Ergebnis, daß Willis der Mörder und wahrscheinlich überall gleichzeitig mit seiner Flasche war. Die Frau mit der Latzhose (Emma) stiehlt dann Wills seinen sog. „Haven“ und dann mischt sie den Wild Turkey mit Kaffee und schmuggelt ihn zu Wills ins Gefängnis. Während McCabe tödlich verwundet im Schnee herum torkelt, liegt Mrs. Miller in der Opiumhöhle und bemerkt weder davon, noch vom Brand der Kirche etwas. Griffin Mill betrinkt sich mit Sake und tötet im Affekt einen Drehbuchautor, den er verdächtigt, Drohbriefe an ihn zu schreiben. ( in The Player) Als Zuschauer können wir so Zeuge von Drogenzuständen ( Vollrausch oder Delirium = Zustand, bei dem man die Macht über sich selbst verliert; oder Veränderungen der Persönlichkeit) werden, ohne am nächsten Tag mit einem schweren Kopf aufzuwachen. Fast als Teilhaber an der Sucht. Der Betrachter kann so eigene Schlüsse in bezug auf die Konsumenten auf der Leinwand ziehen, falls ihm überhaupt die obligatorische Zigarette am Ende des Films auffällt. Altmans bekannte Devise: „Die Kamera beobachtet, sie bewertet nicht“ hat auch hier Geltung. Keine Verherrlichung, aber auch keine Verdammung. Nur die reinen Details. Oder vielleicht doch nicht? Warum wählt er denn überhaupt immer wieder Drogen als Requisiten und als McGuffin? Will er uns, den Zuschauern etwas damit sagen? Gewaltausbrüche scheinen sich in seinen Filmen nach der Intoxikation öfters einzustellen, als ohne. Verändern etwa Drogen die Wirklichkeit oder setzen sie die Hemmschwelle herab? Belafonte alias Seldom Seen, trinkt in einer Kneippen-Szene zuerst Bonbon, dann wechselt er zu Koks. Keinen der Gäste scheint dies zu stören, der Konsum ist öffentlich. Und dann wird er gewalttätig. Eine typische Drogenkarriere und alles in einer Einstellung? „Gehörst du zur Gilde der Biertrinker oder trinkst du Martini mit mir? Also, ich glaube, der wird dir schmecken, der ist knochentrocken...“ „Trinkt ihr den ohne Oliven?“ „Gewisse Konzessionen an den Krieg müssen wir schon machen, wir sind drei Meilen von der Front weg...“ „Na gut, aber man kann doch unmöglich Martini ohne Olive trinken, finde ich, das wäre doch glatter Kulturbolschewismus...“ (MASH) Drogen = Exempel Ich glaub, jetzt muß ich aber mal ne Zigarette rauchen ... (S.Duvall in Thieves like us) Drogen sind in seinen Filmen ein Subtext und Altman inszeniert Drogengebrauch mit Genuß, zeigt uns, daß wir in einer Welt voller Drogen leben, in Abhängigkeit von Stoffen, aber mit einem ironischen Augenzwinkern. Und irgendwie schafft es Altman diese Drogenabhängkeit explizit hervorzuheben und als nebensächlich darzustellen. Er bietet aber auch kein Gegenmodell, keine besseren Rituale für den Gebrauch, er zeigt nur die historisch unterschiedlichen Formen von Ritualen. Oder den Verlust. Drogen sind schon immer ein Spiegel für Gesellschaft gewesen, keine Kultur kommt ohne sie aus, aber wie ist der Umgang von Drogen in der heutigen Industriegemeinschaft und wie wird dieser Gebrauch in Altmanfilmen umgesetzt? Die Zeiten ändern sich, die Drogen auch: „Was ist das für Zeug, das Laudanum?“ „Nervenmedizin. Es beruhigt meine Nerven.“ „Vielleicht sollte ich es auch nehmen?“ „Möchten sie es nehmen?“ „Sie sind ja rauschgiftsüchtig!“ Wer kennt heute noch Laudanum? Wir kennen Tranquilizer, Upper & Downer, Extasy, Speed und noch vieles DSL mehr. Aber Laudanum? Laudanum = Opiumtinktur, eine Lösung von Opium in Alkohol. Am Anfang des letzen Jahrhunderts eine sehr beliebte Medizin. Heute leider unbekannt. Miranda Richerson über ihre Rolle in Kansas City als Mrs. Stilton: „Ich glaube, ursprünglich nahm sie es wie eine Medizin. Es gab ihr einfach ein gutes Gefühl und die Möglichkeit mit ihrem Leben von einem Tag zum nächsten fertig zu werden. Aber sie beauftragte immer die Maniküre, das Zeug zu beschaffen, obwohl man es ohne weiteres kriegen konnte. Sie schämte sich wohl, weil sie abhängig war von dem Zeug und ich glaube, sie wollte sich dieses Geheimnis bewahren. Deshalb schickte sie jemand anderen, um dieses schmutzige Geschäft zu erledigen.“ Oder: Der Süden der USA, 1937. Ein urkomischer Coca-Cola-Wagen mit einer zwei-Meter-hohenCoca-Cola-Flasche rollt ins Bild, ein weiblicher Animateur verteilt umsonst Flaschen an kleine wildschreiende Kinder, während eine Bank ausgeraubt, und sagt: (in Thieves like us) „Coke is it !“ Die Coke-Variante, viele Jahre später in Cookies Fortune: Der rote C-C-Automat im Polizeirevier. So erhalten wir nebenbei noch kleine Lektionen in amerikanischer Kulturgeschichte. Immer wieder werden Drogenerlebnisse im Film entfesselt. Der kreative Moment von Drogen wird unberechenbar, unvorhersehbar. Drogen beschleunigen das Leben, treiben in Abhängigkeit, in eine Spirale von Teufelskreisen, denen einige wieder stehen, andere sich darin aufgeben oder daran zugrunde gehen. Prothesen, die gleichzeitig passiv machen und zur Wiederholung animieren. Verweisen sie vielleicht auf einen menschlichen Gifttrieb? Drogen sind Beruhigungs- und Heilmittel, in gewissen Situationen, Fluchtfahrzeuge aus der Realität, Vergiftungsmittel. Drogen sind chemische Prothesen der Menschen, genauso wie Filme gefühlsmäßige Prothesen sind. Filme und Drogenerfahrungen haben gewisse Ähnlichkeiten, beide erschaffen neue Realitäten, für gewisse Zeit, und versetzen den Benutzer in eine andere Welt, mit anderen Zeitvorstellungen. Das Altmanuniversum, eine Toxicogeographie der USA, ist selbst eine Art Überdosis an Informationen und Gefühlen. Doch der „Entführte“ bemerkt Nachwirkungen erst viel später. Schlußszene: das Erdbeben ist vorüber, der Schreck des Moments vorbei („Dont worry, it is not the big one.“), jetzt erst einmal einen Tequilla, auf den Schreck! Oder? Filmografie 1957 - The James Dean Story (Dokumentation) 1968 - Countdown - Start zum Mond (Countdown) - mit James Caan, Joanna Cook Moore, Robert Duvall 1969 - Ein kalter Tag im Park (That Cold Day in the Park) 1970 - M*A*S*H (MASH) - mit Donald Sutherland, Elliott Gould, Sally Kellerman, Robert Duvall 1970 - Auch Vögel können töten (Brewster McCloud) - mit Bud Cort, Sally Kellerman 1971 - McCabe & Mrs. Miller - Warren Beatty, Julie Christie 1972 - Spiegelbilder (Images) - mit Susannah York 1973 - Der Tod kennt keine Wiederkehr (The Long Goodbye) - mit Elliott Gould, Sterling Hayden 1974 - Diebe wie wir (Thieves Like Us) - mit Keith Carradine, Shelley Duvall 1974 - California Split - mit George Segal, Elliott Gould 1975 - Nashville - mit Karen Black, Keith Carradine, Geraldine Chaplin 1976 - Buffalo Bill und die Indianer (Buffalo Bill and the Indians, or Sitting Bull's History Lesson) - mit Paul Newman, Harvey Keitel, Geraldine Chaplin 1976 - Willkommen in Los Angeles (Welcome to L.A.) - mit Keith Carradine, Sally Kellerman, Geraldine Chaplin, Harvey Keitel 1977 - Die Katze kennt den Mörder (The Late Show) - mit Lily Tomlin 1977 - Drei Frauen (3 Women) - mit Shelley Duvall, Sissy Spacek, Janice Rule 1978 - Du wirst noch an mich denken (Remember My Name) - mit Geraldine Chaplin, Anthony Perkins, Jeff Goldblum 1978 - Eine Hochzeit (A Wedding)- Desi Arnaz Jr., Carol Burnett, Geraldine Chaplin, Mia Farrow, Vittorio Gassman. Lillian Gish 1979 - Quintett (Quintet) - mit Paul Newman, Vittorio Gassman, Fernando Rey 1979 - A Perfect Couple 1980 - Popeye - mit Robin Williams, Shelley Duvall 1982 - Der Gesundheits-Kongreß (HealtH) - mit Carol Burnett, Glenda Jackson, James Garner, Lauren Bacall 1983 - Windhunde (Streamers) - mit Matthew Modine 1984 - Secret Honor - Die geheime Ehre des Präsidenten (Secret Honor) 1985 - Fool for Love - Verrückt vor Liebe (Fool For Love) - mit Sam Shepard, Kim Basinger 1987 - Therapie zweckslos (Beyond Therapy) - mit Julie Hagerty, Jeff Goldblum, Glenda Jackson 1987 - Cool und abgefahren (O.C. and Stiggs) - mit Dennis Hopper 1990 - Vincent & Theo - mit Tim Roth 1992 - The Player - mit Tim Robbins, Greta Scacchi, Fred Ward, Whoopi Goldberg 1993 - Short Cuts - mit Andie MacDowall, Jack Lemmon, Julianne Moore 1994 - Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis (Mrs. Parker and the Vicious Circle) - mit Jennifer Jason Leigh, Matthew Broderick 1994 - Prêt-à-Porter - mit Marcello Mastroianni, Sophia Loren, [[Jean-Pierre Cassell], Kim Basinger 1996 - Jazz '34 (Dokumentation) 1996 - Kansas City - mit Jennifer Jason Leigh, Miranda Richardson Harry Belafonte 1998 - Liebesflüstern (Afterglow) - mit Nick Nolte, Julie Christie 1998 - Gingerbread Man (The Gingerbread Man) - mit Kenneth Branagh, Robert Downey Jr., Daryl Hannah 1999 - Aufruhr in Holly Springs (Cookie's Fortune') - mit Glenn Close, Julianne Moore, Liv Tyler 2000 - Trixie - mit Emily Watson, Nick Nolte 2000 - Dr. T & the Women - mit Richard Gere, Helen Hunt, Farrah Fawcett 2001 - Gosford Park - mit Maggie Smith, Kristin Scott-Thomas 2003 - The Company - Das Ensemble (The Company) - mit Neve Campbell, Malcom McDowall 2004 - Paint