Religiöse Vielfalt im Islam: Gruppierungen

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Religiöse Vielfalt im Islam: Gruppierungen
von Stefan Heinemann (stefan.m.heinemann@gmx.de)
Religiöse Vielfalt im Islam: Gruppierungen
a) 660: Dreiteilung über der Nachfolgefrage des Propheten
- Die Sunniten unterstützen den aufständischen Mu’awiya, Gouverneur von Damaskus.
Ihnen reicht es, wenn der Khalif aus dem Stamm des Propheten gewählt wird. Heute die Mehrheit der Muslime,
kritisieren sie die übertriebene Betonung des Legitimitätsprinzips und die überhöhte Verehrung Alis der Schiiten.
- Die Schiiten betrachten den Khalifen Ali als den einzig legitimen Nachfolger des Propheten.
Dieses politische Amt erhält eine religiöse Einfärbung: der Imam ist göttlicher Würdenträger. Das Recht der
Nachfolge gebührt allein Alis Nachkommen. Im Machtkampf unterlegen, weichen sie in den Untergrund aus.
In dieser Zeit wird der Name zu einem Sammelbegriff für “Ketzer”, “Rebell” und “Aufrührer”. Sie haben ein
distanziertes Verhältnis zu den tatsächlichen Machthabern. Im Gegenzug wird der Imam idealisiert.
- Die Charidschiten trennen sich von Ali, weil sein Vergleich mit Mu’awiya ungültig sei.
Ihnen ist allein der Koran Maßstab. Khalif konnte jeder Muslim sein. Sie zählen heute eine Million Mitglieder, v.a.
in Muskat.
b) Die Nachfolgestreitigkeiten der Schiiten
- 720: Die Zayditen (5er-Schiiten) erlangten im Jemen eine Machtbasis.
Sie stehen der sunnitischen Orthodoxie nahe und zählen heute etwa 4 Millionen. Ihre Imamatslehre ist realistisch:
Einziges Kriterium ist die Abstammung von Ali.
- 760: Die Ismailiten (7er-Schiiten) erkennen den als Nachfolger vor seinem Vater Ga’far
verstorbenen Ismail
als Imam an.
Sie betonen daher die innere Erleuchtung des geistlichen Führers und vernachlässigen seine Blutsverwandtschaft mit
Mohammad. Sie haben eine esoterische Lehre entwickelt, die eine reiche theologische Reflexion enthält, aber auch
stark synkretistische Aspekte aufweist und sich immer stärker vom orthodoxen Islam entfernt.
- 873: Die Imamiten (12er-Schiiten) sehen eine dynastische Folge bis zum zwölften Imam
Muhammad alMahdi.
Der zwölfte Imam lebt seit 873 in kleiner und seit 940 in grosser Verborgenheit weiter. Als Mahdi, der
Rechtgeleitete, wird er am Ende der Zeit zurückkommen und Gottes Reich errichten. (=> messianische
Heilserwartung) Bis dahin liegt die Autorität stellvertretend beim obersten geistlichen Würdenträger, Ayatollah.
35-40 Millionen Imamiten leben zwischen Libanon und Pakistan. Im Iran ist es seit dem 16. Jhdt. Staatsreligion.
c) Die Ismailiten zerfallen in diverse Gruppen:
- um 900: Die Karmaten fanden mit ihrem religiösen Kommunismus v.a. im Irak Anklang.
Einmal entführten sie den schwarzen Stein der Ka’ba, so dass über Jahre keine Pilgerfahrten möglich waren.
- 1020: Nach dem Verschwinden des dritten fatimidschen Herrschers in Ägypten, al-Hakim, wird er
von seinen
Anhängern vergöttlicht: Die Drusen.
Ihre Religion ist eine Geheimlehre. Sie glauben an die Wiederkunft Hakims und an Seelenwanderung.
300.000 von ihnen leben heute in Libanon, Südsyrien und Galiläa.
Zu dieser Zeit entstehen auch die Nusayri / Alawiten, die Khalif Ali vergöttlichen.
Ihre Lehre ist eine Mischung aus islamischen, christlichen, gnostischen und altorientalischen Elementen.
Über 500.000 leben heute ausschliesslich in Nordwestsyrien.
- 1100: Nach dem Tod des Fatimiden al-Mustansir unterliegt Nizar im Machtkampf seinem
jüngeren Bruder alMustali.
Die Nizar-Ismailiten errichten zunächst einen Staaat in Syrien. Später entsenden sie Missionare nach Iran, Pakistan
und Indien. Ihr Oberhaupt ist der Hazir Imam, der “gegenwärtige Imam”, dem der Titel Agakhan verliehen wird. Die
Nizar-Ismailiten haben keine Moscheen, nur Versammlungsräume. Die Frauen sind bei ihnen gleichberechtigt.
Die Anhänger al-Mustalis missionieren im Jemen und im westlichen Indien. Sie unterstehen Sayyidna, “Unser
Herr”, dessen Herrschaft einem Papsttum ohne Zölibat gleicht.
d) Zwei andere Sekten sind mit dem Schiitismus verwandt, werden aber vom orthodoxen Islam kaum mehr anerkannt:
- Babismus: Der iranische Gelehrte Ali Muhammad (1819-1850) hielt sich für die Pforte (bab) zu
einer
tieferen Erkenntnis der göttlichen Wahrheit. Er vertrat fortschrittliche soziale Positionen.
- Baha’ismus: Der Perser Mirza Husayn (1817-1892) begründet eine synkretistische Religion mit
universalistischen Ansprüchen.