diakoniebrief 10 Beziehungsweise Geld…
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diakoniebrief 10 Beziehungsweise Geld…
diakoniebrief 10 Beziehungsweise Geld… Rheinland Westfalen Lippe Für ehrenamtlich Engagierte www.diakonie-rwl.de 2 Editorial Diakonie und Geld Diakonie und Geld Liebe Leserinnen und Leser des Diakoniebriefs, „Diakonie und Geld“. „Kirche und Geld“. Wie passt das zusammen? Geht das überhaupt? Vielleicht kommen Ihnen Jesu Worte „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem schnöden Mammon“, in den Kopf. Und wie war das noch gleich mit dem biblischen Zinsverbot? Sicher können Sie sich vorstellen, dass ich als Kirchenbankier, der im Spannungsfeld von Kirche und Diakonie wirkt, häufig Fragen wie diese höre. Ich freue mich, hier an dieser Stelle Position beziehen zu können und vielleicht sogar Denkanstöße geben zu dürfen. Denn es sind, wie ich finde, wichtige und berechtigte Fragen, die gerade in der derzeitigen Finanzkrise – wieder mal – hochaktuell sind. Bibel und Geld Was steht in der Bibel zum Thema Geld? Da sind die bekannten Worte Jesu, dass wir nicht Gott und dem Mammon dienen können. Er sagt aber im gleichen Zusammenhang: „Macht euch Freunde mit dem gerechten Mammon.“ Altbischof Dr. Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der EKD, hat uns anlässlich der Eröffnung unserer Bank in Dortmund mit auf den Weg gegeben, dass die Kirche den materiellen Bedingungen des Lebens nicht ausweichen könne und sich deshalb nach dem verantwortlichen Gebrauch mit den ihr anvertrauten Mitteln fragen müsse. „Dass das Kirchengut dem Armen gehöre, darauf ist seit den Anfängen der Christenheit ebenso klar geantwortet worden wie darauf hingewiesen, dass der Arbeiter – auch in der Kirche – seines Lohnes wert sei. Der ökonomische Umgang mit den der Kirche anvertrauten Mitteln – unter Einschluss der Aufgabe, diese Mittel zu mehren – ergibt sich klar und ausschließlich aus dem Auftrag der Kirche.“ Kirche mitten im Leben Für mich übersetzt bedeutet dies, die evangelische Kirche steht mitten im Leben. Wenn sie dort, mitten unter den Menschen, ihre Mission, ihren Auftrag, erfüllen möchte, muss sie die gegebenen Rahmenbedingungen annehmen. Dazu zählt auch der Umgang mit Geld. Dieser soll jedoch verantwortungsvoll erfolgen und sich am Auftrag der Kirche orientieren. Es kommt darauf an, dass nicht das Geld uns beherrscht, sondern dass wir die dienende Funktion des Geldes wieder entdecken. Als Kirchenbank haben wir uns dem verantwortungsbewussten Umgang mit Geld verschrieben. Das Zahlen von Zinsen für Anlagebeträge und das Berechnen von Zinsen für Darlehen gehören auch dazu. „Was ist denn nun mit dem biblischen Zinsverbot?“, fragen Sie sich jetzt vielleicht. „Wenn du Geld verleihst an einen aus meinem Volke, an einen Armen neben dir, so sollst du an ihm nicht wie ein Wucherer handeln, du sollst keinerlei Zinsen von ihm nehmen.“ (2. Buch Mose) Nach christlicher Lehre galt lange ein uneingeschränktes Zinsverbot, das nicht nur das Wuchern betraf. Doch auch die mittelalterliche Wirtschaft kam nicht ohne Geldgeschäfte aus. Den Geldverleih gegen Zinsen überließ Papst Alexander III. bereits im Jahr 1179 den jüdischen Gemeinschaften. Eine recht fragwürdige Art der Arbeitsteilung, die den Christen erlaubte, das Zinsverbot zu umgehen. Luther und Calvin waren in der Frage des Zinses uneins. Luther war gegen den Zins, Calvin meinte, Geld sei dazu da, sich durch wirtschaftliche Tätigkeit zu vermehren und legitimierte eine maßvolle Zinswirtschaft. Das Ende des christlichen Zinsverbots datieren Historiker in das Jahr 1545, als der englische König Heinrich VIII. Zinseinnahmen nach seinem Bruch mit dem Papst legalisierte. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurden schließlich mit fünf Prozent verzinste Darlehen für zulässig erklärt. Zinsgeschäfte heute? Wie steht es in der heutigen Zeit um die Zinsgeschäfte? Lassen Sie uns nochmal zu Luther zurückgehen: Er lebte in einer Agrargesellschaft, das Leihen von Geld war eine Hilfe in der Not. Also ein Kredit für eine Notlage, zum Beispiel als Überbrückung bis zur nächsten Ernte, nicht für produktive Zwecke. Wer diese Situation ausnutzt und den in Not Geratenen mit Zinsforderungen weiter belastet, setzt sich folglich dem Wucherverdacht aus. Luther unterschied hier nicht zwischen Zins und Wucher. Nach heutiger wissenschaftlicher Anschauung sehen wir den Zins als Preis für das Leihen von Geld. Der Kreditgeber leistet einen Konsumverzicht, für den er entlohnt wird. Der Kreditnehmer setzt das Kapital gewinnbringend ein und ist bereit, einen Teil seines Ertrags als Zins demjenigen zu zahlen, der sein Vorhaben ermöglicht hat. Entscheidend ist, dass es sich nicht um einen nachbarschaftlichen Notkredit handelt, wie Luther ihn aus seiner Zeit kannte, sondern vielmehr um eine freiwillige Kreditaufnahme für eine Investition. Ähnlich funktioniert der islamische Finanzmarkt. Der Koran verbietet die Berechnung von Zinsen. Handel und Investitionen und Erträge daraus, etwa in Form von Mietkauf oder Dividendenzahlungen, sind jedoch erlaubt. Editorial Diakonie und Geld Auch gab und gibt es Versuche, gänzlich ohne Zinsen auszukommen. Der „Chiemgauer“ ist beispielsweise eine regionale Währung, die sich beim Aufbewahren nicht vermehrt, sondern mit der Zeit an Wert verliert und somit zum Ausgeben einlädt. Bei diesem und anderem Regionalgeld ist festzuhalten, dass es sich hierbei um nichts anderes als ein auf gegenseitigem Vertrauen basierendes Leistungsversprechen handelt, das in abgeschlossenen, verbindlichen Lebens- und Glaubensgemeinschaften funktioniert. Geht man jedoch über diesen Bereich hinaus und betrachtet zum Beispiel mögliche Wechselkurse zu überregionalem Geld oder die Besoldung von Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst mit einem solchen sich selbst abwertenden Geld, wird schnell die Unzulänglichkeit der Idee in Bezug auf einen globalen Raum klar. Rüstung, Kinderarbeit, spekulative Finanztermingeschäfte? Die Bank für Kirche und Diakonie hat die Aufgabe, sich um die finanziellen Angelegenheiten von Kirche und Diakonie zu kümmern. Wir führen die Idee der kircheneigenen DarlehnsGenossenschaft fort, die unter anderem der streitbare Theologe Martin Niemöller aus Münster Ende der 1920erJahre hatte. Er konnte damals, zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise, keinerlei Darlehen mehr bei den Landesbanken und Sparkassen erhalten, obwohl diese die laufenden Geldbestände der mehr als 400 evangelischen Kirchengemeinden in Westfalen verwalteten. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, das Heft in die Hand zu nehmen und eine Genossenschaftsbank zu gründen. Ziel war es, die Gelder selber zu verwalten und aus diesen die geplanten Einrichtungen kurzfristig zu finanzieren. Fairer Wettbewerb Nach unserer Einschätzung ist der ganzheitliche Verzicht auf das ertragreiche Einsetzen von Kapital in der heutigen modernen, globalen Gesellschaft und Wirtschaftordnung weder möglich noch biblisch gefordert. Für den Aufbau funktionierender Waren- und Wirtschaftssysteme benötigen wir auch immer ein stabiles Finanzsystem. Das Geld der Sparer kann so in produktive Investitionen verwandelt werden. Ein Beleg dafür sind die Mikrofinanzinstitute in Entwicklungsländern. Die Banken übernehmen wichtige Funktionen: Sie bringen die Einlagen vieler Sparer zusammen und überführen sie in eine produktive Investition. So findet eine Transformation der Losgrößen und des Risikos sowie auch eine regionale Transformation statt. Entscheidend ist jedoch die Funktionsfähigkeit der Märkte. Es muss darüber gewacht werden, dass an den Finanzmärkten ein fairer Wettbewerb herrscht, der für angemessene Preise sorgt und die Ausbeutung Notleidender unterbindet. Die Abkopplung der Geschäfte vieler Großbanken von der Realwirtschaft, das Geschäft mit der Spekulation, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich in Frage stellen. Sicher liegt auch hier eine Ursache der Finanzkrise, die die Politik an ihren Wurzeln packen muss. Kirchliche und soziale Projekte finanzieren Bis heute finanzieren wir kirchliche und soziale Projekte. Dazu zählen Krankenhäuser, Einrichtungen für Kinder, ältere und behinderte Menschen ebenso wie das Gemeindehaus. Geschäfte am Kapitalmarkt unterstehen unserem zertifizierten Nachhaltigkeitsfilter, das heißt ökologische und soziale Aspekte beachten wir genauso wie ökonomische Anforderungen. Dazu zählt auch der Ausschluss spekulativer Geschäfte. Das bedeutet für uns verantwortungsvoller Umgang mit Geld. Auch Privatpersonen, die unsere christlichen Werte teilen, können uns für ihre Geldgeschäfte nutzen und sind herzlich willkommen. Diakonie und Geld – es lohnt sich, einmal genauer darüber nachzudenken. Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre Ihres Diakoniebriefs viel Freude. Herzliche Grüße aus Dortmund Ihr Verantwortung übernehmen „Macht euch Freunde mit dem gerechten Mammon.“ – Wir, die wir mitten im Leben stehen und unter den gegebenen Rahmenbedingungen Gutes leisten möchten, können Verantwortung übernehmen – Verantwortung für das, was wir beeinflussen können. Das gilt auch für den Umgang mit Ihrem Geld. Wie kann dies gelingen? Wissen Sie, was Ihre Bank mit Ihrem Geld macht? Wie und wo investiert Ihre Bank Ihr Geld? Atomenergie, 3 Dr. Ekkehard Thiesler Dr. Ekkehard Thiesler ist Vorstandsvorsitzender der Bank für Kirche und Diakonie in Dortmund 4 Das ist es wert! Kommentar Kommentar Das ist es wert! Wofür geben Sie gerne Ihr Geld aus? Wofür haben Sie etwas übrig? Was ist Ihnen etwas wert? Was ist uns als Gesellschaft etwas wert? Diese Fragen können Sie sich stellen, wenn Sie die sechs Grafiken betrachten, die in diesem Diakoniebrief abgedruckt sind. Provozierend, verkürzend und zuspitzend haben wir Zahlen miteinander verglichen, die in dieser Weise selten präsentiert werden. Auf der einen Seite Produkte und Dienstleistungen, für die wir eine Menge übrig haben. Die viele Deutsche ohne mit der Wimper zu zucken bezahlen würden. Ein gutes Essen mit Getränken im Restaurant für 22,50 Euro oder einmal Maniküre für 20 Euro oder einmal Volltanken für 85 Euro. Dafür wird in der Regel selbstverständlich, ohne Murren, gezahlt. Geht es aber um soziale Dienstleistungen, um Kosten für soziale Arbeit, heißt es schnell: Das ist zu teuer! Das können wir uns nicht leisten! Dafür ist kein Geld da! Mit diesem Argument bleiben die Hartz IV-Sätze auf niedrigstem Niveau, auch wenn kaum jemand weiß, wie man Kinder mit rund 22 Euro eine Woche lang satt bekommen soll. Und wenn der Pflegedienst kommt, dann wird um jeden Euro gefeilscht und für einmal komplett Waschen inklusive An- und Ausziehen sind 18,50 Euro viel zu viel. Aus der Sicht des Geldbeutels erscheint auf einmal auch die Erziehung unserer Kleinsten für die Gesellschaft unbezahlbar, wenn es rund 80 Euro kostet, um ein Kind eine Woche im Kindergarten zu betreuen. Da ist dann auch ein Tag im Pflegeheim mit Rundum-die-Uhr-Betreuung durch qualifiziertes Fachpersonal mit 130 Euro zu teuer. Es ist genügend Geld in unserem Land da, Deutschland ist kein armes Land. Wenn wir als Gesellschaft für eine TalkShow-Minute ohne zu diskutieren 1.800 Euro als gerechtfer- Ulrich T. Christenn Wert des Sozialen Was ist uns etwas wert? Wert des Sozialen Was ist uns etwas wert? Kosten Kosten Kosmetikbehandlung Maniküre 20,00 w Ambulante Pflege Ganzkörperwaschung 18,50 w Großer Burger im Fastfood Restaurant 2,99 w Hartz IV für Kinder (7-14 Jahre) Anteil für Essen pro Tag 3,22 w Hotel-Übernachtung *** mit Vollpension 110,00 w Pflegeheim Tagessatz bei höchster Pflegestufe 130,00 w Tankfüllung Mittelklasse-PKW 80,00 w Kindergarten Pauschale für ein Kind 35 Stunden/Woche 85,00 w TV-Talkshow Kosten pro Minute 2.000,00 w tigt ansehen oder Eintrittskarten für Fußballspiele immer teurer werden und sich kaum jemand darüber aufregt, dann scheint Geld auf einmal kein Problem zu sein. Ich denke, wir haben in Deutschland genügend Geld, um die sozialen Herausforderungen und die demografischen Veränderungen, die auf uns zukommen, zu meistern. Die Frage ist nur, wofür geben wir das Geld aus? Was ist uns etwas wert? Wofür haben wir etwas übrig? Ulrich T. Christenn, Düsseldorf Entbindung im Krankenhaus ohne Komplikationen 1.500,00 w * Mit 20 Euro kostet eine Ganzkörperwaschung beim Ambulanten Pflegedienst genausoviel wie eine professionelle Maniküre in einem Kosmetikstudio. 5 6 Wenn der Kühlschrank leer ist Familienarmut Familienarmut Wenn der Kühlschrank leer ist Der Kühlschrank ist leer. Das gibt es nur im Fernsehklischee, besonders bei TatortKommissaren oder Männer-Wohngemeinschaften? Nein, leere Kühlschränke gibt es auch in Wirklichkeit, bei armen Familien. Frau Martin, (Name geändert) wacht morgens schon sorgenvoll auf. Der Kühlschrank ist mal wieder fast leer. Ihre drei Kinder wollen gleich frühstücken und noch ein Schulbrot mitnehmen. Die Stromnachzahlung hat das letzte Kindergeld aufgezehrt. Somit ist wenigstens ein kleiner Teil der Schulden beglichen. Jetzt wird der Strom wohl nicht, wie bereits angedroht, abgestellt. Bis zur nächsten Zahlung des „Arbeitslosengeld II“ dauert es noch über eine Woche. Nachdem ihre drei Kinder heute Morgen die kläglichen Reste an Brot und Aufstrich als ihre „Überlebensration“ wie sie sagen, für den Schultag mitgenommen haben, entschließt sich die Mutter schweren Herzens, bei der Diakonie um Hilfe zu bitten. Eine Freundin hatte ihr neulich erzählt, dass die Diakonie geholfen habe, als es ihr vor einiger Zeit ähnlich ergangen sei. In ihrer Verzweiflung fasst sich Frau Martin ein Herz und macht sich, da selbst für den Bus kein Geld mehr da ist, zu Fuß auf den Weg zum Öffentlichkeitszentrum der Diakonie Stiftung Salem in der Mindener Innenstadt. Hier befindet sich die erste Anlaufstelle für rat- und hilfesuchende Menschen. Hilfe ohne Anmeldung Frau Martin ist sich nicht sicher, ob sie sich anmelden muss und fragt entsprechend nach. Nein, das sei nicht erforderlich, sagt ihr der für das Öffentlichkeitszentrum verantwortliche Sozialarbeiter, der jetzt auch als Berater für sie da ist. Nach der freundlichen Begrüßung mit der Frage, „Was kann ich für Sie tun?“, berichtet sie zögerlich über ihre Geldnot und bittet Foto: Bobe um einen Einkaufsgutschein für Lebensmittel. Frau Martin berichtet über die Notlage, in die sie geraten seien. Ihrer Familie gehe es sehr schlecht. Ihr Mann sei seit zwei Jahren arbeitslos. Als ungelernte Kraft bei einer Tiefbaufirma hätten bei ihm zunehmende Rückenprobleme zum Verlust des Arbeitsplatzes geführt. Im ersten Jahr habe das „Arbeitslosengeld I“ noch gereicht, um die Miete zu bezahlen einschließlich der Kreditraten für die Einrichtung. Jetzt – mit dem Geld der Sozialhilfe – „retteten“ sie sich von Monat zu Monat und die finanziellen Sorgen würden nicht weniger – im Gegenteil. Da sie absolut am Ende seien, bitte sie nun um einen Lebensmittelgutschein, damit sie wenigstens bis zum nächsten Zahlungseingang das Notwendige einkaufen könne. Auf Anraten ihrer Freundin hat Frau Martin Belege über Einkommen, Ausgaben und besondere Belastungen wie Kredite und Nebenkostenabrechnungen, Ratenzahlungen und Energiekostenabrechnung zum Beratungsgespräch mitgebracht, um den besonderen Bedarf zu begründen. Verständnisvolles Zuhören macht es für Frau Martin deutlich leichter, offen über ihre Sorgen zu reden. Ihre Probleme werden ernst genommen, niemand macht ihr Vorhaltungen. Um ihr in der akuten Notsituation zu helfen, erhält sie zunächst einmal einen Lebensmittelgutschein. Die Abrechnung erfolgt direkt mit der Diakonie Stiftung Salem. Frau Martin scheint etwas erleichtert, doch – wie geht es weiter? Schließlich kann ein solcher Gutschein in begründeten Fällen nur höchstens drei bis vier Mal im Jahr ausgestellt werden. Deshalb erhält sie detaillierte Hinweise über weitere Einrichtungen und Hilfeangebote in der Region, die Familie Martin nutzen kann, um ein wenig mehr Lebensqualität zu erreichen. Wenn der Kühlschrank leer ist Familienarmut Sie bekommt Informationen L zur Mindener Tafel, hier werden zweimal wöchentlich Lebensmittel an bedürftige Menschen ausgegeben, L zum Mehrgenerationenhaus „café e-werk“ - hier erhalten Menschen mit geringem Einkommen für 1,70 Euro ein Mittags-Menü, L zur Kleiderkammer, dort gibt es getragene, aber gute Bekleidung (50 Cent oder 1 Euro pro Teil) und L zum Zentrallager für Gebrauchtmöbel, auch mit dem Angebot von Elektro- und Haushaltsgeräten. Fahrplan zu Mehr Darüber hinaus wird Frau Martin der „Fahrplan zu Mehr… Wege zur Grundversorgung in der Umgebung“ überreicht. Dieses Heft enthält eine Übersicht helfender Einrichtungen – klar und einfach beschrieben, mit Bildern verdeutlicht. Und, damit die Schulden nicht noch erdrückender werden, rät man ihr, die fachliche Hilfe einer caritativen Schuldnerberatung zu nutzen. Ein erster Termin wird gleich vereinbart. Als Frau Martin sich verabschiedet und für die erhaltene Hilfe bedankt, erhält sie noch die Zusicherung, dass sie zur Klärung von Fragen und weiterem Rat gerne wiederkommen darf. 7 Wertschätzung mobilisiert die Eigendynamik. Das gibt den Menschen neue Kraft, ihren Problemen zu begegnen um nicht von ihnen überrollt zu werden. Armut nimmt zu Die Zahl der Niedriglohnempfänger steigt weiter. Das Geld reicht kaum, um den Sozialhilfesatz zu erreichen. Zwar erhält der „Verdiener“ etwas mehr aufstockende Sozialhilfe, jedoch kommt es durch die monatlich oft unterschiedliche Lohnhöhe zur Neuberechnung der Sozialhilfe und demzufolge zu Zeitverzögerungen bei der Bewilligung. Das Geld fehlt, teure Überziehungskredite sind die Folge und schon schlägt die Schuldenfalle zu. An Sparen ist nicht zu denken um kurzzeitige Geldsorgen zu überbrücken. Freunde und Bekannte werden „angepumpt“ – aber auch das Geld muss wieder aufgebracht werden. Wohnungsbezogene Nebenkostenabrechnungen und Jahresabrechnungen für Energie, Telefonkosten und -Gebühren etc. lassen dann schnell das Schuldenfass überlaufen. Aus dieser Situation erwächst die Resignation. Die Betroffenen geben irgendwann auf, weil alle Bemühungen, ihre Misere zu beheben, fehlschlagen. Im Gegenteil, die Situation verschlechtert sich zusehends… Das Öffentlichkeitszentrum Beratung hilft Für Menschen in solchen oder ähnlichen Notsituationen bietet die Diakonie Stiftung Salem an drei Vormittagen pro Woche Beratung und Hilfe an. Die Anlaufstelle ist das Öffentlichkeitszentrum in der Mindener Innenstadt. Es sind rund 1.500 Familien und Einzelpersonen erfasst, die in einer Notsituation unseren Rat oder auch kleine Gutscheinhilfen genutzt haben oder nutzen. Die Nachfrage steigt – jede Woche gibt es durchschnittlich zwanzig Beratungen für in Not geratene Menschen. Insbesondere gegen Monatsende häufen sich die Geldsorgen in den Familien, die am Existenzminimum leben. Dann sind die Gelder der Sozialhilfe, das kleine Einkommen aus dem Niedriglohn und gegebenenfalls auch das Kindergeld ausgegeben. Mit unseren bescheidenen Unterstützungshilfen lösen wir die Probleme der betroffenen Menschen nicht. Die Beratung kann aber helfen, die Situation zu klären. Es werden Wege aufzeigt für mögliche weitere Hilfen und andere Unterstützungsangebote, die wenig oder gar kein Geld kosten. Manche Menschen kommen nur, um zu reden und einfach mal alles rauszulassen. Viele Betroffene nehmen unser Angebot wahr, regelmäßig zu einem Gespräch wiederzukommen. Über die erlebte Not zu sprechen, lindert das Sorgengefühl und gibt vielleicht ein wenig Kraft für die nächste Zeit. Ein Familienvater sagte einmal, dass er die hier gebotene unterstützende Beratung der Diakonie schätze, weil er ohne Voranmeldung kommen könne, einen Zuhörer vorfinde, der die Probleme ernst nehme und keine Vorhaltungen zu befürchten seien. Die Atmosphäre helfe ihm, sich leichter auszusprechen. Dadurch könne er wieder klarer denken und das Druckgefühl der Not verliere an Macht. Zuhören, den Menschen beachten, ihn achten und ihm Achtung verleihen sind unerlässliche Grundsätze in unserer Beratung und für die Hilfegewährung. Die Diakonie Stiftung Salem vereint seit Januar 2011 das Diakonische Werk Minden und die Diakonissenanstalt SalemKöslin-Minden. Sie engagiert sich in der Altenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe und mit differenzierten Angeboten für Menschen mit Behinderungen. Sie bietet soziale Dienste und diverse Beratungsstellen. Das Öffentlichkeitszentrum befindet sich unmittelbar in der Mindener Innenstadt am kleinen Domhof, direkt am Rathaus. Unter anderem ist dieses die erste Anlaufstelle für alle Hilfesuchenden und eine Beratungsstelle für Menschen in Not. Uli Bobe und Karlheinz Wilmsmeier, Minden 8 Ehrenamt und Geld?! Ehrenamt und Geld?! Ehrenamt und Geld – das ist doch ein Widerspruch, so wird der Eine oder die Andere denken. Doch schon seit einiger Zeit sind Entwicklungen im Hinblick auf „bezahltes“ Ehrenamt festzustellen: Aufwandsentschädigungen, Pauschalen, kleine finanzielle Anerkennungen, im Pflegeleistungsergänzungsgesetz ermöglichte Bezahlungen für Demenzbegleiter/-innen, Freiwilligendienste, Übungsleiterpauschalen, Stundenvergütungen in der Familienhilfe, Geld und Bezahlung als Gewinnungsstrategie und vieles mehr. Damit verändert sich das Ehrenamt oder auch freiwillige Engagement. Einige Anzeichen drücken sich in der schleichenden Verberuflichung des Engagements aus: Probezeit, Stellenanzeigen, Personalentwicklung. Die Bezahlung – und sei sie noch so gering – ist eine logische Fortführung. Motiv Nächstenliebe Das Wesen des ehrenamtlichen, freiwilligen Engagements, sein Eigenprofil, speist sich vor allem aus intrinsischen Lebensmotiven wie Idealismus: „Ich setze mich ein für andere“, „Ich möchte zu Geborgenheit und Miteinander beitragen“. Oder das Motiv „Beziehungen“: „Ich möchte in Kontakt sein mit anderen Menschen, neue Menschen kennenlernen“ oder das Motiv der Anerkennung: „Ich möchte meinen Platz finden, ich möchte wahrgenommen werden, ich möchte für andere wichtig sein und möchte anderen Anerkennung geben“, so Stephen Reiss, amerikanischer Psychologe. Ein tiefes Motiv, sich auf ein Engagement einzulassen, ist der Sinn, die Sinnhaftigkeit, die mit dem Tun verbunden ist. Nächstenliebe, sich selbst einzubringen, über sich selbst hinauszugehen und sich in ein größeres Ganzes einzubringen – das sind Aspekte der Sinnbildung. „Ich bringe mich mit meiner Lebenswelt und meinem Profil ein, ohne in einem auf Entgelt basierten Abhängigkeitsverhältnis zu stehen. Ich tue dies in Freiheit und Unabhängigkeit“. So beschreiben Ehrenamtliche ihr Engagement, gerade so kommt das Eigenprofil freiwillig Engagierter zum Tragen. Anerkennung und Kostenerstattung Eine Anerkennungskultur, die diesem Engagement entspricht, besteht in Kostenerstattung durchaus, aber vor allem in der Begleitung, der An-Erkennung des anderen, in der Wahrnehmung, Achtsamkeit, in Qualifizierungsangeboten, in einem ermutigenden und wertschätzenden Gespräch. Geld ist ein von außen kommender, ein extrinsischer Motivationsfaktor. Extrinsische Faktoren sind nicht so tragfähig. Sie helfen, eine Durststrecke zu überwinden, sind aber kein Basismotiv für ein mit Freude, Überzeugung und Begeisterung erlebtes Ehrenamt. Regelmäßige finanzielle Anreize verändern die Motivation und gefährden auch das freiwillige Engagement, weil es im Rahmen einer Bezahlung auch einem anderen rechtlichen System unterliegt, wie zum Beispiel bei der Debatte über die Novellierung der Arbeitszeitregelung durch die EU deutlich wurde, als ein EU- Kommissar Hauptberuflichkeit und freiwillige Tätigkeit gleichsetzen wollte. Besonders problematisch wird es, wenn die Bezahlung an die jeweilige Tätigkeitszeit geknüpft wird und möglicherweise auch sozialversicherungsrechtliche Aspekte auftreten. Eine Lösung aus diesem Dilemma liegt darin, die verschiedenen Formern der Mitarbeit differenzierter zu bezeichnen: Da sind die Praktikanten, diejenigen, die eine Aufwandsentschädigung erhalten, die Ehrenamtlichen, die Minijobber, die Freiwilligendienstler, die nebenamtlich Tätigen. Die Klarheit hilft, die Rolle der unterschiedlichen Mitarbeitenden zu klären und den unterschiedlichen Motiven und Bedürfnissen gerecht zu werden. Um noch einmal zu dem Titel zurückzukehren: „Ehrenamt und Geld“ könnte man ergänzen. Ehrenamtliches Engagement braucht Geld, braucht Geld für Fortbildungen, für gemeinsame Ausflüge, für die Erstattung von Kosten, für die Begleitung durch Hauptamtliche, für attraktive Räume. Und Ehrenamt gibt viel mehr als Geld, freiwilliges Engagement gibt Nähe, Geborgenheit, Halt, neue Perspektiven – mit Geld nicht aufzuwiegen. Karen Sommer-Loeffen, Düsseldorf Wen man mit jedem Cent rechnen muss 9 Wenn man mit jedem Cent rechnen muss Geld ist ein wichtiges Gut, von dem Peter in der Regel zu wenig hat. Peter ist 34 Jahre alt und geistig behindert. Er lebt in seiner eigenen Wohnung und wird vom Fachdienst „Ambulant Betreutes Wohnen für Menschen mit Behinderung“ der Diakonie Stiftung Salem gGmbH betreut. Der Fachdienst unterstützt Peter in den Bereichen Hauswirtschaft, finanzielle und behördliche Angelegenheiten und Gemeinschaft erleben. Zu wenig Geld für zu viele Tage 374 € im Monat – wer soll davon leben? Das fragt Peter sich immer zu Monatsbeginn, wenn er auf seinen Kontoauszug schaut. Er weiß nicht, ob er laut lachen oder lieber leise weinen soll. Bereits am Fünften des Monats weiß er nicht, wie er die noch verbleibenden 25 Tage mit so wenig Geld überbrücken soll. „Ich habe zu wenig Geld und der Monat hat zu viele Tage“, denkt sich Peter. Die Mietbeteiligung bezahlt. Seine Wohnung überschreitet den Satz, den das Grundsicherungsamt übernimmt. Er könne ja umziehen, sagt ihm sein Sachbearbeiter, als Peter sich darüber beschwert, dass er sich an den Kosten für die Wohnung beteiligen muss. Doch in eine andere Wohnung umzuziehen, ist leichter gesagt als getan. Es scheint keine kleinen Wohnungen, die im Hartz-IV-Rahmen liegen, in Minden zu geben. Strom bezahlt. Darlehen für die defekte Waschmaschine an die Arge zurückgezahlt. Daran, dass Peter ein Darlehen für seine defekte Waschmaschine benötigt, ist er auch selbst schuld. Er hätte ja jeden Monat 45 € aus seinem Regelsatz sparen können, um unvorhersehbare Reparaturen selbst zu begleichen. So ist es im Sozialrecht vorgesehen. Klingt in der Theorie logisch, ist aber in der Praxis nicht realisierbar. Letztlich bleiben Peter am Fünften des Monats noch 250 € zum Bestreiten seines Lebensunterhalts. Nicht nur überleben Peter muss jeden Cent mehrmals umdrehen. Schließlich will er nicht nur überleben, sondern auch am Leben in der Gesellschaft teilhaben und vor allem teilnehmen. Daran hat bei der Hartz-IV-Berechnung wohl keiner gedacht. Warum sollte ein Hartz-IV-Empfänger auch ins Kino oder in den Zoo gehen, ein Museum besuchen oder einfach mal ein Bier in einer Kneipe trinken. Um mit dem Geld über die Runden zu kommen, geht er zweimal pro Woche zur ortsansässigen Tafel, stellt sich in die Schlange und wartet zwei bis drei Stunden auf Lebensmittel. Die lange Wartezeit verdeutlicht, dass Peter nicht der Einzige ist, der mit dem Hartz-IV-Regelsatz nicht auskommt. Es ist keine Frage, dass Institutionen wie die Tafel wichtig sind, aber sie verzerren das Bild: Der Hartz-IV-Regelsatz reicht zum Überleben, aber nicht zum Leben. Auch wenn das Bundessozialgericht aktuell entschieden hat, dass der aktuelle Hartz-IV-Satz ausreicht und nicht verfassungswidrig ist. Der Fachdienst der Diakonie Stiftung Salem gGmbH kann Peter zwar nicht mehr Geld organisieren, kann ihn aber dabei unterstützen, mit seinem wenigen Geld zurechtzukommen, ein menschenwürdiges Leben zu führen und ihn zu befähigen, am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben. Uli Bobe und Sebastian Siek, Minden * 22,50 Euro erhalten Kinder in Hartz IV pro Woche für Essen – soviel, wie ein gutes Essen mit Getränk in einem Restaurant kostet. 10 Preisdetektive im Supermarkt Schuldenprävention beginnt schon im Kindergarten Preisdetektive im Supermarkt Schuldenprävention beginnt schon im Kindergarten Reichen sechs Euro, um im Supermarkt die Zutaten für ein gesundes Mittagessen einzukaufen? Sind die Produkte in der Mitte eines Regals teurer als die, nach denen man sich bücken muss? Was kostet ein Liter Orangensaft? Lisa und Marie knien im Supermarkt vor ihrem kleinen Einkaufswagen auf dem Boden und haken eine Liste ab. Der Orangensaft ist nur ein Teil einer langen Einkaufsliste, die sie abarbeiten. Sie vergleichen Preise und lernen, was sie für einen Euro kaufen können. Zurück in der Kindertageseinrichtung packen alle Kinder ihre Einkaufstüten aus: Wer hat für 6 Euro mehr erhalten? Wer hat noch Geld übrig? Schmeckt der günstige Saft aus dem Pappkarton genauso gut wie das teure Markenprodukt? Der Einkauf im Supermarkt ist abschließender Höhepunkt des Workshops „Preisdetektive im Supermarkt“ für Vorschulkinder, den die Schuldnerberatung in Bergisch Gladbach anbietet. Bei den Kindern beliebt sind auch die Besuche in der Sparkassenfiliale. Dass das Geld nicht einfach so aus dem Automaten an der Wand kommt, sondern dafür eine Gegenleistung erbracht werden muss, wussten viele noch gar nicht. Und wohin das Geld „wandert“, wenn es auf ein Konto eingezahlt wird, finden sie ebenfalls spannend. Zurück in der Kita basteln sie Sparschweine und Schatzkisten und bringen gebrauchtes Spielzeug für eine Tauschbörse mit. „Für Geld kann man nicht alles kaufen“ Seit vier Jahren organisiert Karin Oberzier Angebote zur Schuldenprävention für Kinder und Jugendliche im RheinischBergischen Kreis. Rund 1500 Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene haben an ihren Veranstaltungen teilgenommen. „Dabei ist es uns gelungen, viele unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen“, freut sich Oberzier, „von Vorschul- und Grundschulkindern über Jugendliche bis zu jungen Erwachse- nen und Eltern.“ Ihre Teilzeitstelle ist in das Team der Schuldnerberatung integriert, die vom Diakonischen Werk Köln und Region und dem Caritasverband RheinBerg getragen wird. Finanziert wird sie von der „RheinEnergie-Stiftung Familie“, die Projekte im Versorgungsgebiet der RheinEnergie AG fördert, um das Familienleben zu stärken. Karin Oberzier möchte den Kindern vermitteln, „dass man für Geld nicht alles kaufen kann“ und „Geld nichts anderes als ein Tauschmittel für Waren oder Dienstleistungen ist.“ Nach ihrer Erfahrung wissen schon die Kleinen sehr wohl um den besonderen Stellenwert des Geldes, je nachdem, wie offen in der jeweiligen Familie über Geld und finanzielle Vorgänge gesprochen wird. „Es besitzen zu wollen, stellt auch für sie einen großen Reiz dar.“ Um das Thema auch in den Familien anzustoßen, organisiert die Sozialpädagogin Elternnachmit- Preisdetektive im Supermarkt Schuldenprävention beginnt schon im Kindergarten tage und -abende zu „Konsumerziehung und Taschengeld“. Auch die Erzieherinnen lernen in speziellen Fortbildungen etwas über „Frühe Konsum- und Gelderziehung in der Kita“. „Alles im Griff“ – Schuldenfallen rechtzeitig erkennen Neben Kindergärten und Familienzentren hat Karin Oberzier aber auch Schulkinder und ältere Jugendliche im Blick: In Grundschulen und den angebundenen Offenen Ganztagsschulen bietet sie Ferienaktionen rund um das Thema „Geld und Konsum“ an. Unter dem Motto „Alles im Griff“ informiert sie die Klassen 9 und 10 an Haupt- und Realschulen im Unterricht über das Thema „Schulden“. Die Jugendlichen stellen Einnahmen und Ausgaben in einer praxisnahen Budgetplanung gegenüber. Sie befassen sich mit Handyrechnungen und Kreditkäufen und den Kosten einer eigenen Wohnung, inklusive Miete, Strom, Wasser, Telefon und Internet, GEZ-Gebühren und Versicherungen. Sie lernen verschiedene Kreditformen kennen und werden auf Schuldenfallen hingewiesen. Insbesondere Haupt-, Förder- und Berufsschulen mit sozialpädagogischer Betreuung zeigen großes Interesse an den Informationen der Schuldnerberatung. „Da gerade Schüler mit geringer Qualifikation potentiell gefährdet sind, sich über den Tisch ziehen zu lassen“, meint Oberzier. „Gerade bei den Jüngeren ist die Entwicklung von Überschuldung erschreckend.“ Verschuldung der unter 20-Jährigen hat sich verdreifacht Laut Schuldenatlas ist ein Viertel aller überschuldeten Deutschen jünger als 30 Jahre. In den letzten Jahren hat sich die Verschuldung bei den unter 20-Jährigen verdreifacht. Von einer Überschuldung sprechen die Experten, wenn der Schulden- 11 berg auch in absehbarer Zeit nicht abgetragen werden kann und weder Vermögen noch Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen. „Die Gesamtausgaben sind also höher als die Einnahmen“, fasst Oberzier zusammen. „Warum Menschen in die Schuldenfalle hineingeraten, mag von Fall zu Fall ein sehr persönliches Schicksal sein.“ Grundlegende Ursachen sieht sie aber auch in der „Verführung der Werbeindustrie mit ihren vielfältigen Konsumanreizen.“ Die immer noch weit verbreitete Haltung „Über Geld spricht man nicht“ unterstütze zudem die Unkenntnis im Umgang mit Geld und Finanzdienstleistungen. Dem will die Schuldenprävention entgegenwirken. Ehrenamtliche sollen Schuldenprävention ausbauen Um der großen Nachfrage nach Präventionsprojekten in Kindergärten und Schulen gerecht werden zu können, will sich die Schuldenprävention im Rheinisch-Bergischen Kreis neu aufstellen: Gedacht ist an ein ehrenamtliches Fundament, das das Präventionsangebot nach der dreijährigen Anfangsphase regional ausweitet und damit mehr Einrichtungen im Vor- und Grundschulbereich und an weiterführenden Schulen erreichen kann. Gesucht werden vor allem ältere lebenserfahrene Menschen, die Kindern und Jugendlichen gerne etwas über das komplexe Thema Finanzen beibringen und sich auch spielerisch damit auseinandersetzen möchten. „Dies bedeutet auch, den eigenen Umgang mit Geld zu reflektieren, sich mit Ein- und Ausgaben auseinanderzusetzen und Finanzdienstleistungen nutzen zu lernen“, betont Oberzier, die die ehrenamtlich Engagierten zukünftig ausbilden und anleiten möchte. Text: Martina Schönhals, Köln Fotos: Karin Oberzier, Köln 12 Geld teilen Mehr denn je gilt heute der Grundsatz: „Geld regiert die Welt." Wer Geld hat, gehört zu den Mächtigen und Einflussreichen. Er kann sich leisten, was er möchte. Er kann Macht über andere ausüben. Was das Geld bewirken kann, das weiß jeder. Was Geld ist, das ist kaum einem klar. Geld ist Tauschmittel. Es hat also immer schon mit Beziehung zu tun. Denn nur wer in Beziehung zueinander kommt, wird etwas austauschen. Geld soll nicht isolieren, wie es bei manchen Reichen geschieht, die hohe Mauern um ihr Vermögen bauen, damit es ihnen keiner wegnimmt. Geld kann isolieren. Geld muss daher geteilt werden. Dann schafft es ein neues Miteinander. Aber sein Geld wird nur der teilen, der ihm gegenüber innerlich frei ist und wer sich von der Überzeugung leiten lässt, dass Geld den Menschen dient und nicht dem eigenen Reichtum, nicht dem eigenen Image. Manche Reichen verstärken durch Geld ihre Maske. Wer Geld teilt, der nimmt seine Maske ab und tritt in Beziehung zum andern. So ist für mich die Herausforderung der Zukunft, Geld nicht zu verteufeln, sondern spirituell mit dem Geld umzugehen, phantasievoll und kreativ, in innerer Freiheit und in der Bereitschaft, den Menschen zu dienen, in ihnen Leben zu wecken. Geld teilen Eine kurze Definition von Geld lautet: „Geld ist eine Übereinkunft innerhalb einer Gemeinschaft, etwas als Tauschmittel zu verwenden." Geld ist also kein Ding an sich. Es entsteht durch Übereinkunft. Nach außen hin kann Geld wertlos sein. Es ist ein Stück Papier. Doch wir statten es mit Macht aus. Wir sind es, die dem Geld Macht geben. Aus sich heraus hat es keine Macht. Also liegt alles an uns, wie wir mit dem Geld umgehen. Die wichtigste Aufgabe des Geldes ist, dass es Menschen dient. Ich verdiene nicht Geld, um reich zu werden, um mir etwas leisten zu können, sondern um den Menschen zu dienen. Anselm Grün, „Geld teilen“, aus: Anselm Grün, Das Buch der Lebenskunst. Hrsg. von Anton Lichtenauer © Verlag Herder GmbH Freiburg i. Br. 2006, S. 87 * Mit 130 Euro sind die Kosten für eine Übernachtung mit Vollpension in einem 3-Sterne-Hotel so hoch wie der Tagesatz bei höchster Pflegestufe in einem Pflegeheim. Leben ohne Geld für Gottes Lohn Das Leben einer Diakonisse 13 Leben ohne Geld für Gottes Lohn Das Leben einer Diakonisse „Was will ich? Dienen will ich. Wem will ich dienen? Dem Herrn in seinen Elenden und Armen. Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, dass ich dienen darf.“ Dieser Diakonissenspruch umschreibt das Wesen evangelischer Diakonissenhäuser. Es war der Kaiserswerther Pfarrer Theodor Fliedner (1800 – 1864), der die Idee der diakonischen Gemeinschaft in Deutschland einführte. Mit der „Erfindung“ der Diakonisse begegnete er sozialen Missständen, die die Industrialisierung hervorgebracht hatte. Frauen der mittleren Schicht konnten bis dahin keine eigene Ausbildung absolvieren, sondern sich nur durch Heirat die Existenz sichern. Fliedner ist es zu verdanken, dass unverheiratete Frauen eine eigene Ausbildung erhielten und versorgt waren. Damals wie heute leben Diakonissen in einer Gemeinschaft, die für ihre Versorgung aufkommt. Aus der gemeinsamen Kasse erhalten die Schwestern ein sogenanntes „Taschengeld“, berichtet die 73-jährige Diakonisse Hannelore Skorzinski. Auch die in Ostpreußen geborene Diakonisse und spätere Oberin der Königsberger Diakonie in Wetzlar hat den klassischen Weg beschritten und ist für „Gotteslohn“ im Dienst gewesen. Das Taschengeld ist für alle Schwestern gleich hoch, so sieht es die Versorgungsordnung der Mutterhäuser vor. „Stationsgeld“ wird das Gehalt genannt, das die Einrichtungen nicht an die Diakonissen persönlich sondern an das Mutterhaus auszahlen. Daraus werden auch die Renten- und Sozialleistungen abgedeckt, wozu die Krankenversicherung, das Wohnen und die Verpflegung gehören. Auch für die Kleidung (Tracht) sorgt das Mutterhaus. Auch gibt es eine festgelegte Urlaubszeit mit entsprechendem Urlaubs- und Reisegeld. Als die Mutterhäuser noch über eigene Ferien- und Erholungsheime verfügten, konnten die Diakonissen dort für wenig Geld Urlaub machen. So ist Schwester Hannelore im Schwarzwald, am Bodensee, an der Nordsee und auf den Inseln gewesen, ebenso wie in der Schweiz. Auch weitere Reisen waren ihr möglich, so an die Costa Brava in Spanien, nach Taize in Frankreich oder nach Königsberg, dem heutigen Kaliningrad. Keine finanziellen Sorgen Ist eine Diakonisse krank oder braucht medizinische oder orthopädische Hilfsmittel wie Zahnprothesen, so finanziert auch diese das Mutterhaus, soweit die Krankenkassen nicht 14 Leben ohne Geld für Gottes Lohn Das Leben einer Diakonisse Damals wie heute leben Diakonissen in einer Gemeinschaft, die für ihre Versorgung aufkommt. eintreten. „Diese finanziellen Sorgen sind uns alle genommen“, so Schwester Hannelore. Deshalb ist eine Diakonisse nicht abhängig vom Einkommen, nicht von Menschen, auch nicht von anderen Schwestern. Das Taschengeld verwenden die Diakonissen auch dazu, diakonische und missionarische Projekte zu fördern. In manchen Situationen habe sie sich einen größeren Betrag gewünscht, um jemandem stärker helfen oder etwas Besonderes bewirken zu können. Das Einzahlen des Gehaltes in die Gemeinschaftskasse hat noch einen positiven Nebeneffekt. Was an Geld nicht für den Unterhalt des Mutterhauses und seiner Einrichtungen verbraucht wurde, konnte in neue Projekte gesteckt werden, etwa den Bau eines weiteren Hauses. Das 1850 in Königsberg in Ostpreußen gegründete „Königsberger DiakonissenMutterhaus der Barmherzigkeit“ hatte 1930 rund 1000 Diakonissen, die eine große finanzielle Kraft bedeuteten. „Gefehlt hat uns nichts“, meint Schwester Hannelore, die 1957 mit 18 Jahren in das Westfälische Mutterhaus in Münster eingetreten ist und seitdem die Diakonissentracht trägt. „Das Mutterhaus sorgt ja für uns Schwestern bis ans Lebensende.“ Die Situation der Mutterhäuser unterliegt einem starken Wandel, stellte die rüstige Schwester fest. So sei auch die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Diakonissen durchaus zu durchdenken und zeitgemäß anzupassen. „Dennoch empfinde ich diesen Auftrag des gemeinsamen Lebens und auch der gemeinsamen Kasse immer noch sinnvoll und lebenswert“, fasst sie für sich ihre Erfahrungen zusammen. Lothar Rühl, Wetzlar Eine Ortschaft mit eigener Währung Über 100 Jahre Bethel-Geld 15 Eine Ortschaft mit eigener Währung Über 100 Jahre Bethel-Geld Der Euro ist stabil! Von Krise keine Spur. Das trifft zurzeit allerdings nur auf den Euro zu, mit dem in der Ortschaft Bethel in Bielefeld bezahlt werden kann. Die Geschichte des Bethel-Geldes geht auf das Jahr 1908 zurück. Damals entschied die Anstaltsleitung, dass Bewohner und Mitarbeiter „Anstaltsgeld“ erwerben könnten, um damit in den Bethel-Geschäften günstig einzukaufen. Das Zahlungsmittel gibt es bis heute. Allerdings hat es über die Jahre an Verbreitung verloren und wird heute wesentlich weniger genutzt. Das Bethel-Geld überstand Wirtschaftskrisen, Geldentwertungen und Währungsreformen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es allerdings zeitweilig aus dem Verkehr gezogen. Aber die Angestellten in Bethel forderten eine Wiedereinführung der besonderen Währung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdienten in der Regel weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen in der freien Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst. Dank des Wirtschaftsbooms gab es eine Fülle von gut bezahlten Jobs. Die Entgelte in der Diakonie konnten dieser Entwicklung nicht folgen. Beim Umtausch von D-Mark in Bethel-Mark bekam die Mitarbeiterschaft jedoch einen Bonus von fünf Prozent und hatte dadurch in den Anstaltsgeschäften einen Einkaufsvorteil. Bethel wurde 1867 von der Inneren Mission mit Unterstützung von Bielefelder Kaufleuten gegründet. Alles begann mit einer Einrichtung für Jungen mit Epilepsie. Aus dieser Keimzelle erwuchs eine Ortschaft mit einer Vielzahl von Heimen und Krankenhäusern. 40 Jahre später gab es Angebote für Menschen mit Epilepsie, geistiger Behinderung, psychischen Erkrankungen sowie für„körperlich Kranke, Waisenkinder, Arbeitslose, Alkoholiker und sonstige Anstaltspflegebedürftige und Direktionslose“, wie im Bethel-Archiv nachzulesen ist. Leiter und maßgeblicher Gestalter der damaligen Anstalt war von 1872 bis 1910 Pastor Friedrich von Bodelschwingh. An ihn erinnert der Name der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Auch in der Buchhandlung in der Ortschaft Bethel wird mit Bethel-Euro bezahlt. 16 Eine Ortschaft mit eigener Währung Über 100 Jahre Bethel-Geld Die Bethel-Mark, die in den 1950er-Jahren wieder eingeführt wurde, bereitete den Verantwortlichen in Bethel zunächst Sorgen. Dabei ging es weniger um den Geldwert als vielmehr um die Papierqualität. Von den 1955 gedruckten Scheinen musste rund ein Drittel wieder aus dem Verkehr gezogen werden, weil es schnell unbrauchbar geworden war. Und auch vom Neudruck landete die Hälfte im Müll. Erst 1958 gelang es, eine Druckerei zu finden, die „gutes Geld“ druckte. Nur ein einziger Schein aus dieser Produktion wurde eingezogen. Er war in einen Reißverschluss geraten. Das Bethel-Geld sollte einen Anreiz zum Einkauf in den Bethel-Betrieben schaffen. Dadurch wurden die Infrastruktur gestützt und Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung gesichert. Darüber hinaus sah die Anstaltsleitung in der Ausgabe des BethelGelds einen gewissen Schutz für die behinderten Bewohner. Sie befürchtete, dass sie mit ihrem Taschengeld „allerlei Unfug“ anrichten könnten. Wenn sie aber Warengutscheine erhielten, so die Argumentation, wären sie gezwungen, ihre Einkäufe nur in den Anstaltsgeschäften zu tätigen, „und dort weiß man sie richtig zu behandeln“. Heute kann jeder Mensch, der Unterstützung von den Fachdiensten der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel erhält, selbstbestimmt einkaufen, wo und was er will. Zum 1. März 2002 wurde aus der BethelMark der Bethel-Euro in Abstimmung mit der Europäischen Zentralbank. Die wirtschaftliche Bedeutung des BethelGeldes ist in den vergangenen Jahrzehnten jedoch zurückgegangen. Trotzdem nehmen - von der Buchhandlung bis zur Bäckerei - immer noch viele Geschäfte die Warengutscheine an. Beim Umtausch ist die Sparkasse Bielefeld behilflich. Pro Person können bis zu 1000 Euro gewechselt werden. Für hundert Euro werden hundertfünf Betheleuro ausgezahlt. Die Deutsche Bundesbank hatte bei der Entwicklung ein wachsames Auge auf die sieben Bethel-Scheine. Die Farben und Motive der 50-Cent-, 1-, 2-, 5-, 10-, 20- und 50- EuroScheine mussten sich deutlich von der regulären Währung unterscheiden. Diese Forderung der Aufsichtsbehörde haben die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gelöst, indem sie die schönsten und geschichtsträchtigsten Gebäude der Ortschaft Bethel auf ihren Scheinen präsentieren und damit für einen Ort werben, in dem die Geschichte der Diakonie lebendig ist. Silja Harrsen, Bielefeld Der langjährige Leiter von Bethel, Pastor Friedrich von Bodelschwingh, förderte die Einführung des BethelGeldes. Fotos: Bethel Urlaubsmünzen Wie aus alten D-Mark-Scheinen und Rest-Devisen Bildung wird 17 Mit Urlaubsmünzen etwas Gutes tun Wie aus alten D-Mark-Scheinen und Rest-Devisen Bildung wird Seit es den Euro gibt, hat man nach einem Urlaub seltener das Problem: Wohin mit den restlichen Münzen und Scheinen aus dem Urlaubsland? Und doch haben sich bei vielen Urlaubern auch in diesem Jahr wieder Dollar, Kronen, Pfund und Zlotty nach den Ferien angesammelt. Oft wandern die Münzen in irgendwelche Schubladen und verstauben dort. Mit diesen Rest-Devisen, aber auch alten D-Mark-Beständen, die nach Jahren wieder auftauchen, kann man Gutes tun. Schon seit Jahren sammelt Uwe Seils, Mitarbeiter im rheinischen Landeskirchenamt, in- und ausländische Münzen und tauscht sie für einen guten Zweck ein. Neben den Rest-Devisen aus dem Ausland interessieren ihn auch alte, nicht mehr gültige Münzen und Banknoten sowie ausländisches Kleingeld, das keine Bank mehr zurücknimmt. Lange Zeit wurden mit den Erlösen Behindertenhilfsprojekte in Osteuropa Kontakt Wer übrig behaltene Urlaubsmünzen oder Geldscheine spenden möchte oder auf dem Dachboden noch eine Zigarrenkiste mit alten Münzen findet, kann sich an Uwe Seils wenden. Er ist zu erreichen unter Telefon 0211/4562642 und per E-Mail uwe.seils@ekir-lka.de. unterstützt. Seit einigen Jahren fördert Seils damit die Schulstiftung der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR). Als sich vor einigen Jahren die Münzen säckeweise bei Uwe Seils türmten, musste das Geld noch in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung sortiert werden. Heute sind die Mengen überschaubarer und Seils sortiert alles selbst von Hand. Im letzten Jahr konnte er so einen Betrag von fast 3000 Euro eintauschen. Ulrich T. Christenn, Düsseldorf * 80 Euro kostet durchschnittlich eine Tankfüllung mit Benzin – 80 Euro beträgt auch die Pauschale, wenn ein Kind für 35 Stunden in der Woche einen Kindergarten besucht. 18 Senioren in der Schuldenfalle Senioren in der Schuldenfalle Wenn sie aus ihrem Wohnzimmer direkt auf die Kölner Oper schaut, wird Luise M. ganz wehmütig ums Herz: Es sind nicht die Querelen um die Sanierung und die Finanzen der Kölner Oper, es ist vielmehr ihre eigene finanzielle Situation, die sie belastet. „Ich kann zwar auf die Oper gucken, aber einen Opernbesuch kann ich mir nicht leisten“, seufzt die 79-Jährige, die früher gerne mit ihrem Mann in die Oper ging. Seit seinem Tod lebt sie alleine in der großen Wohnung. Hier finden sich noch viele Spuren eines besseren Lebens: Eine Schrankwand aus hochwertiger Eiche ziert die Wohnzimmerwand, ein Glastisch mit Blumenvase steht vor der großen Fensterfront. Die Miete ist für Kölner Verhältnisse in dieser zentralen Lage vergleichsweise günstig, doch nach Abzug der Miete hat die Rentnerin noch 400 Euro zum Leben. Für einen Opernbesuch bleibt da kein Geld übrig. Bankberater verschwand mit Erspartem Ähnlich ergeht es auch Friedhelm W.: „Ein Theater oder ein Café haben meine Frau und ich schon lange nicht mehr besucht“, sagt der 75-Jährige. Als leitender Angestellter einer großen Versicherung hat er im aktiven Berufsleben gut verdient und für das Alter einiges auf die Seite legen können. Das Ersparte, mehr als 100.000 Euro, vertraute er einem befreundeten Bankberater an. Der aber verschwand mit dem Geld. Die Rente allein reichte nicht, um die große Wohnung in einer noblen Gegend im Kölner Süden zu halten. „Ich habe zunächst ohne meine Frau nach einer günstigeren kleineren Wohnung gesucht und zum Glück etwas Schönes für uns beide gefunden.“ Trotzdem sei es vor allem seiner Frau sehr schwer gefallen, den gewohnten Stadtteil zu verlassen und sich von lieb gewordenen Dingen und Gewohnheiten zu trennen. „Auch der Freundes- und Bekanntenkreis schrumpft zusehends, wenn das Geld weder für einen Restaurantbesuch noch für ein Gastgeschenk reicht“, räumt der Rentner ein. Nach Abzug der privaten Krankenversicherung, Miete und Kosten für das Auto, das der schwerbehinderte Mann keinesfalls aufgeben möchte, bleiben dem Ehepaar noch knapp 400 Euro zum Leben. Alle Bemühungen, die hohen Kosten der Krankenversicherung zu reduzieren, sind gescheitert. Mit Hilfe der Schuldnerberatung strebt Friedhelm W. jetzt eine Privatinsolvenz an, um schuldenfrei zu werden. „Alte Menschen wollen ihr Haus bestellen“ Gerade älteren Menschen ist es oft wichtig, am Ende des Lebens schuldenfrei zu sein. „Sie wollen ihr Haus bestellen“, sagt Kerstin Nöll, Seniorenberaterin der Diakonie in KölnLindenthal. In ihre Sprechstunde kam eine 82-Jährige, der es ganz wichtig war, 700 Euro Schulden zurückzuzahlen, bevor sie stirbt. „Ein vergleichsweise kleiner Betrag“, räumt Nöll ein, aber da das Einkommen im Sozialhilfeniveau lag, konnte die Seniorin nicht einmal kleine Raten zurückzahlen. Auf Drängen der Seniorenberaterin ließen sich die Gläubiger auf einen Vergleich ein und es fanden sich zwei Stiftungen, die den noch offen stehenden Betrag übernahmen. „Die Dame ist ungefähr ein knappes Jahr später gestorben und sie war ganz glücklich, dass die Senioren in der Schuldenfalle 19 Schulden bezahlt waren.“ Diesen Fall konnte die Seniorenberaterin mit einigem Aufwand selbst lösen, komplexere Fälle vermittelt Kerstin Nöll lieber an die Kolleginnen und Kollegen in der Schuldnerberatung weiter. Bedarf an Schuldnerberatung wächst stetig „Der Bedarf an Schuldnerberatung für den Personenkreis über 60 wächst stetig“, sagt Maike Cohrs, Teamleiterin der Schuldnerberatungen für Köln und Brühl unter dem Dach des Diakonischen Werkes Köln und Region. „Schon heute können wir nicht allen Anfragen nachkommen.“ In der Beratungsstelle in Köln wurden im vergangenen Jahr knapp 600 Menschen beraten. 18 Prozent der Ratsuchenden waren älter als 60 Jahre. Maike Cohrs hat die Erfahrung gemacht, dass vor allem ältere Menschen nicht gerne über Geld sprechen: „Man hat auch keine Schulden“, so die weit verbreitete Auffassung in der älteren Generation, „denn wer Schulden hat, kann nicht mit Geld umgehen“. Während es bei den Jüngeren auch schon mal normal sei, dass man sein Konto überzieht, „aber bei den Älteren ist das eben nicht normal.“ Besonders häufig sind es Frauen wie Luise M., die nach dem Tod ihres Partners mit der kleineren Witwenrente auskommen müssen und selbst über keine oder nur eine sehr geringe Rente verfügen. Viele waren wegen der Familie gar nicht berufstätig oder nur zeitweise und haben dann oftmals wenig verdient. Wenn das Geld kaum zum Leben reicht, sammelt sich schnell ein Schuldenberg an, der mit einer kleinen Rente nicht mehr abzutragen ist. In Ausnahmefällen auch Hausbesuche Allerdings haben vor allem ältere Menschen große Scheu, eine Beratungsstelle aufzusuchen, oder aber sie sind körperlich kaum noch dazu in der Lage. In solchen Fällen machen die Schuldnerberater der Diakonie auch schon mal einen Hausbesuch. Rund 40 Hausbesuche waren es im vergangenen Jahr. Hier geht es Maike Cohrs und ihren Kollegen erst einmal darum, Vertrauen aufzubauen und die Senioren zu ermutigen, Hilfe anzunehmen, auch finanzielle staatliche Hilfe, um die Rente aufzustocken. Die Schuldnerberatung an sich unterscheidet sich nicht wesentlich von der Beratung jüngerer Menschen, die überschuldet sind: Einnahmen und Ausgaben werden in einem Haushaltsplan gegenübergestellt, es wird nach Einsparmöglichkeiten gesucht und Kontakt zu den Gläubigern aufgenommen. Die Beratung ist kostenlos und unterliegt der Schweigepflicht. In der Regel erfahren die Beraterinnen und Berater gerade von älteren Menschen große Dankbarkeit, wenn sie helfen konnten, betont Maike Cohrs: „Die Dankbarkeit ist immer da, das merkt man.“ Viele seien erleichtert, wenn sie merken, dass sie Miete, Strom und Lebensmittel zahlen könnten und danach erst die Gläubiger und Ratenverpflichtungen an der Reihe seien. „Wenn dann noch zusätzliche finanzielle Hilfe organisiert werden kann, sind die meisten schon sehr erleichtert und auch sehr dankbar.“ Text: Martina Schönhals, Köln Fotos: Jürgen Schulzki, Köln 20 Nächste Hilfe Bahnhofsmission Schnell und unkompliziert Foto. Bahnhofsmission Die Bahnhofsmission versteht sich als soziale Anlaufstelle, die unbürokratisch, kostenlos und auf Wunsch auch anonym den Menschen zur Seite steht. Art und Umfang des Problems spielen keine Rolle, denn wer Hilfe sucht ist hier genau richtig. Täglich werden die über 100 Bahnhofsmissionen in Deutschland von Menschen aufgesucht, die nicht weiterwissen und es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen, ihren Lebensalltag zu bewältigen. „Wir helfen jedem Menschen, egal mit welchem Problem“, nach diesem Grundsatz handelt die Bahnhofsmission. Egal ob es sich um Gespräche über Sorgen und Nöte handelt oder eine konkrete Hilfe erforderlich ist, die Mitarbeitenden beraten, vermitteln und unterstützen. Jeden Tag. Ein Beispiel aus Essen Ein Beispiel stellvertretend für die tägliche Arbeit der Bahnhofsmission: Es ist Dienstag, als eine junge Frau in die Bahnhofsmission Essen kommt. Frau P. Ist gehörlos, wodurch die Kommunikation mit ihr nur sehr eingeschränkt möglich ist. Wir kontaktieren das Jugendhilfezentrum für Hörgeschädigte in Essen und bitten um Unterstützung. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin macht sich mit Frau P. direkt auf den Weg dorthin. Im Gespräch mit der Dolmetscherin stellt sich heraus, dass Frau P. 21 Jahre alt ist und ursprünglich aus Augsburg stammt. Sie ist mit ihrem Freund nach Essen gezogen. Von diesem hat sie sich jedoch getrennt und ist aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Zu ihren Eltern möchte sie nicht zurück, da es in der Vergangenheit vermehrt zu Streitigkeiten gekommen ist. Frau P. würde gerne eine eigene Wohnung in Bochum bezie- Nächste Hilfe Bahnhofsmission Schnell und unkompliziert hen. Sie ist überfordert mit ihrer Situation, da sie durch ihre Verständigungsschwierigkeiten nicht weiß, wie sie die Anträge beim zuständigen Job-Center stellen soll. Derzeit ist Frau P. völlig mittellos. Außerdem klagt sie über starke Zahnschmerzen, kann sich jedoch die Praxisgebühr nicht leisten. Wieder am Hauptbahnhof angekommen, übernehmen wir für sie die Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro und sie sucht einen Arzt auf. Anschließend kommt sie zurück in die Bahnhofsmission. In der Zwischenzeit hat ein Mitarbeiter einen Termin mit der Gehörlosenberatungsstelle in Bochum für den nächsten Tag vereinbart. Am nächsten Morgen kommt sie wieder zu uns, gehen wir mit ihr gemeinsam einkaufen und finanzieren ihr die nötigen Lebensmittel für die nächsten Tage. Nachmittags kann sie nach Bochum fahren, um sich in der Beratungsstelle zu melden. Einige Tage später kommt Frau P. noch einmal in die Bahnhofsmission. Sie bedankt sich für unsere Unterstützung. Sie konnte die nötigen Unterlagen beim Job Center einreichen und wird Anfang des nächsten Monats eine eigene Wohnung beziehen. Dies ist nur eins von zahlreichen Beispielen, wie die Bahnhofsmission auch mit geringen finanziellen Mitteln und durch die Unterstützung ehrenamtlich Mitarbeitender Menschen in ihrer Not helfen kann. Oft hilft es schon, die Menschen in ihrer Not ernst zu nehmen und ein Stück auf ihrem Weg zu begleiten. Barbara Weß, Essen Fördermittel für Gemeinden 21 Fördermittel für Gemeinden Wie können Gemeinden für Ihre Projekte Fördermittel akquirieren? Wer berät sie zu den Richtlinien und dem Antragsprocedere? Anträge an Soziallotterien wie Aktion Mensch, GlücksSpirale, ARD-Fernsehlotterie (Stiftung Deutsches Hilfswerk) sowie die Stiftung Wohlfahrtspflege und Fördermittel aus den Erlösen des Postverkaufs von Wohlfahrtsbriefmarken können nur über die jeweiligen Landesverbände gestellt werden. Für das Rheinland berät die Geschäftsstellte der Diakonie RheinlandWestfalen-Lippe in Düsseldorf. Auch Kirchengemeinden können sich an den Landesverband wenden. Grundsätzlich werden soziale Projekte mit konzeptioneller Neuausrichtung gefördert. Hierzu gehören genauso zukunftsweisende Investitionen (Bau/Ausstattung) als auch Personalkostenförderungen im Rahmen innovativer Modellprojekte. Regelangebote, Anschlussfinanzierungen, bestehendes Personal sowie Sanierung / Instandhaltung werden im Allgemeinen nicht gefördert. Die Förderung erfolgt nach festgelegten Förderrichtlinien, die genauestens einzuhalten sind. Es wird immer ein Eigenanteil des Antragstellers zwischen 10 und 20 Prozent erwartet. In der Regel darf mit dem Projekt nicht vor der Entscheidung der Kuratorien begonnen werden. Nach Ende der Maßnahme wird ein Projektbericht mit einem endgültigen Kosten- und Finanzierungsplan erwartet. Die bewilligten Fördermittel werden überwiegend in Raten nach Rechnungsnachweis ausgezahlt. Welche interessanten Fördermöglichkeiten gibt es für Gemeinden? Aktion Mensch fördert Investitionen zur Verbesserung der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung (SGB IX) in Gemeindezentren mit integrativem Konzept. Wobei zu beachten ist, dass keine Zentren gefördert werden, die „rein“ kirchliche Angebote vorhalten, wie Räume für Gottesdienste, Konfirmandenunterricht, Gemeindebüro. Das Zentrum muss offene integrative Angebote für den Stadtteil offerieren. Dem Antrag muss ein „Wochen-Monatsplan“, in dem sämtliche Angebote aufgeführt sind, die in den zu fördernden Räumen stattfinden, beigefügt werden. Über die Förderaktion „Miteinander Gestalten“ werden kleine Projekte im Bereich Inklusion im Alltag und Kinder- und Jugendprojekte unterstützt. Hier kann eine Fördersumme über 4.000,00 € beantragt werden. Eigenmittel sind ausnahmsweise nicht notwendig. Stiftung Deutsches Hilfswerk (ARD-Fernsehlotterie) und die Stiftung Wohlfahrtspflege fördern offene Seniorenarbeit wie zum Beispiel Investitionen für ein Seniorenzentrum beziehungsweise den neuen Förderschwerpunkt „Quartiersentwicklung“ für Senioren. Wie kann oder muss ein Stadtteil verändert werden, damit dort ein Leben bis ins hohe Alter gewährleistet werden kann? Hier geht es sowohl um gesellschaftliche Fragen in Bezug auf realistische Altersbilder als auch um Schaffung von Infrastruktur, bedarfsgerechten Wohnangeboten und Dienstleistungen und wohnortnaher Beratung und Begleitung. Die GlücksSpirale fördert Personalkosten für neue innovative Projekte (keine Regelangebote) in der außerschulischen Jugendarbeit als Anschubfinanzierung, sowie den Aufbau von Ehrenamtsstrukturen für besondere neue Angebote. Fördermittel aus den Erlösen des Postverkaufs von Wohlfahrtsbriefmarken können insbesondere für kleine innovative Projekte im Bereich Junge Menschen, Familien. Kranke, Behinderte und alte Menschen angefragt werden. Michaela Hof, Düsseldorf Weitere Informationen Wichtige Hinweise zu allen Fördermöglichkeiten finden Sie auch im Internet: www.aktion-mensch.de www.ard-fernsehlotterie.de www.sw.nrw.de www.gluecksspirale.de 22 Was das alles kostet! Heimkosten aus der Sicht einer Bewohnerin Ach du meine Güte, was kostet das alles? Heimkosten aus Sicht einer Bewohnerin des Wilhelm-Langemann-Hauses in Meinerzhagen* Wir leben in einer hektischen, schnellen Gesellschaft, dieses Leben macht sich auch bei uns Menschen bemerkbar. Ich denke daran, dass die Menschen alt werden, sie benötigen eine Pflege, die einerseits nicht leicht ist, und andererseits nicht mehr bezahlbar sein wird, je älter sie werden. Ich bin Witwe, habe keine Kinder, vom Rest der Familie wollte ich die Hilfe nicht einfordern oder annehmen. Aber wohin soll ich gehen, wer wird sich um mich kümmern? Von Anfang an gab es für mich Folgendes zu bedenken: Wer entscheidet für mich, wenn ich selbst nicht mehr in der Lage bin, wer macht meine Bankgeschäfte und all die Dinge, die zu erledigen sind? Bei diesen Fragen wurde ich von meinem Schwager beraten. L Wie wird sich meine finanzielle Situation gestalten? L Wie sieht meine Vorsorge aus? L Wie steht es mit dem Notgroschen? L Wie klappt es mit der Erbschaft? Wir hatten ein sehr vertrauensvolles Verhältnis. Da war es für mich logisch, diesem Menschen auch entsprechende Vollmachten zu übertragen. In meiner Umgebung habe ich viel Positives vom Altenheim in Meinerzhagen gehört. Ich habe einen Termin zur Beratung und Besichtigung mit der Einrichtungsleitung abgesprochen und mir das Haus sehr genau angesehen. Mein Eindruck war überraschend positiv. Ich habe mich dann, so wie ich bin, auf eine Warteliste setzen lassen. Und wie das Leben so spielt, ich musste ins Krankenhaus und während des Aufenthaltes stellte sich heraus, dass nun der Zeitpunkt kommt, dass ich übersiedeln muss. Ich bekam einen Platz in Meinerzhagen. Und nun die Frage aller Fragen: Was kostet das alles? Die Mitarbeiterin in der Verwaltung hat mich umfassend informiert und mich beratend unterstützt. Auf alle gestellten Fragen bekamen wir kompetente Antworten und schriftliche Informationen. Aber im Besonderen interessierte ich mich natürlich auch: ofür wird mein Geld gebraucht? W Was passiert mit mir? L Wo komme ich hin? L Wer kümmert sich um mich? L Wie bekomme ich mein Essen? L Was passiert, wenn ich krank werde? L Was kann ich in meiner Freizeit machen? L L Ich habe die Pflegestufe 1 und zahle für meinen Platz im Haus für Unterkunft 16,04 Euro, für Verpflegung 12,35 Euro, Für die Pflege, die ich brauche, 42,38 Euro und der Betrag für Investitionen ist 13,09 Euro. Gesamt bedeutet das am Tag 83,86 Euro und durchschnittlich im Monat 2.551,02 Euro. Davon übernimmt die Pflegekasse 1.023,00 Euro und so bleibt für mich zu zahlen 1.528,02 Euro. Das ist auf den ersten Blick viel Geld. Doch dafür bekomme ich: ein nettes Zimmer mit Nasszelle, mit Pflegebett und Nachttisch. Mit eigenen Möbeln konnte ich mir mein ganz eigenes Zuhause schaffen. Dazu eine umfassende, professionelle, mich auch aktivierende Pflege am Tag und in der Nacht. Ich brauche mich nicht um Arzttermine, nicht um die Medikamente und vieles mehr zu kümmern. Wir werden sogar ein Mal in der Woche gebadet, wo gibt es so was noch heute? Ich habe die Sicherheit, nie alleine sein zu müssen. Einer ist immer da! Auch in der Nacht. Da hatte ich die letzte Zeit zu Hause schon manchmal ein wenig Angst. Ums Essen muss ich mich auch nicht mehr kümmern. Zu Hause allein zu essen, jeden Tag, war schon sehr traurig und hat meinen Appetit nicht gefördert. Hier im Haus gibt es gutes, leckeres Essen. Die Mahlzeiten kann jeder innerhalb eines gewissen Zeitrahmens einnehmen, in Gesellschaft oder auch nicht, ganz wie man’s mag. Auch Frühaufsteher oder Langschläfer kommen zu ihrem Recht. Wir haben eine tolle Auswahl zum Frühstück Was das alles kostet! Heimkosten aus der Sicht einer Bewohnerin und Abendbrot, können aus mindestens drei Sorten Wurst und drei Sorten Käse und vielen verschiedenen Brotsorten, Beilagen sowie Getränken auswählen. Samstag und Sonntag wird zum Mittag- und Abendessen außerdem Wein und Bier angeboten. Wer kennt das von Zuhause? Ich konnte bestimmt gut leben, finanziell ging es uns gut, aber so umfangreich hatte ich es, ehrlich gesagt, nicht. Mittags wählen wir aus zwei Gerichten aus. Es wird sich unseren Wünschen und Bedürfnissen angepasst. Ich arbeite zum Beispiel in der Speiseplangruppe mit. Hier werden die Pläne der nächsten Zeit mit uns abgestimmt und auch Beschwerden fachlich diskutiert und bearbeitet. Unsere Wünsche werden aufgenommen und in der nächsten Zeit finden wir sie auf dem Speiseplan wieder. Mir gefällt besonders gut, dass zur Jahreszeit passend gekocht wird. Das ist auf jeden Fall wirtschaftlich. Ich habe im Winter auch keine Erdbeeren gekauft oder Pflaumenkuchen gebacken. Wir werden in unserem alltäglichen Leben im Haus in einem sehr anspruchsvollen Rahmen bedient, von der Pflege, der Hauswirtschaft und dem Sozialdienst. Darüber hinaus gibt es einen großen Kreis Ehrenamtlicher, die ihren Beitrag zu unserem Wohlbefinden beisteuern. Das ist das „bisschen“ Mehr am Rande. Und ich denke, ich kann das auch für die Mitbewohner sagen. Das Personal ist immer korrekt und schön sauber angezogen, hat einen guten, äußerst angepassten Umgangston. Mir ist das sehr wichtig. Das gilt nicht nur für die Pflege und das leibliche Wohl, sondern auch für die Seele. Es wird im Haus so viel Gelegenheit zur Beschäftigung angeboten. Wir werden zu Veranstaltungen eingeladen, und wer nicht kann wie ich, wird sogar geholt und gebracht. Jeder entscheidet ob er will oder nicht – es ist ein Angebot! 23 Ich habe so vielfältigen Kontakt zu den ehrenamtlichen Mitarbeitern, zu den Mitbewohnern und zu Menschen aus der Gemeinde. Viele Menschen aus Kierspe, meiner alten Heimat, begegnen mir hier. Sie sehen, wir haben ein umfangreiches Programm, ganz nach meinem Geschmack, und alles fürs gleiche Geld. Dennoch treffe ich immer wieder Bewohner und Angehörige, die sagen, dass das alles so teuer ist. Ich begegne diesen Menschen im offenen Gespräch, versuche ihnen zu erklären, dass auch noch weitere Kosten anfallen, die nicht so erkennbar sind. Es denkt nicht jeder daran, wie Grundstückssteuer, Feuerversicherung, Hausratversicherung, Heizung, warmes Wasser, elektrisches Licht, Reparaturen, Neuanschaffungen finanziert werden. Aber es sind noch so viele Dinge mehr, die Beachtung finden müssen, die auch Geld kosten: gereinigte Zimmer, saubere Fenster, gepflegte Wäsche, schöner gepflegter Garten, wunderbare Dekoration zu jeder Jahreszeit im ganzen Haus, Weihnachtsessen mit Angehörigen, Oster- und Weihnachtskaffeetrinken mit Angehörigen, Freunden oder Bekannten, Sommerfeste, Spargelessen und noch so vieles mehr! Mein Leben hier im WLH hat einen besonderen Wert erfahren. Wir dürfen nicht immer nur Kosten oder Nutzen gegenrechnen. Ich habe hier sehr viele nette Menschen kennen gelernt, die mich begleiten – stützen – halten, die mir aber auch viel bedeuten. Sie werden es kaum glauben, je älter ich werde, umso mehr muss ich lernen, auf der einen Seite Hilfe anzunehmen, aber auch Unterstützung weiterzugeben. Bei all den vielen Worten, ich darf sein, wie ich bin und auch so bleiben, egal was es kostet. Ist das nicht schön ? Eure Mia Vollmer, Meinerzhagen Ich gehe montags zum Gottesdienst, dienstags zum Nachmittagskreis, mittwochs zur Cafeteria oder zu den Braun‘schen Frauen, donnerstags zur Sitzgymnastik, freitags zum Gedächtnistraining und freitags vormittags vereinbare ich meistens Friseurtermine im Haus. Den gibt’s nämlich auch hier! Ein Mal im Monat, an einem Dienstagnachmittag, kommt mein Schwager (als Betreuer) mit seiner Ehefrau, und dann bestelle ich mir unten in der Küche Kaffee und Kuchen für mich und meine Gäste, den wir gemeinsam im Zimmer einnehmen. *Abdruck mit freundlicher Genehmigung aus der PerthesPost, Ausgabe 3/2012 24 Die Diakoniesammlung Eine Frage von Verantwortung und Freiheit Die Diakoniesammlung Eine Frage von Verantwortung und Freiheit Zu den diakonischen Pflichten der Kirchengemeinde gehört insbesondere die Durchführung der Diakoniesammlung. So steht es im Diakoniegesetz. Traurige Wirklichkeit ist, dass viele Gemeinden immer mehr Schwierigkeiten haben, die Sammlungen auch durchzuführen. Vielerorts fällt es schwer, tatkräftige Sammlerinnen und Sammler zu finden, die bereit sind, im Frühsommer und Ende November bis Mitte Dezember die Sommersammlung und die Adventssammlung der Diakonie jeweils drei Wochen lang durchzuführen. In manchen Kirchengemeinden werden dem Gemeindebrief Zahlscheine beigelegt, in anderen wird die Sommersammlung aufgegeben und man konzentriert sich auf die Adventssammlung. Andererseits gibt es noch etliche Kirchengemeinden, die an der Tradition der Diakoniesammlung festhalten und neue Wege beim Sammeln ausprobieren. Diese Gemeinden können erleben, dass die Sammlungen einen ganz besonderen Charme haben, der sie von anderen Spendenaktionen und „Fundraising“-Aktivitäten unterscheidet. Foto: www.wirsammeln.de Bettler und Botschafter Denn die Sammlerinnen und Sammler kommen nicht nur als „Bettler“, sie sind auch Botschafter ihrer Kirchengemeinde und werden aufmerksam so wahrgenommen. Es kommt vor, dass Menschen unwirsch reagieren, wenn die Sammlerin klingelt. Viel häufiger können Sammlerinnen und Sammler aber erleben, dass sie freundlich empfangen werden. Denn eine Kirche, die diakonisch Gutes tut, hat ein gutes Ansehen, auch bei denen, die den Weg in den Sonntagsgottesdienst kaum noch finden. Natürlich nutzen manche Menschen auch das Gespräch an der Haustür, um von ihren Sorgen und Nöten zu erzählen. Sammlerinnen und Sammler brauchen die Gabe des Zuhörens genauso wie die Gabe, um Geld zu bitten. Die Mischung machts und sie ist eben anders als bei Geldsammlungen mittels Massenbrief oder über Handyspende. In der sammlungsspezifischen Kombination aus Hausbesuch und Spendenbitte liegt das Besondere und Unaufgeb- Die Diakoniesammlung Eine Frage von Verantwortung und Freiheit bare der Diakoniesammlung. Wer die Sammlungen aufgibt, verzichtet leichtsinnig auf Geld, das gebraucht wird und er verzichtet auf diakonisches Profil, das auch unverzichtbar ist. Eine Millionenfrage Die Sammlungsergebnisse sind gesunken im Laufe der letzten Jahre und Ähnliches gilt bedauerlicherweise auch für die Kollekten. Immerhin aber konnten bei den Sammlungen im Jahr 2011 noch 1.465.700 Euro allein im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen gesammelt werden – das ist keine Kleinigkeit! Wer den Pfennig nicht ehrt, sagt das Sprichwort… Wer die Millionen nicht wertschätzt, müsste man aber immer noch zu den Sammlungen sagen, der unterschätzt die Möglichkeiten, mit Sammlungsgeldern Gutes zu tun. In den kreiskirchlichen Diakonischen Werken und in den sammlungsengagierten Kirchengemeinden sind in den letzten Jahren auch bemerkenswerte Ideen entstanden, um den Sammlungen neuen Schwung zu verleihen. Dabei sind die Sammlungen auch zu besonderen „Events“, zu Ereignissen mit fröhlich-feierlichem Charakter entwickelt worden. So gibt es Diakoniesammel-Samstage auf dem Markt, bei denen hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeitende gemeinsam um Spenden bitten und dabei neben Geld aufschlussreiche Erfahrungen sammeln. Erfahrene Sammlerinnen und Sammler sammeln gemeinsam mit Konfirmanden, die so eine ganz besondere Seite von Kirche kennenlernen. Mit gezielter, persönlicher Ansprache lassen sich fast immer auch neue Sammlerinnen und Sammler finden, vorausgesetzt, man 25 macht sich überhaupt auf die Suche. In einem neuen Ehrenamt will aber keiner allein gelassen werden, es kommt also sehr darauf an, dass Neue organisatorisch und menschlich gut unterstützt werden. Freie kirchliche Kollekten sollten auch kirchlichen Zwecken zugeführt werden – und die Diakoniesammlung wäre ein solcher möglicher und sinnvoller Zweck. Eine einfache, aber sinnvolle Idee ist auch, wenn unterschiedliche Gemeindegruppen die Verantwortung für die Sommersammlung und die Adventssammlung übernehmen, so lassen sich Belastungen teilen und damit kleiner halten. Warum ist es für Diakonie und Kirche wichtig, ein präzises Augenmerk auf den eigenen Umgang mit Geld zu richten? Weil eine Kirche, die sich gerne laut und öffentlich zu den großen Finanzthemen positioniert, sich auch daran messen lassen muss, wie sie da, wo sie im eigenen „Betrieb“ Einfluss nehmen kann, mit Geld umgeht. „Kredit“ kommt bekanntlich von „credo“, ich glaube. Präzision, Information, Transparenz und damit Glaubwürdigkeit sind wichtig beim Umgang mit Geld. Dabei geht es um Fragen wie: Wie viel Geld ist in der Diakoniekasse und was wird damit gemacht? Wie werden die Kollekten genutzt? Wie arbeiten und was leisten Stiftungen? Wie macht sich ein Presbyterium kundig in Sachen Haushaltsplan und übernimmt somit echte Mitverantwortung? Wer verschafft sich einen Überblick über Hilfsmöglichkeiten in unterschiedlichen Notlagen? Und schließlich: Auch die Diakoniesammlung sollte so in den Blick genommen werden – als eine Frage von Verantwortung in evangelischer Freiheit vielfältiger Formen und Aktionen. Ein Neustart ist möglich. Reinhard van Spankeren, Münster * Mit 1800 Euro pro Sendeminute sind die Kosten für die Produktion einer Minute einer Talkshow genauso hoch wie die Kosten für eine komplikationslose Geburt in einem Krankenhaus. 26 Ehrenamt mit System Ehrenamt koordinieren Ehrenamt mit System: Ehrenamt koordinieren Die Spirale, die die Bausteine einer gelingenden Ehrenamtsarbeit beschreibt, begleitet uns schon durch einige Ausgaben des Heftes. Anerkennung geben Abschied nehmen Reflektieren und Fort- und auswerten Weiterbildung Erstgespräch führen Orientierung ermöglichen Ehrenamt Begleiten koordinieren und beraten Aufgaben Rahmenbedingungen beschreiben schaffen Ehrenamtliche Bedarf einschätzen gewinnen Konzepte entwickeln In diesem Heft wird nun ein Kernstück der systematischen Ehrenamtsarbeit beschrieben: Die Koordination des Ehrenamtes kann in unterschiedlicher Weise erfolgen. Wichtig ist, dass ein Ansprechpartner oder ein kleines Team offiziell vom Presbyterium beauftragt wird, das Ehrenamt zu koordinieren. Wichtig ist auch, dass sich alle an die Verabredungen halten und der Koordinator in seiner Arbeit ernst genommen wird. Ein kurzer Crash-Kurs, der von der Diakonie RWL angeboten wird, vermittelt gute und praktikable Kenntnisse für den Start in die Arbeit wie zum Beispiel das Wissen über Ehrenamt, Tipps, eigene Rolle. Damit der Koordinator / die Koordinatorin oder das Team mit Freude dabeibleiben, sollten das Zeitbudget und die damit verbundenen Kapazitäten genau besprochen werden. Wie dem Schaubild zu entnehmen ist, können Aufgaben auch delegiert werden. Das Schaubild zeigt den Rahmen, in den die Koordination eingebettet ist. Ehrenamt mit System Ehrenamt koordinieren Aufgabenprofil Ehrenamtskoordination Stabstelle/dem Presbyterium zugeordnet Qualifizierung Reflektionsmöglichkeit Raum Offizielle Einführung Rahmenbedingungen Status/ Rolle Budget/Kosten Kenntlichmachung der Koordinatorin Stellenanteil bei HA Auftrag Ehrenamtliche koordinieren EA-Koordination den Bedarf an Ehrenamt einschätzen Raum für Konfliktbewältigung bereithalten Kommunikative Fähigkeiten andere Hauptamtliche auf die Ehrenamtsarbeit vorzubereiten Überblick über EA-Spirale Zuhören können Fähigkeiten Delegieren können Matching Öffentlichkeitsarbeit Karen Sommer-Loeffen, Düsseldorf Aufgaben sinnvolle Aufgabenbereiche entwickeln und Tätigkeitsbeschreibungen formulieren in Absprache mit Gruppenleitung oder Delegation Ehrenamtliche gewinnen Eine Anerkennungskultur entwickeln helfen 27 Sommersammlung 2013 NRW Samstag, 18. Mai 2013 bis Samstag, 8. Juni 2013 Adventssammlung 2013 NRW Samstag, 16. November 2013 bis Samstag, 7. Dezember 2013 Leitwort 2013: Mut machen Impressum Diakonie RheinlandWestfalen-Lippe e.V. Stabsstelle Diakonisches Profil und Kommunikation Redaktion Ulrich T. Christenn Geschäftsstelle Düsseldorf Lenaustr. 41 40470 Düsseldorf Telefon 0211 6398-255 E-Mail u.christenn@ diakonie-rwl.de Karen Sommer-Loeffen Geschäftsstelle Düsseldorf Lenaustr. 41 40470 Düsseldorf Telefon 0211 6398-258 E-Mail k.sommer-loeffen@ diakonie-rwl.de Reinhard van Spankeren Geschäftsstelle Münster Friesenring 32/34 48147 Münster Telefon 0251 2709-780 E-Mail r.vanspankeren@ diakonie-rwl.de www.diakonie-rwl.de info@diakonie-rwl.de Gestaltung luxgrafik, Münster Erstgespräche führen Titelbild zabalotta/photocase Die EA-Spirale im Blick haben Druck Druckerei Buschmann, Münster 2012 www.diakonie-rwl.de