çukurova-universität sozialwissenschaftliches institut abteilung

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çukurova-universität sozialwissenschaftliches institut abteilung
ÇUKUROVA-UNIVERSITÄT
SOZIALWISSENSCHAFTLICHES INSTITUT
ABTEILUNG FÜR DEUTSCHDIDAKTIK
TRANSKULTURELLE DIMENSIONEN DER DEUTSCHSPRACHIGEN
LITERATUR TÜRKISCHER MIGRANTEN UND IHRE VERMITTLUNG IM
DAF-UNTERRICHT
Umut BALCI
DOKTORARBEIT
ADANA - 2010
ÇUKUROVA-UNIVERSITÄT
SOZIALWISSENSCHAFTLICHES INSTITUT
ABTEILUNG FÜR DEUTSCHDIDAKTIK
TRANSKULTURELLE DIMENSIONEN DER DEUTSCHSPRACHIGEN
LITERATUR TÜRKISCHER MIGRANTEN UND IHRE VERMITTLUNG IM
DAF-UNTERRICHT
Umut BALCI
Betreuerin: Yrd. Doç. Dr. Munise YILDIRIM
DOKTORARBEIT
ADANA - 2010
ii
An den Vorstand des Instituts für Sozialwissenschaften der Çukurova-Universität
Wir akzeptieren diese Arbeit, die zur Erlangung der Doktorwürde an der Abteilung für
Deutschdidaktik des Instituts für Sozialwissenschaften eingereicht wurde.
Betreuerin: Yrd. Doç. Dr. Munise YILDIRIM
Gutachter: Prof. Dr. Ali Osman ÖZTÜRK
Gutachterin: Yrd. Doç. Dr. Silvia ZİNZADE AKINCI
Gutachter: Yrd. Doç. Dr. Sabahattin ÇAM
Gutachterin: Yrd. Doç. Dr. Cavidan ÇÖLTÜ İMREN
Bestätigung
Ich bestätige, dass diese Unterschriften zu der oben genannten Jury gehören. ...../..../....
Prof. Dr. Azmi YALÇIN
Leiter des Instituts
Anmerkung: Die Benutzung der in dieser Arbeit verwendeten originalen oder anderen
Quellen entnommenen Zitaten, Diagrammen, Abbildungen und Fotographien unterliegt
dem Gesetz zum Rechtsschutz von geistigen und künstlerischen Werken Nr. 5846.
iii
ÖZET
ALMAN DİLİNDE YAZILMIŞ TÜRK GÖÇMEN EDEBİYATININ KÜLTÜRDÖNÜŞÜMSEL BOYUTLARI VE YABANCI DİL OLARAK ALMANCA
DERSLERİNDE KULLANIMI
Umut BALCI
Doktora Tezi, Alman Dili Eğitimi Anabilim Dalı
Danışman: Yard. Doç. Dr. Munise YILDIRIM
Mayıs 2010, 284 Sayfa
Bu çalışmada, Almanya’da yaşayan Türk göçmenlerinin Almanca metinlerinin yabancı
dil olarak Almanca derslerinde kullanımı sınanmaktadır. Çünkü göçmen edebiyatı
olarak anılan bu metinlerle ilgili Türkiye’de birçok bilimsel çalışma yapılmasına karşın,
bunların kültürlerarası eğitim bağlamında ele alınışı ihmal edilen bir konu olmuştur.
Beş bölümden oluşan bu çalışmada Almanya’ya göç ve bu göç çerçevesinde ortaya
çıkan göçmen edebiyatı farklı açılardan ele alınmaktadır.
Göçmen edebiyatının Alman dil eğitimi derslerinde kullanılmasını amaçlayan bu
çalışmada, farklı öğrenim/öğretim teknikleri göz önünde bulundurulmuştur. Çalışmanın
amacı, Türk göçmen yazarlara ait metinlerin, yabancı dil olarak Almanca derslerinde
kullanılmasının kültürlerarası eğitim bağlamında büyük bir önem taşıyacağını
göstermektir. Çünkü bu metinler Almanya’da yaşayan Türklerin sosyal, kültürel ve
siyasi yaşantılarına dair bilgiler içermekte; ayrıca benlik, çok kültürlülük, uyum gibi
sosyal ve sosyolojik sorunları farklı bakış açılarıyla konu edinmektedir.
Almancayı Türkiye’de öğrenen Türk öğrencilerin bu dili öğrenirken karşılaştıkları
zorluklar dikkate alındığında, bu metinlerin dil öğretiminde kullanımının öğrencilerin
ilgisini arttıracağı düşünülmektedir. Çünkü bu metinler çoğunlukla Alman yazarların
edebi metinlerine göre daha basit bir dil yapısına sahip olup hem Türk hem de
Almanların yaşantılarından kültürel öğeler içermektedir.
Anahtar Sözcükler: Göçmen Edebiyatı, Yabancı Dil Öğretimi, Kültürlerarası Eğitim.
iv
ZUSAMMENFASSUNG
TRANSKULTURELLE DIMENSIONEN DER DEUTSCHSPRACHIGEN
LITERATUR TÜRKISCHER MIGRANTEN UND IHRE VERMITTLUNG IM
DAF-UNTERRICHT
Umut BALCI
Doktorarbeit, Abteilung für Deutschdidaktik
Betreuerin: Yrd. Doç. Dr. Munise YILDIRIM
Mai 2010, 284 Seiten
Die vorliegende Arbeit behandelt die Didaktisierungsmöglichkeit der deutschsprachigen
Literatur türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei, weil die
Migrantenliteratur hinsichtlich der interkulturellen Pädagogik in der Türkei bisher kaum
berücksichtigt worden ist, obwohl in diesem Bereich viele wissenschaftliche Arbeiten
verfasst wurden.
Die Arbeit besteht aus fünf Kapiteln, in denen die Migration nach Deutschland und die
Migrantenliteratur aus verschiedenen Zugangsweisen thematisiert werden.
Wir haben uns bemüht, die Texte der Migrantenliteratur unter besonderer
Berücksichtigung der Lehr– und Lernperspektive zu didaktisieren. Unser primäres Ziel
ist zu zeigen, dass die Verwendung literarischer Texte türkischer MigrantInnen im
DaF–Unterricht sinnvoll ist, da diese Literatur den Lernenden einerseits das soziale,
kulturelle und politische Leben der in Deutschland lebenden MigrantInnen vor Augen
führt, andererseits eine Auseinandersetzung mit Problemen der türkischen MigrantInnen
und der Deutschen ermöglicht. Der Tatsache folgend, dass türkische Studierende beim
Erlernen der deutschen Sprache auf viele Schwierigkeiten stoßen, kann die
Migrantenliteratur beim Erwecken des Interesses an der deutschen Sprache eine
bedeutende Rolle spielen, weil die Literatur türkischer MigrantInnen aus der Sicht
türkischsprachiger Deutschlernender relativ einfachere Strukturen hat.
Schlüsselwörter: Migrantenliteratur, Fremdsprachendidaktik, interkulturelle Pädagogik
v
VORWORT
Beim
Schreibprozess
dieser
Arbeit
habe
ich
viele
AkademikerInnen
und
SchriftstellerInnen besucht, denen ich hier für ihre Freundlichkeit, Anregungen und
Gespräche danken möchte.
Mein großer Dank gilt Frau Dr. Munise YILDIRIM für ihre Betreuung und hilfreiche
Unterstützung beim Schreibprozess der Arbeit.
Ich möchte außerdem den Studierenden der zweiten Klasse von der Abteilung für
Deutschlehrerausbildung der Pädagogischen Fakultät der Universität Onsekiz Mart
danken, die im Sommersemester 2008/2009 an den Lehrveranstaltungen freundlich und
aktiv teilgenommen haben.
Meinen Dank möchte ich an dieser Stelle auch Prof. Dr. Ali Osman ÖZTÜRK zum
Ausdruck bringen, der mir bei meinem Studium Mut gegeben und mich stets unterstützt
hat.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Otto HOLZAPFEL und Herrn Prof. Dr.
Tahir BALCI für ihr sorgfältiges Korrekturlesen der vorliegenden Arbeit.
Schließlich möchte ich bei meinen Kollegen in Çanakkale, Dr. Nihan DEMİRYAY und
Lekt. Ülkenur KAYNAR, für ihre wertvollen Vorschläge herzlich bedanken.
Umut BALCI
Gewidmet an Granatapfel-Blüte
vi
INHALTVERZEICHNIS
BESTÄTIGUNGSSEITE……..………………………………………………………..ii
ÖZET ......................................................................................................................... iii
ZUSAMMENFASSUNG ............................................................................................ iv
VORWORT ................................................................................................................. v
LISTE DER BILDER ................................................................................................ xi
LISTE DER PLAKATE............................................................................................ xii
LISTE DER ABBILDUNGEN ................................................................................xiii
ERSTER TEIL
EINFÜHRUNG
1.1. Zielsetzung ......................................................................................................... 5
1.2. Aufbau der Arbeit ............................................................................................... 8
1.3. Zur Methode....................................................................................................... 9
ZWEITER TEIL
INTER-/MULTI-/TRANSKULTURELLES LERNEN IM DAF-UNTERRICHT
DRITTER TEIL
SOZIOLOGIE UND KULTUR DER TÜRKISCHEN MIGRANTEN
3.1. Literatur und Soziologie ................................................................................... 19
3.2. Kultur, Interkulturalität, Multikulturalität und Transkulturalität ........................ 21
3.3. Türken in Deutschland ...................................................................................... 22
3.3.1. Ausländerpolitik ..................................................................................... 23
3.3.2. Kulturschock .......................................................................................... 26
3.3.3. Identität und Identitätsproblematik ......................................................... 26
3.3.4. Integration.............................................................................................. 28
3.3.5. Subkultur ............................................................................................... 30
3.3.6. Kanak Attak ........................................................................................... 31
3.3.7. Literatur als Mittel zur Verständigung .................................................... 34
3.3.8. Veränderung der Eigenwahrnehmung ..................................................... 35
VIERTER TEIL
LITERATUR DER TÜRKISCHEN MIGRANTEN
4.1. Begriffsbestimmungen...................................................................................... 37
4.2. Entstehung und Entwicklung der türkischen Migrantenliteratur ........................ 47
4.3. Formen der Türkischen Migrantenliteratur........................................................ 52
vii
4.3.1. Volkslieder............................................................................................. 52
4.3.2. Lyrik ...................................................................................................... 54
4.3.3. Epik ....................................................................................................... 54
4.4. Inhaltliche Analyse der Literatur türkischer Migranten ..................................... 54
4.4.1. Die AutorInnen der ersten Generation .................................................... 55
4.4.1.1. Yüksel Pazarkaya ....................................................................... 56
4.4.1.2. Bekir Yıldız ............................................................................... 57
4.4.1.3. Aras Ören................................................................................... 58
4.4.1.4. Fakir Baykurt ............................................................................. 59
4.4.1.5. Nevzat Üstün ............................................................................. 59
4.4.1.6. Habib Bektaş .............................................................................. 59
4.4.1.7. Güney Dal .................................................................................. 60
4.4.1.8. Şinasi Dikmen ............................................................................ 61
4.4.1.9. Themenschwerpunkte der Literatur der ersten Generation .......... 62
4.4.2. Die AutorInnen der zweiten Generation ................................................. 64
4.4.2.1. Feridun Zaimoğlu ....................................................................... 64
4.4.2.2. Zafer Şenocak ............................................................................ 65
4.4.2.3. Osman Engin ............................................................................. 66
4.4.2.4. Zehra Çırak ................................................................................ 67
4.4.2.5. Saliha Scheinhardt...................................................................... 68
4.4.2.6. Aysel Özakın ............................................................................. 69
4.4.2.7. Alev Tekinay ............................................................................. 70
4.4.2.8. Nevfel Cumart............................................................................ 70
4.4.2.9. Renan Demirkan ........................................................................ 71
4.4.2.10. Themenschwerpunkte der Literatur der zweiten Generation ..... 72
4.4.3. Die AutorInnen der dritten Generation ................................................... 76
4.4.3.1. Emine Sevgi Özdamar ................................................................ 77
4.4.3.2. Selim Özdoğan ........................................................................... 78
4.4.3.3. Orkun Ertener ............................................................................ 79
4.4.3.4. Themenschwerpunkte der Literatur der dritten Generation ......... 79
viii
FÜNFTER TEIL
DIDAKTISIERUNG DER MIGRANTENLITERATUR
5.1. Unterrichtsmodelle und Unterrichtsbeispiele..................................................... 87
4.4.4. Zum thematischen Generationswechsel .................................................. 80
5.1.1. Textauswahl ........................................................................................... 87
5.1.2. Methodische Vorgehensweise ................................................................ 89
5.1.3. Zeitdauer ................................................................................................ 90
5.1.4. Zielsetzung............................................................................................. 91
5.1.5. Unterrichtsmethode ................................................................................ 92
5.1.5.1. Produktionsorientierter Unterricht .............................................. 93
5.1.5.2. Textanalyse nach Rezeptionsästhetik .......................................... 93
5.1.5.3. Auswertung nach der qualitativen Methode ................................ 94
5.1.6. Situation der Klasse ............................................................................... 95
5.2. Unterrichtsmodelle ........................................................................................... 96
5.2.1. Unterrichtsmodell 1; Brautbeschauer ..................................................... 96
5.2.1.1. Textinhalt ................................................................................... 96
5.2.1.2. Lernaktivitäten ........................................................................ 96
5.2.1.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ..... 97
5.2.1.4. Textanalyse .............................................................................. 118
5.2.2. Unterrichtsmodell 2: Ehegattenzusammenführung oder Wie finde ich eine
Frau? ............................................................................................................. 127
5.2.2.1. Textinhalt .......................................................................................... 127
5.2.2.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 128
5.2.2.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 129
5.2.2.4. Textanalyse .............................................................................. 136
5.2.3. Unterrichtsmodell 3; Fremde ist wo du gekränkt wirst ......................... 138
5.2.3.1. Textinhalt ................................................................................. 138
5.2.3.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 138
5.2.3.3 Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten .... 140
5.2.3.4. Textanalyse .............................................................................. 145
5.2.4. Unterrichtsmodell 4; Gedanken über die Rückkehr .............................. 147
5.2.4.1. Textinhalt ................................................................................. 147
5.2.4.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 147
ix
5.2.4.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 148
5.2.4.4. Textanalyse .............................................................................. 151
5.2.5. Unterrichtsmodell 5: Doppelmann ....................................................... 153
5.2.5.1. Textinhalt ................................................................................. 153
5.2.5.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 154
5.2.5.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 155
5.2.5.4. Textanalyse .............................................................................. 168
5.2.6. Unterrichtsmodell 6: Tierweisungen VI ............................................... 169
5.2.6.1. Textinhalt ................................................................................. 169
5.2.6.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 169
5.2.6.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 170
5.2.6.4. Textanalyse .............................................................................. 175
5.2.7. Unterrichtsmodell 7: Dütschlünd, Dütschlünd übür üllüs ..................... 176
5.2.7.1. Textinhalt ................................................................................. 176
5.2.7.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 176
5.2.7.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten…177
5.2.7.4. Textanalyse .............................................................................. 191
5.2.8. Unterrichtsmodell 8: Homo Germanicus ............................................. 194
5.2.8.1. Textinhalt ................................................................................. 194
5.2.8.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 194
5.2.8.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 195
5.2.8.4. Textanalyse .............................................................................. 205
5.2.9. Unterrichtsmodell 9: Sprich langsam, Türke! ...................................... 208
5.2.9.1. Textinhalt ................................................................................. 208
5.2.9.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 209
5.2.9.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 210
5.2.9.4. Textanalyse .............................................................................. 217
5.2.10. Unterrichtsmodell 10; Länder, Türken, Abenteuer .............................. 220
5.2.10.1. Textinhalt ............................................................................... 220
5.2.10.2. Lernaktivitäten ....................................................................... 220
5.2.10.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten . 221
5.2.10.4. Textanalyse ............................................................................ 233
5.2.11. Die letzte Aktivität als Zusammenfassung aller Aktivitäten: Zelt ....... 237
5.3. Schlussbemerkungen zum didaktischen Teil ................................................... 237
x
5.3.1. Probleme und kulturelle Eigenschaften der behandelten Texte ............. 238
5.3.1.1. Texte der ersten Generation ...................................................... 239
5.3.1.1.1. Brautbeschauer ........................................................ 239
5.3.1.1.2. Ehegattenzusammenführung oder wie finde ich eine
Frau?....................................................................................... 240
5.3.1.1.3. Fremde ist, wo du gekränkt wirst ............................. 241
5.3.1.1.4. Gedanken über die Rückkehr ................................... 243
5.3.1.2. Texte der zweiten Generation ................................................... 245
5.3.1.2.1. Doppelmann ............................................................ 245
5.3.1.2.2. Tierweisungen ......................................................... 246
5.3.1.2.3. Dütschlünd Dütschlünd übür üllüs ........................... 247
5.3.1.2.4. Homo Germanicus ................................................... 249
5.3.1.3. Texte der dritten Generation ..................................................... 250
5.3.1.3.1. Sprich Langsam, Türke! von Kerim Pamuk ............. 250
5.3.1.3.2. Länder, Türken, Abenteuer ...................................... 251
5.3.2. Hauptthemen der Generationen und ihr Motto ...................................... 253
5.3.2.1. Hauptthemen der ersten Generation .......................................... 253
5.3.2.2. Hauptthemen der zweiten Generation ....................................... 253
5.3.2.3. Hauptthemen der dritten Generation ......................................... 253
5.3.3. Welche Texte gefallen ihnen am besten? Warum? ................................ 254
SCHLUSSFOLGERUNGEN .................................................................................. 259
LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................ 271
LEBENSLAUF ........................................................................................................ 284
xi
LISTE DER BILDER
Bild 1: Die Vögel auf dem Baum ........................................................................... 171
Bild 2: Migration und ihre Folgen .......................................................................... 172
Bild 3: Vokuhila ..................................................................................................... 213
Bild 4: Opferfest .................................................................................................... 223
Bild 5: Eine türkische Zeitung und ihre Schlagzeile................................................ 224
Bild 6: Fleisch ........................................................................................................ 225
Bild 7: Solidarität .................................................................................................. 225
Bild 8: Respekt ...................................................................................................... 225
Bild 9: Schlacht auf der Straße ............................................................................... 226
Bild 10: Hygienische Orte für Schlachten ............................................................... 226
Bild 11: Vaterland .................................................................................................. 230
Bild 12: Ausländer raus!......................................................................................... 230
Bild 13: Das arabische Alphabet ............................................................................ 232
Bild 14: Das türkische Alphabet ............................................................................. 232
xii
LISTE DER PLAKATE
Plakat 1: Türkische Kultur...................................................................................... 148
Plakat 2: Deutsche Kultur ....................................................................................... 149
Plakat 3: Doppelmann ........................................................................................... 160
Plakat 4: Der in zwei geteilte Mann ........................................................................ 161
Plakat 5: Der Mann mit zwei Welten ...................................................................... 163
Plakat 6: Die gebrochene Zweisprachigkeit ........................................................... 164
Plakat 7: Der Koffer ............................................................................................... 165
Plakat 8: Migrationszelt ......................................................................................... 237
xiii
LISTE DER ABBILDUNGEN
Abbildung 1: Überall Ausländer ............................................................................. 173
Abbildung 2: Ausländer ......................................................................................... 174
Abbildung 3: Rückkehr ......................................................................................... 230
1
ERSTER TEIL
EINFÜHRUNG
Die vorliegende Arbeit untersucht im engeren Sinne die transkulturellen Dimensionen
der deutschsprachigen Literatur türkischer MigrantInnen und ihre Vermittlung im DaFUnterricht in der Türkei.
Mit dem Einwandern der Arbeitsemigranten nach Deutschland wurde die Migration
nach dem Zweiten Weltkrieg eines der bedeutendsten Themen in Deutschland, das im
Laufe der Zeit Fragen zu Begriffen wie „Heimat“, „Fremde“, „Integration“,
„Kulturmischung“, „Assimilation“ und „Identität“ auftreten ließ. Die soziologischen
und kulturwissenschaftlichen Dimensionen dieses Themas werden bis heute diskutiert.
Die Arbeitsmigranten wurden in den 50er Jahren zuerst nur für zwei Jahre nach
Deutschland eingeladen. Wegen des Mangels an Arbeitskräften wurden jedoch mit
ihnen danach langzeitige Arbeitsverträge abgeschlossen (Yano, 2007; 2).
Jene Menschen, die unter der Vorstellung nach Deutschland eingewandert waren, nur
einige Jahre in Deutschland zu arbeiten und danach in ihre Heimat zurückzukehren (vgl.
Kocadoru, 1997; 2), haben sich darum bemüht, ihre Herkunftskultur aufrechtzuerhalten.
Das Bemühen darum, die eigene Kultur zu bewahren, führte bei jenen, die sich
„zwischen zwei Kulturen geblieben“ fühlten, vom „Kulturschock“ bis hin zu einer
„Identitätsproblematik“.
Für die MigrantInnen war die Literatur ein Mittel, ihre ambivalente Situation, in der sie
sich befanden, zum Ausdruck zu bringen. Jene MigrantInnen, die die deutsche Sprache
gut beherrschten, haben in den 1980er Jahren begonnen, in verschiedenen Zeitungen
und Zeitschriften Gedichte, Geschichten und Erinnerungen zu veröffentlichten.
Daneben publizierten sie aber auch Bücher. Sie konnten dadurch auf die deutsche
Literatur einwirken. An der 1980 gegründeten Zeitschrift „Südwind“ beteiligten sich
MigrantInnen
verschiedener
Länder
und
bemühten
sich
darum,
für
ihre
Identitätsproblematik eine Lösung zu finden. Zunächst starteten sie den Versuch, für die
von ihnen vorgelegte Literatur einen Namen zu finden. Um jedoch schließlich ihre
2
Identitätsproblematik leichter lösen zu können, mussten sie sich selbst und im
Besonderen ihre eigene Literatur mit all ihren Eigenschaften kennen lernen.
Die MigrantInnen berührten im Allgemeinen Themenfelder wie „Migration“ an sich,
„Kulturschock“, „Anpassung“ und „Identitätsproblematik“. Auch ihre Literatur ist
genauso wie ihr Leben zwischen zwei Kulturen gepresst geblieben (Kuruyazıcı, 1990;
98). Lange Zeit hat sie weder in der deutschen, noch in der türkischen Literatur für sich
einen Platz finden können. In den letzten Jahren gewann sie jedoch an Bedeutung und
wurde hinsichtlich ihrer kulturellen, soziologischen, psychologischen und linguistischen
Dimensionen untersucht.
Vom Beginn der Arbeiteremigration in den 1960er Jahren nach Deutschland bis heute
lassen sich die türkischen MigrantInnen in drei Generationen einteilen, zwischen denen
zwar zeitlich keine genauen Grenzen festlegbar sind, die jedoch erkennbare
Unterschiede soziokultureller und kommunikativer Art aufweisen.
Die erste Generation umfasst etwa den Zeitraum 1960-1985, d. h. vom Beginn der
Arbeitermigration nach Deutschland bis zum „Rückkehrgesetz“ der deutschen
Regierung 1984 (Lange, 1996; 10). Die Menschen dieser Generation stammten
weitestgehend aus ländlich geprägten Gebieten der Türkei und verfügten über ein
geringes Bildungsniveau. Nach ihrer Ankunft in Deutschland lebten sie für lange Zeit
weit entfernt von ihren Familien und mit großer Sehnsucht nach ihrer Heimat. Da sie
die deutsche Sprache nicht bzw. nicht ausreichend beherrschten, hatten sie Probleme,
sich an die ihnen fremde Kultur anzupassen, der gefühlten und gelebten Einsamkeit
sowie der fehlenden Akzeptanz zu entrinnen, und sie litten unter ihren schweren
Arbeits– und Lebensbedingungen, woraus letztendlich die Problematik ihres
„Kulturschocks“ (Kuruyazıcı, 1990; 93) resultierte.
Die AutorInnen der ersten Generation begannen in den 65er Jahren, ihre literarischen
Produkte zu publizieren. Anfangs schrieben sie in türkischer Sprache, da sie – wie
bereits erwähnt – die deutsche Sprache nicht bzw. nicht ausreichend beherrschten. Um
ihre Probleme besser und verständlicher ausdrücken zu können, wählten sie als
literarische Form die Epik. Ihre Themen waren hauptsächlich
•
die Schwierigkeit, in der anderen Kultur zu leben,
•
die schweren Arbeitsbedingungen,
•
ihre Sprachprobleme
3
•
die Sehnsucht nach der Heimat,
•
ihre Einsamkeit,
•
die Isolierung aus der Gesellschaft und
•
der Gedanke, an die Heimkehr etc.
Einige der emigrierten AutorInnen der ersten Generation wie Yüksel Pazarkaya, Bekir
Yıldız, Aras Ören, Fakir Baykurt, Nevzat Üstün, Güney Dal, Fethi Savaşçı oder Şinasi
Dikmen haben sowohl in türkischer als auch in deutscher Sprache geschrieben. Das
besondere Ziel dieser AutorInnen lag darin, den Deutschen ihre schwierige
Lebenssituation und ihre damit verbundenen Probleme bzw. Gefühle zu zeigen.
Größtenteils nahmen sie bei ihrem Erzählen eine kritische und ironische Haltung
meistens ihrer eigenen Kultur ein.
Die zweite Generation umfasst die Periode 1985-1995 und wird in zwei Gruppen
geteilt. Zur ersten Gruppe sind jene zu zählen, die im Rahmen des „Rückkehrgesetzes“
nicht in die Türkei zurückgekehrt, sondern in Deutschland geblieben sind. Zur zweiten
Gruppe gehören die in Deutschland geborenen Kinder der ersten Generation. Die
Mehrheit der Angehörigen der zweiten Gruppe wuchs im Kontext der deutschen
Sprache auf, hat Deutschland als eine neue bzw. zweite Heimat betrachtet und war
darum bemüht, sich an die deutsche Kultur und an das deutsche Gesellschaftsleben
anzupassen. Dennoch fühlten sie sich „zwischen zwei Kulturen geblieben“ und waren
auf unaufhörlicher Suche nach ihrer Identität. Die Literatur nutzten sie als ein Mittel,
um ihre Identität und Individualität zu finden und ihre Situation zu kritisieren. In ihren
Werken spiegeln sich der Wunsch nach Akzeptanz und die ablehnende Haltung
gegenüber absoluter Anpassung wider. Deshalb war für diese MigrantInnen eher das
Thema als die Sprache von Bedeutung.
In der Literatur fast aller MigrantInnen der zweiten Generation ist zu sehen, dass sie
Themen wie „Suche nach eigener
Kultur“, „Fremdheit“,
„Identitätsverlust“,
„Fremdverstehen“ etc. auf verschiedene Weisen aufgegriffen haben. Als bekannteste
AutorInnen der zweiten Generation sind u. a. Feridun Zaimoğlu, Zafer Şenocak, Osman
Engin, Zehra Çırak, Nevfel Cumart, Renan Demirkan und Salih Omurcak zu nennen.
Diese AutorInnen haben ihre Literatur anders als die der ersten Generation zumeist in
der deutschen Sprache verfasst und sich thematisch auf soziologische und kulturelle
4
Themen wie z.B. „Identitätsproblematik“, „Mischkultur“, „Integration“, „die gespaltene
Zunge“ etc. konzentriert.
Die MigrantInnen der ersten Generation wandten sich hauptsächlich Problemen wie
„schwere Arbeitsbedingungen“ und „Heimweh“ zu. Sie waren überwiegend darum
bemüht, ihre eigene Kultur aufrechtzuerhalten und sahen sich eher inmitten eines
Kulturschocks als einer Identitätsproblematik, was auch in ihrer Literatur zum Ausdruck
kommt. Dagegen lernten die MigrantInnen der zweiten Generation die deutsche Kultur
besser kennen und begannen zum einen, sich Stück für Stück mit ihr zu identifizieren,
und zum anderen sich ihrer eigenen Kultur zu entfremden. In ihrer Literatur spiegelt
sich neben dieser Anpassungsbereitschaft auch der Ausdruck ihrer psychologischen
Unterdrückung wieder, die auf soziokulturelle Gründe zurückzuführen ist.
Ausgehend von der Literatur der zweiten Generation wurden ab 1985 soziokulturelle
Themen wie „Identität“, „Akzeptanz“, „Integration“ und „Assimilation“ diskutiert und
abgehandelt. Unterschiede zwischen beiden Generationen lassen sich des Weiteren an
der sprachlichen Gestaltung erkennen. Während die AutorInnen der ersten Generation
ihre Literatur besonders in epischen Formen zum Ausdruck verfasste, brachte die zweite
Generation neben epischen auch lyrische Werke heraus. Mit Hilfe der Literatur in einer
künstlerischen Sprache, die nicht nur Kritik und Ironie, sondern auch Sprachspiele und
rhetorische Figuren enthält, sah man sich in der Lage, jene Gedanken und Gefühle
auszudrücken, die außerhalb der Literatur in deutscher Sprache schwer zu äußern sind.
Die dritte Generation umfasst die Jahre von 1995 bis zur Gegenwart. Ihre Angehörigen
betrachten
Deutschland
als
Heimat
und
haben
überwiegend
die
deutsche
Staatsbürgerschaft erworben. Sie verstehen sich als Deutsche bzw. als Deutsche
türkischer Herkunft. Obwohl sie mit Problemen wie „Identitätsproblematik“ oder
„Kulturkonflikt“ vertraut sind, haben sie sich nicht in den Vordergrund gedrängt. Ihre
Literatur konzentriert sich vor allem auf die Lebensart der deutschen und der türkischen
Gesellschaft und sie verfassen häufigst autobiographische Werke und Erinnerungen,
indem sie auch gegen die Religion und patriarische Herrschaft Kritik ausüben, bzw. sie
kritisieren vielmehr ihre Landesleute, die sich immer noch nicht der deutschen Kultur
angepasst haben.
5
Der krasseste Unterschied zwischen den ersten zwei Generationen und der dritten ist der
folgende; Statt die fremde Kultur als ein Problem zu sehen und die eigene und die
fremde Kultur gegeneinander zu stellen, verweist die dritte Generation auf Harmonie
und Schönheit der Unterschiede beider Kulturen. Die Angehörigen der dritten
Generation vertreten eine „Zwischenkultur“ und haben eine Kulturverbindung und
damit eine neue Sprache geschaffen, die auch das Interesse der Deutschen auf sich
gezogen hat. Darüber hinaus eröffnete sich für die Deutschen die Möglichkeit, in der
Literatur der Migranten dieser Generation die eigene Kultur aus einer anderen
Perspektive betrachten zu können. Ein anderes charakteristisches Merkmal der Literatur
der dritten Generation ist die Beschäftigung mit Themen wie der Sexualität, die für die
ersten beiden Generationen vielmehr verschleiert waren1 und ironisch-humoristische
Züge tragen. Als eine typische Vertreterin der Literatur der dritten Generation gilt
Emine Sevgi Özdamar, in deren Werken all jene Besonderheiten zum Ausdruck
kommen, die bereits erwähnt worden sind.
Aus soziologischer Sicht haben die MigrantInnen eine völlig neue literarische Strömung
geschaffen,
um
Probleme
wie
„Migration“,
„Identität“,
„Herkunft“
und
„Multikulturalität“ hervorzuheben. Diese „Kanak Attak“ genannte Strömung hat nicht
nur die gesellschaftlichen Probleme der MigrantInnen thematisiert, sondern auch neue
sprachliche Formen entwickelt, die weder deutsch noch türkisch sind. Dieses
Sprachverhalten wird von den Wissenschaftlern als soziologisch bedingte Reaktion
bzw. Gegenbewegung gesehen.
1.1. Zielsetzung
Die Methodik des DaF-Unterrichts hat eine lange Tradition, die in Deutschland bis zu
den 1970er Jahren zurückreicht. Dagegen hat sie in der Türkei eine relativ jüngere
Geschichte. Obwohl in den 60er und 70er Jahren in Deutschland wissenschaftliche
methodisch-didaktische Forschungen angestellt worden sind, waren diese nicht auf
fremd– bzw. interkulturelle Erfahrungen orientiert. In den 80er Jahren hat man in
Deutschland angefangen, die fremdkulturelle Perspektive als Lernziel im DaFUnterricht zu betrachten (siehe dazu: Berberoğlu, 1995; 15). Die Betonung der
Kulturdifferenzen und Anpassungsschwierigkeiten in den deutschen Schulbüchern
1
Ausnahmen gab es trotzdem wie z.B. bei Aras Ören “Eine seltsame Ehe”.
6
(Brunner, 2004; 71) weckte ein großes Interesse an Themen der MigrantInnen und an
ihrer Literatur.
Interkulturelles Lernen bedeutet, das Eigene mit dem Fremden zu vergleichen, die
auftretenden Vorurteile und Stereotypen zur Diskussion zu stellen, ihre Gründe zu
analysieren und schließlich Wege zu ihrer Überwindung zu finden. Über die kulturellen
Unterschiede nachzudenken hat daher schrittweise an Bedeutung gewonnen.
Obwohl die Migration nach Deutschland in den 50er Jahren angefangen hat, sind die
ersten wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit der Migrantenliteratur befassen, erst in
den 80er Jahren entstanden (für weitere Hinweise siehe:
Lange, 1996; 3). In den
gleichen Jahren erschienen Arbeiten von Wissenschaftlern aus dem Bereich der
interkulturellen Pädagogik. Nach Lange haben diese Wissenschaftler aufzuzeigen
versucht,
dass Migrationsliteratur – da in ihr Erfahrungen der Migration aus
der Perspektive der Betroffenen verarbeitet werden – für die
Absichten und Ziele des interkulturellen Lernens „brauchbar“ sei
(Lange, 1996; 3),
und sie haben dazu verschiedene Didaktisierungsvorschläge entworfen.
Norbert Hopster ist einer der ersten, die in ihrer literaturdidaktischen Konzeption mit
interkultureller Prägung von der Migrantenliteratur ausgehen. Nach Rösch (1992; 60)
sei Migrantenliteratur nicht der einzige Lehr– und Lerngegenstand einer interkulturellen
Didaktik, aber sie sei einer, der bislang noch ungenügend berücksichtigt wurde.
Im Bereich der interkulturellen Pädagogik erscheinen ab den 80er Jahren in den
europäischen Ländern viele wissenschaftliche Arbeiten und Symposien, die
kulturspezifisch sind und sich auf das interkulturelle Lernen beziehen. Erwähnenswert
sind vor allem die Arbeiten von Heidi Rösch, Dieter Horn, Andrea Zilke und Paraschos
Berberoğlu.
In der Türkei gibt es ebenfalls Literaturwissenschaftler, die schon im Bereich der
Migration unterschiedliche Arbeiten in Angriff nahmen. In ihren Arbeiten
konzentrierten sie sich aber besonders auf die politischen Hintergründe der
Arbeitsmigration und auf ihre Reflektion in der Literatur. Die wissenschaftlichen
Arbeiten von Yüksel Kocadoru ragen in diesem Sinne hervor. Aus seiner
Sekundärliteratur kann man folgende wichtige Themen aufzählen:
7
•
Die dritte Generation von türkischen Autoren in Deutschland – neue Wege, neue
Themen
•
Ost–westliche Ästhetik, deutschsprachige Literatur von Türken
•
Studien zum Bild der Türken und seiner Geschichte in Österreich
Untersuchungsschwerpunkte dieser Arbeiten sind:
•
die türkische Migrationsgeschichte,
•
die Literatur türkischer MigrantInnen und deren Motive.
In diesem Punkt ist auch die Arbeit von Ali Osman Öztürk „Alamanya Türküleri; Türk
Göçmen Edebiyatının Sözlü / Öncü Kolu“ zu erwähnen. Diese Arbeit hat die Lieder der
türkischen Migranten in Deutschland zum Gegenstand und bewertet die mündlichen
Werke als Vorläufer der Migrantenliteratur. Ausgehend von den Liedern, die am
Anfang
der
Migration
von den
ersten
MigrantInnen
mit
dem türkischen
Musikinstrument „Saz“ begleitet gesungen worden sind, thematisiert er die deutsch–
türkischen Beziehungen und ihre Reflektion auf die mündliche Migrantenliteratur.
Trotz vieler wissenschaftlicher Arbeiten wurde die Migrantenliteratur hinsichtlich der
interkulturellen pädagogischen Arbeiten in der Türkei bisher kaum berücksichtigt.
Daher wird in dieser Arbeit die Didaktisierungsmöglichkeit der deutschsprachigen
Literatur türkischer MigrantInnen untersucht. Da die Migrantenliteratur interkulturell
produziert wird und für den interkulturellen Lernprozess geeignet ist, konzentrieren wir
uns auf sie. Folgende Fragestellungen bilden unseren Ausgangspunkt:
•
Inwiefern
ist
der
Einsatz
von
deutschsprachiger
Literatur
türkischer
MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei interessant und erforderlich?
•
Mit welchen Lehrtechniken können die Texte erfolgreich vermittelt werden?
•
Bei der Vermittlung von welchen Lernzielen/Kompetenzen spielt die
Migrantenliteratur eine besondere Rolle?
•
Für Texte welcher Generation interessieren sich die Studierenden am meisten,
warum?
Mit der Didaktisierung der Migrantenliteratur geht in dieser Arbeit die Lehr– und
Lernperspektive einher. Wir möchten zeigen, dass die Verwendung literarischer Texte
türkischer MigrantInnen im DaF–Unterricht im Hinblick auf das interkulturelle Lernen
sinnvoll ist. Denn diese Literatur führt den Lernenden einerseits das soziale, kulturelle
und politische Leben der in Deutschland lebenden MigrantInnen vor Augen,
8
andererseits ermöglicht sie ihnen eine Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen
wie Identität, Multikulturalität, Akzeptanz sowie einen Blick auf Kultur und Probleme
der türkischen MigrantInnen und der Deutschen. Der Tatsache folgend, dass türkische
Studierende beim Erlernen der deutschen Sprache auf viele Schwierigkeiten stoßen,
kann die Migrantenliteratur beim Wecken des Interesses an der deutschen Sprache eine
bedeutende Rolle übernehmen, weil die Literatur türkischer MigrantInnen aus der Sicht
türkischsprachiger Deutschlernender vielmehr relativ einfache Strukturen hat.
1.2. Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit sucht Möglichkeiten, die deutschsprachige Literatur türkischer
MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei zu didaktisieren. Sie besteht aus fünf
Kapiteln, in denen die Migration nach Deutschland und die Migrantenliteratur aus
verschiedenen Zugangsweisen behandelt werden.
„Interkulturelles Lernen“, „multikulturelles Lernen“ und „transkulturelles Lernen“ sind
Begriffe, die in Bezug auf Soziologie, Kultur und Pädagogik große Unterschiede
aufweisen. Daher werden sie im zweiten Kapitel kontrastiv untersucht.
Das dritte Kapitel stellt die Problematik "Identität und Migration" mit dem Schwerpunkt
„türkische Einwanderer in Deutschland“ dar. In diesem Zusammenhang werden
zunächst Begriffe wie Kultur, Interkulturalität, Multikulturalität und Transkulturalität
behandelt. Auch die Ausländerpolitik der Bundesrepublik wird zur Diskussion gestellt,
um zu zeigen,
•
welche kulturelle Wandlung die türkischen MigrantInnen in einer ungefähr 45jährigen Zeitspanne durchlebt haben,
•
welche soziologischen Hintergründe in dieser Zeit eine besondere Rolle gespielt
haben und
•
was für einen Einfluss die Kommunikation auf beide Kulturen ausgeübt hat.
Im vierten Kapitel werden
•
die
Terminologiediskurse
der
Migration
seit
der
Entstehung
der
Migrantenliteratur und ihre sozialen, kulturellen und politischen Folgen deutlich
gemacht,
•
die Entstehung und Entwicklung der türkischen Migrantenliteratur sowie ihre
Formen erforscht und hiernach kurze biographische Kenntnisse über die
türkischen AutorInnen vermittelt,
9
•
schließlich
wird
ausgewählte
deutschsprachige
Literatur
türkischer
MigrantInnen verschiedener Generationen analysiert, um zu zeigen, wie der
soziokulturelle Wandel der Einwanderer im Laufe der Zeit das Thema der
Migrantenliteratur gestaltet hat.
Im fünften Kapitel wird
eine empirische
Untersuchung
zur
Didaktik
der
deutschsprachigen Literatur türkischer MigrantInnen ausgeführt, um Antworten auf die
folgenden Fragestellungen zu finden:
•
Warum ist der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer MigrantInnen
interessant und erforderlich?
•
Unter welchen Lehrtechniken kann der Einsatz der Migrantenliteratur
erfolgreich vermittelt werden?
•
Bei der Vermittlung von welchen Lernkompetenzen spielt die Migrantenliteratur
eine besondere Rolle?
Im Schlusskapitel sollen zunächst die gesammelten Erkenntnisse der ersten vier Kapitel
zusammengefasst und dann die Ergebnisse des didaktischen Teils in Zusammenhang
mit den behandelten Texten zusammentragen werden.
1.3. Zur Methode
Die Verwendung von eigen- und interkulturellen deutschsprachigen literarischen Texten
türkischer AutorInnen im DaF-Unterricht wurde hinsichtlich der interkulturellen
Pädagogik bisher kaum berücksichtigt. Deshalb hat man dafür keine eigene Methode
entwickelt; man greift diese Texte nach zuvor entwickelten literaturwissenschaftlichen
Methoden auf. Diese Tatsache macht offensichlich, dass es ein Bedarf nach einer
Methode besteht, die für die Verwendung der deutschsprachigen Literatur ausländischer
AutorInnen konstruiert ist und zu ihrer Analyse dienen kann.
In der vorliegenden Arbeit haben wir für die Didaktisierung der interkulturellen Texte
in der Türkei Lehr-/Lerntechniken entwickelt, die auf Arbeiten von drei europäischen
Wissenschaftlern basiert. Das sind Heidi Röschs „Migrationsliteratur im interkulturellen
Kontext“
(1992),
Paraschos
Berberoğlus
„Kulturerfahrung
im
Unterricht,
Migrationstexte und ihre Anwendung im DaF-Unterricht“ (1995), und Anja Langes
„Migrationsliteratur – ein Gegenstand der Interkulturellen Pädagogik?“ (1996).
10
Die vorliegende Arbeit ist pädagogisch-didaktisch angelegt und verfolgt das Ziel, die
Verwendung der Migrantenliteratur der Türken in Deutschland in Bezug auf
interkulturelle Lernprozesse im DaF-Unterricht in der Türkei auszuprobieren. Darüber
hinaus möchten wir für den Fremdsprachenlehrer in der Türkei eine neue
Unterrichtsdimension konzipieren. Diese Methode richtet sich nicht nach einer ethnisch
definierten Zielgruppe aus, sondern zielt auf türkische Studierende des Faches „Deutsch
als Fremdsprache“. In diesem Zusammenhang gewinnt die Migrantenliteratur an
Bedeutung, weil sie als Medium interkulturellen Lernens in den Vordergrund gerückt
wird (für weitere Hinweise siehe: Lange, 1996; 59).
Die Migrantenliteratur problematisiert die „gestalteten Erfahrungen“ (Rösch, 1992; 8)
der Ausländer und nimmt in diesem Sinne ihre Quellen aus der realen Welt. Sie stellt
die Interkulturalisierung, Multikulturalisierung und auch Transkulturalisierung vor, die
im interkulturellen und pädagogischen Bereich in der Türkei bisher nicht berücksichtigt
wurden, obwohl sie bei der Kulturvermittlung eine besondere Rolle spielen. Davon
ausgehend beziehen wir uns auf das Kulturvermittlungsverfahren der interkulturellen
Germanistik und der Literatursoziologie.
Die Lehrveranstaltungen fanden im Sommersemester 2009 an der Abteilung für
Deutschlehrerausbildung der Pädagogischen Fakultät der Çanakkale - Onsekiz - Mart Universität statt. Die Probanden waren Studierende der ersten Klasse.
Ein Bündel von allen Texten, die im Laufe des Semesters in den Lehrveranstaltungen
einzeln behandelt wurden, wurde in der ersten Stunde an die Studierenden verteilt. Es
handelt sich um insgesamt zehn epische und lyrische Texte von allen drei Generationen,
die
aufgrund
ihrer
Fremdsprachenunterricht
formalen
geeignet
und
sind.
inhaltlichen
Das
sind
Strukturen
nämlich
Texte,
für
die
den
die
soziokulturellen Probleme türkischer Migranten in Deutschland humoristisch, ironisch,
kritisch oder satirisch thematisieren. Sie entsprechen dem Geschmack
und den
Lesegewohnheiten unserer Studierenden sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Davon
ausgehend wird das Ziel verfolgt, die Motivation der Studierenden immer hoch und ihre
Konzentration auf den Unterricht wachzuhalten.
Vorlesen: Die Texte wurden zuerst von den Studierenden absatzweise laut vorgelesen.
Beim Lesen unterstrichen sie die unbekannten Wörter und die schwer zu erschließenden
11
Textstellen. Dabei wurde das Ziel verfolgt, die schwer verständlichen Stellen und
unbekannten Wörter zu erläutern, damit die Studierenden die Texte sprachlich und
inhaltlich als Ganzes begreifen konnten. Die Lesephase diente dazu, den Lesern den
Text verständlicher zu machen und ihn im Gedächtnis zu ordnen. Dabei bemühten sich
die Studierenden, die vorkommenden Leerstellen zu füllen, was ihre Neugier weckte.
Kommunikative Textanalyse: Nach dem Lesen äußerten die Studierenden schrittweise
ihre Gedanken über den Inhalt des Textes. Die Tatsache, dass interkulturelle Texte
Verständigungsbarrieren enthalten können, machte die Stück-für-Stück-Analyse des
Textes unentbehrlich. Der kommunikative Unterrichtsablauf brachte die Studierenden
dazu, aktiv zu sein und ihre Meinungen in freier Atmosphäre auszudrücken.
Durchführen der Lernaktivitäten: Nach spontanen Äußerungen der Studierenden, die
die Erfassung des Inhalts und der Codes des Textes gewährleisteten, wurden für jeden
Text mindestens vier Lernaktivitäten ausgeführt, um die soziale und fachliche
Kompetenz der Studierenden zu fördern. Es gab außerdem einige Lernaktivitäten, die
auf Produktionsorientiertem Unterricht beruhten. Die Aufgabe, aus einem Text einen
neuen Text mit gleichem Inhalt und gleicher Problematik zu produzieren, hat die
Studierenden zur Kreativität und auch zur Zusammenarbeit ermutigt und sie außerdem
dazu geführt, zwischen zwei Texten bzw. zwischen zwei Kulturen hin und her zu
pendeln.
Vorher haben wir den Studierenden eine kurze Information über interkulturelles,
multikulturelles und transkulturelles Lernen vermittelt und auch erzählt, was Vorurteile
und Stereotyp sind. Ausgehend von der Frage, wie man die gegenseitigen Vorurteile
abbauen könne, wurden diverse Lernaktivitäten durchgeführt, die den Studierenden
Gelegenheit boten, die Vorurteile und Stereotypen in den Texten zu finden, zu
interpretieren und in der Klasse vorzuspielen. Wir konnten feststellen, dass diese
Lernaktivitäten die Identifikation der Studierenden mit den Deutschen erleichtern. Da
sie sich in die Position anderer zu versetzen lernen, erkennen sie die kulturellen
Unterschiede leichter. Außerdem können wir mit den Studierenden Begriffe wie z.B.
Fremdbild, Eigenbild, Rassismus etc. diskutieren. Sie handeln im Sinne des
interkulturellen Lernens solidarisch und lernen somit dass ursprünglich/prinzipiell alle
Kulturen gleichwertig sind.
12
Auswertung: In der nächsten Phase haben wir die Unterrichtsabläufe ausgewertet und
versucht, die jeweilige Reaktion der Studierenden auf die Themen und auf den
Unterrichtsablauf einzeln zu interpretieren und zu einer allgemeinen Bewertung zu
gelangen. In dieser Phase wurden ihre Motivation, ihre Teilnahme am Unterricht und
ihre Annäherung an interkulturelle Situationen schrittweise bewertet.
Die mündlichen und schriftlichen Aussagen der Studierenden wurden nach der
qualitativen Methode ausgewertet. Wir haben den Unterrichtablauf jeweils auf Tonband
gespeichert, danach die Äußerungen transkribiert und in Form von Notizen festgehalten.
Von den gestellten Fragen ausgehend wurde zuerst jede Aussage inhaltlich geordnet
und danach stichwortartig interpretiert. Die Antworten haben wir unter den Untertiteln
„Analyse“, „Lernaktivitäten“ und „Auswertung des Unterrichtsablaufs“ klassifiziert.
Einige davon wurden in tabellarischer Übersicht gezeigt, einige Antworten wurden
jedoch in den Text der vorliegenden Arbeit eingearbeitet. Alle Texte wurden nach dem
gleichen Unterrichtsmodell, aber mit diversen Lernaktivitäten behandelt und unter dem
Haupttitel „Die Texte der deutschsprachigen türkischen MigrantInnen im DaFUnterricht“ gesammelt.
Bei der Textanalyse haben wir anstelle einer werkimmanenten Betrachtungsweise die
Rezeptionsästhetik als Ausgangsbasis gewählt. Von der Tatsache ausgehend, dass kein
Text eine festgelegte Bedeutung hat, berücksichtigten wir bei der Textanalyse die
fundamentale Erkenntnis der Rezeptionsästhetik, dass die Bedeutung eines Textes erst
im Zusammenspiel von Wortlaut und Leser hergestellt wird (siehe dazu: Lange, 1996;
60). Rezeptionsästhetik, deren Perspektive sich den Leser als Adressaten eines
literarischen Textes zum Ziel setzt, will die Wechselwirkungen zwischen politischen,
gesellschaftlichen und sozialen Ereignissen und ihrer Bedeutung aufdecken. In diesem
Zusammenhang haben die Studierenden alle zehn Texte nach der Rezeptionsästhetik
analysiert, indem sie die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Ereignisse der
Migrationsgeschichte in Betracht zogen.
13
ZWEITER TEIL
INTER-/MULTI-/TRANSKULTURELLES LERNEN IM DAF-UNTERRICHT
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die deutsche Regierung mit den westlichen Ländern
Verträge abgeschlossen, um dem Mangel an Arbeitskräften abzuhelfen. Ab 1960 kamen
die ersten Arbeitsemigranten nach Deutschland; so begann man im Hinblick auf die
Erziehung und die Pädagogik neue Begriffe zu diskutieren. Interkulturelles Lernen,
interkulturelle Erziehung und Multikulturalität waren einige der Begriffe, die wichtig
wurden (für weitere Hinweise siehe: Berberoğlu, 1995; 21).
Es ist von Bedeutung, in diesem Punkt die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede
zwischen den Begriffen „Interkulturell“ und „Multikulturell“ festzuhalten.
Mit „interkulturell“ werden diverse Forschungsrichtungen sowie
Forschungsinteressen
bezeichnet.
Während
der
Begriff
„multikulturell“, der [in] Konkurrenz zum Begriff „interkulturell“
steht und deskriptiv der „Beschreibung und Analyse eines realen
Phänomens in der sozialen Wirklichkeit“ dient, befindet sich
„interkulturell“ eher im Zusammenhang mit der Bezeichnung eines
pädagogischen
Konzepts,
mit
Hilfe
dessen
die
Erziehungswissenschaft auf die Dissonanzen der multikulturellen
Gesellschaft Antworten gibt (Berberoğlu, 1995; 21).
Die beiden Ableitungen haben denselben Stamm; der Unterschied ergibt sich aus den
Präfixen "multi-" und "inter-" und den beiden Begriffen zugesprochenen Denotationen
und Konnotationen. Während der Begriff „multikulturell“ seinen Ursprung aus der
sozialen Wirklichkeit nimmt und auf dem Zusammenleben der Menschen aus
unterschiedlichen Kulturen am gleichen Ort beruht, gewinnt der Begriff „interkulturell“
im pädagogischen Bereich an Bedeutung. Davon ausgehend kann man sagen, dass der
Begriff „multikulturell“ sich auf die Migration ab den 60er Jahren bezieht.
Der Europarat definiert die Begriffe „multikulturell“ als
Faktum der wachsenden Vielfalt der Kulturen und ethnischen Gruppen
in einer Gesellschaft“ und „interkulturell“ als „den Prozess aktiver
Kommunikation
und
Interaktion
zwischen
den
nebeneinander
existierenden kulturellen Gruppen einer Gesellschaft zum Ziel der
14
wechselseitigen
Auseinandersetzung,
Verständigung
und
Bereicherung“ (siehe dazu: Berberoğlu, 1995; 24).
Auch Vancea stellt eine ähnliche Definition auf, die im Hinblick auf die Multikulturalität
eine Zielvorstellung benennt:
Ein auf Toleranz und wechselseitiger Anerkennung basierendes
Zusammenleben divergenter Bevölkerungsgruppen (Vancea, 2008;
15).
Über diese beiden Definitionen hinaus sieht man, dass der Begriff „multikulturell“ auf
die ethnischen Gruppen in einer Gesellschaft und der Begriff „interkulturell“ auf die
Kommunikation dieser Gruppen beruhen.
Nach der Migration haben viele ethnische Gruppen in Deutschland zusammengelebt, die
am Anfang einander fremd waren. Das war eine günstige Atmosphäre für zusätzliche
kulturelle Probleme. Deshalb wurde der Begriff „interkulturelles Lernen“ im
Erziehungsbereich als ein Mittel zur gegenseitigen Verständigung, zu Toleranz und
Akzeptanz gesehen und zu dem Lehrplan der deutschen Schulen, Gymnasien und
Universitäten als zugehörig verstanden. Vancia betont in diesem Sinn die Bedeutung der
interkulturellen Kommunikation und der Bildung im Erziehungsbereich, indem sie
darlegt:
Zu interkultureller Kommunikation und Bildung gehören auch
Schreib– und Lesarten, die eine dialogische Annäherung der Kulturen
und Verflechtung verschiedener Perspektiven in Aussicht stellen
(Vancea, 2008; 1).
Grundsätzliches Ziel dieser Ansätze ist es, die Vermittlung der interkulturellen
Informationen
in
der
multikulturellen
Gesellschaft
zu
schaffen,
gegenseitige
Duldsamkeit, Anerkennung und Akzeptanz bei den Schülern und Studierenden zu leisten
und gegenseitiges Verständnis zu erleichtern. Somit werden schließlich kulturspezifische
Verhaltensweisen der Schüler und der Studierenden sensibilisiert (für weitere Hinweise
siehe: Berberoğlu, 1995; 22 ff). Vancea sagt dazu:
Interkulturalität im Sinne von wechselseitigen kulturellen Beziehungen
macht ein Wissen über das Eigene als kulturelles Selbstbild sowie ein
Wissen über den Anderen als Fremdkultur erforderlich (Vancea, 2008;
19).
15
Außerdem würden die Studierenden durch das interkulturelle Lernen befähigt, von der
Diskriminierung fremder Studierender in ihrer Klasse abzurücken und sich solches auch
in ihrem Freundeskreis abzugewöhnen, um damit den „Ethnozentrismus abzubauen“
(Berberoğlu, 1995; 28). Sie werden das auch gelernt haben, weil es zu den
Traditionslinien der deutschsprachigen AutorInnen früherer Epochen gehört, sich zu
Phänomenen wie Ethnozentrismus, Nationalismus und Kosmopolitismus zu äußern.
Viele haben daran mit ihren Werken mitgewirkt (siehe dazu: Vancea, 2008; 10). Um mit
Vancia zu sprechen,
können historische Parallelen ein erhellendes Licht auf aktuelle
Fragen und Debatten zur Interkulturalität, Toleranz, kulturellen
Identität und zum kollektiven Gedächtnis werfen (Vancea, 2008; 11).
Deshalb ist es von Bedeutung, Strategien für die Thematisierung und die Überwindung
von Ethnozentrismus zu entwickeln und den auf die Migration beruhenden
Fremdsprachenunterricht nach diesen Strategien durchzuführen. Den Rassismus und den
Ethnozentrismus mit kritischen Fragen aufzugreifen und zu thematisieren, spielt bei der
Überwindung von Ethnozentrismus eine große Rolle. Das Gegenteil schürt die
ethnischen Gefühle der
Studierenden.
Ohne sich
mit
dem Rassismus und
Ethnozentrismus kritisch auseinanderzusetzen, würde man diese empfindlichen Punkte
mit einer multikulturellen Perspektive vergleichweise aufgreifen; denn die interkulturelle
Germanistik
analysiert und didaktisiert das Eigene nicht aus interkultureller,
sondern aus fremd- oder auch multikultureller Perspektive, das heißt
für fremdkulturelle LeserInnen und LernerInnen des Deutschen als
Fremdsprache und als fremde Literatur (Rösch, 1992; 69).
In diesem Sinn spielt Interkulturalität bei der Überwindung des Ethnozentrismus eine
wichtige Rolle, indem sie den fremdkulturellen Menschen einen neuen Raum mit
Empathie und Toleranz eröffnet. In diesem Sinn wird der Focus erweitert und manche
Werte werden reflektiert, wieweit man das Bild des Fremden in die eigene Welt
aufnehmen möchte. In gleicher Richtung betont auch Alois Wierlacher, dass es der
Interkulturellen Germanistik nicht um das Eindringen in deutsch–europäisches Denken
gehe, sondern um die Berücksichtigung multikultureller Perspektiven, bezogen auf
deutschsprachige Texte, und um ein Miteinanderverstehen, das Selbstverstehen
einschließt (Rösch, 1992; 69). In diesem Zusammenhang ist das Ziel des interkulturellen
Lernens durch multikulturelle Perspektiven zu erreichen.
16
Interkulturelles Lernen im DaF-Unterricht realisieren zu können, ist abhängig von
einigen Kriterien, die sowohl die Lehrkräfte in den Universitäten und ihre Fähigkeiten als
auch die gewählten Methoden betreffen. Berberoğlu greift diese Kriterien in drei
Bereichen auf; das sind
•
eine offene sowie kreative Haltung,
•
die Kenntnis der diversen Kulturen, die in den Schulen repräsentiert sind, und
•
die Verfügbarkeit adäquater pädagogischer sowie didaktischer Hilfsmittel (siehe
dazu: Berberoğlu, 1995; 24).
Diese drei Bereiche sind abhängig von den Lehrenden, die bei der Auswahl der
Lehrmaterialien die Situation und die Erwartungen der Lernenden berücksichtigen
müssen, damit interkulturelles Lernen sein Ziel erreichen kann. Außerdem spielen die
weiteren mit dem Thema des Unterrichts übereinstimmenden Lernaktivitäten eine
besondere Rolle. Der Lehrende soll zuerst über den Text hinaus im Hinblick auf das
interkulturelle Lernkonzept passende Lernaktivitäten bestimmen und sie lernerzentriert
durchführen. Bei diesen Lernaktivitäten soll es um Gegenstände der MigrantInnen bzw.
um ihre Lebensweise und ihre Kommunikation mit den Fremden gehen.
Der
Tatsache
folgend,
dass die
Zielgruppe Studierende der
Abteilung
für
Deutschlehrerausbildung sind, sollen sich die Lernaktivitäten in interkultureller Richtung
entwickeln. Die Analyse der gewählten Texte spielt dabei eine besondere Rolle, weil sie
interkulturell produziert wurden und daher ein großes interkulturelles Potential enthalten.
Dieses Potential ist für den interkulturellen Lernprozess geeignet und macht das
interkulturelle Lernen interessant (siehe dazu:
Lange, 1996; 84). Dafür kann man
unterschiedliche Materialien in Gebrauch nehmen, die Dokumente über Kultur und
Migration benutzen; zu diesem Zweck kann man aber auch Plakate vorbereiten.
In einem interkulturell orientierten Unterricht ist es unvermeidlich, über die ethnischen
und sozialen Differenzen der Kulturen zu sprechen. Wenn wir uns vor Augen halten,
dass die Unterrichtsmaterialien Texte der türkischen MigrantInnen in Deutschland sind,
geht es im Unterricht um den Vergleich der türkischen und der deutschen Kultur, ohne
die grundsätzliche Gleichwertigkeit dieser Kulturen zu vergessen.
Das Bild einer unterdrückten, ungebildeten islamischen Frau
konstruiert auf der anderen Seite das Bild einer emanzipierten,
gebildeten christlichen Frau. Um diese Gegenpole deutlich zu machen,
spricht
Traugott
Schöfthaler
von
bi–logischem
Denken
17
beziehungsweise der bi-kulturellen und bi-kognotiven Erziehung, die
das „Fremde“ mit dem „Eigenen“ zu verbinden versucht (Rösch,
1992; 45).
Um mit Schöfthaler zu sprechen, ist beim interkulturellen Lernen ein Kulturvergleich
unentbehrlich, weil jede Interpretation einer fremden Kultur auch eine Aussage über die
eigene Kultur enthält (siehe in:
Rösch, 1992; 45). In dieser Hinsicht dient das
interkulturelle Lernen dazu, die kulturellen Unterschiede dank der Empathie als
Normalfall zu sehen.
Die Interaktion zwischen der deutschen und der türkischen Kultur im interkulturell
orientierten Unterricht macht das Lernen multikulturell. In diesem Zusammenhang kann
man sich vorstellen, dass Migrationstexte jene Produkte sind, die das interkulturelle und
auch das multikulturelle Lernen tatsächlich fördern. Rösch macht für die Migrationstexte
deutlich, dass nicht ihre Kulturspezifik, sondern ihr interkulturelles Potential sie für
interkulturelles Lernen so bedeutsam macht (Rösch, 1992; 47).
Neben dem inter– und multikulturellen Lernen kann man auch von einem
transkulturellen Lernen im DaF–Unterricht sprechen. Transkulturalität, die mit der
Interkulturalität eng verbunden ist, bedeutet nicht nur einen Kontakt zwischen den
fremden Kulturen, sondern auch gegenseitiges Übernehmen fremdkultureller Elemente,
die auf möglichen Gemeinsamkeiten beruhen. In Verbindung mit dem DaF–Unterricht
wurde der Begriff Transkulturalität von Rolf Ehnert auf DaF bezogen,
der
ihn
im
Zusammenhang
mit
der
Geschichte
der
Fremdsprachenlehrmethoden als Bezeichnung der neusten Strömung
in der DaF-Didaktik nach der „Kommunikativen Methode“ unter dem
Begriff
„Transkultureller
Kommunikationsansatz“
verwendet
(Mairose-Parovsky, 1997; 78).
Die Zielrichtung des DaF–Unterrichts gründet sich in diesem Sinn nicht mehr nur auf
kommunikative und/oder interkulturelle, sondern auf transkulturelle Kompetenz, wobei
die Studierenden dazu gefördert werden, Einverständnis für eine fremde Kultur zu haben
und dadurch den Fremdheitsgedanken abzubauen. Hier ist die Rede von „transkulturellen
Synergie-Effekten“, die
durch das Zusammenwirken von sprachlichen, sozialen und
interkulturellen Verhaltensweisen in echten Begegnungssituationen
18
zustande kommen. Echte Begegnungssituationen sind nach dem hier
vertretenen Ansatz die Phasen des multikulturellen Lernens, in denen
pädagogische Aktionspraktiken – von Interaktionsspielen bis zu
Rollenspielen – zum Einsatz kommen (Mairose-Parovsky, 1997; 79).
Davon ausgehend, dass die Transkulturalität anstelle von Kulturkonfrontation eine
Kulturintegration bedeutet (Mairose-Parovsky, 1997; 80), verwandelt die interkulturelle
Kommunikation sich schrittweise in einen Prozess, der zur Integration von Fremd– und
Eigenwahrnehmung führt.
In den „Stuttgarter Thesen zur Rolle der Landeskunde im Französischunterricht“, die
1982 erschienen, betonte man die Rolle der transkulturellen Kommunikationsfähigkeit
und in diesem Zusammenhang die Untrennbarkeit der Fremdsprache und Landeskunde
sowie der Forderung nach Beschäftigung mit mehreren Kulturen (für weitere Hinweise
dazu siehe; Mairose-Parovsky, 1997; 78).
19
DRITTER TEIL
SOZIOLOGIE UND KULTUR DER TÜRKISCHEN MIGRANTEN
Dieser Teil der Arbeit enthält den theoretischen Hintergrund unserer weiteren
Argumentation und basiert auf die Darstellung der Problematik "Identität und
Migration"
mit
dem
Untersuchungsschwerpunkt
„Türkische
Einwanderer
in
Deutschland“. In diesem Zusammenhang werden Begriffe wie kulturelle Unterschiede,
Akzeptanz,
Integration,
Assimilation,
Identität
bzw.
Identitätsproblematik,
Multikulturalität, Kulturaustausch, Interkulturelle Kommunikation etc. behandelt.
Außerdem soll in diesem Teil untersucht werden,
•
welche kulturelle Wandlung die türkischen MigrantInnen in einer ungefähr
45jährigen Zeitspanne durchlebt haben,
•
welche soziologischen Hintergründe in dieser Wandlung eine besondere Rolle
gespielt haben und
•
was für einen Einfluss die Kommunikation auf beide Kulturen ausgeübt hat.
Dabei wird zum einen auf Wechselwirkungen zwischen Kulturen, gesellschaftlichen
Ordnungen und Mentalitäten bei radikalem Wandel2 eingegangen, zum anderen wird
die These verfolgt, dass sich die Eigenwahrnehmung bzw. das Identitätsverständnis
türkischer Einwanderer von Generation zu Generation verändert
3.1. Literatur und Soziologie
Soziologie ist eine
Wissenschaft, Lehre vom Zusammenleben der Menschen in einer
Gemeinschaft oder Gesellschaft, von den Erscheinungsformen,
Entwicklungen und Gesetzmäßigkeiten gesellschaftlichen Lebens
(Duden, 1983; 1117).
Davon
ausgehend,
dass
die
Literatur
eine
künstlerische
Erscheinung
des
gesellschaftlichen Zusammenlebens ist, wird die Verflechtung zwischen Literatur und
Soziologie erklärungsbedürftig. Dies ist außerdem fürs Verstehen der Begriffe Kultur,
Interkulturalität, Multikulturalität, Transkulturalität und ihrer Relation zur Literatur
relevant.
2
insbesondere mit dem Aspekt der Kommunikation über Werte, Gewalt sowie Menschenwürde
20
Die erläuternde Funktion der Literatur ist ihr erster Verflechtungspunkt mit der
Soziologie, wobei die konkreten und bildhaften Beschreibungen der soziologisch
gesehenen Erlebnisse und ihre Reflektion auf die Gesellschaft eine wichtige Rolle
spielen. Wichtig scheint es uns, in Bezug auf Soziologie darzustellen, wie literarische
Beschreibungen die Leser an die Erlebniswelt heranführen und ihr Interesse daran
wecken:
Literatur kann in einem illustrativen Sinne verwendet werden, um
soziologisch
bedeutsame
Themen
und
Phänomene
zu
veranschaulichen (Kuzmics, Mozetic, 2003; 26).
In diesem Zitat betont man die analytische Beschreibung der sozialen Welt mittels
Literatur, deren Bedeutung von der Soziologie abhängt, weil Literatur unmittelbar die
Welt der Menschen bzw. die soziologischen Themen bearbeitet:
Wichtige
soziologische
Untersuchungsfelder
und
Konzeptualisierungen, von der Kultur über die Schichtung bis zur
Bürokratie, von Jugend über Macht bis zur Anomie werden durch
literarische Texte aufgearbeitet (Kuzmics, Mozetic, 2003; 26).
Ebenfalls sieht man Literatur als eine Quelle des Verstehens historischer und sozialer
Zusammenhänge. Obschon manche Dokumente aus der Hitler-Zeit, die die sozialen
Ereignisse jener Zeit erläutern, am Ende des Zweiten Weltkrieges von den Nazis
vernichtet wurden, kann man der Literatur der jeweiligen AutorInnen viele
Informationen über diese Ereignisse entnehmen. In ähnlicher Weise sprechen Kuzmics
und Mozetic von der Literatur,
aus der man eine ganze Menge über die Sklaverei in Amerika erfahren
kann; selbst wenn andere Quellen über die Sklaverei fehlten, wüssten
wir über sie aus Romanen nicht wenig (Kuzmics, Mozetic, 2003; 30).
Wenn man literarische Werke in diesem Sinne bewertet, reflektiert diese Literatur eine
Zeitanalyse, die all die soziokulturellen und politischen Situationen jener Zeit kenntlich
macht. Dementsprechend versteht man die wechselseitige Verflechtung zwischen
Literatur und Soziologie.
Man kann wichtigen Themen der Soziologie wie z.B. Macht, Konflikt, Entfremdung,
Identität etc. in der Literatur jeder Zeit begegnen. Darüber hinaus wird in den folgenden
Teilen der Arbeit die Literatur der türkischen MigrantInnen in Deutschland analysiert,
21
um den Sprach– und Kulturwechsel durch Migration bzw. den soziokulturellen Wandel
zu erläutern.
3.2. Kultur, Interkulturalität, Multikulturalität und Transkulturalität
Zum besseren Verstehen des Lebens der Türken in Deutschland und ihrer
Verhaltensweisen in der deutschen Gesellschaft werden wir in diesem Teil den Begriff
„Kultur“ einzelheitlich erläutern.
Im weiteren Sinne umfasst Kultur alles, was menschlich ist. Deshalb wäre es äußerst
unangebracht, ihn nur mit einigen Worten zu streifen. Das Wort „Kultur“ stammt aus
dem lateinischen „cultura“ und bedeutet Landbau bzw. Erde bearbeiten (Wahrig, 2000;
787), was uns eindeutig zeigt, dass dieser Begriff in Relation zu fundamentalen
Tätigkeiten des Menschen auf der Welt steht. Diese Tätigkeiten zeigen nach
geographischen und sozialen Eigenschaften der Regionen große Unterschiede, die sich
in Sprache, Religion, Musik, Kleidung, Erscheinungsbild und Leben ausdrücken,
welche die verschiedenen Kulturgruppen charakterisieren. In diesem Zusammenhang
definiert Lintfert die Kultur als
die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen und sozialen Lebensweise
einer Gruppe, Gemeinschaft oder einer ethnischen Volksgruppe
(Linfert, 1998; 9).
Kulturgruppen erhalten mithin eigenkulturelle, traditionelle Elemente, die in
verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Bedeutungen tragen. In diesem Sinne
erklärt
man
den
Begriff
„Interkulturalität“
(„inter“
bedeutet
„miteinander/untereinander“) als Begegnung verschiedener Kulturen am gleichen Ort:
Das
Konzept
der
Interkulturalität,
das
die
Prozesse
der
Kulturbegegnungen und- verflechtungen beschreibt, geht von einer
dynamischen Interaktion der Kulturen aus und nimmt sich als Ziele die
Gleichberechtigung, die Wahrung von Eigenarten sowie den friedlichen
Konsens zur Lösung von Konflikten vor (Vancea, 2008; 18).
In diesem Zusammenhang weist der Begriff auf die neuen soziokulturellen Phänomenen
im Zeitalter der Migration hin, in dem sich die Menschen aus unterschiedlichen
Kulturen untereinander begegnen und in interkulturellen Kontakt treten. Ohne weiteres
kann man sagen, dass Interkulturalität ihren Ursprung im Kontakt des fremdkulturellen
22
Menschen mit seiner Umgebung hat. Ebenfalls erläutert Vancea diesen Begriff
vergleichend mit der Multikulturalität und der Transkulturalität:
Während Multikulturalität das Nebeneinander der Kulturen, die
Transkulturalität die Übernahme von fremden Kulturelementen
bezeichnet,
nimmt
die
Interkulturalität
auf
die
zunehmende
Vernetzung von Kulturen Bezug sowie auf die Erkenntnis, dass diese
im Austausch stehen und sich gegenseitig beeinflussen (Vancea, 2008;
19).
Über dieses Zitat hinaus kann man behaupten, dass Kulturelemente, die stets
miteinander korrespondieren und sich gegenseitig beeinflussen, auf gegenseitiger
Verständigung beruhen und den Begriff „Toleranz“ vorbedingen. Unter Toleranz
versteht man Respekt, Akzeptanz und Anerkennung der unterschiedlichen Kulturen in
unserer Welt. Somit ist Toleranz nicht nur eine staatliche Praxis, die auf einer
juristischen Ebene angesiedelt ist, sondern auch eine individuelle Tugend, die sowohl
von Personen wie auch von Gruppen und der Gesellschaft selbst praktiziert wird und die
Lösung von Konflikten ermöglicht (siehe: Vancea, 2008; 21ff).
Während Interkulturalität – wie bereits dargestellt– auf dem Kontakt der Völkergruppen
untereinander
basiert,
bildet
das
Zusammenleben
der
fremdkulturellen
Bevölkerungsgruppen den Ausgangspunkt der Multikulturalität. In Verbindung mit
dieser Definition betrachtet Vancea die Multikulturalität als „Vielvölkergesellschaft“
(Vancea, 2008; 15). Dagegen bedeutet Transkulturalität, die mit der Interkulturalität eng
zusammenhängt, nicht nur einen Kontakt zwischen den fremden Kulturen, sondern
gegenseitiges
Übernehmen
fremdkultureller
Gemeinsamkeiten beruhen. Ebenfalls definiert
Elemente,
die
auf
möglichen
Mairose-Parovsky den Begriff
Transkulturalität als Kulturintegration anstelle von Kulturkonfrontation (MairoseParovsky, 1997; 80).
3.3. Türken in Deutschland
Der Zweite Weltkrieg hat in der politischen, kulturellen und sozialen Geschichte
Deutschlands eine ganz neue, aber auch sehr problematische Seite geöffnet. Die
deutsche Bevölkerung, die Not und Leiden des Krieges unmittelbar erlebt hat und seine
abträglichen Folgen lange Zeit nach Kriegsschluss zu ertragen hatte, sah sich nach dem
Krieg mit einem neuen sozialen Problem konfrontiert; Arbeitermigration. Um das
23
zerstörte Land wieder aufbauen zu können, hat die Bundesrepublik Deutschland in den
50er Jahren mit einigen europäischen Ländern Anwerbeverträge abgeschlossen, welche
die Folge hatten, dass viele Gastarbeiter nach Deutschland kamen.
Migration aus europäischen Ländern wie Italien und Spanien bildete für die Deutschen
deshalb kein großes Problem, weil diese Länder in hohem Maße ein ähnliches, teilweise
auch gemeinsames Kulturerbe haben. Der Strom einer großen Menge von türkischen
Arbeitern, die anfangs gutgeheißen wurden, hat im Laufe der Jahre die Ängste vor
ökonomischer und sozialer Konkurrenz, aber vor allem vor kultureller Überfremdung
mit sich gebracht, weil die Türken im Jahre 1987 mit 31,8% und die Jugoslawen mit
13,1% die höchsten Anteile an den Ausländern in der Bundesrepublik stellten (Esser,
Friedrich, 1990; 11).
3.3.1. Ausländerpolitik
Die migrationsbedingten Veränderungsprozesse haben die soziokulturelle und
wirtschaftliche Struktur Deutschlands tief verändert und zugleich die kulturellen
Überfremdungsängste geschürt. Dadurch gewann die interkulturelle Kommunikation an
Bedeutung.
Mit der Zeit ist die Bundesrepublik zweifellos zu einem Einwanderungsland geworden,
ohne dass Politik und Bevölkerung hieraus die Konsequenzen gezogen hätten (Esser,
Friedrich, 1990; 12). Parallel zu den migrationspolitischen Entscheidungen der
Bundesrepublik hat sich auch die soziokulturelle Situation des Landes geändert. Um die
Politik der Bundesrepublik und den soziokulturellen Wandel beider Gesellschafen
aufeinander beziehen und sich diese Relation konkret vorstellen zu können, möchten
wir zuerst einen stichwortartigen Überblick über die Ausländerpolitik der BRD bieten.
Dass die ArbeitsmigrantInnen in die Bundesrepublik gekommen waren, war
entscheidend eine Reaktion auf die wirtschaftliche, soziale und politische Situation in
den Herkunftsländern und auf den wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik
(Lange, 1996; 9). Das Kommen der ArbeitsmigrantInnen in die Bundesrepublik hatte
politische, soziale und wirtschaftliche Gründe seitens der Herkunftsländer und der
Bundesrepublik. Während es in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg in
24
bestimmten Bereichen Arbeitskräftemangel gab, herrschte in der Türkei eine große
Arbeitslosigkeit, welche die Türken zur Migration zwang.
Die Migration nach Deutschland umfasst eine etwa 55-jährige Zeitspanne; in diesem
Prozess entwickelte sich die Ausländerpolitik der BRD in fünf Phasen (siehe: Lange,
1996, 9 ff und Yano, 2007; 2).
1. Phase von 1953 bis 1973: Anwerbephase oder Gastarbeiterperiode. Diese Phase
fängt mit der ersten deutsch-italienischen Vereinbarung an und dauert bis zum
Anwerbestopp am 23.11.1973. Deshalb bezeichnet man diese Phase auch als
Anwerbephase. In dieser Phase wurden außer mit Italien auch mit vielen
anderen Ländern Verträge abgeschlossen;
mit Griechenland und Spanien
(1960), mit Portugal (1964), mit Tunesien und Marokko (1965) und mit
Jugoslawien
(1968).
Ziel
dieser
Vereinbarungen
war
es,
den
Arbeitskräftemangel in der Bundesrepublik zu beheben und den wirtschaftlichen
Aufschwung zu unterstützen. In diesem Prozess hat die Bundesregierung
unterschiedliche Maßnahmen getroffen, um die Arbeitsbedingungen der
Gastarbeiter
zu
verbessern.
Trotz
dieser
Maßnahmen
waren
die
Arbeitsbedingungen in den 60er Jahren schlecht (siehe: Lange, 1996; 10). Die
sich ziemlich schnell entwickelnde deutsche Industrie zeigte eindeutig, dass die
Bundesrepublik ihr Ziel in kurzer Zeit erreichte. Dagegen trat schrittweise ein
soziales Problem hervor, das vom Dauerzustand der Gastarbeiter in Deutschland
herrührte.
2. Phase von 1973 bis 1979; Rückkehrförderung. Diese Phase wird durch die
„Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung“ gekennzeichnet (Yano, 2007; 5).
In dieser Phase hat man sich darum bemüht, die Arbeitermigration unter
Kontrolle zu bekommen und somit die Zuwanderung zu begrenzen. Deshalb
wurden die Gastarbeiter zur Rückkehr angeregt. Aber die Migration nach
Deutschland nahm stetig zu, wobei der Familiennachzug der ausländischen
Arbeiter eine große Rolle spielte.
3. Phase von 1979 bis 1981: Phase der Integrationskonzepte. In dieser Zeitspanne
haben die Gewaltanschläge auf Unterkünfte von Türken und asiatischafrikanischen Flüchtlingen einen Höhepunkt erreicht, weil die zweite
Ölpreisexplosion den Hass gegen die Türken in die Höhe hat schießen lassen
(Yano, 2007; 6). Erstmals wurden die Voraussetzungen und die Auswirkungen
25
der Zuwanderung realistisch diagnostiziert. Dann sind die Bemühungen in
Richtung auf soziale Integration der Gastarbeiter und ihrer Familien gewachsen.
4. Phase von 1981 bis 1990: Asylproblematik und die Begrenzungen. Wegen der
Zuwanderungsprobleme, die sich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gravierten,
geriet die Regierung bei der Suche nach Lösungen in einen Irrtum, der dann die
Besorgnis und die Empörung der Öffentlichkeit mit sich brachte. Die
Maßnahmen gegen die Ausländer der Nicht-EG-Mitgliedstaaten vom Dezember
1981, die den Ehegattennachzug beschränkten und das Nachzugsalter für Kinder
auf das 16. Lebensjahr herabsetzten, verlagerten Kompetenzen in der
Ausländerpolitik von den arbeitsmarktpolitischen zu den ordnungspolitischen
Instanzen (Yano, 2007, 7).
5. Phase von 1990 bis 2000:
Die neue Zuwanderungssituation. Das
Ausländergesetz von 1990 zielte auf Erleichterungen für die Einbürgerung, und
zwar besonders für die Jugendlichen. Dagegen haben die Vereinigung der
beiden deutschen Staaten und die damit einhergehende innere Migration von Ost
nach West die vorhandenen sozialen Probleme vervielfacht. Deshalb sind im
Laufe der Zeit die Phänomene der Fremdenfeindlichkeit verstärkt aufgetaucht.
Angesichts dieser Situation ist die Zahl der Einbürgerungen in kurzer Zeit
angestiegen.
Das riesige Anwachsen der Anzahl von Ausländern führte die deutsche Regierung dazu,
im Jahre 2000 neue Maßnahmen zu ergreifen, welche die Lebensbedingungen der
Ausländer erleichtern und somit den Integrationsprozess intensivieren sollten:
Im Januar 2000 trat ein neues Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft, das
die Entscheidung für die Einbürgerung erleichtern soll. Die
Lebensbedingungen von Ausländern werden jedoch weitgehend durch
Ausländergesetze geregelt (Thore, 2004; 13).
In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass sich die politischen Entscheidungen der
Bundesrepublik besonders auf zwei Punkte stützen:
einerseits eine Politik der universellen Gleichheit der Menschen und
der menschlichen Würde, andererseits eine Politik der Differenz, die
die Besonderheiten einzelner Bevölkerungsgruppen anerkannt und
ihnen die Freiheit zur Entfaltung ihrer Denkweisen und Sitten gewährt
(Vancea, 2008; 16).
26
Wie oben gestreift wurde, hat die Migration die BRD in einer etwa 50-jährigen
Zeitspanne im sozialen und kulturellen Sinne tief verändert. Dabei spielte die Politik
der deutschen Regierung eine besondere Rolle. Den Willen zur sozialen und
politischen Anerkennung der Migranten sieht man in der veränderten politischen
Haltung. Rassistische Abwehrreaktionen gegenüber Migranten wurden verurteilt, und
somit wurden für die Migranten gute Lebensbedingungen angestrebt (siehe: Thore,
2004; 13ff).
3.3.2. Kulturschock
In den ersten Jahren der Migration ist die Rede von einem „Kulturschock“, so
Pazarkaya. Der Kulturschock ist abhängig von dem Bildungsniveau der ersten
türkischen Arbeiter und von ihrer sozialen Umgebung in dem Herkunftsland;
Arbeiter aus einem Agrarland wie die Türkei kamen in ein
hochindustrialisiertes Land wie die BRD, erlebten diese neue Welt als
einen
Schock
und
hatten
große
Anpassungsschwierigkeiten
(Kuruyazıcı, 1990; 93).
Den Kulturschock der türkischen MigrantInnen können wir unschwer in ihrer
künstlerischen Auseinandersetzung nachlesen, weil sie ihre ersten Eindrücke von der
Konfrontation mit Deutschen und ihre Fremderfahrung mittels Literatur kritisch und
anklägerisch zu Wort gebracht haben.
Das in der Literatur der ersten Migrationsjahre bearbeitete Motiv „Sehnsucht nach der
Heimat“ bedeutete in diesem Sinne eine Rückblende in die Vergangenheit, eine
Vorstellung von der Zeit und Erinnerung an die Heimat, was die MigrantInnen in ein
Dilemma führen musste. Die mit der Sehnsucht nach Heimat geprägten Gefühle der
ersten Generation stehen bei der Verwirklichung interethnischer Beziehungen vor ihnen
wie eine Wand, weshalb die Türken dieser Zeit im Vergleich zu den anderen
MigrantInnen aus verschiedenen ethnischen Gruppen besonders wenig zu einer
Assimilation neigten (siehe dazu: Esser, 1990; 87).
3.3.3. Identität und Identitätsproblematik
Durch die Wirtschaftskrise von 1966/67 sind die Fremdenfeindlichkeit in der deutschen
Gesellschaft und die kulturellen Konflikte mit den Ausländern angestiegen (Yano,
27
2007; 14). Obwohl die deutsche Seite keinen Zwang zur Rückkehr ausübte, fühlten sich
die Ausländer unter kulturellem Druck, weshalb viele Ausländer in dieser Zeit in ihre
Heimat zurückgekehrt sind. Dagegen sahen sich die in Deutschland gebliebenen
Ausländer mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert, die auf sie einen tiefen
psychologischen Druck machten, weil die Zahl der fremdenfeindlichen Straftaten wie
Brandanschläge stets anstieg. Unter all diesen sozialen und politischen Umständen
haben die Ausländer sich darum bemüht, ihre eigene Identität zu finden. Aufgrund der
vom Ende der 80er bis in die 90er Jahre herrschenden sozio– und interkulturellen
Probleme, die in dieser Zeit die gegenseitigen Ängste, Aggressionen und Spannungen
zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung erhöhten, haben die
Zugewanderten eine große Identitätskrise erlebt.
Esser und Friedrichs unterscheiden „Identität“ nach drei wichtigen Merkmalen; soziale
Identität (Mitgliedschaftsdefinition und deren Bewertung), personale Identität (spezielle
Definition
und
Bewertung
Mitgliedschaftsdefinition)
und
individueller
Ich-Identität
Besonderheiten
(Esser/Friedrichs,
1990;
bei
14).
der
Die
Entstehung dieser drei Identitäten ergibt sich aus dem Identifikationsprozess in einer
Gesellschaft, in der sich die entsprechenden Einflüsse auf die Personen sowohl positiv
als auch negativ auswirken können. In der primären Sozialisation führen die
Identifikationen zu starken Identifizierungen:
Während der primären Sozialisation
werden aufgrund des
beschriebenen Prozesses zunächst die grundlegenden sozialen,
kulturellen und religiösen Orientierungen vermittelt. Es wird die
soziale Identität auf der Grundlage von Identifikationen aufgebaut
(Esser/Friedrichs, 1990; 15).
Ethnische Zugehörigkeit, Nationalität und auch Geschlechterrolle gehören in diesem
Sinne zur sozialen Identität. Personale Identität wird dagegen im Prozess der kindlichen
Sozialisation aufgebaut:
Die wichtigsten Bedingungen für die Entwicklungen einer derartigen
personalen Identität sind die soziale Möglichkeit für eine individuelle
Biographie und ein individuelles Mitgliedschaftsprofil, ohne dass
diese individuellen Abweichungen negativ sanktioniert würden
(Esser/Friedrichs, 1990; 15).
28
Ich-Identität baut sich dagegen auf Selbstvertrauen der Personen auf, welches besonders
beim Problemlösen zu Tage kommt. Um mit Esser und Friedrichs zu sprechen, ist
Ich-Identität eine Art von generalisiertem Wissen davon, in der Lage
zu sein, auch völlig neue Problemsituationen, auch unter
Entwicklung neuer Lösungsrezepte, zu meistern (Esser/Friedrichs,
1990; 16).
Ebenfalls definieren Hill und Schnell sie als das subjektive Empfinden seiner eigenen
Situation und seiner eigenen Kontinuität und Eigenart (Hill/Schnell, 1990; 27).
Aus dieser Tatsache folgt, dass eine Person sich nur in einer Gesellschaft zur
Persönlichkeit aufbauen kann, wenn die problemlose Untrennbarkeit der Person mit der
Umgebung gewährleistet und gesichert ist. Der Wandel von bestimmten situationalen
Bedingungen in einer Gesellschaft bestimmen in diesem Sinne die oben genannten drei
Identitäten einer Person.
Bezüglich der Bewertung der Migration in die Bundesrepublik und ihres Einflusses auf
die MigrantInnen der zweiten Generation ist zu bemerken, dass die MigrantInnen der
zweiten Generation die oben genannten drei Identitätsprozesse durchlebt haben. Nach
den sozialen und den personalen Identitätsproblemen der ersten Generation, die
aufgrund der ersten Begegnung mit einer fremden Kultur aufgetaucht sind und in
Anlehnung daran zu einem Kulturschock geführt haben, haben die MigrantInnen der
zweiten Generation Ich-Identitätsprobleme erlebt, die in dem Sinne der Ablösung von
der Herkunftskultur bewertet werden müssen, was für die MigrantInnen zu einer Krise
geführt hat. Die Identitätszerstörung bei der zweiten Generation ist andererseits durch
die Prozesse der Integration beeinflusst worden.
3.3.4. Integration
Man bringt den Begriff „Integration“ mit dem Begriff „Identität“ in Verbindung, um die
Merkmale der Identität in Bezug auf die Migration zu betonen. Auch in diesem Teil der
Arbeit ist es unser Ziel aufzuzeigen, dass man Integration und Identität zueinander in
Relation setzen muss.
Bei der Identitätsproblematik türkischer MigrantInnen spielt ihr Widerstand gegen die
Integration eine wichtige Rolle. Dieser Begriff wird oft mit „Assimilation“ verwechselt.
29
Ebenfalls wird Integration von einigen Wissenschaftlern als eine Gefahr der kulturellen
Entfremdung bewertet (siehe dazu: Lange, 1996; 15). Die folgende Definition von
Lintfert könnte man auch in dieser Richtung verstehen:
Integration
erfordert
beispielweise
den
Erwerb
deutscher
Sprachkenntnisse, den Verzicht auf übersteigerte national– bzw.
religiös orientierte Verhaltensweisen sowie das Anpassen in die
geltenden Normen und Verhaltensmuster (Lintfert, 1998; 29).
Es ist von Bedeutung an dieser Stelle zu betonen, dass Integration auf interkultureller
Kommunikation beruht und bei einer Annäherung an eine fremde Kultur an Bedeutung
gewinnt. Darunter wird also nicht der Verlust der eigenen kulturellen Eigenschaften
und Verhaltensweisen verstanden. Dagegen haben die türkischen MigrantInnen die
Integration lange Zeit als ein soziales Problem gesehen, das schrittweise zum Verlust
der eigenen Kultur bzw. zur Assimilation führt. Bei der Assimilation ist die Rede von
einer einseitigen Anpassung, bei der das Bewahren der kulturellen Identität erschwert
wird. In Anlehnung an Lidz weist Weber darauf hin, dass Integration eine eigene
Entscheidung der Personen sei und diese Entscheidung die kulturelle und ethnische
Identität nicht zerstöre:
...sie erfordert auch ein emotionales Gleichgewicht, das es einer
Person gestattet, elastisch zu sein, sich an andere anzupassen, ohne
dabei einen Identitätsverlust befürchten zu müssen. Sie verlangt auch
ein Grundvertrauen zu anderen und Vertrauen auf die Integrität des
eigenen Selbst (Weber, 1989; 52).
Integration ist in diesem Sinne ein Prozess für eine Persönlichkeit, die der fremden
Kultur und ihrer Verhaltensweise gegenüber offen ist; dieser Prozess spielt bei der
Entwicklung des Selbstkonzepts eine wichtige Rolle. Berberoğlu weist ebenfalls darauf
hin, dass
Integration eine Persönlichkeit voraussetzt, die sich ihrer kulturellen
Herkunft bewusst ist sowie den Orientierungen [gegenüber], die im
Gastland bestehen, offen ist (Berberoğlu, 1995; 90).
Darüber hinaus könnte man weitere Unterschiede zwischen Integration und
Assimilation hervorheben. Statt Verlust der eigenen Werte treten bei der Integration
Respekt und Anerkennung der gegenseitigen Werte in den Vordergrund. Zwischen
Identität und Integration tritt hiermit keine auf die MigrantInnen sich negativ
30
auswirkende Situation auf, wenn damit nicht eine einseitige Anpassung an die deutsche
Gesellschaft gemeint ist.
Den Begriff der Integration kann man in Anlehnung an Berberoğlu in fünf Punkten
zusammenfassen:
1. Integration muss sowohl von der Seite der Minderheit als auch
von der Seite der Mehrheit geschehen.
2. Integration
sollte
auf
der
zwischenmenschlichen
Ebene
vollzogen werden.
3. Der Stellenwert von Sprache sowie von Sprachlehre ist im
Zusammenhang mit der Integration hoch. Es ist sehr wichtig im
fremdkulturellen Umfeld über die Fähigkeit zu verfügen, in
Kontakt zu kommen, sich mitzuteilen, zu handeln, das Gefühl zu
haben, dass man akzeptiert ist, dass man in diesem fremden
Umfeld eingegliedert ist.
4. Das Vermitteln deutscher Sprachkenntnisse sollte einen Beitrag
zur Verbalisierung von Bedürfnissen, Empfindungen und
Emotionen leisten.
5. Negative
Erfahrungen
sowie
Befürchtungen
und
Problemstellungen sollten in Begriffe umgesetzt werden. Nur
das „Definierte“ kann verstanden und verarbeitet werden.
(Berberoğlu, 1995; 98 ff).
3.3.5. Subkultur
Der Stress des „Dazwischenbleibens“, der zugleich die Identitätsproblematik der
türkischen MigrantInnen in Deutschland schürt, führt bei den türkischen MigrantInnen
das Gefühl der „Heimatlosigkeit“ herbei, weil die MigrantInnen sich nunmehr weder in
Deutschland noch in der Türkei zu Hause fühlen. Sie sind in Deutschland Ausländer
und in der Türkei „Almancı“ (Deutschländer). Eine Isolierung von beiden
Gesellschaften führt die MigrantInnen dazu, ihre eigene Kultur, die weder Deutsch noch
Türkisch ist und als Subkultur bezeichnet wird, zu schaffen. Rösch beschreibt die
Subkulturen als Gruppenkulturen, die ethnisch, sozial oder religiös definiert werden
können (Rösch, 1992; 65). Das Leben zwischen zwei Kulturen und darüber hinaus die
31
Sozialisationsbrüche unter einer Subkultur rufen die Akkulturationsproblematik in unser
Bewusstsein.
Nach Lintfert stammt der Begriff Akkulturation aus der Kulturanthropologie und
bezeichnet die Verschmelzung zweier verschiedener Kulturen (siehe: Lintfert, 1998;
28), die die Menschen in eine Identitätskrise führt. Durch ein Zitat von Rudolph erklärt
Berberoğlu die Akkulturation wie folgt:
Akkulturation ist die Prozesse und Phänomene, die bei einem durch
(direkten und indirekten) Kulturkontakt bedingten Kulturwandel
auftreten. Akkulturation wäre damit derjenige kulturelle Wandel, der
nicht durch menschlich beeinflusste natürliche Faktoren oder durch
kulturendogene
Faktoren
–
z.B.
durch
kultureigenständige
Erfindungen im weitesten Sinne – bedingt ist (Berberoğlu, 1995; 180).
In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die von den MigrantInnen der zweiten
Generation geschaffene Subkultur zugleich eine Suche nach der eigenen Persönlichkeit
bedeutet und eine Anstrengung dazu beinhaltet, die Sozialität nicht zu verlieren, kurz
gesagt, Widerstand gegen die Akkulturation zu leisten. Wenn wir uns die gegenseitigen
interkulturellen Beziehungen der MigrantInnen dreier Generationen und die der
Deutschen vor Augen halten, könnte man unschwer sagen, dass das soziale Leben der
zweiten Generation in Deutschland bzw. ihr Leiden, ihre Bestrebungen für die eigene
Persönlichkeit sowie für ihre in dieser Richtung entwickelte Literatur der folgenden
dritten Generation hinsichtlich der Möglichkeiten von Sozialisation, Anpassung und
Solidarität völlig neue Wege geöffnet hat.
3.3.6. Kanak Attak
Zur Überwindung der o.e. Probleme wie „Migration“, „Identität“, „Herkunft“ und
„Multikulturalität“ haben die MigrantInnen für sich eine neue literarische Strömung
geschaffen, als deren prominentester Vertreter mit seiner provozierenden „Kanak
Sprak“ Feridun Zaimoğlu gelten kann. „Kanake“ ist ein diskriminierendes Schimpfwort
und bezeichnet die ausländischen Arbeitnehmer, bes. Türken, die ungebildet und
einfältig sind (Duden, 1983; 662). Skiba weist in seinem Beitrag auf die etymologische
Bedeutung dieses Begriffs hin:
32
Zaimoğlu nennt sein literarisches Erstlingswerk Kanak Sprak,
Sprache der Kanaken. Etymologisch weist der schillernde Begriff
„Kanake“ nach Neukaledonien. Dort meinte „Kanak“ ursprünglich
nichts weiter als „Mensch“ und diente zur Selbstbezeichnung der
Mitglieder des dortigen Volkes. Die französischen Kolonialisten, die
im 19. Jahrhundert die Inselgruppe besetzen, übernahmen den Begriff
und
verwendeten
ihn
als
diffamierende
Fremdbezeichnung.
„Kanaken“ waren in ihren Augen keine gleichwertigen Menschen,
sondern Menschen und Menschenfresser zugleich (Skiba, 2004; 184f).
Wie in diesem Zitat betont wird, hat der Begriff „Kanake“ mit den französischen
Kolonialisten und gerade wegen ihrer aus der Fremdheit auftretenden Distanz zu den
Neukaledoniern eine Bedeutungsverschlechterung durchgemacht. Skiba macht auf eine
ähnliche Bedeutungsänderung in Deutschland aufmerksam:
Eine ähnliche Bedeutungsverschiebung erfuhr der Begriff „Kanake“
in Deutschland. Seit den 60er Jahren diente er zur abfälligen
Titulierung meist türkisch- oder kurdischstämmiger „Gastarbeiter“,
denen man mangelnde Hygienestandards nachsagte und unterstellte,
in aufdringlicher Weise deutsche Frauen zu belästigen (Skiba, 2004;
185).
Die „Kanak Attak“ genannte Strömung hat nicht nur die gesellschaftlichen Probleme
der MigrantInnen hinsichtlich der „Identität“ oder der „Herkunft“ thematisiert, sondern
auch sprachlich völlig Neues geschaffen; in ihr wurde eine neue Sprache entwickelt, die
weder
Deutsch
noch Türkisch
ist.
Dieses
Sprachverhalten
wird
von den
Wissenschaftlern als soziologische Reaktion bzw. Gegenwirkung gesehen. Mit diesem
Begriff weist Zaimoğlu auf den sozialen Druck der hektischen Sprache hin, der die
MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft zur Einsamkeit und zugleich zur
Identitätsproblematik führt, weil sie sich aufgrund ihrer mangelnden Sprachkenntnisse
nicht richtig verständlich machen konnten.
Im Hinblick auf Stilistik schreibt Zaimoğlu alle Buchstaben klein, indem er die
grammatischen Regeln ausser Acht lässt. Diese Annäherung sieht man auch in den
konkreten Texten von Max Bense, der alle Buchstaben klein schreibt, um zu zeigen,
dass alle sprachlichen Elemente gleichwertig sind (Pazarkaya, 1996;87).
33
Die Problematik „Kanake“ wurde auch von einer der ersten deutschen Hip-HopGruppen „Fresh Familee“, die in den 90er Jahren von türkischen, marokkanischen,
mazedonischen und deutschen Jugendlichen gegründet war, behandelt. In seinem Lied
„Fresh Familee I“ problematisiert Ahmet Gündüz die Migrantenproblematik mit einem
gebrochenen Deutsch. Das Lied beginnt mit einigen Zeilen, die sich an das gebrochene
Deutsch der ersten Einwanderer aus der Türkei anlehnt, die aber in ihrer Pointierung
und
Schlagfertigkeit
die
Erwartungen
geschickt
in
die
Irre
führt.
Ganz
selbstverständlich wechselt der Sänger gegen Schluss des Textes ins Hochdeutsche, um
zu gegenseitigem Respekt aufzufordern3:
Mein Name ist Ahmed Gündüz, laß mich erzählen euch / Du musse gut
schon zuhören, ich kann nix sehr viel Deutsch / Ich komm von die
Türkei, zwei Jahre hier / Und ich viel gefreut, doch Leben hier is
schwer / In Arbeit Chef mir sagen; Kanacke hä wie gehts / Ich sage;
Hastirlan doch Arschloch nix verstehn / Mein Sohn gehn Schule, kann
schreiben jetzt / Lehrer ist ein Schwein, er gibt ihm immer Sechs /
Gestern ich komm von Arbeit, ich sitzen in der Bahn / da kommt ein
besoffen Mann und setzt sich nebenan / Der Mann sagt; Öhf, du
Knoblauch stinken / Ich sage; Ach egal, du stinken von Trinken […]
Ich bin ein Mensch, du bist ein Mensch. Bruder, gib mir deine Hand
und laß uns friedlich leben (Gündüz, 2007).
Gündüz weist in seinem Lied ironisch und scherzhaft auf die Sprache der türkischen
MigrantInnen in Deutschland und zugleich auf die gegenseitigen Vorurteile hin. Um die
gegenseitigen Vorurteile abzubauen und das friedliche Zusammenleben zu schaffen,
stellt er eine Lösung vor, die zu gegenseitigem Respekt auffordert.
Zaimoğlus „Kanak Attak“ ist der Ausdruck von Identität der zwischen zwei Sprachen
bleibenden MigrantInnen. Er lässt seine Figuren bewusst „gemischt“ sprechen (Skiba,
2004; 203), um zu zeigen, dass sie in sich keine türkische und keine deutsche Identität
haben, sondern sie sind Menschen einer Subkultur. Um mit Skiba zu sprechen,
betreibt Zaimoğlu als Schriftsteller ein ironisches Spiel mit Identitäten,
lässt seine Figuren zwischen den Sprachen springen und sie nie
gehörte Wörter sagen (Skiba, 2004; 203).
3
Für weitere Hinweise darauf, siehe; CD. Import&Export a la Turka. Turkish Sounds from Germany
compiled by DJ İpek İpekçioğlu. 2007.
34
Hinsichtlich der interkulturellen Kommunikation der türkischen Migranten der zweiten
Generation mit der deutschen Aufnahmegesellschaft und deren soziologischpsychologischen Folgen wird die zweite Generation von den Soziologen und
Kulturwissenschaftlern zur „verlorenen“ Generation abgestempelt.
3.3.7. Literatur als Mittel zur Verständigung
Um die soziokulturellen Probleme zu überwinden und die gegenseitige Verständigung
zu erreichen, haben viele Politiker und Wissenschaftler erhebliche Bemühungen
unternommen. Literatur war in diesem Zusammenhang ein wichtiges Mittel, weshalb
viele Verlage und literarische Zeitschriften das Ziel verfolgten, Sprachrohr aller
Kulturen zu sein und somit die interkulturelle Solidarität zu betonen. Bei dem
Kulturaustausch und der gegenseitigen Verständigung zwischen Deutschen und Türken
spielten in diesem Sinne der „Ararat-Verlag“ und der „Dağyeli Verlag“ eine führende
Rolle, indem sie zweisprachige Texte veröffentlicht haben. Lange betont:
Der Ararat-Verlag bemüht sich seit Ende der 70er Jahre um einen
Kulturaustausch zwischen türkischen und deutschen LeserInnen,
indem er zweisprachige Texte veröffentlicht. Auf gegenüberliegenden
Seiten ist sowohl der türkische als auch der deutsche Text abgedruckt,
jeder Band enthält außerdem einen sprachlichen Übungsteil, der das
gegenseitige Interesse für die Fremdsprache anregen und eine erste
Hilfe zur Verständigung sein soll (Lange, 1996; 19).
Ausgehend von dem obigen Zitat ist zu bemerken, dass das Hauptziel des AraratVerlags und der anderen kleineren Verlage, die für die interkulturelle Literatur
gegründet wurden, nicht nur die Bloßlegung der Probleme der MigrantInnen war;
sondern sie waren selbst Vermittler zwischen beiden Kulturen, die die kulturellen Güter
unterschiedlicher Länder ins rechte Licht rücken wollten, wodurch auch die
Fremdfeindlichkeit reduziert und die interkulturelle Solidarität gestärkt werden konnten.
Zeitschriften wie „Südwind“ oder „Anadil“, die in den 80er Jahren zweimonatlich
erschienen und von Yüksel Pazarkaya herausgegeben wurden (Sölçün, 2007; 141),
spielten dabei eine wichtige Rolle. Pazarkaya hat in „Anadil“ türkische und deutsche
Texte auf einer Seite nebeneinander veröffentlicht, um die türkische Kultur den
Deutschen bekanntzumachen und somit zur Überwindung oder Reduzierung der
35
gegenseitigen Vorurteile beizutragen. Durch seine interkulturellen Arbeiten hat er eine
führende Rolle gespielt.
3.3.8. Veränderung der Eigenwahrnehmung
Ab den 1980er Jahren, besonders nach dem Schwinden des Kulturschocks der ersten
Begegnung zwischen den Deutschen und den türkischen MigrantInnen hat sich die
gegenseitige Kommunikation dieser Völker schrittweise verbessert. Viele Deutsche und
Türken haben angefangen, einander besser kennen zu lernen und die vorkommenden
Vorurteile empathisch zu überwinden. Ihre interkulturellen Beziehungen, die sich auf
die einheimische Bevölkerung in mancher Hinsicht positiv auswirkten, haben den
Begriff der „multikulturellen Gesellschaft“ zustande gebracht (siehe dazu:
Lange,
1996; 1).
Der Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ steht nicht nur mit der Politik und der Kultur
in Verbindung, sondern beeinflusst alle kulturellen, politischen und wirtschaftlichen
Schichten
einer
Gesellschaft.
Deswegen
befinden
sich
die
multikulturellen
Gesellschaften in einer Situation, die für interkulturelle Probleme offen ist. Unter diesen
Umständen könnte man die Betonung der kulturellen Differenzen auf die Menschen
sowohl positiv als auch negativ verstehen. Die Akzentuierung der Differenzen wirkt auf
die Kulturen insofern positiv, als trotz der Differenzen die Gleichwertigkeit aller
Kulturen im Vordergrund steht (siehe; Lange, 1996; 2). Die sozialen, kulturellen und
literarischen Tätigkeiten der MigrantInnen der dritten Generation haben in diesem Sinne
positiv geprägt.
Die dritte Generation hatte bezüglich der interkulturellen Kommunikation mit den
Deutschen im Vergleich zu den vorherigen Generationen kaum Probleme. Diese
Generation sah den Migrationsprozess als Prozess der Aneignung der neuen Kultur, des
Aufbaus neuer Sozialbeziehungen und der sozialen und personalen Identifikation mit
der deutschen Gesellschaft. Diese Haltung kann man auch in ihrer Literatur ausgedrückt
sehen.
Die Emotionalität der dritten Generation bleibt im Schatten der Vernunft, weil viele
AutorInnen
die
türkische
und
die
deutsche
Kultur,
die
vorkommenden
36
gesellschaftlichen Probleme und zugleich das Zusammenleben in einer multikulturellen
Gesellschaft realistisch dargestellt haben. Die Themenschwerpunkte dieser Generation
sind meistens die gegenseitige Humanität und die Solidarität. Ihre Werke spiegeln eine
bunte Sprachhaltung wieder. Die Arbeitswelt, die Sehnsucht nach der Heimat, die
Identität, die Assimilation etc. sind keine beliebten Themen mehr. Dagegen werden
überwiegend Motive bearbeitet, die das friedliche Zusammenleben in einer
multikulturellen Gesellschaft in den Vordergrund stellt. Mit dieser Haltung lässt sich die
Identitätsbildung der MigrantInnen weiter entwickeln, und darüber hinaus sind die
Ausländer nicht mehr Unterdrückte und Leidende, sondern Lebende, genau so wie alle
Menschen in der gleichen Gesellschaft. Bei dieser persönlichen Entwicklung spielten
die
Filme
von
Fatih
Akın,
die
thematisch
überwiegend
um
Integration,
Identitätsbildung, Toleranz sowie um harmonisches Miteinander von Menschen
unterschiedlicher Herkunft/ Rasse/Religion kreisen, eine bedeutende Rolle.
Nach einem problematischen Integrationsprozess der zweiten Generation ist es bei der
dritten Generation offensichtlich, dass die gegenseitigen Erwartungen der Türken und
der deutschen Aufnahmegesellschaft dank dem Abbau der gegenseitigen Vorurteile und
dank der Solidarität in hohem Maß erfüllt wurden. Die Mentalität dieser Generation ist
im Vergleich zu der der vorherigen Generationen nun mehr um den Leitspruch „Wir
sind da und wir sind ein Stück dieses Landes“ (Kocadoru, 2003; 29) gestaltet.
37
VIERTER TEIL
LITERATUR DER TÜRKISCHEN MIGRANTEN
In diesem Teil der Arbeit möchten wir anhand der Allgemeinen und der Vergleichenden
Literaturwissenschaft ausgewählte deutschsprachige Literatur türkischer MigrantInnen
verschiedener Generationen analysieren.
Hierbei soll einerseits gezeigt werden, wie der soziokulturelle Wandel der Einwanderer
im Laufe der Zeit die Migrantenliteratur umgeprägt hat. Andererseits wird die These
verfolgt,
ob
sich
die
Veränderung
der
Eigenwahrnehmung
bzw.
des
Identitätsverständnisses der türkischen Einwanderer von Generation zu Generation auch
in der Literatur widerspiegelt.
In diesem Punkt soll in erster Linie der soziale und kulturelle Wandel der Generationen
stichwortartig, aber auch vergleichsweise beurteilt werden, um die Wirkung dieses
Wandels auf die Werke klarer herauszustellen. Die Literatur der unterschiedlichen
Migrationsgenerationen wird dabei chronologisch erläutert; die behandelten Themen
werden im Hinblick auf ihre soziologischen und kulturwissenschaftlichen Dimensionen
gegenwartsbezogen verglichen.
Der Sprache, die die MigrantInnen in ihrer Literatur gebraucht haben, soll in diesem
Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit zukommen, da aus soziologischer und
kulturwissenschaftlicher Perspektive die Frage, warum die MigrantInnen der zweiten
und dritten Generation ihre Literatur in der deutschen Sprache abgefasst hätten, von
Bedeutung ist. Abschließend wird der zweite Teil der Arbeit die Situation der
Migrantenliteratur in der literarischen Welt zur Diskussion stellen.
4.1. Begriffsbestimmungen
Die Benennung Migrantenliteratur ist umstritten, und es gibt keinen Begriff, der sie mit
ihren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen im Ganzen umfasst. Ab
den 80er Jahren bemühten sich viele Wissenschaftler darum, eine passende
Bezeichnung zu finden. Deshalb ist es von Bedeutung,
38
•
nach der Beziehung zwischen der Literatur und ihrer politischen Geschichte,
•
nach der Entwicklung der deutschsprachigen Literatur türkischer MigrantInnen
in Deutschland,
•
nach ihren soziologischen, politischen und interkulturellen Besonderheiten zu
fragen und
•
schließlich zu verstehen, welche Begriffe für diese Literatur am besten geeignet
sind.
„Ausländerliteratur“ ist ein Oberbegriff und umfasst die Literatur aller Ausländer
verschiedener ethnischer Gruppen in Deutschland, die aus unterschiedlichen Gründen
nach Deutschland ausgewandert sind. Rösch weist in ihrer Arbeit auf diese Gründe hin:
Der Begriff der AusländerInnenliteratur meint eine Literatur von
AusländerInnen.
AusländerInnen
steht
hier
nicht
nur
für
ArbeitsmigrantInnen, sondern auch für Flüchtlinge (aus der
sogenannten Dritten Welt), SystemmigrantInnen (aus Osteuropa)
und vielleicht auch Aus- und ÜbersiedlerInnen, die zwar einen
deutschen Pass haben, aber Deutsch nicht als Erst-, sondern als
Zweitsprache sprechen und schreiben (Rösch, 1992; 13).
Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich Deutschland in einer wirtschaftlichen Krise,
während die anderen westlichen Länder ein wirtschaftliches Wachstum verzeichneten.
Aufgrund des Mangels an Arbeitskräften hatte die Bundesregierung beschlossen, den
Bedarf für einen gewissen Zeitraum mit den „Gastarbeitern“ zu decken. Deshalb hat
man mit einzelnen Ländern wie z.B. Italien (1955), Griechenland (1960) und Spanien
(1960) schrittweise Verträge abgeschlossen (Yano, 2007; 2). Somit sind viele Ausländer
in den 60er und 70er Jahren aus verschiedenen Ländern mit dem Zweck der
Arbeitsaufnahme in die Bundesrepublik eingewandert (Yano, 2007; 1).
Nach dem Militärputsch 1960 hat auch die Türkei sich in einer wirtschaftlichen Krise
befunden, und die Regierung, die das Land mit Militärgesetzen regierte, bemühte sich
darum, die Krise zu überwinden und für ihre Bürger neue Arbeitsfelder zu finden. In
diesem Sinn bot Deutschland der türkischen Regierung die Möglichkeit, unqualifizierte
Arbeitskräfte zu „exportieren“ und damit die Zahl der Arbeitslosen in der Türkei zu
senken. Zudem würden so vom Ausland Devisen fließen, und die qualifizierten
Arbeiter, die in zwei oder drei Jahren zurückkommen sollten, so Kocadoru (1997;2),
39
könnten mit ihren neu gewonnenen Erfahrungen die technologische Entwicklung des
Landes voranbringen.
Mit dieser Zielsetzung hat die türkische Regierung Deutschland angeboten, einen
Vertrag abzuschließen. Die kosmopolitische Situation der Türkei, ihre hohe
Bevölkerungszahl und religiöse Motive nährten auf Seiten Deutschlands lange Zeit
Vorbehalte gegen so einen Vertrag. Aber dank der beharrlichen Bemühungen der
türkischen Seite sowie mit Rücksicht auf deren NATO-Mitgliedschaft und auf die
Fortdauer des Arbeitskräftemangels in der BRD wurde am 30. Oktober 1961 zwischen
beiden Ländern schließlich ein Vertrag unterzeichnet.
Nicht alle oben genannten Verträge mit den Zuzugsländern sind gleich formuliert
worden.
In
den
Abkommen
mit
der
Türkei und
mit
Marokko
gab
es
Sonderbestimmungen bezüglich der Begrenzung des Aufenthalts.
Ein Hinweis auf die jährliche Verlängerungsmöglichkeit der Arbeitsund Aufenthaltserlaubnis fehlte in den Vereinbarungen mit
Ausnahme Marokko, Tunesien und der Türkei (Yano, 2007; 3).
Nach der Anwerbevereinbarung begann der Zuzug türkischer Arbeitskräfte nach
Deutschland, die in den ersten Jahren (d.h. bis 1973) deshalb als „Gastarbeiter“
bezeichnet wurden (Kocadoru 1997; 2)4, weil die Regierungen beider Staaten davon
überzeugt waren, dass der unterzeichnete Vertrag nur kurze Zeit gültig bliebe und die
türkischen Arbeiter nach ein paar Jahren in ihre Heimat zurückkehren würden.
Der Begriff „Gastarbeiter“, der aus der Umgangssprache stammte, war die gängigste
Bezeichnung für die Ausländer in den 60er und 70er Jahren (Yano, 2007; 1). Dieser
Begriff übertrug sich auf die Literatur der in Deutschland lebenden MigrantInnen. So ist
ihre Literatur im Laufe der Zeit als „Gastarbeiterliteratur“ bezeichnet worden.
Tekinay setzt sich mit den Problemen der Begriffsfindung in der frühen Phase der
Migrantenliteratur auseinander:
Weil es Schwierigkeiten gab, für diese neue Strömung, dass nämlich
Fremde deutsche Literatur schaffen, einen Oberbegriff zu finden,
versuchte man, verschiedene Bezeichnungen einzuführen, wie zum
Beispiel „Gastarbeiterliteratur“, die sicherlich abwertend klingt und
4
Früher gab es noch den Begriff „Fremdarbeiter“ mit weiteren, negativ beladenen Assoziationen, auf den
wir hier nicht eingehen wollen
40
darüber hinaus nicht zutreffend ist, denn nur die wenigsten der
Vertreter dieser Bewegung sind richtige Gastarbeiter (Tekinay,
1997; 28).
Die Bezeichnung „Gastarbeiterliteratur“ war für die ersten Jahre der Migration bezogen auf die politischen und sozialen Hintergründe - insofern logisch und
hinreichend, als diese Literatur anfangs von Menschen geschaffen wurde, die erst kurze
Zeit als Arbeiter in Deutschland waren. Sie waren keine Künstler, Studierende oder
Asylsuchende, sondern nur ungebildete Arbeiter (siehe dazu: Lange, 1996; 6). Biondi
und Schami jedoch haben den Begriff „Gastarbeiterliteratur“ in ihren Arbeiten
innerhalb der PoLi-Kunst-Bewegung nur ironisch verwendet und durch die
Bezeichnung „Literatur der Betroffenheit“ ersetzt (Rösch, 1992; 21ff).
Der Begriff „Literatur der Betroffenheit“ verweist darauf, dass die Autoren sich
innerhalb der deutschen Gesellschaft als Gastarbeiter einer Randgruppe zugehörig
fühlten. Ihrer Literatur kam eine gesellschaftskritische Funktion zu. In diesem Sinn hat
die PoLiKunst-Bewegung (Polynationaler Literatur- und Kunstverein), die 1980 von
Biondi und Schami gegründet wurde, das Ziel verfolgt, Sprachrohr der ausländischen
Arbeiter und der unterdrückten Minderheiten zu sein, ihre literarische Bewegung
weltweit bekannt zu machen und die den ImmigrantInnen in der Aufnahmegesellschaft
widerfahrende
Diskriminierung
anzuprangern.
Sie
kämpften
ohne
deutsche
Bevormundung für ihre Rechte und für eine bessere Kommunikation unter
nichtdeutschen KünstlerInnen (Sölçün, 2007; 141):
Die PoLiKunst-Bewegung war eine Bewegung von immigrierten
AutorInnen,
die
sich
ihrer
Diskriminierung
in
der
Aufnahmegesellschaft entgegenstellen wollten (Rösch, 1992; 22).
Wie von Rösch dargelegt, konzentriert sich die Kritik der ersten AutorInnen auf die den
Alltag der MigrantInnen prägende Diskriminierung in der bundesrepublikanischen
Gesellschaft. Die persönliche Betroffenheit steht im Mittelpunkt und wird zur
Antriebsfeder dieser Literatur. Damit verknüpft ist die zeitgenössische Diskussion, ob
die PoLiKunst-Bewegung die Migrantenliteratur zur Protestliteratur gemacht hat. Rösch
stellt diesbezüglich fest:
Die Zukunft der Migrationsliteratur wird vielmehr zeigen, ob sich die
PoLiKunst-Bewegung als eine Art Sturm-und-Drang-Phase der
Migrationsliteratur darstellen wird. (…) Ich verstehe diesen Prozess
41
als positiven Entwicklungsprozess einzelner AutorInnen, die sich
letztendlich
um
die
Migrationsliteratur
als
„Literatur
der
Betroffenheit“ verdient gemacht haben und weiter verdient machen
werden (Rösch, 1992; 24).
In seinem Beitrag stellt Tanzer dar, dass die türkischen AutorInnen in Deutschland sich
nur sehr kurz für eine Politisierung haben begeistern können. Dabei spielte ihre
Konzentration auf interkulturelle Probleme eine besondere Rolle:
An den Aktivitäten des Polynationalen Literatur- und Kunstvereins
(= PoLiKunst), […] nahmen Türken, wenn überhaupt, nur
zurückhaltend teil (Tanzer, 2004; 306).
Das Phänomen „Gastarbeiter“ in der deutschen Wirtschaft endete mit dem
Anwerbestopp von 1973 (Kocadoru, 1997; 3). Die deutsche Regierung verfügte ein
Ende der Anwerbemaßnahmen auf Grund der wirtschaftlichen Krise im Land und der
damit einhergehenden hohen Arbeitslosigkeit. Am Status der bisherigen Gastarbeiter in
Deutschland änderte sich nichts, sie behielten ihre Arbeitsstellen, aber die deutsche
Regierung strebte nun nach einer konkreten Lösung, den ununterbrochenen Zuzug der
Arbeiter zu stoppen und die Arbeitslosenquote zu senken. Auch die Türkei befand sich
nun in einer wirtschaftlichen Krise, und die Migration von Türken war in den Jahren der
Ölkrise von 1973 und 1974 markant gestiegen (Kocadoru, 1997; 4). Trotz des
Anwerbestopps wuchs die Zahl der türkischen ArbeiterInnen in Deutschland vor allem
aufgrund der Eheschließungen und überschritt die Marke von zwei Millionen. Dies
veranlasste die Bundesregierung zu radikalen Maßnahmen; Von nun an mussten die
Türken ein Visum beantragen, um nach Deutschland kommen zu können, und die
Migranten hatten kein Recht, ein Arbeitszeugnis zu bekommen. Als weiteres Instrument
wurde am 28. November 1983 das „Rückkehrgesetz“ verabschiedet (Yano, 2007; 2),
das die Gastarbeiter durch finanzielle Anreize zu motivieren hatte, in ihre Heimat
zurückzukehren.
Nach dem Anwerbestopp 1973 haben sich die vormaligen Gastarbeiter in ihrer
Mehrzahl entschlossen, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Der Begriff „Gastarbeiter“
verlor damit die ihm ursprünglich zugewiesene Bedeutung und wurde zunehmend durch
die Bezeichnung „Einwanderer“ ersetzt. Dies stand jedoch im Widerspruch zu der von
konservativen Kreisen fortwährend vorgetragenen These, dass Deutschland kein
Einwanderungsland sei.
42
Die etwa zehnjährige Zeitspanne nach 1973 wird als Migrationsperiode bezeichnet,
weil besonders die türkischen ArbeiterInnen nicht mehr emigrierend5, sondern dank
Eheschließungen und Familiennachzug gruppenweise nach Deutschland gekommen
sind. Auch Yano weist in seinem Artikel auf die Eheschließungen und den
Familiennachzug und deren Auswirkungen auf die Literatur der MigrantInnen hin:
In dem Maße jedoch, wie deren Aufenthaltsdauer zusammen mit dem
Familiennachzug anwuchs und somit die Zuwanderungs- in eine
faktische Einwanderungssituation überging, wurde der Begriff
Gastarbeiter zunehmend als ungeeignet empfunden (Yano, 2007; 1).
Die Periode der Migration dauerte bis etwa 1980, d. h. bis zur Einsetzung einer
Militärregierung in der Türkei (Kocadoru, 1997; 4). Von da an lässt sich eine stärkere
politisch motivierte Emigration aus der Türkei feststellen. Die nach Deutschland
Eingewanderten wollten sich auf Dauer in der neuen Heimat einrichten; ihr
schriftstellerisches Wirken verbindet sich mit dem Begriff „Migrantenliteratur“. Der
Unterschied
zwischen
beiden
Begriffen
–
Gastarbeiterliteratur
einerseits,
Migrantenliteratur andererseits – basiert auf der gesellschaftlichen Kontextualisierung;
Während die Entstehung des Begriffs Gastarbeiterliteratur das Konzept eines
Arbeitsaufenthaltes auf Zeit widerspiegelt, umfasst Migrantenliteratur auch die Werke
der aus politischen Gründen nach Deutschland Emigrierten (Asylsuchende, Studierende,
Künstler, Autoren etc.). Sie sind in Deutschland wohnhaft und kommen aus
verschiedenen Nationen, entstammen unterschiedlichen ethnischen Gruppen, sozialen
und kulturellen Herkünften. Kocadoru stellt die Abgrenzung gegenüber dem Begriff
„Exilliteratur“ zur Diskussion:
Heutzutage wäre eine iranische Literatur im deutschsprachigen
Raum
eine
Emigranten-
deutschsprachige
Literatur
oder
von
Exilliteratur,
Türken
ist
eine
aber
die
natürliche
Entwicklung, deren Anfänge in den 60er Jahren liegen (Kocadoru,
1997; 4).
Hier vergleicht Kocadoru die Verhältnisse der deutschsprachigen Literatur türkischer
MigrantInnen in Deutschland mit denen der iranischen Literatur. Er betont, dass die
5
Wegen des Anwerbestopps dürfte doch eigentlich Emigrieren nicht mehr möglich gewesen sein.
43
iranischen AutorInnen nur aus politischen Gründen nach Deutschland emigriert sind6.
Deshalb könnte man die deutschsprachige Literatur von Iranern als Exilliteratur
bezeichnen. Dagegen ist die deutschsprachige Literatur von Türken eine natürliche
Entwicklung, die bis in die 1960er Jahre zurückgeht und deren Wurzeln anfangs nicht
auf politischen, sondern auf wirtschaftlichen Gründen beruhen.
Ebenfalls ist es von Bedeutung in diesem Zusammenhang die These von Sölçün zu
erwähnen:
Die Autor/innen, die infolge der politischen Unterdrückung ihr Land
verlassen mussten, brachten die eigenständige, im Endeffekt
heimatorientierte Perspektive der Exilanten in diese Literatur ein
(Sölçün, 2007; 135).
Nach dem Militärputsch 1980 haben die Türken angefangen, aus politischen Gründen
nach Deutschland zu emigrieren. Wichtig scheint es, an diesem Punkt zu betonen, dass
hinsichtlich des politischen Hintergrunds der Migration ab den 80er Jahren sich auch
das Thema der Migrantenliteratur geändert hat. Die türkischen MigrantInnen
thematisierten in ihren Werken neben interkulturellen Problemen der Türken in
Deutschland auch die der herrschenden Politik in der Türkei, und zwar ironisch und
satirisch. Die Werke von Yüksel Pazarkaya spielen dabei eine führende Rolle.
Pazarkaya hebt in seinen Werken neben den politischen Hintergründen zu den
beschriebenen Motiven auch die kulturellen Eigenschaften der Türken und ihre
Interaktion mit der deutschen Kultur hervor, was für die deutsche Literatur eine
bereichernde Funktion hatte. In diesem Sinn beschreibt man den Begriff
„Migrantenliteratur“ – um mit Rösch zu sprechen – als nicht nur deutsche Literatur
und lenkt das Interesse auf herkunftskulturelle Einflüsse (Rösch, 1992; 18).
Bisher haben wir uns darum bemüht, die Bezeichnungen der Literatur türkischer
MigrantInnen in Bezug auf die türkische Migrationsgeschichte und ihren politischen
Hintergrund zu klären. Die Vielfältigkeit der Texte und der AutorInnen bestimmen die
Bezeichnung dieser Literatur. Lange sagt dazu, dass
•
verschiedene Gattungen und
verschiedene literarische Traditionen aus
verschiedenen Herkunftsländern, die in die Texte einfließen,
6
•
Unterschiede in Geschlecht und Alter,
•
Zugehörigkeit zur „ersten“ oder zu den folgenden Generationen usw.
Der bekannteste Autor der iranischen Exilliteratur ist in diesem Sinn Refik Schami, der aus den
44
Schwierigkeiten bei der Begriffsbestimmung verursachen (siehe dazu: Lange, 1996; 7).
Aus der Sicht der türkischen Migrationsgeschichte sind die oben geklärten Begriffe
unbestritten; aber wenn wir uns vor Augen halten, dass die Literatur der MigrantInnen
und die Literatur über die Migration in Deutschland nicht nur aus den Werken der
Türken besteht, tritt das Bedürfnis nach einem erweiterten Begriff auf, der die Werke
aller AutorInnen aus verschiedenen Ländern umfasst. Dementsprechend weist Heidi
Rösch auf den Begriff „Migrationsliteratur“ hin:
Migrationsliteratur ist eine Literatur, die sich mit dem Gegenstand
der Migration im weitesten Sinne befasst, diese eindeutig parteiisch,
das heißt aus der Perspektive unterdrückter Minderheiten bearbeitet
und auch ästhetisch gestaltet (Rösch, 1992; 33).
Es ist relevant, von dieser Definition ausgehend zu betonen, dass der Begriff
Migrationsliteratur aus zwei Perspektiven bewertet werden kann. Sie ist eine Literatur,
die von den MigrantInnen aus verschiedenen Nationen geschrieben wird; sie stellt das
Thema Migration in den Mittelpunkt (Lange, 1996; 7). Von diesem Standpunkt aus
umfasst Migrationsliteratur im Vergleich zu anderen Begriffen ein breites Umfeld.
Die neueren Arbeiten gehen dagegen von einem ganz anderen Begriff aus, der auf den
ersten Blick den Anschein hat, keine direkte Relation zur Migration zu haben; Die
andere deutsche Literatur. Wer ist diese „andere“? Ist das Literatur von Deutschen
oder von Fremden bzw. Literatur für Deutsche oder für Fremde?
Wie oben dargelegt, spielen die politischen und sozialen Hintergründe der Migration
und ihre historische Entwicklung bei der Bezeichnung der Literatur eine besondere
Rolle. Die bisher benützten Begriffe wie Ausländerliteratur, Gastarbeiterliteratur,
Migrantenliteratur und Migrationsliteratur bezeichnen verschiedene literarische
Strömungen, die entsprechend der im Laufe der Zeit jeweils veränderten Situation der
MigrantInnen im deutschen gesellschaftlichen Leben wichtig wurden. Heutzutage ist
aber der Begriff „Migration“ selbst in einen großen Prozess des Wandels geraten, weil
die Menschen aus zahllosen, ganz unterschiedlichen Gründen zu auswandern
angefangen haben. Der dadurch entstandene Perspektivenwechsel wirkt sich direkt auf
die Literatur der MigrantInnen in Deutschland aus. Der Ausgangspunkt der Literatur ist
politischen Gründen nach Deutschland emigrieren musste.
45
nicht mehr das Thema Arbeiter oder MigrantInnen, sondern die Menschen allgemein,
die aus den unterschiedlichsten Gründen mit den Deutschen in Deutschland
zusammenleben. Um diesen begrifflich kleinen, aber inhaltlich tiefen Unterschied zu
betonen, bezeichnet man die Literatur der unter den Deutschen lebenden Menschen als
„die andere deutsche Literatur“.
Im März 2003 hat an der Universität Istanbul ein Symposium mit dem Titel
„Grenzüberschreitungen“ stattgefunden. Ziel dieses Symposiums war es – um mit
Kuruyazıcı
zu
sprechen
–,
neue
Tendenzen
in
den
deutschsprachigen
Minderheitenliteraturen in und außerhalb von Deutschland zur Diskussion zu stellen
(Kuruyazıcı, 2003; 12). Titel des Bandes, der die auf dem Symposium vorgetragenen
wissenschaftlichen Arbeiten enthält, ist „Die andere deutsche Literatur“. Auch diese
Benennung weist auf die oben genannte, sich stets verändernde Situation der Migration
und auf ihren entsprechenden interkulturellen Wandel hin.
Wie aus den oben angeführten Argumenten zu ersehen ist, war die Bezeichnung der
Literatur der MigrantInnen in Deutschland immer diskutierbar. Die Begriffe wie
Gastarbeiter-, Ausländer-, Migranten-, Exil- oder Migrationsliteratur weisen eindeutig
auf eine Literatur hin, die nicht eine deutsche Literatur ist, sondern eine Variante dieser
Literatur, die sich unter besonderen Bedingungen entwickelt(e). Rösch betont in ihrer
Arbeit drei Kriterien, die zur Zuordnung dieser Literatur dienen sollen. Das erste
Kriterium ist das Thema der Literatur von MigrantInnen, die sie gestaltet haben.
Schreiben in einem fremden Sprach– oder Kulturraum ist das zweite Kriterium. Das
dritte Kriterium ist, Schreiben als Mittel des Kampfes gegen die Unterdrückung
anzuwenden (für weitere Hinweise siehe: Rösch, 1992; 12).
Betonenswert ist an dieser Stelle auch die Situation der türkischen AutorInnen und ihre
Tätigkeiten im Bereich der Migrantenliteratur, weil sie hier nicht nur allein als
AutorInnen zu sehen sind, sondern auch als Forscher und Theoretiker. Sie haben
Emigrantenverlage gegründet und ihre Primär– und Sekundärliteratur publiziert. Um
mit Rösch zu sprechen
spielen
türkische
Autoren
in
den
meisten
Arbeiten
zur
MigrantInnen– und Migrationsliteratur eine große, um nicht zu
sagen zentrale Rolle (Rösch, 1992; 15).
46
Als Theoretiker und Erforscher der Migrantenliteratur weist auch Yüksel Pazarkaya in
seinen theoretischen Arbeiten auf die Literatur türkischer MigrantInnen und auf das
Benennungsproblem dieser Literatur hin.
Pazarkaya ist der Meinung, dass alle oben genannten Begriffe sich auf ethnisch,
national oder sozial definierte Gruppen beziehen und ein politisches Zeichen setzen.
Eine entsprechende Benennung verschärft die Differenzen in der Gesellschaft und
erschwert das Zusammenleben. Bei dem Diskussionsabend7 „Migranten Literatur in
Deutschland“, der von der Initiative der Europäischen Türken in Berlin organisiert
wurde, hat er die Frage „Gibt es Migranten Literatur in Deutschland?“ verneint und
seine Stellungnahme wie folgt begründet:
Meinerseits
sind
die
Begriffe
wie
Migrantenliteratur,
Gastarbeiterliteratur oder Ausländerliteratur nicht geltend. All diese
Begriffe bringen die Diskriminierung in den Sinn (Pazarkaya, 2008;
o.S.).
Nach Pazarkayas Meinung gibt es nämlich überhaupt keine Migrantenliteratur; es gebe
im Grunde nur Literatur allgemein, deren Themen, Inhalte und Ziele unterschiedlich
gewichtet seien.
Daneben gibt es aber auch Literaturwissenschaftler und einer der grössten
Literaturkritiker wie Marcel Reich-Ranicki, die die Literatur der Ausländer in
Deutschland als Rand-Literatur bewerten. Auch von dieser Bewertung distanzieren sich
viele AutorInnen, indem sie sich weder von dem einen noch von dem anderen Lager
vereinnahmen lassen:
Ich bitte um Entschuldigung, aber sie interessiert mich nicht. Ich
weiß, ein wichtiges Thema, für die Bundesrepublik wichtig, und
überhaupt, ist nicht mein Problem, meine Sache (Aytaç, 2001; 100).
Zusammenfassend lässt sich über die Bezeichnung der entsprechenden Literatur sagen,
dass das Benennen dieser Literatur sich im Hinblick auf die politischen und sozialen
Veränderungen in der historischen Entwicklung der Migration ganz unterschiedlich
gestaltet hat. Besonders die Literaturwissenschaftler bestreben sich, den Standpunkt
dieser Literatur zu bestimmen und dafür einen angemessenen Namen zu finden, indem
sie von der interkulturellen Kommunikation der Deutschen und der MigrantInnen und
7
Der Diskussionsabend wurde am 6. März 2008 von der Initiative der Europäischen Türken in Berlin
(BATI) organisiert, und Yüksel Pazarkaya hat an diesem Abend mit dem Beitrag “Es gibt keine
Migrantenliteratur, es gibt nur Literatur” teilgenommen.
47
von ihren Werken ausgehen. Demgemäß macht der jeweils unterschiedliche Standpunkt
der Literaturwissenschaftler das Benennen dieser Literatur nicht eindeutig und weiterhin
diskutierbar.
4.2. Entstehung und Entwicklung der türkischen Migrantenliteratur
Im engeren Sinne ist Literatur hinsichtlich der inter-/kulturellen Identitätsbildung und
Fremdwahrnehmung
ein
wichtiges
ästhetisches
Kommunikationsmittel.
Diese
literarische Kommunikation spielt nach Vancea in der mentalen und affektiven
Konstruktion kultureller Identitäten und Grenzen eine Doppelrolle; Identifikationsfeld,
an dem sich die Imagination kollektiver Gemeinschaft vollzieht, und Medium zur
Vermittlung von Differenz– und Fremderfahrungen (für weitere Hinweise dazu siehe;
Vancea, 2008; 41). Danach hat die Literatur der türkischen MigrantInnen in
Deutschland ihren Ursprung in dem Bedürfnis nach der Vermittlung von Differenz– und
Fremderfahrungen der türkischen Gastarbeiter im Migrationsprozess.
Die Fremdarbeiter, die anfangs aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kamen
und ihre eigene Kultur und Denkweise mitbrachten, haben seit den 50er Jahren mit den
Deutschen
eine
gemeinsame
Kommunikationskultur
aufgebaut,
die
die
Migrantenliteratur der etwa 50 Jahre deutscher Nachkriegszeit hervorbrachte.
Kuruyazıcı sagt in ihrem Beitrag dazu:
Der fremden Welt gegenüber klammerten sie (Migranten) sich zwar
fest an die eigene Tradition und Kultur, aber gleichzeitig wuchs bei
ihnen immer mehr [das] Bedürfnis, die fremden Erlebnisse zum
Ausdruck
zu
bringen,
die
Konfrontation
mit
der
neuen
soziokulturellen Umgebung literarisch zu bewältigen. Somit entstand
eine Reihe von literarischen Texten (Kuruyazıcı, 1990; 93).
Wie Kuruyazıcı im obigen Zitat zum Ausdruck gebracht hat, schildert diese Literatur
die Erfahrungen der Migration und die Situation der türkischen MigrantInnen in
Deutschland in drei Generationen. Ebenfalls führt Pazarkaya aus, dass die Briefe der in
Deutschland tätigen Türken, in denen sie der Heimat von ihrem Leben in der Fremde
berichteten, bei der Entstehung der schriftlichen Migrantenliteratur eine bestimmende
Rolle spielten (Pazarkaya, 1985; 17). Da für die türkischen AutorInnen die deutsche
Sprache noch fremd war, wurde die Anfangsphase der Migrantenliteratur noch
überwiegend von Übersetzungen beherrscht (siehe; Sölçün, 2007; 136).
48
Die mit den Anwerbeverträgen in den 50er Jahren entstandene Migrantenliteratur hat in
den 80er Jahren das Interesse vieler Literatur– und Sprachwissenschaftler auf sich
gezogen. In dieser Zeit sind die ersten Artikel und Anthologien erschienen. Irmgard
Ackermann vom Institut für Deutsch als Fremdsprache der Universität München spielte
mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten dabei eine führende Rolle, und somit gewann die
sogenannte Gastarbeiterliteratur im literaturwissenschaftlichen Bereich bzw. in der
Ausländergermanistik und/oder in der Interkulturellen Germanistik an Bedeutung. Um
mit Thore zu sprechen
bemühen die ersten in Deutschland entstandenen Arbeiten sich noch
hauptsächlich um die Verortung der Migrantenliteratur auf einen
Platz innerhalb der deutschen Literatur (für weitere Hinweise siehe:
Thore, 2004; 34ff).
Im pädagogischen Bereich treten besonders zwei Dissertationen hervor, die auch die
türkische Migrantenliteratur behandeln. Die erste ist Heidi Röschs Dissertation von
1992;8 die zweite ist die Dissertation Andrea Zielke.9 auch in ihren anderen Arbeiten
greift Zielke die Situation türkischer Frauen in der deutschen Gesellschaft und die
türkischen AutorInnen auf.
Die auf Deutsch verfassten Texte türkischer AutorInnen haben in dieser Zeit in den
Anthologien und Zeitschriften einen Platz gefunden. Es gab viele Türken deutscher
Sprache. Um mit Yeşilada zu sprechen
eine der insgesamt vier von I. Ackermann im Deutschen Taschenbuch
Verlag
edierten
Anthologien
"nicht-deutscher
Literatur"
war
ausschließlich den Türken deutscher Sprache gewidmet (Yeşilada,
2007; o.S.).
Es gibt auch Zeitschriften, die von türkischen Herausgebern ediert worden sind.
Darunter zählt man die Literaturzeitschrift Anadil, die in den 80er Jahren zweimonatlich
erschien und von Yüksel Pazarkaya herausgegeben wurde (siehe dazu: Sölçün, 2007;
141). Die türkischen und deutschen Texte waren deshalb auf einer Seite nebeneinander
gedruckt, weil Pazarkaya sich besonders darum bemühte, interkulturell zu arbeiten, die
8
Migrationsliteratur im interkulturellen Kontext. Eine didaktische Studie zur Literatur von Aras Ören,
Aysel Özakin, Franco Biondi und Refik Schami.
9
Migrantenliteratur im Unterricht. Der Beitrag der Migrantenliteratur zum Kulturdialog zwischen
deutschen und ausländischen Schülern.
49
türkische Kultur den Deutschen bekannt zu machen und somit beim zur Überwindung
und Reduzierung der gegenseitigen Vorurteile beizutragen.
Wie die Zeitschrift „Anadil“
legten auch das 1985 vierteljährlich erschienende „Forum“ und das
seit 1986 von der „Duisburger Initiative“ alle zwei Monate
herausgebrachte Periodikum „dergi/die Zeitschrift“ großen Wert
darauf, literarische Texte und politisch-kulturelle Stellungsnahmen
der der türkischen Schriftsteller zu veröffentlichen (Sölçün, 2007;
141f).
Der Ararat-Verlag und der Dağyeli Verlag sind in dieser Zeit ein Sprachrohr der
türkischen MigrantInnen geworden. Bei der Entstehung und Entwicklung der
Migrantenliteratur spielten neben den oben genannten theoretischen Arbeiten und den
Verlagen auch die literarischen Preise, die den ausländischen AutorInnen verliehen
wurden, eine große Rolle. Mehrere türkische AutorInnen wurden im Laufe der Zeit mit
dem Adelbert Chamisso-Preis, Ingeborg Bachmann-Preis, Hölderlin-Preis etc.
ausgezeichnet.
Wie erwähnt wurde, vermittelt die Migrantenliteratur Erfahrungen über die
Migrationsgeschichte und thematisiert das soziokulturelle Leben der MigrantInnen im
Ausland.
Ausgangspunkt
dieser
Literatur
sind
die MigrantInnen und
ihre
Kommunikation mit den Deutschen bzw. ihre Erlebnisse in Deutschland. Rösch
erwähnt in Bezug auf die Migrantenliteratur der 80er Jahre auch den Begriff
„Jammerliteratur“:
Die Migrationsliteratur der 80er Jahre musste sich immer wieder den
Vorwurf gefallen lassen, eine „Jammerliteratur“ zu sein; das heißt,
über
die
Beschreibung
der
traurigen
Lebenssituation
von
ArbeitsmigrantInnen nicht hinauszukommen (Rösch, 1992; 61).
Schreiben über die Situation in Deutschland hieß am Anfang der Migrationsgeschichte
"Jammern" oder „Schrei aus der Fremde“ (Kuruyazıcı, 1990; 94). Das bedeutete
zugleich eine Beruhigung bzw. eine Therapie (Lange, 1996; 13), die ihre Schmerzen
heilte und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verstärkte.
Durch die Briefe, die die MigrantInnen an die in der Heimat Verbliebenen gesandt
haben, haben sie lange Zeit ihre Erfahrungen und Gefühle ausgedrückt. Diese spontane
50
Kreativität ist im Laufe der Zeit einer künstlerischen Dimension gewichen. Daraus
entstand die Migrantenliteratur. Dabei spielte die Sprache selbst die führende Rolle.
Um mit Öztürk zu sprechen,
bedeutet Ortswechsel Sprachwechsel, die Entwurzelung der eigenen
Sprache aus dem Eigenraum und der Existenzkampf im Fremdraum
(Öztürk, 2004; 155).
Die Sprache, die die MigrantInnen in ihren Werken verwendet haben, war am Anfang
der 60er Jahre die Muttersprache, weil sie die deutsche Sprache noch nicht
beherrschten. Die sich in kleinen Schritten vermehrende Kommunikation mit den
Deutschen und das in Verbindung damit wachsende Verstehen der deutschen Sprache
führte die MigrantInnen dazu, zwischen zwei Sprachen hin und her zu pendeln und
danach ihre Werke zweisprachig bzw. halb deutsch, halb türkisch zu schreiben.
Das Pendeln zwischen zwei Sprachen hat eine migrantenspezifische Sprache
geschaffen, die im Vergleich zum Hochdeutschen grammatisch und pragmatisch
fehlerhaft ist. In ihrem Artikel „In drei Sprachen leben“ weist Alev Tekinay auf die
mangelhafte Sprachkompetenz der Ausländer hin und betont, dass die fremden
AutorInnen die kulturellen und sprachlichen Eigenschaften ihrer Muttersprache
bewusst oder unbewusst auf die deutsche Sprache übertrugen. Die Übertragung
eigenkultureller und -sprachlicher Phänomene führte zur Entstehung einer neuen
deutsche Sprache, die mit andersartigen
Bildern und Metaphern geschmückt und
bereichert ist:
Die gemeinsame Schriftsprache der schreibenden Fremden war zwar
Deutsch, aber jeder fremde Autor hatte seine sprachlichen
Eigenheiten, die in der Erzählkunst seiner Muttersprache ihre
Wurzeln haben. Wenn man bedenkt, dass die fremden Schreiber in
der Regel aus Herkunftsländer der Gastarbeiter stammen, aus
Ländern, in denen eine fundierte Erzähltradition herrscht und in
denen es noch berufsmäßige Märchenerzähler gibt, ist es
verständlich, dass diese Autoren die trockengewordene deutsche
Gegenwartssprache mit Bildern und Metaphern schmücken konnten
(Tekinay, 1997; 27).
51
Diese
neue
Ausdruckweise,
die
aufgrund
mangelnder
Sprachkenntnisse
zu
Interferenzfehlern10 führte, spiegelt die soziale Realität der MigrantInnen in der
deutschen Gesellschaft und
identifiziert sich mit
ihrem Sprachgefühl. Die
MigrantInnen bringen ihre Meinungen nur so zum Ausdruck, wie sie es können und
wie sie es fühlen. Kaum von Bedeutung war es für sie, eine vollkommene Sprache zu
verwenden, weil sie der Meinung waren, dass diese hektische Sprache ihre Realität im
Ausland spiegelte. Hierzu bemerkt Lange:
Die auf Deutsch schreibenden MigrantInnen legen großen Wert
darauf, dass ihre Texte so, wie sie geschrieben sind, anerkannt
werden, und nicht durch Korrekturen von Lektoren „glattgebügelt“
werden (Lange, 1996; 16).
Tekinay greift die Sprachhaltung der ausländischen AutorInnen auf und weist darauf
hin, dass eine solche Sprachhaltung unter den Deutschen ein großes Interesse an der
Literatur und am kulturellen Leben der Ausländer geweckt hat:
Die Emigration war ihr unvermeidliches Thema, eine bittere Wunde,
die zugleich eine unerschöpfliche Quelle war, und die jeweilige
Muttersprache mit ihrem Bilder- und Symbolreichtum ließ sich ohne
weiteres
ins
Deutsche
übertragen.
Gewiss
war
es
ein
ungewöhnliches Deutsch, ein Deutsch, das kein Muttersprachler
produzieren würde, zwar nicht fehlerhaft, aber eben ungewohnt, und
trotzdem oder gerade deshalb so reizvoll (Tekinay, 1997; 28).
Aus der Tatsache, dass Sprache und Literatur wichtige Bestandteile der kulturellen
Identität sind (Vancea, 2008; 11), folgern wir, dass das Schreiben in der Muttersprache
und das Wechseln zwischen zwei Sprachen auf einen kulturellen Wandel und eine
schrittweise Integration hervorrufen, die von einigen Wissenschaftlern als eine Gefahr
kultureller Entfremdung bewertet wurden (siehe dazu: Lange, 1996; 15). Aber davon
ausgehend, dass die in Deutschland lebenden MigrantInnen aus unterschiedlichen
Nationalitäten bestanden/bestehen, war/ist wichtig, in Deutsch zu schreiben, weil sie
damit als MigrantInnen aus anderen Nationen die Gründe ihrer Betroffenheit und ihrer
Gefühle leichter vermitteln konnten.
10
wie sie z. B. bei der Wiedergabe türkischer Idiome und Redewendungen in deutscher Sprache zu
erkennen sind
52
Die Entstehung der Migrantenliteratur beruhte auf den Erfahrungen der MigrantInnen
über die Hintergründe der Migration. Die in den ersten Jahren der Migration von den
Autoren behandelten Themen haben sich im Laufe der Zeit mit dem soziologischen
und kulturellen Wandel in der deutschen Gesellschaft umgeformt. Nunmehr wollte
man die rassistischen Strukturen in der Aufnahmegesellschaft bloßstellen und das
Daseinsrecht der MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft betonen. Somit fanden
auch die Deutschen eine Gelegenheit, über ihre eigene Kultur aus einer fremden
Perspektive zu lesen und nachzudenken.
In diesem Sinn dokumentiert die türkische Migrantenliteratur seit ihrer Entstehung
durch Zeitschriften und Verlage die soziokulturelle Situation der türkischen
MigrantInnen in Deutschland. Waehrend die AutorInnen der ersten und zweiten
Generation wegen der kulturellen Unterschiede die Deutschen und ihre Kultur
kritisierten, ist diese Haltung bei den AutorInnen der dritten Generation in Wechsel
geraten und sie fingen an, ihre Eigenkultur zu kritisieren.
4.3. Formen der Türkischen Migrantenliteratur
In den bisher erschienenen Werken beschäftigen sich die Wissenschaftler überwiegend
mit dem Inhalt der Migrantenliteratur; dagegen bleibt die Form im Hintergrund.
Deshalb möchten wir in diesem Teil die Formen der türkischen Migrantenliteratur
analysieren und die entsprechend gesammelten Erkenntnisse zur Diskussion stellen.
Die deutschsprachigen türkischen AutorInnen haben die soziale und politische
Reflektion ihrer Kommunikation mit den Deutschen in verschiedenen Gattungen zum
Ausdruck gebracht. Gedichte, Kurzgeschichten, Romane, Tagebücher sind die
Gattungen, die die türkischen AutorInnen benutzt haben. Bevor wir die Entwicklung
dieser Gattungen im Hinblick auf die Migrationsgeschichte zur Diskussion stellen,
scheint uns angebracht, an dieser Stelle zu erwähnen, was den Ausgangspunkt der
Migrantenliteratur bildete bzw. welche Texte bei ihrer Entstehung eine führende Rolle
spielten.
4.3.1. Volkslieder
Die sich im Laufe der Zeit entwickelnde Literatur der türkischen MigrantInnen nimmt
ihre Quellen aus der Literaturtradition im Herkunftsland, wie sie die türkischen
53
Arbeiter
nach
Deutschland
mitgebracht
haben.
Die
mit
dem
türkischen
Musikinstrument Saz gesungenen türkischen Lieder waren in diesem Sinn am Anfang
der Migration die einfachsten Ausdrucksmöglichkeiten für die inneren Gefühle der
zwischen Heimat und Fremde lebenden türkischen Arbeiter. Pazarkaya setzt sich mit
der Entstehung der Migrantenliteratur auseinander und stellt an diesem Punkt die
Funktion der Volkslieder dar;
In den Männerwohnheimen wurde an Feierabenden und Feiertagen
die Saz aus der Stoffhülle genommen; dann wurden nicht nur die
mitgebrachten Lieder gesungen, sondern es entstanden, wie von
selbst, neue Lieder, Lieder der Fremde, Deutschland-Lieder. Die
Irritation der Menschen in der neuen Umgebung, ihre Begegnung
mit einer ungewohnten Gesellschaft, einer fremden Kultur, mit
unbekannten, oft ungeahnten Produktionsmitteln und -verhältnissen,
ihr Heimweh, ihre Sehnsüchte und Hoffnungen, ihre neuen Leiden
und Freuden besangen sie in den tradierten Formen des Volksliedes,
bestehend aus silbenzählenden, gereimten Vierzeilern, manchmal
auch mit befreiender Selbstironie (Pazarkaya, 1985; 17).
Ebenfalls betont auch Ali Osman Öztürk die führende Rolle dieser Gattung und meint,
dass die Lieder, die von den ersten MigrantInnen gesungen worden sind, die
Entstehungsquelle der schriftlichen Migrantenliteratur seien und eine mündliche
Migrantenliteratur entstehen ließen (Öztürk, 2001; 2ff). Die von den türkischen
Arbeitern gesungenen Lieder sind Zeugnisse der Auswirkungen der Arbeitsmigration
auf die betroffenen Menschen, weil diese Menschen in den ersten Jahren der Migration
ihre leidenschaftlichen Gefühle aus der Sehnsucht nach der Heimat mittels Lieder
ausgedrückt haben. Abgesehen davon, dass diese Lieder in türksicher Sprache
abgefasst sind, nehmen sie all die schon erwähnten Eigenschaften der schriftlichen
Migrantenliteratur in sich auf (Öztürk, 2001; 2). Weiterhin macht Öztürk in seiner
Untersuchung darauf aufmerksam, dass die Lieder bei der Entstehung der schriftlichen
Migrantenliteratur deshalb eine so wichtige Aufgabe gespielt haben, weil sie die große
Masse der Gastarbeiter unschwer erreichten, während die schriftliche Literatur noch im
Hintergrund blieb (Öztürk, 2001; 3). Gründe dafür liegen darin, dass die Türken in den
ersten Jahren der Migration die deutsche Sprache noch nicht herrschten und viele von
denen ungebildet waren.
54
4.3.2. Lyrik
Hinsichtlich der Migrantenliteratur und ihrer sozialen Folgen ist festzustellen, dass die
daraus hervorgehende Lyrik auf der Tradition der Volkslieder beruht, die als die
mündlichen Vorläufer der schriftlichen Migrantenliteratur gelten können. In diesem
Sinn nimmt die Lyrik ihre Quellen aus der Form des Volksliedes mani, mit dem die
türkischen Arbeiter ihren Sehnsüchten und Hoffnungen, ihren neuen Leiden und
Freuden lange Zeit Ausdruck gaben.
Die Lyrik ist eine literarische Form, die – neben den AutorInnen der ersten Generation
wie Yüksel Pazarkaya und Habib Bektaş – überwiegend von den AutorInnen der
zweiten Generation verwendet wurde. Zafer Şenocak, Zehra Çırak, Nevfel Cumart u.a.
sind die bekanntesten Lyriker der zweiten Generation.
4.3.3. Epik
Während die AutorInnen der zweiten Generation für ihre Literatur die literarische Form
„Lyrik“ wählten, zeigten die AutorInnen der ersten und dritten Generation eine
Neigung zu Prosatexten. Kurzgeschichten, Tagebücher, Romane, Erzählungen,
Märchen, Witze, Briefe etc. bilden die Literaturgattungen dieser Generationen.
Abgesehen von einigen Stücken von Şinasi Dikmen blieben die Theaterstücke dagegen
ganz im Hintergrund.
Während
Bekir
Yıldız,
Saliha
Scheinhardt
und
Aysel
Özakın
mit
ihren
autobiographischen Romanen bekannt wurden, ragten Şinasi Dikmen und Osman
Engin mit ihren satirischen Texten, Aras Ören mit seinen Erzählungen, Fakir Baykurt,
Güney Dal und Feridun Zaimoğlu mit ihren Romanen hervor.
4.4. Inhaltliche Analyse der Literatur türkischer Migranten
Vom Beginn der Arbeitermigration nach Deutschland in den 1960iger Jahren bis heute
lassen sich die türkischen AutorInnen in drei Generationen, zwischen denen zeitlich
keine genauen Grenzen festlegbar sind, einteilen. Im Folgenden versuchen wir, die
türkischen AutorInnen nach ihren Themen und ihrem Schreibstil einzuteilen, um ihre
Literatur beurteilen zu können. Bedeutsam scheint uns an dieser Stelle daran zu
55
erinnern, dass nicht alle AutorInnen im Zuge der Migration nach Deutschland kamen,
sondern politische und soziale Gründe eine große Rolle dabei gespielt haben, die im
Folgenden einzeln untersucht werden.
Im Laufe dieses Abschnittes werden wir des Weiteren kurze autobiographische
Informationen über türkische AutorInnen vermitteln, die sich in der deutschen und
türkischen literarischen Gesellschaft einen Namen machten.
Ziel dieses Teils ist es, Themenschwerpunkte aller drei Generationen festzustellen und
auf sie aufmerksam zu machen. Somit wird es möglich darzustellen, welche Themen
von welcher Generation und warum am häufigsten behandelt wurden. Hierbei soll
einerseits gezeigt werden, wie der soziokulturelle Wandel der Einwanderer im Laufe
der Zeit das Thema der Literatur türkischer MigrantInnen umgestaltet hat.
4.4.1. Die AutorInnen der ersten Generation
Die
AutorInnen
der
ersten
Generation
sind
eigentlich
die
Pioniere
der
Migrantenliteratur (Kocadoru, 2004; 134); dabei spielen besonders die literarischen
Tätigkeiten von Yüksel Pazarkaya, Aras Ören und Güney Dal eine führenden Rolle
(Kocadoru, 2003; 10). Sie begannen in den 65er Jahren, ihre Literatur zu publizieren
und schrieben - abgesehen von einigen Autoren wie Yüksel Pazarkaya und Şinasi
Dikmen - in türkischer Sprache, da sie die deutsche Sprache gar nicht bzw. mangelhaft
beherrschten.
Sie bedienten sich im Allgemeinen prosaischer Gattungen, um ihre soziokulturellen
Probleme besser und verständlicher übertragen zu können. Şinasi Dikmen fiel mit
seinen satirischen Texten auf. Ihre Werke handeln meistens von
•
ihren negativen Erlebnissen in der anderen Kultur,
•
den schweren Arbeitsbedingungen,
•
ihren Sprachproblemen,
•
der Sehnsucht nach der Heimat,
•
ihrer Einsamkeit,
•
der Ausschließung aus der Gesellschaft und
•
den Gedanken an die Heimkehr.
56
Wie Kocadoru meint, bedeutete das Schreiben für sie einen Widerstand gegen die
soziokulturellen Schwierigkeiten, aufgrund deren ihre Literatur als „Literatur der
Betroffenheit“ genannt worden ist (Kocadoru, 2003; 10).
4.4.1.1. Yüksel Pazarkaya
Yüksel Pazarkaya siedelte nach seiner Schulzeit in der Türkei im Jahr 1958 nach
Deutschland über. Nach dem Chemie-Studium in Stuttgart studierte er Germanistik und
Philosophie und promovierte 1973 in der Literaturwissenschaft. Seitdem arbeitet er als
Schriftsteller. Zuvor hatte er 1961 als Erster überhaupt eine deutsch-türkische
Theaterarbeit initiiert, die zunächst in der von ihm mitbegründeten Stuttgarter
Studiobühne stattfand. Ab 1986 war er als Rundfunkredakteur beim WDR in Köln
beschäftigt11.
Pazarkaya wurde 1987 mit dem Bundesverdienstkreuz, 1989 mit dem Adelbert-vonChamisso-Preis, 1991 mit dem Orhan-Asena-Preis, 1994 mit dem Kinderbuchpreis des
Bremer Senats und schließlich 2005 mit der Sonderauszeichnung bei der Vergabe des
Haldun-Taner-Preises ausgezeichnet. Daneben wurden ihm 2001 die ChamissoPoetikdozentur der Technischen Universität Dresden und 2006 die Ehrendoktorwürde
der Naturwissenschaftlich-Philosophischen Fakultät der Onsekiz-Mart-Universität in
Çanakkale verliehen.
Pazarkayas Tätigkeiten im literarischen Bereich sind sehr umfangreich. Er schrieb im
Bereich der
konkreten Poesie viele Gedichte und
theoretische
Artikel
in
Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Schule/Gruppe, die von Max Bense gegründet
worden ist. Deshalb nennt man Pazarkaya auch den einzigen türkischen Vertreter der
konkreten Poesie. Als Übersetzer hat er viele Gedichte vom Türkischen ins Deutsche
und vom Deutschen ins Türkische übersetzt. Daneben ist er ein Autor/Lyriker/Erzähler
der Literatur türkischer MigrantInnen der ersten Generation;
Zwischen den Betroffenen und den Beobachtenden vertritt Yüksel
Pazarkaya, der schon vor der endgültigen Migration in der
Bundesrepublik lebte und studierte, eine besondere Position. Am
Migrationsprozess nahm er nicht als Arbeiter teil, sondern als
11
Die autobiographischen Informationen beziehen sich auf die deutsche Wikipedia.
57
engagierter Intellektueller, für den die Begegnung mit den
Landarbeitern und Handwerkern aus der Heimat äusserst anregend
war (Sölçün, 2007; 137).
Seine Werke sind u.a. „Rosen im Frost. Einblicke in die türkische Kultur“ (1982), „Ich
möchte Freuden schreiben. Zwei Gedichtzyklen“ (1983), „Spuren des Brots. Zur Lage
der ausländischen Arbeiter“ (1983), „Die Wasser sind weiser als wir. Türkische Lyrik
der Gegenwart“ (1987), „Der Babylonbus. Gedichte“ (1989), „Ich und die Rose“ (2002)
und „Odyssee ohne Ankunft“ ( 2004).
Die mit der Migration nach Deutschland mitgebrachte anatolische Kultur und die
Sprachlosigkeit und Naivität der Türken behandelt er in seinen ersten Gedichten;
Diese Texte, die Jahre später in dem zweisprachigen Band
Irrewege/Koca Sapmalar (1985) gesammelt wurden, gelten zu Recht
als erste literarische Äußerungen zum Thema der türkischen
Migration in Deutschland und besitzen einen dokumentarischen
Wert in der Chronologie der dichterischen Reflexionen (Sölçün,
2007; 137).
Seine Werke haben eine zusammenbringende Funktion; deshalb sieht man ihn als einen
Vermittler zwischen der deutschen und türkischen Kultur an. In seinen Werken versucht
er, die türkische Kultur durch die Gabe von richtigen Informationen darzustellen und sie
mit dem Ziel zu vermitteln, die Vorurteile der Deutschen gegen die Türken möglichst
zu reduzieren. In diesem Sinne fungieren seine literarischen Erzeugnisse als eine
Brücke zwischen zwei Sprachen und zwei Kulturen.
4.4.1.2. Bekir Yıldız
Bekir Yıldız arbeitete zwischen 1962 und 1966 bei Heidelberg und kehrte danach in die
Heimat zurück. Er veröffentlichte seine Texte in der Türkei auf Türkisch. Er
thematisiert in seinem ersten Roman „Die Türken in Deutschland“ seine Erlebnisse und
Erfahrungen in Deutschland. Dieser autobiographische Roman handelt von dem Leben
eines Gastarbeiters, der sich auf einer Zugreise nach Deutschland mit den Gründen der
Migration auseinandersetzt und danach von seiner Konfrontation mit den Deutschen
und ihren Lebensgewohnheiten erzählt (siehe; Pazarkaya, 1985; 19).
58
Auch in seinem Band „Deutsches Brot“ (1974), das ein negatives Bild von Deutschland
zeichnet, problematisiert er die Leiden der Arbeiter, die ihre Familien in der Heimat
zurückgelassen haben. Seine Erzählungen zeigen, um mit Sölçün zu sprechen,
was für eine schwierige Zeit der Autor in der Fremde verbracht haben
muss. Jedoch wirken seine Schwarzweißbilder und seine leichtfertige
Doppeloptik störend (Sölçün, 2007; 136).
Dagegen
behandelt
er
in
seinem
Buch
„Yaman
Göç“
in
Form
von
Reportageerzählungen die Rückwanderungswelle türkischer Arbeiter aus Deutschland
(Pazarkaya, 1985; 19).
4.4.1.3. Aras Ören
Aras Ören fing erst in Deutschland zu schreiben an. Aufgrund von politischen Gründen
ist er nach Deutschland emigriert. Er schreibt in seiner Herkunftssprache. 1985 wurde
ihm zusammen mit Refik Schami der Adelbert-von-Chamisso-Preis für das literarische
Schaffen nicht-deutschsprachiger Autoren in der Bundesrepublik verliehen. Er befasst
sich in seinen Gedichten, Erzählungen und auch in einem Roman mit dem Leben in
Berlin und Istanbul. Besonders das multikulturelle Leben Berlins spielt in Hinsicht auf
die Themen seiner Werke eine führende Rolle (Karakuş, 2001b; 115). Seine „Berlin
Trilogie“ erhebt deshalb die Typen, denen sich Pazarkayas Gedichte widmen,
gewissermaßen auf eine synthetische Ebene; Sie alle stehen für soziale und individuelle
Lebensabschnitte und sind von der Sehnsucht nach einem besseren Leben ergriffen
(Sölçün, 2007; 137).
Örens Literatur, in der er eine realitätsbezogene Sprache zu finden versuchte (Sölçün,
2007; 137), ist gesellschaftskritisch ambitioniert und oftmals gar nicht geeignet,
Verständnis für die türkische Bevölkerung zu wecken (Siehe dazu: Rösch, 1992; 87).
Obschon der erste Prosaband von Ören „Bitte nix Polizei“ auf den ersten Blick als
Kriminalroman gewertet werden kann, gibt es in dieser Erzählung keinen Kriminalfall,
sondern man erzählt symbolisch von einem Mann, dessen Identität durch die
bestehenden gesetzlichen Bestimmungen getötet worden ist. Sölçün stellt dar, dass Ören
in diesem Prosaband das Thema Illegalität behandelt; doch seine Hauptgestalt kämpft,
bei allem Versteckspiel, um ihre Legalität und zugleich um ihre Persönlichkeit (Sölçün,
2007; 140).
59
In seinen weiteren literarischen Werken nimmt er die Fremdheit und die Sprachlosigkeit
der ersten Generation sowie die Situation der Frauen in der männlichen Kultur als
Grundlage.12
4.4.1.4. Fakir Baykurt
Baykurt, der aus politischen Gründen nach Deutschland umsiedelte, war auch in seinem
Herkunftsland ein Schriftsteller. Vor seiner Umsiedlung nach Deutschland hatte er mehr
als zwanzig Bücher veröffentlicht. Während seines Aufenthalts in Duisburg schrieb er
zwei Erzählbände und einen Roman, die alle in der Türkei erschienen sind (Pazarkaya,
1985; 23). Seine Erzählungen und Romane handeln von den türkischen Arbeitern und
ihren Familien im Ruhrgebiet und geben einen Einblick in die Gesamtentwicklung der
Migration (Sölçün, 2007; 139).
4.4.1.5. Nevzat Üstün
Nevzat Üstün schreibt meistens, wie die AutorInnen seiner Generation, über die
türkischen Arbeiter in Deutschland, um seine innerlichen Gefühle darzustellen.
Deshalb gilt er als ein Pionier der Migrantenliteratur, weil er sich in seiner Erzählung
„Almanya Almanya“ (1965) zum ersten Mal den Aspekt der Migration thematisiert hat.
Nach Pazarkaya
war die Erzählung „Almanya Almanya“ nicht nur die erste zum
Themenkreis „Deutschland“, sondern sie griff auch zum ersten Mal
und so früh schon einen Aspekt der Migration und ihrer Folgen auf
(Pazarkaya, 1985; 18).
4.4.1.6. Habib Bektaş
Bektaş emigrierte 1973 als Arbeiter nach Deutschland. Sein erstes Werk „Yaşamı
Kuşatmak“ (Belagerung des Lebens) enthält seine Gedichte und Erzählungen, die das
Leben eines Menschen behandeln, der sich unter fremden Menschen einsam fühlt und
deshalb Identitätsprobleme erlebt. Ebenfalls thematisiert er in seinen weiteren Werken
„Hamriyanım“ das Leben eines türkischen Arbeiters in Deutschland, in „Gölge
Kokusu“ das Leben einer türkischen Familie, die die Wechselwirkung der deutschen
12
Für weitere Hinweise über die literarischen Werke von Ören siehe; Pazarkaya (1985; 24).
60
und türkischen Kultur widerspiegelt und in „Meyhane Dedikleri“ die Diskriminierung,
Fremdenfeindlichkeit und Fremdheit der Migranten (siehe dazu Karakuş, 2001c; 178ff).
Wenn man alle Gedichte und Geschichten von Bektaş thematisch als eine Gesamtheit
ansieht, erkennt man eindeutig, dass in seinen Werken die Probleme der ausländischen
Arbeiter, die sich untereinander von der schweren Arbeitssituation, der Einsamkeit und
der Sehnsucht nach der Heimat etc. erzählen, sehr häufig auftauchen.
Bektaş stellt aber nicht nur die Probleme der türkischen, sondern auch die der
ausländischen Arbeiter dar, weil sie in Deutschland ein gemeinsames Schicksal erleben;
Sehnsucht nach der Heimat und der Einsamkeit. Deshalb erscheint in seinem Gedicht
„İstasyon Kahvesi“ die „İstasyon“ [Bahnhof] als Treffpunkt der ausländischen Arbeiter
hervor, die ihre Sehnsucht nach der Heimat symbolisch darstellt (für weitere Hinweise
siehe, Karakuş, 2001c; 180).
Gel otur masamıza
Türk müsün yoksa Yunanlı mı
Olsun otur
Sen de yabancısın bizim gibi ve de işçi.
(Zitiert aus; Bektaş, 1981; 8).
Es ist klar zu sehen, dass Bektaş in diesem Gedicht vom Mevlanas Gedicht „Ne olursan
ol, yine de gel“ inspiriert ist, in dem nicht die Nationalitäten sondern die Menschheit
betont wird.
4.4.1.7. Güney Dal
Güney Dal ist einer der türkischen Autoren, die aus politischen Gründen nach
Deutschland emigrieren mussten. Er schreibt alle seine Werke auf Türkisch; sie wurden
im Laufe der Zeit ins Deutsche übersetzt.
In seinem ersten Roman „İş Sürgünleri“, der Spuren aus der politischen Situation der
Türkei enthält und in Anlehnung daran einen sozialistischen Blickwinkel widerspiegelt,
behandelt er die Unterdrückung der Menschen. Das Werk handelt von der ArbeiterDemonstration bei der Ford-Fabrik im Jahr 1974 (Ecevit, 2001; 164). Um mit Sölçün zu
sprechen,
schaffen weder das politische Engagement bei einem Streik noch die
gemeinsamen Arbeitsplätze eine menschliche Grundlage für die
61
gegenseitige Annäherung von deutschen und türkischen Arbeitern
(Sölçün, 2007; 137).
Ebenfalls thematisiert er in seinem zweiten Roman „E-5“13 die Heimatlosigkeit, die
schwere Arbeitssituation und die Angst der ausländischen Arbeiter. Auch seine
Erzählungen, die er in dem Band „Yanlış Cennetin Kuşları“ gesammelt hat, handeln mit
einer ironischen Distanz von den Türken, die im Ausland unterdrückt werden. (siehe;
Ecevit, 2001; 165ff). Der Roman „Kılları Yolunmuş Maymun“, der die Narrativität in
einer komplizierten Welt spiegelt (Sölçün, 2007; 140), „Fabrikada Bir Saraylı“ und
„Gelibolu’ya Kısa Yolculuk“ gehen thematisch in die gleiche Richtung wie seine
vorherigen Romane, aber stilistisch weisen sie eine große Entwicklung auf und zählen
zu der Fiction-Literatur (Ecevit, 2001; 171), weshalb Dal 1997 mit dem Adelbert von
Chamisso-Preis ausgezeichnet wurde.
4.4.1.8. Şinasi Dikmen
Der Satiriker Şinasi Dikmen kam 1972 in die Bundesrepublik. Er schrieb Erzählungen
und Kabarettszenen auf Deutsch und führte sie mit Muhsin Omurca auf der Bühne auf.
1984 gründete er das Kabarett „Knobi-Bonbon“, das 1988 mit dem „Deutschen
Kleinkunstpreis“ ausgezeichnet wurde. In den 80er Jahren begann er satirische Texte zu
schreiben und in verschiedenen Sammlungen zu veröffentlichen. 1997 gründete er
zusammen mit Ayşe Aktay die „Käs-Kabarett-Änderungsschneiderei“ (für weitere
Hinweise auf die biographischen Informationen siehe; Durzak, 2004; 112).
In seinen satirischen Texten werden sowohl die bedeutungslose Bürokratie als auch die
gegenseitigen Vorurteile der Deutschen und der Türken thematisiert. Seine
Beschreibungen, die den Leser über die multikulturelle Situation in Deutschland
nachdenken lässt, ironisieren gerade die naive Ehrlichkeit der türkischen MigrantInnen
in der deutschen Gesellschaft und die Reaktion der Deutschen auf ihre Situation. Seine
Darstellung hat eine Doppelperspektive; er erzählt seine Geschichten aus türkischer und
deutscher Perspektive, was ihm beim Erzählen eine sachliche Haltung ermöglicht. Auch
Baypınar betont, dass sich Dikmen in seinen satirischen Werken darum bemüht,
zwischen Türken und Deutschen eine Brücke zur gegenseitigen Verständigung zu
schlagen;
13
Das ist der Name der Hauptverkehrsverbindung zwischen Deutschland und der Türkei.
62
Şinasi Dikmen, der sich in seinen Schriften um die Verständigung
zwischen Türken und Deutschen bemüht, will eher „heilen“ als
„verletzen“. Durch sein überwiegend liebenswürdig, freundlich,
versöhnlich wirkendes satirisches Werk will er nicht „Unruhe“
stiften, sondern dazu beitragen, dass zwischen den beiden Völker
eine Brücke geschlagen wird, eine Brücke der gegenseitigen
Verständigung, Toleranz, der Freundschaft (Baypınar, 1990; 86).
In diesem Zusammenhang ist auch die These von Durzak zu erwähnen, die den
Ausgangspunkt der Literatur von Dikmen, die die sozialen und emotionalen Defizite der
MigrantInnen ironisch thematisiert, über die Fremdheits- und Irritationserfahrungen in
Deutschland aufstellen;
Diese bekenntnishafte Literatur appelliert einerseits an die
Solidarität von Migranten-Leser, die eine ähnliche Situation
durchlebt haben […] und andererseits an die Einsichtsfähigkeit von
muttersprachlichen Lesern, die auf soziale Missstände in ihrer
Lebensumgebung aufmerksam gemacht werden (Durzak, 2004; 112).
Dikmen veröffentlichte drei wichtige Werke; „Wir werden das Knoblauchkind schon
schaukeln“ (1983), „Der andere Türke“ (1985) und „Hurra, ich lebe in Deutschland“
(1995), in denen er besonders die aufgrund der kulturellen Fremdheit der ersten
Begegnung auftauchenden komischen Haltungen der Türken der ersten Generation und
der Deutschen ironisch und satirisch verarbeitet. Die kulturellen Unterschiede bilden für
Dikmen den Ausgangpunkt seiner Stücke, in denen er sowohl die Türken als auch die
Deutschen gleichermaßen verspottet.
4.4.1.9. Themenschwerpunkte der Literatur der ersten Generation
Die Themenschwerpunkte der Literatur türkischer AutorInnen von der ersten
Generation handeln überwiegend von den Schwierigkeiten des Lebens im
Aufnahmeland in einer fremden Kultur. Die Kontrastierung von Heimat und Fremde
bildete im Allgemeinen die Quelle der literarischen Produktion dieser Zeit. Die
häufigsten Motive sind die Sehnsucht nach der Heimat, die schwere Arbeitssituation,
bzw. die Arbeitswelt der Ausländer, die Diskriminierung, der Kulturschock etc.
63
Die schwere Arbeitssituation steht in den Werken dieser Generation deshalb im
Mittelpunkt, weil die türkischen Arbeiter an die schweren industriellen Arbeiten noch
nicht gewöhnt waren. Um mit Lange zu sprechen,
werden
mit
dem
Industriegesellschaft
Wechsel
die
von
einer
Schwierigkeiten
Agrarder
in
einer
Arbeitswelt
in
Deutschland geschildert (Lange, 1996; 31),
weil diese Situation für die von einer Agrargesellschaft kommenden ausländischen
Arbeiter zu schwer und zugleich gesundheitsschädlich war. Darüber hinaus wurden die
Motive um das Leben der Gastarbeiter herum bearbeitet.
Im
Unterschied
zu
dem
in
der
zweiten
Generation
behandelten
Thema
„Heimatlosigkeit“ tritt in dieser Generation „die Sehnsucht nach der Heimat“ hervor,
denn in den ersten Jahren der Migration fühlten sich die ausländischen Arbeiter noch
ihrem Herkunftsland zugehörig. Deshalb bearbeiteten sie in ihren Werken Motive wie
Bahnhof, Zug, Heimweh, Sehnsucht nach Freunden, Kindern und Verwandten in der
Heimat.
Die Konfrontation mit den Deutschen und ihren Lebensgewohnheiten lässt sich durch
zwei Themen beschreiben;
durch Kulturschock und Diskriminierung. Unter einer
fremden Kultur zu leben führt die Türken schrittweise zur Einsamkeit, die im Laufe der
Zeit in eine Identitätskrise umschlägt. Die gegenseitige Fremdheit der Türken und
Deutschen - sie kannten einander noch nicht - bringt die Angst vor einer fremden Kultur
und darüber hinaus die gegenseitigen Vorurteile mit sich, welche lange Zeit nicht
überwunden werden konnten. In Folge dieser Angst und Fremdheit bricht die
Fremdenfeindlichkeit und in Anlehnung daran die Diskriminierung aus, welche von den
türkischen AutorInnen in den literarischen Werken als bittere Themen übertragen
worden sind.
Die oben genannten Themen beziehen sich nicht nur auf türkische Arbeiter und auf ihre
Probleme, sondern auf alle ausländischen Arbeiter, die in Deutschland ein gemeinsames
Schicksal teilen; die Sehnsucht nach Heimat und die Einsamkeit.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die ersten Erfahrungen der Gastarbeiter und
ihre Gefühle den Ausgangspunkt der Literatur der ersten Generation bildeten. Sie haben
sich lange Zeit mit den Gründen der Migration auseinandersetzt und ihre Gefühle
literarisch ausgedrückt, wodurch sie zu den Pionieren der nachfolgenden AutorInnen
64
geworden sind. Die Definition der „Fremde“ von Pazarkaya skiziert den Themenkreis
der türkischen AutorInnen der ersten Generation eindeutig. Nach Pazarkaya bedeutet
Fremde Trennung, Heimweh, Not und Entbährung, seelischen und geistigen
Reifeprozess, Lebenserfahrung (Pazarkaya, 1985; 19).
4.4.2. Die AutorInnen der zweiten Generation
Im Unterschied zu den AutorInnen der ersten Generation haben die AutorInnen der
zweiten Generation ihre Literatur in deutscher Sprache verfasst; sie konzentrierten sich
auf soziologische und kulturelle Themen wie z.B. die „Identitätsproblematik“,
„Mischkultur“, „Integration“ etc. konzentriert, weil sie bikulturell erzogen worden
waren. Bulut weist auf diesen Punkt hin und sschreibt, dass diese Schriftsteller ihre
Kindheit in der Türkei verbracht haben und nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland
mit großen Adaptationsschwierigkeiten und Persönlichkeitsproblemen konfrontiert
worden sind (Bulut, 1995; 241). In ihren Werken haben sie das Gefühl des
„Dazwischenseins“ (Kuruyazıcı, 1990; 98) mit Hilfe verschiedener Bilder dargestellt,
weshalb sie als die zwischen zwei Kulturen und zwei Sprachen Gebliebenen genannt
werden. In diesem Zusammenhang kann man sagen, dass ihre Literatur sich um drei
Fragen entwickelt hat, die die Menschen dieser Generation zur Identitätskrise führen;
•
Wer bin ich?
•
Woher komme ich? und
•
Wohin gehe ich? (Kocadoru, 2003; 21).
4.4.2.1. Feridun Zaimoğlu
Zaimoğlu schreibt Zeitungsartikel für „Die Zeit“ und die „Süddeutsche Zeitung“ und
hat im Jahr 2002 den Hebbel-Preis erhalten. Sein erster Roman „Abschaum“ wurde
unter dem Titel „Kanak Attak“ verfilmt. Er thematisiert in seinen Bänden „Kanak
Sprak“, „Koppstoff“ und „Abschaum“ die Sprachproblematik der MigrantInnen der
zweiten Generation, die zwischen zwei Kulturen hin- und hergehen. Der Roman
„Liebesmale, scharlachrot“ (2000), der in Form eines Briefromans die Identitätssuche
thematisiert, und das Buch „German Amok“ (2002), das in Form eines Künstlerromans
das dramatische Leben eines deutsch-türkischen Malers erläutert, gelten in Deutschland
als die Werke, die die deutsche Literatursprache bereichert und erweitert haben (siehe
dazu: Bullivant, 2004; 96).
65
Zaimoğlu lehnt das Jammern bzw. die Betroffenheit der Türken in Deutschland mit
einer bissigen Sprache ab, weshalb seine Haltung mit der Darstellungsweise von
Autoren der dritten Generation Ähnlichkeiten zeigt (siehe; Kocadoru, 2004; 136). In
seinen Romanen, besonders im „German Amok“ thematisiert er den Sex. Durch dieses
Thema, die die AutorInnen seiner Generation als ein Tabu ansehen, steht er literarisch
den AutorInnen der dritten Generation sehr nahe. Er zählt aber trotzdem zu den
AutorInnen der zweiten Generation, da er in seinen Texten mit aller Deutlichkeit die
Aussage „Wir Kanaken“ betont und die Konflikte zwischen der deutschen und
türkischen Jugend in den Sinn zurückruft (Karakuş, 2001a; 77).
4.4.2.2. Zafer Şenocak
Şenocak, der im Jahre 1988 mit dem Adelbert von Chamisso-Preis der Robert BoschStiftung ausgezeichnet wurde, schreibt seine Werke eher in Prosa als in Lyrik. Sein
literarisches Schaffen zieht das Interesse der deutschen Literaten auf sich. In seinen
Gedichten problematisiert er besonders die sozialen und kulturellen Probleme der
zweiten türkischen Migrantengeneration. Um die Gründe der sozialen Probleme dieser
Generation ans Tageslicht zu bringen, nimmt er eine tiefe soziokulturelle Analyse der
bestehenden Schwierigkeiten durch. Wie Bullivant in ihrer Arbeit betonte, lag das
Hauptproblem der zweiten Migrantengeneration bei der Organisationslosigkeit der
türkischen Jugendlichen, bei ihrer Haltung gegen die deutsche Sprache und bei ihrer
einseitigen Türkeiorientierten-Denkweise, die all ihr Dasein in Deutschland tief
beeinflussten;
Um die eigenen Interessen zur Sprache zu bringen und zu wahren
„müsste die türkische Jugend Deutschlands das Obrigkeitsdenken
der Eltern abstreifen und eine einseitige Türkeiorientierung
aufgeben“. Um einen solchen Widerstand durchzusetzen müsste die
zweite Generation „sich selbst organisieren und institutionalisieren,
durch Wort und Tat sich bemerkbar zu machen (Bullivant, 2004;
91f).
An diesem Zitat ist zu erkennen, dass es den Kern Şenocaks Werke bildet, die
türkischen Jugendlichen zu verstehen und für ihre soziokulturellen Probleme eine
Lösung zu finden. Er sich in seinen Gedichtbänden „Flammentropfen“ und „Ritual der
Jugend“, den gefährlichen Abgrund zwischen den zwei Sprachen und zwei Kulturen zu
66
beseitigen, indem er zwischen ihnen eine Brücke baut (Özoğuz, 2001; 201). Aus diesem
Grund thematisiert er in seinen Gedichten die Sprachproblematik der türkischen
MigrantInnen und ihre seelische Situation unter den Deutschen. Darüber hinaus wird
seine Kreativität durch die Motive wie Sprache, Identität, Hörigkeit etc. gelenkt.
Ungeachtet der Tatsache, dass Şenocak in seinen Gedichten die sowohl sprachlich als
auch kulturell zwischen zwei Welten gebliebenen Menschen in den Mittelpunkt seines
Werks stellt, reflektiert er seinen Lesern keine Hoffnungslosigkeit, sondern die Freude
daran, zwei verschiedenen Kulturen gleichzeitig zu umarmen (Özoğuz, 2001; 208).
4.4.2.3. Osman Engin
Es gibt unter den AutorInnen der türkischen Migrantenliteratur nur drei Autoren, die die
Ironie und Satire in ihren Werken meisterlich verwenden; Diese sind Şinasi Dikmen
aus der ersten Generation, Osman Engin aus der zweiten Generation und Kerim Pamuk
aus der dritten Generation.
Osman Engin stellt die Türken in Deutschland und ihre Kommunikation mit den
Deutschen unter eine mikroskopische Beobachtung und sammelt sich somit
interkulturelle Themen.
Seit 1983 veröffentlicht er in Magazinen und Zeitungen regelmäßig satirische
Kurzgeschichten aus dem deutsch-türkischen Alltagsleben.14 Seine erste eigenständige
Buchveröffentlichung erschien 1985 unter dem Titel „Der Deutschling“. Engin erhielt
für seine Satiren diverse Auszeichnungen. Neben einem Literaturpreis in seiner
Heimatstadt Bremen erhielt er unter anderem Literaturpreise in Berlin und
Gelsenkirchen. 2006 folgte der ARD-Medienpreis, für den Engin bereits 2004 einmal
nominiert war. Er erhielt ihn für den kurzen WDR-Magazinbeitrag Ich bin Papst, der,
so die Jury,
humorvoll mit alltäglichen Vorurteilen und Klischees“ spielt. Engin
sei „eine beeindruckende Satire gelungen über die deutsch-türkischen
Beziehungen und die oft absurden Situationen im Umgang mit
vermeintlichen Ausländern.
14
z.B. in der Frankfurter Rundschau, der Titanic oder der taz.
67
Bis heute erschienen Texte von Engin auch in deutschen, französischen, dänischen,
holländischen, schwedischen und kanadischen Schulbüchern. Osman Engin hat jeden
Donnerstagnachmittag eine Hörfunkrubrik "Alltag im Osmanischen Reich" beim
Funkhaus Europa (Radio Bremen 96,7/WDR 103,3). Zurzeit wird einer seiner Romane,
„Kanaken-Gandhi“ (2000), verfilmt 15.
Seine Werke sind u.a. „Lieber Onkel Ömer - Briefe aus Alamanya“ (2008), „Tote essen
keinen Döner“ (2008), „Don Osman auf Tour“ (2007), „Getürkte Weihnacht“ (2006),
„West-östliches Sofa“ (2006), „Don Osman“ (2005), „GötterRatte“ (Roman, 2004),
„Oberkanakengeil“
(2003),
„Kanaken-Gandhi“
(Roman,
2001),
„Dütschlünd,
Dütschlünd übür üllüs“ (1994), „Alles getürkt!“ (1992), „Der Sperrmüll-Efendi“ (1991),
„Deutschling“ (1985).
4.4.2.4. Zehra Çırak
Zehra Çırak wurde 1961 in Istanbul geboren und musste mit drei Jahren nach
Deutschland emigrieren. Sie hat vier Gedichtbände verfasst. Im Jahre 1991 wurde sie
mit dem Hölderlin-Preis für Lyrik und 2001 für ihren letzten Gedichtband
„Leibesübungen“ (2000) mit dem Adelbert von Chamisso-Preis der Robert BoschStiftung ausgezeichnet. In ihren Werken weist sie sehr häufig auf das Doppelleben der
türkischen MigrantInnen in Deutschland hin und thematisiert die Schwierigkeiten mit
der fremden Sprache. Da sie sowohl in ihrer Heimat als auch in Deutschland gelebt hat
und bilingual aufgewachsen ist, verwendet sie in ihren Werken die Sprachbilder aus
beiden Sprachen (Öztürk, 2004; 157). Ihre autobiographischen Prosatexte handeln
überwiegend von zwei Sprachen, die auch die Persönlichkeit der MigrantInnen der
zweiten Generation in zwei spaltet. Deshalb sieht man meistens in ihren Texten das
literarische Bild der „Brücke“ sich in den Vordergrund drängen (siehe; Lange, 1996; 29
und Kuruyazıcı, 1990; 98f). Im folgenden Gedicht „sich warmlaufen“, das aus drei
Zeilen besteht, ist das literarische Bild der „Brücke“ dargestellt, das mit der Kälte, bzw.
mit der Unruhe identifiziert wird;
Weil man weiß, daß auch Brücken ein Ende haben
braucht man sich beim Übergang nicht zu beeilen
doch auf Brücken ist es am kältesten. (Zitiert aus; Çırak, 1991; 11)
15
Die autobiographischen Informationen beziehen sich auf die deutsche Wikipedia.
68
In diesem Gedicht tritt das Bild der „Brücke“ als Symbol vor, das das Ortsproblem
thematisiert (Öztürk, 2004; 158). Diese Brücke verbindet zwei Orte bzw. zwei Ufer,
zwei Kontinente oder zwei Kulturen miteinander, die von der Autorin gleich beliebt
sind. Dagegen betont man hier symbolisch die Unruhe und die Schwierigkeit auf der
Brücke zu verbleiben. Da die Autorin die beiden Orte gleichermaßen liebt, kann sie sich
nicht entscheiden, in welche Richtung zu gehen ist. Je länger man auf der Brücke bleibt,
desto größer wird der innere Schmerz. In diesem Sinn gewinnt die deutsche
Volksweisheit „Der eine baut die Brücke und der andere geht hinüber“ die Bedeutung,
dass die AutorInnen der zweiten Generation die Brücke bauen, damit die
Nachkommenden unschwer hinüber gehen können.
In diesem Zusammenhang nehmen ihre Texte – genauso wie auch bei Zafer Şenocak
der Fall ist - die erfüllende Aufgabe an, über die interkulturellen Unterschiede
hinwegzusehen und die Vorurteile möglichst zu tilgen. Auch Oraliş betont in ihrem
Aufsatz diesen Standpunkt und sagt, dass es der einzige Wunsch von Çırak war, in einer
gemischten Kultur zu leben, die aus ganz unterschiedlichen Kulturen besteht (Oraliş,
2001; 213).
4.4.2.5. Saliha Scheinhardt
Scheinhardt konzentriert sich in ihren Werken auf Motive, die aus ihrer Kindheit
stammen. Bekannt geworden ist sie mit ihren Reportagenerzählungen über die Situation
türkischer Frauen in der Bundesrepublik und in der Türkei. In ihrem ersten
autobiographischen Werk „Träne für Träne werde ich heimzahlen“ problematisiert sie
die Lieblosigkeit, den Hass, den Streit und die Armut der Menschen. „Drei Zypressen“,
„Und die Frauen weinten Blut“, „Frauen, die sterben, ohne dass sie gelebt hätten“, „Die
Stadt und das Mädchen“ sind ihre weiteren Werke, in denen sie die schwere Situation
der türkischen Frauen zur Diskussion stellt. Diese Werke sind nicht Fiktion, sondern
nehmen ihre Themen aus der realen Welt heraus (Aytaç, 2001c; 244). In diesen Werken
werden
sehr
häufig
die
Motive
wie
z.B.
Familiendruck,
Lieblosigkeit,
Hoffnungslosigkeit bearbeitet. In ihrem letzten Roman „Die Stadt und das Mädchen“
nimmt Scheinhardt im Unterschied zu ihren vorherigen Romanen die Gründe ihrer
harten, ungeeigneten und grausamen Haltung gegen die Türkei selbstkritisch unter die
Lupe (Aytaç, 2001c; 244).
69
Sie schreibt deutsch, lehnt ihre Sprache aber sehr eng an das Türkische an. Sie benutzt
Lehnübersetzungen und überträgt die Bildersprache des Türkischen ins Deutsche (siehe;
Rösch, 1992, 52). Dagegen bringt Aytaç in ihrem Aufsatz offensichtlich zum Ausdruck,
dass Scheinhardt noch kaum ein ästhetisches Niveau habe, für sich unter der deutschen
oder türkischen Literatur Platz finden zu können (Aytaç, 2001c; 247).
4.4.2.6. Aysel Özakın
Özakın war auch in ihrem Herkunftsland eine Schriftstellerin. Sie studierte am
pädagogischen Institut in Ankara und arbeitete später als Dozentin für Französisch am
pädagogischen Institut Atatürk in Istanbul. 1974 erhielt sie den Sabahattin-AliErzählpreis. Aufgrund politischer Gründe ist sie nach Deutschland emigriert und konnte
innerhalb kurzer Zeit im deutschen Literaturbetrieb für sich Platz finden. Sie schreibt
autobiographisch. „Der fliegende Teppich. Auf der Spur meines Vaters“, in dem sie ihre
Beziehung zu ihrem Vater in ihrer Kindheit und Jugend beschreibt, und „Die
Preisvergabe“, in dem sie das Leben von Frauen in der türkischen Gesellschaft
thematisiert, erschienen schon in den 80er Jahren in deutscher Übersetzung (Rösch,
1990a; 155). Genauso wie in ihrem Werk die „Preisvergabe“ thematisiert sie auch im
Roman „Die blaue Maske“ das Geschlechterverhältnis, weshalb man die beiden
Romane als multikulturell bewertet. In ihren Erzählbänden „Soll ich hier alt werden?“
und „Das Lächeln des Bewusstseins“ und auch in ihrem autobiographischen Roman
„Die Leidenschaft der anderen“ thematisiert sie die Situation der Frauen in der
Gesellschaft. Nur ihre Erzählung „Schatten und Schritte“ handelt von der Migration
(Rösch, 1990a; 156). Sie vergleicht in dieser Erzählung das Bild von türkischen und
deutschen Frauen und Männern und stellt die orientalische und europäische
Lebensauffassung gegenüber. In ihrer Erzählung „Mutter hat ihre Arbeit verloren“
problematisiert sie türkische Menschen, die von den Deutschen deshalb als fremd und
rückständig diskriminiert werden, weil sie aus ländlichen Gebieten der Türkei kommen
und als ungebildet gelten.
Im Unterschied zu den Themen ihrer Romane und Erzählungen diskutiert sie in ihrem
Gedicht „Die Türken in Deutschland leben zwischen zwei Welten“ (1985) die deutsche
Ordnung und Pünktlichkeit aus (siehe dazu: Laudenberg, 2004; 142).
70
Ihre oben erwähnten Werke zeigen, dass Özakıns Literatur als Emanzipationsliteratur zu
verstehen ist, die sich nicht nur auf das Geschlecht, sondern auch auf die Klasse und
Ethnie bezieht (Rösch, 1990a; 167).
4.4.2.7. Alev Tekinay
Alev Tekinay hat im Vergleich zu den anderen türkischen AutorInnen in Deutschland
eine besondere Lage, weil sie zuerst in der Türkei die deutsche Sprache erlernte und
dann nach Deutschland übersiedelte, um vor Ort Germanistik zu studieren. Ihr
Fachgebiet ist Deutsch als Fremdsprache. Dank ihres Untersuchungsschwerpunktes ist
es ihr erspart geblieben, einen Kulturschock zu erleben (Aytaç, 2001b; 223). Seit 1983
ist sie an der Universität Augsburg als Lektorin tätig.
In ihren Werken thematisiert sie die Probleme von Ausländern der zweiten Generation,
die ihre Identität in zwei Welten bzw. in Deutschland und in der Türkei suchen. Sie
bezeichnet die Literatur der zweiten Generation als „Brückenliteratur“ (Kocadoru, 2004;
135), weil die Autoren dieser Generation zwischen zwei Kulturen und Sprachen bzw.
zwischen Orient und Okzident stets hin und her pendeln. Ihre Literatur schließt deshalb
keine Vorurteile ein, weil sie alle Kulturen auf der Welt als gleichwertig ansieht und als
Schwerpunkt ihrer Werke die Humanität und in Anlehnung daran eine bunte Welt
herausstellt. Aus diesem Grund wird sie von manchen Literaturkritikern mit
Optimismus kritisiert (Aytaç, 2001b; 223f). In ihrem Roman „Der weinende
Granatapfel“ behandelt sie die Türken und die Deutschen, die am gleichen Ort in
Harmonie zusammenleben. Dagegen bearbeitet sie nur in ihrem letzten Roman „Nur der
Hauch von Paradies“ die Problematik der zweiten Generation, die von den Deutschen
immer noch als fremd angesehen wird, obwohl sie Deutschland als ihre eigene Heimat
betrachtet (Aytaç, 2001b; 229).
4.4.2.8. Nevfel Cumart
Nevfel Cumart wurde als Kind einer türkischen Familie in Deutschland geboren,
deshalb ist er weder Migrant noch Gastarbeiter. Er studierte Turkologie, Arabistik und
Islamkunde an der Universität Bamberg. Er ist ein deutscher Journalist, Schriftsteller
und Übersetzer. 1983 erschien sein erster von inzwischen insgesamt dreizehn
Gedichtbänden. Damit gehört Cumart zu den produktivsten publizierenden deutschen
71
Lyrikdichtern der jüngeren Gegenwart. In diesem Zusammenhang erhielt der Autor
auch mehrere Preise. Seine Werke sind u.a. „Im Spiegel. Stade“ (1983), „Ein
Schmelztiegel im Flammenmeer“ (1988), „Verwandlungen“ (1995) „Zwei Welten“
(1996) und „Seelenbilder“ (2001)16.
Er schreibt häufig Gedichte, die die inneren Gefühle der zwischen zwei Welten
gebliebenen Menschen thematisieren. Genauso wie in seinen meisten Gedichten
behandelt er im Gedicht „Zwischen zwei Welten“ die Auseinandersetzung des Autors
mit seiner eigenen Identität, indem er seine seelischen Wunden und seine Leidenschaft
wegen der Fremdheit und Sehnsucht nach Heimat bearbeitet.
4.4.2.9. Renan Demirkan
Demirkan ist mit ihrer Familie im Alter von sieben Jahren nach Hannover umgesiedelt.
Dort studierte sie Schauspiel. Sie wurde 1989 mit dem „Goldene Kamera-Preis“ und
1990 mit dem „Adolf-Grimme-Preis“ ausgezeichnet.
Sie hat dank ihres ersten Romans „Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker“ (1991) das
Interesse der deutschen Leser an sich gezogen und wurde innerhalb von kurzer Zeit in
Deutschland eine bekannte Autorin. Dabei spielte natürlich eine Rolle, dass Demirkan
in Deutschland schon als Schauspielerin bekannt war. Aber wichtiger scheint es
anzumerken, dass sie diesen literarischen Erfolg durch ihren Schreibstil und durch die
Bearbeitung von universalen Themen erreichte (für weitere Hinweise siehe, Kuruyazıcı,
2001; 249).
Ihr Roman „Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker“ entwickelt sich um eine schwangere
Frau herum, die im Krankenhaus auf den Arzt wartet. Die Widerspiegelung des
Bewusstseinstroms hat ihren Grund nicht darin, die kulturellen Stücke aus dem
Herkunftsland zu betonen; denn die eigenen kulturellen Motive bleiben im Hintergrund.
Sie will in erster Linie die universalen, allgemeingültigen kulturellen Streifen in den
Vordergrund stellen. Um mit Bulut zu sprechen,
versucht sie fern von allen möglichen Vorurteilen, neutral an die
Kulturen der beiden Völker heranzugehen, um den Problemen, mit
72
denen die türkische Seite konfrontiert ist, auf den Grund zu gehen
(Bulut, 1995; 242).
Gleicherweise thematisiert sie in ihrem zweiten Roman „Die Frau mit Bart“ (1994) das
Leben zweier Frauen, die ein ähnliches Schicksal teilen;
Ein von den schlechten
Lebensbedingungen gesteuertes Leben, die Leiden ihres Ehelebens und somit die
auftauchende Identitätskrise (Kuruyazıcı, 2001; 250).
1999 ist ihr dritter Roman „Es wird Diamanten regnen vom Himmel“ erschienen, auf
den ihre Geschichten „Über Liebe, Götter und Rasenmähn“ (2003) und ihr
autobiographischer Roman „Septembertee“ (2008) folgten.
4.4.2.10. Themenschwerpunkte der Literatur der zweiten Generation
Die Migrantenliteratur umfasst – wie bereits dargelegt- eine ungefähr 50 jährige
Zeitspanne, die heute immer noch im Fluss ist. Obschon man diese Literatur durchweg
von ihrem Anfang bis heute als Gesamtheit bewertet, stellt die Migrantenliteratur der
80er Jahre thematisch einen Durchbruch dar;
Nicht
mehr
wurde
herablassend
von
Gastabeiterliteratur
gesprochen; die zweite Migrantengeneration, die in Deutschland
großgeworden war und Deutsch als Mutter- oder zweite Sprache
gelernt hatte, fing an, sich zu Wort zu melden (Bullivant, 2004; 91).
Demnach ist die Literatur der AutorInnen der zweiten Generation entscheidend in den
Vordergrund getreten, weil sich in dieser Zeit die Themen im Unterschied zu denen der
ersten und dritten Generation stilistisch und thematisch in ganz verschiedene
Richtungen
entwickelten,
die
die
inneren
Konflikte
der
MigrantInnen
problematisierten. Diese Tatsache hat das Interesse der Deutschen und der Türken auf
die Literatur der AutorInnen der zweiten Generation gezogen.
Um die sog. Identitätskonflikte ausdrücken zu können, haben die türkischen
AutorInnen in ihren Texten unterschiedliche Motive bearbeitet, die die interkulturelle
Rezeption der Texte erleichterten. Die von den türkischen AutorInnen der zweiten
Generation am meistens bearbeiteten Motive sind die Brücke, der Vogel, der Flug, die
Tür und der Seiltanz, die auf zwei Länder, zwei Kulturen, zwei Heimaten oder zwei
Identitäten hinweisen. Das Hauptziel der AutorInnen der zweiten Generation ist, die
Artikulation des Leidens zu lösen. Ackermann stellt das wie folgt dar;
73
Die Fähigkeit zur Artikulation unterscheidet sie [zweite Generation]
von den vielen ihrer Altergenossen und Landsleute, die in ihrem
Leiden stumm bleiben. Stummheit verstärkt das Leiden, macht es
ausweglos. Artikulation des Leidens ist ein erster Schritt, dagegen
anzugehen. In diesem Sinne werden die Autoren zum Sprachrohr für
die vielen, die stumm bleiben (Ackermann, 1985; 28).
An diesem Zitat kommt das Schreibziel der AutorInnen der zweiten Generation ans
Tageslicht; Schreiben für die eigene Identität.
Das Thema „Identitätssuche“ ist vielmehr das eigentliche Thema der Literatur von
türkischen MigrantInnen der zweiten Generation. Hier betont man die Angst der
türkischen MigrantInnen vor dem Verlust der eigenen Identität. Wie Lange im
Folgenden zum Ausdruck bringt, fühlen sich die MigrantInnen unter den Deutschen
isoliert, weil sie sich in Deutschland mit einer fremdenfeindlichen Situation
konfrontiert sehen und daher in ihrem Verhalten irritiert werden;
Die
MigrantInnen
finden
sich
relativ
isoliert
in
einer
desinteressierten, oft fremdfeindlichen eingestellten Umwelt. Sie sind
irritiert
durch
bestimmte
Verhaltensweisen
der
deutschen
Bevölkerung, und dieses Unverständnis stellen sie in ihren Texten
dar (Lange, 1996; 33).
Durch ihre Texte haben die AutorInnen der zweiten Generation lange Zeit die verletzte
Identität und das Leiden der MigrantInnen widergespiegelt. Lange nennt das
„Schreiben als eine Form der Therapie“ (Lange, 1996; 33), weil die AutorInnen die
Literatur als Mittel genutzt haben, ihren Leiden zu entweichen.
Die Identitätsproblematik der türkischen MigrantInnen in Deutschland beruht nicht nur
auf der Isolation aus der deutschen Gesellschaft, sondern auch auf der Heimatlosigkeit;
denn die MigrantInnen fühlen sich nunmehr weder in Deutschland noch in der Türkei
zu Hause. Sie sind in Deutschland Ausländer und in der Türkei „Almancı“
(Deutschländer). Eine Isolation aus beiden Gesellschaften führt die MigrantInnen dazu,
ihre eigene Kultur, die weder deutsch noch türkisch ist und als Subkultur bezeichnet
wird, zu schaffen. Auch ihre Sprache ist anders; sie beherrschen beide Sprachen
mangelhaft. Diese hektische Sprache nebst ihrem Verhalten wirkt sich in der
Gesellschaf negativ aus, weshalb Zaimoğlu dafür den Begriff „Kanak“ abgeleitet hat
(siehe dazu: Zaimoğlu, 1995).
74
„Kanake“ ist ein diskriminierendes Schimpfwort und bezeichnet die ausländischen
Arbeitnehmer, bes. Türken, die ungebildet und einfältig sind (Duden, 1983; 662). Mit
diesem Begriff weist Zaimoğlu auf den sozialen Druck der hektischen Sprache hin, der
die MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft zur Einsamkeit und zugleich zur
Identitätsproblematik führt, weil sie wegen ihrer defizitären Sprachkompetenz sich in
der Gesellschaft nicht zum Ausdruck bringen können. Eine andere Blickweise ist eine
Sprache der Rebellion, die sich durch die fehlerhaften wörtlichen Übertragungen aus
dem Türkischen ins Deutsche über alle ethnisch begründeten Sprachbarrieren
hinwegsetzt (siehe; Brunner, 2004; 85f).
Neben der Suche nach der Identität wird in den Texten dieser Generation der Begriff
„Integration“ sehr häufig bearbeitet. Dieser Begriff wird sehr oft mit dem Begriff
„Assimilation“ verwechselt. Integration beruht auf interkulturelle Kommunikation und
gewinnt bei einer Annäherung an eine fremde Kultur an Bedeutung. Die Integration
kommt vor, wenn ein Türke Blutwurst und ein Deutscher Kebab isst (Biondi, Naoum,
u.a., 1982; 5). Aber die türkischen MigrantInnen haben die Integration lange Zeit als
ein soziales Problem angesehen, die in Schritten zum Verlust der eigenen Kultur bzw.
zur Assimilation führt.
Ein anderes Thema, das in Verbindung mit Integration und Assimilation abgehandelt
wurde, ist die Sprachproblematik der zweiten Generation, die als die Erosion der
Muttersprache (Thore, 2004; 19) verstanden wird. Da die Autoren der zweiten
Generation neben der Muttersprache meistens auch eine Fremdsprache und die Sprache
des
Aufnahmelandes
beherrschten,
führte sie diese
Mehrsprachigkeit
einer
Identitätsproblematik. Mit ihrer Aussage über die Mehrsprachigkeit bekräftigt Alev
Tekinay die Relation zwischen der Mehrsprachigkeit und der Identitätsproblematik im
Aufnahmeland;
Durch zwei Sprachen war ich zwei verschiedene Menschen, hatte ein
türkisches und deutsches Ich, die sich ständig stritten und nie in
Einklang bringen ließen (Tekinay, 1997; 29).
Auch in den meisten Gedichten von Nevfel Cumart kommen die Sprachprobleme der
Ausländer zutage; sie reflektieren – wie im obigen Zitat zu sehen ist- die Relation
zwischen der Sprache und Identität;
über die sprache
75
die sprache meiner eltern
ist arabisch
heimlich nur gesprochen
die sprache ihres landes
ist türkisch
gesprochen auf der straße
in der geborgten heimat
ist deutsch
die sprache meiner gedichte
(Zitiert aus; Cumart, 1996; 23)
Im engeren Sinne ist in diesem Gedicht die Rede von der Mehrsprachigkeit und/oder
im weiteren Sinne von Sprachlosigkeit, die den Autor zu einem inneren Konflikt
führen. Er betont, dass er seine Muttersprache nur heimlich sprach, weil die offizielle
Sprache Türkisch war. Daneben lebte er in Deutschland und schrieb seine Gedichte in
deutscher Sprache. Dieses dreieckige Sprachgefühl lässt bei ihm Identitätsprobleme
wachsen.
In den Texten dieser Generation reflektieren sich außerdem die rassistischen Angriffe
der Nazis gegen Ausländer (Fremdfeindlichkeit und Hass). Cumarts Gedicht
„brennende nächte“ ist ein Beispiel dafür, dass er die Gefühle der Ausländer über diese
Angriffe zum Ausdruck bringt. In diesem Gedicht weist Cumart auf die rassistischen
Nazi-Angriffe in Rostock, Mölln, Solingen und Bielefeld hin und betont, dass die
Ausländer immer Angst vor diesen Anschläge haben.
Die literarischen Werke dieser Generation haben durch ihre Themen, Motive und
Ausdrucksweise die Bedeutung der Migrantenliteratur gesteigert und das Interesse der
Menschen auf sich gezogen, wodurch diese Literatur in der literarischen Welt einen
festen Platz bekommen konnte. Nach Kuruyazıcı sei das auch eine Bereicherung der
deutschsprachigen Literatur, weil somit von der türkischen Literaturtradition in die
deutsche Literatur viele literarische und kulturelle Eigenschaften, die dem deutschen
Leser eine neue Welt eröffnen und ihr Kulturbewusstsein bereichern, eingeflossen
seien (Kuruyazıcı, 1990; 99). Auch Weinrich betont in seinem Aufsatz die positive
Wirkung der Migrantenliteratur auf die deutsche Literatur und bringt zum Ausdruck,
76
dass die Ausländerliteratur in Deutschland zweifellos ein neuer Bereich der deutschen
Literatur sei, durch den das literarische Leben in Deutschland bereichert wird
(Weinrich, 1985; 15).
4.4.3. Die AutorInnen der dritten Generation
Die Literatur von Autoren der dritten Generation entwickelt sich im Vergleich zur
Literatur der ersten und zweiten Generation thematisch in eine ganz andere Richtung.
Die Emotionalität dieser Generation bleibt im Schatten der Vernunft, weil die
AutorInnen die türkische und deutsche Kultur, die vorkommenden gesellschaftlichen
Probleme und zugleich das Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft
realistisch dargestellt haben. Im Folgenden weist Kocadoru auf die gleichen Punkte hin;
Ganz anders und viel realistischer verhält sich die dritte Generation
von Autoren türkischer Herkunft in Deutschland, die seit Mitte der
90er Jahre auf sich aufmerksam machen. Es handelt sich um eine
Generation, die sich selbst Fragen stellt und selbst nach Antworten
sucht. Eine Generation zudem, die weder betroffen ist, noch sich auf
Identitätssuche befindet, weil sie weiß, was sie ist (Kocadoru, 2004;
135).
Ebenfalls drückt Kocadoru in einem anderen Beitrag aus, dass die türkischen
AutorInnen in Deutschland sich nicht mehr auf die sich immer wiederholenden Themen
wie Migration oder Arbeitermigration konzentrieren, was ihre literarische Bedeutung in
Deutschland verringert, sondern sie müssen in ihren Texten neue Themen bearbeiten.
Nur somit können sie ihre Literatur weiterentwickeln (Kocadoru, 2001; 56). Darüber
hinaus sind die Ausländer nicht mehr die Unterdrückten und die Leidenden, sondern
genau so wie alle Menschen die Lebenden.
Selim Özdoğan, Emine Sevgi Özdamar, Şener Saltürk, Orkun Ertener, Kadir Kurt,
Kerim Pamuk, Maja Şentürk und İsmet Elçi sind die AutorInnen dieser Generation, die
in ihren Werken sehr unterschiedliche Themen und Motive bearbeiten, obschon sie
inhaltlich das gleiche Ziel verfolgen; friedliches Zusammenleben mit den Deutschen.
77
4.4.3.1. Emine Sevgi Özdamar
Özdamar wurde 1991 für ihren Prosatext „Das Leben ist eine Karawanserei“ mit dem
Ingeborg Bachmann-Preis ausgezeichnet, was dazu beitrug, dass die deutschsprachige
Literatur türkischer MigrantInnen in der deutschen literarischen Welt an Bedeutung
gewann (Kocadoru, 2001; 51). Özdamar ist eine Schriftstellerin, die in letzter Zeit
hinsichtlich
ihres
Sprachgebrauchs
sehr
häufig
zutage
kommt.
In
den
autobiographischen Werken „Das Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer
kam ich rein aus der anderen ging ich raus“, „Die Brücke vom goldenen Horn“17,
„Mutter Zunge“ und „Der Hof im Spiegel“ verwendet sie teils bewusst teils
anscheinend unbewusst18 eine in Deutschland ungewöhnliche Sprache, die voll mit
Interferenzfehlern aus türkischen Metaphern und Sprichwörtern durch die Übertragung
vom Türkischen ins Deutsche gespickt ist. Nach Brunner
schafft sie sich durch wörtliche Übertragungen von Redewendungen
und bildhaften Ausdrücken aus dem Türkischen ins Deutsche eine
befremdlich wirkende neue Sprache, die die Regeln der Grammatik
der Deutschen kokett ignoriert (Brunner, 2004; 87).
Dagegen schätzt Zafer Şenocak den Schreibstil von Özdamar nicht; er kritisiert ihre
Haltung unter dem Gesichtspunkt, dass die verinnerlichten Sprachefehler schlussendlich
zu Identitätskrise führen. Aber wichtiger scheint es ihm, dass die Benutzung so einer
fehlerhaften Sprache in der Art agiert, dass sie die Bilder in den Köpfen der Deutschen
gegen die Türken negativ prägen (für weitere Hinweise darauf siehe; Bullivant, 2004;
93).
Ihre Sprache weist auf eine Reise hin, die nicht nur von Ort zu Ort gemacht wird,
sondern vom Türkischen ins Deutsche bzw. von der türkischen in die deutsche Kultur.
Wie Özdamars Imagination geht ihre Sprache auf Reisen; nicht nur
vom Türkischen ins Deutsche, sondern auch vom Kruden, ja
Vulgären, zum Zärtlichen; gelegentlich macht sie bei der Politik
halt, steigt um zu Witz und Ironie, legt gerne längere Reise-Pausen
bei Erotik und Sinnlichkeit ein (Tunner, 2004; 162).
Wie Tunner schreibt, liegen der Schreib-Reise Özdamars unterschiedliche Motive wie
z.B. Erotik, Politik und Kultur zu Grunde. Sie arbeitet diese Motive grausam mit
17
Beide Werke enthalten viele Informationen über die türkische Geschichte und Politik.
78
vulgärem und ironischem Stil in ihre Werke ein. Während Erotik in den Werken der
AutorInnen der ersten und zweiten Generation fast nie bearbeitet wird, tritt sie in den
Werken Özdamars als ein natürliches Lebensbedürfnis in den Vordergrund, das
einerseits ganz normal andererseits entmenscht und gefühllos widergespiegelt wird.
Die Hinweise auf die Sexsüchtigkeit sind außerdem ein Beleg dafür, dass sie ein Tabu
in der Migrantenliteratur durchbrochen und ihre Erfahrungen multidimensional
bearbeitet hat.
Was ist das Schreibziel von Özdamar im allgemeinen Sinn? Sie bemüht sich darum,
aus unterschiedlichen kulturellen Stücken, die meistens aus ihrer türkischen Erinnerung
stammen, eine Harmonie zu schaffen, weil sie dessen bewusst ist, dass der Weg zur
Integration von der Sprache ausgeht und die Sprache alle interkulturellen Strukturen
bestimmt. Zur Gewährleistung der oben angesprochenen Harmonie zwischen den
fremden Menschen in einer multikulturellen Gesellschaft verwendet sie in ihren
Werken
Sprichwörter, Metaphern, offene und verdeckte Zitate, Schlagzeilen
aus
Tageszeitungen,
von
den
Großeltern
übernommene
Redewendungen, Ausdrücke aus dem türkischen und deutschen
Alltag, Gebetsformeln, Traumreden, Wörter aus der Wörterkiste des
Arabischen und des Persischen ein, weil - um mit Tunner zu
sprechen- die Sprache die Reisende begleitet, wie der Leser die
Reisende begleitet (Tunner, 2004; 163).
Diese Schreibkunst zeigt die Wechselwirkung zwischen Kulturen eindeutig (für weitere
Hinweise siehe, Kuruyazıcı, 1996; 179ff). Kurzum bildet die Auseinandersetzung mit
der Sprache und somit die Reflektion der Herkunftskultur den Ausgangspunkt von
Özdamar.
4.4.3.2. Selim Özdoğan
Özdoğan ist ein Schriftsteller, dem bewusst ist, dass er sich auf einer multikulturellen
Welt befindet. Trotzdem lehnt er die Betonung und die Übertreibung der auf Ethnie
reduzierten Gefühle. Er stellt in seinen Werken überwiegend die allgemeinen
18
In diesem Zusammenhang wird die These vertreten, dass Özdamar die deutsche Sprache nicht so gut
beherrsche; deshalb tauchen in ihren Werken viele Interferenzfehler unbewusst (Bullivant, 2004; 93)
79
menschlichen Gefühle, die keine ethnische Grenze kennen, dar. Deshalb ist Pazarkaya
der Meinung, dass Özdoğans Texte nicht auf Themen begrenzt sind, die die
interkulturellen Probleme der türkischen MigrantInnen in Deutschland behandeln.
Seine Worte richten sich an eine große Lesergemeinde, die nicht nur aus Türken
sondern auch aus Europäern besteht (Karakuş, 2001a; 78). Nach Özdoğan ist es kaum
von Bedeutung, wer ich bin und woher ich komme, wenn ich nun in 20 bin und auf
meine Geliebte warte (Kocadoru, 2003; 29). Hier betont man die Lebensfreude, ohne
die eigene kulturelle Identität in den Vordergrund zu ziehen.
4.4.3.3. Orkun Ertener
Orkun Ertener ist im Alter von vier Jahren nach Deutschland übergesiedelt und wuchs
als Sohn türkischer Einwanderer in Rüsselsheim auf. Nach dem Studium der neueren
deutschen Literatur und Medien war Ertener Lehrbeauftragter an der Universität
Marburg am Medienwissenschaftlichen Institut. Seit 1994 ist er als freier
Drehbuchautor erfolgreich. Er saß von 2000 bis 2002 in der Jury des CivisMedienpreises und 2005 schloss sich Ertener als Autor und Produzent der Writer
Producer Company an19.
Ertener ist ein Fernsehdrehbuchautor. Seine literarische Ausdruckweise steht unter dem
Einfluss der Pop-Kultur, die sich durch die Massenmedien in den Vordergrund drängt.
Die unter dem Einfluss der Pop-Kultur entwickelte Sprache zeigt in literarischen
Werken keine Einheit. Sie tritt unverständlich vor und beruht auf dem Sprachgebrauch
der jungen Generation auf der Straße. Die Disko-Sprache und aus Hollywoodszenen
gewählte Wörter bestimmen die Eigenschaften dieses Sprachgebrauchs (für weitere
Hinweise siehe, Kocadoru; 2004; 136f).
4.4.3.4. Themenschwerpunkte der Literatur der dritten Generation
Die von den türkischen AutorInnen der dritten Generation behandelten Themen
entwickeln sich im Vergleich zu den Themen der ersten und zweiten Generation auf
einem ganz anderen Weg. Die eindeutige Themeneingrenzung (Brunner, 2004; 75) wie
z.B. die Arbeitswelt, die Sehnsucht nach der Heimat, die Identität, die Assimilation etc.
liegen nicht mehr vor. Überwiegend werden Motive bearbeitet, die das friedliche
80
Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft in den Vordergrund stellt. Die
AutorInnen der dritten Generation betonen in ihren Werken ironisch und satirisch, dass
sie nun ein Stück des Aufnahmelandes sind und dass sie in diesem Land wie alle
anderen Bürger soziale und politische Rechte haben. Die AutorInnen der dritten
Generation kämpfen, so Kocadoru, für ihre sozialen und politischen Rechte in
Deutschland und sagen ganz offen; Wir sind da und wir sind ein Stück dieses Landes
(Kocadoru, 2003; 29).
Die Themenschwerpunkte zeigen eine breite Palette, die eine bunte Sprachhaltung
widerspiegelt;
Es ist wie eine Abrechnung, eine Abrechnung mit sich selbst, mit der
eigenen Familie und mit der deutschen Gesellschaft, wobei Kritik
und Selbstkritik erbarmungslos am Werk sind. Und es zeigt deutlich,
wie reif und selbstsicher diese neue Generation ist, die sich weder in
Tränen der Betroffenheit ergeht, noch sich in den Irrgärten der
Identitätssuche verliert. Es ist eine Generation, die couragiert ihr
Gesicht zeigt und ihren Platz in der deutschen Gesellschaft
beansprucht (Kocadoru, 2004; 138).
Die Sprache dieser Generation ist nicht mehr eine Kanak-Sprache, sondern eine DiskoSprache, die
mit den Leihwörtern aus dem Englischen gestaltet und unter der
jungen Gesellschaft populär geworden ist (Kocadoru, 2003; 31).
Weiters sagt Kocadoru a.a.O.,
dass der Einfluss der Hollywood-Szenen in dieser
Literatur, besonders in den Werken von Şener Saltuk und Orkun Ertener, leicht zu
bemerken sei.
4.4.4. Zum thematischen Generationswechsel
Die deutschsprachige Literatur der Türken wird thematisch und stilistisch in drei
Generationen eingeteilt.
Die Literatur der AutorInnen dersten und zweiten Generation ist mit der Migration,
ihren Hintergründen und ihrer Abfolge sehr eng verbunden. Ihre Interessenten sind in
diesem Zusammenhang die ausländischen Arbeiter. Ackermann legt dar, dass die
19
Die autobiographischen Informationen beziehen sich auf die deutsche Wikipedia.
81
Literatur dieser Generation in diesem Sinn als "Epos der Migration“ gilt (Ackermann,
1995; 326). Dagegen entfaltet sich die Literatur der dritten Generation thematisch
deutlich anders. Man bearbeitet in dieser Zeit überwiegend Motive, die das friedliche
Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft in den Sinn rufen. Die
Leserschaft der dritten Generation besteht nicht nur aus ausländischen Arbeitern,
sondern auch aus Deutschen.
Die Literatur der ersten Generation wird als Pionier der Migrantenliteratur angesehen,
weil die Werke dieser Generation von den ersten Migrationserfahrungen der türkischen
Gastarbeiter stark geprägt sind und die AutorInnen schon zum Teil in der Türkei als
Autoren bekannt waren. Darunter zählen Aras Ören, Güney Dal, Fakir Baykurt, Habib
Bektaş etc., die sich sehr mit der Migrationssituation auseinandersetzen (Ackermann,
1995; 325). Somit haben sie den nachfolgenden Generationen die Wege der Literatur
geöffnet.
Bei der Literatur der zweiten Generation steht die Migrationsthematik im Hintergrund.
Sie konzentriert sich auf die Kultur und die Identität der Zeit. Sölçün bezeichnet diese
Generation als
Phänomen, das schon Ende der 80er Jahre zu erkennen war und die
deutliche Wendung von der Begegnung mit der Fremde zur
Selbstbegegnung in der Fremde begründet (Sölçün, 2007; 142).
Während die AutorInnen der ersten Generation in ihren Werken die „Sehnsucht nach
der Heimat“ problematisierten, trat dieses Thema in der Literatur der zweiten
Generation als „Heimatlosigkeit“ hervor. Ebenfalls findet man bei vielen Themen einen
ähnlichen Formwechsel; die „Einsamkeit“ der ersten Generation hat sich in der zweiten
Generation in die „Verfremdung“ umgewandelt. In gleicher Weise änderten sich die
„Anpassung“, der „Kulturschock“ und die „Fremde“ in die „Identitätsproblematik“,
„Identitätssuche“, „Mischkultur“, „Integration“ und „Assimilation“ um. Nicht nur die
Themen, sondern auch die bearbeiteten Motive haben sich geändert. Während die
AutorInnen der ersten Generation die Motive wie z.B. „kaltes Deutschland“,
„entwurzelte Bäume“, „Bahnhof“, „Vogel“, „Bäume“, „Post“, „Zug“ und „Blätter“
bearbeiteten, bevorzugten die AutorInnen der zweiten Generation die Motive wie
„Wand“, „Brücke“, „Angst“, „leidende Seele“, „Grenze“, „Tür“, „Tor“, „Seil-Tanz“,
„gespaltene Zunge“ und „Flügel“. Das Motiv der „Brücke“ ist fast allen AutorInnen
82
dieser Generation gemeinsam, weil sie sich innerlich zwischen der Heimat und der
Fremde fühlten.
Die Brückenmetapher verkörpert die „Heimat im Unterwegs“, die
befreiende Entgrenzung, aber auch Einsamkeit und Isolation. Dies
ist bei vielen in Deutschland lebenden Schriftstellern aus anderen
Kulturräumen der Fall, die im „Dazwischen“, zwischen der
ursprünglichen Heimat und der Fremde, ihre Identität finden
(Vancea, 2008; 18).
In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung zu erwähnen, dass die ästhetische
Dimension der Literatur der zweiten Generation durch die vollkommene Verwendung
von Metaphern an Bedeutung gewonnen hat. Am Beispiel von Osman Engin gemessen
hat die Hinwendung zum ironischen und zum spielerischen Schreiben den literarischen
Wert dieser Generation erhöht. Durch seine humorvolle Erzählhaltung stellt er sowohl
die Deutschen wie auch die Türken hinsichtlich ihres interkulturellen Kontakts zur
Diskussion;
Was beobachtet der Fremde an der deutschen Kultur, was
beobachtet er am Verhalten der Deutschen und was nicht und vor
allem wie deutet er dieses (deutsche) Verhalten für sich.
Missverständnisse allerorts kennzeichnen diese kurzen Satiren. Aber
auch die Türken in Deutschland sind Gegenstand seiner Satire
(Tanzer, 2004; 307).
Eine ähnliche Hinwendung zur Ironie kann man auch in den satirischen Texten von
Şinasi Dikmen aus der ersten Generation sehen, der die Problematik der gegenseitigen
Wahrnehmung, der Fremdwahrnehmung zum Gegenstand gemacht hat (Tanzer, 2004;
306). Engin und Dikmen setzten zum ersten Mal die Satire bei der Bewältigung der
Migrationssituation als eine funktionsfähige Literaturgattung ein (Sölçün, 2007; 140f).
Die These von Terkessidis über das Kabarett und die Satiren der türkischen AutorInnen
ist in diesem Sinn wichtig;
Mit ihrem grundlegenden Ansatz bleiben Kabarett und Satire von
Autoren mit Migrationshintergrund letztlich dem Prinzip der
Aufklärung verhaftet;
Sie thematisieren die „Vorurteile“ als
Bruchstellen des erworbenen Wissenszusammenhangs und drängen
auf eine Integration des Wissens. Dies verweist selbstverständlich
auch auf die Beseitigung der gesellschaftlichen Missstände, die mit
83
dem „rassistischen Wissen“ verleugnet oder legitimiert werden
(Terkessidis, 2007; 300).
Die Literatur der dritten Generation zeigt im Vergleich zu den ersten zwei
Generationen hinsichtlich der bearbeiteten Themen und Motive einen ganz
unterschiedlichen Charakter. Denn das Selbstvertrauen der Menschen der dritten
Generation und ihre Lebensfreude unter den Deutschen in einer multikulturellen
Gesellschaft prägen die Werke dieser Generation. Respekt, Anerkennung und Toleranz
sind die individuellen Tugenden (Vancea, 2008; 21). Sie treten in dieser Generation als
zentrale interkulturelle Verhaltensweisen hervor. Die Literatur dieser Generation leistet
außerdem mit der Beschreibung von Sex-Szenen, welche in der ersten und zweiten
Generation ein Tabu waren, einen thematischen Unterschied.
Um mit Tanzer zu sprechen sind die AutorInnen der dritten Generation
träger mehrerer Kulturen, sich aber völlig selbstverständlich als Teil
der deutschen Gegenwartskultur verstehen und ihre Texte als
Beitrag zur deutschen Gegenwartsliteratur sehen, der keine eigene
Etikettierung mehr braucht (Tanzer, 2004; 308).
Ein Zitat von Vancea macht das Schreibziel und die Bestrebungen der AutorInnen
dritter Generation deutlich;
Den interkulturellen Raum können die Dichter mit ihren Geschichten
menschlicher und wohnlicher machen (Vancea, 2008; 204).
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die türkischen AutorInnen hinsichtlich ihrer
Literatur unterschiedliche Ansichten hatten; deshalb haben sie ein breites Themenfeld
mit unterschiedlichen Blickwinkeln und Zielen geschaffen. Um die in drei
Generationen behandelten Themen und Motive darzustellen und die vorkommenden
Unterschiede
zu
betonen,
möchten
wir
im
Generationswandel in einer Tabelle konkretisieren.
Folgenden
den
thematischen
Selbstvertrauen
Lebensfreude
Selbstkritik des Eigenbildes
Disko-Sprache
Hollywood-Szene
Zusammenleben mit den Deutschen
Eigene Realität
Sich total als Deutsche akzeptieren
Liebe
Jungen
Krimi
Kino
Erotik
„Pioniere der
Migrantenliteratur“
„Schreiben zum Bewahren
der eigenen Identität“
THEMATISCHER GENERATIONSWANDEL
Themen
Motive
Kaltes Deutschland
Sehnsucht nach der Heimat
Entwurzelte Bäume
Anpassungsprobleme
Trauer
Ökonomische Probleme
Leidenschaft
Einsamkeit
Bahnhof
Fremde
Vogel
Diskriminierung
Bäume
Arbeitsbedingungen
Post
Heimkehr
Zug
Kulturschock
Blätter
Türken in Deutschland
Heimweh
Wand
Heimatlosigkeit
Brücke
Dazwischensein
Angst
Zugehörigkeit
leidende Seele
Verfremdung
Grenze
Identitätsproblematik
Gespaltene Zunge
Identitätssuche
Tür/Tor
Mischkultur
Seil-Tanz
Integration
Flügel
Assimilation
Lieblosigkeit
Interkulturelle Konflikte
Hoffnungslosigkeit
Sprachproblematik
„Wir sind da und wir sind ein
Stück dieses Landes“
Dritte Generation
„Rekonstruierte Literatur“
Zweite Generation
„Brückenliteratur“
Erste Generation
„Literatur der Betroffenheit“
84
85
FÜNFTER TEIL
DIDAKTISIERUNG DER MIGRANTENLITERATUR
Dieser Teil der Arbeit thematisiert die deutschsprachige Literatur türkischer
MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei. Folgende Fragestellungen sollen dabei
verfolgt werden:
• Inwiefern ist der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer
MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei interessant und erforderlich?
• Mit welchen Lehrtechniken kann die Migrantenliteratur erfolgreich vermittelt
werden?
• Bei
der
Vermittlung
von
welchen
Lernzielen/Kompetenzen
spielt
Migrantenliteratur eine besondere Rolle?
• Für Texte welcher Generation interessieren sich die Studierenden am besten?
Warum?
Die vorliegende Arbeit ist nicht auf ethnisch definierte Zielgruppen ausgerichtet,
sondern auf Individuen, die die deutsche Sprache an türkischen Universitäten lernen. In
diesem Zusammenhang wird die Migrantenliteratur als Medium für interkulturelles
Lernen in den Vordergrund der Untersuchung treten. Mit anderen Worten;
Die
Funktion der Migrantenliteratur im interkulturellen Kontext wird zur Diskussion
gestellt.
Wir möchten zeigen, dass die Verwendung literarischer Texte türkischer MigrantInnen
im DaF-Unterricht sinnvoll ist. Denn diese Literatur stellt den Lernenden einerseits das
soziale, kulturelle und politische Leben der in Deutschland lebenden MigrantInnen vor,
andererseits ermöglicht sie ihnen eine Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen
der Identität, Multikulturalität, Akzeptanz sowie einen Blick auf Kultur und Probleme
der türkischen MigrantInnen und der Deutschen. Dadurch erwerben die Studierenden
wichtige persönliche, fachliche und soziale Kompetenzen und Fertigkeiten. Zu den
persönlichen Fähigkeiten sind Lern- und Leistungsbereitschaft, Gewissenhaftigkeit,
Verantwortungsbewusstsein, Selbstständigkeit, Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik,
Kreativität und Flexibilität zu zählen. Unter der fachlichen Fähigkeit ist die
grundlegende Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift zu verstehen.
86
Die soziale Kompetenz bedeutet in unserem Kontext Höflichkeit, kritische Haltung,
Freundlichkeit, Empathie und Toleranz.
Die türkischen Studierenden treffen beim Lernen der deutschen Sprache auf viele
Schwierigkeiten. Insbesondere das Erwecken des Interesses an der deutschen Sprache
und die Motivationsförderung bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit seitens der
Lehrkraft. Die Migrantenliteratur kann hierbei eine bedeutende Rolle übernehmen.
Die Tatsache, dass die Literatur
türkischer MigrantInnen aus der Sicht
türkischsprachiger Deutschlernender einfachere Strukturen hat, die auf die Studierenden
zum Teil einen spielerischen Eindruck lassen, spricht für den Einsatz dieser Literatur im
Unterricht.
Aufgrund
der
sprachlichen
und
inhaltlichen
Besonderheiten
der
Migrantenliteratur würden die Lernenden am Deutschlernprozess aktiv teilnehmen und
die
deutsche
Sprache
leichter
lernen;
z.
B.
könnten
sie
die
spezifische
Sprachverwendung (Idiome, Sprichwörter, Ritualen) in der Literatur türkischer
MigrantInnen mit derjenigen im Deutschen vergleichen und somit die Interferenzfehler
feststellen. Neben dem fremdsprachlichen Fortschritt können die Lernenden ihren
sozialen Denkhorizont erweitern, indem sie sich selbst in die Position anderer setzen
lernen und bestehende Vorurteile abbauen.
In der vorliegenden Arbeit werden zugleich die interkulturellen Aspekte der türkischen
Migrantenliteratur
in
Deutschland
Studierenden entsprechen.
Darunter
berücksichtigt,
zählt
man
die
den
Bedürfnissen
besonders die
der
interkulturelle
Kommunikationsfähigkeit.
Bei der Analyse der gewählten Literatur wird - von der
literatursoziologischen
Methode, besonders von der Rezeptionsästhetik ausgehend
- die Frage „Wie und
warum wird es erzählt?“ in den Mittelpunkt gestellt. Darüber hinaus wird die Relation
zwischen den gesellschaftlichen und kulturellen Zuständen sowie ihre sprachliche und
thematische Reflexion innerhalb der Migrantenliteratur behandelt. In diesem Punkt
gewinnt die Verbindung von Literatur und gesellschaftlichem Leben eine besondere
Bedeutung.
87
5.1. Unterrichtsmodelle und Unterrichtsbeispiele
5.1.1. Textauswahl
Für diese Arbeit haben wir die Texte der türkischen MigrantInnen in Deutschland
gewählt, weil ihre Sprache, Sprachverwendung und Themen unseren Studierenden nahe
stehen. Dieser Teil beinhaltet die Unterrichtseinsätze der Literatur türkischer
MigrantInnen in Deutschland aus drei Generationen. Aus jeder Generation werden zwei
Werke von jeweils zwei Schriftstellern für die Einsätze gewählt und mit den
Studierenden behandelt. Dabei wird die Tatsache berücksichtigt, dass die Literatur
türkischer MigrantInnen in Deutschland nach ihren soziokulturellen Besonderheiten und
nach zeitlichen Unterschieden in drei Stufen geteilt wird.
Die gewählten Einsätze aller drei Generationen werden aus „Epik“ (kurze Formen) und
„Lyrik“ (Gedichte) gewählt, weil diese Gattungen formal und inhaltlich für den
Fremdsprachenunterricht geeignet sind. Es handelt sich um Texte, die die
soziokulturellen Probleme türkischer MigrantInnen in Deutschland humoristisch,
ironisch, kritisch oder satirisch thematisieren. Davon ausgehend wird das Ziel verfolgt,
die Motivation der Studierenden immer hoch und ihre Konzentration auf den Unterricht
wach zu halten.
Für die Lehrveranstaltungen haben wir insgesamt zehn Texte ausgewählt und für jeden
Text verschiedene Lernaktivitäten geplant, an denen die Studierenden aktiv
teilzunehmen haben. Aus der ersten Generation werden zwei Gedichte von Yüksel
Pazarkaya und zwei Texte von Şinasi Dikmen analysiert, weil diese Autoren, anders als
die anderen der gleichen Generation, ihre Werke in deutscher Sprache verfasst haben.
Aus der zweiten Generation werden zwei Gedichte von Zafer Şenocak und zwei Texte
von Osman Engin und schließlich aus der dritten Generation zwei Texte von Kerim
Pamuk analysiert. Aus der dritten Generation wurde deshalb kein lyrischer Text in die
Arbeit aufgenommen, weil die AutorInnen dieser Generation überwiegend Prosa
verfasst haben. Die lyrischen Texte haben sie eher zum Zeitvertreib geschrieben und in
Zeitschriften veröffentlicht.
An dieser Stelle ist es wichtig zu sagen, dass wir uns mit mehreren Werken einzelner
Autoren aus jeder Generation befassen, um die in den Texten behandelten Themen nicht
88
auf bestimmte Elemente zu reduzieren, sondern den Studierenden einen breiten
Themenkreis zu bieten.
Die in den Lehrveranstaltungen zu behandelnden Unterrichtseinheiten aus der Literatur
türkischer MigrantInnen in Deutschland sind;
Aus der ersten Generation,
1. Şinasi Dikmen
•
Brautbeschauer (Text)
•
Ehegattenzusammenführung oder; Wie finde ich eine Frau? (Text)
2. Yüksel Pazarkaya
•
Fremde ist wo du gekränkt wirst (Gedicht)
•
Gedanken über die Rückkehr (Gedicht)
Aus der zweiten Generation,
1. Zafer Şenocak
•
Doppelmann (Gedicht)
•
Tierweisungen VI. (Gedicht)
2. Osman Engin
•
Dütschlünd, Dütschlünd, übür üllüs (Text)
•
Homo Germanicus (Text)
Aus der dritten Generation,
1. Kerim Pamuk
•
Sprich langsam, Türke! (Text)
•
Länder, Türken, Abenteuer (Text)
Da es zwischen den Texten der Autoren aller drei Generationen thematische
Unterschiede gibt, haben wir für unsere Analyse Texte aus drei Generationen gewählt.
Die erwähnten Texte sind meistens satirisch oder kritisch und enthalten Informationen
über die Situation türkischer MigrantInnen in Deutschland. Die realistisch geformten
Texte erleichtern die Selbstidentifizierung der Studierenden mit der Kultur der
Deutschen und der türkischen MigrantInnen. Man darf jedoch bei alldem nicht
vergessen, dass auch die Studierenden an den Abteilungen für Deutschlehrerausbildung
in der Türkei mit der Kultur der türkischen MigrantInnen in Deutschland nicht vertraut
sind.
89
Die gewählten Texte sind außerdem landeskundliche Texte, weil durch sie viele
Kenntnisse über die deutsche und türkische Kultur vermittelt werden. Wir haben die
Texte mit Schaubildern, Fotos, Karikaturen etc. ergänzt, aus denen unterschiedliche
Sichtweisen zum jeweiligen Thema deutlich hervorgehen. Die Karikaturen der
türkischen MigrantInnen in Deutschland, die sich im Allgemeinen ironisch auf ihre
soziokulturellen und auch politischen Probleme konzentrieren, dienen dazu, die
Motivation der Studierenden hoch zu halten und sie zur Kommunikation anzuregen.
Alle Texte und visuellen Materialen sind als Impuls für vielfältige Lernaktivitäten
gedacht.
5.1.2. Methodische Vorgehensweise
In der ersten Stunde wird jedem/jeder Studierenden ein Exemplar mit allen in den
Lehrveranstaltungen behandelten Texten gegeben. Am Anfang der Lehrveranstaltungen
werden die Studierenden in drei Gruppen geteilt. Jede Gruppe hat die Aufgabe, von
einer bestimmten Generation ausgehend die Besonderheiten der Textvorlagen zu
notieren; das sind das Ziel des Erzählers, die auftauchenden Probleme, die augenfälligen
Unterschiede zwischen der türkischen und der deutschen Kultur, die Vorurteile beider
Seiten und die typisch deutschen bzw. typisch türkischen Haltungen. Die erste Gruppe
übernimmt die Textvorlage der ersten Generation, die zweite die Texte der zweiten
Generation und die dritte die Textvorlage der dritten Generation.
Am Ende der Lehrveranstaltungen werden die Studierenden aller drei Gruppen
gemischt und wieder drei neue Gruppen gebildet, damit sie ihre Notizen vergleichen
können. Somit können wir die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen drei
Generationen konkretisieren und darüber diskutieren.
Die Texte werden zuerst von den Studierenden absatzweise laut vorgelesen. Beim
Lesen unterstreichen sie die unbekannten Wörter und die schwer zu erschließenden
Stellen. Dabei verfolgen wir das Ziel, die schwer verständlichen Stellen und die
unbekannten Wörter zu erläutern, damit die Studierenden die Texte sprachlich und
inhaltlich begreifen. Nach dem Vorlesen geben wir ihnen einige Minuten Zeit, damit sie
über
die
Texte
nachdenken
können.
Schon
Auseinandersetzung über den Text, wie Lange bemerkt;
das
Vorlesen
eröffnet
die
90
Der Vorgang des Lesens ist also entscheidend, durch ihn wird die
Bedeutung eines Textes aktualisiert. Die Aktualisierung kann nicht
unbegrenzt stattfinden, die LeserInnen rekurrieren immer wieder auf
den Text und füllen lediglich die „Leerstellen“, also die
Verständnislücken, die der Text offen lässt, um das Engagement des
Lesers zu erhöhen (Lange, 1996; 61).
Die Lesephase dient also dazu, den Lesern den Text verständlicher zu machen und ihn
im Gedächtnis zu ordnen. Dabei bemühen sich die Studierenden, die vorkommenden
Leerstellen zu füllen, was ihre Motivation schrittweise erhöht.
Nach dem Lesen äußern die Studierenden schrittweise ihre Gedanken über den Inhalt
des Textes. Die Tatsache, dass interkulturelle Texte Verständigungsbarrieren enthalten
können, macht die Stück-für-Stück-Analyse des Textes unentbehrlich. Kommunikativ
ausgeführter Unterrichtsablauf führt die Studierenden dazu, aktiv zu sein und ihre
Meinungen in freier Atmosphäre auszudrücken.
Nach den spontanen Äußerungen der Studierenden, durch die sie den Inhalt des Textes
begreifen und seine Kodes lösen, werden die Aktivitäten ausgeführt. In der nächsten
Phase werden die Unterrichtsabläufe ausgewertet. Dabei wird versucht, die jeweilige
Reaktion der Studierenden auf die Themen und auf den Unterrichtsablauf einzeln zu
interpretieren und davon ausgehend zu einer allgemeinen Bewertung zu gelangen. Ihre
Motivation, ihre Teilnahme am Unterricht, ihre Annäherung an interkulturelle
Situationen etc. werden in dieser Phase stufenweise bewertet.
Schließlich werden die Texte zusammengefasst, die Aussagen und Aufgaben der
Studierenden in die Arbeit montiert.
5.1.3. Zeitdauer
Vorgesehen ist, jeden Text in sechs Unterrichtsstunden zu behandeln. In den ersten drei
Stunden lesen die Studierenden den Text absatzweise vor, um erste Eindrücke über die
Texte und über die Themen zu erhalten, die Motive festzustellen und die wichtigen
Punkte unterstreichen zu können. In diesen drei Stunden werden sie außerdem
Gelegenheit haben, über die schwer erschließbaren Stellen nachzudenken und ihre
Gedanken auszutauschen.
91
In den nächsten drei Stunden werden die Motive in den Texten und ihre Erscheinung in
der deutschen und türkischen Kultur kontrastiv thematisiert, d.h. die gegenseitigen
(Vor-)Urteile
etc.
zur
Diskussion
gestellt.
Andererseits
werden
diverse
Gruppenaktivitäten veranstaltet.
5.1.4. Zielsetzung
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Sprach- und Kulturvermittlung, durch
die verschiedene Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickelt werden sollen. Es geht darum,
den Studierenden die soziokulturellen Probleme der in Deutschland lebenden
MigrantInnen nahezubringen und sie zu einem interkulturellen Vergleich zwischen der
türkischen und deutschen Kultur zu führen. Dadurch entwickeln sie ihre soziale
Kompetenz, insbesondere ihre Teamarbeitsfähigkeit, weil sie lernen, in Gruppen zu
arbeiten und miteinander in Kontakt zu bleiben. Auch Fähigkeiten wie Höflichkeit,
Freundlichkeit, Empathie und Toleranz werden in diesem Entwicklungsprozess
gefördert, da die Texte immer wieder aus türkischer und deutscher Sicht bewertet
werden. So können sie lernen, sich selbst in die Position anderer hineinzuversetzen. Sie
werden Vorurteile gegen die Deutschen abbauen und die kulturellen Besonderheiten
eines Volkes differenzierter behandeln. Kurz gesagt; Sie werden durch die Entwicklung
einer interkulturellen Kompetenz die Fähigkeit zu sozial verantwortlichem Verhalten
erwerben bzw. ausbauen.
Außer der sozialen Kompetenz entwickeln sie auch ihre fachliche Fähigkeit, die die
grundlegende Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift umfasst sowie
die persönliche Fähigkeit, die Zuverlässigkeit, die Lern- und Leistungsbereitschaft, die
Ausdauer bzw. das Durchhaltevermögen, die Belastbarkeit, die Sorgfalt, die
Gewissenhaftigkeit, die Verantwortungsbereitschaft, die Selbstständigkeit, die Fähigkeit
zu Kritik und Selbstkritik, die Kreativität und Flexibilität (für weitere Hinweise siehe
dazu: Mattes, 2002; 9).
Ein anderes Ziel ist es, die Erfahrung zu vermitteln, dass die Menschen erst dann
friedlich zusammenleben können, wenn sie akzeptieren, dass andere Menschen anders
sind. Die Menschen sollen nicht gezwungen werden, so zu werden wie die anderen. Das
92
kann man erreichen, wenn man in Lehrveranstaltungen die Befähigung der
Studierenden zu interkultureller Kommunikation anregt.
Da die gewählten Texte zentrale Themen wie Abstammung, Kultur und Sprache sowie
deren Relation mit der Nation und Emotionalität aussprechen, kann man sagen, dass sie
den Studierenden die Welt aus unterschiedlichen Blickrichtungen vorstellen.
Die Tatsache, dass die Studierenden an den Abteilungen für Deutschlehrerausbildung an
türkischen Universitäten während und nach ihrem Studium eine Gelegenheit finden, mit
den Studierenden anderer Länder, die im Rahmen des Erasmus-Programms die
türkischen Universitäten besuchen, in Kommunikation zu treten, macht die oben
genannten Ziele unentbehrlich. Die auf interkulturelles Lernen konzentrierten
Lehrveranstaltungen erreichen bei den Studierenden zusätzliches Verständnis für
ausländische Studierende, interkulturelles Verstehen, gegenseitige Toleranz und
Motivation zum Abbau von Vorurteilen.
Ausgehend von der Frage „Wie könnte man die gegenseitigen Vorurteile abbauen?“
werden diverse Lernaktivitäten durchgeführt, die den Studierenden die Gelegenheit
bieten, die Vorurteile in den Texten zu finden, zu interpretieren und in der Klasse
vorzuspielen. Es ist unschwer zu behaupten, dass diese Lernaktivitäten die
Identifikation der Studierenden mit den Deutschen erleichtern. Weil sie sich in die
Position anderer zu versetzen lernen, eignen sie sich die kulturellen Unterschiede
leichter an. Außerdem lassen sich die Studierenden gegen Rassismus und
Nationaldenken erziehen und konzentrieren sich bei ihrem Studium auf Solidarität und
interkulturelles Lernen. Somit lernen sie, dass alle Kulturen prinzipiell gleichwertig
sind.
5.1.5. Unterrichtsmethode
In dieser Arbeit konzentrieren wir uns besonders auf den „Produktionsorientierten
Unterricht, auf die Textanalyse nach Rezeptionsästhetik und auf die mündlichen und
schriftlichen Aussagen der Studierenden, die nach der qualitativen Methode ausgewertet
werden.
93
5.1.5.1. Produktionsorientierter Unterricht
Intertextualität ist „die Existenz eines Textes in einem anderen“ (Berberoglu, 1995; 31).
Davon ausgehend, dass kein Text allein ein Faktum ist, sondern in Verbindung mit
anderen Texten eine Bedeutung gewinnen kann, stellt es sich eindeutig heraus, dass
Texte, die ein Teil des gesellschaftlichen und soziokulturellen Lebens sind, auch als
Mittel interkultureller Verständigung fungieren können. In diesem Zusammenhang stellt
die Analyse von intertextuellen Bezügen in der Produktion von Texten eine wichtige
Aufgabe dar, die darauf beruht, aus einem Text einen neuen Text zu schaffen. Dabei
schaffen die Studierenden einen neuen Text mit gleichem Inhalt und gleicher
Problematik. Im Hinblick auf die Intertextualität sehen wir die Zieltexte als einen Teil
der Ausgangstexte. Solch eine Lernaktivität wird die Studierenden zur Kreativität und
auch zur Zusammenarbeit ermutigen und sie außerdem dazu führen, zwischen zwei
Texten bzw. zwischen zwei Kulturen hin und her zu pendeln. Eine intertextuelle
Vorgehensweise, die sich mit der Bedeutung der einzelnen Wörter, Sätze und
Textpassagen befasst, erhöht die Bedeutung der Anwendung interkulturell angelegter
Texte, weil „intertextuelle Kommunikation ohne weiteres in der Mitte – zwischen den
Kulturen und zwischen den Sprachen liegt“ (Berberoglu, 1995; 36).
5.1.5.2. Textanalyse nach Rezeptionsästhetik
Bei der Textanalyse haben wir anstelle einer werkimmanenten Betrachtungsweise, die
sich in Deutschland nach 1945 massiv durchgesetzt hat und den Text als Ganzheit und
einzige Realität betrachtet (Berghahn, 1979; 390),
die Rezeptionsästhetik als
Ausgangsbasis gewählt. Von der Tatsache ausgehend, dass kein Text eine festgelegte
Bedeutung hat, berücksichtigen wir bei der Textanalyse die fundamentale Erkenntnis
der Rezeptionsästhetik, dass die Bedeutung eines Textes erst im Zusammenspiel von
Wortlaut und Leser hergestellt wird. (siehe dazu, Lange, 1996; 60).
Rezeptionsästhetik, deren Perspektive gänzlich auf den Leser als Adressaten eines
literarischen Textes richtet, dient dazu, Wechselwirkungen zwischen politischen,
gesellschaftlichen und sozialen Ereignissen und ihrer Bedeutung aufzudecken. Eine
Textanalyse außerhalb der Geschichte, außerhalb der historischen und soziologischen
Rezeption des Textes ist niemals möglich. Dieser Tatsache folgend haben die
Studierenden die zehn Texte, die wir aus der Literatur der türkischen MigrantInnen
94
gewählt haben, nach der Rezeptionsästhetik analysiert, indem sie die politischen,
gesellschaftlichen und sozialen Ereignisse der Migrationsgeschichte in Betracht zogen.
Die rezeptionsästhetische Textanalyse hat den Studierenden außerdem eine Gelegenheit
gegeben, die erzählten Motive zu aktualisieren und ihre Meinungen - die Grenze des
Autors überschreitend - auszudrücken, was ihre Kreativität anregen und somit ihr
Selbstvertrauen erhöht hat. Bei diesem Profit spielt auch die unterschiedliche
Aktualisierung der Texte von jedem Studierenden eine besondere Rolle.
5.1.5.3. Auswertung nach der qualitativen Methode
Die Antworten der Studierenden wurden nach der qualitativen Methode ausgewertet.
Wir haben den Unterrichtablauf jeweils auf Tonband gespeichert, danach die Aussagen
der Studierenden transkribiert und in Form von Notizen festgehalten. Von den gestellten
Fragen ausgehend wurde zuerst jede Aussage inhaltlich geordnet und nach unserem
Konzept stichwortartig interpretiert. Die Antworten haben wir unter den Untertiteln
„Analyse“, „Aktivitäten“ und „Auswertung des Unterrichtsablaufs“ erstellt und einige
davon in tabellarischer Übersicht in die Arbeit eingefügt. Alle Texte wurden nach
gleichem Unterrichtsmodell, aber mit diversen Lernaktivitäten behandelt und unter dem
Haupttitel „die Texte der deutschsprachigen türkischen MigrantInnen im DaFUnterricht“ gesammelt.
Die qualitative Methode konzentriert sich auf die Beobachtung von Daten, die aus den
Lehrveranstaltungen gesammelt werden, und auf ihre Analyse bzw. Interpretation. Diese
Methode gibt uns die Gelegenheit, die Aussagen der Studierenden einzeln zu
interpretieren und am Ende eines jeden Textes zusammenzufassen. Außerdem haben wir
die Analyseergebnisse der Texte kontrastiv gegenübergestellt, um die Unterschiede und
Gemeinsamkeiten zwischen der Literatur von drei Generationen türkischer MigrantInnen
festzustellen. Auch Berberoglu weist in seiner Arbeit auf die Bedeutung der qualitativen
Interpretation hin;
Folgende zwei Gründe haben mich zur Auswahl des interpretativen
Verfahrens bewegt; 1. Die Möglichkeit einer Deutung, die sich nach
der Subjektivität der Aussagen der Schüler richtet. 2. Die
Möglichkeit einer Deutung, die der Methode der Datenerhebung
entspricht (Berberoglu, 1995; 179).
95
In diesem Zitat betont man die Subjektivität der Aussagen der Schüler und auch die
Datenerhebung, die bei der Textinterpretation und dem interkulturellen Lernen die
qualitative Methode unentbehrlich machen.
5.1.6. Situation der Klasse
•
Klasse: Erste Klasse
•
Unterricht: Schreibfertigkeit
•
Zahl der Studierenden: 37
•
Zeitdauer der Lehrveranstaltungen: Ein Semester und jede Woche wurde drei
Untrrichtstunden durchgeführt.
•
Gruppe: Aus den Studierenden wurden drei Gruppe gebildet, damit sie
kommunikativ eine Gruppenarbeit leisten. Alle Studirenden waren Türke und
keine von ihnen war Remigrant.
Die Texte wurden mit den Studierenden der ersten Klasse der Abteilung für
Deutschlehrerausbildung an der Universität Çanakkale Onsekiz Mart behandelt. Es war
für uns von Bedeutung, diese Texte deshalb mit den Studierenden der ersten Klasse zu
behandeln, weil sie noch kaum Informationen über die Literatur türkischer
MigrantInnen in Deutschland, über ihre dortige Situation, über ihre Kommunikation mit
Deutschen und anderen Fremden und über den migrationsspezifischen Sinn der
„Toleranz“, „Anpassung“, „Integration“, „Identitätsproblematik“ verfügten. Somit
haben wir das Ziel befolgt, sowohl die Lebensumstände wie auch die Texte (Tatsachen
und Diskurse) der MigrantInnen näher zu bringen.
An den Lehrveranstaltungen mit Gruppenarbeit haben 37 Studierende teilgenommen.
Wir haben den Studierenden ermöglicht, ihre eigenen Erfahrungen in freier Atmosphäre
im Hinblick auf interkulturelles Lernen zum Ausdruck zu bringen und die beiden
Kulturen zu vergleichen, was sie stets zu neuer Kreativität regte.
Auch die Haltung der Lehrenden spielt eine besondere Rolle, wenn man die o.g. Ziele
erreichen will. Für einen erfolgreichen Unterrichtsablauf sollte ein Dozent besonders
darauf achten,
•
mit den Studierenden eine guten Kontakt zu haben,
•
stets lebhaft zu bleiben,
•
all seine Vorbereitungen zuvor zu treffen,
96
•
den Studierenden Mitsprache und Mitgestaltung einzuräumen,
•
seine Motivation in der Klasse nicht zu verlieren,
•
die Studierenden zu beobachten.
5.2. Unterrichtsmodelle
In den folgenden Texten wird eine interkulturelle Lehrpraxis durchgeführt, wobei die
interkulturellen Motive von den Studierenden behandelt und zum Zweck eines
interkulturellen Gedächtnis benutzt werden.
5.2.1. Unterrichtsmodell 1; Brautbeschauer20
5.2.1.1. Textinhalt
Der Text „Brautbeschauer“ konzentriert sich inhaltlich auf die soziale Situation
türkischer MigrantInnen in Deutschland und auf ihre interkulturelle Kommunikation mit
Deutschen. In diesem Thema kommen verschiedene Motive vor wie z.B. Frauenrechte,
Engagement, Integration, Kulturaustausch, Konvertieren, türkische und deutsche Sitten
sowie Erziehungsprobleme in beiden Kulturen.
5.2.1.2.
Lernaktivitäten;
Über den Text „Brautbeschauer“ hinaus werden im Unterricht 4 Aktivitäten
durchgeführt, die dazu dienen, die Schreib- und Lesefertigkeit der Studierenden zu
trainieren und ihre Fähigkeit zu kreativem Denken voranzutreiben.
Aktivität 1; Wörtliche Übersetzungen finden und interpretieren; Bei dieser Aufgabe
werden die wörtlichen Übersetzungen des Textes entdeckt und die Interferenzfehler
festgestellt, indem man über die Sprachwendung hinaus zwischen der türkischen und
deutschen Sprache einen sprachlichen und bedeutungsbezogenen Vergleich anstellt.
Aktivität 2;
Zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Toleranz;
Vorurteile finden und interpretieren; Hier wird die Liste der gegenseitigen Vorurteile
20
Bei den Seitenangaben beziehe ich mich auf die Publikation; Dikmen, Şinasi (1986); Der andere
Türke. Berlin. Express-Edition. S. 13-32.
97
aufgestellt; die Studierenden bringen ihre Meinungen über diese Vorurteile zum
Ausdruck und tauschen Gedanken aus, um feststellen zu können, woher diese Vorurteile
stammen. Wichtig scheint mir außerdem vor Augen zu halten, ob der Erzähler im Text
die Gründe dieser Vorurteile erklärt und dem Leser eine Lösung bietet.
Aktivität 3; Was ist typisch türkisch und typisch deutsch? Die Studierenden bemühen
sich darum, die Stelle, die man als typisch türkisch und typisch deutsch nennt, zu
zitieren und sie begründend zu interpretieren.
Aktivität 4; Die Darstellung der Figur Nuri Pelivan zwischen Rolle und Wirklichkeit;
In diesem Punkt haben sich die Studierenden darum bemüht, ausgehend von den
Aussagen im Text, die sie zitiert haben, die zwei verschiedenen Charaktere von Nuri
Pehlivan gegenüberzustellen, um feststellen zu können, dass die Menschen unter
verschiedenen Situationen verschiedene Gesichter haben können.
5.2.1.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Aktivität 1; Bei dieser Aktivität haben die Studierenden die wörtlichen Übersetzungen
gefunden und die Interferenzfehler festgestellt:
1. Der Mund eines Menschen ist kein Sack, den man zubinden kann.
Offensichtlich geht dieses Idiom auf das türkische „İnsanın ağzı torba değil ki büzesin“
zurück. Da der Erzähler voraussetzt, dass dieses Idiom von einem NichtTürkischsprachigen nicht verstanden werden könnte, stellt er zuerst die wörtliche
Übersetzung und danach ihre Bedeutung (wenn einem etwas nicht gefällt)
nebeneinander. Diese Vorgehensweise kann man als Verstehenshilfe interpretieren, die
der Autor bewusst dem deutschen Leser gibt. Sonst hätte die deutsche Leserschaft
Verstehensprobleme. Sehr selten sieht man in den literarischen Werken so eine Haltung
der Autoren.
Die Studierenden haben versucht, die deutschen Idiome mit gleicher Bedeutung zu
finden, was bei ihnen die Fähigkeit zur Verantwortungsbereitschaft entwickelt hat.
Die Studierenden, die bei dieser Aktivität eine Gruppenarbeit durchgeführt haben,
haben alternative deutsche Idiome mit gleicher Bedeutung gefunden;
98
[Bahar Kotan, Şirin Serpen, Sinem Atuk, Aslı Hotalak, Inna Dragneva]21;
Wer jedem das Maul stopfen wollte, müsste viel
Mehl haben
Man kann die Artikulation der Menschen durch
keine menschliche Kraftanstrengung unterbinden
Elin ağzı torba değil ki
büzesin
Elin ağzı torba değil ki
büzesin
2. Den Esel immer auf die Berge führen
Im Hintergrund haben wir wiederum ein türkisches Idiom, und zwar das „Eşeği yokuşa
sürmek“. Hier ist anders als im ersten Beispiel die Bedeutung des Idioms nicht
geschrieben, was die Leser zum Missverstehen führen kann. Es wurde aber festgestellt,
dass die türkischen Studierenden im ersten Blick die Bedeutung dieser Idiome
verstanden haben, weil sie die türkischen Idiome sehr gut kennen. Zum Verstehen des
Inhalts und des Ziels des Autors spielen diese Idiome für die türkischen Studierenden
eine erleichterte Funktion.
Drei Studierende haben das folgende Idiom als Alternative zu „Den Esel immer auf die
Berge führen“ gezeigt;
[Kerem Erol, Aslı Hotalak, Inna Dragneva];
Der Glaube kann Berge versetzen
İşi yokuşa sürmek
3. Dickkopf und Herzstück
Die Studierenden sind in Anlehnung an zwei türkische Wörter zur Idee gekommen, dass
das Wort „dickköpfig“ kein deutsches Wort ist, sondern der Autor habe es wohl dem
türkischen Wort „kalın kafalı“ nachgebildet. Dasselbe gilt auch für „Herzstück“.
[Bahar Kotan, Şirin Serpen, Esra Yıldıran];
Herzstück bedeutet Teil eines Herzens. Das ist eine wörtliche Übersetzung. Außerdem
benutzt man statt dickköpfig meistens dummkopf.
[Aslı Hotalak, Inna Dragneva];
Herzstück ist Wort für Wort Übersetzung. In gleicher Bedeutung benutzt man im
Deutschen Mittelpunkt und statt dickköpfig hartnäckig.
4. Brautbeschauer
21
Die zitierten Aussagen und Aufgaben der Studierenden werden nicht numerisch, sondern namentlich
99
Die Studierenden denken, dass das Wort „Brautbeschauer“ eine wörtliche Übersetzung
ist, weil Familie Grünberger es nicht kennt; deshalb bestrebe sie sich, seine Bedeutung
zu finden. Die Grünbergers schlagen das Wort im Lexikon nach und lassen sich beim
türkischen Konsulat und bei türkischen Bekannten darüber informieren.
Aktivität 2; Die Studierenden haben bei dieser Aktivität eine Liste der gegenseitigen
Vorurteile aufgestellt und ihre Meinungen über diese Vorurteile zum Ausdruck
gebracht. Sie haben Gedanken ausgetauscht, um feststellen zu können, woher diese
Vorurteile stammen.
Vorurteil 1;
Seine Landsleute, diese rückständigen Türken, die ihre Frauen unterdrücken,
ihre Tochter diskriminieren, ihre Söhne verhätscheln und verwöhnen, sie alle
kennen Deutsche.
[Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı];
Die Gründe dieses Vorurteils sind;
a) Im Ausland werden die türkischen Menschen rückständig gekannt, weil sie die
Türkei wie Irak, Iran glauben. Sie sind Muslim und wir sind auch, aber wir sind
laizistischer als sie.
b) Auch in den Dörfen der Türkei gibt es diese Sachen. Die Söhne sind wichtiger
als die Töchter.
c) Die Frauen beschäftigen sich immer mit vielen Sachen. Die türkischen Männer
wollen von ihren Frauen etwas.
d) Die Töchter sind nicht immer bei ihren Familien, deshalb sind sie so wichtig und
sie werden von den Vätern unterdrückt.
e) In der Türkei passieren diese Sachen heute nicht so viel wie die Vergangenheit,
aber die Menschen im Ausland denken daran, dass die Türken rückständig sind
wegen eines Menschen.
[Gülce Karacaer];
Ich denke, das ist ein Vorurteil, weil nicht alle türkische Männer ihre Frauen
unterdrücken, ihre Tochter diskriminieren usw. Aber einige Männer machen das.
Şinasi Dikmen seht nur diese einige und schreibt nur über sie.
[Burcu Kaleli, Nihal Küçük, Cansu Candemir, Gülçin Pelit];
gegeben. Außerdem werden sie sprachlich nicht korrigiert.
100
In dieser Satz gibt es Verallgemeinerung. Manche Türken unterdrücken ihre Frauen
und ihre Tochter, weil sie sie schützen möchten. Die türkischen Männer sind
neidisch. Sie diskriminiert ihre Töchter, denn die Söhne tragen den Familiennamen.
Das gilt aber für die ältere Generation. Heute trifft man sich mit so einer
Diskrimination nicht, ja mit der Ausnahme der ländlichen Gebiete. Deshalb könnte
man keine Verallgemeinerung machen.
[Canan Temel];
Natürlich ist das nicht richtig. Weil in der Türkei gibt es so Väter, die ihre Töchter
nicht als Menschen ansehen aber sie sind in der Minderheit. Beispielweise, ich
komme aus dem Osten. Osten wird gewissen, dass viele Töchter ohne Erziehung
sind. Aber heute ist es nicht so, sogar im Osten. Im Westen %90 Töchter sind
Erzogen.
Vorurteil 2;
Nuri Pehlivan kenne ja die Deutschen, und er wisse, dass sie außer sich selbst
niemanden haben.
[Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı];
Die Gründe dieses Vorurteils sind;
a. In der Türkei ist die Hilfe wichtig. Die Menschen helfen immer einander.
Für Nuri Pehlivan ist das wichig.
b. Die türkischen Menschen sind warmblütig, aber die Deutschen sind
kaltblütig und sie kümmern sich um einander nicht.
c. In Deutschland werden die Menschen immer allein. Sie denken nur an sich
selbst. Sie machen alles allein.
d. Die Gedanken, der Menschen in Deutschland ist verschiedener als die
Türken. Auch die Sitten sind verschieden.
e. Für Nuri Pehlivan sind die Sitten sehr wichtig, deshalb denkt er daran, dass
die Deutschen verschieden.
[Nihal Küçük, Cansu Candemir];
Nuri Pehlivan kennt die Deutschen. Wenn er nach Deutschland gefahren ist, hat er
viele Schwierigkeiten gesehen. Er denkt daran, dass die Türke in Deutschland
wohnen können, aber die Türke und die Deutsche können nicht Freundschaft
schließen.
[Mücahit Kara];
101
Das ist ein Vorurteil, denn nicht alle Deutschen leben nur für sich selbst. Es gibt
Deutschen, die sehr gut miteinander, d.h. mit Verwandten eng zueinander sind. Das
ist nicht nur bei den Türken ein besonderer Merkmal, sondern auch bei den
Deutschen. Natürlich gibt es auch für sich selbst lebende Deutschen. Doch man
kann dadurch nicht sagen, dass es bei allen Deutschen so ist.
[Burcu Kaleli];
Nuri vergleicht in dieser Aussage die türkischen und deutschen Sitten miteinander
und seinen einseitigen Blickwinkel führt ihn zur Irre. Für die Türken ist
Nachbarschaft sehr von Bedeutung, sie besuchen einander fast jeden Tag, essen und
trinken zusammen etc. Bei den Deutschen gibt es dagegen eine Distanz. Diese
Distanz versteht Nuri (bewusst oder unbewusst) falsch.
[Gülce Karacaer];
Er glaubt, dass er die Deutschen gut kennt, aber er kennt sie nicht. Dinge, die er
weiß glaubt, sind seine Vorurteile.
Vorurteil 3;
Viele Frauenrechtlerinnen schimpfen mit oder ohne Recht auf die türkischen
Väter, weil diese ihre Töchter nicht als Menschen ansehen.
[Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı];
Die Gründe dieses Vorurteils sind;
a. Im Ausland sehen die Menschen nur ein Mann, der seine Töchter
diskriminiert und auf diese Weise glauben sie, dass alle türkischen Männer
so behandeln. Wir möchten an dieser Stelle auf die Verallgemeinerung
hinweisen.
b. In einigen Städten der Türkei sind die Töchter nicht wichtiger als die Söhne,
denn die Söhne tragen die Nachnamen der Familien.
c. Die türkischen Männer zeigen ihre Gefühlen nicht, obwohl sie seine Töchter
lieben.
[Burcu Kaleli];
Auch dieser Blickwinkel ist nur für die alte Generation gültig. Genauso wie bei
allen anderen Menschen, auch die türkischen Menschen haben unterschiedliche
Charaktere, und deshalb wäre es uninteressant, wenn manche der Türken ihre
Tochter oder ihre Söhne mehr von Bedeutung sehen. So was ist keine Besonderheit,
die nu zu den Türken gehören
102
[Gülce Karacaer];
Seit Jahren in der Türkei gibt es eine Diskriminierung zwischen dem Sohn und der
Tochter. In der Türkei wollen ungefähr achtzig Prozent des Mannes einen Sohn
haben. Die Töchter sind immer Hintergrund. Aber in andererseits verändern sich
dieser Blickwinkel von Tag zu Tag. Aber leider gibt es in der Türkei so ein
Gedanke. Ein Mann glaubt, dass er sein Stamm nur mit einem Sohn weiterführen
wird.
[Burcu Kaleli];
Die türkischen Väter kennen nicht die Frauenrechtlerinnen. Sie glauben, dass die
türkischen Frauen immer im Haus bleiben müssen, aber nichts ihre Rechte
verteidigen müssen.
Vorurteil 4;
Die türkischen Jugendlichen haben keine Ahnung, wie man ein Mädchen ausführt.
Sie wollen mit jeder Frau sofort ins Bett.
[Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı];
Die Gründe dieses Vorurteils sind;
a. Die türkischen Männer emigrierten ins Ausland zu arbeiten uns sie waren
entfernt von ihren Frauen. Vielleicht machten sie diese Sache, deshalb haben
die Menschen gegen die türkischen Männer.
b. Der Mann, der dieses Vorurteil hat, konnte diese Sachen machen.
c. Vielleicht drückten die türkischen Männer sich selbst diese aus und sie
wollten die Frauen nur diese Sachen.
[Burcu Kaleli];
Nach meiner Meinung weiss Nuri nicht, wie man eine Frau ausführt, darum denkt
er, dass alle Männer so. Und er möchte seine Tochter schützen. Er glaubt, dass er
die türkischen Männer kennt.
[Gülce Karacaer];
Dieses Urteil ist teils richtig. Da es in der Türkei viele Sitten und davon abhängig
viele Verboten gibt, finden die Frauen und Männer weniger Möglichkeit, einander
kennenzulernen. Vielleicht deshalb träumen die türkischen Männer von den Frauen,
als ob die Frauen ein Sexobjekt wären. Im realen Leben versuchen die Männer
immer neue Wege, mit den Frauen kennenzulernen oder sie ins Bett zu führen.
[Nihal Küçük, Cansu Candemir];
103
Die türkischen Jungen denken daran, dass Lebensbesonderheit verschiedener als
Deutschen ist. Die Lebensbesonderheit ist nicht sehr wichtig für die türkischen
Jungen. Sie träumen vor der Frauen im Bett.
[Fatma Aşıcı];
Die Verhalten der Deutschen und der Türken sind wegen der kulturellen
Unterschiede sehr anders. Sie können sehr anders benehmen, deshalb finde ich
diese Aussage als Vorurteile.
[Elif Yergezen];
Das ist eine Vorurteile, aber für mich das ist so. In der Türkei wachsen die Männer
mit dieser Meinung; Die Frauen sind nur sexuelle Objekte und die Männer sind
stärker als die Frauen.
Vorurteil 5;
Herr Grünberger wollte mit Nuri Pehlivan alles am Telefon besprechen, aber Nuri
wollte natürlich nichts mit einem wildfremden Menschen zu tun haben.
[Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı];
Die Gründe dieses Vorurteils sind;
a. Obwohl er als moderner Mensch aussieht, ist er eigentlich dagegen diese
Sachen.
b. Er kann seine wahren Gefühlen innen verstecken. Vielleicht will er seine
Töchter mit seinem Mitbürger heiraten.
c. Eigentlich ist er nicht so modern, wie wir gedacht hat.
[Burcu Kaleli];
Nuri sagt, dass die Deutschen wildfremden Menschen sind. Er kennt die Deutschen
nicht genau. Er behandelt grob.
[Gülce Karacaer];
Dieser Aussage zeigt uns widersprüchliches Verhalten von Nuri. Einerseits
versucht er an dem deutschen Leben zu integrieren, andererseits will er sie
schlechtmachen. Fremd kann man sein, aber ein Begriff wie „wildfremd“ stellt die
Vorurteile eindeutig vor.
[Gülçin Pelit];
Herr Grünberger ruft Nuri an und Nuri schliesst den Telefon, Er macht dem Herrn
Grünbergervorwürfer. Er denkt, dass Deutsche wilde Menschen sind. Das ist
104
Vorurteile und das Verhältnis ist falsch. Mensch ist Mensch für mich. Das ist nicht
wichtig, welche Nationalität er hat.
[Mücahit Kara];
Ich verstehe nicht, wieso Nuri Pehlivan den Hörer aufgelegt hat und nicht mit
Herrn Grünberger gesprochen hat. Er hatte nämlich ein Vorurteil, den er dachte, er
sei ein fremder Mensch. Das hat zwar gestimmt, aber man müsste mal mit ihm
reden um sein Problem verstehen können. Er hatte nichts mit den Deutschen zu
diskutieren, weil er sich selbst nicht in die Lage des Hernn Grünbergers versetzen
konnte.
Vorurteil 6;
Eine Frau hat keine Erziehung zum objektiven Denken genossen.
[Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı];
Die Gründe dieses Vorurteils sind;
a. Die Frauen sind so emotional, dass sie immer an alles mit ihren Herzen
denken.
b. Die Männer denken meistens logisch, sie sind nicht so emotional wie die
Frauen.
c. Die Frauen sind schwacher als die Männer. In der Frauen sind die Gefühlen
intensiver als die Männer.
[Burcu Kaleli];
Hier sieht man die Frauen passiv und ungebildet, mit der Andeutung, dass die
Männer kluger sind. Das ist unakzeptierbar, weil die Frauen alles denken und
machen können, was die Männer denken und machen.
[Elif Yergezen];
Dieser Satz ist am schärfste Vorurteile gegen die Frauen. Meistens die Männer
denken so; die Frau versteht nichts. Vielleicht sie denken so unter dieser Gedanken;
Die Frauen sind abhängig ihr. Sie denken selbst stärker als die Frauen. Aber diese
werden meistens in der Türkei gesehen.
[Gülçin Pelit];
Die Frauen werden eine Mutter und sie haben Mutterschaftgefühl. Sie denken
more emotional, deshalb können sie nicht objektive denken.
[Nihal Küçük, Cansu Pelit];
105
Männer denken daran, dass die Fühlen von Frauen emotional sind. Denn die Frauen
sind eine Mutter, ihre Herze haben Weichheit.
[Gülce Karacaer];
Nuri denkt an, dass eine Frau keine objektive Denken hat, weil in der Türkei nur
Männer denken und machen usw. Ein verschiedene Grund ist, dass Frauen
emotional denken. Sie verhalten sich mit ihren Gefühlen.
Vorurteil 7;
Er sprach mit seiner Tochter darüber, dass die Deutschen langsam lernen
müssten, wie sie mit einer gebildeten türkischen Familie umzugehen hätten,
erst dann würde er sein Jawort geben. Dabei zeigte er auf das Etikett der
Flasche; Sowas bringen nur die Deutschen mit.
[Mücahit Kara];
Die Deutschen müssten lernen wie man mit einer gebildeten türkischen Familie
umgeht. Das ist für mich ein Vorteil, denn die Deutschen sind sehr kluge
Menschen. Ich denke, dass sie auch genau wissen, wie man mit einer gebildeten
Familie umgeht. Sie leben nämlich in Deutschland und wer in Deutschland lebt,
weiß, wie man mit gebildeten Menschen umgeht. Nuri war jedoch sehr eilig. Er
wollte dass alles seinermassen schön läuft und alles geschah, was er wollte.
[Nihal Küçük, Cansu Candemir];
Nach türkischer Sitte wird Schokolade und Blume gebracht, wenn eine Familie ein
Mädchen von türkischer Familie beschauet. Aber die Deutschen wissen das nicht.
[Burcu Kaleli];
Diese Aussage ist sowohl eine Kritik über das Verhalten von Familie Grünberger
als auch Vorurteile. Sie müssen nicht auf diese Weise verhalten, denn sie wissen
nicht so viel über diese Menschen und nur mit diese unwichtige Dinge wie eine
Flasche muss man nicht verallgemeinern das Urteil.
Bei dieser Aktivität haben die Studierenden aus dem Text die Stelle, die sie für
vorurteilshaltig halten, zitiert und analysiert. Bei ihrer Analyse haben sie die Gründe der
Vorurteile festzustellen versucht und besonders die Frage nach ihrer Quelle in den
Mittelpunkt gestellt.
106
Wie oben zu sehen ist, haben die Studierenden sieben Stellen zitiert und interpretiert. Es
ist unschwer zu sehen, dass fast alle Studierenden bei dem ersten Vorurteil darauf
hinweisen, dass es in der Türkei immer noch eine Diskriminierung zwischen den
Kindern gibt, die aus älteren Zeiten, bzw. aus türkischer Tradition herkommt. Daneben
wiesen sie außerdem darauf, dass so eine Diskriminierung eher in großen Städten als in
ländlichen Gebieten zu sehen ist. Ein anderer wichtiger Punkt, der hervorgehoben
werden muss, ist die Verallgemeinerung. Obwohl in der Türkei auch heute so eine
Diskriminierung zutage kommt, ist es ein Fehler, Verallgemeinerung zu machen. Denn
heute ist die Zahl der Menschen, die ihre Kinder diskriminieren, viel geringer als in der
Vergangenheit.
Das zweite Vorurteil bezieht sich auf die Deutschen. Sechs Studierende haben diese
Stelle gewählt und sind zur Idee gekommen, dass die Deutschen in diesem Punkt zu
Unrecht kritisiert worden sind. Nach den Studierenden liegt der Grund dieses Vorurteils
in kulturellen Unterschieden zwischen den Deutschen und den Türken. Für Türken ist
die Nachbarschaft von großem Belang. Sie unterhalten sich miteinander über alles,
essen sehr oft zusammen, trinken nachmittags Tee etc.
Es gibt im Türkischen viele Idiome, die die Relevanz der Nachbarschaft hervorheben;
•
Ev alma komşu al (Kauf keine Wohnung, sondern einen Nachbarn)
•
Komşu komşunun külüne muhtaçtır (Der Nachbar braucht die Asche seines
Nachbarn).
Das
sind Belege für die türkischen Traditionen wie Gastfreunschaftlichkeit und
Respekt gegenüber dem Anderen.
Das kommt daher, dass es in der Türkei mehr ländliche Gebiete als in Deutschland gibt.
Obwohl auch die Deutschen eng zueinander sind, ist das Niveau ihrer Nachbarschaft
niedriger. Auch an dieser Stelle weisen die Studierenden darauf hin, dass nicht alle
Deutschen so wie nicht alle Türken gleich sind.
Die Haltung gegenüber dem dritten Vorurteil kommt dem ersten Vorurteil nahe. Hier
werden vor allem die Unterschiede zwischen den alten und neuen Generationen sowie
die Falschheit der Verallgemeinerung betont. Bei der Interpretation des vierten
Vorurteils geht es
um einen interkulturellen Vergleich der Verhaltensweisen von
Deutschen und Türken. Die Sexualität ist in der Türkei immer noch ein Tabu, weshalb
107
türkische Jugendliche bei ihren Liebesbeziehungen große Probleme erleben. Für
deutsche Jugendliche gilt dieses Thema nicht als ein Problem. Davon ausgehend kann
man sagen, dass türkische Jugendliche die Sexualität immer im Kopf haben. So eine
Situation führt sie zu fatalen Fehlern. Außerdem haben die Studierenden auf eine
Verallgemeinerung hingewiesen, die die Menschen irreführt. Regionale Unterschiede
und Multikulturalität verungültigen die Verallgemeinerung. Es gibt in der Türkei
Regionen, wo die Sexualität kaum ein Tabu ist. Einige Studierende haben dagegen zum
Ausdruck gebracht, dass die Leibesbeziehungen türkischer Jugendlicher im Vergleich
zu denen der Deutschen sehr anders sind. Bei ihren Beziehungen stellen die Türken ihre
Liebe in den Vordergrund, dagegen konzentrieren sich die Deutschen eher auf Sex. So
eine Aussage der Studierenden ist wichtig, weil sie somit sehen können, dass auch sie
den gleichen Fehler bzw. eine Verallgemeinerung machen.
Die Stelle, die die Studierenden als ein Vorurteil markiert haben, brachte sie dazu,
deutsche und türkische Jugendliche miteinander zu vergleichen und einen Sinn für
Toleranz, Empathie und gegenseitiges Verstehen zu haben.
Die Studierenden haben beim fünften Vorurteil gegen Nuri eine große Reaktion gezeigt,
weil er Herrn Grünberger als wildfremd reflektiert hat. Bei den Interpretationen haben
die Studierenden immer wieder betont, dass gar kein Menschen, egal wo er herkommt,
wildfremd sei. Deshalb sei Nuris Verhalten total unverständlich.
Beim sechsten Vorurteil handelt es sich um die Rolle von Männern und Frauen im
sozialen Leben, die einer scharfen Kritik unterzogen wurden. Die Idee, dass die Männer
bei der Entscheidung immer besser als die Frauen sind, ist als ein Vorurteil der
Studierenden zu betrachten, das sowohl deutsche als auch türkische Frauen betrifft.
Davon ausgehend haben die Studierenden die Rolle der Frauen und Männer in der
Gesellschaft und in der Familie zur Diskussion gestellt. Die Meinungen kreisen darum,
dass Frauen und Männer gleich sind und dass jede Frau das Recht hat, ihre Meinung
ganz offen zum Ausdruck zu bringen und Entscheidungen zu treffen. Im Hinblick auf
die Türkei kann man sagen, dass Frauen in östlichen Gebieten bzw. arbeitslose Frauen
ihre Rechte bewusst und unter Zwang, aber manchmal unbewusst ihren Männern
überlassen, weil sie keine ökonomische Freiheit haben.
108
An der siebten Stelle, die als vorurteilhaltig markiert wurde, geht es um ein Problem,
das wiederum auf kulturelle Unterschiede zurückgeht. Davon ausgehend, dass jede
Kultur ihre Besonderheiten hat, könnte man sagen, dass die Art des Geschenks, das
man im Falle von Besuch mitbringt, irrelevant ist. Die Studierenden haben in diesem
Punkt darüber diskutiert, was Deutsche und Türken im Allgemeinen mitbringen, wenn
sie zu Besuch gehen. Schokolade und Blumen sind Gemeinsamkeiten beider Kulturen;
dagegen gibt es auch Unterschiede; der Wein ist z.B. in der türkischen Kultur kein
geläufiges Mitbringsel. Es hat sich erwartungsgemäß ergeben, dass die Türken gerne
Rakı trinken, während die Deutschen Bier und Wein bevorzugen.
Aktivität 3; Die Studierenden bemühen sich darum, die Stelle, die als typisch türkisch
und typisch deutsch gelten könnte, zu zitieren und sie zu interpretieren.
1. Typisch Türkisch
Wie würden sie regieren, wenn sie hörten, dass Arzu, die einzige Tochter
des Sozialarbeiters Nuri Pehlivan, einen Deutschen heiratete.
[Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop];
Das ist ein typisches Verhalten der Türken. Sie denken nur daran, was die anderen
Menschen über ihre Bescheide sagen. In der Türkei ist es sehr von Bedeutung. Es
gibt bei uns Gesellschaftsdruck.
[ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün];
Die Türken beachten Meinungen von ihren Bekannten. Sie denken nur an ihre
türkischen Freundinnen. Familie Pehlivan denkt nur daran; Was würden sie
erzählen, wenn ihre Bekannte hörten, dass Arzu einen Deutschen heiratete. Sie
denken immer nur ans Urteil von ihren Freunden.
Eine Frau hat keine Minute Ruhe, wenn ein Gast kommt und seine Frau war
eine türkische Frau.
[Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop];
Die türkischen Frauen arbeiten immer, wenn ein Gast kommt, sie servieren das
Essen, dann der Kaffe, später spüren sie das Geschirr. Das ist typisch in türkischen
Familien. In deutschen Familien sind die Frau nicht wie die türkische Frauen.
109
[ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün];
Als die Familie Grünberger zum Besuch kam, servierte Frau Pehlivan immer. Für
Frau Grünberger war das eine Überraschung, deswegen dachte sie, dass die Türken
so sind. Das ist ein Kulturunterschied. E ist eine Realität, dass in der Türkei
meistens die Frauen bedienen.
Wie ich von Nihal Abla aus Samsun gehört habe, hat sich deine Tochter im
Bus wie eine Hure benommen; sie hat im Bus so laut gelacht, dass sich sogar
der Busfahrer umgedreht hat
[Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop];
Die Nachbarinnen von Familie Pehlivan sagen ganz offen, dass Arzu wie eine Hure
ist, weil sie im Bus laut gelacht hat. In der Türkei gibt es leider solche
unverständlichen Haltungen.
[ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün];
Was ihn bei seiner Frau besonders stört, ist, dass sie immer wieder auf ihre
türkischen Nachbarinnen hört und damit die Ruhe zu Hause stört.
[Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop];
Der Klatsch ist in der Türkei ein Mode. Die Frauen organisieren Frauentage, an
denen sie einander Gold schenken. In diesen Tagen sprechen sie immer über die
Männer und über den anderen Menschen. So was lebt man außerdem im Friseur.
[ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün];
In diesen Sätzen erzählt man, dass die türkischen Frauen sich im Allgemeinen mit
ihren Nachbarinnen über alles, sogar über ihre Familie ihre persönlichen Dinge
unterhalten. Das ist ein Verhalten von der typischen Türkisch.
Er (Nuri) hat sie ein paar Mal geschlagen, damit sie es besser kapiert, aber
an ihrer Engstirnigkeit ist nicht zu rütteln.
[Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop];
Hier wird auch typisch türkisches Verhalten erzählt. Nuri denkt, dass seine Frau
dumm, engstirnig, dickköpfig, ungebildet ist, dass sie nichts versteht. Auf diesem
Grund denkt er, dass er seine Frau schlagen darf. Das zeigt uns, dass die Frauen in
der Türke, manchmal wertlos ausgesehen werden.
110
[ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün];
Die Türken schlagen ihre Frauen. Wenn die Frau dumm ist, zu viel redet, zu viel
einkauft, zu viel spazieren geht, der Mann anstrengend ist, nervös ist, betrunken ist,
Geldlos ist, schlagen die Männer ihre Frauen.
Trotzt allem gedieh die Sache so weit, dass Nuri Familie Grünberger
versprach, Tanten und Onkel Arzus zu fragen, ob sie mit der Heirat
einverstanden seien.
[Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop];
In diesem Satz erzählt man, dass die Türken mit den anderen Mitgliedern von der
Familie sprechen, immer wenn sie einen wichtigen Entschluss nehmen, aber die
Deutschen alles selbst entscheiden.
[ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün];
Die Deutschen entscheiden alles selbst, erziehen ihre Kinder selbst, aber bei uns ist
es anders.
Nuri Pehlivan habe den Beruf nur gewechselt, um ein höheres Ansehen zu
gewinnen
[ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün];
Die Türken interessieren sich für das Gewinn von anderen Menschen. Z.B. Wie
haben andere Menschen so viel Geld gewonnen?
Die deutsche Mannschaft spielt in einem sehr wichtigen Pokalspiel und ein
Deutscher beschäftigte sich mit diesen Nebensächlichkeiten.
[ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün];
Es gibt Ironie zur Fußballfanatiker. Das Verhalten von Nuri ist sehr falsch,
unakzeptierbar. Er denkt, dass Fußball wichtiger als die Heirat von seiner Tochter
ist. Fanatismus von Fußball ist sehr typisch für Türken.
[Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop];
Er denkt, dass Familie Grünberger auch später immer kommen kann, aber
Fußballspiel überträgt nur heute. Fußball ist für die Türken wichtiger als viele
andere Dinge.
111
Er hatte nichts dagegen, dass Frauen in der Gesellschaft reden und sich mit
Männern unterhalten, aber so ein wichtiges Thema musste von einem Mann
behandelt werden.
[Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop];
Das ist typisch Türkisch. Nuri sieht in dieser Stelle die Frauen unwichtig, d.h. aus
zweier Klasse. Er denkt, dass die Frauen über die wichtigen Themen nicht sprechen
dürfen.
2. Typisch Deutsch
Mit einer Flasche in der Hand, Marke Trollinger, die Nuri überhaupt nicht
mochte, er trank meistens Moselwein und Frau Grünberger brachte einen
Blumenstrauß mit.
[Betül Özdemir, Sevim Kırlangıç, Nevin Genç, Nesrin Turan, Nilgün Güneş];
In diesem Satz gibt es ein typisches deutsches Verhalten. Wenn die Deutschen als
Brautbeschauer zum Besuch von einer türkischen Familie kommen, bringen sie
eine Flasche Wein mit. Nach den türkischen Sitten bringt man Süßigkeit,
Schokolade oder Blumen mit, wenn eine Familie als Brautbeschauer kommt.
[Ezgi Koşar, Şengül Çiftçi, Azime Boz, Çiğdem Özkan];
Nach unserer Kultur bringen wir den Blumenstrauß oder Schokolade mit, aber die
Deutschen bringen Wein mit.
So mussten sie erst im Lexikon nachsehen, wie alle normalen Deutschen,
die ihre Kenntnisse über Gott und die Welt entweder vom Fernsehen oder
aus dem Lexikon haben.
[Betül Özdemir, Sevim Kırlangıç, Nevin Genç, Nesrin Turan, Nilgün Güneş];
Das ist typisch Deutsch. In diesen Sätzen erzählt man, dass die Deutschen erst im
Lexikon nachsehen, immer wenn sie sich mit einem unbewussten Wort begegnen.
Das zeigt uns, dass die Deutschen fleißig sind.
[Ezgi Koşar, Şengül Çiftçi, Azime Boz, Çiğdem Özkan];
Hier gibt es gleichzeitig ein übertreibendes Verhalten von Deutschen. Es ist nach
Türken sehr komisch, weil wir keine Gewohnheit haben, im Lexikon nachzusehen.
Herr und Frau Grünberger kennen das Wort „Brautbeschauer“ nicht, deshalb sehen
112
sie wie alle normalen Deutschen im Lexikon nach. Die Aussage „Wie die alle
normalen Deutschen“ zeigt uns, dass die Deutschen neugierig und fleißig sind.
Wenn die Deutschen etwas tun, dann mit allen Konsequenzen.
[Ezgi Koşar, Şengül Çiftçi, Azime Boz, Çiğdem Özkan];
Hier erzählt, warum die Deutschen immer Verantwortung haben. Das ist ein typisch
Deutsch.
Wie im Folgenden zu sehen ist, haben einige Studierenden die dritte Aktivität bildlich
dargestellt;
113
[Şengül Çiftçi, Ezgi Koşar];
TYPISCH TÜRKISCH
Türken
verwöhnen ihre Söhne.
Türken schlagen ihre Frauen.
Türken kennen die Sitten und
Brautbeschauer.
Türken betreten das Haus ohne Schuhe.
Türkische Frauen bedienen immer.
Türken unterdrücken ihre Frauen.
TYPISCH DEUTSCH
Deutschen diskriminieren ihren
Kinder nicht.
Deutschen lieben ihre Frauen.
Deutschen finden ihre Frauen
sich selbst.
Deutschen betreten das Haus mit
Schuhen.
Deutschen helfen ihren Frauen.
Deutschen unterstützen ihre
Frauen.
114
[Emine Apur];
115
Wie oben zu sehen ist, haben die Studierenden zehn Stellen als typisch türkisch
betrachtet, dagegen drei Stellen typisch deutsch. Sie haben sich bemüht, die gewählten
Stellen kontrastiv zu analysieren. Wenn wir alle markierten Stellen vergleichen, können
wir
unschwer sehen, dass die Studierenden die Deutschen im Hinblick auf ihr
gesellschaftliches Leben positiver bewerten als die Türken. Es fällt auch auf, dass das
Verantwortungsbewusstsein der Deutschen stärker als das der Türken ist. Im Folgenden
konkretisieren wir die genannten Unterschiede, die von den Studierenden festgestellt
haben, stichwortartig in einer Tabelle;
Typisch türkisch
Typisch deutsch
Was würden die Anderen sagen!
Egal, was die Anderen sagen!
Die Frau ist eine Bedienungsmaschine!
Die Frau und
zusammen!
Klatsch und über die Anderen reden
Weniger Klatsch und über sich reden
der
Mann
bedienen
Kommunikation zwischen dem Mann und Kommunikation zwischen dem Mann und
der Frau ist problematisch
der Frau beruht auf Solidarität
Die Männer schlagen ihre Frauen
Die Männer schlagen ihre Frauen nicht
Türken entscheiden nicht allein, sondern Sie entscheiden sich selbst
sie fragen all ihre Verwandte
Ansehen in der Gesellschaft ist wichtig
Ansehen in der Gesellschaft ist weniger
wichtig
Für eine türkische Frau ist der Mann Für eine deutsche Frau ist der Mann
unerreichbar, heilig
normal
Fußballfanatiker
Nur Zuschauer
In der Familie entscheiden die Männer
In der Familie entscheiden sie zusammen
Zu Besuch bringen sie Süßigkeiten und Zu Besuch bringen sie Wein, Blumen und
Blumen mit
Schokolade mit.
Um zu lernen, fragen sie die Anderen
Um zu lernen, untersuchen sie alles und
lesen Bücher
Wenn sie etwas tun, dann oberflächlich
Wenn sie etwas tun, dann mit allen
Konsequenzen
Sowohl Männer als auch Frauen sind Nicht eifersüchtig
eifersüchtig
116
Sie trinken Tee, Kaffe und Rakı
Sie trinken Kaffe, Bier und Wein
Sie bereisen ihre Stadt
Sie bereisen die Welt
Aktivität 4; Bei dieser Aktivität wurde zuerst der Text ausgeteilt; jede/r Studierende
hat etwa eine Seite durchgelesen. Ein Studierender kam an die Tafel und schieb die
jeweiligen Stellen über Nuri Pehlivan. Im Folgenden sehen wir die zitierten Stellen und
danach die Kommentare der Studierenden.
Der erste Teil des Textes; Die Rolleninszenierung Nuris in zitierten Aussagen
•
Seine Landsleute, diese rückständigen Türken, die ihre Frauen unterdrücken,
ihre Töchter diskriminieren, ihre Söhne verhätscheln und verwöhnen, sie alle
kennen Deutsche. Nuri Pehlivan ist keiner von denen.
•
Durch seinen beweglichen Geist und durch seinen Fleiß lernte er die deutsche
Sprache schnell.
•
Er ist fleißig, engagiert und beängstigt.
•
Seine Bildung ist hervorragend.
•
Er hat nichts dagegen, wenn türkische Mädchen mit deutschen Jungen ausgehen.
•
Als er feststellte, dass seine Frau mit ihrem beschränkten Wissen seine Tochter
nicht erziehen konnte; er übernahm auch diese Aufgabe.
•
Wir müssen unsere einzige Tochter allein erziehen, du und ich, meistens ich
allein, da dürfen sich die anderen .Frauen nicht einmischen.
•
Deine Tochter möchte einen Deutschen heiraten. Und damit du es weißt, ich
habe nichts dagegen!
Die zitierten Aussagen zeigen eindeutig, dass die gespielte Rolle von Nuri Pehlivan
vom Anfang des Textes bis zum Kennenlernen der Familie Grünberger einen
kultivierten und anpassungsfähigen toleranten Mann widerspiegelt.
Der zweite Teil des Textes; Die Entlarvung der Rolle Nuris in zitierten Aussagen
117
•
So ein Mensch konnte nichts dagegen haben, dass seine Tochter
einen
Deutschen heiratet. Aber alles musste nach türkischer Sitte zugehen.
•
„Wir kennen uns ja sehr lange und wissen, dass wir sehr gut zueinander passen“
galt bei Nuri nicht.
•
Herr Grünberger wollte mit Nuri Pehlivan alles am Telefon besprechen, aber
Nuri wollte natürlich nichts mit einem wildfremden Menschen zu tun haben.
•
Er hatte nichts dagegen, dass Frauen in der Gesellschaft reden und sich mit
Männern unterhalten, aber so ein wichtiges Thema musste von einem Mann
behandelt werden.
•
Dabei zeigte er auf das Etikett der Flasche; So etwas bringen nur die Deutschen
mit.
•
Die Türken hatten nichts gegen die deutschen Sitten, die ihnen manchmal
unverständlich wären, und die Deutschen sollten das Gleiche tun.
•
Eine Frau hat keine Erziehung zum objektiven Denken genossen.
•
Nuri Pehlivan kenne ja die Deutschen, und er wisse, dass sie außer sich selbst
niemanden haben.
•
Frau Grünberger lernte Türkisch, damit sie sich mit Frau Pehlivan unterhalten
konnte. Nuri gefiel das nicht, weil jeder auf seinem Teppich bleiben sollte.
•
Die beiden Männer diskutierten darüber, ob die Mentalität der Türken besser sei
als die der Deutschen.
•
Zum ersten Mal seit fünf Jahren schlug er seine Frau, weil sie am Abend mit
Frau Grünberger zum Essen gehen wollte. Zum Abendessen. Jawohl. Allein zum
Abendessen.
•
Frau Grünberger, diese saudumme Frau, widersprach dem mit der Begründung,
dass Arzus Heirat die Tanten und Onkel nichts anginge.
•
Dass ihr Deutschen nur für euch selbst lebt, weiß jede Sau, wir aber leben
füreinander.
118
Nach dem Kennenlernen der Familie Grünberger zeigt er seinen echten Charakter, wie
es an oben zitierten Aussagen ersichtlich ist. Besonders die Konjunktion „aber“ und die
Wortteile „nicht dagegen“ stellen seine zwei Gesichter eindeutig vor.
Der Text lässt sich zweiteilen; im ersten Teil erfährt der Leser etwas über Nuris
„Charakterrolle“; Es stellt sich durch die satirische Darstellung Şinasis heraus, dass es
sich dabei um eine „Rolle“ handelt. Im zweiten Teil wird die Vermutung des Lesers,
dass Nuri nur eine Rolle spielt, bestärkt. Nuris Aussagen und Verhaltensweisen –
insbesondere diejenigen, die im Widerspruch zu seiner propagierten Rolle stehen gleichen einer „Selbstentlarvung“ Nuris. Davon ausgehend ist es zu bemerken, dass die
Funktion der Satire hier eigentlich zur Offenlegung von Nuris „echtem“ Charakter
gebraucht wird.
Der Titel der Geschichte heißt „Brautbeschauer“ und nicht „Der wahre Türke“ oder
etwas Ähnliches. Das zeigt uns, dass der Titel eigentlich nicht auf eine
„Entlarvungsgeschichte“ verweist. Zunächst ist kein unmittelbarer Zusammenhang
zwischen „Brautbeschauer“ und „Nuri“ auszumachen. Die Titelwahl von Sinasi Dikmen
und ihre Funktion bzw. Bedeutung deutet darauf hin, dass „Brautbeschauer“ als eine Art
„Schlüssel“ fungiert, in diesem Fall eben auch in Verbindung mit der ganzen
Heiratsgeschichte als Schlüssel, der den „echten“ Charakter Nuris (er)öffnet.
5.2.1.4. Textanalyse
Am Anfang des Textes beschreibt man Nuri Pehlivans inneren Charakter, sein
Verhalten und seine Haltung zum sozialen Leben in Deutschland; man macht
dahingehend einen Vergleich zwischen ihm und seinen türkischen und deutschen
Freunden, damit die Leser erste Eindrücke über Pehlivan und über seine Situation
gewinnen können. Die Erzählhaltung des Erzählers erkennt man an seinem Stil und der
Kombination der Wörter.
Ich möchte hier über einen Mann berichten, der nicht nur unter den Türken
einmalig ist, sondern auch unter seinen Kollegen (S.13).
Hier weist der Erzähler ganz ironisch auf die besondere Situation von Pehlivan unter
seinen Freunden und Kollegen hin.
119
Seine
Landsleute,
diese
rückständigen
Türken,
die
ihre
Frauen
unterdrücken, ihre Töchter diskriminieren, ihre Söhne verhätscheln und
verwöhnen, sie alle kennen Deutsche. ...(S.13).
Das Zitat, das eine ironische Bedeutung hat, zeigt uns ein Türkenbild, das gleichzeitig
impliziert, dass Nuri nicht so ist. Ironische bzw. satirische Bedeutung erhält diese
Implikatur dadurch, dass sich erweist, dass Nuri auch so ist, was aus den folgenden
Seiten des Textes deutlich wird. An Stellen wie die eben genannten ist die Meinung des
Erzählers und die wiedergegebene Meinung Nuris oft nicht deutlich getrennt, somit
erfordert es den Scharfsinn des Lesers, die eigentliche Aussage zu erschließen.
„Er ist Türke, er ist Sozialarbeiter, aber ein ganz besonderer Mensch (S. 13).“ In dieser
Aussage verfolgt Dikmen mit der Konjunktion „aber“ das Ziel, die Leser über die
Situation und über das Türkenbild zum Nachdenken zu bringen. Davon ausgehend wird
im Unterricht diskutiert werden, ob die anderen Türken im Vergleich zu Pehlivan nicht
anders sind und ob das oben genannte Türkenbild, das von (deutschen)
Frauenrechtlerinnen sehr hart kritisiert wird, auf die Türken passt, wenn ein
interkultureller Vergleich zwischen den beiden Kulturen durchgeführt wird. Die
Aussage „man soll nicht nur auf das Böse schimpfen, sondern auch das Gute loben
(S.13)“ ist zwar ironisch und nicht ganz ernst gemeint, aber sie ist insofern provokativ
und voller bissige Kritik, als die Frauenrechtlerinnen überwiegend kein positives Image
haben.
Seine Bildung ist hervorragend. Er verwechselt zwar manchmal die Namen,
aber auf diese Kleinigkeit kommt es ja nicht an (S.14).
Die Ironie liegt in diesem Satz im Wort „Kleinigkeit“, da später deutlich wird, dass
dieses Wort mit einer großen Bildungslücke von Nuri korreliert, wodurch die Aussage
„hervorragend“ wiederum negiert wird. Im Laufe dieses Absatzes antwortet Nuri auf
die Frage seiner Tochter, wer das Stück „Wilhelm Tell“ geschrieben hätte;
„Ein
Schweizer namens Schiller, der der Schwager von Kaiser Goethe war (S. 14). In Bezug
auf Schiller ist die Aussage richtig, aber dass er ein Schweizer und der Schwager von
Kaiser Goethe war, zeigt teils humoristisch, teils satirisch die große Bildungslücke
Nuris.
Im Hinblick auf seine Haltung zu seiner Tochter und seiner Frau wird zur Diskussion
gestellt, ob Nuri tolerant ist. Zuerst wurde der Begriff „tolerant“ mit Beispielen erklärt
und ein interkultureller Vergleich gemacht, indem über diesen Text hinaus der
120
Blickwinkel der Türken und der Deutschen hinsichtlich dieses Begriffs besprochen
wurde. In dieser Phase waren unsere Bemühungen darauf gerichtet, die Studierenden
neben dem Begriff „Toleranz“ auch über Begriffe wie „Anpassung“, Integration“ sowie
„Assimilation“
zum Nachdenken zu bringen und bei den Studierenden zu
gewährleisten, diese Begriffe mit dem in Deutschland auftretenden multikulturellen
Leben in Verbindung zu bringen.
Toleranz und Anpassung von Nuri nimmt man meistens ironischerweise im
Zusammenhang mit seinem Verhalten zu seiner Frau und seiner Tochter sowie seiner
eigenen Situation in der deutschen Gesellschaft war.
Er hat nichts dagegen, wenn türkische Mädchen mit deutschen Jungen
ausgehen. Mit wem sollen sie sonst ausgehen? Die türkischen Jugendlichen
haben keine Ahnung, wie man ein Mädchen ausführt. Sie wollen mit jeder
Frau sofort ins Bett (S.14)“ und Seine Toleranz kennt keine Grenze, sonst
hätte er es mit seiner blöden Frau nicht so lange ausgehalten (S.15).
Diese zwei Beispiele zeigen uns, dass Nuri nur theoretisch tolerant ist. Er zeigt sich
sowohl gegenüber seiner Tochter als auch seiner Frau ganz offen und gibt vor, ihnen
ihre eigene Freiheit zu lassen, damit sie ihr Leben nach ihren Wünschen weiterführen
können. Mit Nuris Kritik an türkischen Jugendlichen, dass sie keine Ahnung hätten, wie
man ein Mädchen ausführt, will er zeigen, dass er sich an die deutsche Gesellschaft sehr
gut angepasst hat und dass er anders, d.h. moderner als andere Türken ist. In der Praxis
aber ist zu sehen, dass er besonders auf seine Frau Druck ausübt, damit sie die Dinge so
sieht wie er selbst. Er ist der Meinung, dass nur er in der Lage ist, die Dinge zu
begreifen und dass er seiner Frau nur dadurch, dass er mit ihr über die Dinge redet, die
richtige Weltsicht vermitteln kann.
Auch auf der Seite 21 ist zu sehen, dass er seine Frau als eine Bedienmaschine sieht, die
kein Recht dazu hat, in der Gesellschaft ihre eigenen Gedanken zum Ausdruck zu
bringen. Aus dem Verhalten Nuris seiner Frau gegenüber kann man folgern, dass er alle
Frauen für dumm hält. Er meint, dass „eine Frau keine Erziehung zum objektiven
Denken genossen hat (S.22)“, deshalb kann sie nicht richtig entscheiden und deshalb
muss seine Frau nur bedienen;
Ich entscheide immer richtig, ich bin als Sozialarbeiter daran gewöhnt,
Entscheidungen zu treffen, nicht aber meine Frau (S.22).
121
An dieser Stelle entlarvt Nuri sich ironischerweise selbst, weil er behauptete, dass er ein
toleranter, offener, moderner Mensch sei, dagegen ist er in Wirklichkeit nie objektiv. Er
ist außerdem bei der Erziehung theoretisch gegen Gewalt und immer böse auf seine
Frau, wenn sie Arzu schlägt. Bei seiner Frau findet er Gewalt inakzeptabel, aber wenn
er selbst schlägt, ist dies aus seiner Sicht normal, mit der Begründung, dass er ja ein
„moderner“ Mensch sei. In diesem Zusammenhang gerät er seitens der Toleranz in
Widerspruch. Er ist gegen seine Frau immer einseitig, weil er sich meistens nur darum
bemüht, ihre negative, fehlende Seite zu sehen. Keine Rede davon, dass es an seiner Art
und Weise liegen könnte; auf keinen Fall, denn dann müsste er Selbstkritik üben und
Schuld eingestehen.
Auf Seite 16, wo seine Frau ihm die Meinung Nihals aus Samsun erzählt, möchte man
Nuri für seine Reaktion und Antwort Recht geben; denn die Einstellung seiner Frau, die
sie gegenüber ihrer Tochter zeigt, kann sich auf die Erziehung Arzus nur negativ
auswirken. Nuri reagiert hier;
Wir müssen unsere einzige Tochter allein erziehen, du und ich, meistens ich
allein, da dürfen sich die anderen Frauen nicht einmischen (S.16).
Dagegen steht sein Verhalten bei der Entscheidung über die mögliche Ehe der Tochter
im unauflöslichen Widerspruch, wenn er sagt, dass er seine Nachbarn in der Türkei und
in anderen Ländern fragen müsse, ob sie gegen diese Heirat seien. Darüber hinaus
könnte man sagen, dass er gegenüber seinen Freunden in Deutschland und in der
Türkei sowie gegenüber sich selbst zwei verschiedene Charaktere lebt und
widerspiegelt, um zu zeigen, dass er ein moderner Mensch ist und dass er sich ans
deutsche Gesellschaftsleben sehr gut anpassen konnte. Einen weiteren Hinweis darauf
tritt auf der Seite 17 hervor, wo Nuri von der Absicht Arzus, einen Deutschen zu
heiraten, hört und sagt, dass Arzu ihrer Mutter darüber nichts sagen soll, weil er diese
zuerst davon unterrichten wolle. Er sagt; Ich jedenfalls habe nichts dagegen, wenn du
einen Deutschen heiratest. Du kennst mich ja (S.17), was aber seiner späteren
Handlungsweise widerspricht. Er ist sich dessen bewusst, wo er lebt und was er machen
soll, um von Deutschen und auch Türken in Deutschland akzeptiert zu werden; deshalb
spielt er je nach Situation, in der er sich befindet, eine Rolle.
Es ist leicht zu sehen, dass Nuri auf den nachfolgenden Seiten bezüglich seines Denkens
und seiner Haltung mit sich selbst in großen Widersprüchen steht, welches ganz
122
offensichtlich bestätigt, dass er manchmal eine türkische und manchmal eine deutsche
Rolle spielt.
Nuri, der ein bewusster Türke war. Er war nicht wie die anderen Türken,
die sich für Türken hielten, weil sie als Türken geboren worden waren/ Nuri,
der
die
Mittelschule
verlassen
musste,
weil
die
Lehrer
seine
Anpassungsfähigkeiten nicht erkannt hatten/ Nuri, der durch seine Tätigkeit
Vergleichsmöglichkeiten hat (S.18)
Trotzt allem meint Nuri paradoxerweise, dass alles hinsichtlich der Entscheidung über
die zukünftige Ehe seiner Tochter nach türkischer Sitte vorgehen muss und die Eltern
von Wolf-Dieter einen Brautbeschauer schicken müssen.
Dieses Paradox ist natürlich kein Zufall; damit will der Autor auch zeigen, wie die
Türken in Deutschland angefangen haben, zwischen zwei Kulturen zu stehen. Nuri will
einerseits wie ein Deutscher sein, andererseits traut er sich aber nicht die türkische
Kultur ganz abzuwähren. Denn mit so einer Haltung würde er von seinen Landsleuten
für immer abgestoßen.
Mit dem Auftauchen der Problematik „Brautbeschauer“ verschärft der Erzähler seine
Kritik sowohl an den Deutschen als auch an den Türken, die bei ihrem Verhalten die
kulturellen Unterschiede außer Acht lassen. Bei Nuris Aussage „da sie auch
erwachsene Menschen seien, wüssten sie bestimmt, was Brautbeschauer sind (S.19)“
gibt es keinen Einblick in die Kulturunterschiede. Weiterhin ist zu bemerken, dass der
Erzähler an manchen Stellen, wo
er zum Ausdruck bringt, dass Herr und Frau
Grünberger wie alle normalen Deutschen ihre Kenntnisse über den Gott und die Welt
entweder vom Fernsehen oder aus dem 25-bändigen Lexikon hätten, seine Objektivität
verliert. Es ist schwer festzustellen, ob er an dieser Stelle die Deutschen lobt oder
kritisiert. Aus der deutschen Sicht ist so eine Haltung eine lächerliche Kritik, d.h.
Humor, weil der Erzähler eine einzelne Situation verallgemeinert. In folgenden Sätzen
kritisiert er die Türkei, indem er sie „als ein modernes Land“ mit Menschen, die ihre
primitiven Gewohnheiten nicht abschaffen können, als ein Paradox zeigt. Die Aussage
“wildfremder Mensch“, die den Blickwinkel Nuris spiegelt, ist außerdem aus der Sicht
der Deutschen provokativ und aus türkischen Sicht lächerlich.
123
Von der Kritik des Erzählers bekommen sowohl Herr Grünberger als auch Nuri wegen
ihres gegenseitigen Verhaltens ihren Anteil;
Herr Grünberger wollte mit Nuri Pehlivan alles am Telefon besprechen,
aber Nuri wollte natürlich nichts mit einem wildfremden Menschen zu tun
haben. Er legte den Hörer einfach auf (S.19).
Alle drei Dinge, alles am Telefon zu besprechen, die Aussage „wildfremder Mensch“
und den Hörer aufzulegen sind unangemessen. Man bespricht diese wichtigen Dinge
nicht am Telefon, dagegen sollte Nuri den Hörer nicht auflegen, sondern höflich sein.
Die oben genannten kulturellen Unterschiede verstärken sich beim Besuch von Herrn
und Frau Grünberger bei den Pehlivans. Mit der Aussage
Nachdem sie sich vorgestellt und Platz genommen hatten, sprach Frau
Grünberger sofort das Thema Hochzeit an (S.20)
weist der Erzähler auf die kulturellen Unterschiede und auf die Situation der türkischen
und deutschen Frauen in ihrer Familie hin; er führt die Leser somit zum Vergleich
beider Kulturen. Das Problem liegt in zwei Situationen, die oben im zitierten Satz
unterstrichen sind; „Frau Grünberger“ und „sofort“. Nach Nuri und vielen türkischen
Männern seinesgleichen müssen die wichtigen Themen von Männern behandelt werden.
Aus diesem Grund bleiben die türkischen Frauen bei Entscheidungen im Hintergrund.
Außerdem sollte man sich zuerst über verschiedene, d.h. unwichtige Dinge unterhalten;
nach einer bestimmten Zeit schneidet der Mann das Thema „Heirat“ mit dem Gespräch
an.
Ein anderer kultureller Unterschied beim Familienbesuch zeigt sich, als Herr
Grünberger mit einer Flasche in der Hand ankommt; Nuri findet das beschämend und
kritisiert diese Handlung. Im Zusammenhang mit einem interkulturellen Vergleich
gewinnt an dieser Stelle die Frage „Was würde denn ein Türke mitbringen?“ an
Bedeutung. Im Allgemeinen bringt ein Türke Schokolade, Lokum oder eine andere
Süßigkeit mit, weil man in der Türkei daran glaubt, dass man süß (positiv) redet, wenn
man süß isst. Das kommt aus einem türkischen Sprichwort, das so lautet; „Süß essen
und dann süß reden“.
Nuri bringt zum Ausdruck, dass
die Türken nichts gegen die deutschen Sitten hätten, die ihnen manchmal
unverständlich wären, und die Deutschen sollten das gleiche tun (S.21).
124
Wenn wir uns all das Verhalten von Nuri vor Augen halten, dann können wir sehen,
dass Nuri nicht wegen seiner Toleranz so eine Aussage zum Ausdruck bringt, sondern
weil er „duldet“. Er hat sich eigentlich nicht integriert, wird nicht akzeptiert, ist nicht
angepasst; er bemüht sich auch nicht darum. Es ist evident, dass er bei jedem Verhalten
von Familie Grünberger etwas zu kritisieren sucht, weil er die Situation erdulden muss,
obwohl er gegen so eine Heirat ist. Die Aussagen
„Die Deutschen haben außer sich selbst niemanden“, „Nach dem dritten
Besuch bewegte sich Frau Grünberger in der Wohnung Nuri Pehlivans so,
als sei es ihre eigene“, „Frau Grünberger verdarb das ganze Glück“
sind Übertreibungen. Tatsächlich macht Frau Grünberger nur Kaffee und möchte über
Frau Pehlivan und über ihre Situation in der Familie mehr erfahren. Nuri sieht die
Familie Grünberger als Gegner, was der vorgegebenen gegenseitigen Toleranz
widerspricht. Besonders an der Stelle, wo Nuri sagt, dass Frau Grünberger keine
türkische Frau sei und daher Türkisch lerne, um sich mit Frau Pehlivan unterhalten zu
können, (S. 23-24), deutet auf einen krassen Widerspruch hin, weil Nuri sich
andererseits beharrlich darum bemüht, dass Familie Grünberger alles nach türkischen
Sitten tut. Ein Diskussionspunkt ist, warum Nuri auf das Verhalten von Frau
Grünberger so eine Reaktion zeigt. Er denkt, dass Frau Grünberger das Ziel verfolgt,
seine Frau zu assimilieren. Daneben hat er vor der geistigen Entwicklung seiner Frau
Angst, was seine Position in der Familie verunsichert.
Ausgehend von der Situation seiner Frau und ihrer Distanz zur deutschen Sprache wird
außerdem die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in Deutschland sowie die
Einstellung der Deutschen zum Sprachgebrauch der türkischen MigrantInnen zur
Diskussion gestellt;
Sie sind doch nicht in der Türkei, sie vergisst, dass die ganze Familie in
Deutschland lebt und dass die Menschen in Deutschland deutsch sprechen
müssen (S.16).
Diese Aussage hat die Studierenden dazu geführt, sich die Situation der türkischen
MigrantInnen in Deutschland im Hinblick auf ihre Haltung gegenüber der deutschen
Sprache vorzustellen und einen interkulturellen Vergleich zu machen. Diese Aussage
impliziert auch zwei satirische Hinweise; der eine ist das Argument der Deutschen, dass
die MigrantInnen in Deutschland die deutsche Sprache sprechen müssten; der zweite
Hinweis bezieht sich auf die Mehrsprachigkeit in der Türkei. Man kritisiert an dieser
125
Stelle die Sprachpolitik beider Länder.
Es scheint uns von Bedeutung, dass die
Studierenden über die Frage
Welche Lebenshaltungen der türkischen MigrantInnen in Deutschland
führen die Deutschen zur Idee, dass die MigrantInnen die deutsche Sprache
lernen müssen?
hinaus darum bemüht haben, sich selbst in die Position der Anderen hineinzuversetzen
und ohne Vorurteile die Situation zu bewerten.
Auch die witzige Stelle auf Seite 17, wo die Mutter mehrmals ohnmächtig wird, als sie
den Namen Wolf-Dieter hörte, ist hinsichtlich der Analyse der Stereotype von
Bedeutung. Die Reaktion der Mutter ist verständlich, weil der Name furchtbar deutsch
sei. Offensichtlich hat
der Autor so einen Namen deshalb gebraucht, weil er die
Stereotype, die in einem Verhältnis zu einer bestimmten Zeitspanne eines Landes
stehen, hinterfragen und die typisch kulturellen Elemente zweier Kulturen
gegenüberstellen will. Kaum ein deutscher Junge trägt in Deutschland der 80er Jahre
noch so einen altmodischen, aber als typisch deutsch stereotypisierten Namen.
Die Mutter fällt in Ohnmacht, weil sie nur an ihre türkischen Freundinnen denkt,
was sie erzählen würden, wenn sie hörten, dass Arzu, die einzige Tochter
des Sozialarbeiters Nuri Pehlivan, einen Deutschen heiratete (S.17).
Aus deutscher Sicht ist das eine Übertreibung, weil es nicht so von Bedeutung und
nicht ein Problem sein kann, wenn zwei Menschen anderer Kulturen heiraten.
Der Autor betont die Situation nur aus der türkischen Seite. Er stellt sie so dar, als ob
nur die Türken gegen so eine Heirat wären. Aber in der Wirklichkeit sind auch die
deutschen Eltern nicht anders.
Dagegen ist es aus türkischer Sicht beschämend und gleichbedeutend mit einem
Gesichtsverlust. Der Autor stellt an dieser Stelle als Hauptproblem ironischerweise die
türkische Sicht dar, weil die Türken dieser Zeit ihre eigenen Entscheidungen über ihre
Familie so treffen, dass sie sich von Gerüchten ihrer Nachbarn bzw. ihrer Umgebung
beeinflussen lassen. In den darauf folgenden Sätzen ist zu sehen, dass der Erzähler über
die Haltung der Mutter eine kritische Aussage macht, indem er sagt, dass die Mutter nur
an ihre Freundinnen und nie an ihren Ehemann denkt. Wenn man aber ihre Lebensart,
ihre Ausbildungssituation und ihre Umgebung berücksichtigt, wird es klar, dass sie
emotional an die gesamte Familie denkt.
126
Eine ähnliche Emotionalität sieht man auch beim Verhalten des Vaters gegenüber dem
Bräutigam Wolf-Dieter. Da Nuri die Ehe seiner Tochter mit einem Deutschen innerlich
nicht akzeptiert, jedoch nichts dagegen tun kann, bezeichnet er Wolf-Dieter als Idioten;
Wusste dieser Idiot nicht, dass Arzu immer noch nicht seine Frau war (S.25)?“ Nuri
liebt seine Tochter; und das Gefühl, die Tochter zu verlieren, bereitet ihm Leid; deshalb
reagiert er gegen Wolf-Dieter immer negativ. Schließlich beginnt Nuri auch an seiner
Tochter Kritik zu üben, weil sie Wolf-Dieters Verhalten verteidigt. Nuris Aussage, Arzu
habe keine Ahnung, wie es in einer anständigen türkischen Familie zugeht, bedeutet
zugleich, dass auch die Pehlivans keine anständige türkische Familie sind.
Auch beim Entscheidungsprozess ist zwischen Deutschen und Türken ein kultureller
Unterschied zu sehen (S.26). Während Deutsche alles selbst entscheiden, geht es bei
Türken eher traditionelle Weise vor; sie fragen nämlich bei irgendeiner Entscheidung –
sei es nur formal – auch ihre Nachbarn, ob sie damit einverstanden seien. Die Nachbarn
zu fragen kann aber auch als eine Übertreibung von Dikmen verstanden werden; damit
will er wahrscheinlich betonen, wie viel Wert die Türken auf die Meinung anderer
legen.
Frau Grünberger ist der Meinung, dass Arzus Heirat die Tanten und Onkel nichts
angeht, und Nuri wird daraufhin auf sie sehr böse. Paradoxerweise hatte Nuri vorher
gemeint, dass er anders als die anderen Türken sei, die traditionell sind und sich nicht an
die deutsche Kultur
anpassen.
Wo
er
vorher
noch die Erziehungs-
und
Entscheidungsweise der Deutschen gelobt hat, flieht er plötzlich ins „Türke-Sein“.
Bis alle Antworten der Nachbarn zusammen waren, dauerte es über ein Jahr.
Dazwischen wurde Wolf-Dieter beschnitten, und seine Familie überlegte es, zum Islam
überzutreten. Es ist unbekannt, was Familie Grünberger in dieser Zeit durchlebt hat und
welche Gegebenheiten sie zu diesen Gedanken geführt haben. Trotzdem kann man
behaupten, dass sie in dieser Zeitspanne die türkische Kultur näher kennengelernt und
bestimmte Besonderheiten erworben hat. Im Laufe der Zeit wollte Frau Grünberger
lieber zu Hause bleiben und sich um ihren Mann kümmern; es ärgerte sie, wenn ihr
Mann mit Schuhen das Wohnzimmer betrat. Dieser einseitige Kulturaustausch ist als
eine Rückentwicklung und unreflektierte Anpassung der Familie Grünberger zu
bewerten, weil Familie Pehlivan ihre Distanz zur deutschen Kultur bewahren hat,
obwohl sie in Deutschland zwischen den Deutschen lebt. Man stellt die Grünbergers als
127
eine türkische Migranten-Familie dar, die in der Türkei „Almancı“ genannt werden,
weil sie in die Türkei reisen, um dort Türkisch zu lernen und sich mit der türkischen
Mentalität vertraut zu machen.
Die kulturelle Verwandlung sieht man am Ende der Geschichte nur bei den
Grünbergers. Sie konvertierten, lernten Türkisch, tranken aus religiösen Gründen keinen
Alkohol mehr, und Wolf-Dieter hat schließlich seinen Namen zu Vedat Demir geändert.
Das alles wurde groß gefeiert. An dieser Stelle stellt Herr Grünberger Nuri die
wichtigste Frage, die seine Verwandlung sehr gut widerspiegelt und die Nuri schockiert;
Ich danke dir, Nuri, für das, was du für uns getan hast. Ich wollte immer
deine Tochter für meinen Sohn, im Namen Allahs, mit Genehmigung
Mohammeds und mit der Unterstützung der Heiligen. Ich habe jetzt nur eine
einzige Frage; Ist deine Tochter noch Jungfrau? (S.31).
Sie schlagen Nuri mit seiner eigenen Waffe und machen ihn lächerlich, indem sie auf
die Eheschließung verzichten.
Zum Schluss kann man sagen, dass beim Thema des Textes es um die Kommunikation
zweier Familien geht, die schrittweise und gegenseitig ihre Rollen tauschen. Es ist
ziemlich klar, dass beide Familien wegen ihrer gegenseitigen Verhaltensweisen sehr
scharf kritisiert werden. Die oben zitierten Kommentare machen anschaulich, dass die
Studierenden sich darum bemüht haben, sich sowohl in die Deutschen als auch in die
Türken hineinzufühlen und die Motive ohne Vorurteile zu kommentieren.
5.2.2. Unterrichtsmodell 2: Ehegattenzusammenführung oder Wie finde ich eine
Frau?
5.2.2.1. Textinhalt
Im Text geht es um einen 21-jährigen türkischen Ausländer, der sich im Ausländeramt
von einem deutschen Beamten beraten lässt, was zu tun ist, um die Geliebte aus der
Türkei nach Deutschland zwecks Heirat holen zu können. Er erfährt, dass er nach dem
neuen Gesetzt nicht aus seiner Heimat heiraten darf, wenn er nicht aus einem EG-Land
kommt. Er lernt im Urlaub in der Türkei ein Mädchen kennen und will sie heiraten. Da
er nicht aus einem EG-Land kommt, rät der Beamte ihm, eine türkischstämmige Frau
128
zu heiraten, die in Deutschland lebt. Aber der Ausländer akzeptiert das auf keinen Fall,
deshalb wird er vom Beamten zurückgewiesen.
5.2.2.2. Lernaktivitäten
Im Hinblick auf die Motive werden fünf Aktivitäten ausgeführt, die zur Förderung der
interkulturellen Fähigkeiten der Studierenden beitragen sollen. Unter diesen Fähigkeiten
kann man
sprachliche
die Lern- und Leistungsbereitschaft, die Fähigkeit zur Kreativität, die
Ausdrucksfähigkeit,
die
Befähigung
zum
Rollenspiel
und
zur
Verantwortungsbereitschaft zählen. Besonders bei der vierten Aktivität möchten wir die
Studierenden anregen, aus dem vorgegebenen Text einen neuen Text zu produzieren,
was ihre Kreativität steigert.
Aktivität 1; Im Text geht es um ein Rollenspiel. Deshalb wird von den Studierenden
erwartet, die Szene im Konsulat vorzuspielen. Ziel dieser Aktivität ist es, die
sprachliche Ausdruckfähigkeit, die Befähigung zu sozial verantwortlichem Verhalten,
die Lern- und Leistungsbereitschaft, die Verantwortungsbereitschaft und die Kreativität
der Studierenden zu fördern. Schließlich lernen sie, ihre Körperhaltung zu kontrollieren.
Zwei Studierende haben die zwei Rollen (Beamter und Ausländer) übernommen und
den Dialog vor den anderen Klassenkameraden vorgespielt.
Aktivität 2; Zur Förderung der Aussprache; Nach dem Rollenspiel werden Wörter und
Satzteile, deren Aussprache den Studierenden schwerfiel, tabellarisch aufgelistet und
geübt.
Aktivität 3;
In dieser Phase werden die Studierenden gebeten, einen Vergleich
zwischen dem Beamten und dem Ausländer zu machen, der in der Regel auf kulturelle
Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Deutschen und Türken hinweist. Die folgende
Tabelle leitet sie an:
Erster Student Zweiter Student
Beamter
Ausländer
Situation
Haltung
Probleme
Charakter
129
Widersprüche
Kulturspezifische Unterschiede
Gemeinsamkeiten
Sprache
Aktivität 4;
Textproduktion;
Die Studierenden sollen diesen Dialogtext in eine
Kurzgeschichte umformen. Dafür führen sie eine Gruppenarbeit aus. Wir bilden vier
Gruppen mit je acht Teilnehmern. Am Anfang gibt man den Studierenden einige
Hinweise über die Merkmale des Umformens, danach vollenden sie die Aufgabe zu
Hause.
5.2.2.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Aktivität 1; Bei dieser Aktivität haben zwei Studierende die zwei Rollen (Beamter und
Ausländer) übernommen und den Dialog vor den anderen Klassenkameraden
vorgespielt. Da die anderen Studierenden in der Klasse für das Rollenspiel eine enorme
Neigung hatten, haben wir den Verlauf der Aktivität geändert und den Dialog-Text
abschnittweise von allen Studierenden vorspielen lassen.
Das Rollenspiel hat sozusagen garantiert, dem Unterricht einen effektiven Einstieg zu
verleihen und die Aufmerksamkeit der Studierenden auf die nachkommenden
Aktivitäten zu steigern. Dabei haben die Verantwortungsgefühle der Studierenden eine
große Rolle gespielt.
Aktivität 2; Nach dem Rollenspiel haben die Studierenden den Text noch ein Mal
vorgelesen. Beim Vorlesen haben sie die Wörter und Satzteile, deren Aussprache ihnen
schwer fiel, aufgelistet und mit anderen Studierenden geübt.
Die folgenden elf Wörter waren für die Studierenden schwer auszusprechen;
•
Aufenthaltsgenehmigung
•
Ehegattenzusammenführung
•
Aufenthaltsberechtigung
•
Grammatikalisch
•
Nichtsdestotrotz
•
Bundesinnenminister
•
Meldepflicht
130
•
Bundesregierung
•
Arbeitsmöglichkeit
•
Arbeitslosengeld
•
Radebrechend
Es fällt auf, dass alle schwer aussprechbaren Wörter ausnahmslos Zusammensetzungen
sind.
Das
hat
wahrscheinlich
damit
zu
tun,
dass
das
Türkische
keine
Konsonantenhäufung im An- und Auslaut der Wörter toleriert und die Anzahl der
mehrgliedrigen Zusammensetzungen im Vergleich zum Deutschen relativ gering ist.
Deshalb muss in einem anderen Zusammenhang auf dieses Problem eingegangen
werden;
Aufenthaltsgenehmigung
Bei diesem Wort haben das Bindevokal –s und
die Konsonanten –hm die Aussprache erschwert.
Ehe/gatten/zusammen/führung Dieses Wort ist mehr- bzw. viergliedrig.
Aufenthaltsberechtigung
Bei diesem Wort erschwert das Bindevokal –s die
Aussprache.
Grammatikalisch
Die Doppelkonsonanz erschwert die Aussprache.
Nichtsdestotrotz
Doppel- und Dreifachkonsonanten sind für
türkische Studierende schwer auszusprechen, weil
im Türkischen keine Konsonantenhäufung
möglich ist (abgesehen von Lehn- bzw.
Fremdwörtern).
Bundesinnenminister
Zusammengesetztes Wort mit Bindevokal
Meldepflicht
Die Aussprache der Affrikate (-pf-, -z-) fällt den
Studierenden am schwersten.
Bundesregierung
Obwohl dieses Wort keinen Bindevokal und
keine Doppelkonsonanten hat, sprachen die
Studierenden es schwer aus.
Arbeitsmöglichkeit
Bindevokal –s; im Türkischen ist der Bindevokal
selten.
Arbeitslosengeld
Bindevokal –s.
Radebrechend
Das Wort radebrechend ist eigentlich nicht
schwer auszusprechen, aber die Studierenden
haben bei seiner Aussprache Schwierigkeiten
erlebt.
Aktivität 3; Der Beamte und der Ausländer spielen zwei gegensätzliche Rollen. Der
einer ist gebildet und arbeitet im Ausländeramt, der andere ist dagegen ein ungebildeter
Arbeiter. In diesem Punkt wollten die Studierenden einen Vergleich zwischen dem
Beamten
und
dem
Ausländer
machen,
der
die
kulturellen
Gemeinsamkeiten der Deutschen und Türken in den Mittelpunk stellt.
Unterschiede
131
Erster Student
Beamter
Chef im Ausländeramt, qualifiziert
Situation
Haltung
Probleme
Charakter
Widersprüche
Kulturspezifische
Unterschiede
Gemeinsamkeiten
Sprache
Zweiter Student
Ausländer
Gastarbeiter,
unqualifiziert
Diszipliniert, aufrecht, realistisch
Höflich, hartnäckig,
hilfsbereit, geduldig
egoistisch, treu
Sein Problem ist der Ausländer und Ihm geht es um
seine Haltung.
Gesetze der deutschen
Regierung über die
Ausländer,
seine Frau in der Türkei,
den
Beamten
im
Ausländeramt
Er hat immer unterschiedliche Er kämpft für seine
Alternativen, die Probleme lösen zu Rechte, ist trotzig
können.
Liebe ist sehr einfach.
Er reagiert gegen die
Gefühllos, aber logisch.
Liste der ledigen Frauen
Zuerst
die
Arbeit
und Zuerst die Gefühle, dann
Lebensbedingungen,
dann die die
Arbeit
und
Gefühle
Lebensbedingungen
Vermittler.
Brautbeschauer
Höflich,
freundlich,
väterlich- Er
spricht
eine
korrekt, erläuternd und spricht eine alltägliche
Sprache,
offizielle Sprache.
ängstlich und fehlerhaft.
Von dieser Tabelle ausgehend kann man sagen, dass der Beamte und der Ausländer
verschiedene Charaktere haben. Der Beamte stellt seine Arbeit in den Mittelpunkt,
danach kommen seine Gefühle. Er ist qualifiziert und gebildet, deshalb spricht er eine
offizielle Sprache. Dagegen ist der Ausländer ungebildet. Er benutzt die Alltagssprache,
aber kämpft für seine sozialen Rechte. Zusammenfassend kann man sagen, dass die
Haltung der Deutschen im Sinne der sozialen Verantwortung logischer als die der
Türken ist.
Aktivität 4; Am Anfang der Aktivität wurden den Studierenden einige Hinweise über
die Kriterien des Umformens eines Dramas in eine Kurzgeschichte vermittelt. Während
einige in Gruppen gearbeitet haben, haben manche diese Aktivität einzeln aufgegriffen.
Die Aufgabe wurde zu Hause vollendet.
Im
ersten
Schritt
haben
die
Studierenden
den
Dramentext
“Ehegattenzusammenführung” analysiert und ihn in eine Kurzgeschichte umgeformt.
Unter Rücksicht auf den Inhalt des Ausgangstextes haben sie einen neuen Text verfasst.
132
Obwohl es sich um Kurzgeschichten handelt, können sie die Studierenden zu tiefen
Gedanken führen und über den Inhalt nachdenken lassen. Ausgehend von diesen
ungefähr auf ein/zwei Seiten begrenzten Geschichten haben manche Studierende Texte
bis zu zehn Seiten produzieren können. Dieser Tatsache folgend können die
Studierenden die Grenze der Geschichte überschreiten und für sich eine neue eigene
Geschichte, d.h. eine fiktive Welt erschaffen.
Ein anderer Grund, warum die Kurzgeschichten den Studierenden eine breite
Möglichkeit zum Nachdenken geben, liegt in der Struktur dieser Geschichten. Durch die
kurzen Sätze erzählt man kurze und unkomplizierte Handlungen, die in sich eine große
Tiefe verbergen.
Kriterien des Umformens:
Obschon solch eine Arbeit stark von der Wahrnehmung und Kreativität der
Studierenden abhängig ist, bedürfen diese Vorschläge ernsthafter Methoden und
Techniken. Zuerst muss man auf den Raum und Materialen aufpassen und sie auf die
Kurzgeschichte übertragen. Die Zahl der Personen in einem Dramentext ist groß,
deshalb sind eine oder zwei Hauptfiguren für eine Kurzgeschichte ausreichend. Die
Sprache der Kurzgeschichte soll im Präsens sein. Man hat einen dem Sprachniveau der
Studierenden entsprechenden verständlichen Wortschatz zu benutzen.
Der Umschreibprozess kann in drei Schritten geschehen. Bei der ersten Phase wird der
Ausgangstext ausführlich analysiert. Die zweite Phase besteht aus dem Umschreiben,
d.h. dem Umformen des Ausgangstextes in eine Kurzgeschichte. Bei der dritten und
letzten Phase wird der erarbeitete Text in der Klasse besprochen und beschrieben.
Im Folgenden zitieren wir einige Kurzgeschichten, die von den Studierenden von einem
Dramentext in die Form einer Kurzgeschichte ausgestaltet wurden.
Beispiel 1; [Burcu Kaleli];
Ein junger Ausländer kennt in der Türkei im Urlaub ein Mädchen und er
möchte sie heiraten. Eines Tages kommt er ins Ausländeramt, um zu fragen,
ob er heiraten darf. Der Beamte versteht ihn nicht, weil da nicht ein
Standesamt ist, sondern ein Ausländeramt. Der Ausländer spricht über das
neue Gesetzt, nach dem er seine Frau nach Deutschland nicht mitbringen
133
darf. Der Beamte empfiehlt ihm, dass er zuerst seine Zukunft absichern und
danach eine Frau finden soll. Der Beamte erzählt, dass der Ausländer keine
sichere Arbeitsstelle hat und seine Sprache fehlerhaft ist. Nach dem
Beamten sei es besser, wenn der Ausländer aus Deutschland heiratet. Wenn
alle ausländische Jugendliche aus ihrer Heimat heiraten möchte, sei das für
Deutschland eine Katastrophe. Der Beamte bietet dem Ausländer viele
Alternative von ledigen Frauen, die in Deutschland leben. Der Ausländer
akzeptiert das aber nicht, deshalb wird der Beamte immer mehr nervös. Am
Ende explodiert der Beamte und schreit; Wenn du nur aus deiner Heimat
heiraten willst, bleibst du immer ledig, oder verheiratet-ledig, weil du deine
Frau niemals nach Deutschland mitbringen darfst.
Beispiel 2; [Elif Yergezen];
Eines Tages geht ein Mann zum Ausländeramt. Er möchte heiraten, deshalb
fragt er die Beamtin, ob er heiraten darf. Sie fragt ihn sein Alter. Er ist
schon 20 und arbeitslos. Die Beamtin sagt, dass er nicht heiraten darf, weil
er nicht aus EG-Land kommt. Sie zeigt ihm eine Akte, die voll mit ledigen
Frauen ist, aber der Ausländer ist eigensinnig und will nur das Mädchen in
der Türkei heiraten. Die Beamtin schlägt ihm eine Frau aus Spanien, eine
aus der Türkei und noch eine aus der Türkei vor. Sie zeigt ihm Fotos der
Frauen, aber verneint immer wieder all die Vorschläge. Sie wird böse,
nervös, weil der Ausländer sagt, dass er keine Frau aus der Akte heiraten
will. Sie ärgert sich sehr und vertreibt ihn.
Beispiel 3; [Funda Gürbüz]
Eines Tages geht ein Ausländer, heißt Hüseyin, ins Ausländeramt. Er will
ein türkisches Mädchen, heißt Funda, heiraten. Herr Müller, der Beamte im
Ausländeramt, ist sehr höflich. Er fragt Hüseyin, was er will, aber Hüseyin
ist sehr ängstlich. Herr Müller versucht, ihn zu beruhigen. Dann erzählt
Hüseyin, dass er in der Türkei im letzten Urlaub ein Mädchen
kennengelernt hat, die er heiraten will. Aber Hüseyin hört über das neue
Gesetzt der deutschen Regierung über die Ausländer und dass er seine Frau
nach Deutschland nicht mitbringen darf.
134
Herr Müller will ihm helfen, deshalb erklärt er alles höflich und
schrittweise. Wenn die Menschen nicht aus einem EG-Land kommen,
dürfen sie ihre Frauen nach Deutschland nicht mitbringen. Trotzdem
Hüseyin das weiss, will er seine Frau nach Deutschland unbedingt
mitbringen. Herr Müller fragt nach seinem Alter. Er ist fast einundzwanzig,
hat keine sichere Arbeit. Herr Müller verhält väterlich und erzählt, dass
Hüseyin zuerst seine Zukunft absichern, einen Beruf lernen und eine
Aufenthaltsberechtigung bekommen soll, danach sei es besser zu heiraten.
Er kann auch nicht gut Deutsch, trotzdem nimmt er Herrn Müller nicht in
Ernst. Da Herr Müller merkt, dass er Hüseyin nicht überzeugen kann, fängt
er ihm zu erzahlen an, dass es in Deutschland viele Ausländer gibt. Wenn
alle Jungen in ihren Heimatländern heiraten und ihre Frauen nach
Deutschland mitbringen möchten, was würde die Status von Deutschland.
Herr Müller bemerkt, dass Hüseyin auf jeden Fall heiraten will, deshalb
fängt er dafür eine Lösung zu finden an. Er ruft seine Sacharbeiterin. Sie
kommt mit vielen Akten in der Hand, stellt sie auf den Tisch. Die Akten
waren voll mit den ledigen Frauen. Zuerst empfiehlt Herr Müller Dolares
Marquez, aber Hüseyin akzeptiert das nicht, weil sie eine Fremde ist. Herr
Müller erzählt diesmal über die Vorteile eine Fremde zu heiraten. Er
akzeptiert auch Müzeyyen aus der Türkei nicht, weil sie schon verheiratet
war. Auch Hatice ist für Hüseyin nicht die günstige Frau, weil sie schon mit
einem anderen Mann verlobt war. Münevver auch nicht. Er will unbedingt
Funda heiraten. Herr Müller wird darauf sehr böse und schreit;
„Ich
versuche für dich Lösungen zu finden, aber du verarschst mich“. Endlich
vertreibt Herr Müller ihn.
Beispiel 4; [Kerem Erol]
Ein Ausländer tritt zurückhaltend ins Ausländeramt herein. Er beginnt mit
dem Beamten zu sprechen. Er will heiraten, aber das neue Ausländergesetz
bildet für ihn ein Problem, denn nach dem neuen Gesetzt darf er seine Frau
nach Deutschland nicht mitbringen, weil er aus nicht einem EG-Land
kommt.
135
Der Beamte empfiehlt ihm, dass er erst seine Zukunft absichern muss, dann
kann er heiraten. Nach dem Ausländer ist das ein Verstoß gegen
Menschenrechte. Der Beamte erzählt, dass es für Deutschland eine
Katastrophe sei, wenn alle Ausländer ihre Frauen nach Deutschland
mitbringen möchten. Auch in Deutschland gibt es Arbeitslosigkeit. Der
Ausländer ist hartnäckig und sagt, dass nicht alle Ausländer in einem
gleichen Tag heiraten. Der Beamte schlägt ihm vor, dass er ihm helfen wird,
wenn der Ausländer in Deutschland heiraten will. Dann spricht der Beamte
für eine Spanierin, aber der Ausländer weist auf die Sprachproblem hin,
weil er kein Spanisch kann. Der Beamte schlägt dann noch einige Frauen
vor, die alle aber verheiratet oder verlobt waren, deshalb lehnt der
Ausländer alle Vorschläge ab. Dann wird der Beamte plötzlich nervös und
er lass den Ausländer raus.
Wir haben oben vier Beispiele zitiert, die von den Studierenden von einem Dramentext
in eine Kurzgeschichte umgestaltet wurden. Wie in allen vier Beispielen zu sehen ist,
haben die Studierenden ihre Kurzgeschichten im Präsens geschrieben. Die von den
Studierenden produzierten Geschichten Ein junger Ausländer, Eines Tages und Ein
Ausländer haben einen offenen Anfang. Man muss sich aber vor Augen halten, dass der
Beginn mit Eines Tages... die Einführungsworte der epischen Form Märchen sind.
Außerdem kommen sie in den Kurzgeschichten häufig vor. Die ausgestalteten
Kurzgeschichten haben ein offenes Ende, weil die Studierenden über das Leben des
Ausländers keine weiteren Kenntnisse vermittelt haben; Wir wissen also nicht, ob er
seine türkische Freundin geheiratet hat. Und das ist wiederum eine Besonderheit der
Kurzgeschichte.
Bei dieser Aktivität wurde von den Studierenden nicht eine professionelle und
makellose
Kurzgeschichte erwartet,
sondern
nur
die aktive Teilnahme am
Produktionsprozess verlangt.
Den Studierenden, die einen neuen Text erarbeitet haben, hat man bei ihrer Tätigkeit
große Freiheit erlaubt, damit sie den neuen Text nach ihrer Weltanschauung und ihrer
Kreativität bearbeiten können. Man sollte außerdem die Struktur des neu geschaffenen
Textes nicht außer Acht lassen. Da beim Umschreiben die Merkmale des
136
Ausgangstextes kenntlich bleiben müssen, sollte auch die sprachliche Form des
Zieltextes unkompliziert sein.
Es war lehrreich, am Ende der Aktivität mit den Studierenden zusammen eine
allgemeine Bewertung zu machen. Es wurde auch in allen Einzelheiten untersucht, wie
sich der Text inhaltlich und formal im Vergleich zum Ausgangstext veränderte. Die
neuen und die alten Motive wurden verglichen und die Unterschiede festgestellt. An
diesem Schritt haben die Studierenden die Differenzen zwischen dem Ausgangs- und
dem Zieltext konkret gesehen und somit den Gewinn, den sie während dieser Aktivität
erworben haben, bemerkt.
5.2.2.4. Textanalyse
Der Titel Ehegattenzusammenführung oder; Wie finde ich eine Frau zeigt uns, dass es
unmittelbar um das Thema Heirat geht. Am Anfang des Textes beschreibt man mit
einem Satz den Ort der Handlung.
Der junge Ausländer geht ins Ausländeramt, um für die Fragen in seinem Kopf über das
neue Ausländergesetz eine Antwort zu finden. Diese Adresse ist in der Regel nicht
falsch, weil er der Meinung ist, dass dieses Amt dazu da ist, für die Probleme der
Ausländer in Deutschland eine Lösung zu finden und ihnen Hilfe anzubieten.
Der Beamte ist höflich und hilfsbereit. Er ist sich bewusst, warum er da ist und was er
für die Ausländer zu leisten hat. Der Ausländer fragt, ob er heiraten dürfe. Diese Frage
klingt am Anfang wie eine widersinnige Frage, weil nicht das Ausländeramt, sondern
das Standesamt sich mit diesen Sachen beschäftigt. Eigentlich war das Thema aber das
neue Ausländergesetz, nach dem die Ausländer nicht ihre Frauen nach Deutschland
mitbringen dürfen, wenn sie nicht aus einem EG-Land kommen.
Die Antwort des Beamten, so etwas sei ihm noch nie passiert (S.33), ist ein
Widerspruch, weil der Beamte im Laufe des Gesprächs die Sachbearbeiterin ruft, damit
sie ihm die Akte der ledigen Frauen bringt. Das stellt eindeutig klar, dass so etwas
schon mehrmals passiert ist. Der Ausländer hatte im letzten Urlaub in der Türkei ein
Mädchen kennengelernt, das er unbedingt heiraten will. Widersprüchlich ist nicht nur
das Verhalten des Beamten, sondern auch das des Ausländers, weil er akzeptiert, aus
137
den Akten für sich eine passende Frau zu finden, obwohl er in ein Mädchen in der
Türkei verliebt ist. Sein Verhalten zeigt eindeutig, dass er heiraten will, egal wer die
Frau ist und woher sie kommt.
Im Text kommen sehr häufig ironische Stellen vor. Denken verursacht Kopfschmerzen
(S.34) ist ironisch gemeint, weil die Ausländer damit als Menschen gezeigt werden, die
nicht richtig nachdenken können.
Kopfschmerzen
Wenn die Ausländer
Kopfschmerzen haben, →
Richtigarbeiten
können Sie nicht richtig
arbeiten. ↓
Wenn Sie nicht richtig
arbeiten können →
Anwesenheit
wird ihre Anwesenheit
in Deutschland
überflüssig.
Mit seiner Meinung will der Beamte dem Ausländer mittelbar aufzeigen, dass nur er
selbst in der Lage ist, die Probleme aller Ausländer in Deutschland zu lösen. Zweitens
meint er, dass Deutschland nur gesunde Arbeiter braucht. Heiraten der Ausländer mit
Partnern aus ihrer Heimat beurteilen die Deutschen deshalb als einen negativen Prozess,
weil die Heirat mit Personen aus der Heimat die Zahl der Ausländer in Deutschland
vermehrt. Außerdem können die ungesunden Ausländer den Deutschen nicht
ökonomisch helfen, was ihrer Existenz in Deutschland widerspricht. Sie befinden sich
in Deutschland, um die deutsche Wirtschaft voranzutreiben. Wenn die Ausländer nicht
arbeiten, bekommen sie von der deutschen Regierung Arbeitslosengeld, was die
Nationalökonomie Deutschlands belastet. Deshalb bemüht sich der Beamte darum, den
Ausländer zu manipulieren und ihn in den seiner Meinung nach richtigen Weg zu
lenken.
Der Beamte empfiehlt dem Ausländer, erst dann eine Aufenthaltsberechtigung zu
beantragen und einen Beruf zu haben, wenn seine Zukunft unsicher ist (S.34). So eine
Vorgehensweise zeigt im Hinblick auf die Bewertung der Situation eindeutig, wie die
deutsche und die türkische Mentalität unterschiedlich sind. Man hat den Eindruck, dass
Deutsche im Vergleich zu Türken logischer denken, weil sie zuerst ihre Zukunft
absichern und danach heiraten wollen. Dagegen gehen die Türken erst ihren Gefühlen
nach, ohne ihre Zukunft abzusichern, was im Laufe der Zeit familiäre Probleme mit sich
bringt.
138
Mit der Frage „Was spielt das Fremdsprachenlernen bei der Integration für eine Rolle?“
wird in diesem Text die Integrationsproblematik ironisch zur Diskussion gestellt. Der
Beamte sagt, dass der Ausländer eine Deutsche heiraten solle, damit die Integration
leichter läuft;
Wenn ihr beide Kinder habt, sprechen auch die Kinder deutsch. Unser
Innenminister wünscht sich so eine Integration und Sie wollen ihm bei
seiner Mühe nicht helfen?“ (S.36)
Der Beamte hat vor, den Ausländer zum Erlernen der deutschen Sprache zu motivieren
und damit seine Aufgabe zu erleichtern; daneben ist diese Aussage eine Warnung an
den Ausländer. Obwohl der Ausländer unbedingt seine Freundin in der Türkei heiraten
will, zeigt er keine scharfe Reaktion, schimpft nicht, sondern versucht, dafür eine
Lösung zu finden, ohne den Beamten zu beleidigen. Das kann er aber nicht schaffen,
weil er unbedingt jemand aus der Türkei heiraten will. Die Haltung des Ausländers
macht den Beamten, der bisher immer höflich war, schrittweise nervös, weshalb er am
Ende seine Höflichkeit verliert und den Ausländer wegschickt.
5.2.3. Unterrichtsmodell 3; Fremde ist wo du gekränkt wirst
5.2.3.1. Textinhalt
Im Text geht es um das Kränken der Ausländer in Deutschland. Man legt durch diverse
Beispiele dar, unter welchen Umständen sich die Ausländer verletzt fühlen können. In
diesem Zusammenhang stellt man die gegenseitige Kommunikation der Deutschen und
der Ausländer bildlich dar. In der letzten Strophe zeigt der Autor den Weg zum
Überwinden des Kränkens und zum friedlichen und glücklichen Leben.
5.2.3.2. Lernaktivitäten
Von diesem Text ausgehend wird geplant, im Unterricht drei Aktivitäten zu
praktizieren, die die Studierenden befähigen können, einen Sinn für Fremde und Heimat
zu haben. Diese Aktivitäten helfen den Studierenden, interkulturelle Vorurteile
abzubauen, indem sie sich in die Position der Anderen versetzen lernen.
Aktivität 1; Die Studierenden werden die Lücke in der ersten Säule füllen; somit wird
unschwer festgestellt, was sie unter dem Begriff „Fremde“ verstehen. Solch eine
Aktivität, die spielerisch durchgeführt wird, wird den Studierenden die Möglichkeit
139
bieten, ihre Gedanken über die „Fremde“ offen zum Ausdruck zu bringen; dadurch kann
man die positiven und negativen Seiten dieses Begriffs feststellen und zum Abbau
interkultureller Vorurteile beitragen.
Im zweiten Schritt werden die Studierenden die Lücken in der zweiten Säule füllen, die
sich auf die Heimat richten. Mit Hilfe der in zwei gegenseitigen Richtungen
entwickelten Antworten werden die Studierenden die Chance haben, die Fremde und
die Heimat miteinander zu vergleichen und über die Position der anderen
nachzudenken.
Fremde ist, wo du
Fremde ist, wo du
Fremde ist, wo du
Fremde ist, wo du
Fremde ist, wo du
Fremde ist, wo du
Fremde ist, wo du
Fremde ist, wo du
Fremde ist, wo du
Fremde ist, wo du
……………
……………
……………
……………
……………
……………
……………
……………
……………
……………
…… ist, wo du lebst.
…… ist, wo du arbeitest.
…….ist, wo du Kulturen kennst.
……. ist, wo du die Liebe siehst.
……..ist, wo du die Sehnsucht fühlst.
……. ist, wo du um Hilfe bittest.
……. ist, wo du dich wohl fühlst.
……. ist, wo du weinst.
……..ist, wo du zum Lachen kommst.
……..ist, wo du deine Hoffnung verlierst.
Von dieser Aktivität ausgehend verfolgen wir das Ziel, die Studierenden spielerisch
über die zentralen Punkte der Fremdheit aufzuklären und sich in Menschen aus einem
anderen Land und einer anderen Kultur einzufühlen.
Aktivität 2; Bei dieser Aktivität sollen die Studierenden versuchen, von der Frage „Wo
bist du eigentlich in Fremde?“ ausgehend einen ganz kurzen Text zu schreiben. Am
Ende der Aktivität werden die kurzen Texte inhaltlich und grammatisch analysiert und
die Meinungen der Studierenden zur Diskussion gestellt.
Aktivität 3; Das Gedicht wird zweigeteilt. Die ersten drei Strophen, die sich inhaltlich
auf das „Kränken“ und seine Gründe beziehen, bilden den ersten Teil; die vierte Strophe
ist der Gegensatz zu den ersten drei. In dieser Phase konzentrieren sich die Studierenden
auf den zweiten Teil bzw. auf die Lösung des Autors und bringen ihre Gedanken über
diese Lösung zum Ausdruck.
140
5.2.3.3 Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Einführungsphase; Bevor die Studierenden mit den Aktivitäten angefangen haben,
haben sie kurz über die Gründe der Migration gesprochen, um einen vergnüglichen
Einstig in den Unterricht zu machen und das Thema zu verinnerlichen. Auf die Frage
„Warum haben die Türken in den 50er Jahren nach Deutschland emigriert?“ haben die
Studierenden unterschiedliche Antworten gegeben:
•
Kerem Erol; In 50er Jahren gab es in der Türkei Arbeitslosigkeit. Dagegen
brauchte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Arbeitskräfte, um das Land
zu rekonstruieren. Das war für die Türken eine Möglichkeit, Geld zu verdienen
und es in die Türkei zu schicken.
•
Funda Gürbüz; Um Geld zu verdienen haben sie nach Deutschland emigriert.
Die Deutschen hatten alles, was sie brauchen, aber in der Türkei war die
gesellschaftliche und politische Situation ganz schlecht.
•
Gülden Güneş; Sie haben daran geglaubt, dass sie in Deutschland besser leben
können.
•
Kadriye Erkan; Sie waren in der Türkei arm und hatten Hunger. Deutschland
war für sie eine Erlösung von Sorgen und Kummer.
•
Bahar Kotan; Nach dem Putsch herrschte in 60er Jahren in der Türkei eine
Militärregierung und in Bezug darauf mussten viele Menschen wegen der
politischen Gründen nach Deutschland emigrieren.
Demnach haben die Türken aus drei wichtigen Gründen nach Deutschland emigriert;
aus ökonomischen, sozialen und politischen Gründen.
Nach der Einführungsphase, bei der die Studierenden die Gründe der Migration in
ihrem Kopf konkretisiert haben, haben die Studierenden angefangen, die Aktivitäten
auszuführen.
Aktivität 1; Bei dieser Aktivität haben die Studierenden die Lücke in der ersten Säule
gefüllt, ihre Meinungen ganz offen zum Ausdruck gebracht, was uns gezeigt hat, was
sie unter dem Begriff „Fremde“ verstehen.
Fremde ist, wo du deine Gefühle verlierst.
Fremde ist, wo du deine Rechte nicht benutzen kannst.
Fremde ist, wo du immer wieder weinst.
Fremde ist, wo du dich allein fühlst.
141
Fremde ist, wo du dich an die Schwierigkeiten gewöhnst.
Fremde ist, wo du deinen Stolz und deine Hoffnung verloren hast.
Fremde ist, wo du in sich eine Wunde trägst.
Fremde ist, wo du Sehnsucht nach seinen Freunden hast.
Fremde ist, wo du auf jedes Nummernschild des Autos schaust.
Fremde ist, wo du fremd bist.
Fremde ist, wo du deine Kindheit vermisst.
Fremde ist, wo du deine Heimat suchst.
Im zweiten Schritt haben die Studierenden die Lücken in der zweiten Säule gefüllt, die
sich auf die Heimat richten.
Fremde/ Heimat ist, wo du lebst.
Sicherheit der Zukunft ist, wo du arbeitest.
Die Welt ist, wo du die Kulturen kennst.
Augen/ Herz/ Schatz ist, wo du die Liebe siehst.
Eine fremde Stadt ist, wo du die Sehnsucht fühlst.
Die Hölle ist, wo du um Hilfe bittest.
Heimat/ Zu Hause/ Toilette ist, wo du dich wohl fühlst.
Ausland ist, wo du weinst.
Klassezimmer ist, wo du zum Lachen kommst.
Die Stadt der Exfreundin ist, wo du deine Hoffnung verlierst.
Von dieser Aktivität ausgehend verfolgt man das Ziel, die Studierenden spielerisch über
die zentralen Punkte der Fremdheit Erfahrungen sammeln zu lassen und sich in
Menschen aus einem anderen Land und einer anderen Kultur einfühlen zu können. Im
ersten Schritt haben die Studierenden ihre Assoziationen über die Fremdheit
ausgedrückt. Von den gegebenen Beispielen aus kann man behaupten, dass die
Studierenden den Begriff „die Fremde“ mit „Kränken“ in Beziehung setzen. Die
Fremde ist, wo Menschen gekränkt werden, sich allein fühlen, nach den Freunden und
der Heimat Sehnsucht haben und ihre Hoffnung verloren haben.
Es scheint uns von Bedeutung zu sagen, dass die Studierenden nicht nur das „Ausland“,
sondern auch die eigene Heimat als Fremde ansehen können. Im zweiten Schritt haben
142
die Studierenden die zweite Säule gefüllt. Die Antworten sind in die gleiche Richtung
wie beim ersten Schritt gegangen.
Aktivität 2; Bei dieser Aktivität haben die Studierenden einen ganz kurzen Text
verfasst, indem sie von der Frage „Wo bist du eigentlich in Fremde?“ ausgingen. Dafür
wurde den Studierenden etwa 15 Minuten Zeit gegeben. Am Ende wurden die kurzen
Texte inhaltlich und grammatisch analysiert und diskutiert.
Im Folgenden zitieren wir einige Stellen von den Texten, die von den Studierenden in
15 Minuten geschrieben wurden, um festzustellen, was sie über die Fremde denken und
welche Lösungen sie sich vorstellen, um die Fremde zu beseitigen:
[Zeynep Akduman];
Ich lebe in der Türkei kein Heimweh, obwohl ich heute entfernt von meinem
Geburtsort lebe. Ich fühle mich nicht allein, weil ich hier viele Freundinnen
habe. Ich spreche mit den Menschen in meiner Umgebung gleiche Sprache,
deshalb bilde ich mit ihnen eine gute Kommunikation. Wenn ich in
Deutschland gewesen wäre, dann könnte ich Heimweh haben. Ich kenne da
niemanden, niemand weiß, woher ich komme, was ich spreche, deshalb
könnte mich in Deutschland ich mit vielen Schwierigkeiten treffen.
In diesem Beispiel bildet die Studentin eine Relation zwischen der Fremde und der
Kommunikation mit den Menschen in ihrer Umgebung. Sie bringt zum Ausdruck, dass
der Mensch alle Schwierigkeiten beseitigen könne, wenn er mit den anderen Menschen
eine Kommunikationsbrücke bilde.
[Çiğdem Özkan];
Die Fremde ist Sehnsucht. Es ist nicht von Bedeutung, wo du bist und lebst.
Die Fremde ist jemanden sich selbst allein zu fühlen, obwohl es um ihn
viele Menschen gibt. Die Welt gehört uns. Überall ist unsere Heimat. Es
gibt auf dieser Welt kein neues Land und kein neues Meer. Wo du lebst,
gehört dort dir. Die gesprochene Sprache spielt dabei keine Rolle, weil wir
Auge haben, die die anderen Menschen sehen. Somit können wir die
fremden Menschen verstehen. Unser Verstand hilft uns dabei. Deshalb bin
ich der Meinung, dass die Fremde ist, wo die Menschen in der Gesellschaft
sich allein fühlen.
143
In diesem Beispiel weist
die Studentin auf die geistige Einsamkeit
und
Kommunikationslosigkeit hin, die die Fremde hervorbringen. Um die Fremde in sich
nicht zu fühlen, muss man in der Gesellschaft aktiv sein.
[M. Ali Kelekçi];
Alles, was auf dieser Welt ist, gehört den Menschen. Wenn wir uns kräftig
fühlen, können wir überall leben. Um sich die Fremde in uns nicht zu fühlen,
müssen wir die Welt als eine Ganzheit sehen.
In diesem Beispiel will der Student eine Lösung zeigen, wie man die Fremde abbauen
kann. Der Mensch muss die Grenze im Kopf überschreiten, um die Fremde zu
bewältigen.
[Elif Yergezen];
Fremde ist Einbildung. Wir sind in dieser Welt geboren. Wir sind hier
Bürger. Auf dieser Welt ist überall unser Haus, daneben gehört nirgendwo
uns. Diese Welt ist für Menschen vergänglich.
Sie interpretiert die Welt als das Wohngebiet der Menschen. Für sie gibt es keine
Grenzen, keine Nationen und kein Fremdsein. Man ist überall zu Hause. Die Grenzen
und die Schwierigkeiten bilden die Menschen selbst, egal wo sie sind.
[Esra Yıldıran];
Die Menschen im Ausland sprechen eine Fremdsprache und haben
Gewohnheiten, die wir nicht kennen. Um sie verstehen und besser
kennenlernen zu können müssen wir ihre Sprache gut beherrschen. Das
bringt mit sich die Integration. Wenn ich in Deutschland lebe, lerne ich die
deutsche Sprache, somit kann ich die Fremde in mir abbauen.
In diesem Beispiel weist die Studentin auf die Sprache und Integration hin. Sie denkt,
dass die Menschen im Ausland sich leicht integrieren lassen und die Fremden besser
verstehen können, wenn sie die dort gesprochene Sprache gut beherrschen.
[Funda Gürbüz];
Die Fremde ist irgendwo, wo ich mich unglücklich fühle. Im Ausland oder in
der Türkei kann ich mich unglücklich fühle. Die Fremde ist abhängig von
den Gewohnheiten. Jeder Mensch sucht um sich die Autos seines Landes, das
144
Essen seiner Familie, die Menschen, die er kennt! Wenn der Mensch diese
Gewohnheiten nicht findet, dann kann er sich in der Fremde fühlen.
In diesem Beispiel betont man die Gewohnheiten der Menschen. Wenn jemand von
seinen Gewohnheiten weitab bleibt, fühlt er sich in der Fremde.
[Şengül Çiftçi];
Wir glauben daran, dass wir in der Fremde weinen, aber wir weinen wegen
der Sehnsucht nach unseren Freunden. Aber auch in der Heimat fühlt man
sich in der Fremde, wenn jemand allein, unglücklich und hoffnungslos ist.
Wenn wir glücklich sind und Hoffnung haben, gibt es für uns keine Fremde.
In diesem Beispiel sieht man eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen den inneren
Gefühlen und der Fremde. Wenn jemand sich hoffnungslos und unglücklich fühlt, fühlt
man sich in der Fremde.
Die Studierenden sehen die Gründe der Fremde in der Kommunikationslosigkeit, in der
geistigen Einsamkeit, in der Hoffnungslosigkeit und im Unglück. Diese Emotionen
führen die Menschen dazu, die Fremde in sich zu fühlen. Um die Fremde beseitigen zu
können, müssen die Ausländer mit den Deutschen ein stärkeres Kommunikationsnetz
bauen. Dafür müssen sie zuerst die deutsche Sprache beherrschen und die deutsche
Kultur nah kennenlernen.
Natürlich spielt bei der Kommunikationslosigkeit auch die Haltung der Deutschen eine
wichtige Rolle. Es ist ein gegenseitiges Spiel. Es genügt nicht, wenn sich nur eine Seite
an etwas anpasst; die andere Seite muss auch einen Schritt tun, damit ein Gleichgewicht
entsteht. Nur durch das Gleichgewicht kann Glück, Hoffnung und Geborgenheit
entstehen.
Aktivität 3; Mit dieser Aktivität möchten wir die Sprechfähigkeit der Studierenden
fördern. Die Studierenden haben sich besonders auf die vierte Strophe konzentriert. Sie
haben den Lösungsvorschlag des Autors diskutiert, wie das Kränken vermieden werden
kann.
Von Bedeutung scheint uns in diesem Punkt, dass die Studierenden zwischen dem Meer
und den Menschen einen Vergleich machen, was sie zu einer Lösung näher gebracht
hat.
145
Meereswasser enthält Salz, von dem das Meer seinen Widerstand nimmt. Die Menschen
haben in sich Liebe, von der sie ihren Widerstand gegen alle Gehässigkeit nehmen.
Die Lösung ist;
Liebe → endlose Liebe in uns. Dementsprechend haben die
Studierenden die Meinung vertreten, dass die Menschen ohne Rücksicht auf
Abstammung einander respektieren sollen. Die Welt gehört allen Menschen und nur
durch Liebe und gegenseitigen Respekt kann man auf dieser Welt in Frieden
weiterleben.
5.2.3.4. Textanalyse
Das Gedicht wird in zwei geteilt. Die ersten drei Strophen, die sich inhaltlich auf das
„Kränken“ und seine Gründe beziehen, bilden den ersten Teil; die vierte Strophe ist der
Gegensatz zu den ersten drei. In diesem Zusammenhang ist es bei der Analyse von
Bedeutung, das Gedicht in zwei Schritten in die Hand zu nehmen, wobei zuerst die
ersten drei Strophen und danach ihre Verbindung mit der letzten Strophe behandelt
werden.
Im ersten Vers stellt der Autor den Schlüssel des Gedichts vor, der bei der Analyse die
zentrale Rolle übernimmt; wird er gekränkt, schwindet freude; In diesem Vers werden
zwei Wörter, d.h. kränken und freude gegeneinander gestellt, um zu zeigen, dass sie
gleichzeitig kaum hervorkommen, weil sie inhaltlich kontrastiv sind. Wenn jemand
gekränkt wird, verliert er seine Freude und Lebenslust, was ihn im Laufe der Zeit
entmutigen kann. In der ersten Strophe kommt das Wort schmächtige Blicke als Grund
des Kränkens vor, weil diese Blicke die menschlichen Gefühle fassen und die Menschen
zur Hoffnungslosigkeit und zum inneren Leid führen. Hilflosigkeit übernimmt in
diesem Punkt eine zentrale Bedeutung, weil die Menschen unter schmächtigen Blicken
weiterleben und ihre Köpfe willenlos hängen müssen, obwohl sie diese schlechte
Situation schwer ertragen können.
In der zweiten Strophe haben die Wörter lieblose und barsche worte eine
Schlüsselfunktion. Die Menschen, die den anderen ihre Hand reichen müssen, um etwas
haben zu können, leiden unter der Unfreundlichkeit derjenigen, die barsche Worte
sagen. Wegen der unfreundlichen Art bei der Kommunikation fühlen sich die Menschen
146
gekränkt; deswegen widerspricht so ein unhöfliches Verhalten der gegenseitigen
Toleranz und dem Verständnis.
Die dritte Strophe konzentriert sich auf das Wandern von einem Ort zum anderen und
auf dessen negativen Einfluss auf den Menschen. Für ein wohles Leben reicht einem ein
bestimmter Ort bzw. eine Heimat. Dagegen geraten die Menschen in viele Probleme,
wenn sie ohne Heimat bleiben und stets hin und her laufen.
Eindeutig ist, dass der Autor sein Gedicht auf die türkische Migration in den 60er
Jahren nach Deutschland stützt. Mit den schmächtigen Blicken in der ersten Strophe
richtet sich die Kritik gegen deutsche Arbeitsgeber, weil sie die Arbeiter abwehren, die
nach Deutschland deshalb emigriert haben, um Geld zu verdienen und somit ihr Leben
weiterzuführen. Man betont an dieser Stelle, dass diese Arbeiter im Grunde ungewollt,
und zwar aus ökonomischen Gründen nach Deutschland emigriert haben.
In der zweiten Strophe kritisiert man gleichfalls die Arbeitsgeber, die mit barschen
Worten die Arbeiter geringschätzen. In der dritten Strophe thematisiert man dagegen
das Heimweh, die Sehnsucht nach Liebe und die Migration.
In der letzten Strophe zeigt der Autor den Lesern, wie man die in ersten drei Strophen
thematisierten Probleme überwinden könnte; er weist auf die Liebe hin. Er hebt die
Kraft im Menschen hervor, indem er zwischen dem Meer und dem Menschen, zwischen
dem Salz und der Liebe eine symmetrische Relation bildet.
Widerstand des Meeres
kommt
vom Salz
↓
↓
↓
Widerstand des Menschen kommt von Liebe
Die Botschaft des Gedichts ist, dass jeder Mensch in sich seine eigene Lösung trägt;
Die Liebe ist die Lösung. Die Lösung ist in uns und in der Fremde oder in der Heimat;
überall kann man Probleme haben, die nur anhand der Liebe zu überwinden sind. Dabei
spielt Solidarität, Toleranz und Humanität eine große Rolle.
147
5.2.4. Unterrichtsmodell 4; Gedanken über die Rückkehr
5.2.4.1. Textinhalt
Das Gedicht „Gedanken über die Rückkehr“, das aus zwei Teilen besteht, handelt von
der Zugehörigkeit der Türken in Deutschland. Man stellt die Frage; Wozu gehöre ich;
zu den Deutschen und ihrer Kultur oder zu den Türken und zur türkischen Kultur? Im
ersten Teil des Gedichts ist die Rede von den Erlebnissen des Autors in seiner Heimat,
d.h. in der Türkei, die er rückblendend reflektiert. Dagegen erzählt er im zweiten Teil
vom Leben der Jungen der dritten Generation, von ihrer Situation und ihren Gefühlen in
Deutschland.
5.2.4.2. Lernaktivitäten
Von diesem Text ausgehend planen wir drei Aktivitäten. Die erste Aktivität dient zur
Kreativität der Studierenden; die zweite soll ihre Sprech- und Kommunikationsfähigkeit
und die dritte ihre Mitteilungsfähigkeit fördern.
Aktivität 1; Zur Leistungsfähigkeit und Kreativität; In diesem Gedicht beschreibt der
Autor zwei Länder mit ihren besonderen kulturellen Eigenschaften. Die Studierenden
bereiten unter dieser Aktivität Plakate mit kulturellen Eigenschaften beider Länder vor,
um die im Text beschriebene Situation zu visualisieren.
Aktivität 2; Zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit; 4 Gruppen werden gebildet.
Zwei Gruppen werden den ersten Teil des Gedichts aus verschiedenen Gesichtspunkten
diskutieren, dazwischen beobachten die anderen zwei Gruppen diese Diskussion.
Danach werden die anderen zwei Gruppen den zweiten Teil des Gedichts diskutieren
und die anderen Gruppen diese Diskussion wiederum anschauen.
Aktivität 3; Zur Förderung der Mittelungsfähigkeit; Der Ausgangspunkt ist die Frage:
Womit könnt ihr euch in diesem Text identifizieren? Die Studierenden sollen die
kulturspezifischen Textstellen, mit denen sie sich identifizieren, zitieren und
analysieren. Außerdem haben sie die übriggebliebenen kulturspezifischen Stellen
festzustellen und zu begründen, warum sie sich mit diesen Punkten nicht identifiziert
haben.
148
5.2.4.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Aktivität 1:
Diese Aktivität verfolgt das Ziel, die Leistungsfähigkeit und die
Kreativität der Studierenden zu entwickeln. In diesem Gedicht beschreibt der Autor
zwei Länder mit ihren besonderen kulturellen Eigenschaften. Die Studierenden haben in
der Klasse zuerst zwei Gruppen gebildet, und jede Gruppe hat ein Plakat vorbereitet,
das die kulturellen Eigenschaften dieser beiden Länder enthält.
Die Studierenden haben zuallererst zu Hause eine Recherche gemacht, um für die im
Gedicht beschriebenen kulturellen Eigenschaften passende Bilder zu finden. Eine
Gruppe hat Bilder von Deutschland und von der deutschen Kultur, eine andere Gruppe
Bilder von der türkischen Kultur gefunden und zum Unterricht mitgebracht.
Im Folgenden werden die beiden Plakate der Studierenden zitiert. Bemerkenswert ist,
dass die vorbereiteten Plakate und die Teile des Gedichts sehr gut zusammengepasst
haben. Über diese Aktivität hinaus haben die Studierenden die deutsche und die
türkische Kultur bildlich nebeneinander gestellt.
Plakat 1: Türkische Kultur
149
Plakat 2: Deutsche Kultur
Aktivität 2: Zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit haben wir in der Klasse 4
Gruppen gebildet. Die ersten zwei Gruppen haben sich mit dem ersten Teil des Gedichts
auseinandergesetzt, während die anderen Gruppen diese Anstrengung beobachteten.
Danach haben die nächsten zwei Gruppen den zweiten Teil des Gedichts zur Diskussion
gestellt, während die anderen diese Diskussion beobachteten und darüber Notizen
machten. Am Ende der Auseinandersetzungen haben wir in der Klasse über diese
Auseinandersetzungen eine allgemeine Bewertung gemacht und sind mit dieser
Aktivität zum Ende gekommen. Diese Aktivität wurde auf Tonband genommen.
Aktivität 3: Suche nach der Identifikation: Aus der Frage „Womit könnt ihr euch in
diesem Text identifizieren?“ ausgehend haben die Studierenden die kulturspezifischen
Punkte, mit denen sie sich identifizierten, zitiert und analysiert. Daneben haben sie die
übriggebliebenen kulturspezifischen Punkte zitiert und zum Ausdruck gebracht, warum
sie sich mit diesen Punkten nicht identifizieren konnten. Ziel diese Aktivität war es, die
Mitteilungsfähigkeit der Studierenden zu fördern.
Die von den Studierenden zitierten kulturspezifischen Punkte:
150
[Nilgün Güneş]:
Ich bin doch von nirgendsher gekommen. Nirgendshin kann ich
zurückkehren. Manchmal fühle ich mich Heimatlos und ich weiß nicht genau, wohin ich
gehöre.
[Sonay Kabadayı]: Nirgendshin kann ich zurückkehren. Meine Vergangenheit kann ich
nie wieder leben.
[Elif Yergezen]: Weil ich die Sprache hier nicht verstehe, komme ich in Verruf. Wenn
ich eine Fremdsprache in einem Ausland nicht kann, kann ich keine Kommunikation
bilden.
[M. Ali Kelekçi]: Nie sah ich hier einen Sarg auf Schultern. Ich erinnere mich das
Jenseits. Ich denke, dass eines Tages viele Freunde mich auf den Schultern tragen
werden.
[Rukiye Karaca]: Meine Schuhe setzen hier keinen Straßenstaub an. Jetzt gibt es keinen
Straßenstaub. Und ich habe Sehnsucht nach meiner Kindheitstage. Während meiner
Kindheit war überall Erde, aber jetzt alles ist von Beton.
[Şirin Serpen]: Pflaumen und Mandeln sehe ich nicht mehr blühen. Im Zentrum (in
einer Großstadt) gibt es keine Obstbäume. Als ich ein Kind war, lebte ich in einem
Dorf, wo es viele Obstbäume gab. Ich konnte sie blühen sehen und fühlte mich wie ein
Schmetterling.
[Inna Dragneva]: In Kindergarten und Schule ging ich hier. Ich lebte damals so was.
Früher ging ich in die Schule, aber nicht in meiner Heimat, sondern im Ausland, also in
der Türkei. Deshalb identifiziere ich mich mit diesem Satz.
[Sinem Atuk]: Kein Gesicht erinnert mich hier an meine Kindheitstage, denn ich kenne
die Menschen in Çanakkale nicht. Deswegen erinnert mich kein Gesicht an mein Leben.
Das ist sehr schlecht, aber ich gewöhne mich langsam daran.
[Şengül Çiftçi]: Kein Gesicht erinnert mich hier an meine Kindheitstage. Hier rannte
ich nicht in Gassen. Ich vermisse immer meine Kindheit. Jetzt ist es nicht möglich in
151
Gassen zu rennen. Alle Leute verändern sich. Ich kenne niemanden. Man kann die
Vergangenheit nicht wieder leben.
Wie oben in den zitierten Aussagen der Studierenden zu sehen ist, konzentrieren sich
fast alle Studierenden auf die Vergangenheit und auf ihre Kinderjahre. Die Sprache, die
Landschaft und besonders positiven Seiten der die Kultur ihres Landes sind die
Hauptpunkte, mit denen sich die Studierenden identifiziert haben.
5.2.4.4. Textanalyse
In dem Gedicht Gedanken über die Rückkehr, das aus zwei Teilen besteht, geht es um
die Problematik „Zugehörigkeit der Türken in Deutschland“. Dieses Thema greift man
nach den zwei unterschiedlichen Blickwinkeln des Autors auf, die das Leben und die
Emotionen der türkischen MigrantInnen der alten und der neueren Generationen in
Deutschland hervorheben.
Im ersten Teil des Gedichts thematisiert man die alte Generation und ihren Blick in die
Vergangenheit, wie sie vor ihrer Migration nach Deutschland gelebt haben. Deshalb
beschreibt man in diesem Teil das kulturelle und soziale Leben der 60er Jahre in der
Türkei. In jedem Vers wird eine besondere Dimension der türkischen Kultur
angesprochen.
Das Gedicht fängt mit der Aussage Kein Gesicht erinnert mich hier an meine
Kindheitstage an, die auf eine Rückbesinnung auf die Vergangenheit hinweist. Mit
diesem Vers fängt der Autor an, seine Erinnerungen wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Gewöhnlich kann man in der Türkei sehen, wie die Kinder auf den Gassen herumrennen
und in Gruppen spielen. Damit bringt der Autor zum Ausdruck, dass er nicht in
Deutschland, sondern in der Türkei seine Kindheit
verlebte. Eine andere
charakteristische Eigenschaft der türkischen Kultur ist die hohe Wertschätzung der
Nachbarschaft. Die Nachbarn bringen in der Türkei einander Kuchen, Essen, Obst usw.
Das tun sie gerne, um die Kommunikation mit ihren Nachbarn wach zu halten. Den
ersten Schrei eines Kindes im Nachbarnhaus zu hören, ist in Türkei sehr gewöhnlich,
weil damals die türkischen Frauen ihre Kinder nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause
zur Welt brachten.
152
Eine weitere Eigenschaft der türkischen Kultur tritt bei der Beerdigung hervor. In der
Türkei trägt man den Sarg zusammen auf den Schultern und bringt ihn bis zum Grab.
Alle Verwandten und Nachbarn des Verstorbenen kommen auf dem Friedhof
zusammen und begraben den Verstorbenen. Ein anderer Hinweis des Autors richtet sich
auf das Ramadanfest. Am Ramadanfest werden in der Türkei für die Kinder die
Festplätze geschmückt, damit sie zusammen in Gruppen und in Sicherheit spielen und
eine gute Zeit verbringen können. Andererseits hört man abends mit dem Untergang der
Sonne einen Kanonenschuss, der die Aufmerksamkeit der Leute auf das Fastenbrechen
zieht.
Es ist wichtig zu verstehen, dass man die Straße in der Türkei als kulturelles türkisches
Bild vor Augen hat. Die Mehrzahl der Straßen in türkischen Stadteilen sind
staubbedeckt, weshalb die Kinder mit staubbedeckten Schuhen nach Hause kommen.
Diese Eigenart bildet in Gedanken jedes türkischen Menschen ein unvergessliches Bild
aus seiner Vergangenheit.
Auch die Landschaft der Türkei muss man sich in diesem Gedicht deshalb als eine
kulturelle Besonderheit vorstellen, weil die Türkei ein Agrarland ist und viele Arten von
Pflanzen, Gemüse und Obst zu sehen sind. Pflaumen, Mandeln, Berge von Melonen,
Körbe voller Feigen, Aprikosen, blaue und weiße Maulbeeren, die man im Gedicht
besonders betont, zeigen den Reichtum der Türkei an Agrarprodukten.
Eines der speziell türkischen Getränke ist Anisschnaps bzw. Rakı. Normalerwiese trinkt
man in der Türkei beim Essen keine alkoholischen Getränke. Wenn es bei besonderen
Anlässen der Fall sein sollte, fängt das Abendessen meistens mit kleinen Aperitifs –
Meze - an. Wein und Bier trinkt man relativ seltener als Rakı, ein Anisschnaps, der mit
eiskaltem Wasser verdünnt wird, wobei eine milchigweiße Färbung entsteht. Das
Getränk wird sehr treffend Löwenmilch oder Arrak (ein arabisches Wort) genannt.
Der letzte Vers des Gedichts bildet den Wendepunkt, weil der Autor hier ganz offen
zum Ausdruck bringt, dass er trotz aller Schönheiten und bunter kultureller
Eigenschaften der Türkei keine klare Neigung und Lust hat, in die Türkei
zurückzukehren. Er ist sich bewusst, dass all jene Schönheiten der Vergangenheit
angehören, aber dass sie ewig in seinen Gedanken als sehr schöne Erinnerungen ihren
Platz haben werden.
153
Im zweiten Teil des Gedichts sieht man, dass der Autor diesmal das Leben in
Deutschland und die deutsche Kultur thematisiert hat, indem er die Erlebnisse mit den
Augen der türkischen MigrantInnen der neueren Generation in eine Gedichtform bringt.
Im Gegensatz zur ersten Generation haben die MigrantInnen der zweiten Generation
ihre ganze Kindheit in Deutschland verbracht, und deshalb haben sie von der türkischen
Kultur fast nie etwas mitbekommen. Sie sprechen nicht die türkische, sondern die
deutsche Sprache. Man betont in der ersten Strophe, dass ihre Sprachkenntnisse nur aus
Deutsch bestehen und dass sie außer ihrem Namen kein türkisches Wort kennen. Sie
haben Kindergarten und Schule in Deutschland besucht, die deutschen Spezialitäten wie
z.B. Wurstbrot und Pfannkuchen gegessen. Auf den Marktplätzen und in den
Kaufhäusern haben sie eingekauft, den Geburtstag ihrer Freunde gefeiert, und sie sind
nicht mit der Kutsche und alten Bussen, sondern mit der ganz modernen U-Bahn
gefahren. Das waren soziale und kulturelle Eigenschaften der Deutschen, mit denen
auch die junge Generation der Türken gelebt hat.
Während im ersten Teil des Gedichts die Sehnsucht der türkischen MigrantInnen der
ersten Generation nach ihrer Heimat und nach türkischer Kultur zum Ausdruck gebracht
wird, treten im zweiten Teil die Gedanken und Gefühle der türkischen MigrantInnen der
dritten Generation auf, die die türkische Kultur gar nicht kennen, obwohl sie türkischer
Herkunft sind. Die Frage
Wozu gehöre ich: zu den Deutschen und ihrer Kultur oder zu den Türken
und zur türkischen Kultur?
bleibt in Gedanken der jungen dritten Generation unbeantwortet; sie charakterisiert ihre
ungeklärte und unsichere Situation.
5.2.5. Unterrichtsmodell 5: Doppelmann
5.2.5.1. Textinhalt
Im Gedicht Doppelmann geht es um die Integration- und Anpassungsprobleme der
MigrantInnen in Deutschland, die der Autor in vier Strophen symbolisch gedichtet hat.
In diesem Gedicht stellt man die Begriffe wie „zwischen zwei Welten“ und „verlorene
Generation“, die die Situation der Jugendlichen aus ethnischen Minderheiten
beschreiben, zur Diskussion.
154
5.2.5.2. Lernaktivitäten
Über das Gedicht Doppelmann hinaus werden fünf Aktivitäten durchgeführt, die die
Schreib-,
Lese-
und
Sprechfertigkeiten
der
Studierenden
sowie
ihre
Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität und ihr kreatives Denken fördern sollten.
Aktivität 1: Zur Entwicklung der Kreativität und Flexibilität: Diese Aktivität zielt auf
die Entdeckung der Metaphern in dem Text ab. In dieser Phase wird den Studierenden
zuerst die rhetorische Figur „Metapher“ definiert, dann zeigt man ihnen aus dem Film
„Der Postmann“ drei Szenen (insgesamt fünf Minuten), die die Bedeutung der Metapher
konkretisieren. Diese Phase dient dazu, die Studierenden zu motivieren und einen
vergnüglichen Einstieg in den Unterricht zu machen. Die Studierenden lesen die
metaphorischen Wörter im Text heraus. Sie versuchen außerdem die Hintergründe
dieser Metaphern zu analysieren und die Codes zu lösen.
Aktivität 2: Zur Förderung der Schreibfähigkeit und Kreativität:
Die Studierenden
schreiben in Fünfergruppen das Gedicht mit unmetaphorischen Wörtern nach. Bei
dieser Aktivität werden kleine Blätter verteilt, die den Studierenden als Grundlage für
ihre Gedichte dienen. Am Schluss werden die Produkte einzeln vorgelesen und
besprochen.
Aktivität 3: Zur Kommunikationsfähigkeit und Zusammenarbeit: In jeder Strophe
beschreibt man eine Situation. Was für ein Zusammenhang besteht zwischen diesen
Situationen? Stellen Sie bitte jede Strophe auf ein Plakat bildlich dar!
Aktivität 4: Zur Entwicklung der Schreibfähigkeit: Die Studierenden schreiben ihre
eigenen Gedanken über das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft!
Aktivität 5: Zur Sprechfähigkeit: Im Hinblick auf das Thema des Gedichtes stellen die
Studierenden zwei Fragen über wichtige Probleme der türkischen MigrantInnen in
Deutschland zur Diskussion. Diskussionspunkte sind: „Wie könnte es sein, dass jemand
sich halb Türke und halb Deutscher fühlt?“ und „Verändert sich die Einstellung der
Menschen, wenn man zwei Heimaten hat? Begründen Sie Ihre Meinung!".
155
5.2.5.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Aktivität 1:
Bei dieser Aktivität haben die Studierenden sich bemüht, die
metaphorischen Wörter im Gedicht zu finden und die zu interpretieren. In dieser Phase
haben wir ihnen drei Szenen aus dem Film „Der Postmann“ gezeigt, die die Bedeutung
der Metapher konkretisieren. Wir haben etwa 15 Minuten über die Bedeutung der
Metapher gesprochen und unterschiedliche Beispiele gegeben. Somit haben sie in
diesem Schritt zuerst die rhetorische Figur „Metapher“ mit all ihren Besonderheiten
begriffen und darüber hinaus die metaphorischen Wörter im Text entdeckt.
Wie in folgenden Abbildungen zu sehen ist, haben die Studierenden sich besonders auf
fünf Wörter konzentriert und versucht, die Codes der entdeckten Metaphern zu lösen.
Die erste Metapher, die von den meisten Studierenden festgestellt wurde, ist der Titel
des Gedichts „Doppellmann“. Die Studierenden einigten sich darüber, dass der Autor
mit diesem Wort auf die Identitätsproblematik der MigrantInnen in Deutschland
hinweist. Nach ihnen zeigt das Wort Doppellmann uns „Zwei Identitäten“, daneben
haben einige Studierende auf die „Zwei Charaktere“ und „Dilemma“ hingewiesen.
Doppelmann
zwei Identitäten
Dilemma
zwei Charaktere
Eine andere Metapher war Planeten, die die Studierenden auf Deutschland und die
Türkei bezogen haben. Während die Mehrheit der Studierenden auf zwei Länder
hinwies, sind einige Studierende zur Idee gekommen, dass Planeten zwei Identitäten
und zwei Kulturen symbolisierten.
zwei Planeten
zwei Identitäten
DeutschlandTürkei
zwei Kulturen
Über ihre Meinungen hinaus haben die Studierenden zwischen "Planet" und "zwei
Länder" deshalb eine Relation gebildet, weil der Planet eine Kugel, d.h. Sphäre ist, auf
der die Menschen leben. In diesem Zusammenhang haben sie sich zwei Länder
vorgestellt; auf dem einen sind die MigrantInnen geboren, während sie auf dem anderen
arbeiten und ihr Leben weiterführen.
156
In der folgenden Abbildung sieht man, dass die Studierenden das Wort Welt als
Metapher betrachten und sie mit der Kultur identifizieren. Eine seltenere Alternative der
Metapher zwei Welten waren zwei Sprachen und zwei Identitäten.
zwei Welten
zwei Kulturen
zwei Sprachen
zwei Identitäten
Bei dieser Aktivität war das Wort Grenze die letzte Metapher, welche die Studierenden
entdeckt haben. In Anlehnung an Grenze wiesen sie auf die Sprache der MigrantInnen
in Deutschland hin. Sie meinten, dass die MigrantInnen in Deutschland zwei Sprachen
sprechen, dagegen beherrschen sie keine sehr gut, weshalb sie sich inmitten von
Integrationsproblemen finden. Mit dem Wort Zungen haben die Studierenden die
Sprache assoziiert. Leben, Gebundenheit, deutsche und türkische Kultur waren andere
Assoziationen.
die Grenze
Sprache
Generation
zwei Länder
Aktivität 2: Bei dieser Aktivität hatten die Studierenden etwa 15 Minuten Zeit, um das
Gedicht „Doppelmann“ mit unmetaphorischen Wörtern schreiben. Jede Studierende hat
sich bemüht, das Gedicht selbständig umzuformen. Unter vielen Aufgaben zitieren wir
im Folgenden vier Beispiele:
Beispiel 1: Zwei Charaktere [Esra Yıldıran]
Ich stehe auf zwei verschiedene Länder
Sie sind Deutschland und Türkei
Wenn sie sich in Bewegung setzen
zerren sie mich mit
ich falle
Ich habe zwei Kulturen in mir, deutsche und türkische Kultur
Aber keine ist ganz
Sie bluten ständig
Ich habe zwei Heimat und Sprache
157
Nach meiner Meinung gibt es keine Grenze
zwischen der Türkei und Deutschland
Ich bin nicht frei
Ich bleibe zwischen zwei Kulturen, Sprachen
und Identitäten
Beispiel 2: Die Verlaufende [Elif Yergezen]
Ich habe meine Füße worauf ich will und ich soll
Wenn sie sich in Bewegung setzen
zerren sie mich mit
ich falle
Ich trage in mir, was ich fühle und ich sehe
aber keine ist ganz
sie bluten ständig
Zwei Sprachen verlaufen
mitten durch meine Zunge
Ich rüttelte daran wie ein Häftling
das Spiel an einer Kerker
Beispiel 3: Zwei Identitäten [Cansu Candemir]
Ich habe meine Füße auf zwei Länder
Ein ist meine Heimat, der Türkei
Andere ist Deutschland
Wenn sie sich in Bewegung setzen
zerren sie mich mit
ich falle
Ich trage zwei Identitäten in mir
158
aber keine ist ganz
Ich bin weder Türke noch Deutsche
Ich weiss nicht, was ich bin
Sie bluten ständig
Es gibt eine Linie in mir
Welche Sprache spricht meine Zunge?
Es gibt zwei Kulturen
Aber sie gehören mir nicht
Das ist meine Wunde in mir
Ich fühle mich Verlust
Beispiel 4: Doppelidentitäten [Çiğdem Özkan]
Ich habe meine Füsse auf zwei Heimat
Wenn sie sich in Bewegung setzen
zerren sie mich mit
ich falle
Ich trage zwei Kulturen in mir
aber keine ist ganz
sie bluten ständig
Meine Sprache verläuft
mitten durch meine Zunge
Ich fühle mich schuldig
wie ein Mann, der mit dem
Wunde spielt.
In den oben zitierten Beispielen sieht man, dass die Studierenden im Gedicht fünf
metaphorische Wörter festgestellt und in ihren umgeformten Gedichten alternative
159
Ausdrücke für diese Wörter gefunden haben. Der Titel wurde in dem ersten Beispiel
deshalb in „Zwei Charaktere“ umgeändert, weil die Studierenden auf die Idee kamen,
dass der Autor wegen seines Lebens in einer multikulturellen Gesellschaft unbewusst
zwei Charaktere erworben hatte. In dem zweiten Beispiel sieht man als Alternative das
Wort „Der sich Verlaufende“, mit dem die Studierenden auf einen Mann hinweisen, der
sich auf dem Weg verläuft und verirrt. In den dritten und vierten Beispielen tritt das
Wort „Zwei/Doppel Identität“ auf, mit dem die Studierenden auf das Dilemma einer
komplexen Persönlichkeit hinweisen.
Ausgehend von den Alternativen zum Titel ist zu sagen, dass die Studierenden das
Thema des Gedichts problemlos verstehen und den Titel mit angemessenen nicht
metaphorischen Wörtern ersetzen konnten.
Fast alle Studierenden haben das metaphorische Wort „zwei Planeten“ als "zwei
Länder" gesehen. „Zwei Persönlichkeiten“, „zwei Leben“, „zwei Heimaten“ und „zwei
Kulturen“ waren die anderen Alternativen. Wenn wir uns das Wort „Planet“ und seine
Bedeutung vorstellen, ist es leichter zu verstehen, dass es auf einen Ort hinweist, an
dem die Menschen leben, weshalb sich die Alternativen der Studierenden auf
Deutschland und auf die Türkei konzentrierten. Beim zweiten Beispiel ist zu sehen, dass
die Planeten zwei Orte symbolisieren: den Ort, an dem die Menschen leben möchten,
und den Ort, an dem sie leben müssen. Im Hinblick auf die Migration und ihre
Nachwirkungen betont man in diesem Beispiel den Unterschied zwischen „mögen“ und
„müssen“.
Das dritte metaphorische Wort ist „zwei Welten“. Während das Wort „Planet“ auf einen
Ort hinweist, bezieht sich das Wort „Welt“ auf die Kultur, die den genannten Ort mit
Leben füllt. Auch in diesem Punkt haben die Studierenden über verschiedene
Alternativen geschrieben, die in ihrer Vorstellung diese Kultur betreffen. Bei dem ersten
und dem vierten Beispiel bringt man die türkische und die deutsche Kultur ganz offen
zum Ausdruck, indem man bei der zweiten die Rolle der Kultur im gesellschaftlichen
Leben und in den Gefühlen der Menschen betont. Beim dritten Beispiel betont man die
Identitäten, bei denen immer ein Mangel zu spüren ist. Bei dem vierten Wort „Grenze“
kam den Studierenden die Alternative „Sprache“ in den Sinn, weil sie sich hier von dem
160
Wort „Zunge“ inspirieren ließen. Sie haben damit eine Relation zwischen den Wörtern
„Grenze“, „Zunge“ und „Sprache“ gebildet.
Zu der fünften Stelle ist es zu bemerken, dass die Studierenden über die metaphorische
Bedeutung der Wörter nicht einig waren. Beim ersten Beispiel zeigt man, dass das Wort
„Häftling“ auf die Gebundenheit hinweist, beim dritten auf einen Verlust und beim
vierten auf einen Mann, der sich schuldig fühlt, weil er darüber schreibt. Beim vierten
Beispiel konzentriert man sich auf das Wort „Wunde“, das einen Kerker symbolisiert.
Aktivität 3:
Bei dieser Aktivität haben sich die Studierenden darum bemüht, die
Situationen in jeder Strophe bildlich auf einem Plakat zu beschreiben. Sie haben diese
Situationen zuerst einzeln und danach gemeinsam vergleichend aufgegriffen. Wir haben
zuerst fünf Gruppen gebildet, und jede Gruppe hat eine Strophe auf einem Plakat
dargestellt.
Die erste Gruppe hat den Titel des Gedichtes übernommen und ihre
Gedanken auf einem Plakat dargestellt;
Plakat 3: Doppelmann
161
Wie im kopierten Plakat zu sehen ist, hat die erste Gruppe den Titel des Gedichts mit
unterschiedlichen Bildern und Sprachspielen verdeutlicht. In die Mitte des Plakats
haben sie den Titel gestellt und daraus Wörter abgeleitet, die mit dem Thema des
Gedichts korrelieren. Die abgeleiteten Wörter sind Durcheinander, Person, Länder,
Fremd, Einsamkeit und Niemand. Die sechs Bilder auf dem Plakat zeigen Menschen mit
zwei Köpfen, die auf zwei Kulturen, zwei Identitäten und eine jeweils unterschiedliche
Heimat hinweisen. Dieses Plakat thematisiert also Menschen, die in bzw. zwischen zwei
Welten leben müssen.
Wie unten zu sehen ist, hat die zweite Gruppe die erste Strophe des Gedichtes bildlich
dargestellt:
Plakat 4: Der in zwei geteilte Mann
162
Auf diesem Plakat sehen wir einen Mann, der in zwei geteilt ist. Der eine Teil zeigt uns
die Außensicht der türkischen Menschen mit ihren kulturellen Besonderheiten; der
andere Teil spiegelt dagegen die Deutschen und ihre Kultur wider. Der Mann hat Haare
mit drei Farben, d.h. Schwarz, Rot und Gelb [Gold], die die Farben der deutschen
Flagge sind. Sie zeigen uns, dass dieser Mann Deutschland in seinem Kopf trägt,
dagegen sehen wir auf seinem Herzen die türkische Flagge, was bedeutet, dass er die
Türkei und die türkische Kultur in seinem Herzen hegt. In der einen Hand hat er ein
Glas mit türkischem Rakı, in der anderen ein Glas mit deutschem Bier. Auch die Hose,
die er trägt, zeigt uns die Kleidungsgewohnheiten beider Kulturen. Während die Türken
im Allgemeinen klassische, lange Hosen tragen, haben die Deutschen lieber kurze
Hosen.
Bei der Diskussion ethnischer Unterschiede muss man sehr vorsictig sein. Sonst läuft
man Gefahr, dass dadurch neue Vorurteile entstehen. Daher wäre vielleicht die obige
Formulierung so besser: In Deutschland wird die Art der Kleidung eher dem Belieben
des Individuums überlassen, während die diesbezügliche Flexibilität im türkischen Alltag
geringer ist. Das Gleiche gilt auch für alkoholische Getränke. Die Diskussion mit den
Studierenden muss ein ständiger Prozess von Verdeutlichung, Charakterisierung und
Relativierung sein. Das ist natürlich schwer zu leisten, müsste aber in den Gedanken
präsent sein.
Das Wort zwei Planeten bringt die Studierenden auf die Idee, dass dieses auf
Deutschland und auf die Türkei hinweist, weshalb der Mann seine Füße auf eine
Landkarte stellt. Paradoxerweise steht aber die türkische Seite des Mannes auf der
deutschen Landkarte, sein deutscher Teil auf der türkischen Landkarte. Damit wollen
die Studierenden das Thema Migration und dessen Vorteile sowie die interkulturelle
Kommunikation, das Zusammenleben und die Solidarität der Menschen aus
verschiedenen Kulturen symbolisieren.
163
Eine andere Gruppe hat die zweite Strophe übernommen und sie bildlich dargestellt;
Plakat 5: Der Mann mit zwei Welten
Auf dem Plakat sieht man einen Mann, der in jeder Hand eine Welt trägt. Die beiden
Welten stehen im Gleichgewicht; die eine ist Deutschland und die andere die Türkei.
Auf seiner Stirn steht die Flagge von Deutschland, während er auf seinem Herzen die
türkische Flagge trägt. Die Studierenden wollen mit diesem Plakat betonen, dass der
Mann in sich zwei Welten trägt, von denen keine allein ganz ist. Deshalb haben die
Studierenden auf dem Plakat ihre Worte zweisprachig geschrieben: Ich trage iki dünya
(zwei Welten) in mir, ama (aber) keine ist ganz. Sie bluten daima (ständig).
Integrationsprobleme,
Anpassung
und
Leben
in
der
Fremde
führen
zu
Identitätsproblemen. Sie bleiben sowohl der deutschen Kultur als auch der türkischen
Kultur fremd, und darunter leiden sie immer.
Das Interesante an beiden Plakaten ist, dass der Kopf deutsch und das Herz türkisch ist.
Mit dem Kopf wollen sie die Vernunft und mit dem Herz die Gefühle betonen. Die
Türken in Deutschland sind mit ihren Gefühlen eigentich in ihrer Heimat, die meisten
würden lieber in der Türkei leben, aber wegen ihrer ökonomischen Situation sind sie in
Deutschland. Das Herz sagt etwas Anderes als der Kopf.
164
Auf dem folgenden Plakat sehen wir die dritte Strophe des Gedichtes, die von den
Studierenden bildlich dargestellt wurde:
Plakat 6: Die gebrochene Zweisprachigkeit
Auf dem Plakat sehen wir die dritte Strophe, die auf zwei gegenüber gestellten Teilen
geschrieben ist. Das Plakat ist mit einer Grenze mittendurch geschnitten, und auf der
einen Seite stehen Bilder, die die deutsche Kultur reflektieren, während die Bilder auf
der anderen Seite die türkische Kultur zeigen. Interessanterweise steht in der Mitte des
Plakats ein Foto von einem Mädchen, das mittendurch in zwei Teile geteilt ist. Auf dem
einen Teil des Mundes steht die deutsche Flagge und auf dem anderen Teil die türkische
Flagge: auch das deutet auf die gebrochene Zweisprachigkeit bzw. auf die gespaltene
Identität der MigrantInnen in Deutschland hin. Wir sehen außerdem einen Hinweis auf
die Integration und die Anpassung durch türkische und der deutsche Ausweise. Auf dem
deutschen Ausweis sieht man einen Mann mit einem türkischen Vornamen und einem
deutschen Nachnamen. Er ist mit einer deutschen Frau verheiratet, was den
Integrationsprozess eines solchen Migranten zeigt.
165
Die letzte Strophe thematisiert das Leid und die inneren Gefühle der MigrantInnen, die
zwischen zwei Kulturen leben.
Plakat 7: Der Koffer
Auf dem Plakat sieht man eine weiße Taube, die sich selbst gefangen fühlt. Sie bleibt
hinter dem Gitter, das in Form eines Koffers gemalt ist. Die Studierenden verweisen mit
diesem Koffer auf die MigrantInnen, die aus ökonomischen Gründen ihre Heimat
verlassen haben. Der auf zwei Welten gestellte Koffer symbolisiert die Gebundenheit
der MigrantInnen an zwei Kulturen. Sie bleiben zwischen zwei Kulturen, trotzdem
können sie weder auf Deutschland noch auf die Türkei verzichten. Während die
Schmetterlinge ganz frei fliegen, fühlt sich die Taube in einem Koffer wie verhaftet.
Aktivität 4: Bei dieser Aktivität haben die Studierenden ihre eigenen Gedanken über
das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft geschrieben, indem sie sich in die
Position irgendeines Menschen stellen, der in einer multikulturellen Gesellschaft lebt.
Sie haben versucht, sich die Vor- und Nachteile des Zusammenlebens der Menschen aus
unterschiedlichen Kulturen vorzustellen. Im Folgenden zitieren wir zwei Beispiele:
166
Beispiel 1: Verschiedenheiten sind Reichtum [Kerem Erol]
„Multikulturell“ bezeichnet eine Situation, in der mehrere Kulturen
miteinander in Beziehung stehen. Die multikulturelle Gesellschaft ist wie
ein wunderbares Gemälde. Eine jede Farbe bildet ein schönes Stück des
Gemäldes. So ist es auch mit einer multikulturellen Gesellschaft. Wenn
verschiedene Kulturen zusammenkommen, entsteht
eine wirksame,
dynamische Gesellschaft. Jede Kultur ist gleichzeitig eine Farbe; das Ideale
für die Farben ist, miteinander zu harmonieren.
Zum Beispiel leben in der Türkei verschiedene Kulturen miteinander.
Diejenigen, die verschiedene Kulturen haben, lernen vieles voneinander.
Daher ist es für die Kulturen vorteilhaft, sie zueinander näher zu bringen
und enger zu verbinden.
Wie eine schöne Melodie aus unterschiedlichen Noten besteht, so besteht
auch eine schöne Gesellschaft aus unterschiedlichen Kulturen.
Beispiel 2: Die Wechselwirkung [Funda Gürbüz]
In meiner Gesellschaft gibt es verschiedene Menschen. Ihre Kulturen,
Religionen und Gedanken sind verschiedener als wir.
Die Menschen in dieser Gesellschaft sind ständig in der Wechselwirkung.
Sie kennen verschiedene Kulturen und vielleicht verhalten sie wie die
Menschen in anderer Kultur. Sie können sich wie sie anziehen oder sie
können wie sie auch weinen oder lachen. Nämlich beginnen sie sich
einander zu ähneln. Im Laufe der Zeit können sie nicht wissen, welcher
Kultur sie gehören, denn sie unterschiedliche Kulturen haben.
Die Kulturen beeinflussen viele Besonderheiten der Menschen, deshalb
können sie wie einander verhalten, aber die Religionen wird von der Kultur
nicht beeinflusst. Wir können in der Türkei sehen, dass die Menschen in die
Kirche oder in die Mosche gehen. Die Menschen beten. Diese Sachen sind
verschieden und die Menschen ähneln sich einander nicht.
Kurz gesagt kann der Mensch zwischen zweien Kulturen nicht wissen,
welcher er gehört, deshalb fühlt er sich durcheinander.
In den beiden Beispielen ist es ganz klar zu sehen, dass die Studierenden auf die
Wechselwirkung der Kulturen hinweisen. In dem ersten Beispiel stellt man die
multikulturelle Gesellschaft mit einem Gemälde gleich, das aus der harmonischen
167
Kombination unterschiedlicher Farben besteht. Jede Farbe führt eine Kultur auf, die den
Reichtum einer Gesellschaft vor Augen führt. Außerdem weist man in den Beispielen
auf die soziale Struktur der Türkei hin, weil auch in der Türkei Menschen aus
unterschiedlichen Kulturen zusammen leben. Von Bedeutung ist, dass die Studierenden
das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft nicht als einen Nachteil, sondern als
Reichtum sehen.
Aktivität 5: In dieser Aktivität wurden den Studierenden zwei Fragen gestellt, die die
Probleme der türkischen MigrantInnen in Deutschland thematisieren. Die gestellten
Fragen sind:
•
Wie könnte es sein, dass jemand sich halb Türke und halb Deutscher fühlt?
•
Verändert sich die Einstellung der Menschen, wenn man zwei Heimaten hat?
Wie?“.
Die Studierenden haben ihre Meinungen über diese zwei Fragen mündlich zum
Ausdruck gebracht und etwa 20 Minuten miteinander diskutiert. Im Folgenden zitieren
wir einige Meinungen der Studierenden, damit wir besser verstehen können, ob sie die
Thematik des Textes und das Ziel des Autors haben begreifen können.
Zeynep Akduman;
Ich fühle mich durcheinander, wenn ich mich halb Türke und halb Deutsche
fühle. Ich kann meine Identität verlieren, wer ich bin, woher ich komme, was
ich mache etc. Weder mich selbst noch die Deutschen kenne ich nicht ganz,
deshalb bleibe ich immer halb.
Mehmet Ali:
Ich muss mein Leben in Deutschland weiterführen, aber die Deutschen
sagen, „du, was machst du hier?“ Diese Frage führt mich zur Selbstkritik und
deshalb kritisiere ich meine Situation in Deutschland. Wenn ich in
Deutschland bin, möchte ich zurück in die Türkei und wenn ich in der Türkei
bin, dann vermisse ich das Leben in Deutschland. Das ist ein Paradox, was
ich lebe.
Funda Gürbüz;
Man kann im Ausland leben, aber dagegen nicht ganz integrieren. Wenn ich
im Ausland lange Zeit lebe, dann fühle ich mich nicht als eine Türkin aber
auch nicht als eine Deutsche. Ich bleibe zwischen zwei Kulturen.
168
Wie oben zitiert, haben die Studierenden Empathie gebildet und sich in die Position der
MigrantInnen hinversetzt. Das Leben im Ausland führt sie zum Nachdenken und zur
Selbstkritik, weil sie sich sowohl in Deutschland als auch in ihrer Heimat fremd fühlen.
Nach den Studenten bleiben die MigrantInnen immer zwischen zwei Kulturen und zwei
Ländern, was bei ihnen Identitätsprobleme auftauchen lässt.
5.2.5.4. Textanalyse
Das autobiographische Gedicht Şenocaks skizziert ein klares Bild der Situation der
Jugendlichen in einer multikulturellen Gesellschaft und spiegelt nicht nur die Gefühle
der türkischen MigrantInnen, sondern auch diejenigen aller MigrantInnen aus
verschiedenen Nationen, die in Deutschland leben.
Das Hauptthema des Gedichts ist die Identitätsproblematik der Jugendlichen in
Deutschland, für deren Ausdruck der Autor sich metaphorischer Wörter bedient. Die
Metaphern symbolisieren eine Situation, die die Sorgen und Probleme der MigrantInnen
enthalten. Die mit dem Titel Doppelmann betonte doppelte Identität weist auf die
Spannung zwischen Gefühlen und Realität der Emigranten im Ausland. Diese Spannung
führt sie schrittweise zu einer doppelten Identität.
In der ersten Strophe zeichnet der Autor ein Bild eines Ausländers, der sich zu zwei
Ländern gehörig fühlt. Einen seiner Füße hat er auf dem einen Planeten (die Türkei),
während sein anderer Fuß auf dem anderen Planeten (Deutschland) steht. Die beiden
Länder stehen nebeneinander wie Einzelteile. Der Ausländer eignet sich die Kultur, das
gesellschaftliche Leben und die Probleme beider Länder an. Unerwartete schlechte
Ereignisse in beiden Ländern wirken auf ihn gleichwertig.
Wie in der ersten sieht man auch in der zweiten Strophe zwei Welten, die die deutsche
und türkische Kultur symbolisieren. Man betont in dieser Strophe, dass die
MigrantInnen sich deshalb weder die deutsche noch die türkische Kultur vollständig
aneignen können, weil sie sowohl körperlich als auch selisch zwischen beiden Kulturen
hin- und herlaufen, was ihnen Leid und Sorgen bereitet. Dieses Schwanken und seine
Nachwirkungen verursachen eine dritte Kultur, die man auch als Zwischenkultur bzw.
Subkultur oder - in Analogie zum linguistischen Begriff Interlenguage - als Interkultur
169
bezeichnen kann. Die Spuren der Zwischenkultur sieht man bei fast allen MigrantInnen
als verbales oder nonverbales Verhalten.
In der dritten Strophe wird z.B. die
Sprachhaltung der MigrantInnen betont. Der Autor fühlt sich, als ob seine Zunge, die
zwei Sprachen spricht, mittendurch geschnitten sei. Einen Teil seiner Zunge bringt die
türkische Kultur und ihr Einfluss zum Ausdruck, während der andere Teil die deutsche
Kultur äußert. In der letzten Strophe betont der Autor dagegen, dass er eine starke
Verantwortung in sich fühlt, über diese Themen zu schreiben, obwohl er leidet, wenn er
darüber nachdenkt oder schreibt.
5.2.6. Unterrichtsmodell 6: Tierweisungen VI
5.2.6.1. Textinhalt
Im Gedicht Tierweisungen geht es um „Arbeitermigration von der Türkei nach
Deutschland“. In diesem Gedicht werden deshalb zwei Symbole hervorgehoben,
nämlich der Baum und die Vögel, weil der Autor über diese zwei Begriffe hinaus auf
das Verlassen des eigenen Landes deuten will.
5.2.6.2. Lernaktivitäten
Anhand dieses Gedichtes werden wir vier Aktivitäten angehen, mit dem Ziel, die
Studierenden aktiver zu machen und ihre Fertigkeiten zu entwickeln. Zu diesen
Fertigkeiten zählen wir besonders die Schreib-, Sprech- und Teamarbeitsfähigkeit bzw.
die Kommunikationsbereitschaft. Daneben werden die Studierenden ihre Erfahrungen
über die Folgen der Migration erweitern.
Aktivität 1: Die Studierenden werden zuerst die Metaphern (acht Metafern) im Text
entdecken. Worauf deuten die Metaphern hin? Machen Sie eine Tabelle mit den
Metaphern samt ihren Bedeutungen?
Aktivität 2: Stellen Sie die Metaphern im Text bildlich auf einem Plakat dar! Zeichnen
Sie bitte ein Bild, das dem Thema passt!
Aktivität 3: Zur Schreibfähigkeit: Könnte man vom Text ausgehend sagen, dass die
MigrantInnen ein Stück von ihnen zu Hause hinterlassen haben? Was ist dieses Stück?
Schreiben Sie bitte ihre Gedanken nieder!
170
Aktivität 4:
Mit der Tatsache, dass der Text im Hinblick auf die Rezeption der
türkischen MigrantInnen in Deutschland zwei Welten darstellt, setzen sich die
Studierenden durch folgende Fragen auseinander:
•
Was ist Heimat und Fremde?
•
Wie könnt ihr diese zwei Begriffe vergleichen?“
5.2.6.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Aktivität 1: Nach dem Vorlesen des Textes haben die Studierenden versucht, die
Metaphern zu entdecken. Diese Aktivität haben wir durchgeführt, um die ersten
Eindrücke der Studierenden zu erfahren und festzustellen, ob sie im ersten Blick die
Kodes richtig gelöst haben.
Die von den Studierenden festgestellten Metaphern:
Der Baum weist auf die Türkei hin. Baum = Türkei
Der Vogel weist auf die Migranten hin. Vogel = Migranten
Die Farben weisen auf die unterschiedlichen ethnischen Gruppen hin. Farben =
ethnische Gruppe
Andere Namen weisen auf die Leute hin, die in der Türkei leben. Namen = Ali, Hasan,
Mehmet etc.
Unterm Baum symbolisiert Deutschland. Unterm Baum = Deutschland
Vogel neben Vogel symbolisiert die Menschenmenge, die aus unbekannten Menschen
besteht. Vogel neben Vogel = Menschenmenge
Gleiche Farbe symbolisiert die Türken, d.h. die Migranten in Deutschland. Gleiche
Farbe = Türken in Deutschland
Gleiche Namen symbolisieren die Gastarbeiter oder Ausländer. Gleiche Namen =
Ausländer
Die Studierenden haben also acht metaphorische Wörter festgestellt. Im Laufe des
Unterrichts haben wir das Thema und unsere Analyse vertieft und somit kontrolliert, ob
die oben vorgestellten Metaphern richtig gelöst wurden.
Aktivität 2: Bei dieser Aktivität haben die Studierenden die festgestellten Metaphern
auf zwei Plakaten bildlich dargestellt. Es ist von Bedeutung zu sagen, dass die
Studierenden auf dem ersten Plakat die ersten zwei Strophen des Gedichts und auf dem
zweiten Plakat die letzten zwei Strophen gemalt haben.
171
Bild 1: Die Vögel auf dem Baum (oben)
172
Bild 2: Migration und ihre Folgen
173
In Anlehnung an das erste Bild kann man sagen, dass die Studierenden die ersten zwei
Strophen ganz konkret gemalt haben, ohne die Symbole und Metaphern zu
berücksichtigen. Auf der linken Seite des Bildes sieht man die Welt der Vögel, d.h.
einen Baum mit unterschiedlichen Vögeln. Auf den Ästen sind die Vögel mit ihren
Namen und Farben gemalt. Diese Aktivität hat den Studierenden die Möglichkeit
gegeben, die Namen vieler Vogelarten zu lernen und somit ihren Wortschatz zu
bereichern. Darunter zählt man Zaunkönig, Kuckkuck, Singvogel, Eule, Papagei, Taube,
Wachtel, Elster, Regenpfeife, Rabe, Sperling, Kanarienvogel, Schmetterling etc.
Auf der rechten Seite sieht man dagegen einen kahlen Baum, der all seine Blätter
(Vögel), die auf dem Boden tot liegen, verloren hat. Darüber hinaus könnte man sagen,
dass das Verlassen der eigenen Heimat Schwierigkeiten und Tod mit sich bringt.
Auch auf dem zweiten Bild sind zwei Bäume, die die Türkei und Deutschland
symbolisieren. Auf der linken Seite des Bildes steht ein Baum, der die Türkei
symbolisiert. Auf seinen Ästen gibt es diesmal keine Vögel, sondern türkische Namen
wie z.B. Yusuf, Müzeyyen, Zafer, Selman, Demet, Burcu, İpek, Hasan und Fatma.
Diese Namen verlassen die Türkei und emigrieren nach Deutschland. Danach haben sie
nicht mehr verschiedene Namen: alle heißen Ausländer.
Der Begriff Ausländer und sein Einfluss auf die Deutschen wurden im Unterricht durch
Karikaturen verfestigt;
Abb. 1: Überall Ausländer
174
Abb. 2: Ausländer
Die Studierenden haben anhand des Bildes, das sie in Bezug auf die zweite Aktivität
gemalt haben, versucht, das Gedicht bildlich darzustellen. Nach dieser Aktivität kamen
die Studierenden zur Idee, dass dieses Gedicht die positive und negative Nachwirkung
der Migration total symbolisiert.
Aktivität 3: Ausgehend von den Fragen
•
Könnte man sagen, dass die MigrantInnen ein Stück von ihnen zu Hause
hintergelassen haben?
•
Was ist dieser Stück?
haben die Studierenden versucht, im Hinblick auf das Gedicht ihre eigenen Gedanken
zusammenzufassen. Diese Aktivität
wurde mit
Schreibfähigkeit der Studierenden zu fördern.
dem Ziel durchgeführt, die
175
Aktivität 4:
Darüber hinaus, dass der Text im Hinblick auf die Aufnahme der
türkischen MigrantInnen zwei Welten darstellt, setzen sich die Studierenden mit zwei
Fragen auseinander: „Was ist Heimat und Fremde? Wie könnt ihr diese zwei Begriffe
vergleichen?“
5.2.6.4. Textanalyse
Das Gedicht Tierweisungen, das aus vier Strophen mit je zwei Versen besteht,
beschreibt ein Bild von türkischen MigrantInnen in Deutschland und von ihrer Situation
im gesellschaftlichen Leben.
In den ersten zwei Strophen, die sowohl einzeln als auch zusammen analysiert werden
können, beschreibt man einen Baum, auf den sich viele Arten von Vögeln setzen. Es ist
von Bedeutung, diese Verse schrittweise zu analysieren und die Symbole mit ihren
Lösungen
schematisch
darzustellen.
Alle
Verse
können
sowohl
konnotativ
(metaphorisch) als auch denotativ interpretiert werden.
Der Baum verlor Vogel für Vogel: In diesem Vers beschreibt der Autor einen Baum,
der seine Vögel wie seine Blätter nach und nach verliert. Darüber hinaus könnte man
sagen, dass der Autor in Analogie zum Fallen der Blätter ein Bild vom Ausfliegen der
Vögel beschreibt. Symbolisch gesehen erscheint der Baum als ein Land, wo die
Menschen zusammenleben. Im Hinblick auf das Thema „Migration der Türken nach
Deutschland“ symbolisiert der Baum die Türkei. In Anlehnung daran symbolisieren die
Vögel die Emigranten, die in den 60er Jahren nach Deutsachland emigriert sind.
Jeder trug andere Farben / einen anderen Namen: In diesem Vers ist die Rede von
Vögeln, die unterschiedliche Namen und Farben haben. Metaphorisch weist aber der
Autor auf die Menschen hin, die mit einer Gesamtheit unterschiedlicher Kulturen ein
Land bzw. eine Gesellschaft bilden. Davon ausgehend könnte man sagen, dass die
Farben die ethnischen Gruppen in einem Land und auch die Menschen mit einer Vielfalt
an Charakteren, Berufen etc. symbolisieren. Die Metapher einen anderen Namen haben
deutet auf die Vielfalt der Menschennamen in der Türkei.
Unterm Baum lag Vogel neben Vogel: Wir haben schon gesagt, dass der Baum die
Türkei und die Vögel die türkischen Migranten symbolisieren. Von diesem Standpunkt
176
aus tritt unterm Baum als Deutschland auf, wohin die Türken in den 60er Jahren aus
ökonomischen Gründen emigriert sind. Man betont in diesem Vers, dass die türkischen
Emigranten eine Gruppe gebildet haben. Diese Menschenmenge hat sich lange Zeit aus
dem deutschen Leben isoliert; das hatte teils politische, teils soziale Gründe.
Jeder trug die gleiche Farbe / den gleichen Namen: Die Menschen, die in der Türkei
eine Vielfalt an Kulturen, Berufen und Charakteren gebildet hatten, haben in
Deutschland denselben Namen: Ausländer. Die gleiche Farbe symbolisiert hier die
Türken und die türkische Kultur (bzw. die Subkultur in Deutschland), und der gleiche
Name symbolisiert alle Ausländer. Die folgende Karikatur konkretisiert diesen Blickw
5.2.7. Unterrichtsmodell 7: Dütschlünd, Dütschlünd übür üllüs
5.2.7.1. Textinhalt
Im Text erzählt man von den Schwierigkeiten auf dem Weg zur deutschen
Staatsbürgerschaft. Eine türkische Familie, die sich jahrelang um die Einbürgerung
bemüht, versucht immer wieder die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten und gibt
ihre Hoffnung nie auf. Für eine Einbürgerung müssen sie die Einbürgerungsprüfung, die
aus unterschiedlichen sozialen, kulturellen und politischen Fragen besteht, schaffen.
Obwohl sich Herr Engin unaufhörlich auf die Prüfung vorbereitet und dazwischen fast
alle Autoren der deutschen Literatur und die deutsche Nationalhymne sehr gut studiert,
kann er die Prüfung auf keinen Fall bestehen. Um der Bürokratie zu entkommen,
kommt er zur Idee, einen russischen Ausweis zu bekommen und sich als RusslandDeutscher einzubürgern zu lassen.
5.2.7.2. Lernaktivitäten
Ausgehend von diesem Text zielt man darauf, insgesamt vier Aktivitäten
durchzuführen, die dazu dienen, die Schreib-, Sprech- und Kommunikationsfähigkeit
der Studierenden zu fördern sowie ihre Kenntnisse über die deutsche Literatur und
Landeskunde zu erweitern.
Aktivität 1: Zur Schreibfähigkeit: Die Studierenden versuchen, den Text mit seinen
zentralen Problemen kurz zusammenzufassen!
177
Aktivität 2: Diskussionspunkt zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit;
Erste Phase: Was sind die Kriterien, die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen?
Zitieren Sie bitte die Stellen im Text und stellen sie sie zur Diskussion!
Zweite Phase:
Der Ausländertext, dessen Fragen die Themenfelder Politik in der
Demokratie, Geschichte und Verantwortung sowie Mensch und Gesellschaft umfasst,
wird mit Overheadprojektor an die Wand gespiegelt; die Studierenden haben sich
bemüht, über die Frage nachzudenken und sie zu beantworten. Diese Phase dient dazu,
die landeskundlichen Kenntnisse über Deutschland zu vertiefen.
Aktivität 3: Als Hausaufgabe untersuchen die Studierenden die deutschen Autoren, die
im Text erwähnt werden; sie stellen fest, zu welchen Epochen sie gehören!
Aktivität 4: Diskussionspunkt zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit: Warum ist
es für die Türken in Deutschland so wichtig, die deutsche Staatsbürgerschaft zu
bekommen?
5.2.7.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Aktivität 1: In dieser Aktivität haben die Studierenden den Text zusammengefasst:
zentrale Themen des Textes sollen geschont bleiben. Voraussetzung ist, die Kohärenz
des Textes nicht zu verlieren. Unten sind einige Zitate aus den Arbeiten der
Studierenden:
[Nihal Avdar]:
Osman Engin ist ein Türke, der eine deutsche Staatsbürgerschaft bekommen
will. Er hat drei Töchter, zwei Söhne und eine Frau. Seine zweijüngste
Tochter heißt Zeynep, die immer plaudert. Herr Engin nahm sie zu den
traditionellen Behörden einmal mit. Als Engins zuständige Sacharbeiterin
Kottzmeyer ihn etwas fragte, gemischte sie das Gespräch zwischen dem
Vater und der Sacharbeiterin und blamierte sie seinen Vater. Deshalb nahm
er sie nie wieder mit.
Herr Engin hat vielmals Prüfungen für einen deutschen Pass gehabt, aber er
hat die Prüfungen nicht bestehen können. Um die nächste Prüfung bestehen
zu können hat er die deutsche Nationalhymne, alle Titel von Goethe und
178
Schillers Werken gelernt. Und die Biographien von Lassalle, Feuerbach,
Hegel und Karl May hat er studiert. Er ist in ein Zimmer für die Prüfung
hineingetreten. Frau Kottzmeyer hat ihn etwas über die deutsche Literatur
des 19. und 20. Jahrhunderts gefragt. Obwohl er viele Dinge über moderne
deutsche Literatur gelernt hat, war es für die Prüfung nicht genug. Wieder
hat er leider die Prüfung nicht bestehen können, weil sie zu schwer war. Es
war fast unmöglich, diese Prüfung zu bestehen.
Zum Schluss hat er russische Ausweise gekriegt, denn das war ihre einzige
Möglichkeit, dieser Bürokratie zu entkommen. Somit haben sie innerhalb
14 Tagen eingebürgert.
[Bahar Kotan];
In diesem Text erzählt der Autor uns eine wichtige Sache; Das ist die
deutsche Staatsbürgerschaft. Es gibt eine Familie. Der Vater heißt Osman,
der fünf Kinder, darunter drei Töchter hat. Er will die deutsche
Staatsbürgerschaft erhalten.
Der Autor erzählt über die Schwierigkeiten der Einbürgerung mit ironischen
und komischen Dialogen. Die Frau von Osman möchte ein halbes Kilo
Hackfleisch und noch die deutsche Staatsbürgerschaft. Hier meint der Autor,
dass die deutsche Staatsbürgerschaft für die Türken schwer, sogar ein Traum
sei. Osman bewerbt sich um die Einbürgerung häufig. Er muss eine Prüfung
bestehen, um deines Ziel zu erreichen. Wenn er einen deutschen Pass haben
würde, würde er für sich und für seine Familie viele Möglichkeiten haben.
Leider hatte er kein Glück und jedes Mal geht er nach Hause ohne Pass
zurück, weil er auf die Fragen immer die falschen Antworten gab.
Am Schluss hat er die russischen Ausweise gekriegt, weil er somit leichter
eingebürgert werden können. Für einen Türken ist alles schwerer in
Deutschland.
[Funda Gürbüz];
In diesem Text geht es um die Staatsangehörigkeitsprobleme der Türken.
Eine türkische Familie wohnte in Deutschland und wollte die deutsche
Staatsangehörigkeit erhalten, aber dafür sollten sie zuerst eine Prüfung
bestehen, deshalb lernte Herr Osman viel, aber er konnte die Prüfung nicht
bestehen. Danach erhielt er russische Ausweise, denn in Deutschland ist es
leicht, als ein Russe die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen.
179
Das, was in diesem Text uns erzählt wird, ist eine Diskriminierung, welches
uns eindeutig zeigt, dass die Deutschen Vorurteile haben. In Deutschland
haben die Türken viele Geschäfte und leben da tausende Türken, deshalb
haben die Deutschen vor Türken Angst. Vielleicht denken sie daran, dass
Deutschland besetzen. Kurz gesagt ist es für die Türken schwer, deutsche
Staatsbürgerschaft zu bekommen.
[Şirin Serpen];
Im Text handelt es sich um eine Familie, die deutsche Staatsbürgerschaft und
Pass haben möchten. Die Familie hat fünf Kinder. Sie leben in Deutschland
aber haben keine deutsche Staatbürgerschaft. Am Anfang beginnen sie dem
Tag mit den Scherzen, obwohl sie normalerweise nicht so sind. Um die
deutsche Staatbürgerschaft zu bekommen müssen die Ausländer eine Prüfung
bestehen, die von der deutschen Regierung veranstaltet wird. Jede Woche
geht Herr Osman zu den traditionellen Behördengängen, aber er konnte bis
heute keinen Erfolg haben. Er studiert für die heutige Prüfung viel. Er lernt
deutsche Autoren, deutsche Nationalhymne und noch vieles über die
deutsche Kultur. Trotzdem macht er bei der Prüfung Fehler. Demzufolge ist
er zur Idee gekommen, russische Ausweise zu bekommen, denn die Russen
können deutsche Staatbürgerschaft unschwer haben.
Hier haben wir unter anderem vier Zitate, die die zentralen Motive des Textes
beinhalten. Wichtig ist zu betonen, dass die Studierenden vermieden haben, ihre
eigenen Gedanken zu schreiben. Sie wussten, dass sie den Text nur zusammenfassen
sollen und bei einer Zusammenfassung die eigenen Gedanken nicht einfließen dürfen.
Bei der Zeitform ist dagegen kein richtiger Zusammenhang zu sehen. Die Studierenden
haben ihre Aufgaben nicht in einer Zeitform abgefasst; neben dem Präsens haben sie
auch das Präteritum benutzt. In diesem Zusammenhang haben wir die Studierenden
auch über die Schreibtechniken informiert.
Aktivität 2: Diese Aktivität besteht aus zwei Phasen, die zur Förderung der Sprechund Kommunikationsfähigkeit sowie zum landeskundlichen Wissen dienen.
Erste Phase:
Hier geht es um die Frage:
„Welches Kind erhält welche
Staatsangehörigkeit?“. Ausgehend von der Äußerung
Ich enterbe alle meine acht in Deutschland geborenen Kinder, wenn es nicht
wenigstens einer von ihnen innerhalb der nächsten zehn Jahre schafft, die
180
deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen. Ich will nicht, dass meine
Enkelkinder diesen Schwachsinn auch noch mitmachen müssen,
den wir aus dem Text zitierten, haben wir diese Aktivität zu realisiert22:
Frage: Welches Kind erhält welche Staatsangehörigkeit?
1. In einem deutschen Flugzeug auf dem Weg von Kairo nach Frankfurt kommt
über München ein Kind zur Welt. Die Mutter ist Italienerin.
2. In einem US-amerikanischen Flugzeug auf dem Weg von Kairo nach Frankfurt
kommt über München ein Kind zur Welt. Die Mutter ist Italienerin.
Die Studierenden haben über diese Fälle diskutiert und versucht, Antworten auf diese
Fragen auszudenken. Nach einer kurzen Zeit haben sie die Antworten auf die Tafel
gespiegelt; die Reaktionen waren überraschungsvoll.
Lösungen:
1. In Deutschland gilt:
Ein Kind erhält die Staatsangehörigkeit der Eltern –
unabhängig vom Geburtsort.
2. In den USA gilt: Ein Kind, das auf dem Territorium der Vereinigten Staaten
geboren wird, hat das Recht auf die Staatsangehörigkeit der USA. Das Flugzeug
ist „Territorium“ der USA.
Zweite Phase: Zuerst wurde von den Studierenden erwartet, ihre Gedanken über die
alten und neuen Kriterien der Einbürgerung auszutauschen. Nach einem kurzen
Gedankenaustausch haben wir eine kurze Internetrecherche durchgeführt und aus EZeitungen über die Einbürgerung kurze Texte gelesen. Wichtig ist in diesem Punkt den
Studierenden zu vermitteln, dass es bis vor einigen Jahren ausreichend war, in
Deutschland 5 Jahre zu arbeiten, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen.
Nach dem neuen Gesetz müssen aber die Ausländer an einem Wissenstest teilnehmen
und ihn bestehen, um die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen zu können. Aus dem
Textkatalog, der aus 300 Testfragen besteht, wählt man 33 Fragen aus und diese Fragen
stellt man dem Bewerber, der Deutscher werden will. Ein Ausländer, der die deutsche
Staatsbürgerschaft haben will, muss mindestens 17 von den 33 ausgewählten Fragen
richtig beantworten. Die Testfragen, die vom Institut zur Qualitätsentwicklung im
22
Diese Aktivität wurde zitiert aus der Zeitschrift “Miteinander Leben in Europa, Lese- und Arbeitshefte
zur Deutschen Landeskunde”, Heft Drei; Nation- Einheit und Vielfalt”, S. 6, Körber-Stiftung, 2000.
181
Bildungswesen (IQB) der Berliner Humboldt-Universität23 entwickelt wurden,
umfassen die Themenfelder
"Politik
in
der
Demokratie",
"Geschichte und
Verantwortung" sowie "Mensch und Gesellschaft".
Die Prüfung bzw. der Ausländertext wurde mit Overheadprojektor an die Wand
gespiegelt. Das Ziel dieser Aktivität besteht darin, die landeskundlichen Kenntnisse der
Studierenden über die Deutschen und Deutschland zu bereichern. Im Folgenden zitieren
wir einige Fragen aus verschiedenen Themenbereichen, die während der Aktivität
beantwortet wurden.
Testfragen24:
Frage 1: Grundrechte
In Deutschland dürfen Menschen offen
etwas gegen die Regierung sagen, weil …
Frage 3: Verfassungsprinzipien
Deutschland ist ein Rechtsstaat. Was ist
damit gemeint?
_ hier Religionsfreiheit gilt.
_ die Menschen Steuern zahlen.
_ die Menschen das Wahlrecht haben.
_ Alle Einwohner / Einwohnerinnen und
der Staat müssen sich an die Gesetze
halten.
23
Für weitere Informationen über die Entwicklung der Testfragen siehe; http; //www.iqb.huberlin.de/institut
24
Die Testfragen wurden aus http; //www.i-punkt-projekt.de/downloads/einbuergerungstestlernkarten.pdf zitiert. (Am 25.05.2009)
182
_ hier Meinungsfreiheit gilt.
Frage 4: Grundrechte
Welches Recht gehört zu den Grundrechten
in Deutschland?
_ Der Staat muss sich nicht an die
Gesetze halten.
_ Nur Deutsche müssen die Gesetze
befolgen.
_ Die Gerichte machen die Gesetze.
Frage 22: Verfassungsprinzipien
Was für eine Staatsform hat
Deutschland?
_ Waffenbesitz
_ Faustrecht
_ Meinungsfreiheit
_ Selbstjustiz
_ Monarchie
_ Diktatur
_ Republik
_ Fürstentum
Frage 24: Föderalismus
Wie viele Bundesländer hat die
Bundesrepublik Deutschland?
Frage 28: Verfassungsorgane
Wer wählt in Deutschland die
Abgeordneten zum Bundestag?
_ 14
_ 15
_ 16
_ 17
Frage 33: Religiöse Vielfalt
Welche Aussage ist richtig? In
Deutschland…
_ das Militär
_ die Wirtschaft
_ das wahlberechtigte Volk
_ die Verwaltung
Frage 40: Staatssymbole
Mit welchen Worten beginnt die
deutsche Nationalhymne?
_ sind Staat und Religionsgemeinschaften
voneinander getrennt.
_ bilden die Religionsgemeinschaften den
Staat.
_ ist der Staat abhängig von den
Religionsgemeinschaften.
_ bilden Staat und Religionsgemeinschaften
eine Einheit.
Frage 59: Wӓhlen und Parteien
Welche Parteien wurden in Deutschland
2007 zur Partei „Die Linke“?
_ Völker, hört die Signale ...
_ Einigkeit und Recht und Freiheit ...
_ Freude schöner Götterfunken ...
_ Deutschland einig Vaterland ...
_ CDU und SSW
_ PDS und WASG
_ CSU und FDP
_ Bündnis 90/Die Grünen und SPD
Frage 72: Verfassungsorgane
Wie heißt der jetzige Bundeskanzler/ die
jetzige Bundeskanzlerin von Deutschland?
_ Friedrich von Schiller
_ Clemens Brentano
_ Johann Wolfgang von Goethe
_ Heinrich Hoffmann von Fallersleben
Frage 78: Wahlen und Parteien
Was bedeutet die Abkürzung SPD?
_ Gerhard Schröder
_ Jürgen Rüttgers
_ Klaus Wowereit
_ Angela Merkel
Frage 66: Staatssymbole
Wer schrieb den Text zur deutschen
Nationalhymne?
_ Sozialistische Partei Deutschlands
_ Sozialpolitische Partei Deutschlands
_ Sozialdemokratische Partei
Deutschlands
_ Sozialgerechte Partei Deutschlands
183
Frage 96: Pflichten
Was muss jeder deutsche Staatsbürger/jede
deutsche Staatsbürgerin ab dem 16.
Lebensjahr besitzen?
Frage 132: Kommune
Viele Menschen in Deutschland arbeiten
in ihrer Freizeit ehrenamtlich. Was
bedeutet das?
_ einen Reisepass
_ einen Personalausweis
_ einen Sozialversicherungsausweis
_ einen Führerschein
_ Sie arbeiten als Soldaten /
Soldatinnen.
_ Sie arbeiten freiwillig und unbezahlt
in Vereinen und Verbänden.
_ Sie arbeiten in der Bundesregierung.
_ Sie arbeiten in einem Krankenhaus
und verdienen dabei Geld
Frage 151: Nationalsozialismus
Der Zweite Weltkrieg dauerte von…
Frage 138: Recht und Alltag
Was kann ich in Deutschland machen,
wenn mir mein Arbeitgeber / meine
Arbeitgeberin zu Unrecht gekündigt hat?
_ weiter arbeiten und freundlich zum Chef /
zur Chefin sein
_ ein Mahnverfahren gegen den
Arbeitgeber / die Arbeitgeberin führen
_ Kündigungsschutzklage erheben
_ den Arbeitgeber
Frage 158: Nationalsozialismus
Das „Dritte Reich“ war eine…
_ Diktatur.
_ Demokratie.
_ Monarchie.
_ Räterepublik.
Frage 172: Nachkriegsgeschichte
In welcher Besatzungszone wurde die DDR
gegründet? In der…
_ amerikanischen Besatzungszone.
_ französischen Besatzungszone.
_ britischen Besatzungszone.
_ sowjetischen Besatzungszone.
Frage 196: Wiedervereinigung
Warum nennt man die Zeit im Herbst 1989
in der DDR „die Wende“? In dieser Zeit
veränderte sich die DDR politisch…
_ von einer Diktatur zur Demokratie.
_ von einer liberalen Marktwirtschaft zum
Sozialismus.
_ 1914 bis 1918
_ 1933 bis 1945
_ 1939 bis 1945
_ 1939 bis 1949
Frage 166: Nachkriegsgeschichte
Wie hieß bis zum Jahre 2002 die
Währung in der Bundesrepublik
Deutschland?
_ Deutsche Mark
_ Reichsmark
_ Deutsches Geld
_ Reichsgeld
Frage 186: Nachkriegsgeschichte
Im Jahr 1953 gab es in der DDR einen
Aufstand, an den lange Zeit in der
Bundesrepublik Deutschland ein
Feiertag erinnerte. Wann war das?
_ 1. Mai
_ 17. Juni
_ 20. Juli
_ 9. November
Frage 213: Deutschland in Europa
Wie viele Einwohner hat Deutschland?
_ 70 Millionen
_ 78 Millionen
_ 82 Millionen
_ 90 Millionen
184
_ von einer Monarchie zur
Sozialdemokratie.
_ von einem religiösen Staat zu einem
kommunistischen Staat.
Frage 231: Deutschland in Europa
Was bedeutet der Begriff „europäische
Integration“?
Frage 244: Bildung
Welchen Schulabschluss braucht man
normalerweise, um an einer Universität
in Deutschland ein Studium zu
_ Damit sind amerikanische Einwanderer in beginnen?
Europa gemeint.
_ das Abitur
_ Der Begriff meint den
_ ein Diplom
Einwanderungsstopp nach Europa.
_ die Prokura
_ Damit sind europäische Auswanderer in
_ eine Gesellenprüfung
den USA gemeint.
_ Der Begriff meint den Zusammenschluss
europäischer Staaten zur EU.
Frage 251: Recht und Alltag
Frage 289: Grundrechte
Wenn man in Deutschland ein Kind
Ein Mann mit dunkler Haut bewirbt sich
schlägt,…
um eine Stelle als Kellner in einem
Restaurant in Deutschland. Was ist ein
_ geht das niemanden etwas an.
Beispiel für Diskriminierung? Er
_ geht das nur die Familie etwas an.
bekommt die Stelle nur deshalb nicht,
_ kann man dafür nicht bestraft werden.
weil…
_ kann man dafür bestraft werden.
_ seine Deutschkenntnisse zu gering
sind.
_ er zu hohe Gehaltsvorstellungen hat.
_ er eine dunkle Haut hat.
_ er keine Erfahrungen im Beruf hat.
Frage 295: Religiöse Vielfalt
Frage 297: Migrationsgeschichte
Welche Religion hat die europäische und
Aus welchem Land sind die meisten
deutsche Kultur geprägt?
Migranten/ Migrantinnen nach
Deutschland gekommen?
_ der Hinduismus
_ das Christentum
_ Italien
_ der Buddhismus
_ Polen
_ der Islam
_ Marokko
_ Türkei
Frage 299: Migrationsgeschichte
Frage 300: Migrationsgeschichte
Ausländische Arbeitnehmer und
Aus welchem Land kamen die ersten
Arbeitnehmerinnen, die in den 50er- und
Gastarbeiter/ Gastarbeiterinnen nach
60er- Jahren von der Bundesrepublik
Deutschland?
Deutschland angeworben wurden, nannte
man…
_ Italien
_ Spanien
_ Schwarzarbeiter/Schwarzarbeiterinnen.
_ Portugal
_ Gastarbeiter/Gastarbeiterinnen.
_ Türkei
_ Zeitarbeiter/Zeitarbeiterinnen.
_ Schichtarbeiter/Schichtarbeiterinnen.
185
Die erste Frage des Wissenstextes ist mit dem Inhalt unseres Textes „Dütschlünd
Dütschlünd“ eng verbunden. Sie thematisiert die Grundrechte der deutschen Einwohner
und besagt, dass sich Menschen in Deutschland über die Regierung hemmungslos
äußern dürfen, weil es hier die Meinungsfreiheit gibt. Das gilt auch für Zeitschriften,
Karikaturen und Comics etc, die ihre Kritik besonders gegen die Politiker richten.
Dagegen ist es unschwer festzustellen, dass die Menschen im Alltagsleben die Kritik
gegen die Politiker vermeiden, weil sie der Meinung sind, dass so etwas ihre staatliche
Betätigung erschweren könnte. In dieser Hinsicht bringt Osman, der Held der
Geschichte, seine Meinung zum Ausdruck:
Es könnte bei unserer Einbürgerung noch größere Schwierigkeiten geben,
wenn es raus käme, dass wir uns auf offener Straße über unsere
Staatsmänner lustig machen.
Die vierte Frage kann man gleichfalls in dieser Richtung bewerten.
Die Frage 40 „Mit welchen Worten beginnt die deutsche Nationalhymne?“ ist für uns
auch von Bedeutung, weil im behandelten Text über die Nationalhymne, aber besonders
über ihre Aussprache viele Meinungen und Scherze zum Ausdruck gebracht werden. In
diesem Zusammenhang spielt die Frage 66 „Wer schrieb den Text zur deutschen
Nationalhymne?“ bei der Vermittlung landeskundlicher Kenntnisse eine besondere
Rolle. Die Fragen 297, 299 und 300 schließen dagegen Kenntnisse über die
Migrationsgeschichte ein, was mit dem behandelten Thema eng verbunden ist.
Wir haben auch über die übriggebliebenen Fragen kurze Diskussionen geführt. Wichtig
ist auch, dass wir durch die Testfragen den Studierenden fast alle politischen, sozialen
und kulturellen Themenbereiche der deutschen Landeskunde vermitteln konnten. Zu
diesen Bereichen zählt man unter anderem „Grundrechte“, „Verfassungsprinzipien“,
„Wahlen und Parteien“, Staatssymbole“, „Sozialsystem“, „Föderalismus“, „religiöse
Vielfalt“, „Verfassungsorgane“, „Aufgaben des Staates“, „Nachkriegsgeschichte“,
„Kommune“, „Pflichten“, „Rechts und Alltag“, „Nationalsozialismus“, „Deutschland in
Europa“, „Wiedervereinigung“, „Bildung“, „interkulturelles Zusammenleben“ und
„Migrationsgeschichte“.
Zusammenfassend
kann
man
also
sagen,
dass
die
kommunikative Bearbeitung dieser die Studierenden in sprachlicher, beruflicher und
sozialer Hinsicht sensibilisiert.
Aktivität 3: Während des Vorlesens des Textes sind die Studierenden einigen Namen
deutscher Philosophen und Autoren begegnet, die sie schon kannten. Nach dem
186
Vorlesen haben wir den Studierenden Fragen über diese Autoren gestellt. Aber weil sie
noch im ersten Studienjahr sind, kamen fast keine Antworten. Nach dem Curriculum
der
Abteilung
für
Deutschlehrerausbildung
studieren sie
im Sommer-
und
Wintersemester des zweiten Studienjahres „Deutsche Literatur“. Erst hier finden sie
eine Gelegenheit, Kenntnisse über die deutsche Literatur zu erwerben.
Diese Aktivität hat den Studierenden ermöglicht, die im Text genannten deutschen
Autoren und Philosophen zu recherchieren und über sie ein kurzes Referat zu halten.
Unbestritten ist es, dass die im Text genannten Autoren im Hinblick auf die deutsche
Literatur- und Philosophiegeschichte einen wichtigen Platz haben; deshalb haben sich
die Studierenden in ihren Referaten stichwortartig auf die geschichtliche Bedeutung
dieser Autoren konzentriert.
Unten geben wir einige Stellen über diese Autoren und Philosophen;
Johann Wolfgang
von Goethe
Referat von Aslı
Hotalak
Friedrich von
Schiller
Referat von
Şengül Çiftçi
Ferdinand
Lassalle
Referat von Şenay
Bal
Ludwig
Feuerbach
Referat von Elif
Sam
1749-1832. Er war ein Dichter, ein Autor und ein Wissenschaftler.
Wie Schiller ist er der Begründer der literarischen Epoche Sturm
und Drang. Er hatte mit Schiller eine gute Freundschaft und
Arbeiten. Er interessierte sich mit Wissenschaften und Natur,
sowie mit Literatur von Mittelalter und Orient. Er hat viele
Dramen, Romane, Novelle und Gedichte geschrieben. Die Leiden
des Jungen Werthers, Faust, Die Wahlverwandtschaften sind seine
bekannten Werke.
1759-1805. Ein deutscher Dichter, Dramatiker. Begründer der
literarischen Epoche Sturm und Drang. Viele seiner Theaterstücke
gehören zum Standardrepertoire der deutschsprachigen Theater.
Seine Gedankenlyrik wurde exemplarisch und seine Balladen
zählen zu den beliebtesten deutschen Gedichten. Neben Goethe,
Herder und Wieland ist er der wichtigste Vertreter der Weimarer
Klassik.
1825-1864. Er war ein Schriftsteller und genossenschaftlich
orientierter sozialistischer Politiker im Deutschen Bund. Er geriet
häufig in intellektuellen Konflikt mit der revolutionär und
internationalistisch ausgerichteten, im 19. Jh. von Karl Marx und
Friedrich Engels dominierten Lehre des Marxismus.
1804-1872. Ein deutscher Philosoph und Religionskritiker. Er
arbeitete, um das Wesen des Christentums zu finden, dagegen
kritisierte er die Religion, weil die Reagierenden die Religion als
Mittel benutzten, um die Leute auszubeuten. Er war ein Materialist
und sagte: „Das Fundament ist Natur. Der Gedanke ist Produkt der
Natur, wie Alle“. Nach Feuerbach war Dialektik nicht ein Material,
sondern Gedanke.
187
Friedrich Hegel
1770-1831. Er ist der bedeutendste Philosoph des 19. Jhs.
Schwerfällig und in seiner Ausdrucksweise oft dunkel, beweist er
Referat von Fatma doch eine gewaltige logisch-spekulative Kraft, mit der er den
Aşıcı
Erfahrungsinhalt zur Einheit eines Systems des absoluten
Idealismus zu vorbereiten sucht. Phänomenologie des Geistes ist
sein berühmtes Werk.
Karl May
Referat von
Kadriye Erkan
Theodor Fontane
Referat von
Emine Apur
Wilhelm Busch
Referat von Nevin
Genç
Heinrich von
Kleist
Referat von Esra
Elçin
Heinrich Heine
Referat von Barış
Aydın
Christian
1842-1912. Ein deutscher Abenteuerschriftsteller. Bekannt wurde
er vor allem durch seine so genannten Reiseerzählungen, die
vorwiegend im Orient, in den USA und Mexiko angesiedelt sind.
Viele seiner Werke wurden verfilmt, für die Bühne adaptiert, zu
Hörspielen verarbeitet oder als Comics umgesetzt.
1819-1898. Er gilt als der herausragende Vertreter des poetischen
Realismus in Deutschland. In seinen Romanen gelingt es ihm, die
Figuren besonders gut zu charakterisieren, indem er ihre
Erscheinung, ihre Umgebung und vor allem ihre Redeweise genau
beschreibt. Irrungen Wirrungen, Effi Briest und Mathilde Möhring
sind seine bekanntesten Werke.
1832-1908. Er war einer der humoristischen Dichter Deutschlands.
Er war auch Zeichner und Maler und gilt wegen seiner satirischen
Bildergeschichten in Versen als einer Pioniere des modernen
Comics. Er war Mitarbeiter der Fliegenden Blätter und des
Münchner Bilderbogen.
1777-1811. Er war ein Dramatiker, Novellist und Essayist, der sich
weder der Klassik noch der Romantik ganz zuordnen lässt. Im
Zentrum seiner Dichtung steht der Konflikt zwischen dem
Individuum und dessen Pflicht, sich in die Allgemeinheit
einzuordnen. In seinen Werken wird die romantische
Identitätsproblematik ästhetisch und thematisch so weit
radikalisiert, dass die ersehnte Versöhnung mit der Natur, der
Geschichte oder der Kunst versagt bleibt. Er zeigt sich Originalität
in der Sprache. Er verhielt sich subversiv gegenüber einer
automatisierten und gattungskonformen Redeweise. Nüchterne
Sachlichkeit wird durch Paradoxien, Doppeldeutigkeiten und
Ironie unterlaufen.
1797- . Er gilt als letzter Dichter der Romantik und gleichzeitig
als ihr Überwinder. Er machte die Alltagssprache lyrikfähig, erhob
das Feuilleton und den Reisebericht zur Kunstform und verlieh
dem Deutschen eine zuvor nicht gekannte elegante Leichtigkeit.
Die Werke kaum eines anderen Dichters deutscher Sprache wurden
bis heute so häufig übersetzt und vertont. Wegen seiner jüdischen
Herkunft und seiner politischen Einstellung wurde er immer
wieder angefeindet und ausgegrenzt. Er ist ein Dichter der Epoche
Junges Deutschland. Buch der Lieder, Reisebilder und
Deutschland ein Wintermärchen sind seine bekannten Bücher.
1871-1914.
Deutscher
Dichter,
Dramaturg,
Journalist
und
188
Morgenstern
Referat von
Sevim Kırlangıç
Thomas Mann
Referat von Serap
Sinop
Hermann Hesse
Referat von
İpek Bozlar
Übersetzer. Er hat kleinere Satiren, scherzhafte Verse und
Gedichte geschrieben. 1893 entsteht Sansara, eine humoristische
Studie, die um die Idee der Wiedergeburt kreist. 1898 Ich und die
Welt, 1900 Ein Sommer und 1902 Und aber ründet sich ein Kranz.
Galgenlieder ist sein berühmtestes Werk.
1875-1955. Er zählt zu den bedeutendsten Erzählern deutscher
Sprache im 20. Jh. Charakteristisch für Manns Prosa sind ironische
Haltung und heitere Ambiguität. Mit zunehmender künstlerischer
Reife werden Allegorien und mythologische Motive verwendet.
Für seinen ersten Roman Buddenbrooks erhielt er 1929 den
Nobelpreis für Literatur.
1877-1962. Er war ein deutsch-schweizerischer Dichter,
Schriftsteller und Maler. Seine bekanntesten literarischen Werke
sind Der Steppenwolf, Siddhartha, Peter Camenzind, Demian,
Narziß und Goldmund und Das Glasperlenspiel, deren Inhalt die
Selbstverwirklichung, die Selbstwerdung, die Autoreflexion, das
„Transzendieren“ des Einzelnen ist. 1946 erhielt er der Nobelpreis
für Literatur und 1954 der Orden Pour le mérite für Wissenschaft
und Künste. Alle Werke Hesses enthalten eine stark
autobiografische Komponente. Besonders offensichtlich ist sie im
„Demian“, in der „Morgenlandfahrt“, aber auch in „Klein und
Wagner“ und nicht zuletzt im „Steppenwolf“, der geradezu
exemplarisch für den „Roman der Lebenskrise“ stehen kann.
Reiner Maria
Rilke
1875-1926. Deutscher Dichter und Schriftsteller. Er ist durch die
Philosophen Schopenhauer und vor allem Nietzsche beeinflusst.
Rilkes Werk ist durch eine scharfe Kritik an der
Referat von Funda Jenseitsorientierung des Christentums und an einer einseitig
Gürbüz
naturwissenschaftlich-rationalen Weltdeutung geprägt. Zu den
Werken Rilkes gehören unter anderen die Gedichtbände
Wegwarten und Advent, der Roman Die Aufzeichnungen des Malte
Laurids Brigge. Er wendet sich in diesen Werken radikal der Welt
menschlicher Grunderfahrungen zu, nun aber nicht mehr in reiner
Beobachtung des Innen, sondern in einer das Subjekt
zurückdrängenden symbolischen Spiegelung dieses Innen in
erlebten Dingen. So entstehen seine „Dinggedichte“,
beispielsweise Blaue Hortensie und Der Panther, die den
literarischen Symbolismus weiterentwickeln. Dieses Welterfassen
bezieht ausdrücklich auch die negativen und fremden Aspekte des
Lebens ein: Hässliches, Krankheit, Trieb und Tod.
Patrick Süskind
Referat von Burcu
Kaleli
Günter Grass
Referat von
1949- . Deutscher Schriftsteller und Drehbuchautor. Seine Werke
„Das Parfüm“ (1985), das außerdem in 90er Jahren verfilm wurde,
und „Über Liebe und Tod“ (2006) sind von Bedeutung zu nennen.
„Das Parfüm“ ist in 46 Sprachen, darunter sogar Latein übersetzt
worden.
1927- …. Deutscher Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker
mit kaschubischen Vorfahren. Grass war Mitglied der Gruppe 47
189
Burçin Özgün
und gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der
Gegenwart. Im Jahr 1999 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Im Zweiten Weltkrieg meldete er sich mit 15 Jahren freiwillig zur
Wehrmacht. Nach einer Verwundung am 20. April 1945 wurde
Grass am 8. Mai 1945 bei Marienbad gefangengenommen und war
bis zum 24. April 1946 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.
Erst durch die Veröffentlichung seines autobiografischen Werkes
Beim Häuten der Zwiebel im Jahre 2006 wurde allgemein bekannt,
dass Grass zur Waffen-SS eingezogen worden war. Als Intention
der Werke Grass' ist das „Schreiben gegen das Vergessen“
auszumachen. Seine Werke thematisieren Nationalsozialismus
bzw. handeln vor dessen Hintergrund. In einer sehr bildlichen
Sprache ist der 1959 erschienene Roman Die Blechtrommel
geschrieben. Er handelt um den infantilen Sonderling Oskar
Matzerath, welcher von seiner „Kinderperspektive“ aus die
Erwachsenenwelt beschreibt.
Johannes Mario
Simmel
1924-2009. Er arbeitete als Journalist, Übersetzer und Dolmetscher
für die US-Militärregierung. 1947 veröffentlichte er eine
Novellensammlung. Er war ein Relativist und dem Erfolg hat er
mit seinem Buch „Es muss nicht immer Kaviar sein“ erreicht.
Referat von Gülce
Karacaer
Heinrich Böll
Referat von
Nesrin Turan
1917-1985. Deutscher Schriftsteller und Übersetzer der
Nachkriegszeit. 1972 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Erster
Nachkriegsroman „Kreuz ohne Liebe“ veröffentlichte 1946. Im
Jahr 1947 erschienen seine Kurzgeschichten, die als
Nachkriegsliteratur oder Trümmerliteratur bezeichnet. Einige der
besten Kurzgeschichten erschienen 1950 im Sammelband
„Wanderer, kommst du nach Spa..“.
An der Kürze de Zitate ist ersichtlich, dass die Studierenden versucht haben, die Hörer
durch rein literarische Kenntnisse nicht zu langweilen.Sie haben sich bemüht, die
Fragen zu beantworten und ihr Wissen über die Autoren und die literarischen Epochen
zu vermitteln.
Dank dieser Aktivität haben die Studierenden über die deutsche Literatur, Philosophie
und Politik oberflächliche Kenntnisse erworben, welche für den Unterricht „Deutsche
Literatur“ des nächsten Semesters eine Vorbereitung bilden.
Aktivität
4:
Diese
Aktivität
diente
zur
Entwicklung
der
Sprech-
und
Kommunikationsfähigkeit. Daher wurde den Studierenden die Frage gestellt, warum es
für die Türken in Deutschland so wichtig ist, die deutsche Staatsbürgerschaft zu
bekommen? Hier einige Antworten;
190
Funda Gürbüz / Şengül Çiftçi:
In Deutschland finden die Türken mehr Möglichkeiten als in der Türkei.
Darunter zählt man Arbeitslosengeld, das von dem deutschen Staat den
Arbeitslosen gegeben wird. Außerdem kriegen die Türken auch für ihre
Kinder Geld, welches in der Türkei kaum in Frage kommt. Deshalb ist es
für die Türken von Bedeutung ist, deutsche Staatsbürgerschaft zu
bekommen.
M. Ali Kelekçi:
In Deutschland fühlen die Türken sich freier als in der Türkei, weil die
Lebensbedingungen da besser sind. Sie leben dort angenehm und gut.
Nihal Avdar;
In Deutschland finden die Türken viele Arbeitstellen aber in der Türkei
nicht. Das führt die Türken die Staatsbürgerschaft zu bekommen, um da
besser und in Sicherheit arbeiten zu können.
Şirin Serpen / Kerem Erol:
Wenn die Türken in Deutschland deutsche Staatsbürgerschaft bekommen,
bekommen sie wie die Deutschen gleiche soziale Rechte, deshalb bestreben
sie sich um die deutsche Staatsbürgerschaft. Mehr soziale Rechte erleichtert
zugleich die Integration.
Sonay Kabadayı:
Als Minderheit zu leben ist für die Türken sehr schwer, deshalb bemühen
sie sich darum, in Deutschland mehr Rechte zu bekommen und wohl zu
leben.
Die Zitate zeigen, dass die Studierenden Gedanken austauschten, um das Bestreben
nach
der
deutschen
Staatsbürgerschaft
zu
begründen.
Freiheit,
Gesundheitsbedingungen, freie Arbeitstellen und das Geld, das für Arbeitslose und
Kinder bezahlt wird, zählten sie zu den Beweggründen. Nach den Studierenden sei es
sicher, dass die Türken leichter in die deutsche Kultur integriert werden könnten, wenn
sie mehr Rechte hätten.
191
5.2.7.4. Textanalyse
Am Anfang des Textes beschreibt man einen kurzen belustigenden Dialog zwischen
Herrn Engin und seiner Frau Emine. Sie verlangt von ihrem Mann Fladenbrot, Tomaten
und etwas Hackfleisch zum Kochen. Ironischerweise sagt sie:
So ein halbes Kilo Hackfleisch wäre gut. Und denk noch an die deutsche
Staatsbürgerschaft,
als ob die Staatsbürgerschaft etwas Kaufbares wäre. Durch seine Antwort „Davon auch
ein halbes Kilo oder darfs ein bisschen mehr sein“ spielt Herr Engin auch mit. Das ist
eine besondere Form der Kommunikation, weil sie im Allgemeinen eine schlechte
Laune hat, aber heute ist sie ausnahmeweise hochgestimmt und führt die
Kommunikation ironisch weiter, indem sie sagt:
Osman, 250 Gramm frische deutsche Staatsbürgerschaft in Scheiben, das
dürfte reichen für das Mittagessen. Wenns geht mit viel Kümmel und
Knoblauch. Wenn sie das nicht haben, dann eben mit Kohl und Pinkel“.
Seine Frau Emine vergleicht ironischerweise die Gewürze Kümmel und Knoblauch, die
man als Türke gerne isst, mit Kohl und Pinkel, d.h. Grünkohl und geräucherter
Kochwurst, was die Norddeutschen gerne essen. Kohl mit Würsten und Speck ist eine
Spezialität mit Schweinefleisch, die nicht nur die einfachen Leute zum Beispiel in
Bremen oder Osnabrück lieben. „Pinkel“ ist niederdeutsch, wie man diese Würste
regional in Nordwestdeutschland nennt, und „Kohl und Pinkel“ ist dort ein besonders
geschätztes einfaches Essen. Mit dem Wort „Pinkel“ weist die Frau aber auch auf zwei
andere Dinge hin. Diese werden nicht ausdrücklich genannt, aber es ist das Wesen der
Ironie, dass Wortbedeutungen und Gedankenassoziationen versteckt mitschwingen. Das
erste ist pinkeln für urinieren, das unter Männern gebräuchlich ist und zur
Straßensprache gehört, d.h. vulgär ist. Dieses Wort benutzt man in unterschiedlichen
Versionen, wie z.B. pipi machen. Bei Kindern im Alter zwischen 1 und 4 Jahren heißt
es aufs Klo gehen; unter Freunden sagt man, und das ist informal, ein Bedürfnis
erledigen. Nicht mehr viel benutzt wird: das WC benutzen; ein bisschen altmodisch ist
auf die Toilette gehen, eine Variante von „das WC benutzen“, und das sagt man in einer
offiziellen Situation. Das zweite, worauf die Frau ironisch hinweist, ist Kinkel, eine
scheinbare Kombination aus Kohl und Pinkel. Aber „Kinkel“ und „Kohl“ sind die
relevanten politischen Namen aus der Zeit der „Wiedervereinigung“ Deutschlands.
Helmut Kohl war 1998 Bundeskanzler und Klaus Kinkel Außenminister. Die beiden
192
kommen aus konservativen Parteien. Sie haben sich nicht viel um die Integration der
Türken in Deutschland gekümmert. Die Generation, die in der Zeit von Kohl gelebt hat,
hat nur konservative Regierungen gesehen. Kohl hat eine ziemlich einseitige Politik
vertreten, deshalb war er bei den Ausländern gar nicht beliebt. Das ist in den von
Mündlichkeit geprägten, literarischen Werken der ersten und der zweiten Generation
ganz konkret zu sehen. In dem Lied „Ausländer Raus“ sieht man, dass Kohl deshalb so
hart kritisiert worden ist, weil er hinsichtlich der Migration eine sehr einseitige Politik
verfolgt und sich um die Integration der Türken nicht gekümmert hat. Genannt wird
auch der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der ebenfalls ein
konservativer Politiker war. „Gabi“ ist ein geläufiger Frauenname.
Ausländer Raus
Helmut Kohl und Strauss le le liebe Gabi
Wollen Ausländer raus le le liebe Gabi
Biz de insan değil miyiz le le liebe Gabi
Severek yaşamak varken le le liebe Gabi
Sene başı geldi çattı
Ausländer yolu tuttu
İşverenler hapı yuttu
Almanya’da Almanya’da
Ausländer Raus olduk sonunda (Zitiert nach: Öztürk, 2001; 271)
Sowohl in der Türkei als auch in Deutschland dürfen sich die Menschen über die
Staatsmänner lustig machen, was aber möglichst mit Niveau geschehen sollte. Herr
Engin ist der Meinung, dass er bei Einbürgerung auf noch größere Schwierigkeiten
stoßen kann, wenn er sich auf offener Straße über Staatsmänner lustig macht. Deshalb
vermeidet er es, auf der Straße über Politiker zu sprechen.
In der Aussage von Herrn Engin
Ich habe in meinem Einbürgerungsarchiv im Keller nachgeschaut, das ist
heute mein 728. Behördenbesuch in dieser Sache
sehen wir eine Übertreibung, durch die er auf die Schwierigkeit für einen Türken
verweist, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Es gibt noch andere große
Übertreibungen. Die Frage der Sachbearbeiterin „Ist ihre Wohnung groß genug für
einen deutschen Pass?“ und die Entgegnung
193
Erst letzte Woche haben in der rechten Hälfte von unserem Wohnzimmer
alle Männer aus unserer Straße ein Fußballturnier ausgetragen. Und in der
linken Hälfte haben unsere Frauen einen 100-Meter-Hindernislauf
veranstaltet
von Herrn Engin sind maßlose Übertreibungen. Besonders die Antwort von Engin zeigt
eindeutig, dass er die Fragen der Sachbearbeiterin völlig unsinnig findet, weshalb er sie
neckt. Die Aussage der Sachbearbeiterin, dass die Deutschen immer pünktlich sind und
dass sie zu einer Verabredung weder zu spät noch zu früh kommen, ist eine andere
Übertreibung, weil es an sich nicht als unangemessen gilt, zu einer Verabredung
mehrere Minuten zu früh oder zu spät zu kommen. Eine andere Übertreibung sehen wir
in der Frage der Sachbearbeiterin an Herrn Engin
aus welchen Büchern stammen folgende Zitate: Hau wech die Scheisse, ein
Tas Kaf und zwei Flasch Bier.
In keiner Prüfung stellt man so eine Frage und natürlich kommt in dem
Einbürgerungstext keine solche Frage vor. Es kann sein, dass sie damit auf die
Aussprache der Ausländer in Deutschland verweist und damit einen Scherz machen
will.
Ausgehend von den gestellten Fragen können wir feststellen, dass die Sachbearbeiterin
Fragen stellt, die keine Verbindung zu den Fragen im Einbürgerungstext haben. Das
kann man mit dem Erzählstil des Autors verbinden, der die Erwartungen der deutschen
Regierung und daneben die Reaktion der Türken darüber deutlich ironisch, aber
grundsätzlich und inhaltlich eben auch kritisch zum Ausdruck zu bringen versucht.
Die Annäherung von Herrn Engin an die Religion ist eine andere Stelle, die man im
Text besonders betont. Als seine Frau auf die Knie fiel und sich bei Gott bedankte, sagte
er, dass Gott für sie nicht zuständig ist, sondern Allah. An dieser Stelle weist er auf den
unterschiedlichen Glauben von Türken und Deutschen hin.
Am Schluss macht er auf die zusätzliche Diskriminierung der Türken im Vergleich zu
anderen Ausländern aufmerksam, indem er betont, dass es sehr viel leichter ist, als
Russland-Deutscher eingebürgert zu werden. Das ist ebenfalls eine scharfe Kritik an
den deutschen Politikern hinsichtlich ihrer Behandlung der Türken.
194
Die Staatbürgerschaft, die für die Türken von großer Bedeutung ist, tritt hier in zwei
Formen auf, die konkret und abstrakt bewertet werden können. Konkret ist der Besitz
eines Passes. Abstrakt ist das Leben als gleichwertiger Bürger in dem neuen Land.
5.2.8. Unterrichtsmodell 8: Homo Germanicus
5.2.8.1. Textinhalt
Im Text geht es um die Germanen, die sich genetisch in vier Untergruppen teilen.
Feuerschürer und Feuermacher sind die Politiker und die Rassisten, die mit ihren
Tätigkeiten und Haltungen das Zusammenleben der Menschen aus verschiedenen
ethnischen
Gruppen
erschweren.
Sie
symbolisieren
außerdem
die
Ausländerfeindlichkeit. Gegenüber Homo Feuerschürer und Homo Feuermacher steht
die übertriebene Ausländerliebe, d.h. die Feuerlöscherin, die sich darum bestrebt, das
Leben aller Menschen genießbar zu machen. Scheuklappicus benimmt sich gegenüber
den Ausländern im Vergleich zu Feuerschürer, Feuermacher und Feuerlöscherin
zurückhaltend und vermeidet Probleme mit ihnen.
5.2.8.2. Lernaktivitäten
Über den Text Homo Germanicus hinaus werden in der Klasse vier Lernaktivitäten
durchgeführt, die dazu dienen, die soziale Kompetenz der Studierenden zu bereichern,
außerdem ihre Lesefähigkeit und Kommunikationsbereitschaft zu entwickeln. Daneben
werden sie sich aus verschiedenen Standpunkten über die Haltung der Deutschen gegen
die Ausländer in Deutschland informieren.
Aktivität 1:
Als Einführung in die Lehrveranstaltung wird im Unterricht eine
Auseinandersetzung über die Wurzeln der Begriffe „Homo“, „Homo sapiens“, „Homo
sapiens sapiens“ und „Homo neanderthalensis“ durchgeführt. Somit werden die
Studierenden eine sinnvollere Relation zwischen dem Titel des Textes und dem Inhalt
bilden.
Aktivität 2: Bei dieser Aktivität lesen die Studierenden den Text „Homo Germanicus“
durch. Während des Lesens notieren sie die Besonderheiten der vier Untergruppen von
Homo Germanicus in einer Tabelle. Über diese Aktivität hinaus zielt man darauf, die
Lesefähigkeit der Studierenden zu entwickeln. Außerdem erwerben sie die Fähigkeit,
195
die Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede einer Gruppe oder einer Person
zu erkennen.
Aktivität 3: Aus den Studierenden werden sieben Gruppen gebildet; jede Gruppe
vergleicht die festgestellten Unterschiede der vier Homo-Germanicus-Gruppen und
diskutiert sie mit den anderen Gruppen.
Jede Gruppe bereitet ein Plakat mit ihren eigenen Zeichnungen und/oder mit den dem
Thema passenden Bildern vor; somit sehen sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten
konkret.
Aktivität 4: Die Studierenden werden die Vorurteile in einer Tabelle notieren und
darüber diskutieren.
5.2.8.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Aktivität 1: Am Anfang der Lehrveranstaltung wurde eine Auseinandersetzung über
die Wurzeln der Begriffe Homo, Homo sapiens und Homo sapiens sapiens
durchgeführt. Die Studierenden haben zuerst über die Entwicklung der Menschheit
gesprochen und dieses Thema im Internet recherchiert. Nach 15 Minuten haben sie die
folgende Entwicklungstabelle auf die Tafel geschrieben;
Hominid
Homo Habilis
Homo Erectus
Homo
Neanderthalis
(Homo Sapiens)
Erste Erscheinung
der Entwicklung
der Menschheit,
Etwa vor 3
bzw. Lebewesen,
Millionen Jahren
das seine Hände
nicht benutzen
kann.
Etwa
vor
2 Er/Sie kann die
Millionen Jahren Hände benutzen
Etwa
vor
1
Millionen und 6 Mit entwickeltem
tausendhundert
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Sehr ähnlich an
Etwa
vor
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tausendhundert
Menschen,
er
Jahren
denkt und er
weiß.
196
Homo Sapiens
Unser Vorfahr
Sapiens
Aktivität 2:
Der Mensch, der
weiß, dass er
weiß.
Bei dieser Aktivität haben die Studierenden den Text Satz für Satz
vorgelesen und während des Lesens den Homo Germanicus nach seinen Besonderheiten
in fünf Untergruppen tabellarisch gezeigt;
HOMO GERMANICUS
Der Homo
Scheuklappi
cus
Profi
(Homo
Yuppicus)
sitzt vor
sitzt in der
sitzt vor
sitzt im
dem
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197
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in seiner
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anschließend
„Ich bin tief
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!“.
Die Studierenden haben fünf Homo-Untergruppen gebildet. Bemerkenswert ist, dass die
genannten fünf Gruppen nach sieben Kriterien; das sind: Sitz-Position, Aussensicht,
Information, Essgewohnheit, Wohnen, Reise und Sprechhaltung. Mit Hilfe der Tabelle
konnten die Studierenden die Unterschiede zwischen den fünf Homo-Untergruppen
veranschaulichen.
Aktivität 3: Für diese Aktivität wurden sieben Gruppen gebildet; jede Gruppe nimmt
die festgestellten Besonderheiten der vier Homo-Germanicus-Gruppen vergleichend in
die Hand. An dieser Stelle zitieren wir die Arbeiten aller sieben Gruppen, damit wir die
Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Homo Feuerschürer, Homo
Feuermacher, Homo Feuerlöscherin und Homo Scheuklappicus konkret sehen können.
Gruppe 1: [Şengül Çiftçi, Ezgi Koşar, Şirin Serpen, Bahar Kotan, Nihal Küçük, Emine
Apur]
198
Diese Gruppe hat die Sitzt-Position der vier Untergruppen des Homo Germanicus
verglichen und die Gründe der Unterschiede diskutiert.
Der Homo Amateur sitzt am Stammtisch. Der Stammtisch ist eine Gruppe von
mehreren Personen, die sich regelmässig in einem Lokal treffen. Die Personen, die um
den Stammtisch sitzen, trinken meistens Bier. Sie diskutieren über Politik, Wirtschaft
und kulturelle Themen. Sie sehen sich als Menschen, die dank der Kritik bei ihren
Routinen-Treffen auf die Politik des Landes mitwirken. In diesem Zusammenhang kann
man aus der Türkei zwei Beispiele geben, d.h. Mehmet Barlas und Hıncal Uluç, die mit
ihrer Haltung dem Homo Amateur gut passen.
Der Homo Profi sitzt im Parlament. Er ist Abgeordneter, Politiker und vertritt die
Leute. Solche Menschen übertreiben deshalb alles, was im Land gescheht, weil sie
irgendwie etwas finden müssen, das auszubeuten ist.
Der Homo Feuermacher sitzt vor dem Fernsehapparat. Die Menschen, die keine
Arbeit haben, sitzen immer vor dem Fernsehapparat. Sie lernen nur das, was ihnen
durch Fernsehen weitergeleitet wird. Sie machen zu Hause keine Arbeit, helfen ihren
Eltern nicht. Während die Eltern unaufhörlich arbeiten und Geld verdienen, um für den
Haushalt aufzukommen, geben sie das Geld unbedacht aus. Sie sprechen immer wieder
über die anderen Menschen, geben den Anderen Rat. Kurz gesagt werden sie von
anderen Menschen und vom Fernsehen gelenkt.
Die Homo Feuerlöscherin sitzt in der Bürgerinitiative, weil sie die Freiheit der
Menschen verteidigt. Menschenrechte sind für sie sehr relevant, daneben sorgen sie sich
um Tiere und Natur, um das die Welt lebenswert zu machen. Aus diesen Gründen
arbeitet die Feuerlöscherin mit verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen
zusammen.
Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) sitzt vor seinem Computer, der die Jungen der
Zeit reflektiert. Sie sitzen lange Zeit vor dem Computer und unterhalten sich mit ihren
Freunden, chatten lange Zeit, surfen und spielen. Sie vergeuden ihre Zeit.
Gruppe 2: [Cansu Candemir, Esra Yıldıran, Sinem Atuk, Nilgün Güneş]
199
Diese Gruppe hat die Außensicht der Untergruppen des Homo Germanicus verglichen
und zur Diskussion gestellt.
Der Homo Amateur trägt Jogginghosen. Jogginghosen sind bequemer als die andere
Kleidung, deshalb mag der Homo Amateur diese Hose mehr als die anderen.
Der Homo Profi trägt Nadelstreifenanzüge. Nadelstreifenanzüge sind besonders
elegante Kleidung, schwarz, mit einem schönen Stoff im Muster von Nadelstreifen. Wer
sie trägt, will vornehm sein oder ist sehr reich. Die hohen Politiker, denn sie sitzen im
Parlament, sind auf Bundesebene tätig. Deshalb sind Nadelstreifenanzüge ihre
Arbeitskleidung.
Der Homo Feuermacher trägt Bomberjacken und Springerstiefel. Springerstiefel sind
Militärstiefel der Fallschirmspringer. Bomberjacken tragen die Soldaten. Die beiden
Anzüge werden heute von Rechtsradikalen und Neo-Nazis getragen und als Symbol
einer bestimmten Ideologie gesehen.
Die Homo Feuerlöscherin liebt Birkenstock-Sandalen und naturbelassene ÖkoPullover. Birkenstock-Sandalen sind offene Sandalen einer besonderen Marke, die
Gesundheit verspricht. Wer sie trägt, bekennt sich zum Naturschutz und zu alternativen
Lebensformen. Diese Sandalen trägt man barfuß oder mit dicken Wollsocken, niemals
mit "bürgerlichen" Strümpfen. Auch naturbelassene Öko-Pullover, die am meistens
selbstgestrickt sind, bekennen sich zum Naturschutz und zu alternativen Lebensformen.
Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) trägt Designer-Klamotten. DesignerKlamotten sind teure Anzüge für junge Männer, die etwa als Bank-Manager arbeiten
und sich teure Kleider von Mode-Designern leisten können. Als Symbol stehen sie auch
für junge, angepasste Männer, das Gegenteil davon sind Birkenstock-Sandalen.
Nadelstreifen und Designer-Klamotten haben einiges gemeinsam. Klamotte ist sonst
abwertend für schlechte Kleidung. Mit dem Zusatz Designer bedeutet es das Gegenteil.
Gruppe 3: [M. Ali Kelekçi, Elif Yergezen, Funda Gürbüz, Nesrin Turan]
Diese Gruppe hat die Massenmedien, durch die sich Homo Germanicus informiert,
miteinander verglichen.
200
Der Homo Amateur liest das Goldene Blatt, Neue Revue und Bild. Das Goldene Blatt
und die Neue Revue sind „Boulevard-Blätter“ (französisch= große Straße) für die breite
Menge auf der Straße, ohne Niveau, mit vielen bunten Bildern, Klatsch, ähnlich wie die
BILD-Zeitung, aber es sind Wochenblätter, einmal die Woche, etwas dicker und mit
Themen über Königshäuser (die lieben die Deutschen besonders), Filmstars, ein wenig
nackte Frauen usw.
Der Homo Profi liest die Welt und das Handelsblatt. Die Welt und Handelsblatt sind
ähnliche Zeitungen, die aber im Vergleich zu dem Goldenen Blatt und Neue Revue
gemessener zu sein scheinen. Die Welt ist eine überregionale Tageszeitung und wird in
130 Ländern verkauft. Handelsblatt geht in die Richtung der Wirtschaft und enthält die
Nachrichten über Handel. Es ist eine Tageszeitung und die größte Wirtschafts- und
Finanzzeitung in deutscher Sprache.
Der Homo Feuermacher liest, vorausgesetzt er lesen kann, die National Zeitung.
National Zeitung hat eine ideologische Richtung und spricht die Rechtsextremen und
Nationalisten an. Sie ist eine Wochenzeitung und wurde im Jahr 1971 gegründet. Diese
Zeitung unterstützt stillschweigend die Gewalt gegen Asyl und Ausländer in
Deutschland.
Die Homo Feuerlöscherin hat Stern Spiegel, Frankfurter Rundschau, TAZ und die
Stiftung Warentest abonniert. Die TAZ ist die (Berliner) Tageszeitung und wird von
linken Intellektuellen gelesen.
Bei den Zeitungen der Homo Feuerlöscherin gibt es zwei gegensätzliche Gruppen. Die
TAZ ist links, die FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) dagegen rechts, konservativ.
Sie hat den Reklamespruch Dahinter steckt ein kluger Kopf. Wer sie liest, ist hinter der
Zeitung. Stiftung Warentest ist ein Blatt der Verbraucherschutzorganisation, die die
Rechte der Verbraucher verteidigt.
Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) liest Max, Wiener, Tempo und die Financial
Times. Max dürfte der TAZ ähnlich sein, nur in Richtung Wochenblatt mit Bildern und
längeren Artikeln. TAZ und Max sind auf jeden Fall die Gegensätze zur Neuen Revue
201
und dem Goldenen Blatt. Wiener ist eine österreichische Tageszeitung, dagegen ist
Financial Times eine englische Zeitung über Finanz und Ökonomie.
Gruppe 4: [Sonay Kabadayı, Gülce Karacaer, Burcu Kaleli, Kadriye Erkan]
Diese Gruppe hat die Essgewohnheiten des Homo Germanicus verglichen und
diskutiert.
Der Homo Amateur futtert ausschließlich Eisbein, Sauerkraut und Kartoffeln. Eisbein
nennt man auch Schweinshaxe, Haxe, Stelze oder Surhaxe. Für Eisbein verwendet man
entweder die kleinere Hinterhaxe oder die fleischigere Vorderhaxe vom Schwein. Die
Hinterhaxe wird meist gekocht und die größere Vorderhaxe lässt sich auch grillen.
Traditionell wird Eisbein mit Sauerkraut und Kartoffeln serviert.
Der Homo Profi ernährt sich normalerweise von Hummer und Kaviar, lediglich alle
vier Jahre vertilgt er öffentlich einen Teller Erbsensuppe. Normalerweise essen sie nur
gutes, teures Essen, das sich nur Leute mit sehr viel Geld leisten können, aber alle vier
Jahre, wenn wieder Wahlen sind, essen sie öffentlich, bzw. demonstrativ, damit die
Öffentlichkeit es sieht, Erbsensuppe.
Der Homo Feuermacher stopft sich mit Hansapils aus der Dose und Chips voll. Hansa
Pils ist germanisches Bier mit saurer Bitterkeit und hat eine glänzende Farbe. Es gibt
unterschiedliche Dosen, bzw. Erbsedosen, Tomatedosen, Mohrrübedosen etc. Aus
diesen Dosen kann man jederzeit leicht essen, ohne zu kochen und dafür Zeit zu geben,
was außerdem für Chips gilt.
Die Homo Feuerlöscherin verzehrt primär Reformhauskost, Pizza und Döner-Kebab.
Döner (dönmek) bedeutet im Türkischen „umdrehen“. Ein großer Fleischstück,
mittendurch mit einem Nadel gesteckt, brät man um sich drehend am Herd und mit
einem Messer nimmt man vom Fleisch kleine Stücke, die im Fladenbrot zusammen mit
Gewürze serviert werden. Die Türken in Deutschland essen Döner-Kebap häufig, weil
sie daran glauben, dass Döner-Kebap kein Schweinfleisch enthält. Pizza ist eine
italienische Spezialität, die aus einfachem Hefeteig zubereitet wird. Pizza ist würzig
belegtes Fladenbrot.
202
Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) ernährt sich in erster Linie sündhaft teuer und
zweitens japanisch. Mit sündhaft teuer betont man, dass Scheuklappicus für Essen und
Trinken zu viel Geld ausgibt. Japanisches Essen ist gleichfalls sehr teuer. Zur
japanischen Küche zählt man Sushi, Hoya, Namako, Nari etc.. Japanisches Essen ist
fettarm, extrem gesund und zudem schmackhaft.
Gruppe 5: [Zeynep Akduman, Fatma Aşıcı, Serap Sinop, Gülçin Pelit, Nihal Avdar]
Diese Gruppe hat die Orte, wo Homo Germanicus wohnt, verglichen, um festzustellen,
welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Wohnungen und ihren
Benutzern vorkommen.
Der Homo Amateur träumt von einem Einfamilienhaus auf dem Lande, weil es
bequemer ist, in solchen Häusern zu wohnen. Die Landschaft spielt dabei eine große
Rolle.
Der Homo Profi residiert mit Leibwächtern in seiner bescheidenen Luxusvilla.
Luxusvillen sind schöne und teure Häuser. Man kennt sie aus den Filmen oder
Fernsehserien. Um eine Villa bauen oder kaufen zu können, braucht man viel Geld,
deshalb residieren nur reiche Menschen in Luxusvillen. Es ist gewöhnlich, dass man
jede Villa mit Wächtern und Hunden schützt.
Der Homo Feuermacher vegetiert im kaputten Elternhaus. Die Menschen wie
Feuermacher sind sehr faul, deswegen möchten sie nicht arbeiten und darüber hinaus
haben sie kein Geld, in einer Wohnung allein zu leben und ihr Leben frei von ihrer
Familie weiterzuführen.
Die
Homo
Feuerlöscherin
wohnt
im
städtischen
Mehrfamilienhaus.
In
Mehrfamilienhäusern leben mehrere Familien zusammen und teilen die Miete. Somit
müssen diese Familien nicht viel bezahlen, was ihr Leben erleichtert.
Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) haust in Penthäusern und luxussanierten
Altbauwohnungen. Diese Wohnungen sind nicht nur teuer, sondern auch auffällig.
Altbauwohnungen sind wertvoll, weil sie aus alter Zeit stammen, d.h. eine lange
203
Geschichte haben. Solche Wohnungen tragen die Spuren der Geschichte, deshalb mag
Scheuklappicus besonders in solchen Wohnungen hausen.
Gruppe 6: [Inna Dragneva, Burçin Özgün, Barış Aydın, Gülden Güneş]
Diese Gruppe vergleicht die Ferienorte, wohin Homo Germanicus gerne reisen
möchten.
Der Homo Amateur trifft man scharenweise auf Gran Canaria und Mallorca. Sowohl
im Winter als auch im Sommer hat Gran Kanaria ein sehr gemäßigtes Klima, deshalb
besuchen jedes Jahr mehr als 2 Millionen Menschen Gran Canaria. Diese Insel, die im
Süden ist, ist ein touristisches Zentrum. Mallorca ist eine Stadt in Spanien, die tausende
Touristen dorthin zieht.
Der Homo Profi wandert
im Urlaub durch deutsche Lande und
macht
Parlamentarierreisen auf Staatskosten nach Madagaskar. Wegen seiner Arbeit mag er in
Deutschland bleiben, weil er für Urlaub kein Geld ausgeben mag. Er macht
Parlamentarierreisen nach Madagaskar auf Staatskosten, wo er dazwischen auch einen
Urlaub machen kann.
Der Homo Feuermacher macht Urlaub in Rostock, Hoyerswerda, Mölln und Solingen.
Diese Städte haben eine schwarze Geschichte. Die Spuren von Nazis und von
Rechtsradikalen kann man in diesen Städten sehen, deshalb fährt der Feuermacher in
diese Städte. Er fährt dorthin als Erinnerung, d.h. um sich an die Tat seiner Partei zu
erinnern und seine alten nationalen Gefühle wieder zu erleben und zu erfühlen. Diese
Menschen haben im Allgemeinen psychische Probleme.
Die Homo Feuerlöscherin macht Studienreisen durch die Südtürkei, Kreta und
Asylbewerber-Unterkünfte. Da die Feuerlöscherin für die Freiheit der Menschen, für
ihre Rechte und für Solidarität kämpft, mag sie ihren Urlaub in den Ländern der
Emigranten in Deutschland machen. Damit will sie zeigen, dass sie nicht gegen
Ausländer ist.
Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) fährt übers Wochenende nach Sylt und Ibiza
bzw. hält sich ansonsten am liebsten auf den Seychellen oder in Brasilien auf. Diese
Länder haben warmes Klima, besonders im Sommer ist es da sehr warm. Wer seine
204
Freiheit und Ruhe finden möchte, der fährt nach diesen Ländern. Die Menschen aus
Hollywood fahren sehr häufig dorthin.
Gruppe 7: [Sevim Kırlangıç, Nevin Genç, Kerem Erol, Aslı Hotalak, Aylin Karabaş]
Diese Gruppe hat die linguistischen Unterschiede von Homo Germanicus verglichen,
um ihren Blickwinkel auf das soziale Leben festzustellen.
Der Homo Feuerschürer Amateur sagt „Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber …“
Das zeigt uns, dass der Amateur in seinem Kopf über die Ausländer Fragezeichen bzw.
Vorurteile hat, weil er unsicher ist, ob er gegen oder für Ausländer sein soll. Das
bedeutet, dass er die Ausländer nicht richtig kennt.
Der Homo Feuerschürer Profi ruft „Das Boot ist voll“ und anschließend „Ich bin tief
betroffen“. Mit der Aussage „Das Boot ist voll“ meint er, dass keine weiteren Ausländer
mehr reingelassen werden dürfen. Deutschland ist voll genug mit Ausländern. "Ich bin
tief betroffen“: Nach Anschlag gegen Ausländer. Diese Aussagen zeigen eindeutig,
dass der Profi zwei Gesichter hat. Er ist in der Regel gegen Ausländer, aber aus
politischen Gründen täuscht er Ausländerliebe vor und sagt, dass er von Anschlägen
gegen Ausländer tief betroffen ist.
Der Homo Feuermacher brüllt: „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen!“. Ganz
offen sagt er, dass er gegen Ausländer ist. Er will in Deutschland nur die Deutschen
sehen. Das zeigt uns den Blickwinkel der Rechtsextremisten und Nazis. Sie sind
Rassisten und erkennen die Menschen aus anderen Kulturen gar nicht an.
Die Homo Feuerlöscherin flüstert „Liebe deinen Nächsten usw“. Sie ist immer für
Solidarität, Nationalität der Menschen ist kaum von Bedeutung. Wichtig sind nur die
Freiheit der Menschen und ihre sozialen Rechte.
Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) jubelt „Hurra, der Dollar ist gefallen!“. Er
beschäftigt sich mit Wirtschaft und Finanz, dagegen sind die anderen Probleme der
Menschen wie z.B. Menschenrechte, Hunger, Ausländer, Asyl etc. für ihn kaum von
Bedeutung.
205
Aktivität 4:
Bei dieser Aktivität haben wir von den Studierenden erwartet, die
vorkommenden Vorurteile im Text zu notieren und sie zu besprechen. Ausgehend von
den davor durchgeführten drei Aktivitäten, die die Studierenden pflichtbewusst und
ernsthaft realisiert haben, haben die Studierenden zum Ausdruck gebracht, dass dieser
Text keine Vorurteile enthält, sondern er analysiert aus verschiedenen Gesichtspunkten
das Verhalten der Deutschen gegen die Ausländer. Es ist ganz sicher, dass nicht alle
Deutschen die Ausländer in Deutschland sehen möchten. Daneben gibt es Deutsche, die
mit den Ausländern sehr zufrieden sind und mit ihnen friedlich leben. So ein Verhalten
gilt nicht nur für die Deutschen; in jedem Land gibt es rassistische Menschen.
5.2.8.4. Textanalyse
„Homo Germanicus“, der „deutsche Mensch“, wird genetisch in vier Untergruppen
aufgeteilt. Das Wort genetisch deutet auf die Ideologien, Parteien und Organisationen
hin. Im Text kommen vier Untergruppen vor, nämlich die Politiker, die Feministen, die
Rassisten und die Ökonomisten. Darüber hinaus verweist der Autor mit dem Wort
genetisch darauf, dass die Neigung zu der einen oder der anderen dieser Gruppen sich
aus dem Aufwachsen in der entsprechenden Familie ergibt. Sehr vereinfacht gesagt:
Bei rassistischen Familien wachsen rassistische Kinder auf, während bei Politikern
Kinder aufwachsen, die eher mit Politik zu tun haben wollen.
Wieder muss man feststellen, dass ein solcher Text mit seinen ironischen Übertreibungen
sehr gut dazu dienen kann, Diskussionen anzuregen. Aber dadurch, dass als Endziel
dieses Lernprozesses ein ausgewogenes Urteil vorgesehen ist, wird die ironische
Verfremdung relativiert.
Die genannten Untergruppen werden mit dem Feuer identifiziert, obwohl sie mit dem
Feuer nichts zu tun haben. Der Begriff „Feuer“ wird hier jedoch als Mittel benutzt, um
die genetisch aufgeteilten Gruppen konkret voneinander zu unterscheiden und ihr
charakteristisches Wesen zu zeigen. In diesem Punkt ist es von Bedeutung, eine
Wortanalyse der vier Untergruppen zu machen, die ironisch mit dem Begriff „Feuer“
verbunden werden:
Der Feuerschürer (Politiker): schüren; anfachen, indem man im Feuer stochert, damit
Luft zugeführt wird. Den Brand, das Feuer in der Heizung, im Ofen vergrößern
(Wahrig, 1986; 1149). Im Zusammenhang mit der Thematik „Migration und Ausländer“
206
nimmt der Begriff Feuerschürer eine negative Bedeutung an, weil er die Probleme
vergrößert.
Der Feuerschürer lässt sich nach zwei Aspekten analysieren: Amateur und Profi.
Der Profi hat ein hohes Ansehen und kleidet sich, isst und reist passend zu seiner
Position. Während der Profi sich normalerweise von Hummer und Kaviar ernährt,
vertilgt der Amateur lediglich alle vier Jahre öffentlich einen Teller Erbsensuppe. Das
ist eine ironische Anspielung auf bzw. Kritik an seinem Verhalten. Normalerweise
essen sie nur gutes, teures Essen, dass sich nur Leute mit sehr viel Geld leisten können,
aber alle vier Jahre, wenn wieder Wahlen sind, essen sie öffentlich bzw. demonstrativ,
damit die Öffentlichkeit es sieht, nämlich Erbsensuppe. Diese Suppe gilt als Essen von
Menschen mit wenig Geld bzw. „Arme-Leute-Essen“. Die Politiker essen alle vier Jahre
solche Erbsensuppe (also in der Zeit kurz vor den Wahlen), um dadurch ihre „Nähe“ zu
den unteren Schichten (die aber oft die meisten Wähler ausmacht) zu demonstrieren und
sie dazu zu bewegen, sie zu wählen. Übrigens ist diese Vorgehensweise mit Sicherheit
nicht nur typisch für deutsche Politiker, sondern auch viele türkische Politiker haben
diese Strategie mit der demonstrativen, medienbegleiteten Speisung der Armen benutzt.
Profi und Amateur zeigen bezüglich ihres Verhaltens große Unterschiede, die hier als
ironisch gebündelte Vorurteile erscheinen, aber auch Gemeinsamkeiten treten hervor.
Die Ausländerproblematik ist eine der wichtigsten Fragen für die deutsche Regierung.
Politiker, Abgeordnete und auch einfache deutsche Bürger haben eine große Sensibilität
für dieses Thema, deshalb zeigt ihre Haltung zu diesem Thema große Unterschiede.
Ganz offen sagt der Profi: „Der Boot ist voll“. Der Boot symbolisiert hier Deutschland,
und voll erscheint es vor allem den Profis wegen der Ausländerproblematik. Die
Aussage Das Boot ist voll hat die Bedeutung, dass Deutschland genug Ausländer hat.
Der Profi meint, dass keine weiteren Ausländer mehr hereingelassen werden dürfen.
Dagegen erscheint für den Amateur dieses Problem mit vielen Fragezeichen ungelöst.
Er findet die Ausländer in der Regel unangenehm, aber das bringt er nicht so ganz offen
zum Ausdruck, sondern eher indirekt.
Der Feuermacher: der Macher; jemand, der als treibende Kraft wirkt, Antreiber
(Wahrig, 1986; 852). Man weist hier auf die Menschen hin, die danach streben, mit
Macht und Gewalt, die sie aus ihrem Hass nähren, etwas schaffen zu können. So ein
Verhalten verursacht in der Gesellschaft nur Probleme.
207
In diesem Text symbolisiert der Feuermacher die problematische Jugend. Sie ahmen die
Nazi-Soldaten nach, deshalb tragen sie Bomberjacken, lesen nur die nationalen
Zeitungen, die die nationalen sowie rassistischen Gefühle der Jugend anschwellen
lassen. Mit anderen Worten:
Sie schaffen Bilder, die zu den entsprechenden
Gefühlsaufbrüchen passen. Diese Gefühle der rassistischen Jugend brechen auf, immer
wenn sie irgendwo Ausländern begegnen. Die Aussage Ausländer raus, Deutschland
den Deutschen und auch die Routinebesuche dieser Jugendlichen in Rostock, Mölln und
Solingen, wo damals die fünf türkischen Ausländer von den deutschen Rechtsextremen
und Nazi-Sympathisanten verbrannt wurden, zeigen den Hass der Rassisten auf
Ausländer.
Der Feuermacher arbeitet nicht, hockt vor dem Fernseher, isst aus Dosen und Chips und
trinkt Hansapils (ein Hamburger Bier). Er vegetiert im kaputten Elternhaus. Er hat kein
Geld, in einer eigenen Wohnung allein zu leben und sein Leben frei von der elterlichen
Familie selbständig weiterzuführen.
Die Feuerlöscherin: Unter den vier Feuer-Untergruppen ist die Löscherin die einzige,
die ein positives Image widerspiegelt. Symbolisch bestrebt sie sich darum, das Feuer,
welches von den Anderen vergrößert wurde, zu löschen, mit anderen Worten die
gespannte Atmosphäre in der Gesellschaft zu verringern. Deswegen sitzt sie in der
Bürgerinitiative. Um das Leben für sie und auch für die Anderen lebenswert zu machen,
verteidigt sie die Menschenrechte und sorgt sich um Tiere und Natur. Die
gesellschaftlichen Organisationen sind für sie aus diesen Gründen ein Mittel, um ihr
Ziel zu erreichen.
Ausländerfeindlichkeit (Homo Feuerschürer und Homo Feuermacher) stehen gegen
übertriebene Ausländerliebe (Feuerlöscherin). Interessant ist es, dass hier die
Ausländerliebe feminisiert wird. Anscheinend gibt es den männlichen Typ des
Feuerlöschers nicht.
Der Scheuklappicus (Yuppicus): Scheu bedeutet die Angst vor dem Kontakt mit
jemandem oder etwas. Das Kunstwort ist nach „Scheuklappen“ gebildet, mit dem ein
Pferd vor dem Scheuen bewahrt werden soll, indem es nicht zur Seite sehen kann. Im
übertragenen Sinn verwendet man den Begriff auch für Menschen, die nur einseitig
208
Ausschau halten und sich keinen Überblick verschaffen. Entsprechend ist das zweite
Kunstwort ebenfalls eine latinisierte Form für einen „modernen und erfolgreichen
jungen Mann“.
Im Zusammenhang mit dem Inhalt des Textes behauptet man, dass der Scheuklappicus
Angst vor den Ausländern in Deutschland hat, d.h. er ist kontaktscheu gegenüber ihnen.
Das hat viele Gründe. Er will mit Ausländern keinen Kontakt haben, um nicht mit ihren
Problemen konfrontiert zu werden, sie nicht Ernst nehmen zu müssen, und sich nur auf
seine Arbeit konzentrieren zu können.
Da anscheinend außer Homo Feuerschürer, Homo Feuermacher und Homo
Feuerlöscherin nur noch Homo Scheuklappicus zu existieren scheint, bedeutet das
offenbar, dass diese Homo-Gruppierung unabänderlich ist; denn es gibt keine
Untergruppe, die reflektiert und, ohne Ausländer zu stigmatisieren (positiv oder
negativ), nachdenkt und handelt. Zu diesem Punkt ist die folgende Aussage von Osman
Engin erwähnenswert:
In letzter Zeit haben sich die Deutschen in zwei Lager aufgeteilt:
Die eine Hälfte will uns mit Messern, Pistolen und Molotowcocktails
umbringen und die andere mit ihrer übersteigerten Liebe (Engin,
1992; 160).
Ironisch wird damit klargestellt, dass jede Initiative, das Ausländerproblem zu
behandeln, ob mit positiver oder mit negativer Zielsetzung, jeweils ihre Schattenseiten
und unerwartete Folgen haben kann.
5.2.9. Unterrichtsmodell 9: Sprich langsam, Türke!
5.2.9.1. Textinhalt
Der Text konzentriert sich auf die Sprache und Kommunikation der Türken in
Deutschland und auf ihr Verhalten in der deutschen Gesellschaft. Die Sprechhaltung der
Türken, die seit etwa 45 Jahren in Deutschland leben, und ihre Annäherung an die
deutsche Sprache nimmt man ironisch in die Hand, indem man die Relation zwischen
Kultur
und
Sprache
vergleicht,
um
festzustellen,
woher
die
Türken
ihre
Sprachgewohnheiten erwerben. Man vergleicht außerdem die morphologischen und
syntaktischen Unterschiede der deutschen und türkischen Sprache, die zu den Gründen
der hektischen Sprechweise der Türken gezählt werden.
209
5.2.9.2. Lernaktivitäten
Der Text „Sprich langsam, Türke!“ ermöglicht uns unter anderem fünf Aktivitäten
durchzuführen,
die
darauf
abzielen,
die
Sprechfähigkeit
und
Kommunikationsbereitschaft der Studierenden zu entwickeln sowie artikulatorische und
grammatikalische Besonderheiten der deutschen und türkischen Sprache zu vergleichen.
Somit werden sie sich die Unterschiede beider Sprache leichter aneignen, was beim
Lernen der deutschen Sprache positiv wirkt.
Aktivität 1: Zur Sprechfähigkeit, Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft: Zitieren
Sie die türkischen Wörter im Text! Was für Assoziationen rufen diese Wörter bei ihnen
hervor? In diesem Schritt spielen die Studierenden die erste Stelle vor, die die
alltäglichen Gespräche der Türken am Straßenrand darstellt. Mit dieser Aktivität
möchten wir die Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft der Studierenden fördern
und ihre Körpersprache begünstigen.
Aktivität 2: Zur Sprechfähigkeit: Die Studierenden sollen die folgenden Wortgruppen
kommentieren und sie zur Migrationsproblematik in Beziehung setzen.
•
von Türken urbanisiertes Viertel
•
Sprache und Integration
Aktivität 3: Zur Sprechfähigkeit: Was für Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es
zwischen den türkischen Jugendlichen in Deutschland und den deutschen Vo-ku-hi-laJugend? In dieser Phase vergleichen die Studierenden die türkischen und deutschen
Jugendlichen und beschreiben die Außensicht und Sprachhaltung beider Gruppen!
Aktivität 4:
Zur Sprech- und Schreibfähigkeit:
Die Studierenden zitieren und
diskutieren die Stellen, anhand deren der Autor die Kommunikation der Türken
miteinander sehr hart kritisiert. Als Hausaufgabe hat jede(r) Studierende eine Stelle aus
dem Text zu zitieren und seine Kritik zu begründen.
Aktivität 5: Die Studierenden stellen die Gründe der Sprachprobleme der Türken fest,
indem sie die syntaktischen und artikulatorischen Unterschiede der deutschen und
türkischen Sprache kontrastiv untersuchen.
210
5.2.9.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Aktivität 1: In dieser Aktivität haben die Studierenden während des Vorlesens des
Textes die türkischen Wörter im Text notiert und über ihre Assozitionen gesprochen.
Danach haben sie die erste Stelle, die die alltäglichen Gespräche der Türken am
Straßenrand beschreibt, vorgespielt.
Die zitierten türkischen Wörter sind Lan, Moruk, Ey und Schschtt, die man meistens bei
der alltäglichen Sprache am Straßenrand benutzt.
•
Lan
→ Hey Kerl
•
Moruk
→ Alter Mann, Macker (Babalık)
•
Ey
→ Hey
•
Schschtt → Guck mal her, sei ruhig, pass mal auf, sprich nicht, was ist? etc.
Die Studierenden haben über die alltäglichen Gespräche der Türken am Straßenrand
gesprochen und versucht, sie zu imitieren. Zwei Studierende sind an die Tafel
gekommen und haben die Gespräche der Menschen auf der Straße vorgespielt, was bei
den anderen Studierenden ein großes Interesse gefunden hat.
Aktivität 2:
Diese Aktivität konzentriert sich darauf, die Sprechfähigkeit der
Studierenden zu entwickeln und sie über die Türken in Deutschland und auch über die
Relation zwischen Sprache und Integration in Erfahrung zu bringen. Darüber hinaus
haben sie über die Wortgruppen von Türken urbanisiertes Viertel und Sprache und
Integration nachgedacht und ihre eigenen Meinungen zum Ausdruck gebracht.
Die Meinungen der Studierenden gingen natürlicherweise in verschiedene Richtungen.
Am Ende der Auseinandersetzung haben die Studierenden das Thema mit einem Satz
zusammengefasst. Im Folgenden zitieren wir einige Meinungen:
[Barış Aydın];
Das Urbanisieren ist ein interkulturelles Phänomen, deshalb habe ich es
kaum als ein Problem geurteilt. Auch bei uns, in der Türkei, befindet sich
Viertels, wo nur die Emigranten wohnen, z.B. Cevat Paşa Straße in
Çanakkale. Auf dieser Straße wohnen nur die Romanen, d.h. Zigeuner.
Ich bin mit ihnen immer in Kommunikation und lerne von ihnen über ihre
Kultur vieles. Sie sprechen Akzent, haben eine interessante Hierarchie, die
211
ich manchmal nicht verstehe. Nach meiner Meinung ist es für uns und für
unsere Kultur ein Reichtum.
[Burçin Özgün]:
Ich fühle mich wirklich besser, wenn ich um mich Ausländer sehe. Jeder
Mensch hat Recht, in der Türkei oder irgendwo, wo er will, sein Leben
weiterzuführen.
[Funda Gürbüz];
Die Türken in Deutschland neigen eher dazu, in demselben oder in
benachbarten Stadtviertaln zu wohnen, weil sie sich von Assimilation der
Deutschen schützen wollen. Aber wir sind nicht ganz sicher, ob diese
Selbstisolierung eine gute Lösung ist.
Nachdem Funda ihre Meinung geäußert hat, fingen die Studierenden eine lebhafte
Diskussion über Assimilation und Integration an. Sie meinten, dass die Assimilation
eine negative Bedeutung hat, während die Integration das Zusammenleben der
Menschen aus verschiedenen ethnischen Gruppen erleichtert. Darüber hinaus kann man
sagen, dass die Deutschen die in Deutschland lebenden Ausländer nicht assimilieren
wollen, sondern sie glauben, dass die Ausländer unter besseren Umständen ihr Leben
weiterführen können, wenn sie sich integrieren lassen und die deutsche Kultur besser
kennen. Dasselbe gilt auch für Deutsche, die die Subkultur der MigrantInnen näher
kennenlernen möchten.
[Şengül Çiftçi];
Die Deutschen bestreben sich nicht darum, die Türken zu assimilieren.
Wenn sie das wollten, dann erlaubten sie ihnen nicht, sich in Deutschland
Mosche bauen zu lassen. Man muss nicht vergessen, dass die Türken in
Deutschland recht haben, an deutschen Schulen und Universitäten ihre
Sprache zu lernen. Woraus stammt die Meinung, dass die Deutschen die
Türken assimilieren wollen? Ich glaube aus den alten Zeiten, d.h. aus den
60er Jahren. In diesen Jahren kannten die Deutschen und die Türken
einander nicht und sie hatten gegenseitige Vorurteile. Die negativen Spuren
dieser Vorurteile sind bis heute gelangen, deshalb bewerten die beiden Seite
manche Ereignisse einseitig.
[Elif Yergezen]: Ich glaube, jeder hat recht, wo er will, da zu leben. Ich
komme aus Aydın und da sehe ich viele Deutsche, mit denen ich in
212
Kommunikation setze. Jeder muss Empathie bilden und die anderen
Menschen denken.
Diskussionspunkt Empathie: Stellt ihr euch vor, dass es in Ankara, der Hauptstadt der
Türkei, ein Viertel gäbe, wo nur Deutsche mit einer Distanz zu den Türken leben! Was
könnt ihr darüber sagen?
[Barış Aydın]:
Es gibt auf der Welt kein Land, das nur aus einer ethnischen Gruppe
besteht. In der Türkei auch leben viele Menschen aus verschiedenen
ethnischen Gruppen. Das stört uns nicht und die türkische Regierung gibt
ihnen viele Rechte. Es ist mir egal, ob in Ankara eine Gruppe aus
Deutschen lebt. Wichtig ist nur ihre Kommunikation mit uns.
[Şirin Serpen]: Die Deutschen sollen die Türken und ihre Kultur schützen,
weil sowohl die Türken als auch Emigranten aus anderen Ländern bei der
wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands eine große Rolle gespielt haben.
Wenn die Deutschen deshalb in der Türkei sind, sich unser Land entwickeln
zu lassen, bieten wir ihnen Willkommen.
Die Meinungen der Studierenden verdeutlichen, dass sie die Migrationsproblematik
multidimensional bewertet und versucht haben, Empathie zu bilden. Am Ende der
Auseinandersetzung hat eine Studentin das Thema mit einem Satz zusammengefasst:
[Nihal Avdar];
Die Entwicklung eines Landes ist abhängig von seinen internationalen
Beziehungen.
Aktivität 3: Die Studierenden wussten nicht, was das Wort Vo-ku-hi-la bedeutet,
deshalb haben sie miteinander kurz gesprochen und versucht, die Bedeutung dieses
Wortes zu erschließen. Die Vorschläge sind um „beste Freunde“, „Schlingel“, und
„böse Jugend“ gegangen. Nach einer kurzen Diskussion wurde die Bedeutung dieses
Wortes auf die Tafel geschrieben; auch einige Fotos von Vo-ku-hi-la-Jugend wurden
mit dem Lichtprojektor an die Wand gespiegelt.
vo
ku
hi
la
↓
↓
↓
↓
vorne kurz hinten lang
213
Vo-ku-hi-la beschreibt eine Frisur, die im Laufe der 1980er und zu Beginn der 1990er
Jahre ein vorherrschender Trend war. Man sagt außerdem Nackenteppich oder
Nackenfotze. Im Folgenden zeigen wir einige Fotos von der Vo-ku-hi-la-Jugend.
Bild 3: Vokuhila
Im Laufe der Aktivität haben die Studierenden über die Unterschiede und
Gemeinsamkeiten der türkischen Jugendlichen in Deutschland und der deutschen Voku-hi-la-Jugend gesprochen; sie haben außerdem die Außensicht und Sprachhaltung
beider Gruppen verglichen. Sie sagten, dass auch türkische Jugendliche der 80er und
90er Jahre lange Haare hatten. In diesem Schritt haben sie einige Fotos von ihren Vätern
und Verwandten in den 80er Jahren gezeigt. Typisch ist für türkische Jugendliche in den
80er Jahren außerdem, dass der Pullover in der Hose mit Gürtel geschnallt ist.
Aktivität 4: Die Studierenden haben in diesem Schritt die Textstellen zitiert, wo der
Autor die Kommunikationart der Türken sehr hart kritisiert. Sie haben danach die
zitierten Stellen begründend interpretiert.
Im Folgenden zitieren wir einige Interpretationen;
214
Beispiel 1;
„Gäbe es eine Pfütze-Spuck-Weltmeisterschaft, käme über Jahre hinaus
der Champion aus Hamburg-Wilhelmsburg“.
[Aslı Hotalak]:
Das ist eine Kritik. Schriftsteller kritisiert, denn er denkt daran, dass die
Türken immer auf die Erde spucken. In Hamburg-Wilhelmsburg leben
viele Türken. Deshalb ist der Meister in Hamburg-Wilhelmsburg.
[Kerem Erol]:
In Hamburg-Wilhelmsburg leben viele Türken und der Autor sagt, dass
sie immer spucken. Er betrachtet die Türken als die spuckenden
Menschen. So bringt er zur Sprache, dass das ein unhöfliches, schlechtes
Verhalten ist und er möchte uns diese Respektlosigkeit reflektieren.
Im oben zitierten Beispiel weisen die Studierenden auf das Verhalten der türkischen
MigrantInnen im Alltag. Sie fallen besonders mit ihrer Spuckgewohnheit auf der Straße
auf. Wenn wir es vor Augen halten, dass die Menschen in der Gesellschaft einander
respektieren und gegenseitige Rechte nicht ignorieren sollen, dann müssen die Türken
in Deutschland auf ihre Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit mehr aufpassen und das
Ansehen ihrer Landsleute nicht verletzen.
Beispiel 2:
Türkische Jungs stehen gerne Kürbiskerne essend und palavernd um eine
stetig wachsende Rotzlache herum.
[Şirin Serpen]:
Der Autor kritisiert die Türken in diesem Satz. Er erzählt uns, dass die
Türken auf der Straße immer ausspucken. Türkische Junge amüsieren sich
sogar spuckend.
[Nesrin Turan]:
Der Autor vergleicht die deutschen und türkischen Jungen miteinander.
Nach meiner Meinung ist dieser Vergleich nicht richtig, denn nicht alle
türkischen Jungen behandeln so. Das ist falsch, dass alle Jungen nach
einem Jungen beurteilt werden. Das Vorurteil von dem Autor über die
türkischen Jungen zeigen diese Sätze, denn er sieht nur die Türken in
Deutschland. Ähnlich sind alle Türken nicht.
215
In diesem Beispiel kritisiert man die türkischen Jungs, die auf der Straße gruppenweise
umhergehen, herumspucken und Kürbiskerne essend ihre Umwelt verschmutzen. Eine
Studentin weist aber auf die Verallgemeinerung des Autors hin, dass sich nicht alle
türkischen Jungs in Deutschland und in der Türkei so ungehörig verhalten.
Sowohl in der Türkei als auch in Deutschland gibt es solche Menschen und dies sind
nicht nur die Jungs, die auf den Boden spucken. Solche Verhaltensweisen haben eine
große Parallelität mit dem Bildungsniveau. Denn es sind oft ungebildete Menschen, die
ihre Umwelt verschmutzen und stören.
Beispiel 3:
Wahre Lamas, auch im Denkvermögen, pflastern sie jeden Bürgersteig
mit ihrem fein austarierten Gemisch aus Speichel und Rotze zu.
Taschentücher sind ein rares Gut, und warum soll man auch einen
vollgeschnäuzten Rotzlappen mit sich herumtragen, wenn man den
flüssigen Überschuss sofort loswerden kann?
[Burçin Özgün]:
Hier gibt es Kritik gegen die Türken über ihre Sauberkeit. Das heißt, die
Türken sind schmutzig. Sie verschmutzen ihre Umgebung, mit dem sie
mit ihrem Gemisch aus Speichel und Rotze zu. Auf dem Satz sagt man,
dass die Türken Taschentücher nicht benutzen.
[Cansu Candemir]:
Die türkischen Männer beschmutzen Bürgersteige. Wegen ihnen sind die
Bürgersteige schmutzig. Sie zerstreuen Mikrobe. Das ist ein primitives
Verhalten.
Genauso wie in den ersten zwei Beispielen wurde auch hier die Sauberkeit der Türken
betont. Obwohl die Türken eine Möglichkeit haben, Taschentücher zu benutzen, tun sie
das manchmal nicht und verschmutzen ihre Umgebung. Diese Haltung wird sowohl
vom Autor als auch von den Studierenden kritisiert.
Aktivität 5: Die Studierenden stellten die Gründe der Sprachprobleme der Türken in
Deutschland fest, indem sie die syntaktischen und aussprachlichen Unterschiede der
deutschen und türkischen Sprache in einer Tabelle verglichen haben. Neun Studierende
haben diese Aktivität durchgeführt und beim Lesen des Textes die wichtigen
216
Sprachprobleme notiert. Die anderen Studierenden haben dazwischen andere
Aktivitäten realisiert.
Im Folgenden zitieren wir die Notizen der Studierenden über die Sprachprobleme;
Die Türken in Deutschland haben viele Sprachprobleme, die im Allgemeinen damit zu
tun haben, dass die türkische und die deutsche Sprache zu verschiedenen
Sprachfamilien gehören und die sprachlichen Strukturen stark divergieren. Diese
Probleme sieht man öfters bei der Aussprache, bei der Lautstärke und beim
Sprechtempo.
Die Türken
Beim Sprechen verschlucken die Türken die
Vokale und intonieren deshalb in
Stosslauten, weil es im Türkischen kein
Wort gibt, in dem man mehr als 2
Konsonanten nebeneinander stehen. Vokale
sind einfacher auszusprechen.
Die Deutschen
Im Deutschen gibt es Wörter, die 3
oder 4 Konsonanten nebeneinander
haben.
Beispiele
dafür
sind,
sprechen, gepfropft, Impfkalender
etc, welche die Türken ganz schwer
aussprechen. Sie schieben zwischen
Doppel- oder Dreifachkonsonanten
Vokale, um die Wörter leichter
aussprechen zu können. Z.B.
Stuttgart → Schututtgart, Stein
→Schıtein usw.
Typisch für die türkische Kommunikation ist Die Deutschen sprechen leiser als die
die Lautstärke. Sie sprechen laut, weil sie Türken.
glauben, die Kommunikation würde
wirksamer, wenn sie lauter als gewöhnlich
sprechen.
Die Türken sprechen sehr schnell aber Die Deutschen sprechen deutlicher
fehlerhaft. Aber langsam sprechende Türken als die Türken.
gibt es auch.
Ein anderes Sprachproblem rührt von der unterschiedlichen Syntax her.
Türkische Sprache
Deutsche Sprache
Subjekt + Objekt + Verb Subjekt+ Verb+ Objekt
Wie oben zu sehen ist, ist die Wortstellung der beiden Sprachen sehr unterschiedlich.
Deshalb übertragen die Türken die muttersprachlich erlernte Wortstellung auf das
Deutsche und sie verursachen syntaktische Interferenzfehler. So eine interferenzhaltige
Satzbildung sieht man meistens bei Infinitivsätzen, die die Türken stets gebrauchen,
weil der Infinitiv an die türkische Satzstellung gut passt, wie z.B. „Meine Frau immer
krank sein“.
217
5.2.9.4. Textanalyse
Der Text fängt mit einigen zitierten Sätzen an, die die Türken in Deutschland bei ihren
alltäglichen Gesprächen am Straßenrand häufig benutzen. Das Zitieren dieser Sätze hat
hier die Rolle, die nachfolgenden Thesen des Autors zu bekräftigen: Die türkischen
MigrantInnen sprechen auf der Straße fehlerhaftes Deutsch, was unterschiedliche
Gründe hat. Die türkischen MigrantInnen, die in ländlichen Gebieten der Türkei
aufgewachsen und dann nach Deutschland emigriert sind, haben keine schulische
Ausbildung. Deshalb sprechen sie den Dialekt ihres Landes. Demgemäß bringt der
Autor zum Ausdruck, dass diese Leute ihre hektische Sprechweise aus ihrer
Muttersprache ins Deutsche übertragen haben (S.112). Beim Aussprechen der
deutschen und der türkischen Sprache verschlucken die Türken die Vokale; das macht
ihr Deutsch zusätzlich schwer verständlich.
Dieser Text enthält im Hinblick auf die Sprachhaltung viele kritische Stellen, die sich
auf die türkischen Jugendlichen beziehen. Die Kritik konzentriert sich vor allem auf das
Verschlucken der Vokale, auf die Lautstärke und auf das Sprechtempo. Beim Sprechen
mischen sie außerdem die türkischen und die deutschen Wörter, was Kritik auf sich
zieht. Die Gründe dieser hektischen Sprechweise liegen nach dem Autor in ihrer
Geschichte, die ihr Temperament bestimmt. Daneben spielt auch ihre Unfähigkeit, sich
fremden Gewohnheiten anzupassen, eine große Rolle.
Die Lautstärke ist nach der (ironischen) Meinung des Autors für die türkische
Kommunikation typisch;
Schon aus 30 Metern Entfernung ist es möglich, den Wortlaut
mitzuverfolgen. Vielleicht tragen Türkleute immer noch ihre nomadische
Herkunft aus den Steppen Zentralasien in den Genen (S. 113).
In diesem Zitat behauptet der Autor, dass lautes Sprechen ein herkunftsbasiertes
Charakteristikum der Türken ist. Als die Türken in Zentralasien im Zelt lebten, hätten
sie angeblich durch Schreien kommuniziert. Dieser besondere Zug habe sich bis heute
wenig geändert, weil die Türken in Telefongesprächen immer noch im hohen
Dezibelbereich sprechen. Zudem sagt der Autor hier ironisch, dass man nach Meinung
der Türken durch Schreien Missverständnisse vermeide. Es gibt selbstverständlich
Ausnahmen:
218
In einem Dorf namens Saraçlı, an der Schwarzmeerküste gelegen, denken
und sprechen die Bewohner so langsam und dehnen jeden Vokal dermaßen,
dass man ungeduldig auf die nächste Silbe wartet. – Naaaaaaapiiiiiiiiin, la?
(S.114).
Neben dem Sprechtempo und der Lautstärke stellt auch die unterschiedliche
Wortstellung der türkischen und der deutschen Sprache für die Türken ein Problem dar.
Während ein türkischer Satz die Wortfolge Subjekt-Objekt-Verb erfordert, verläuft die
deutsche Wortstellung nach dem Schema Subjekt-Verb-Objekt. Übrigens übertragen die
Türken die muttersprachlich erlernte Satzstellung auf das Deutsche und produzieren
somit eine fehlerhafte Sätze. Interferenzfehler kommen in Sprichwörtern, Idiomen und
anderen alltäglichen Gesprächen häufig vor. Beispiele dafür sind:
•
Meine Frau immer krank sein
•
Du nikis mit meine Schitolz spielen, Chef, sons…
•
Auch meine Frau immer jammern
Im Laufe der Zeit sprechen auch die Deutschen mit den so, weil sie denken, wenn sie
nur genug Infinitive benutzen und etwas lauter als gewöhnlich sprechen, wird die
Kommunikation mit den Türken schon klappen (S. 115).
Das Aufteilen der deutschen Substantive in drei grammatische Genera, also in
Femininum, Maskulinum und Neutrum, spielt für die türkischen MigrantInnen beim
Erlernen der deutschen Sprache eine erschwerende Rolle, weil die türkischen
Substantive kein grammatisches oder natürliches Geschlecht haben.
Auch Konsonantenhäufung im Anlaut türkischer Wörter sind - abgesehen von Lehnbzw.
Fremdwörtern
-
kaum
möglich.
Die
Türken
haben
daher
Ausspracheschwierigkeiten, die sie durch Tilgung25, Epenthese26 oder Prothese27 zu
überwinden versuchen.
Ausgehend von den oben zum Ausdruck gebrachten Sprachproblemen der Türken in
Deutschland wird hier zur Diskussion gestellt, was für Vorteile das Erlernen einer
Fremdsprache für die türkischen MigrantInnen hat;
Türken kamen nicht für einen Sprachkurs nach Almanya, nicht, weil sie
unbedingt Land, Leute und deutsche Kültür kennen lernen wollten. Welche
25
sprachwidrige Weglassung eines der Konsonanten, die Schwierigkeiten bereiten; * Fropf statt Pfropf
sprachwidrige Lauteinschaltung im Wortinnern; *şıprechen, *tiren, *filim
27
sprachwidrige Lauteinschaltung im Anlaut; *Ipfanne statt Pfanne
26
219
Sprachkenntnisse wurden von einem Müllmann, einem Arbeiter in der
Montage oder einem Kumpel unter Tage schon verlangt? (S. 115).
In diesem Zitat ziehen besonders zwei Wörter das Interesse auf sich: Almanya und
Kültür, die bewusst auf Türkisch geschrieben sind. Über so eine Haltung hinaus will der
Autor die Reaktion der MigrantInnen auf die deutsche Sprache und auf die deutsche
Kultur vor Augen führen und ihre Sprachgewohnheit kritisieren. Erkennbar ist in
diesem Zitat, dass die türkischen MigrantInnen in ihrer Haltung gegenüber dem
Erlernen der deutschen Sprache einseitig denken. Da sie, besonders die MigrantInnen
der ersten Generation, auch ihre Muttersprache nicht gut beherrschen, konnten viele von
ihnen nicht einmal lesen und schreiben, verstehen sie die Bedeutung einer
Fremdsprache an sich nicht, deshalb haben sie zur deutschen Sprache einen
grundsätzlichen Abstand.
Die oben genannten Sprachprobleme der türkischen MigrantInnen führen die deutsche
Regierung jetzt dazu, gegen diese Sprachprobleme Maßnahmen zu treffen. Durch diese
Maßnahmen will man angeblich das Erlernen der deutschen Sprache erleichtern, die
Integration vorantreiben und die deutsch-türkische Solidarität stärken, was sich auf das
Zusammenleben
beider
Bevölkerungsgruppen
positiv
auswirken
soll.
Diese
Maßnahmen sind;
•
Türkische Gymnasiasten dürfen das neue Unterrichtsfach „Türkisch“ belegen.
•
Sachkundige Hodschas werden zum Religionsunterricht hinzugezogen.
•
Das hamburgische Schulsystem übernimmt bereitwillig die eigentlich elterlichen
Aufgaben, nämlich türkischen Kindern die eigene Kultur, Religion und Sprache
beizubringen.
•
Nebensächliche Fächer wie Deutsch oder Mathematik mit Grundkursen werden
abgeschafft, damit die Jugendlichen sofort Türkisch als Leitungskurs wählen.
Während diese Maßnahmen sich auf das Lernen der türkischen Sprache positiv
auswirken,
läuft inzwischen auf dem Campus eine ganze Generation türkischer
Abiturienten mit spitzenmäßiger Abi-Durchschnittsnote herum, die zum Teil
keinen grammatikalisch vollständigen deutschen Satz sprechen kann und
nicht weiß, was ein Verb oder ein Substantiv ist (S.117).
220
Da das Lehren der deutschen Sprache scheiterte, stießen die Türken hinsichtlich der
Integration auf entsprechende Probleme führten ihre alten Gewohnheiten weiter. Das
Ausspucken der türkischen Jugendlichen kritisiert der Autor sehr hart:
Türkische Jungs stehen gerne Kürbiskerne essend und palavernd um eine
stetig
wachsende
Rotzlache
herum.
Gäbe
es
eine
Pfütze-Spuck-
Weltmeisterschaft, käme über Jahre hinaus der Champion aus HamburgWilhelmsburg (S.118).
So eine übertriebene Kritik verletzt das Prestige der Türken und verhindert die weitere
Entwicklung und das Wachsen von Solidarität. Das wird hier an einem Beispiel aus
Hamburg verdeutlicht. Da die Kulturhoheit in Deutschland und damit auch weitgehend
die Ordnung der Schule bei den Bundesländern liegt, muss das nicht für andere
Bundesländer und für andere Großstädte gelten, aber die grundsätzlichen Probleme
können als gleichbedeutend für ganz Deutschland gewertet werden.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es in diesem Text um Sprache und Integration
und auch um Vorteile des Erlernens einer Fremdsprache geht. Die Notwendigkeit,
Deutsch (als Fremdensprache) zu erlernen ist eine Voraussetzung für die Integration
und das harmonische Zusammenleben.
5.2.10. Unterrichtsmodell 10; Länder, Türken, Abenteuer
5.2.10.1. Textinhalt
Der Text Länder, Türken und Abenteuer konzentriert sich auf die Gründe der
Missverständnisse und Vorurteile zwischen Deutschen und Türken. Daneben stellt der
Autor die Funktion der Massenmedien bei diesen Missverständnissen zur Diskussion.
5.2.10.2. Lernaktivitäten
Von dem Text „Länder, Türken, Abenteuer“ ausgehend wurde den Studierenden nach
dem Vorlesen des Textes in der Klasse eine Hausaufgabe gegeben, die Motive im Text
herauszufinden. Die Studierenden sollten Lernaktivitäten entwickeln und sie vor der
Klasse einzeln oder in Gruppen präsentieren.
Aktivität 1:
Diese Aktivität wurde von sechs Studierenden entworfen. Die
Studierenden werden die komischen und ironischen Stellen im Text unterstreichen und
221
sie analysieren. Außerdem versuchen sie zu klären, warum der Autor die
unterstrichenen Stellen komisch oder ironisch darstellt.
Aktivität 2:
Drei Studierende, haben bei dieser Aktivität als Ausgangspunkt die
Karikatur im Text gewählt und sich darum bemüht, sie im Hinblick auf das Thema zu
analysieren.
Aktivität 3:
Drei Studierende haben angeboten, die Vorurteile im Text zu
thematisieren, indem sie ihre Gründe vor Augen stellen. Ihre Lehrmaterialen sind Bilder
und Videos über die türkische Kultur.
Aktivität 4: Vier Studierende sind zur Idee gekommen, aus der türkischen Zeitung
Hürriyet Nachrichten über die Türken und ihre Kultur zu finden und diese Nachrichten
nach ihrer Reflexion der Realität zu analysieren.
Aktivität 5: Ziel der Studierenden ist, mittels dieser Aktivität zu zeigen, dass die
türkische Kultur im Vergleich zu der arabischen Kultur sehr anders ist und dass beide
Kulturen aus verschiedenen Wurzeln kommen.
5.2.10.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten
Aktivität 1: Bei dieser Aktivität haben drei Studierende die komischen und ironischen
Stellen im Text unterstrichen und sich darum bemüht, die unterstrichenen Sätze zu
erklären. Sie haben diese Aktivität als Hausaufgabe vorbereitet und in der Klasse
vorgetragen.
1. Um die Gründe umfassend zu erörtern, bräuchte man mehrere Hundert Seiten.
Dann würde das Buch für den Leser aber mehr Kosten als Nutzen verursachen.
Das ist eine sachliche Kritik an den Menschen, die kaum Geld ausgeben, um
etwas lesen und erfahren zu können.
2. Nicht-Wissen wurde durch Vorurteil und Desinteresse durch Ignoranz ersetzt.
Von diesem Satz ausgehend werden die Menschen kritisiert, die keine Mühe
geben, um etwas zu lernen. Die ungebildeten Menschen haben gegen alles
Fremde Vorurteile, die interkulturelle Konflikte verursachen.
222
3. Die Zutaten dieser Berichte sind immer dieselben: ein Schuss fremd klingender
Namen und Begriffe. Man kritisiert in diesem Satz TV-Sendungen, Zeitungen,
Zeitschriften und Bücher, die so viele fremd klingende Wörter und Begriffe
enthalten, dass sie das Verständnis erschweren. So ein Sprachgebrauch ist auch
bei Politikern und Literaten üblich Wissensreichtum und Prestige vortäuschen
wollen. Wir sind aber der Meinung, dass die Fremdwörtelei das Verstehen
erschwert; wer nicht verstanden werden will, bevorzugt Fremdwörter. Ein
gemäßigter Sprachgebrauch, der die Wortwahl nicht in eine ethymologische
Richtung zwingt, ist angebracht.
4. Perfekt ausgestattet mit diesem Halbwissen gehen diese elitären Menschen auf
die armen Ausländer los. Der Autor macht die sich selbst elitär fühlenden
Menschen deshalb lächerlich, weil sie die Ausländer mit ihrem Halbwissen
verurteilen und unterschätzen. Stattdessen sollten sie sich bemühen, Auskünfte
über die Ausländer zu sammeln und somit sie ohne Vorurteile zu beurteilen.
5. Bei dem Beschneidungsritual wird den Jungen manchmal sogar noch ein kleines
Stück ihrer Piselinos drangelassen. Das Entfernen der Vorhaut erhöht auch
selten die Potenz des Mannes. Wenn es tatsächlich so wäre, würden auf der
ganzen Welt nur beschnittene Männer herumlaufen. Das ist eine komische
Stelle. Eigentlich will der Autor sagen, dass die Beschneidung nichts mit der
Potenz zu tun hat.
6. Bei diesem jahrzehntelangen brennenden Desinteresse an der anderen Kultur
also kam es, wie es kommen musste. Nicht-Wissen wurde durch Vorurteil und
Desinteresse durch Ignoranz ersetzt. Hier kritisiert er diejenigen, die gegen
Veränderung sind.
7. Ein paar Grüselgeschichten kommt aus der Nachbarschaft,…und der hat dem
echt seine Tochter verkauft? Hier gibt es zwei Kritiken. Erstens: Die Türken
erzählen einander alles weiter. Sie mögen klatschen. Zweitens:
Angeblich
verkaufen manche Familien in ländlichen Gebieten ihre Töchter, um Geld zu
haben. Sie sähen ihre Töchter als Sache.
8. Die Zutaten dieser Berichte sind immer dieselben: ein Schuss fremd klingender
Namen und Begriffe-…der Imam nimmt auf seiner Minbar Platz und betet gen
Mekka die Suren aus den Hadithen… Wenn die Türken Türkisch sprechen,
benutzen sie fremde Wörter. Hier kritisiert man die falsche Spracheverwendung
der Türken.
223
9. Die sprießenden Quellen seines objektiven Alman-Kültür-Bildes sind das
türkische Privatfernsehen und vor allem die großtürkische Zeitung Hürriyet.
Das Fernsehen und die Presse veröffentlichen die Nachrichten, ohne sie zu
hinterfragen. Deshalb benutzt man hier das Wort „objektiv“ ironisch.
10. In der Weltgeschichte tauchte zuerst der Knoblauch auf, dann der Türke. Zuerst
muss man sagen, dass der Knoblauch in Ägypten entdeckt wurde, nicht in der
Türkei. Aber wie im ganzen Orient mögen auch Türken den Knoblauch sehr und
benutzen ihn gerne bei der Zubereitung vieler Gerichte.
Aktivität 2:
Bei dieser Aktivität haben drei Studierende die Karikatur im Text
analysiert. Sie haben in der Klasse ein Referat gehalten. Hier einige Zitate aus dem
Referat;
Bild 4: Opferfest
Viele Türken leben in Deutschland. Diese Türken konfrontieren sich mit vielen
Problemen, weil sie im Ausland leben. Zu diesen Problemen zählt man hauptsächlich
Kommunikationsstörung,
Anpassungsprobleme
und
Sprachprobleme.
Deswegen
entstehen in der deutschen Gesellschaft viele Vorurteile über die Türken. Die Türken
möchten ihre Traditionen auch in Deutschland weiterführen. Aber die Deutschen
kennen diese Traditionen nicht, deshalb reagieren sie auf die Türken meistens negativ.
Die Deutschen erhalten ihre Kenntnisse über die Türken aus der Presse. Die
Nachrichten in der türkischen Presse sind im Allgemeinen sensationell und übertrieben
und reflektieren die kulturellen Eigenschaften fehlerhaft. Auf dem folgenden Bild sieht
224
man eine solche Nachricht. Man benutzt eindrucksvolle und sensationelle Mottos, die
die Vorurteile verstärken:
Bild 5: Eine türkische Zeitung und ihre Schlagzeile
Die Haltung der türkischen Presse bei der Reflektion kultureller Nachrichten ist
einseitig und falsch. Quote der Leserschaft spielt dabei eine wichtige Rolle. Man denkt,
dass die Nachrichten ohne Blut und Grausamkeit kein Interesse erwecken.
Massenkarambolagen auf den anderthalb-spurigen Highways, blutige Massaker, Amog
laufen, Terrorismus, Blutrache, die Morde wegen der Sitte sind im Allgemeinen die
häufigsten Nachrichten in der Zeitung. Die Deutschen, die ihre Kenntnisse über die
Türken aus den Zeitungen erhalten, haben nur Vorurteile gegen türkische Traditionen
und Lebensart. Daran ist teilweise die türkische Presse schuld. Z.B. Nach dem
islamischen Glauben müssen die Muslime im Opferfest Tiere opfern. Während dieser
Organisation nimmt die Presse die schlechtesten Szenen auf reflektiert sie so, als ob es
Massaker gäbe. Aufgrund dieser übertriebenen und die Tatsachen entstellenden
Nachrichten haben die Deutschen ein falsches Bild von den Türken.
Nach dem Islam geben die Muslime ein Drittel vom Fleisch des Opfertieres den Armen
und ein anderes Drittel den Verwandten und Nachbarn. Das restliche Drittel wird von
der Familie konsumiert.
225
Bild 6: Fleisch
Bild 7: Solidarität
Somit haben die Armen die Möglichkeit, einmal im Jahr Fleisch zu essen. Die junge
Generation besucht die Alten und zeigt somit ihren Respekt.
Bild 8: Respekt
Da es wenige Schlachthäuser in den großen Stadten gibt, müssen viele Menschen die
Tiere in ihrem Garten oder auf der Straße opfern. Während des Schlachtens kommen
die Menschen zusammen und schauen zu. Im Koran steht:
Ya Fatıma, geh neben das Opfertier! Bleib neben ihm, wenn es geopfert
wird! Mit dem ersten Blutstroffen wird man deine vergangenen Sünden
entschuldigen! (İbn-i Hıbban).
226
Bild 9: Schlacht auf der Straße
Aus Unaufmerksamkeit der Menschen entlaufen manchmal die zu opfernden Tiere.
Derartige Szenen werden mittels der Presse skandalös reflektiert. In der Türkei gibt es
auch hygienische Orte, um diese Tiere zu opfern.
Bild 10: Hygienische Orte für Schlachten
Hoffentlich kann die Presse die positiven Seiten dieser Phänomene sehen; denn diese
Nachrichten reflektieren die türkische Kultur und Identität nicht richtig.
Aktivität 3: Bei dieser Aktivität haben drei Studierenden die Vorurteile und ihre
Gründe thematisiert. Bei ihrem Referat haben sie Bilder und Videos über die türkische
Kultur gezeigt. Im Folgenden zitieren wir den Text, den die Studierenden während ihrer
Präsentation als Solid-Show an die Tafel gespiegelt und präsentiert haben.
227
A. Die Vorurteile der Deutschen
1. Die türkischen Männer dürfen bei euch ihre Frauen schlagen. In Deutschland
wie in der Türkei kann es schon Türken geben, die ihre Frauen schlagen, aber
das darf man nicht verallgemeinern. Es gibt gute und auch böse Menschen. Die
Fans von Hitler wirken z. B. auf Deutschland immer negativ; aber wir wissen,
dass nicht alle Deutschen wie diese Fans sind. Kurz gesagt brauchen wir keine
Vorurteile gegen die Menschen zu haben; wir müssen verallgemeinernde Urteile
vermeiden.
2. ...der Imam nimmt auf seiner Minbar Platz und betet gegen Mekka die Suren aus
den Hadithen. Diese Aussage zeigt eindeutig, dass die Kenntnisse der Deutschen
über den Islam falsch oder mangelhaft sind. Denn die Hadithen sind heilige
Erzählung von unserem Propheten Muhammed, keine Suren.
3. Die Türkei, ein Land zwischen Orient und Okzident, Schmelztigel vieler
Kulturen, eine fette Prise aus der Ali-Baba-und-die-vierzig-Räuber-Kiste. Das
Märchen Ali Baba ist ein Märchen aus 1001 Nacht. Die vierzig Räuber sind
Diebe, die den Menschen das Eigentum zu Unrecht wegnehmen. Ali Baba raubt
aber diese Sachen, die von den Räuber gestohlen sind, aus und gibt sie den
ursprünglichen Eigentümern zurück. Man denkt, dass auch Ali Baba ein Räuber
sei, das ist aber nicht so. Wichtiger scheint uns zu wissen, dass die türkische
Kultur, die aus dem osmanischen Reich stammt, anders ist als die Kultur auf der
arabischen Halbinsel.
4. ... in den dunklen, verwinkelten und engen Gassen der Kasbah findet sich nur
der eingefleischte Berber... und zur Verfeinerung das übliche martialische
Geheul, dass sich natürlich immer aus dem Koran, ergo Islam herleitet. Der
Berber bettelt auf der Straße, indem er die reinen Gefühle der Menschen
ausnützt. In der islamischen Kultur ist es verboten, die Menschen auszunützen
oder auszubeuten. Die Menschen im Ausland beurteilen den Islam vorschnell,
wenn/indem sie ausgehend von den Bettlern, die es überall mehr oder weniger
gibt, eine Verallgemeinerung machen.
5. ... die Blutrache war schon immer ein fester Bestandteil der islamischen... Zuerst
möchten wir sagen, dass diese Aussage total falsch ist, weil es nach dem
islamischen Glauben verboten ist, einen anderen Menschen zu töten. Es ist
Unrecht, die Blutrache als einen Bestandteil der islamischen Kultur zu
verstehen.
228
B. Woher stammen die Vorurteile der Deutschen gegen die Türken?
Die Deutschen haben viele Vorurteile gegen die Türken, die auf verschiedene
Phänomene zurückgehen. Manche Türken benehmen sich unter der deutschen
Gesellschaft ungehörig, und die Massenmedien reflektieren diese Verhaltendweisen
sensationell. Unter diesen Umständen kommt es zu Vorurteilen. Wenn die Deutschen
die türkischen Privatkanäle zappen, sehen sie viele negative Dinge. Ein Beispiel dafür
ist das Opferfest, bei dem wir die Kälber und Lämmer nicht nur zum Essen schlachten,
sondern um Allah unsere Dankbarkeit zu bieten. Kurz gesagt sind die Massenmedien
und das voreilige Halb-Wissen die Gründe der Vorurteile.
C. Was können wir machen, um die Vorurteile abzubauen?
Es gibt Missverständnisse. Die Deutschen verwechseln die Türken mit den Menschen
anderer Länder, z. B. mit den Arabern. Wir haben heute ähnliche kulturelle
Eigenschaften, aber das bedeutet nicht, dass die Türken Araber sind. Selsbt arabische
Länder weisen große Unterschiede in Kultur, Sitten, Bräuchen und Leben auf. Auch der
Islam selbst wird in verschiedenen Ländern, in denen er die offizielle Religion ist,
anders interpretiert. Trotz aller Unterschiede ist es ganz normal, dass es auch
Gemeinsamkeiten gibt.
Damals lebten die Deutschen und die Juden zusammen, aber wir sind nicht in der
Meinung, dass sie gleich sind. Sie haben ähnliche aber auch verschiedene Lebensarten.
Unsere Medien sollen die Nachrichten nicht entstellen und die Ereignisse nicht
übertreiben. Sie müssen die Menschen richtig informieren. Auf diese Weise können die
Deutschen diese Themen besser verstehen und ihre Vorurteile überwinden.
Aktivität 4: Vier Studierende haben aus der türkischen Zeitung Hürriyet Nachrichten
über die Türken und ihre Kultur gefunden und versucht, diese Nachrichten nach ihrer
Reflexion der Realität zu analysieren. Im Folgenden zitieren wir die Präsentation der
Studierenden;
Schlagwörter der Zeitung Hürriyet über die Türken in Deutschland;
•
24.08.2000, Almanya’da Türklere ihtiyaç yok [Türken in Deutschland braucht
man nicht]
229
•
11.02.2008, Almanya'da Türk okulları önerisi beğenilmedi. [Türkischen Schulen
in Deutschland gefallen Deutschland nicht]
•
Alman ırkçılar Türk sporculara saldırdılar [Deutsche Rassisten griffen türkische
Sportler an]
•
Hitler selamı veren ırkçılar "İstanbul'a geri dönün pis Türkler" dedi [Die
Rassisten, die Hitlergruss geben, haben „Raus nach Bosporus, Sscheisstürken“
gesagt]
•
15 Ekim 2009,Vurun göçmene [Schlagt die Ausländer]
•
29.02.2008, Yangınlardan dolayı Türk toplumu endişeli [Die Türken haben
Angst vor Brand]
•
28.02.2008, Alman Bakan:
Medya sorumlu davransın [Deutscher Minister:
Medien sollen Verantworung tragen]
•
Almanya'daki Türklerin psikolojik sorunları artıyor. [Die Türken in Deutschland
haben immer mehr psychische Probleme]
•
16 Ekim 2009, Türkler harekete geçti [Die Türken in Aktion]
Im Zusammenhang mit den Mottos in den Zeitungen möchten wir im Folgenden drei
Bilder zeigen, die die Probleme der Türken in Deutschland thematisieren. Auf dem
ersten Bild sieht man einen Türken, der mit dem Plakat in seiner Hand auf drei
Realitäten hinweisen möchte. Er lebt in Deutschland und arbeitet für die Zukunft dieses
Landes. Er hat in sich eine unerfüllte Liebe und eine große Sehnsucht nach der Türkei.
Dagegen leben in Deutschland auch Nazis, die niemanden lieben und von niemandem
geliebt werden. Deshalb gehören sie zum Niemandsland.
Auf dem zweiten Bild sieht man das Schlagwort der Nazis „Ausländer Raus“.
Deutschland bildet heute nur zusammen mit den Ausländern eine Einheit oder eine
Ganzheit. Wenn die Ausländer mit ihrem Hab und Gut Deutschland verlassen würden,
bräche dann die Ökonomie zusammen und Deutschland würde zu einem halben Land.
Auf dem dritten Foto betont man, dass die jüngere Generation der MigrantInnen
nunmehr Deutschland nicht verlassen kann, weil sie sich als ein Stück dieses Landes
fühlen.
230
Bild 11: Vaterland
Bild 12: Auslaender raus!
Abb. 3: Rückkehr
Schluss: Bei dieser Aktivität haben die Studierenden einen Solid-Show mit Nachrichten
aus der türkischen Zeitung Hürriyet über die Türken in Deutschland vorbereitet. Sie
231
haben die gewählten Nachrichten in Gruppenarbeit einzeln interpretiert. Die oben
zitierten Schlagwörter zeigen eindeutig, dass die Nachrichten der Zeitung Hürriyet
provokativ sind und nur dazu dienen können, den gegenseitigen Hass von Deutschen
und Türken zu schüren, was die Bestrebungen nach Solidarität verhindert.
Aktivität 5: Bei dieser Aktivität haben die Studierenden durch eine Solid-Show die
türkische und arabische Kultur miteinander verglichen, um zu zeigen, dass die türkische
nicht ein Stück der arabischen Kultur ist;
Titel: Die Türken und die Araber
Einführung: Wir werden heute über die Beziehung zwischen den Türken und Arabern
erzählen. Früher waren beide Völker Feinde und hatten viele Kriege. Die Türken sind
nach ihrer Niederlage konvertiert. Im Laufe der Zeit haben alle Türken die islamische
Religion akzeptiert. Dieser Prozess lässt die Ähnlichkeiten auftauchen, aber in der
Regel haben Türken und Araber verschiedene kulturelle Eigenschaften.
a. Ähnlichkeiten:
1. Sie glauben an den Islam
2. Sie sind Muslime.
3. Sie glauben an den heiligen Koran.
4.
b. Unterschiede;
1. Araber sprechen Arabisch und benutzen arabische Buchstaben. Arabisch gehört
zur semitischen Sprachfamilie.
232
Bild 13: Das arabische Alphabet
2. Man schreibt und liest die arabischen Schriftzeichen von rechts nach links.
3. Die Türken sprechen Türkisch und benutzen die lateinischen Buchstaben. Das
Türkische gehört zu den Turksprachen.
Bild 14: Das türkische Alphabet
233
4. Man schreibt und liest die türkischen Schriftzeichen von links nach rechts.
5. Sie haben verschiedenen Lebensstil.
6. Türken kommen ursprünglich aus Zentralasien. Sie leben seit den Jahren in dem
Land, das die Türkei heißt.
7. Araber trieben früher hauptsächlich auf der arabischen Halbinsel herum.
8. Türken sind keine Araber und Araber sind keine Türken.
5.2.10.4. Textanalyse
Der Text Länder, Türken, Abenteuer handelt von der interkulturellen Kommunikation
der Türken in Deutschland mit den Deutschen und fasst ihr 45-jähriges Dasein ironisch
zusammen.
Obwohl die Türken und die Deutschen seit etwa 50 Jahren zusammenleben, tauchen
immer wieder interkulturelle Probleme auf. Der Autor findet es erstaunlich, dass die
Menschen in Deutschland so wenig über die Kultur, Lebensart und Tradition der
Minderheiten wissen. In Anlehnung daran weist er kritisch auf die immer noch fehlende
Solidarität hin. Dass das Interesse an deutscher Kultur unter Türken der ersten und
zweiten Generation nur bedingt vorhanden ist, genau genommen eher gar nicht, zeigt
eindeutig, dass die Türken der dritten Generation das Zusammenleben mit den
Deutschen mehr zum Ernst nehmen als die MigrantInnen der ersten und der zweiten
Generation. Ironisch sagt der Autor, dass man mehrere Hundert Seiten bräuchte, um die
Gründe der Kommunikationslosigkeit zwischen diesen Menschen darzustellen.
Obwohl die Türken und Deutschen in Deutschland ungefähr 50 Jahre zusammen gelebt
und gearbeitet haben, haben die Deutschen gegen die Türken immer noch Vorurteile.
Der Autor stellt in diesem Zusammenhang die sehr häufigen Vorurteile zusammen:
1. Das dumme Vorurteil (Die Stimme des Volkes: direkt, doof, aber zumindest
ehrlich)
•
… und der hat dem echt seine Tochter verkauft?
•
Also der Hasan ne, der ist schon seit 15 Jahren bei uns inner Firma und
kam NICHT EINMAL zu spät…
2. Das gebildete Vorurteil (Die Stimme der Bürger, sehr bemüht, hält sich für
gebildet und durchaus an „fremder Kultur“ interessiert)
234
•
… der Imam nimmt auf seiner Minbar Platz und betet gen Mekka die
Suren aus den Haditen…
•
Die Türkei, ein Land zwischen Orient und Okzident, Schmelztiegel
vieler Kulturen
•
Eine fette Prise aus der Ali-Baba-und-die-vierzig-Räuber-Kiste
•
… in den dunklen, verwinkelten und engen Gassen der Kasbah findet
sich nur der eingefleischte Berber
•
Die Blutrache war schon immer ein fester Bestandteil der islamischen …
Der Autor weist darauf hin, dass die oben genannten Vorurteile aus dem Nicht-Wissen
oder Halbwissen stammen. Nicht-Wissen ist Selbstschuld und erscheint wegen des
Desinteresses der Menschen an der sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung in
ihrer Zeit. Dagegen kommt das Halbwissen in Verbindung mit Massenmedien vor,
deren Informationen halb und falsch, d.h. im Hinblick auf die populäre Kultur ans
Publikum gerichtet werden. Darüber hinaus kritisiert der Autor die halbwissenden
Menschen, die ihr Wissen über den Islam/Koran und über die ältere türkische Kultur
aus dem Fernsehen, aus den Zeitungen und Zeitschriften unvollständig und manchmal
falsch erhalten, deshalb nennt der Autor diese Menschen „Sofa-Kosmopoliten“. In
diesem Punkt kritisiert man wegen der schlechten Qualität ihrer Informationen und
wegen sensationsartiger und künstlich produzierter Dramatik die großtürkische Zeitung
„Hürriyet“ und die türkischen Privatsender.
Gleichfalls sind die deutschen Medien daran shuld; denn sie zeigen auch immer nur die
negativen Seiten der Türkei bzw. der Türken;
Mädchen fahren nicht mit auf Klassenfahrt, und der Sohn darf keine NichtMuslimin lieben? "Ist halt so", denken viele muslimische Jugendliche. Ein
Berliner Verein schickt integrierte Muslime in Schulen - ihre Mission;
Aufklärung. Doch oft sind auch in jungen Köpfen alte Traditionen
übermächtig (Hamann, 2010).
Oder noch ein anderer Artikel zeigt uns die Vorurteile der Deutschenmedien;
Ein
Drittel
der
in
Deutschland
geborenen
Kinder
wächst
in
Migrantenfamilien auf - sie werden mitbestimmen über die Zukunft des
Landes. Doch viele Zuwanderer sind schlecht integriert. Eine neue Studie
zeigt; Vor allem Türken zählen zu den Verlierern (Elger u.a., 2010)
235
Ebenfalls kann der Blickwinkel der Hürriyet
Deutsche sind in der Regel Rassisten, die Türken werden IMMER und
ÜBERALL in Almanya und mit voller Absicht benachteiligt und NUR die
Hürrüyet macht sich zum Sprachrohr der geknechteten und geknebelten
Türkenschaft
auf dem Weg zur interkulturellen Solidarität keine positive Rolle spielen, sondern
vertieft den gegenseitigen Hass und stiftet unter Menschen aus verschiedenen Kulturen
nur Konflikte.
Wichtig scheint es hier die Frage, was für eine Rolle das Fernsehen bei der
Charakterentwicklung der Menschen spielt? Die täglich übertragenen Programme der
Privatkanäle Star, Show tv und atv sind die beste Antwort dafür. Blutige Massaker,
Familiendramen mit obligatorisch tödlichem Ausgang, Amokläufer, ganze Stadtteile
terrorisierende
Rinder
(hinsichtlich
des
Opferfestes),
High-Society-Skandale,
Wunderheiler, Wiederholungsschleife der blutigsten Szene des Tages, Skin-Heads auf
deutschen Straßen, grimmige Teutonen-Passanten, von heimatlicher Sehnsucht geplagte
Türken etc.
Die oben genannten Fernsehprogramme erschweren die gegenseitige Verständigung
zwischen Deutschen und Türken, weil sie die kulturellen Besonderheiten teilweise und
mit ihren fehlenden und lahmenden Punkten reflektieren. Die mitgehenden lächerlichen
Kommentare des Nachrichtensprechers vertiefen den gegenseitigen Vorbehalt und
vermehren die Vorurteile.
Das Ziel des Autors ist zu zeigen, woher die gegenseitigen Vorurteile und
Missverständnisse stammen. In diesem Zusammenhang betont er am Ende des Textes
die Gründe der Vorurteile und macht deutlich, wie diese Vorurteile möglichst schnell
zu reduzieren sind. Er denkt, dass er seine Leser nicht mit Unmengen von Fakten
überfördern, aber zumindest mit einigen wenigen, hierzulande lieb gewordenen
Missverständnissen aufräumen wolle. Er gibt den Lesern den Schlüssel: Halbwissen
führt die Menschen zum Missverständnis und Vorurteil, deshalb muss man über
irgendein Thema aus verschiedenen Zeitungen und Büchern eine detaillierte
Untersuchung machen und danach eine Entscheidung treffen.
236
Der Autor macht die aus dem Halbwissen stammenden Missverständnisse und
Vorurteile deutlich, indem er sie einzeln in die Hand nimmt und die falschen
Behauptungen mit Gegenargumenten entkräftet. Wegen ihres gemeinsamen religiösen
Glaubens sieht man die Türken und Araber gleich. Vor und nach der Zeitrechnung des
Islams hatten sie eigenständige Kulturen. Deshalb sollte man die Kultur beider Völker
miteinander nicht verwechseln.
•
Türkisch besteht aus lateinischen Buchstaben, dagegen besteht Arabisch aus
arabischen Buchstaben. Beide Sprachen sind nicht einmal verwandt.
•
Das Arabische gehört zur semitischen Sprachfamilie und das Türkische zur den
Turksprachen.
•
Die arabische Sprache hat Kehlkopflaute, dagegen gibt es in der türkischen
Sprache unzählige Ü’s.
•
Die Türken kommen aus Zentralasien, die Araber aus der arabischen Halbinsel.
Nach dem Autor sind Deutsche und auch andere europäische Völker der Meinung, dass
die türkische Kultur ein Stück aus der Ali-Baba-und-die-vierzig-Räuber-Kiste sei.
Dieser Irrtum zeigt, dass die europäischen Völker die anatolische Kultur als ein Stück
der arabischen Kultur sehen. In der Regel sind die arabische und die türkische Kultur
sehr anders.
In Anlehnung an die oben genannten Vorurteile, die aus Halb-Wissen über die türkische
Kultur zutage kommen, kann man sagen, dass die Deutschen die negativen Situationen
verallgemeinern. Der Autor widerlegt diese verallgemeinernden Vorurteile;
•
Ali Baba ist ein Märchen aus dem tiefsten Orient, ein Märchen aus 1001 Nacht,
aber nicht aus der türkischen, anatolischen Kultur.
•
Kranke Männer gibt es nicht nur am Bosporus, d.h. nicht nur in der Türkei,
sonder in jeder Nation gibt es sowohl gute als auch böse Menschen.
•
Senile Herrscher sind keine türkische Eigenart.
•
Türkische Kultur besteht nicht nur aus islamischen bzw. religiösen
Komponenten, sondern es gibt Dokumentationen über die Türkei, die nicht mit
dem Gebetsruf des Muezzin beginnen.
•
Beschneidigungsritual dient nicht dazu, die Potenz des Mannes zu erhöhen; das
hat mit der Gesundheit zu tun.
237
•
Knoblauchzehe ist keine türkische Erfindung. In der Weltgeschichte tauchte
zuerst Knoblauch und dann der Türke.
Der Autor erklärt hier also die Missverständnisse und ihre Gründe. Er lädt die
Menschen aus verschiedenen Kulturen dazu ein, über die Anderen zuerst mehr zu lernen
und danach zu einem Urteil zu kommen. Es ist eine Voraussetzung der Menschlichkeit,
das Anderssein des Anderen zu akzeptieren.
Wer ist schuldig an interkulturellen Konflikten?:
- Die Massenmedien, die die
Menschen zum Hass führen.
5.2.11. Die letzte Aktivität als Zusammenfassung aller Aktivitäten: Zelt
Am Ende des Semesters haben die Studierenden auf dem Campus der Pädagogischen
Fakultät der Universität Onsekiz Mart ein Zelt aufgeschlagen, an dessen Wände sie die
in den Unterrichten vorbereiteten Plakate aufgeklebt haben. Mit dem Motto „Komm,
aber ohne Vorurteile“ haben sie den Zuschauern/Besuchern von den drei Generationen
der türkischen MigrantInnen in Deutschland erzählt und die gestellten Fragen
beantwortet. Sie haben sich außerdem bemüht, den Zuschauern beim Abbauen ihrer
Vorurteile zu helfen, falls ihre Fragen Vorurteile enthalten sollten.
Plakat 8: Migrationszelt
5.3. Schlussbemerkungen zum didaktischen Teil
Der didaktische Teil der Arbeit wird im Folgenden zusammengefasst. In diesem Teil
werden wir induktiv arbeiten. Es handelt sich um drei Schritte;
1. Schritt:
Vergleich der zehn Texte miteinander und Feststellen der
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
238
2. Schritt: Vergleich der Texte derselben Generation miteinander und Feststellen
der Gemeinsamkeiten
3. Schritt:
Vergleich der Generationen miteinander und Feststellen der
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Bei Analyse und Vergleich der Texte werden die Hausaufgaben der Studierenden als
Ausgangspunkt dienen. Diese Aufgaben wurden von 37 Studierenden am Ende des
Semesters zu Hause vorbereitet; sie enthalten als Feedback die Gedanken der
Studierenden über die behandelten Texte und Generationen. Bei der Vorbereitung der
Aufgabe haben sich die Studierenden besonders auf die folgenden Fragen konzentriert;
1. Welche Probleme und kulturellen Eigenschaften thematisieren die Texte, die wir
im Unterricht behandelt haben?
2. Was sind die Hauptthemen der ersten, zweiten und dritten Generation? Finden
Sie für jede Generation ein Motto, das sie mit einem Satz zusammenfassen
kann!
3. Welche Texte haben ihnen am besten gefallen? Begründen Sie Ihre Meinung!
Beim Zitieren der Daten haben wir uns bemüht, alle Aufgaben zusammenzufassen und
in die Arbeit zu integrieren. Über die behandelten Texte und die Analyse der Aufgaben
der Studierenden hinaus wurde geplant, Antworten auf folgende vier Fragen zu finden:
1. Inwiefern
ist
der
Einsatz
von
deutschsprachiger
Literatur
türkischer
MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei interessant und erforderlich?
2. Mit welchen Lehrtechniken kann die Migrantenliteratur erfolgreich vermittelt
werden?
3. Bei der Vermittlung von welchen Lernzielen/Kompetenzen spielt die
Migrantenliteratur eine besondere Rolle?
4. Für Texte welcher Generation interessieren sich die Studierenden am meisten?
Warum?
5.3.1. Probleme und kulturelle Eigenschaften der behandelten Texte
In diesem Teil der Arbeit werden die Antworten der Studierenden auf die erste Frage
zusammengefasst; somit wird eine allgemeine Bewertung aller Texte erreicht. Motive,
Vorurteile und Botschaft der Texte werden in ihren Hauptzügen dargestellt.
239
5.3.1.1. Texte der ersten Generation
Von der ersten Generation wurden vier Texte ausgewählt. Die epischen Texte:
Brautbeschauer und Ehegattenzusammenführung oder wie finde ich eine Frau von
Şinasi Dikmen. Die lyrischen Texte sind:
Fremde ist wo du gekränkt wirst und
Gedanken über die Rückkehr von Yüksel Pazarkaya.
5.3.1.1.1. Brautbeschauer
Der Text Brautbeschauer konzentriert sich auf die soziale Situation türkischer
MigrantInnen in Deutschland und auf ihre interkulturelle Kommunikation mit den
Deutschen. Dieses Thema hat verschiedene Motive wie z.B. Frauenrechte, Engagement,
Integration, Kulturaustausch, Konvertieren, türkische und deutsche Sitten sowie
Erziehungsprobleme in beiden Kulturen.
Bearbeitete Motive
Diskriminierung: Es gibt in der Türkei immer noch eine Diskriminierung der Kinder,
die von der türkischen Tradition herrührt. Sie werden eher in ländlichen Gebieten als in
großen Städten diskriminiert.
Nachbarschaft:
Dieses Motiv kommt daher, dass es in der Türkei mehr ländliche
Gebiete gibt als in Deutschland. Obwohl auch die Deutschen relativ eng zueinander
sind, ist das Niveau ihrer Nachbarschaft niedriger.
Sexualität: Sexualität ist in der Türkei immer noch ein Tabu, weshalb die türkischen
Jugendlichen bei ihren Liebesbeziehungen Probleme erleben. Für deutsche Jugendliche
ist dieses Thema gar kein Problem. Davon ausgehend kann man sagen, dass türkische
Jugendliche die Sexualität immer im Kopf haben und sie sehr oft von ihr (irre-)geleitet
werden.
Gegenseitiges Verhalten: Gar kein Mensch, egal woher er kommt, sei wildfremd und
das Verhalten von Nuri sei total unverständlich.
Situation der Frauen in der Gesellschaft: Die Idee, dass Männer immer bessere
Entscheidungen treffen als Frauen, ist ein Vorurteil, das sowohl deutsche als auch
240
türkische Frauen betrifft. Im Hinblick auf türkische Frauen kann man sagen, dass
Frauen in östlichen Gebieten und arbeitslose Frauen ihre Rechte bewusst aber
manchmal auch unbewusst ihren Männern überlassen, weil sie keine ökonomische
Freiheit haben.
Die Gründe der Vorurteile:
1. Verallgemeinerung: Nicht alle Deutschen, auch nicht alle Türken sind gleich.
2. Kulturelle Unterschiede: Jede Kultur hat ihre Eigentümlichkeiten.
Botschaft: Es ist notwendig, die Sitten der Deutschen zu verstehen und unsere
Kultur bekannt zu machen, um die Missverständnisse und die Vorurteile abbauen
zu können.
5.3.1.1.2. Ehegattenzusammenführung oder wie finde ich eine Frau?
Dieser Text thematisiert anhand der Ausländergesetze die Ehe-Problematik der
türkischen Männer in Deutschland. Im Text geht es um einen Gastarbeiter, der seine
türkische Freundin heiraten will. Aber da die Türkei kein EG-Land ist, gerät er in
politische Probleme.
Bearbeitete Motive im Text:
Arbeitssituationen der Türken in Deutschland: Da die Türken in der Türkei keine
Arbeitsmöglichkeit hatten, mussten sie in den 60er Jahren nach Deutschland emigrieren.
Manche konnten sehr gute Arbeitsmöglichkeiten finden, manche mussten dagegen unter
sehr schweren Bedingungen arbeiten, deren gleiche in jedem Land zu sehen sind.
Diskriminierung: Hier betont man die Annäherung der Deutschen an die Türken. Die
Türken in Deutschland behaupten, dass sie weniger rechte als die anderen Ausländer
haben. Beispiel dafür sind die Russen, die unschwer Aufenthaltsgenehmigung
bekommen können.
Menschenrechte:
Die Ausländer dürfen ihre Frauen nach Deutschland nicht
mitbringen, wenn sie nicht aus einem EG-Land kommen. Das betrachtet man als einen
Verstoß gegen die Menschenrechte.
241
Sprachprobleme:
Die Ausländer können nicht perfekt Deutsch sprechen. Das
erschwert die Kommunikation mit den Deutschen und die Integration in die deutsche
Gesellschaft. Deshalb tritt in diesem Punkt die Sprache als ein Problem hervor.
Gastarbeiter: Man sieht die Türken in Deutschland wie einen Gast, der irgendwann in
seine Heimat zurückkehren wird. Die Sehnsucht nach der Heimat ist ein Hinweis/Grund
dafür.
Ausländergesetze: Viele Ausländer betrachten diese Gesetze als einen Verstoß gegen
die Menschenrechte; in der Regel stellen sie aber keinen Verstoß gegen die
Menschenrechte dar, im Gegenteil sind sie Gesetze, die das soziale und kulturelle Leben
in Deutschland in Ordnung bringen wollen.
Heirat: Die Türken möchten in der Türkei heiraten und danach ihre Frauen nach
Deutschland mitbringen. Nach der deutschen Regierung erhöht das die Quote der
Ausländer, weshalb Deutschland immer härtere Ausländergesetze erlässt.
Gründe der Vorurteile:
1. Verallgemeinerung: Weder alle Deutschen noch alle Türken sind gleich.
2. Missverständnisse: Die Türken und die Deutschen kennen einander nicht so gut,
deshalb tauchen bei ihrer gegenseitigen Kommunikation Missverständnisse auf.
Botschaft: Alle Länder haben soziale Gesetze und die Ausländer müssen auf diese
Gesetze achten, ohne die soziale Ordnung der Menschen zu stören.
5.3.1.1.3. Fremde ist, wo du gekränkt wirst
Da die Türken in Deutschland sich unter den Deutschen fremd, allein und gekränkt
fühlen, zeichnen sich Migration und Heimweh als Zentralthemen ab. Man betont hier,
dass die Ausländer ihre Freiheit, Liebe, Freundschaft und Freunde sehr tief vermissen.
Am Ende des Textes bietet der Autor den Ausländern eine Lösung, damit sie ihre
Probleme überwinden können: gegenseitige Liebe und Toleranz.
242
Bearbeitete Motive im Text:
Sehnsucht nach der Heimat: Viele türkische Ausländer sind in den 60er Jahren nach
Deutschland unwillig emigriert, weil sie da arbeiten und Geld verdienen mussten. Am
Anfang glaubten sie, dass sie ein paar Jahre arbeiten und dann in die Türkei
zurückkehren würden. Ihre Verwandten, vor allem Kinder und Frauen, sind andere
Faktoren, die ihre Sehnsucht schüren.
Misstrauen:
Die Türken kennen die Deutschen und ihre Kultur noch nicht. Sie
konfrontieren sich in ihrem Leben vielleicht zum ersten Mal mit einer fremden Kultur,
deswegen vertrauen sie den Deutschen nicht.
Hoffnungslosigkeit: Die Türken waren dessen bewusst, dass sie in Deutschland ein
paar Jahren arbeiten mussten. Obwohl die Lebensbedingungen in Deutschland besser
als die in der Türkei waren, fühlten sich die Türken allein, einsam und bedrängt, weil
sie die deutsche Kultur noch nicht kannten. Andererseits gab es in der Türkei eine große
Arbeitslosigkeit;
daneben
herrschte
da
eine
Militärregierung,
die
die
Lebensbedingungen in der Türkei immer mehr erschwerte. Das führte die Ausländer zur
Hoffnungslosigkeit.
Liebe: Liebe stellt man in diesem Gedicht als eine Lösung aller Probleme vor; sie gilt
als das Schlüsselwort zum Eingang ins Herz des Gegenübers.
Heimat und Fremde: Man stellt in diesem Gedicht zwei Welten dar: Heimat und
Fremde. In der Heimat, d.h. in der Türkei haben die Türken ihre Kindheit verbracht;
dagegen leben sie aus politischen und ökonomischen Gründen in Deutschland.
Heimweh:
Die Größe der Sehnsucht nach der Heimat tritt als Heimweh in
Erscheinung. In dieser Zeit wirkt dieses Weh auf die Ausländer positiv, weil sie sich
dadurch kräftiger fühlten und intensiver arbeiteten, um in kürzester Zeit in die Türkei
zurückkehren zu können.
Einsamkeit:
Unter den Deutschen fühlten sie sich als Minderheit. Dieses Gefühl
erschwerte ihr Leben in Deutschland.
243
Unterschätzung: Die Kommunikation zwischen den Türken und Deutschen war in den
ersten Jahren der Migration blockiert; deswegen kannten die beiden Kulturen einander
nicht. In den ersten Jahren der Konfrontation verursachten die kulturellen Unterschiede
Vorurteile und kulturelle Konflikte.
Arbeitssituationen: Die Arbeitssituation war für die Türken sehr schwer. Nach einer
langen Arbeitslosigkeit haben sie plötzlich angefangen, in Deutschland schwere
Arbeiten zu führen, was ihre Adaptation erschwerte. In den ersten Jahren der Migration
haben die türkischen Gastarbeiter sich über die deutschen Meister in den Fabriken und
über die schwere Arbeit beklagt, weil die Mentalität der Türken und der Deutschen sehr
anders war.
Gründe der Vorurteile:
1. Unterschätzung:
Die Türken sind aus politischen (Militärputsch) und
ökonomischen (Arbeitslosigkeit) Gründen nach Deutschland emigriert. Lange
Zeit haben sie sich wie Bettler gefühlt, weil die Deutschen mit ihren Blicken so
etwas andeuteten.
Botschaft: Liebe ist die Lösung aller Probleme.
5.3.1.1.4. Gedanken über die Rückkehr
Der Text besteht aus zwei Teilen, die das Verständnis der ersten und der dritten
Generation von der Emigration widerspiegeln. Im ersten Teil thematisiert der Autor
rückblickend seine Vergangenheit, die er in der Türkei verbrachte. Der zweite Teil
erzählt dagegen vom Leben und von den Gefühlen der Jungen der dritten Generation.
Der Autor will dadurch die Aufmerksamkeit auf die großen Unterschiede zwischen der
ersten und der dritten Generation ziehen.
Bearbeitete Motive im Text:
Das kulturelle Leben in der Türkei: Dieses Motiv thematisiert man im ersten Teil
des Gedichts. Kulturelle Eigenschaften der Türken, nämlich die Beerdigung, das
Ramadanfest, das Essen, das Trinken, die Landschaft und noch vieles bilden in diesem
Teil das türkische Bild.
244
Kulturelles Leben in Deutschland:
Gewohnheiten, Schulen, Spezialitäten der
Deutschen, ihre Sprache und noch viele kulturelle Besonderheiten stellen im zweiten
Teil des Gedichts ein deutsches Bild vor.
Tradition: Deutsche und türkische Tradition stellt man im Gedicht harmonisch vor.
Gehörigkeit: Eine der wichtigsten Problematik der Ausländer in Deutschland stellt
man im Gedicht zur Diskussion: Gehörigkeit. All die Beschreibungen der kulturellen
Eigenschaften dienen in der Regel dazu, „die Gehörigkeit der Türken in Deutschland“
zu thematisieren.
Interkulturelle Unterschiede: Deutsche Kultur und türkische Kultur weisen krasse
Unterschiede in Essgewohnheit, Religion und im sozialen Leben auf. Diese
Unterschiede erschwerten besonders in den ersten Jahren der Migration die
Kommunikation zwischen den Türken und Deutschen.
Nachbarschaft:
Die Nachbarschaft ist eine besondere Eigenschaft der türkischen
Kultur. Dieses Phänomen ist eher in ländlichen Gebieten zu sehen als in großen Städten.
Wenn wir uns vorstellen, dass es in der Türkei mehr ländliche Gebiete als in
Deutschland gibt, dann leuchtet einem leichter ein, von was für einer großen Bedeutung
die Nachbarschaft für die Türken ist.
Sehnsucht nach Heimat: Fast alle türkischen Ausländer der ersten Generation hatten
eine riesige Sehnsucht nach ihrer Heimat. Sie haben in 60er Jahren in der Türkei ihre
Frauen, Kinder und Freunde hintergelassen und nach Deutschland emigriert. Aber im
Laufe der Zeit haben sie auch ihre Verwandten nach Deutschland mitgebracht, welches
den Grad der Sehnsucht teilweise verringert hat.
Heimweh: Einsamkeit in der Fremde, bzw. in der Gesellschaft sich selbst allein zu
fühlen führte die Ausländer dazu, über ihre Vergangenheit in ihrer Heimat
nachzudenken. Schritt für Schritt vermehrende Sehnsucht nach Heimat bringt mit sich
außerdem das Heimweh.
245
Gründe der Vorurteile: In diesem Teil gibt es keine Vorurteile, sondern thematisiert
es die inneren Gefühle der Ausländer.
Botschaft: In der Fremde lebe ich auch meine Heimat.
5.3.1.2. Texte der zweiten Generation
Von der zweiten Generation wurden vier Texte gewählt und mit ihren besonderen
Eigenschaften zusammengefasst:
zwei lyrische Texte von Zafer Şenocak28 und zwei
epische Texte von Osman Engin.29
5.3.1.2.1. Doppelmann
Im Gedicht Doppelmann geht es um die Integrations- und Anpassungsprobleme der
MigrantInnen, die der Autor in vier Strophen symbolisch gedichtet hat. In diesem
Gedicht stellt er die Begriffe wie „zwischen zwei Welten“ und „verlorene Generation“,
die die Situation der Jugendlichen aus ethnischen Minderheiten beschreiben, zur
Diskussion.
Bearbeitete Motive
Doppelidentität: Da die MigrantInnen dieser Generation zwischen zwei Welten und
zwei Kulturen geblieben sind, hatten sie zwei Identitäten in sich, die sie zur Depression
führten. Deshalb nennt man diese Generation außerdem „verlorene Generation“.
Zwei Heimaten: Die Ausländer sind hinsichtlich ihrer Sprache und Kultur inmitten
von zwei Ländern und können nicht entscheiden, welches Land ihre Heimat ist.
Innerlich fühlen sie sich durcheinander und haben Identitätsprobleme.
Sprache und Persönlichkeit: Die Ausländer können sowohl die türkische als auch die
deutsche Sprache. In der Türkei werden sie aus der türkischen Gesellschaft isoliert, weil
sie die türkische Sprache fehlerhaft sprechen und sich nach der deutschen Kultur
benehmen. In Deutschland ist ihre Situation in der Gesellschaft nicht anders als in der
Türkei. Auch in Deutschland bleiben sie isoliert, weil sie Ausländer sind.
28
29
Doppelmann und Tierweisungen
Dütschlünd Dütschlünd übür üllüs und Homo Germanicus
246
Identitätswunde: Die Fragen
•
Wozu gehöre ich?
•
Was bin ich?
•
Welche Sprache gehört mir?
•
Warum fühle ich mich sowohl in der Türkei als auch in Deutschland allein?
sind für die Ausländer sozusagen blutende Wunden. Sie fühlen sich so, als ob sie zwei
Gesichter und darüber hinaus zwei Charaktere hätten.
Botschaft: Identitätsproblematik der Ausländer in Deutschland, die zwischen zwei
Welten geblieben sind.
5.3.1.2.2. Tierweisungen
Die Türken haben verschiedene Persönlichkeiten, Farben und Charaktere wie eine
Blume. Aber mit ihrer Emigration nach Deutschland haben sie ihre Besonderheiten
verloren und Identitätsprobleme erlebt. Heute nennt man alle Türken und auch andere
Emigranten als Ausländer, als ob sie alle gleiche Namen und gleiche Farben hätten. In
diesem Text stellt man diesen Blickwinkel zur Diskussion.
Bearbeitete Motive i
Persönlichkeit: Die Ausländer sind in Deutschland hilflos. Sie fühlen sich allein. Die
Einsamkeit in der Gesellschaft bringt mit sich Persönlichkeitsprobleme.
Aussensicht: Die Ausländer in Deutschland kommen aus verschiedenen Ländern und
haben unterschiedliche Aussensicht und Farbe. Aber egal ist, woher sie kommen und
stammen, man nennt sie alle Ausländer.
Die Fremde: Die Menschen dieser Generation haben keine Heimat. Sowohl in der
Türkei als auch in Deutschland fühlen sie sich wie in der Fremde. Sie sind Menschen,
die keine Heimat und kein Zuhause haben, sondern sie sind zwischen zwei Kulturen
bzw. zwei Welten geblieben.
Subkultur:
Kultur der Ausländer, die sie in Deutschland unter den Deutschen
geschaffen haben.
247
Identitätswunde: Das kommt aus Gehörigkeitsproblematik vor. Die Frage Wer bin
ich? Was bin ich: Deutscher oder Türke? beeinflussen die Ausländer sehr tief. Das
Pendeln zwischen zwei Kulturen verursacht Identitätsprobleme.
Migration: Die Türken emigrieren nach Deutschland. Darüber hinaus erzählt man,
dass die Türkei ihre Farbe oder ihre Vögel verloren hat.
Charaktere: Die Türken in Deutschland haben unterschiedliche Charaktere. Dagegen
sieht man ganz offen, dass jeder Ausländer dieser Generation zwei Charaktere und zwei
Persönlichkeiten spiegelt. Ausgeblieben in der deutschen Gesellschaft sowie in seiner
eigenen Heimat, das macht in ihm unheilbare Wunden.
Botschaft:
Die Wurzeln könnte man aus ihrer eigenen Erde und aus ihrem
Himmel nicht zerreißen, sonst fallen die Blätter herunter.
5.3.1.2.3. Dütschlünd Dütschlünd übür üllüs
Der Text handelt von der Schwierigkeit für die Türken in Deutschland, eine deutsche
Staatsbürgerschaft zu bekommen. Man stellt davon ausgehend die Bürokratie zur
Diskussion, die die Einbürgerung einseitig erschwert. Dagegen haben die Bürger
anderer Nationen bessere Möglichkeiten, die deutsche Staatsbürgerschaft zu
bekommen.
Bearbeitete Motive
Ausweglosigkeit: Nach diesem Text haben die Türken in Deutschland kaum eine
andere Möglichkeit, als die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, um in
Deutschland besser leben und die deutsche Kultur näher kennenlernen zu können. Diese
Gedanken führen die Ausländer bei der Einbürgerungsprüfung zum Stress.
Deutsche Literatur: Deutsche Literatur kommt in diesem Text als ein Stück der
deutschen Kultur vor, die die Ausländer auswendig lernen müssen.
Fremdheit:
Die Türken fühlen sich in der Gesellschaft allein, weil sie mit den
Deutschen und mit den anderen Ausländern nicht die gleichen Rechte haben. Das
vermehrt die Fremdheit und darüber hinaus erschwert die Integration.
248
Staatsbürgerschaft: Bei der Überwindung der gegenseitigen kulturellen Konflikte
zwischen den Deutschen und Türken spielt die Staatsbürgerschaft deshalb eine große
Rolle, weil die Staatsbürgerschaft die interkulturelle Kommunikation vervielfacht.
Identitätsproblematik: Das Ausländersein und die Diskriminierung bei der deutschen
Bürokratie vergrößert schrittweise die Identitätsproblematik der Türken. In Deutschland
mehr rechte zu haben erleichtert das Leben und darüber hinaus die Integration.
Angehörigkeit: Das Hauptproblem der Ausländer ist die Angehörigkeit. Sie bleiben
meistens zwischen zwei Kulturen, zwei Ländern und zwei Identitäten. Die
unbeantwortete Frage „Zu welchem Land und zu welcher Kultur gehöre ich?“ führt die
Ausländer zu inneren Konflikten.
Interkulturelle Kommunikation: Die interkulturelle Kommunikation ist der einzige
Weg beim Abbauen der Vorurteile und der kulturellen Konflikte. Deshalb muss man
darauf achten, die Kommunikationsbarrieren zwischen Menschen aus verschiedenen
Kulturen zu beheben und die Menschen zum Dialog einzuladen. Die Einbürgerung
bildet auf diesem Weg eine wichtige Stufe. Deshalb muss man die Schwierigkeit bei der
Einbürgerung möglichst verringern.
Kulturelle Unterschiede:
Die Türken und Deutschen haben ganz verschiedene
kulturelle Eigenschaften, was normalerweise Missverständnisse und Vorurteile mit sich
bringt. Daher muss man darauf achten, die kulturellen Gemeinsamkeiten der Menschen
aus verschiedenen Kulturen zu betonen, ihnen Empathie beizubringen und somit ein
friedliches zusammenleben zu ermöglichen.
Diskriminierung: Die Während die Russen unschwer eingebürgert werden, haben die
Türken in Deutschland große bürokratische Hindernisse. Diese Diskriminierung
erschwert die Integration.
Gründe der Vorurteile:
Die Diskriminierung bei der Einbürgerung verursacht
interkulturelle Probleme. Die Türken haben bei der Einbürgerung größere Probleme als
z. B. die Russen. Die Anzahl der türkischen Ausländer in Deutschland, ihre Religion
etc. sind höchstwahrscheinlich die Gründe dieser Diskriminierung.
249
Botschaft: Für die Türken ist es von Bedeutung, die deutsche Staatsbürgerschaft
zu bekommen, um besser leben und sich leichter integrieren können.
5.3.1.2.4. Homo Germanicus
Der Text erzählt uns über die unterschiedlichen Charaktere der Menschen in einer
Gesellschaft. Deutsche bzw. Germanen werden in vier Untergruppen geteilt und jede
Gruppe weist auf die Position und Haltung der Menschen hin, die sie in ihrem Leben
ideologisch
übernehmen.
Aufgrund
kultureller
Unterschiede,
Einsamkeit
und
Heimatlosigkeit haben die Jugendlichen der zweiten Generation innere Konflikte; aber
nicht alle Deutschen sind mit dieser schlechten Situation der Ausländer zufrieden.
Bearbeitete Motive
Rassismus:
In diesem Text geht es um Germanen, die sich genetisch in vier
Untergruppen teilen. Feuerschürer und Feuermacher symbolisieren die die Politiker und
die Rassisten, die mit ihren Tätigkeiten und Haltungen das Zusammenleben der
Menschen aus verschiedenen ethnischen Gruppen erschweren. Sie symbolisieren
außerdem die Ausländerfeindlichkeit.
Humanismus:
Die Humanisten sind Menschen, die die Freiheit der Menschen
verteidigen. Die Menschenrechte sind für sie von großer Bedeutung, daneben sorgen sie
sich um Tiere und Natur, mit dem Ziel, das Leben lebenswert zu machen. Die
Feuerlöscherin wird als Gegenbegriff dem Rassismus gegenübergestellt.
Zusammenleben:
Auch wenn die Menschen einer Gesellschaft unterschiedliche
Charaktere ideologische Meinungen haben, müssen sie in erster Linie lernen, das
Lebensrecht und die Freiheit anderer Menschen, egal woher sie kommen, zu
respektieren. Das ist das wichtigste Kriterium des Zusammenlebens.
Menschentypen: Jede Gesellschaft besteht aus verschiedenen Menschentypen. Dieser
Tatsache folgend betont der Autor, dass auch die Deutschen unterschiedliche
Menschentypen sind, die von verschiedenen Ideologien gelenkt werden. Es ist zu
bemerken, dass nicht alle Deutschen rassistisch und ausländerfeindlich sind.
250
Gründe der Vorurteile: In diesem Text betont der Autor nicht die Vorurteile, sondern
den Irrtum der Verallgemeinerung, die zur Entstehung der Vorurteile führt.
Botschaft: Nicht alle Deutschen und nicht alle Türken sind gleich. Jede Nation
besteht aus guten und bösen Menschen. Verallgemeinerung führt zum Irrtum.
5.3.1.3. Texte der dritten Generation
Von der dritten Generation wurden zwei epische Texte von Kerim Pamuk gewählt, d.h.
Sprich langsam, Türke! und Länder, Türken, Abenteuer. Von dieser Generation wurde
kein lyrischer Text behandelt, weil die Autoren dieser Generation eher Prosa als Lyrik
verfasst haben. Die lyrischen Texte haben sie eher zum Zeitvertreib geschrieben und in
Zeitschriften veröffentlicht.
5.3.1.3.1. Sprich Langsam, Türke! von Kerim Pamuk
Der Text konzentriert sich auf die Sprache und Kommunikation der Türken in
Deutschland und auf ihr Verhalten in der deutschen Gesellschaft. Man vergleicht in
diesem Text außerdem die morphologischen und syntaktischen Unterschiede der
deutschen und türkischen Sprache, die als die Gründe der hektischen Sprechweise der
Türken gesehen werden.
Bearbeitete Motive
Sprache: Jeder Mensch hat eine Muttersprache. Er hat auch das Recht, diese Sprache
zu sprechen. In einer multikulturellen Gesellschaft ist es aber von Bedeutung, neben die
Muttersprache außerdem eine allgemein gültige Zweitsprache zu lernen und mit
anderen Menschen zu kommunizieren. Das Erlernen einer Fremdsprache spielt beim
Abbauen der Missverständnisse und Vorurteile eine besondere Rolle und erleichtert die
Anpassung und Integration.
Anpassung: Die Integration ist ein Kriterium des Zusammenlebens. Man kann für ein
friedliches Zusammenleben die Eigenschaften einer fremden Kultur lernen und
respektieren, ohne die eigene Kultur und Identität zu verlieren,.
Zusammenleben: Wenn die Menschen einander respektieren und gegenseitige Rechte
nicht ignorieren sollen, dann müssen die Türken in Deutschland auf ihre
251
Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit mehr aufpassen und das Prestige ihrer
Landsleute nicht verletzen.
Außensicht und Sprachhaltung beider Jugendlichen:
Die interkulturelle
Kommunikation ersieht man an der Außensicht der türkischen Jugendlichen in
Deutschland. Sie ahmen ihre deutschen Freunde nach, verkleiden und rasieren sich
ähnlich. Das erleichtert die Kommunikation zwischen den Türken und Deutschen.
Kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Türken und der Deutschen:
Die interkulturelle Kommunikation bringt die Jugendlichen in Deutschland, die aus
verschiedenen Kulturen kommen, zueinander näher. Da sie ihre Zeit in gleicher
Umgebung zusammen verbringen, finden sie zugleich die Möglichkeit, ihre eigenen
kulturellen Eigenschaften zu teilen und über eine fremde Kultur immer mehr zu lernen,
was ihre Vorurteile, Missverständnisse und auch ihren Hass gegen alles Fremde
beseitigt.
Syntaktische Unterschiede der türkischen und deutschen Sprache: Die türkische
und die deutsche Sprache kommen gehören zu verschiedenen Sprachfamilien, deshalb
gibt es zwischen diesen beiden Sprachen große strukturelle Unterschiede. Diese
erschweren den Türken den Erwerb der deutschen Sprache. Daneben ist es bei der
interkulturellen Kommunikation der einzige Weg, die deutsche Sprache zu erwerben.
Somit werden die Türken die deutsche Kultur näher kennen und eine Möglichkeit
finden, ihre eigene Kultur den Deutschen bekannt zu machen.
Botschaft: 1. Interkulturelle Kommunikation erleichtert das Zusammenleben und
führt die Menschen zur Solidarität. / Es ist notwendig, die Sitten der Deutschen zu
verstehen und unsere Kultur bekannt zu machen, um sich der deutschen Kultur
anpassen zu können.
5.3.1.3.2. Länder, Türken, Abenteuer
Der Text Länder, Türken und Abenteuer konzentriert sich darauf, die Gründe der
Missverständnisse und Vorurteile zwischen den Deutschen und Türken zu zeigen.
Daneben stellt der Autor die Rolle der Massenmedien dar.
252
Bearbeitete Motive
Massenmedien: Wenn wir uns der Tatsache bewusst sind, dass das Fernsehen und die
Presse die Nachrichten im Allgemeinen so veröffentlichen, ohne die Quellen der
Nachrichten genau zu untersuchen, ist es ganz normal, wenn sie Vorurteile enthalten..
Die Nachrichten in der türkischen Presse sind im Allgemeinen sensationell und
übertrieben und reflektieren die kulturellen Eigenschaften fehlerhaft.
Sprachgebrauch: Die Sprachverwendung der Türken ist mangelhaft, dabei spielen
aber die TV-Sendungen und Zeitungen eine große Rolle, weil diese Medien fremde
Wörter und Begriffe benutzen, die das Verständnis erschweren. Diese Haltung ist auch
bei Politiker und Literaten zu sehen, die Ausländerliebe vortäuschen wollen.
Interkulturelle Konflikte: Die Massenmedien, die die Menschen zum Hass führen,
spielen hierbei eine führende Rolle.
Gründe der Vorurteile sind:
Nicht-Wissen oder Halbwissen: Nicht-Wissen ist Selbstschuld und hat seinen Grund
im Desinteresse der Menschen an sozialen, kulturellen und politischen Entwicklungen.
Dagegen kommt Halbwissen in Verbindung
mit Massenmedien vor, deren
Informationen halb und falsch sind.
Massenmedien: Manche Türken benehmen sich in der Öffentlichkeit ungehörig; die
Massenmedien reflektieren diese negativen Verhaltansweisen sensationell. Unter diesen
Umständen können sich Vorurteile bilden. Wenn die Deutschen die türkischen
Privatkanäle zappen, sehen sie viel Negatives. Ein Beispiel dafür ist das Opferfest, bei
dem man die Kälber und Lämmer nicht nur zum Essen schlachtet, sondern auch um
Allah die Dankbarkeit zu bieten. Unsere Privatkanäle sollen die Nachrichten nicht
entstellen. Sonst können die Zuschauer Vorurteile haben.
Botschaft:
Halbwissen führt die Menschen zu Missverständnissen und
Vorurteilen, deshalb darf man sich nicht mit einer Zeitung begnügen. Man muss
eine Information anhand von verschiedenen Medien checken, bevor man sie
glaubt.
253
5.3.2. Hauptthemen der Generationen und ihr Motto
Von den behandelten Texten ausgehend werden in diesem Teil der Arbeit die
Hauptthemen aller Generationen zusammengefasst;
5.3.2.1. Hauptthemen der ersten Generation
1. Heimweh
2. Schwere Arbeitssituationen
3. Rückkehr
4. Sehnsucht nach der Heimat
5. Kommunikationslosigkeit
6. Nachbarschaft
7. Konfrontation mit der fremden Kultur und in Anlehnung daran Kulturschock
Das Motto dieser Generation: Die Türken und die Deutschen kennen einander noch
nicht, weil die Türken in Deutschland noch neu sind.
5.3.2.2. Hauptthemen der zweiten Generation
1. Identitätsproblematik
2. Integration
3. Innere Konflikte
4. Sprache und Persönlichkeit
5. Gesellschaftliche Probleme
6. Einbürgerung
7. Negative Wirkung der Migration
8. Identitätssuche
Motto dieser Generation:
Die türkischen Jugendlichen in Deutschland haben
Identitätsprobleme, deshalb nennt man diese Generation „zwischen zwei Welten
gebliebene und verlorene Generation“.
5.3.2.3. Hauptthemen der dritten Generation
1. Abbauen der Missverständnisse
2. Kriterien des friedlichen Zusammenlebens
3. Solidarität
254
4. Kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede
5. Kulturaustausch
Motto dieser Generation:
Die Deutschen und die Ausländer bilden die deutsche
Gesellschaft, deshalb müssen sie mit gegenseitigem Respekt zusammenleben.
5.3.3. Welche Texte gefallen ihnen am besten? Warum?
Mit dieser Frage wollten wir feststellen, welche Texte den Studierenden am besten
gefallen. Im Folgenden zitieren wir aus dem Feedback der Studierenden die als beste
gewählten Texte und die Gründe ihrer Entscheidung.
Sechs Studierende halten Brautbeschauer aus den Texten der ersten Generation für den
besten Text. Die Gründe sind:
1. In diesem Text erklärt der Autor die Probleme der Ausländer sehr gut und er
reflektiert die kulturellen Unterschiede ganz konkret.
2. Als ich die merkwürdige Kommunikation der türkischen und deutschen
Familien las, stieg meine Motivation im Unterricht.
3. Das Thema des Textes sind gesellschaftliche Probleme in der Türkei. Ich habe
gesehen, dass die Türken ihr alltägliches Leben in der Türkei nach Deutschland
mitbringen.
4. Die Aktivitäten waren sehr gut und haben unsere Motivation erhöht.
5. Die Texte der ersten Generation gefallen mir am besten. Darunter zählt man
Brautbeschauer. Er ist ein schöner und interessanter Text und erzählt vieles über
die deutsche und türkische Kultur und auch über die interkulturelle
Kommunikation zwischen den Deutschen und Türken.
6. Die ironische und manchmal satirische Kommunikation zwischen den
Deutschen und Türken habe ich sehr interessant gefunden und deshalb hat mir
dieser Text gut gefallen. Kulturelle Einheiten waren in diesem Text mehr als in
den anderen Texten.
Das Gedicht Fremde ist wo du gekränkt wirst wurde von drei Studierenden gewählt. Die
Gründe sind:
1. In diesem Gedicht konzentriert sich der Autor auf das Heimweh. Die Gefühle
der MigrantInnen der ersten Generation haben mich tief beeindruckt, weil sie die
Einsamkeit und die Sehnsucht tief gelebt haben.
255
2. Die Einsamkeit und Traurigkeit der Ausländer erzählt man in diesem Gedicht
sehr gut und verständlich. Die Texte der zweiten Generation sind gut aber
schwer zu verstehen, weil sie sehr symbolisch geschrieben sind.
3. Ich habe konkret gesehen, wie schwer es ist, in der Fremde zu leben.
Lebensbedingungen der Ausländer sind wirklich schwer und das habe ich in den
Texten der ersten Generation, besonders in Texten von Yüksel Pazarkaya
gesehen.
Gedanken über die Rückkehr wurde von fünf Studierenden gewählt. Die Gründe sind;
1. Sehnsucht nach der Heimat thematisiert man in diesem Gedicht ganz konkret
und gut.
2. Türkische Sitten sieht man hier wie ein Märchen.
3. Der Unterrichtsverlauf war sehr kommunikativ. Wir haben über die türkische
und deutsche Kultur gesprochen und einen Vergleich gemacht. Die Behandlung
dieses Textes entwickelte unsere Kreativität. Wir haben aus dem Internet über
die beiden Kulturen viele Bilder heruntergeladen und zwei Plakate vorbereitet.
An dem deutschen Tag, bei dem die Studierenden ihre Arbeiten präsentierten,
haben wir unsere Plakate ausgestellt und die Fragen der Besucher beantwortet.
4. Ausgehend von diesem Gedicht habe ich bemerkt, wie eine schöne Kultur wir
haben. Klima, Landschaft und Sitten unseres Landes beschreibt man in diesem
Gedicht wunderbar. Die Rückblende des Autors macht das Gedicht
wirkungsvoll. Daneben haben wir eine Möglichkeit gefunden, die Gewohnheiten
der Deutschen zu sehen und zu lernen.
5. Wir haben in der Klasse zwei Gruppen gebildet: Eine Gruppe hat ein Plakat
über die deutsche Kultur vorbereitet und eine andere Gruppe über die türkische
Kultur. Diese Aktivität war sehr kommunikativ und lehrreich.
Wie im Folgenden zu sehen ist, haben die Texte der zweiten Generation der Mehrheit
der Studierenden gut gefallen. Sechzehn Studierende halten das Gedicht Doppelmann
für den besten Text. Hier die Gründe:
1. Dieses Gedicht ist sehr erschütternd. Man erzählt die Erlebnisse sehr
symbolisch.
2. Die Metaphern haben mein Interesse erweckt. Ihre Darstellung spielte dabei eine
große Rolle.
3. Im Gedicht sehen wir die Fremde und die Probleme der Ausländer ganz offen.
Sie fühlen sich in der Fremde als Mitglieder einer Minderheit. Diese Gefühle
256
gelten interessanterweise auch für die Türkei. Sie haben zwei Länder, aber
trotzdem fühlen sie sich einsam und heimatlos.
4. Das Gedicht erzählt uns, wie schwer es ist, in der Fremde zu leben.
5. Ich habe eine Möglichkeit gefunden, konkret zu sehen, warum und wie ein
Mensch Identitätsprobleme lebt. Zwischen zwei Welten zu bleiben und sich zu
keiner Welt gehörig zu fühlen führt die Menschen zu inneren Konflikten. Dieses
Thema erzählt man im Gedicht sehr gut.
6. Beim ersten Lesen habe ich von diesem Gedicht nichts verstanden, aber nach der
Lösung der Kode im Unterricht habe ich bemerkt, wie tief und symbolisch es ist.
7. Am Anfang des Unterrichts hat unser Lehrer uns einige Szenen aus dem Film
„Postmann“ gezeigt. Im Film ging es ums Leben des Dichters Pablo Neruda. In
den Szenen erklärte Neruda dem Postmann, wie ein Gedicht zu schreiben und
was eine Metapher ist. Als ich erfuhr, was Metapher ist, habe ich das Gedicht
besser verstanden und eine große Freude gelebt. Danach habe ich verstanden,
wie es von Bedeutung ist, günstige Lehrtechniken zu finden und zu benutzen.
Ich werde die Bedeutung der Metaphern nie vergessen.
8. Das Gedicht stellt die Gefühle der türkischen Ausländer sehr gut dar. Auch
andere Texte thematisieren die Migration und Konfrontation der Türken mit
einer fremden Kultur. Aber dieses Gedicht erzählt die gleichen Motive
eindrucksvoll und bezaubernd.
9. Mit wenigen Wörtern erzählt man in diesem Gedicht viele Dinge. Viele Bilder
tauchen in unsrem Kopf auf.
10. In einer Aktivität haben wir Plakate vorbereitet, die dem Thema des Gedichts
passen. Diese Aktivität war sehr lustig und erhöhte unsere Motivation. Die
vorbereiteten Plakate waren eine malerische Version des Gedichts.
11. Im Gedicht habe ich viele Themen in Verbindung miteinander gesehen; Zum
Beispiel
Subkultur,
innerer
Konflikt,
Sprache,
Integration
und
Identitätsproblematik. Deshalb hat dieses Gedicht mein Interesse auf sich
gezogen. Außerdem waren die Plakate, die wir im Unterricht vorbereitet haben,
sehr interessant und didaktisch. Sie dienten dazu, den Text besser zu verstehen.
Auch die Übungen erleichterten das Verstehen des Textes.
12. Dieses Gedicht hat mir am besten gefallen, weil ich in diesem Text mich selbst
gefunden habe. Ich auch lebe nicht in meiner Heimat, sondern im Ausland und
deshalb bleibe zwischen zwei Kulturen. Außerdem haben wir im Unterricht sehr
257
gute Zeit verbracht. Über die türkischen und deutschen Menschen habe ich viele
Dinge gelernt.
13. Wir haben das Gedicht mit unmetaphorischen Wörtern wieder geschrieben, ohne
aus seinem Inhalt etwas verlieren. Danach haben wir die beiden Versionen
nebeneinander gestellt und uns bemüht, den Stil des Autors festzustellen. Das
war eine kreative und ungewöhnliche Arbeit. Und die Szenen aus dem Film
„Postmann“ haben gewährleistet, die Bedeutung der Metaphern vollkommen zu
verstehen.
Nach vier Studierenden ist das Gedicht Tierweisungen der beste Text:
1. Dieses Gedicht hat eine tiefe Bedeutung und macht mich nachdenklich. Die
Begriffe wie Vogel, Baum und Farbe, die metaphorisch auf andere Begriffe
hinweisen, machen das Gedicht künstlerisch.
2. Ausgehend von den Bäumen und Vögeln erklärt der Autor die Migration und
ihre Wirkung auf die MigrantInnen sehr gut. Als ich dieses Gedicht las, kam in
meinen Sinn ein türkisches Gedicht von Yahya Kemal Bayatlı „Sessiz Gemi“,
das den Tod thematisiert, ohne das Wort „tot“ zu gebrauchen.
3. Die Aktivitäten haben meine Motivation erhöht, deshalb habe ich alles amüsant
gelernt. Wir haben auf die Tafel zwei Bilder gemalt, die das Thema des Gedichts
spiegeln, deshalb habe ich die Wirkung der Migration konkret gesehen.
4. Ich habe noch nie ein Gedicht gesehen, das die Migration so bildlich und gut
darstellt. Alle Begriffe waren symbolisch, besonders die Metaphern gefallen mir
sehr gut.
Der Text Dütschlünd dütschlünd übür üllüs wurde ein Mal gewählt:
1. Dieser Text war sehr amüsant. Er war ironisch und satirisch. Komische Stellen
haben mir auch gut gefallen.
Homo Germanicus wurde zwei Mal gewählt:
1. Am Anfang dachte ich, dass dieser Text sehr schwer und unverständlich sei.
Aber im Laufe des Unterrichts habe ich die Botschaft verstanden und war
schockiert. Alles war symbolisch und jedes Wort wies auf etwas anderes hin.
2. Die Botschaft war für jede Nation gültig: In jeder Nation gibt es gute und auch
böse Menschen.
Der Text Sprich langsam Türke von der dritten Generation wurde ein Mal gewählt.
1. In den Texten der ersten und der zweiten Generation wurde meistens über die
Gründe der Migration, über das Leben der türkischen MigrantInnen in
258
Deutschland und besonders über ihre kulturellen Probleme gesprochen. Aber in
diesem Text habe ich bemerkt, dass der Autor das Zusammenleben und die
Solidarität betonen will. Dieses Thema scheint mir wichtiger.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Texte der zweiten Generation aufgrund
ihrer Motive, Erzählhaltung der Autoren und der in den Unterrichten durchgeführten
Aktivitäten den Studierenden am besten gefallen haben. Da die Jugendlichen der
zweiten Generation mehr als die Jugendlichen anderer Generationen an interkulturellen
Problemen gelitten haben, ist die Emotionalität der Studierenden in die Höhe
geschossen, was ihre Entscheidung gelenkt hat. Auch im Unterricht haben wir bemerkt,
dass die Studierenden während der Behandlung der Texte der zweiten Generation an
den Unterrichten aktiver teilgenommen haben.
259
SCHLUSSFOLGERUNGEN
In der vorliegenden Arbeit haben wir versucht, anhand von Texten türkischer
AutorInnen in Deutschland, die beim Fremdsprachlehren in der Türkei bisher kaum
berücksichtigt wurden, ein Paket mit unterschiedlichen Unterrichtsmodellen für
türkische Studierende an der Abteilung für Deutschlehrerausbildung in der Türkei
vorzulegen.
Im zweiten Kapitel wurde das inter-/multi-/und transkulturelle Lernen im DaFUnterricht aufgegriffen, um diese Begriffe im Hinblick auf ihre Verflechtung mit der
Pädagogik zu klären und darüber hinaus festzustellen, was für Lernmodelle für die
türkischen Studierenden in der Türkei am besten geeignet sind.
Während der Begriff „multikulturell“ seinen Ursprung aus der sozialen Wirklichkeit
nimmt und auf dem Zusammenleben der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen am
gleichen Ort beruht, gewinnt der Begriff „interkulturell“ im pädagogischen Bereich an
Bedeutung. Das zeigt eindeutig, dass der Begriff „multikulturell“ auf die ethnischen
Gruppen in einer Gesellschaft und der Begriff „interkulturell“ auf die Kommunikation
dieser Gruppen zurückgeht.
Der Begriff „interkulturelles Lernen“ wurde in den 80er Jahren im Erziehungsbereich
als ein Mittel zu gegenseitiger Verständigung, Toleranz und Akzeptanz gesehen und zu
dem Lehrplan der deutschen Schulen, Gymnasien und Universitäten als zugehörig
verstanden. In diesem Sinn spielt Interkulturalität bei der Überwindung des
Ethnozentrismus eine wichtige Rolle, indem sie den fremdkulturellen Menschen einen
neuen Raum mit Empathie und Toleranz eröffnet. Ihr Ziel ist, durch multikulturelle
Perspektiven
ethnizistisches
Denken
und
Handeln
zu
überwinden.
In
gemischtnationalen Gruppen funktioniert das interkulturelle Lernen erfolgreich, aber in
der Türkei entwickelt sich der Unterrichtsprozess um die Empathie bzw. um den
Vorgang, über sich selbst in der Position der Anderen nachzudenken, weil die
Beteiligten am Unterricht überwiegend Türken sind. Hierdurch spielte auch die
transkulturelle Kompetenz relevant, die Eigenschaften einer fremden Kultur, die
gemeinsame Eigenschaften mit ihrer eigenen Kultur haben, zu übernehmen und dadurch
die Fremdheit abzubauen.
260
Im dritten Kapitel wurden die theoretischen Hintergründe unserer Thesen analysiert.
Wir haben versucht festzustellen,
•
welche kulturelle Wandlung die türkischen MigrantInnen in einer ungefähr
45jährigen Zeitspanne durchlebt haben,
•
welche soziologischen Hintergründe in dieser Wandlung eine besondere Rolle
gespielt haben und
•
was für einen Einfluss die Kommunikation auf beide Kulturen ausgeübt hat.
Den Begriff „Interkulturalität“ (Kulturkonfrontation) betrachtet man als Begegnung
verschiedener Kulturen am gleichen Ort und weist auf neue soziokulturelle Phänomene
im
Zeitalter
der
Migration
hin.
Dagegen
bildet
den
Ausgangspunkt
der
„Multikulturalität“ (Vielvölkergesellschaft) das Zusammenleben der fremdkulturellen
Bevölkerungsgruppen miteinander. Transkulturalität (Kulturintegration), die mit der
Interkulturalität eng zusammenhängt, bedeutet nicht nur einen Kontakt zwischen fremden
Kulturen, sondern auch gegenseitiges Übernehmen fremdkultureller Elemente, die auf
möglichen Gemeinsamkeiten beruhen.
Die
migrationsbedingten
Veränderungsprozesse
haben
die
soziokulturelle
und
wirtschaftliche Struktur Deutschlands tief verändert. Zugleich haben die kulturellen
Überfremdungsängste der Deutschen im Laufe dieser Migrationsprozesse eine sich im
Laufe der Zeit verändernde Dimension gezeigt. Parallel zu den migrationspolitischen
Entscheidungen der Bundesrepublik hat sich auch die soziokulturelle Situation des
Landes geändert.
In den ersten Jahren der Migration sprach man von einem „Kulturschock“, der eine
Verunsicherung oder Haltlosigkeit bedeutete, die die ganze Persönlichkeit erfassen. Der
Kulturschock ist abhängig von dem Bildungsniveau der ersten emigrierten türkischen
Arbeiter und von ihrer sozialen Umgebung in dem Herkunftsland. Die Begegnung mit
einer fremden Kultur und der dadurch verursachte Schock bildete den ersten Schritt zur
Identitätskrise.
Infolge der Wirtschaftskrise von 1966/67 sind die kulturellen Konflikte mit den
Ausländern und die Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft angestiegen;
somit fühlten sich die Ausländer unter kulturellem Druck. Unter diesen sozialen und
261
politischen Umständen haben sich die Ausländer bemüht, ihre eigene Identität zu
finden. Aufgrund der vom Ende der 80er bis in die 90er Jahre herrschenden sozio– und
interkulturellen Probleme, die in dieser Zeit die gegenseitigen Ängste, Aggressionen
und Spannungen zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung erhöhten,
haben die Zugewanderten eine große Identitätskrise erlebt.
Bei der Identitätsproblematik türkischer MigrantInnen spielt ihr Widerstand gegen die
Integration eine wichtige Rolle, weil sie die Integration mit dem Begriff „Assimilation“
verwechselten. Integration beruht auf interkultureller Kommunikation und gewinnt bei
einer Annäherung an eine fremde Kultur an Bedeutung. Dagegen haben die türkischen
MigrantInnen die Integration lange Zeit als ein soziales Problem gesehen, das
schließlich zum Verlust der eigenen Kultur bzw. zur Assimilation führt. Die
Identitätskrise, die die MigrantInnen dazu geführt hat, sich aus der Gesellschaft isoliert
zu fühlen, führte die MigrantInnen dazu, ihre eigene Kultur, die weder deutsch noch
türkisch ist und als Subkultur bezeichnet wird, zu schaffen. Auch die „Kanak Attak“
genannte Strömung ist unter diesen Umständen aufgewachsen. Die MigrantInnen haben
eine völlig neue Sprache entwickelt, die weder Deutsch noch Türkisch ist und von den
Wissenschaftlern als soziologische Reaktion betrachtet wurde. Zaimoğlus „Kanak
Attak“ ist der Ausdruck der Identitätkrise der zwischen zwei Sprachen bleibenden
MigrantInnen. Er lässt seine Figuren bewusst „gemischt“ sprechen, um zu zeigen, dass
sie in sich keine türkische und keine deutsche Identität haben, da sie Menschen einer
Subkultur sind.
Im vierten Kapitel der Arbeit wurde die Literatur der türkischen MigrantInnen
aufgegriffen. Die Literatur gilt als eine Quelle des Verstehens historischer und sozialer
Zusammenhänge. Wenn man literarische Werke in diesem Sinne bewertet, reflektiert
die Literatur eine Zeitanalyse, die alle soziokulturellen und politischen Situationen jener
Zeit kenntlich macht. Dementsprechend erkennt man die wechselseitige Verflechtung
zwischen Literatur und Soziologie.
Wir haben zunächst Generation für Generation zu allen türkischen AutorInnen kurze
autobiographische Informationen vermittelt und ihre Literatur inhaltlich analysiert,
wobei wir uns besonders auf die behandelten Themen und bearbeiteten Motive
konzentrierten. Darüber hinaus haben wir das Ziel verfolgt, die Themenschwerpunkte
262
der drei Generationen festzustellen und die Aufmerksamkeit auf den thematischen
Generationswandel zu ziehen.
In diesem Teil wurde gezeigt, wie der soziokulturelle Wandel der Einwanderer im
Laufe der Zeit das Thema der Migrantenliteratur bestimmt und
sich die
Eigenwahrnehmung der türkischen Einwanderer auch in der Literatur verändert hat.
Die Literatur der türkischen MigrantInnen schildert die Erfahrungen der Migration und
die Situation der türkischen MigrantInnen in Deutschland in drei Generationen. Der
Ausgangspunkt dieser Literatur sind die MigrantInnen und ihre Kommunikation mit den
Deutschen bzw. ihre Erlebnisse der MigrantInnen in Deutschland.
Die Themen der MigrantInnen der ersten Generation sind: a)die Schwierigkeit, in der
anderen Kultur zu leben, b) die schweren Arbeitsbedingungen, c) Sprachprobleme, d)
Sehnsucht nach der Heimat, e) Einsamkeit, f) Ausschließung aus der Gesellschaft, g)
Gedanken an die Heimkehr etc.
Das Schreiben bedeutete für die erste Generation einen Widerstand gegen die
soziokulturellen
Schwierigkeiten,
weshalb
ihre
Literatur
als
„Literatur
der
Betroffenheit“ genannt wurde. Die Kontrastierung von Heimat und Fremde bildete im
Allgemeinen die Quelle der literarischen Produktion dieser Zeit. In den ersten Jahren
der Migration fühlten sich die ausländischen Arbeiter noch ihrem Herkunftsland
zugehörig; deshalb bearbeiteten sie in ihren Werken Motive wie Bahnhof, Zug,
Heimweh, Sehnsucht nach den Freunden, Kindern und Verwandten in der Heimat.
Rösch verwendet für die Migrantenliteratur der 80er Jahre auch den Begriff
„Jammerliteratur“, während Kuruyazıcı sie als „Schrei aus der Fremde“ nannte.
In der Literatur fast aller MigrantInnen der zweiten Generation ist dagegen zu sehen,
dass Themen wie „Suche nach eigener Kultur“, „Fremdheit“, „Identitätsproblematik“,
„Mischkultur“,
„Integration“
„Identitätsverlust“,
„Fremdverstehen“
etc.
in
unterschiedlicher Weise aufgegriffen wurden, weil sie bikulturell erzogen sind. Sie
haben ihre Literatur im Unterschied zu den AutorInnen der ersten Generation in
deutscher Sprache verfasst. Die Literatur nutzten sie als Mittel, ihre Identität und
Individualität zu finden und ihre Situation zu kritisieren. In ihrer Literatur findet auch
die psychologische Unterdrückung ihren Ausdruck.
263
Die von den türkischen AutorInnen der zweiten Generation am meistens bearbeiteten
Motive sind die Brücke, der Vogel, die gespaltene Zunge, der Flug, die Tür und der
Seiltanz, die auf zwei Länder, zwei Kulturen, zwei Heimaten oder zwei Identitäten
hinweisen. Hauptziel der AutorInnen der zweiten Generation ist, die Artikulation des
Leidens zu lösen.
Durch ihre Texte haben die AutorInnen der zweiten Generation lange Zeit die verletzte
Identität und das Leiden der MigrantInnen widergespiegelt. Ihre Literatur ist als
„Schreiben als eine Form der Therapie“ zu sehen, weil die AutorInnen die Literatur als
Mittel genutzt haben, ihre Leiden zu überwinden.
Die Angehörigen der dritten Generation betrachten Deutschland als Heimat und haben
überwiegend die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Sie verstehen sich als Deutsche
türkischer Herkunft. Obwohl ihnen Probleme wie „Identitätsproblematik“ oder
„Kulturkonflikt“ vertraut sind, haben sich diese Probleme nicht in den Vordergrund
gedrängt. Ihre Literatur konzentriert sich eher auf Themen wie „Lebensart der deutschen
und der türkischen Gesellschaft“.
Statt die fremde Kultur als ein Problem zu sehen und die eigene und die fremde Kultur
gegeneinander zu stellen, verweist die dritte Generation u. a. auf Harmonie und
Schönheit der der Unterschiedlichkeit beider Kulturen.
Die Angehörigen der dritten Generation vertreten eine „Zwischenkultur“ und haben
eine Kulturverbindung und damit eine neue Sprache geschaffen, die auch das Interesse
der Deutschen auf sich gezogen hat. Darüber hinaus eröffnete sich für die Deutschen die
Möglichkeit, in der Literatur der MigrantInnen dieser Generation, die sich mit den
bestimmten Besonderheiten der beiden Kulturen teils ironisch, teils komisch befasst
haben, ihre eigene Kultur aus einer anderen Perspektive betrachten zu können.
Eine Charakteristik der Literatur der dritten Generation ist außerdem die Beschäftigung
mit Themen wie der Sexualität, die für die ersten beiden Generationen tabu waren, und
die in der Literatur der dritten Generation humoristische und ironische Züge tragen.
Der Integrationsprozess der zweiten Generation war problematisch. Aber bei der dritten
Generation ist dieser Prozess mit relativ viel weniger Problemen behaftet, weil die
264
gegenseitigen Erwartungen der Türken und der deutschen Aufnahmegesellschaft durch
das Bestreben zur Überwindung der Vorurteile teilweise erfüllt wurden.
Die schwere Arbeitssituation war das wichtigste Thema der ersten Migrationsjahre.
Aber durch den soziologischen und kulturellen Wandel haben sich auch die Themen
geändert.
Nunmehr
wollte
man
die
rassistischen
Strukturen
in
der
Aufnahmegesellschaft deutlich machen und das Daseinsrecht der MigrantInnen
hervorheben. Somit konnten auch die Deutschen aus einer fremden Perspektive über
ihre eigene Kultur lesen und nachdenken.
Im didaktischen Teil der Arbeit haben wir uns bemüht zu zeigen, dass die Verwendung
literarischer Texte türkischer MigrantInnen im DaF–Unterricht im Hinblick auf das
interkulturelle Lernen sinnvoll ist, da diese Literatur den Lernenden einerseits das
soziale, kulturelle und politische Leben der in Deutschland lebenden MigrantInnen
präsentiert, andererseits eine Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen der
Identität, Multikulturalität, Akzeptanz sowie einen Blick auf Kultur und Probleme der
türkischen MigrantInnen und der Deutschen ermöglicht.
Die vorliegende Arbeit ist nicht auf ethnisch definierte Zielgruppen ausgerichtet,
sondern auf Individuen, die an türkischen Universitäten in der Türkei die deutsche
Sprache lernen. In diesem Zusammenhang gilt die Migrantenliteratur als Medium für
interkulturelles Lernen.
Die Lehrveranstaltungen knüpfen an die Lehrsituation und das Curriculum der
Abteilungen für Deutschlehrerausbildung in der Türkei an; deshalb haben wir uns
bemüht, sowohl für die Situation der Studierenden als auch fürs Curriculum in der
Türkei günstige Unterrichtsmodelle und methodische Vorgehensweisen zu entwickeln.
Technische Medien wie z.B. Computer, Internet, Overhead-Projektor, CDs und
Projektion wurden in den Lehrveranstaltungen möglichst viel benutzt. Sie haben dienten
dazu, die Texte nicht immer aus den Kopieblättern vorlesen zu müssen, was in einem
kontinuierlichen Prozess die Motivation der Studierenden hätte senken können.
Stattdessen haben wir ergänzende Unterrichtsmaterialen zur Verfügung gestellt, um die
Studierenden stets stärker zu motivieren.
Während der Lehrveranstaltungen wurde besonders darauf geachtet, den Lernprozess
Lerner-orientiert zu gestalten und somit
den Studierenden eine möglichst freie
265
Lernatmosphäre zu bieten. Mit den gestellten Leitfragen haben wir nicht darauf gezielt,
die Studierenden in eine bestimmte Richtung zu manipulieren und die Erwartungen der
Lehrkraft zu erfüllen, sondern sie dazu zu bringen, über das Thema und die Motive
kreativer nachdenken. Diese Vorgehensweise hat sie immer mehr motiviert.
Eine weiterer Motivationsgrund für die Studierenden war der offene Unterricht. Sie
mussten sich nicht zu Hause auf die Lehrveranstaltungen vorbereiten, sondern nur die
vorgelegten Texte spontan, d.h. improvisatorisch nach ihrer Weltanschauung bzw. nach
ihrer Kreativität ausdeuten. Das hat die ausnahmslose Teilnahme der Studierenden und
die hemmungslose Stellungnahme zu den Leitfragen herbeigeführt.
Die in den Lehrveranstaltungen behandelten zehn Texte wurden von den Studierenden
sehr positiv aufgenommen. Alle Studierenden haben an den Lehrveranstaltungen
engagiert teilgenommen und in hohem Maß ihre eigenen Meinungen zum Ausdruck
gebracht.
Die Texte waren für die Studierenden sehr interessant, weil sie sich davor mit Texten,
die die kulturellen Probleme der türkischen MigrantInnen in Deutschland thematisieren,
noch nie konfrontiert hatten. Die Texte haben den Studierenden eine neue Welt
angeboten;
das
haben
sie
mit
voller
Konzentration und
hohem Interesse
entgegengenommen.
Die Studierenden haben während der Besprechung der Texte versucht, sich mit den
Textinhalten zu identifizieren und eine emphatische Beziehung herzustellen; somit
haben sie das multikulturelle Leben besser verstehen können.
Für diese Arbeit haben wir die Texte der türkischen MigrantInnen aller drei
Generationen in Deutschland gewählt, weil ihre Sprachverwendung divergent ist.
Die erwähnten Texte sind meistens satirisch oder kritisch. Die realistisch geformten
Texte erleichtern die Selbstidentifizierung der Studierenden mit der Kultur der
Deutschen und der türkischen MigrantInnen in Deutschland. Davon ausgehend, dass
die türkischen Studierenden beim Lernen der deutschen Sprache viele Schwierigkeiten
haben, machten die Texte der türkischen MigrantInnen auf die Studierenden einen
positiven Eindruck, weil diese Texte aus der Sicht türkischsprachiger Deutschlernender
einfachere Strukturen haben. Dadurch hatten die Studierenden die Gelegenheit, die
266
spezifische Sprachverwendung (Idiome, Sprichwörter, Ritualen) in der Literatur
türkischer MigrantInnen mit derjenigen im Deutschen zu vergleichen. Aus dem Text
„Brautbeschauer“ kann man für die migrationsspezifische Sprachverwendung Beispiele
geben: „Der Mund eines Menschen ist kein Sack, den man zubinden kann“ und „Den
Esel immer auf die Berge führen“. Zum Verstehen des Inhalts und des Ziels des Autors
spielten diese Idiome für die türkischen Studierenden eine vereinfachende Funktion.
Daneben haben sie äquivalente deutsche Idiome gefunden, durch die sie zwischen zwei
Sprachen einen Vergleich machen und ihre deutsche Sprachkenntnisse erweitern
konnten.
Die gewählten Texte konzentrieren sich überwiegend auf die interkulturelle
Kommunikation der Türken in Deutschland mit den Deutschen. Die bearbeiteten
interkulturellen Themen und Motive sind ein Mittel dazu, mit Hilfe der
kommunikativen Methode einen kontinuierlichen Kommunikationskanal herzustellen.
Bei den Lehrveranstaltungen wurden diverse Lernaktivitäten durchgeführt, die den
Studierenden Gelegenheit boten, die Vorurteile in den Texten zu entdecken, zu
interpretieren und in der Klasse vorzuspielen. Diese Lernaktivitäten erleichterten die
Selbstidentifikation der Studierenden mit den Deutschen. Alle Texte wurden nach dem
gleichem Unterrichtsmodell, aber mit diversen Lernaktivitäten analysiert.
Alle Studierenden haben sich am Unterrichtsablauf aktiv beteiligt, indem sie die
genannten Lernaktivitäten in Gruppenarbeit ausführten. Die deutschsprachigen
Äußerungen der Studierenden haben deshalb grammatische Fehler, weil Deutsch ihre
Fremdsprache ist, die sie an der Universität (noch) lernen. Deshalb haben wir uns in den
Lehrveranstaltungen darum bemüht, einerseits die Lese- und Schreibfertigkeit,
andererseits die Hör- und, die Sprechfähigkeit der Studierenden zu verbessern.
Ein Semester lang haben wir das Ziel verfolgt, Antworten auf folgende Fragen zu
finden. Die erste Frage war;
•
Inwiefern ist der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer
MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei interessant und erforderlich?
An den deutschen Abteilungen türkischer Universitäten unterrichtet man nach dem
neuen Curriculum in der ersten Klasse „Schreibfertigkeit I und II“, „Lesefertigkeit I und
II“, in der zweiten Klasse „Fortgeschrittene Schreib- und Lesefertigkeit“, „Deutsche
267
Literatur I und II, und in der dritten Klasse „Literarische Textanalyse und Didaktik“.
Als Unterrichtsmaterial benutzt man in diesen Lehrveranstaltungen meistens deutsche
literarische Texte. Daher bemühen sich die Lehrenden darum, diverse Aktivitäten zu
führen, um Motivation und Interesse der Studierenden zu erhöhen. Diese Tatsache hat
uns bewegt, deutschsprachige Texte von türkischen MigrantInnen in Deutschland zu
anzuwenden. Der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer MigrantInnen ließ
auf die Studierenden einen positiven Eindruck, weil sie zum ersten Mal mit solchen
Texten konfrontiert wurden. Sie haben die Möglichkeit gefunden konkret zu sehen, wie
türkische MigrantInnen ihre eigene Kultur dorthin mitgebracht und weiter gehegt haben.
In den Texten der ersten Generation spiegelt man die türkische Kultur nicht anders als
in der Türkei. In den Texten der zweiten und dritten Generation tritt die türkische Kultur
mit neuen Formen auf. Die Gründe hierfür liegen in der immer wieder zunehmenden
Kommunikation zwischen den Türken und den Deutschen, was im Laufe der Zeit eine
Subkultur hervorgerufen hat.
Die Studierenden kannten davor die genannte Subkultur gar nicht. Die Themen wie z.B.
Kulturaustausch,
Integration,
Assimilation,
Identitätsproblematik,
Heimweh,
Einsamkeit etc. waren für die Studierenden ganz neu, weshalb sie sich für diese Themen
sehr interessierten.
Dadurch dass die türkischen Studierenden beim Lernen der deutschen Sprache in viele
Lernprobleme geraten, sind wir zur Idee gekommen, dass die Migrantenliteratur stärker
in den DaF-Unterricht integriert werden muss. Insbesondere die Motivationsförderung
bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit der Lehrenden.
Aus der Sicht türkischsprachiger Deutschlerner hat die Literatur türkischer
MigrantInnen eine einfachere Struktur; daher wirkt sie positiv und spielerisch auf die
Studierenden. Aufgrund der sprachlichen und inhaltlichen Besonderheiten der
Migrantenliteratur haben die Studierenden am Deutschlernprozess aktiv teilgenommen,
die deutsche Sprache leichter gelernt und auch eine Möglichkeit gefunden, die
idiomatische bzw. sprichwörtliche Sprachverwendung in der Literatur türkischer
MigrantInnen mit derjenigen deutscher Autoren zu vergleichen.
Die zweite Frage
Mit welchen Lehrtechniken können die Einsätze der Migrantenliteratur
erfolgreich vermittelt werden?
268
war ein weiterer Ausgangspunkt unserer Arbeit. Bei der Analyse der Texte haben wir
im Unterricht unterschiedliche Lehrtechniken verwendet, die nach den Lernaktivitäten
bestimmt worden sind.
Die Textanalyse wurde rezeptionsästhetisch durchgeführt. Von der Tatsache ausgehend,
dass kein Text eine ausschließliche Bedeutung hat, haben wir die fundamentale
Erkenntnis der Rezeptionsästhetik berücksichtigt, dass die Bedeutung eines Textes erst
im Zusammenspiel von Wortlaut und Leser hergestellt wird. In diesem Zusammenhang
haben die Studierenden die Texte vorgelesen und dann die Motive analysiert. Bei ihrer
Auslegung haben sie die interkulturelle Kommunikation zwischen Deutschen und
Türken berücksichtigt. Alle Motive haben wir in Verbindung mit sozialen, kulturellen
und politischen Situationen aufgegriffen.
Bei vielen Aktivitäten haben die Studierenden zur Förderung von Selbstständigkeit und
Sozialverhalten in kleinen Gruppen zusammengearbeitet. Sie haben neben ihrer
Sprechfertigkeit
auch
ihre
Verantwortungsbereitschaft,
Selbstständigkeit,
Kritikfähigkeit und Kreativität entwickelt. Bei der Entwicklung dieser Fähigkeiten
spielte der produktionsorientierte Unterricht eine besondere Rolle.
Dass kein Text allein ein Faktum ist, sondern erst in Verbindung mit anderen Texten
einen Sinn gewinnen kann, stellt es sich eindeutig heraus. Texte, die ein Teil des
gesellschaftlichen und soziokulturellen Lebens sind, können auch als Mittel
interkultureller Verständigung fungieren. In diesem Zusammenhang stellte sich die
Analyse von intertextuellen Bezügen bei der Textproduktion als eine wichtige Aufgabe
dar, die darauf beruht, aus einem Text einen neuen Text zu konstruieren. Dabei haben
die Studierenden bei manchen Aktivitäten einen neuen Text mit gleichem Inhalt und
gleicher Problematik aufgebaut. Solch eine Aktivität hat die Studierenden zur
Kreativität und auch zur Zusammenarbeit ermutigt.
Wie im didaktischen Teil der Arbeit konzentrierten wir uns darauf festzustellen, welche
Lernkompetenzen bei der Vermittlung und Rezeption der Migrantenliteratur eine
besondere Rolle spielen. Am Ende des Semesters, besonders nach der Analyse der
Hausaufgaben hat sich ergeben, dass die Verwendung literarischer Texte türkischer
MigrantInnen im DaF-Unterricht sinnvoll ist, da diese Literatur den Studierenden
einerseits das soziale, kulturelle und politische Leben der in Deutschland lebenden
269
MigrantInnen vor Augen führt, andererseits eine Auseinandersetzung mit Fragen und
Problemen der Identität, Multikulturalität und Akzeptanz ermöglicht. Dadurch
entwickeln die Studierenden ihre persönlichen, fachlichen und sozialen Kompetenzen.
Wie es bei den schriftlichen Aufgaben der Studierenden, die im vierten Teil der Arbeit
zusammengefasst wurden, zu sehen ist, haben sich die persönlichen, fachlichen und
sozialen Kompetenzen und Fertigkeiten der Studierenden schrittweise entwickelt.
Bemerkenswert ist, dass grammatische Fehler von Text zu Text variieren und
stufenweise geringer werden.
Zu
den
entwickelten
Leistungsbereitschaft,
Fähigkeiten
der
Studierenden
Gewissenhaftigkeit,
zählt
man
Lern-
und
Verantwortungsbereitschaft,
Selbstständigkeit, Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik, Kreativität, Flexibilität, fachliche
Fähigkeit, soziale Kompetenz, Toleranz, Empathie und Freundlichkeit, die mit der
Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift parallel verlaufen sind.
Eine weitere Frage, auf die wir eine Antwort suchten, war:
für Texte welcher
Generation sich die Studierenden am meisten interessieren, und warum?
Die lyrischen Texte der zweiten Generation haben dem größten Teil der Studierenden
gut gefallen und sie wurden als die besten gewählt. Das Gedicht Doppelmann nahm die
erste Stelle. Dabei spielte die Erzählhaltung des Autors die größte Rolle.
•
Die metaphorische Erzählung, die die Studierenden zum Nachdenken über die
Kodes und zu einer stetigen Kreativität geführt hat,
•
die Darstellung der Identität türkischer MigrantInnen, die das Interesse der
Studierenden auf sich gezogen hat,
•
die im Unterricht verwendeten Lehrtechniken und Aktivitäten,
•
die Darstellung einiger Szenen aus dem Film „Postmann“,
•
in Gruppenarbeit vorbereitete Plakate und schließlich
•
die freie Produktion eines unmetaphorischen Gedichts
waren die Gründe dafür, dass die Studierenden dieses Gedicht für das beste halten.
Ähnliche Gründe gelten auch für den Text der gleichen Generation Tierweisungen. Die
epischen Texte der gleichen Generation Dütschlünd dütschlünd übür üllüs und Homo
Germanicus blieben dagegen im Vergleich zu lyrischen Texten im Hintergrund.
270
Die lyrischen Texte der ersten Generation, nämlich Fremde ist wo du gekränkt wirst
und Gedanken über die Rückkehr, haben die Aufmerksamkeit der Studierenden auf sich
gezogen. Während das Gedicht Fremde ist wo du gekränkt wirst wegen einer tiefen
Emotionalität und Einsamkeit im Vordergrund stand, trat das Gedicht Gedanken über
die Rückkehr mit seiner künstlerischen Beschreibung der türkischen und deutschen
Kultur hervor. Dabei spielten auch die Lehrtechniken und die Erzählhaltung des Autors
eine besondere Rolle.
Aufgrund seiner ironischen und satirischen Reflektion der kulturellen Unterschiede
zwischen Deutschen und Türken haben die Studierenden dem epischen Text
Brautbeschauer besondere Beachtung geschenkt.
Die epischen Texte der dritten Generation blieben im Vergleich zu den Texten der
ersten und zweiten Generation im Hintergrund. Das hat zwei Gründe: Aus der dritten
Generation wurde kein lyrischer Text in die Arbeit aufgenommen, weil die Autoren
dieser Generation eher Prosa als Lyrik verfasst haben. Die lyrischen Texte haben sie
eher zum Zeitvertreib geschrieben und in Zeitschriften veröffentlicht. Dass die
Studierenden sich eher prosaische als lyrische Texte angeeignet haben, zeigt, dass der
Umgang mit epischen Texten nur in Verbindung mit lyrischen Texten sinnvoll ist. Der
zweite Grund ist die Verfilmung der kulturellen Kommunikation der türkischen
MigrantInnen der dritten Generation. Fatih Akın, ein türkisch-deutscher Filmregisseur
und Schauspieler, thematisiert in seinen Filmen das Zusammenleben der Türken und
Deutschen, ihre Kommunikation, ihre kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
Damit will die deutsche und türkische Kultur harmonisieren und somit die Menschen
einzaden, friedlich und solidarisch zusammenzuleben. Davon ausgehend kann man
unschwer sagen, dass die visuelle Darstellung der Kommunikation der Deutschen und
Türken der letzten Generation die epischen Texte der gleichen Generation in den
Hintergrund verdrängt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die lyrischen Texte der zweiten Generation bei
der Vermittlung der Lernkompetenzen die erste Stelle nehmen. Danach kommen die
lyrischen und dann die epischen Texte der ersten, der zweiten und schließlich der dritten
Generation.
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LEBENSLAUF
Persönliche Informationen
Name:
Umut BALCI
Telefon:
05352075982
E-Mail:
balci_u@yahoo.de
Geburtsdatum:
20.09.1977
Geburtsort:
Antakya
Studium
2007 - 2010:
Dissertation; Çukurova - Universität, Sozialwissenschaftliches
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2003-2006:
Magisterstudium; Çanakkale - Onsekiz - Mart - Universität,
Sozialwissenschaftliches Institut, Abteilung für Deutschdidaktik.
1998-2003:
Bakkalaureat; Ankara - Universität, Fakultät für Sprachen,
Geschichte und Geographie, Abteilung für deutsche
Sprache und Literatur.
Beruflicher Werdegang
2005 - …:
Wissenschaftlicher Assistent; Çanakkale - Onsekiz - Mart Universität, Pädagogische Fakultät, Abteilung für
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