Blick ins Buch - Verlag Regionalkultur
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Dieter Oelke Kaiserliche Kriegsspiele am Beispiel der Herbstmanöver 1911 zwischen Rhein, Main und Lahn mit Aufzeichnungen des Unteroffiziers Johann Hacker verlagregionalkultur Impressum Titelbild: Vorbeimarsch der Soldaten an Kaiser Wilhelm II. bei der Flugveranstaltung auf dem Großen Sand am 26. Mai 1911. Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Autor Titel Untertitel Herstellung Redaktion und Satz Endkorrektur Umschlaggestaltung Dieter Oelke Kaiserliche Kriegsspiele am Beispiel der Herbstmanöver 1911 zwischen Rhein, Main und Lahn verlagregionalkultur(vr) Jochen Baumgärtner (vr) Patrick Schumacher (vr) Jochen Baumgärtner (vr) ISBN 978-3-89735-649-8 Diese Publikation ist auf alterungsbeständigem und säurefreiem Papier (TCF nach ISO 9706) gedruckt entsprechend den Frankfurter Forderungen. © 2010. Alle Rechte vorbehalten. verlag regionalkultur Heidelberg–Ubstadt-Weiher–Neustadta.d.W.–Basel Korrespondenzadresse: Bahnhofstraße 2 • 76698 Ubstadt-Weiher • Telefon (07251) 36703-0 • Fax 36703-29 eMail: kontakt@verlag-regionalkultur.de • Internet: www.verlag-regionalkultur.de Inhaltsverzeichnis Wie dieses Buch entstand 7 „Panthersprung nach Agadir“ 8 Deutschland im Jahr 1911 Der Großherzog und der Prinz, der König von Finnland werden wollte 10 Hessen um 1911 Johann Hacker 14 Eine Jugend im Kaiserreich Übungen und Manöver 17 Johann Hacker übt den Krieg Wilhelm II. und der japanische Feldmarschall Graf Nogi 19 Die Kaiserparade in Mainz Reiterattacken und Maschinengewehre 28 Merkmale der Manöver 40.000 Mann und 12.000 Pferde 30 Das XVIII. Armeekorps Blau gegen Rot und die Schlachtenbummler Der Ablauf der Manöver 32 Inhaltsverzeichnis 6 Der Spielleiter der Manöver 51 General der Infanterie Hermann von Eichhorn „Fleisch in guter, nicht bester Qualität“ 54 Die Verpflegung im Manöver „Platz gemacht! Es kommen die Soldaten.“ 57 Militärische Einquartierungen in den Gemeinden Luftaufklärung gegen Kavallerieaufklärung 64 Der erste Einsatz von „Flugmaschinen“ Die ewige Quelle des Hochgefühls 72 Die Feier des Sedantags Wasserknappheit und Hitzschlag 77 Die große Hitze im Spätsommer 1911 Glück im Unglück 82 Johann Hacker im Ersten Weltkrieg Epilog: Die Saat der Überheblichkeit geht auf 84 Anhang Tagebuchaufzeichnungen des Unteroffiziers Johann Hacker Danksagung Glossar Bücher und Schriften Zeitungen Bildnachweis 86 103 103 105 106 107 7 Wie dieses Buch entstand Beim Sichten alter Unterlagen fielen mir Aufzeichnungen von Johann Hacker in die Hände. Er war der Großvater mütterlicherseits meiner Frau Ursula und hatte als Unteroffizier an mehreren Manövern der preußischen Armee und am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Vom Herbstmanöver zwischen Rhein, Main und Lahn im Jahr 1911 schickte er kolorierte Ansichtskarten nach Hause zu seinen Eltern in Frankfurt am Main. Die Karten klebte er später säuberlich zu seinen Aufzeichnungen über die Militärübungen und das Manöver ein. Diese Tagebuchnotizen geben einen interessanten Einblick in eine Zeit, in der ein anderer, uns befremdender Weltblick herrschte. Die Aufzeichnungen von Johann Hacker und viele offene Fragen motivierten mich, Näheres über die Militärübungen und die damalige Zeit zu erfahren. Also begab ich mich auf Spurensuche in die Archive. Zuerst erlebte ich allerdings eine Enttäuschung: In dem für die Militärereignisse in Westdeutschland zuständigen Bundesarchiv – Militärarchiv in Freiburg fand sich in den Akten folgender Vermerk: Die Akten des Kriegsministeriums sind durch Kriegseinwirkungen 1945 beim Brand des Heeresarchivs Potsdam zum allergrößten Teil vernichtet worden. Und das Hessische Hauptstaatsarchiv teilte mir mit: Bedauerlicherweise sind diese Unterlagen des Regierungspräsidiums Wiesbaden zu den Kriegsverlusten zu zählen. Auch im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt und im Bundesarchiv in Koblenz befanden sich keine Unterlagen zu dem Manöver. Doch dann wurde ich überraschenderweise in zahlreichen Stadtarchiven fündig, von Mainz bis Limburg, von Bad Nauheim bis Bad Schwalbach. In überwältigender Fülle gab es Berichterstattungen über das Manöver in den Lokalzeitungen. Auch Unterlagen von Einquartierungen der Truppen befanden sich in einzelnen Archiven. Dabei konnte ich mir Fotos von historischem Wert sichern. Neben den lokalen Archiven bekam ich weitere Informationen von Staatsarchiven, Instituten, Bilderdiensten, Bibliotheken und Einzelpersonen. Die örtlichen Informationen aus dem Jahr 1911 geben detaillierte und interessante Einblicke in die Denkweise, das Verhalten und die Lebensweise der Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie man sie in Geschichtsbüchern nicht findet. Dies bewog mich, die wesentlichen Inhalte der gesammelten Unterlagen in einem Buch zu veröffentlichen. Der Ablauf des Herbstmanövers und die Reaktion der Bevölkerung zeigen in eindrucksvoller Weise die Geisteshaltung in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, die den Nährboden für zwei Weltkriege bildete. Am Anfang des Buches steht, um die folgenden Zusammenhänge besser zu verstehen, eine kurze Beschreibung der Situation in Deutschland und Hessen um das Jahr 1911. Dann folgen Informationen über Johann Hacker und seine Teilnahme an dem Manöver. Anschließend wird über das Manöver berichtet, über Reaktionen der Bevölkerung auf die Ereignisse und gesellschaftliche Auswirkungen. Den Abschluss bildet ein kurzer Ablauf über den weiteren Lebensweg von Johann Hacker. Im Anhang sind die Tagebuchaufzeichnungen einschließlich der 1911 verschickten Postkarten abgedruckt. Eine kurze Erläuterung der Fachausdrücke findet sich im Glossar. In dem Buch werden zahlreiche Zitate verwendet, denn dadurch kann besonders gut ein authentisches Bild von den Geschehnissen vermittelt werden. In den Zitaten werden die Eigentümlichkeiten der verwendeten Rechtschreibung und der Zeichensetzung beibehalten. Die erwähnten Orte werden heute häufig etwas anders geschrieben. Ein „C“ wurde zu einem „K“, zum Beispiel wurde aus Coblenz Koblenz. Den Namen „Bad Schwalbach“ wird man bei den Berichten nicht finden. Denn die Stadt hieß 1911 noch „Langenschwalbach“. Auch die Städte Bad Camberg und Bad Homburg hatten ihr „Bad“ noch nicht bekommen. Lediglich Bad Nauheim war damals schon eine attraktive Badestadt. Dieter Oelke Bad Camberg, im Spätsommer 2010 8 Panthersprung nach Agadir Deutschland im Jahr 1911 1. Juli 1911: Das deutsche Kanonenboot „Panther“ läuft den Hafen von Agadir in Marokko an. Damit will Deutschland Frankreich unter Druck setzen. Der in die Geschichte eingegangene „Panthersprung nach Agadir“ findet in Deutschland begeisterte Zustimmung und löst die zweite Marokkokrise aus. Was war der Sinn dieser Aktion? Kaiser Wilhelm II. wollte die Großmachtstellung Deutschlands sichern und ausweiten. Bereits 1905 war es wegen der Ansprüche Frankreichs auf Marokko und dem Besuch Wilhelm II. in Tanger zur ersten Marokkokrise gekommen. Wegen innerer Unruhen in Marokko besetzte Frankreich im Mai 1911 die marokkanische Stadt Fes. Deutschland verlangte daraufhin für einen künftigen Interessenverzicht auf Marokko von Frankreich das französische Kongogebiet. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, wurde das Kanonenboot „Panther“ zum Hafen von Agadir entsandt. Da Frankreich die Abtretung des gesamten Kongogebietes ablehnte, kam es am 4. November 1911 im Marokko-Kongo-Abkommen zu folgendem Kompromiss: Deutsch-Kamerun wurde im Süden und Osten aus Teilen der französischen Kolonie Französisch-Äquatorialafrika vergrößert. Das Deutsche Reich stimmte dafür einem französischen Protektorat über Marokko zu. Doch diese Krise schmiedete England und Frankreich enger zusammen und erhöhte die außenpolitische Isolation des Deutschen Reiches. Die Kanonenbootpolitik von Wilhelm II. wurde in Deutschland lebhaft begrüßt. Mit „Hurra“-Geschrei bejubelte die deutsche Presse den „Panther-Sprung“ nach Agadir. Eine kriegsbereite Öffentlichkeit forderte von der kaiserlichen Regierung weiter gehende Schritte als nur Verhandlungen. Politiker, die einen Präventivkrieg forderten, gewannen an Einfluss. Zeitweise stand das Deutsche Reich 1911 am Rand eines Krieges mit Frankreich. Die Proteste gegen die Politik der Reichsregierung waren gering. Der „Panthersprung nach Agadir“ zeigt exemplarisch die Politik und die Stimmung im Deutschen Reich. Die Politik des „Säbelrasselns“ wird gespeist durch einen übersteigerten Nationalismus und von Träumen über neue Kolonien und Weltherrschaft. Wie war es dazu gekommen? Eine kurze Rückblende: 1866 siegten die Preußen über die Österreicher bei Königgrätz. Preußen annektierte Österreichs Kriegsalliierte, unter anderem Kurhessen, Nassau und Frankfurt, wovon noch die Rede sein wird. Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 besiegten die preußisch-deutschen Truppen Frankreich, und am 18. Januar 1871 wurde der Preußenkönig Wilhelm I. im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Das nun entstandene Deutsche Reich war ein Bundesstaat, dem 25 Einzelstaaten – unter der Hegemonie Preußens – angehörten: neben den vier Königreichen Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg sechs Großherzogtümer, fünf Herzogtümer, sieben Fürstentümer und die drei Freien Städte Hamburg, Bremen und Lübeck. Die Fürsten 9 der Bundesstaaten und die Regierungen der Freien Städte waren keine Untertanen des Kaisers. Das Deutsche Heer bestand aus den Heeren der Bundesstaaten Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg. Die Truppen der anderen Bundesstaaten standen unter preußischer Verwaltung oder waren mit dem preußischen Heer verschmolzen. Unter dem Eindruck der Siege von 1864 und 1871 und der damit verbundenen Reichsgründung wurde das Militär zur dominierenden Macht im Deutschen Reich. Ein nahezu grenzenloser Patriotismus machte sich breit. Das Offizierskorps umfasste hauptsächlich Adlige und war gekennzeichnet durch eine elitäre Absonderung von der zivilen Gesellschaft. Aristokratische Gesinnung und Verhaltensweisen waren charakteristisch für das preußisch-deutsche Heer. 1888 wurde Wilhelm II. Deutscher Kaiser und König von Preußen. Er war oberster Kriegsherr und Chef der Marine. Wilhelm II. betrachtete sich als Person des öffentlichen Lebens. Mehr als seine Vorgänger und andere Monarchen suchte er ständig Auftritte in der Öffentlichkeit. Er hatte eine Vorliebe für Selbstinszenierungen und schmucke Uniformen. Operettenhafte Paraden und häufige Manöver, auf denen er sich zeigen konnte, waren für ihn unentbehrlich. Für Wilhelm II. war das Militär ein Lebenselixier. Er trat fast immer in Uniform auf und besaß von allen deutschen Regimentern und auch von ausländischen Armeen Uniformen, die er bei passender Gelegenheit anzog. Wilhelm II. wollte die Macht und das Prestige Deutschlands in der Welt erhöhen. Dass Deutschland von den anderen Ländern geehrt, geachtet, ja gefürchtet wurde, war ihm ein unverzichtbares Anliegen. Durch seine martialischen Reden heizte er einen übertriebenen Patriotismus an und schadete damit der deutschen Außenpolitik. Unter Wilhelm II. verstärkte sich die gesellschaftliche Überbetonung des Militärs. Soldaten und besonders Offiziere bil- deten den angesehensten Stand im Deutschen Reich. „Gedient“ zu haben und der militärische Rang waren entscheidend für die berufliche Laufbahn. Der Rang eines Reserveoffiziers galt als erstrebenswertes Ziel in der gehobenen Bürgerschaft. Militärangehörige erhielten bei öffentlichen Veranstaltungen Ehrenplätze. Die Uniform wurde mit vollem Stolz getragen. Schulkinder spielten Manöver und sangen Kriegslieder. Durch einen langen Wehrdienst in der monarchistischen und antidemokratischen Armee sollten die jungen Soldaten geformt werden. Der Wehrdienst betrug 1911 bei den Truppen zwei, bei der angesehenen Kavallerie drei Jahre. Im Reich wurden aber nur etwas mehr als 50% der Wehrpflichtigen zum Militär eingezogen. 1911 lag die Mannschaftsstärke des deutschen Heeres bei 617.000 Soldaten. Die Heeresrüstung wurde weiter intensiv vorangetrieben. Das deutsche Heer verfügte dann im Ersten Weltkrieg über eine Stärke von bis zu sieben Millionen Soldaten. Typisch für die Uniform des deutschen Soldaten war die „Pickelhaube“, wie sie in diesem Buch auf vielen Fotos zu sehen ist. Der Helm mit einer Metallspitze wurde bereits 1843 vom preußischen Militär eingeführt. Ab 1910 wurde die bisherige traditionelle blaue preußische Uniform durch eine feldgraue Uniform für das preußisch-deutsche Heer ersetzt. Jedes Jahr fanden glänzende Manöver statt, mit denen sich Armee und Flotte zur Schau stellten und die militärische Macht Deutschlands präsentiert wurde. In diesem geistigen Umfeld und im Schatten des „Sprungs nach Agadir“ fand auch das Herbstmanöver statt, an dem der Unteroffizier Johann Hacker teilnahm. Doch bevor darüber berichtet wird, muss noch das Gebiet des Manövers im Bereich des heutigen Hessen beleuchtet werden. 10 Der Großherzog und der Prinz, der König von Finnland werden wollte Hessen um 1911 Das Gebiet des heutigen Hessen wurde nach dem Krieg 1866 von Preußen neu eingeteilt. Es entstanden hier das Großherzogtum Hessen(-Darmstadt) und die preußische Provinz Hessen-Nassau. Das Großherzogtum Hessen war von 1815 bis 1866 ein Mitgliedstaat des Deutschen Bundes und von 1871 bis 1919 ein Bundesstaat des Deutschen Reiches. Nach der preußischen Annexion Kurhessens 1866 blieb das Großherzogtum als letzter selbstständiger hessischer Staat übrig und gilt als einer der Vorgängerstaaten des heutigen Bundeslandes Hessen. Am 7. Dezember 1868 entstand die neue preußische Provinz HessenNassau mit den Regierungsbezirken Kassel und Wiesbaden. Sie gliederte sich in Stadt- und Landkreise. Obwohl Wilhelm II. Kaiser war, war er doch in erster Linie König von Preußen. So gab es zum Beispiel Abb. 1. Die Provinz Hessen-Nassau und das Großherzogtum HessenDarmstadt. keine kaiserliche Armee, sondern eine königlich-preußische Armee und königliche Landräte. Das Großherzoglich Hessische Militär wurde 1872 in die Armee des neu gegründeten deutschen Kaiserreichs aufgenommen und gehörte zum XVIII. Armeekorps, innerhalb dessen es die 25. (Großherzogliche Hessische) Division bildete. Das Generalkommando dieses Armeekorps hatte seinen Sitz in Frankfurt am Main und stand von 1906 bis 1911 unter 11 dem Befehl von Hermann von Eichhorn, General der Infanterie. Traditionell waren die regierenden Landgrafen und Großherzöge Inhaber des Regiments, so auch Großherzog Ernst Ludwig. „Inhaber“ oder „Chef“ eines Regiments waren Ehrentitel. Die Truppenführung oblag allerdings den Kommandeuren. Es bildete jedoch eine besondere Auszeichnung für ein Regiment, einen „Inhaber“ oder „Chef“ zu haben. Das Manöver, an dem Johann Hacker im Herbst 1911 teilnahm, fand im Regierungsbezirk Wiesbaden der preußischen Provinz Hessen-Nassau und in Randgebieten des Großherzogtums Hessen statt. Es war ein Manöver des XVIII. Armeekorps der königlich-preußischen Armee. Innerhalb des Armeekorps diente Johann Hacker in dem traditionsreichen Infanterieregiment 81, dessen Garnison bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in Frankfurt blieb. Prinz Friedrich Karl von Hessen-Kassel, von 1908 bis 1911 Kommandeur des Regiments, war aus Gesundheitsgründen zurückgetreten. Am 24. Januar 1911 wurde er, unter Beförderung zum Generalmajor, durch Wilhelm II. zum Chef des Regiments ernannt. Sowohl der Großherzog als auch der Prinz nahmen als herausragende Militärs und Repräsentanten des Deutschen Reiches an den Manövern 1911 teil. In ihren Lebensgeschichten spiegelt sich wider, dass die Herrscher Europas alle mehr oder weniger miteinander verwandt waren und in der Regel militärische Ämter innehatten. Ernst Ludwig war der letzte Großherzog von HessenDarmstadt. Sein Titel lautete: Großherzog von Hessen und bei Rhein. Er wurde am 25. November 1868 in Darmstadt geboren. Wilhelm II. war einer seiner Vettern. 1894 heiratete Ernst Ludwig seine Cousine Prinzessin Victoria Melita von Edingburgh. Im gleichen Jahr heiratete seine Schwester Alix den russischen Zaren Nikolaus II. Sie war als Alexandra Fjodorowna die letzte Zarin von Russland und wurde mit ihrer ganzen Familie 1918 in Jekaterinburg von den Bolschewisten erschossen. 1901 ließ sich Ernst Ludwig von Victoria Melita, mit der er die gemeinsame Tochter Elisabeth hatte, scheiden. 1905 heiratete er Elenore zu Solms-Hohensolms-Lich. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor. In Manövern und anderen öffent- Abb.2. Ernst Ludwig (1868–1937), Großherzog von Hessen und bei Rhein im Jahr 1912. lichen Veranstaltung wurden Ernst Ludwig und seine Frau als das Großherzogspaar bezeichnet. Ernst Ludwig war ein volkstümlicher und beliebter Fürst, der sich durch die Vielseitigkeit seiner künstlerischen Betäti- 12 gungen auszeichnete und sich in Wissenschaft und Wirtschaft engagierte. Er bemühte sich um die Verbreitung des Jugendstils in Deutschland und gründet die Künstlerkolonie „Mathildenhöhe“ in Darmstadt. Seine Ehefrau Elenore nahm viele soziale Aufgaben wahr. Doch anders als bei den führenden Repräsentanten Deutschlands fand der preußische Militärdrill bei Ernst Ludwig keinen Anklang. Die Wahrnehmung militärischer Pflichten beschränkte er auf das Notwendigste. Während überall der Ausbruch des Ersten Weltkrieges bejubelt wurde, war er von der politischen Entwicklung stark betroffen. Im Krieg gehörte Großherzog Ernst Ludwig zum Führungsstab des XVIII. Armeekorps, dem die hessischen Regimenter angehörten, hatte aber wie die anderen Fürsten auch an den operativen Truppenführungen keinen Anteil. 1916 versuchte er, seine verwandtschaftlichen Verbindungen zum Zaren zu nutzen, um einen Frieden mit Russland zu vermitteln. Nach der Novemberrevolution 1918 weigerte sich Ernst Ludwig abzudanken, verlor aber trotzdem sein Amt. Hessen-Darmstadt wurde zum Volksstaat erklärt. Am 9. Oktober 1937 starb Ernst Ludwig im Schloss Wolfsgarten bei Langen. Im Gegensatz zu Großherzog Ernst Ludwig hatte Prinz Friedrich Karl von Hessen-Kassel kein Land, über das er regieren konnte. Sein Vater, Landgraf Friedrich Wilhelm von Hessen, mit der preußischen Prinzessin Anna verheiratet, war ursprünglich Thronfolger in Kurhessen. Im Krieg 1866 endete aber die fast sechshundertjährige Selbstständigkeit HessenKassels, nachdem es für Österreich Partei ergriffen hatte. Das Land wurde von Preußen annektiert, Landgraf Friedrich Wilhelm musste auf das Kasseler Erbe verzichten und bezog dafür eine preußische Staatsrente. Friedrich Karl, am 1. Mai 1868 in Holstein geboren, begann in Freiburg einige Semester Germanistik, Archäologie, Geschichte und Kunstgeschichte zu studieren. Danach trat er in ein preußisches Gardekavallerieregiment in Berlin ein. 1893 heiratete er Prinzessin Margarethe von Preußen, die jüngste Schwester von Wilhelm II. Sie wurde durch die Heirat zur Landgräfin von Hessen-Kassel. Kurz nach der Hochzeit ließ sich Friedrich Karl vom Dienst beurlauben, denn der Lebensstil der Gardeoffiziere, der sich in Trinkritualen und im Abb. 3. Prinz Friedrich Karl von Hessen-Kassel. Etwa 1911. Glückspiel äußerte, behagte ihm nicht. Er zog in das Schloss Rumpenheim am Main, wo Margarethe sechs Söhne zur Welt brachte. 1899 wollte Friedrich Karl wieder zum Militär. Er ließ sich in das Infanterieregiment 81 nach Frankfurt versetzen. Seit 1902 bewohnte Friedrich Karl mit seiner Frau das Schloss Friedrichshof in Kronberg, dem Kronberger Witwensitz seiner britischen Schwiegermutter Victoria, den Margarethe nach dem Tod der Kaiserin geerbt hatte. Margarethe bekam als Schwester des Kaisers natürlich eine militärische Funktion: Sie wurde „Chef“ des ruhmreichen 13 Füsilier-Regiments von Gersdorff (Kurhessisches) Nr. 80. Und sie hieß jetzt Frau Prinzessin Friedrich Karl von Hessen-Kassel. Im Manöver 1911 des XVIII. Armeekorps nahm Friedrich Karl als Chef des 81. Regiments und seine Frau als „Chef“ des 80. Regiments teil. Zu Kriegsbeginn 1914 ergriff Friedrich Karl die allgemeine patriotische Aufbruchstimmung, er meldete sich zu den Waffen und führte sein Frankfurter Regiment persönlich ins Feld. Doch die anfängliche Euphorie wich schnell. Bereits im zweiten Kriegsmonat wurde er schwer verwundet und war nicht mehr kriegsverwendungsfähig. Seine beiden ältesten Söhne verloren 1914 und 1916 im Feld ihr Leben. Den Rest des Krieges verbrachte er meist auf Schloss Friedrichshof. Prinzessin Margarethe kam über den Tod ihrer beiden Söhne nicht hinweg. Deswegen suchten die Eheleute eine neue Aufgabe fern der Heimat, um Vergessen zu können. Über den Reichskanzler und Wilhelm II. brachte sich Prinz Friedrich Karl als Kandidat für den finnischen König ins Gespräch. Die dankbaren Finnen suchten nämlich einen deutschen König. Denn mit deutscher militärischer Hilfe war es Finnland gelungen, sich aus der russischen Unterdrückung zu befreien. Während sich Anfang August 1918 die Niederlage Deutschlands an der Westfront abzeichnete, beschloss die monarchistisch gesinnte Mehrheit des finnischen Landtags, in der Überzeugung, Deutschland werde den Krieg gewinnen, vorbereitende Maßnahmen zur Kür eines deutschen Thronkandidaten. Am 9. Oktober 1918 wurde im Landtag zu Helsinki Friedrich Karl von Hessen zum König von Finnland gewählt. Doch der Prinz hat Finnland nie betreten. Die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg ließ einen deutschen Fürsten auf dem finnischen Thron nicht mehr zu. Friedrich Karl dankte am 14. Dezember 1918 ab. 1925 wurde Friedrich Karl Chef des Hauses Hessen-Kassel. Er starb am 28. Mai 1940 im Alter von 72 Jahren an den Spätfolgen einer Verwundung aus dem Ersten Weltkrieg in Kassel. Das Infanterieregiment Nr. 81, bei dem Johann Hacker Soldat und Prinz Friedrich Karl von Hessen-Kassel 1911 Chef gewesen war, feierte 1913 sein hundertjähriges Bestehen. Hieß das Regiment ab 1902 „1. Kurhessisches Infanterie-Regiment Nr. 81“, so bekam es jetzt vom Kaiser persönlich den Ehrentitel „Infanterie-Regiment Landgraf Friedrich I. von Hessen-Kassel (1. Kurh.) Nr. 81.“ Wilhelm II. schrieb dem Regiment: Ich entbiete dem 1. Kurhessischen Infanterie-Regiment Nr. 81 zu seiner Jubelfeier Meinen Königlichen Gruß und verleihe ihm als Zeichen Meiner gnädigen Anerkennung der treu geleisteten Dienste den Namen „Infanterie-Regiment Landgraf Friedrich I., von HessenCassel (1. Kurhessisches) Nr. 81.“ Ich tue dieses in dem Vertrauen, daß das Regiment, wenn das Vaterland ruft, es den Vätern in Treue und Tapferkeit gleich tun wird. Balholm, an Bord M. Y. „Hohenzollern“ den 25. Juli 1913 gez. Wilhelm Zuletzt hieß das Regiment wieder „1. Kurhessisches Infanterie-Regiment Nr. 81“ und war bis zu seiner Auflösung im Jahr 1919 Teil der königlich-preußischen Armee.