Kendra Stepputat DIE BOMBENANSCHLÄGE AUF BALI 2002 UND

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Kendra Stepputat DIE BOMBENANSCHLÄGE AUF BALI 2002 UND
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Kendra Stepputat
DIE BOMBENANSCHLÄGE AUF BALI 2002 UND 2005
UND IHR EINFLUSS AUF DIE TOURISTISCHEN
MUSIKFORMEN GAMELAN RINDIK UND KECAK
Keine Kultur ist statisch und unabhängig von den Welt- und Zeitläufen.
In diesem Beitrag möchte ich darstellen, welchen Einfluss die terroristischen Bombenanschläge über die direkten Folgen hinaus auf die
balinesische Musikszene hatten. Konzentrieren möchte ich mich dabei
auf eine spezielle Kategorie balinesischer Musik, die besonders betroffen ist: Musik und Tanz, die im touristischen Kontext aufgeführt werden.1
Um ein annähernd vollständiges Bild des Zusammenhanges zwischen
Bombenanschlägen und touristischer Musik zu zeichnen, werde ich
zunächst einige Fakten zu den beiden Bombenanschlägen 2002 und
2005 wiedergeben und die jeweiligen Auswirkungen auf den Tourismus und die Ökonomie auf Bali darstellen. In der Folge werde ich auf
die Grundlagen des kulturellen Tourismus auf Bali eingehen, und
abschließend anhand zweier konkreter Beispiele, dem gamelan rindik
und dem kecak, exemplarisch die kurzfristige Entwicklung touristischer Genres nach 2002 darstellen.
Die ersten Bombenanschläge auf Bali
Im Jahr 2002 fand der zweite große, islamistischen Terrornetzwerken
zugeschriebene Anschlag unseres Jahrhunderts statt. Am 12. Oktober
– ein Jahr, einen Monat und einen Tag nach den Anschlägen von New
1
Im Rahmen meiner Magisterarbeit an der FU Berlin hatte ich über das
balinesische Bambusxylophon rindik geforscht, Thema meiner Dissertation ist der balinesische Tanz kecak. Beide Musik- bzw. Tanzformen
haben gemeinsam, dass sie in erster Linie für Touristen aufgeführt werden, und in beiden Arbeiten wird genau dieser Umstand thematisiert. Die
Forschung für beide Projekte hatte ich während eines einjährigen
Studienaufenthaltes auf Bali 2000/2001 durchgeführt.
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York – explodierten auf Bali in der Nacht zum 13. Oktober drei
Bomben, eine davon in Sanur in der Nähe des amerikanischen
Konsulates, die beiden größeren in Kutas' Haupt-Vergnügungsstraße
Jalan Legian direkt vor der zu jener Zeit gut besuchten Diskothek Sari
Club, die nur ausländischen Touristen Zugang gewährte, und der ebenfalls gut besuchten Bar Padddy's Pub. Mehr als 200 Menschen wurden durch diese Bombenanschläge getötet, die meisten der Opfer waren
Australier und Europäer, aber auch Touristen asiatischer und amerikanischer Herkunft, ebenso viele indonesische Angestellte der komplett
zerstörten Etablissements.
„Die Bombe“ (bom), wie die Ereignisse im heutigen Sprachgebrauch
auf Bali benannt werden, schockte nicht nur die Weltöffentlichkeit und
besonders die betroffenen Nationen der Touristen, sie stürzte auch die
balinesische Bevölkerung in tiefe emotionale Krisen und Verunsicherung. Die direkte Folge der Anschläge war der totale Zusammenbruch des Tourismus auf Bali. Die Angaben schwanken in der
Bezifferung, einig sind sich jedoch die Quellen, dass der Tourismus
mit 30% des Gesamteinkommens die wichtigste Einkommensquelle
Balis ist - in der Region Badung sogar 80% – erwirtschaftet von ca.
40% der Bevölkerung, die mittel- und unmittelbar im touristischen
Wirtschaftsbereich arbeiten. In Folge der Anschläge vom 12. Oktober
2002 sank die Hotelauslastungsrate binnen zwei Wochen von vorher
70% auf nur noch 1%2.
Spontane finanzielle Hilfe leistete die Weltbank mit der Bereitstellung
von 30 Millionen US Dollar zur Aufbauhilfe, und auch der indonesische Staat sagte in kurzer Zeit weitere 54 Millionen US Dollar zu.
Dieses Geld sollte zum Wiederaufbau der betroffenen Gegend Kutas
in der Jalan Legian eingesetzt werden3. Da jeder Aufbau jedoch Zeit
beansprucht, musste in direkter Folge des 12. Oktober mit Massenarbeitslosigkeit und plötzlicher Verarmung vieler Familien gerechnet
werden. Erste Schätzungen gingen von 130.000 bis zu 2 Mio. zu
2
The Jakarta Post 30.10.2002, A'an Suryana Hotel occupancy rate hits
single digit in Bali
3 The Jakarta Post 19.10.2002, Siboro, T. Balinese businesses suffer from
last week's bombing
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befürchtender Arbeitslosen aus.4 Darüber hinaus wurde angenommen,
dass ausländische Investoren entweder ihr bereits investiertes Geld
auslösen würden oder von vornherein in anderen Ländern investieren
könnten. Vergleiche mit früheren Krisenphasen auf Bali5 ließen
Publizisten vermuten, dass frühestens nach einem Jahr mit einer
Wiederherstellung der ökonomischen Verhältnisse vor dem 12. Oktober zu rechnen sei.
In der Zeit bis zum Mai 2003 konnten diese Befürchtungen jedoch
nicht bestätigt werden. Bereits Ende November begannen die Zahlen
sich zu erholen, ein langsamer Anstieg der internationalen, vor allem
aber nationalen Besucher und damit der Hotelauslastung auf 26%
machte sich schnell bemerkbar6. In der Hochsaison um den islamischen Feiertag idul fitri und die christlichen Weihnachtsfeiertage war
gar ein schwacher Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr zu erkennen.7
Viele der zunächst kurzfristig entlassenen Angestellten im Tourismussektor konnten in ihren Beruf zurückkehren. Optimistisches
Management unter der Prämisse, möglichst wenige Angestellte zu entlassen und statt dessen mit radikalen Gehaltskürzungen zu arbeiten
oder die Arbeitszeiten zu reduzieren, schienen sich zu bewähren, wenige Monate nach dem Anschlag lag die Hotelauslastung wieder bei
40%8.
Der zweite Anschlag 2005
Doch gerade, als die Zahlen sich zu erholen begannen und die balinesische Tourismusbranche und damit die gesamte Ökonomie sich nor4
The Jakarta Post 21.10.2002, Editorial 130.000 workers may lose jobs.
South China Morning Post 26.11.2002, Marianne Kearney After Bali blast,
job losses start to bite.
5 Beispielsweise die Unruhen 1999, die letztlich zum Sturz der Diktatur
unter Suharto führten.
6 The Jakarta Post 26.11.2002, Fitri Wulandari Bali bets on recovery as
peak season draws close
7
The Jakarta Post 11.12.2002, Editorial Longer holiday boosts hotel occu pancy in Bali
8
The Jakarta Post 5.12.2002, Muhammad Nafik Bali hotel pledge not to
lay off workers
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malisierte9, erfolgte der zweite Anschlag. Am 1. Oktober 2005, genau
vier Jahre nach dem ersten Attentat, detonierten erneut mehrere
Bomben auf Bali. Zwei Bomben trafen die Fischrestaurants Menega
und Nyoman Cafe in Jimbaran, und erneut wurde auch Kuta Ziel eines
Anschlags, diesmal das Steakhouse Raja.10 In der Folge wurden, wie
auch 2002, mehrere Verdächtige verhaftet und verurteilt, die in
Beziehung zu der in Südostasien aktiven islamistischen Vereinigung
Jemaah Islamiya standen und die mit TNT ausgeführten Selbstmordattentate mit vorbereitet hatten.11
Die Reaktionen auf diese zweiten Anschläge 2005 unterschieden sich
signifikant von denen aus dem Jahr 2002. Wenige Touristen reisten ab,
und auch die ankommenden Flüge blieben weiterhin normal ausgelastet. Nachrichten-Überschriften des Bali Update wie Where You Gonna
Run To oder The New Normal reflektieren, wie sich die Situation in
den letzten vier Jahren verändert hatte. Die Welt hat sich mit dem
Terrorismus eingerichtet, nach den Anschlägen von New York (2001),
Bali (2002), Istanbul (2003), Madrid (2004) und London (2005) scheint
sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass man dem Terror nicht
entkommen kann:
»During the interim between the two attacks the world has been, to some
degree, anesthetized by similar events [...]. With this has come the realization that the threat of terror is now truly world-wide, leaving those
of us who still cherish travel as a life style singing the chorus of the old
song »where you gonna run to«.12
9
BALI UPDATE, © Bali Discovery Tours 19.3.2005, http://www.balidiscovery.com/update/archive.asp.
February Arrivals - A Return to Pre-Bombing Levels
10 The Observer 2.10. 2005 John Aglionby, David Smith, Martin Bright
Tourists hit as terror bombs return to Bali
11 BALI UPDATE, © Bali Discovery Tours 2.10.2005, http://www.balidis-
covery.com/update/archive.asp
Bali Responds to Bombings: Tat Twam Asi
12 BALI UPDATE, © Bali Discovery Tours 2.10.2005, http://www.balidis-
covery.com/update/archive.asp
Bali Responds to Bombings: Tat Twam Asi
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Zahlen bestätigen diese Sicht. Zwar war ein deutlicher Rückgang der
Besucherzahlen zu bemerken(- 28,63% im März 2006 im Vergleich
zum Vorjahresmonat), beim Vergleich der Besucherzahlen nach den
Anschlägen 2001 und 2005 wird ersichtlich, dass im Jahr 2006 ein
deutlich schwächerer Rückgang (- 28,63% im Vergleich zum Vorjahr)
als 2003 (- 36,36%) festzustellen war. Die absoluten Zahlen der ankommenden internationalen Touristen im Vergleich zwischen 2006 und
2003 zeigen sogar einen Anstieg um 15,7% im ersten Quartal.13
Bali und der kulturelle Tourismus
Bereits die niederländische Kolonialregierung etablierte auf Bali den
ersten organisierten Tourismus (Vickers 1996: 115-116).14 Die neue
Republik Indonesien übernahm die Idee, Bali als Ziel für den internationalen Tourismus zu fördern und bereits 1969 wurde im ersten FünfJahres-Plan der indonesischen Regierung der internationale Tourismus
als wichtiger Faktor zur ökonomischen Entwicklung Indonesiens festgelegt. Der kurz darauf eröffnete internationale Flughafen Ngurah Rai
in Denpasar war der Startpunkt des Massentourismus in Bali. Die Angst
vor der Konfrontation mit der westlichen Kultur, auch als pollusi kebu dayaan, d. h. „Verschmutzung der Kultur“ bezeichnet, brachte 1971
balinesische Intellektuelle zusammen, um ein Konzept des kulturellen
Tourismus, des pariwisata budaya zu entwickeln (Picard 1996b: 142f).
Picard formuliert die Ursache für die Förderung des kulturellen
Tourismus folgendermaßen:
»Pariwisata Budaya [...] was expected to turn Balinese culture into a
resource to develop tourism, while using the economic benefits of tourism to preserve and promote Balinese culture« (Picard 1996b: 143).
13 BALI UPDATE, © Bali Discovery Tours, 8.4.2006, http://www.balidis-
covery.com/update/archive.asp.
Still in the Doldrums - Bali by the Numbers: March Arrivals Down 28,63%
Siehe auch BALI UPDATE, © Bali Discovery Tours, 14.4.2006,
http://www.balidiscovery.com/update/archive.asp
Bali by the Numbers: A Look at January - March Arrivals from Major
Market Areas from 2000-2006.
14 Für eine ausführliche Erörterung des Themas siehe auch Michel Picard
(Paris 1992, Singapore 1996).
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Um den erhofften ökonomischen Profit mit der Bewahrung der balinesischen Kultur vereinen zu können, wurde das Konzept des kulturellen Tourismus für sinnvoll befunden.
Eine wichtige Entscheidung, die auf dem Seminar 1971 getroffen
wurde, war die Kategorisierung der balinesischen Tänze in „profan“
und „sakral“. Diese Teilung widerspricht der balinesischen Tradition,
in der Ritual nicht von Kunst unterschieden wird und es tatsächlich
keine Kunst ob der Kunst willen gab, sondern künstlerische Betätigung
immer auch devotionalen Charakter hatte. Hier genau liegt auch die
Schwierigkeit der eindeutigen Klassifizierung der Tänze. Drei
Kategorien wurden gefunden; tari wali als sakrale, religiöse Tänze,
tari bebali als zeremonielle Tänze und schließlich tari balih-balihan,
säkulare Tänze. Ob ein Tanz zu der einen oder anderen Kategorie
gehört, hängt jedoch oftmals vom Kontext der Aufführung ab und kann
nicht generell für jede Art von Tanz festgelegt werden (Picard 1996b:
144f.). Trotz dieser Unzulänglichkeit der konstruierten Klassifizierung
hat sich die Nomenklatur tari wali, bebali und balih-balihan in der
balinesischen und internationalen Fachliteratur etabliert, und ist auch
bei balinesischen Künstlern bekannt. 1973 wurden die Ergebnisse des
Seminars von 1971 durch den Gouverneur Balis ratifiziert und jegliche Vermarktung der als sakral eingestuften Tänze verboten.
Der Großteil der für Touristen dargebotenen Aufführungen, gleichgültig aus welcher dieser drei Kategorien der „originale“ Tanz stammt,
wurden extra für Touristen konzipiert. Beispielsweise ist die Dauer der
Veranstaltung selten länger als ein bis zwei Stunden, die Aufführungen
sind standardisiert, werden zwecks besserer Sicht – und der Möglichkeit für bessere Erinnerungsfotos – auf erhöhten Bühnen aufgeführt
etc..
Die Etablierung des kulturellen Tourismus auf Bali schuf einen kompletten ökonomischen Zweig des Tourismus, der Besuchern den
Zugang zu lebender Kultur ermöglicht. Konkret wurden Bühnen aufgebaut, – einschließlich der notwendigen Infrastruktur wie Transport,
Verpflegung, Marketing etc. –, Tanz- und Musikgruppen wurden gegründet, und Kontrollgremien geschaffen wie 1966 das LISTIBYA,
der Rat zur Förderung der Kultur (Majelis Pertimbangan dan
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Pembinaan Kebudayaan), die die Qualität der für den Tourismus aufführenden Gruppen garantieren sollen (Picard 1996b: 140).
Dieser Zweig des Tourismus ist selbstverständlich ebenso von den insgesamt gesunkenen Besucherzahlen betroffen, wie alle anderen
Bereiche des Tourismus auf Bali. Über die primäre ökonomische Auswirkung haben die Veränderungen seit 2002 auch Einfluss auf die
Musik und den Tanz an sich, ausgeübt von balinesischen Musikern und
Tänzern, die sich ihrerseits aktiv mit den veränderten Umständen auseinandersetzen bzw. mit den oktroyierten Umständen arrangieren müssen. Um die möglichen sozio-ökonomischen wie auch ästhetischen
Auswirkungen exemplarisch wiederzugeben möchte ich in der Folge
zwei touristische Genres darstellen. Das eine ist das rein instrumentale gamelan rindik, das andere eine Tanzdarbietung, der kecak.
Das gamelan rindik
Das gamelan rindik ist vermutlich das Ensemble, das die meisten
Touristen auf Bali gehört haben werden. Es wird primär im touristischen Kontext gespielt, der typische Aufführungsort des gamelan rin dik sind Hotel Lobbys oder Restaurants. Die Musiker sind meist in
einer Ecke des Raumes, auf einer bale15 oder auf einer kleinen, halbhohen Bühne positioniert. Das gamelan rindik wird als Unterhaltungsmusik im besten Sinne verwendet; es soll nicht zum Hinschauen
anregen, sondern lediglich als Hintergrundmusik fungieren, „balinesisches flair“ verbreiten und dennoch nicht übermäßig auffallen oder die
Unterhaltungen der Touristen stören.
Das Musikensemble gamelan rindik besteht zumeist aus drei Musikern, zwei der Musiker spielen das Bambusxylophon rindik, der drit-
15 Die bale (oder balai) ist eine Art kleiner Pavillon, ein auf Bali typisches
Gebäude. Die bale hat einen erhöhten Fußboden und ist nach vier Seiten
offen, die Überdachung ruht auf vier Pfosten, die in den vier Ecken stehen.
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te Spieler die Bambus-Außenspaltflöte suling16. Alle Instrumente sind
nach der balinesischen slendro-Skala gestimmt (Tenzer 1998:89)17.
Auf den beiden rindik wird die Grundmelodie des vorgetragenen
Stückes gespielt, die suling umspielt diese Kernmelodie frei, im
Rahmen der auf Bali üblichen Formen der Improvisation für Flöten.
Neben der Grundmelodie wird auf den rindik zusätzlich ein verzierendes Interlocking ausgeführt. Das als kotekan bezeichnete Interlocking
zweier Parts (polos und sangsih) ist in beinahe jeder gamelan Musik
auf Bali zu finden. Beim gamelan rindik werden der polos- und sangs ih-Part jeweils von einem Spieler mit der rechten Hand ausgeführt,
während beide Musiker mit der jeweils linken Hand unisono die
Grundmelodie spielen. Das Repertoire des gamelan rindik ist groß;
Ursache hierfür ist ein von balinesischen Musikern als „merindikkan“
bezeichnetes Phänomen, was in etwa mit „ver-rindiken“ übersetzt werden könnte18. Beinahe jede Melodie, die auf einer fünfstufigen Skala
wie der balinesischen slendro-Skala beruht, kann auf dem rindik
gespielt, und mit dem für das rindik typischen kotekan kombiniert werden. Rindik-Musiker verwenden Melodien aus dem Repertoire unterschiedlichster Genres, beispielsweise dem gamelan joged, dem game lan gong kebyar, oder dem gamelan gender wayang.19 Daneben werden auch speziell für das rindik komponierte Melodien gespielt, jedoch
ist in den seltensten Fällen der Komponist bekannt.
16 Sofern nicht anders gekennzeichnet stammen alle in diesem Abschnitt ent-
haltenen Informationen aus Gesprächen und formellen Interviews, die ich
2000/2001 mit folgenden Experten auf Bali durchführte: I Wayan Sanglah,
Musiker der Gruppe Tirta Sari, Dewa Kopang, Lehrer an der Oberschule
für balinesische Musik und Ida Bagus Arjawa., graduierter des ISI
Denpasar in der Fachrichtung pedalangan (Schattenpuppenspiel).
17 Balinesische Musiker bezeichnen die für das rindik verwendete Skala auch
als saih lima oder saih gender wayang, d. h. die „Skala aus fünf Tönen“
oder die „Skala des gender wayang“. Saih ist der balinesische Begriff für
„Skala“, der grundsätzlich gerne anstelle der aus Java stammenden
Begriffe slendro und pelog verwendet wird. (McPhee 1966: 37).
18 Die Verwendung des Präfix „me-“ und des Suffix „-kan“ ist die übliche
Art, im Indonesischen Verben aus einem Stammwort zu formen.
19 Für eine nähere, umfangreiche Einführung in diese jeweiligen Genres
siehe z. B. Michael Tenzer 1998 oder Colin McPhee 1966.
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Das gamelan rindik ist eine relativ junge Musikform auf Bali. Auch
wenn der genaue Hergang der Entwicklung zumindest nicht schriftlich dokumentiert ist, kann doch von einigen Umständen sicher ausgegangen werden. Ursprünglich scheint das rindik als solo-Instrument
vor allem in ländlichen Gegenden Balis verbreitet gewesen zu sein
(Tenzer 1998: 38), in denen es auch heute noch gespielt wird. Der
Schritt hin zum Ensemble-Instrument ging allem Anschein nach nicht
direkt vom Soloinstrument zum Spiel im Paar, sondern über den
Gebrauch des rindik in größeren Ensembles; verschiedene Quellen aus
den 1920er und 1930er Jahren zeigen zwei rindik als Teil des game lan semar pegulingan und gamelan angklung20. Daneben entwickelte sich das gamelan joged als eine weitere, neue Form der Musikpraxis,
ein Ensemble ausschließlich aus Bambus-Instrumenten bestehend. Die
Basis beim gamelan joged bilden mehrere im Paar gespielte rindik, die
in verschiedenen Oktaven gestimmt sind, wodurch das gamelan joged
die gleiche instrumentale Struktur und den Ambitus ähnlicher,
Metallophone nutzender Ensembles hat, wie dem gamelan gong gede
oder gamelan gong kebyar.21 Aus dieser Form, dem Ensemblespiel
sowohl im gamelan semar pegulingan, gamelan angklung wie auch
im gamelan joged, hat sich den wenigen Quellen nach das gamelan
rindik entwickelt. Über die Gründe kann nur spekuliert werden, es
scheint jedoch naheliegend zu sein, dass der aufkommende Tourismus
und die Etablierung erster größerer Hotels auf Bali Anlass waren. Nach
Aussagen verschiedener Experten auf Bali existiert das gamelan rin dik in der heutigen Form auf Bali, seit es dort organisierten Tourismus
gibt. Das erste Hotel in Denpasar, das Bali Hotel, wurde 1928 erbaut
(Vickers 1996: 122). In diesem und weiteren, wenig später gebauten
Hotels für ausländische Touristen, wurden Musik- und Tanzaufführungen für die zahlende Kundschaft vorgeführt. Ziel war es, den
Reisenden die balinesische Kultur vorzuführen, jedoch nach streng
geregeltem Ablauf, meist in verkürzter Form und vor Ort, um den
20 Siehe beispielsweise Jaap Kunst De Toonkunst Van Bali Deel 1, Batavia
1924 (S. 104), und Jaap Kunst De Toonkunst Van Bali Deel 1I, Batavia
1925 (Foto 6 und 7).
21 Für eine ausführliche Besprechung des gamelan joged siehe Kai-Thorsten
Illing 1990.
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Touristen die mühsame Reise in umliegende Dörfer zu ersparen (Picard
1996: 26). Über die Gründe, warum speziell das rindik für touristische
Aufführungen ausgewählt wurde, kann wiederum nur spekuliert werden, einige Gründe scheinen jedoch nahe liegend zu sein: Zunächst
war die Musik des solistisch gespielten rindik, wie auch die des game lan joged, weder an rituelle noch sakrale Aufführungspraktiken gebunden, sie konnte also problemlos in einem touristischen Kontext verwendet werden. Ein weiterer, sehr pragmatischer Grund ist das
Gewicht der Instrumente. Die leichten Bambusxylophone sind deutlich einfacher zu transportieren als die zum Teil sehr schweren
Metallophone anderer gamelan-Typen. Schließlich kann angenommen
werden, dass die klanglichen Eigenschaften der Bambus-Xylophone,
die gedämpfte Lautstärke und das wenig dynamische Repertoire, sehr
geeignet erscheinen, als unauffällige Hintergrundmusik in Hotels
gespielt zu werden.
Einig sind sich alle balinesischen Experten darin, dass der eigentliche
Grund, das gamelan joged zu einem gamelan rindik zu machen, das
limitierte Platzangebot in den Hotels war. Wie bereits erwähnt, wird
das gamelan rindik vorzugsweise in Hotel Lobbys oder Restaurants
gespielt, in denen in der Regel nicht ausreichend Platz für ein komplettes gamelan ist. Das gamelan joged besteht in seiner vollen Größe
aus mehreren rindik-Paaren, mehreren suling-Spielern, mindestens
einer Trommel kendang, den kleinen Becken ceng-ceng rincik und in
manchen Fällen einem gong. Der Kompromiss bestand darin, das
gamelan joged auf das absolute Minimum eines noch spielbaren
Ensembles zu reduzieren: zwei rindik und eine suling.
Veränderungen seit 2002
Obwohl der Umstand selbstverständlich ist, möchte ich an dieser Stelle
doch noch einmal erwähnen, dass die musikalischen Genres, die speziell für den touristischen Kontext entwickelt wurden, d. h. keinen
Rückhalt in der primär balinesischen Aufführungspraxis haben, am
stärksten vom Tourismus abhängen und dementsprechend primär vom
Zusammenbruch des Tourismus auf Bali betroffen waren. Dies gilt
besonders für das gamelan rindik: Auch wenn das Überangebot an
dicht nebeneinander liegenden Restaurants, Bars, Cafés, Diskotheken
und Hotels in den Touristengegenden Balis schon vor 2002 niemals
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gänzlich ausgelastet war, so ist dennoch ein deutlicher Unterschied zu
der Zeit vor den ersten Anschlägen zu bemerken. Ein abendlicher
S p a z i e rgang durch Ubud oder Sanur zeigt viele leerstehende
Restaurants, in denen die Angestellten gelangweilt oder scherzend in
einer Gruppe sitzen und, sobald man als Tourist an der Eingangstür
vorbei flaniert, lautstark für ihr Etablissement werben. Bei einer dauerhaften Quote von 31,87% Prozent Hotelauslastung (Zahlen von
2003, im Vergleich zu 46,33% im Jahr 2000)22 ist es nahe liegend,
dass die wenigsten Hotel- und Restaurantbesitzer sich noch liveMusiker leisten können. Es lohnt nicht, ein beinahe leeres Restaurant
bespielen zu lassen; vereinzelt wird deswegen zwar noch gamelan rin dik gespielt, wenn, dann jedoch von einer der Kassetten oder CDs, die
auf Bali produziert werden. Dies bestätigen die Aussagen von Wayan
Sanglah und Nyoman Dayuh, beides Musiker aus der Gegend um
Ubud, die neben vielen anderen Instrumenten auch das gamelan rin dik beherrschen. Beide gaben an, dass sie heutzutage seit den
Anschlägen überhaupt nicht mehr von Hotels oder Restaurants zu rin dik-Auftritten engagiert würden.23 Waren in den Jahren vor 2002 rin dik-Ensembles in allen Touristenorten, speziell Sanur und Ubud, zu
hören gewesen, war nach den Anschlägen lediglich ein einziges game lan rindik in Ubud zu finden. 2006 hatte sich an dieser Situation nichts
geändert.24
22 BALI UPDATE, © Bali Discovery Tours 30.4.2004, http://www.balidis-
covery.com/update/archive.asp
Who Says Bali Tourism Has Recovered? Part II
BALI UPDATE, © Bali Discovery Tours 2.6.2006, http://www.balidiscovery.com/update/archive.asp
A Shorter Length of Stay - Shorter Stays in Bali Equal Fewer Room Nights
and Less Spending.
Genaue Zahlen von 2006 sind leider nicht zugänglich, laut dem Bali
Update liegen die Angaben großer Hotels für 2006 jedoch bisher zum Teil
sogar unter 30 %.
23 Informelle Interviews im April 2006.
24 Mein Forschungsbereich beschränkte sich auf die Regionen Kuta, Sanur
und Ubud. Ob beispielsweise in Nusa Dua oder Singaraja mehr gamelan
rindik gespielt wird, kann ich nicht sicher behaupten, ich gehe jedoch
davon aus, dass die Situation dort sich nicht signifikant von der in den
untersuchten Orten unterscheidet.
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Auf der anderen Seite ist das gamelan rindik im 21. Jahrhundert, und
auch schon vor 2002, zunehmend in das balinesische Leben integriert
worden. Ein Beispiel wäre die Darbietung eines gamelan rindik bei
informellen Hochzeitsempfängen, dem nicht-rituellen Teil einer balinesischen Hochzeit. Diese resepsi genannte Feierlichkeit findet meist
im Haus oder Hof der Familie statt, geladen sind hierzu Freunde,
Kollegen, Nachbarn und die weitere Familie des Hochzeitspaares. Ein
ständiges Kommen und Gehen kennzeichnet diese Anlässe, und in der
Zeit, in der die ständig wechselnden Gäste sich auf dem Grundstück
befinden, werden sie mit kleinen Snacks und Getränken bewirtet. Das
gamelan rindik ist auch hier keine Aufführung, der zugesehen oder
konzentriert zugehört wird, sondern fungiert als Begleitmusik zur
Konversation und zum Mahl der Gäste, ebenso, wie es in Hotels und
Restaurants üblich ist. Obwohl also in diesem Fall nicht mehr
Touristen, sondern Balinesen das Publikum sind, hat sich der Kontext
doch nicht geändert.
Ein neuer, touristischer Raum für das gamelan rindik ist mir im März
2006 begegnet. In der Ankunftshalle des internationalen Flughafen in
Denpasar ist eine kleine Bühne aufgebaut, auf der zwei rindik-Spieler
sitzen. Sobald die Türen aus dem Transferbereich sich öffnen und die
neu angekommenen Touristen den Saal betreten, beginnen die Musiker
zu spielen. Während die Touristen dann in langen Schlangen auf ihre
Visa on Arrival warten, werden sie von rindik-Musik unterhalten;
Grund für manche Touristen, das erste Urlaubsfoto zu schießen, für
die meisten jedoch nicht weiter bemerkenswert. Das gamelan rindik
wird also auch hier seiner Funktion gerecht: angenehme, balinesische,
unauffällige Hintergrundmusik zu sein.
Das gamelan rindik ist, bedingt durch den kurzfristigen Zusammenbruch des Tourismus nach den Anschlägen 2002 und 2005, selten
geworden, jedoch nicht gänzlich verschwunden. Neue Anlässe, jedoch
im gleichen Kontext und auch unabhängig vom Tourismus, geben ein
neues Forum für diese Musikform.
Zu fragen bleibt, ob das gamelan rindik nicht auch ohne die veränderten Bedingungen nach 2002 seltener geworden wäre. Wie alle anderen musikalischen Genres auf Bali unterliegt auch das gamelan rindik
Moden und wechselnden Präferenzen der balinesischen Musiker und
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auch Rezipienten. Im Zeitraum von 2002 bis 2006 ließ sich feststellen, dass jene Etablissements, die sich noch live-Musiker leisten konnten, vielfach auf westliche Musik spielende Bands umgestiegen waren.
Diese Bands bestehen meist aus zwei bis drei balinesischen Musikern,
die mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang Jazz-Standards und/oder
Popmusik des 20. und 21. Jahrhunderts spielen. Die Aufgabe dieser
Bands ist die gleiche, die auch das gamelan rindik hatte: unauffällige
Hintergrundmusik zu spielen.
Es bleibt also abzuwarten, ob das gamelan rindik, in dieser oder eventuell auch in veränderter Form, im touristischen oder lokalen Kontext,
eine Renaissance erlebt, oder eines Tages nur noch als historisches
Ensemble bekannt sein wird. Derzeit scheinen gamelan rindik-Musiker
auf der Suche nach neuen Nischen zu sein.
Der kecak
Der kecak ist eine der bekanntesten Tanzdarbietungen Balis und wird
ausschließlich in Hotels oder auf speziellen Bühnen für Touristen aufgeführt.25 Das Genre kecak ist über die Grenzen Balis hinweg bekannt
und wird häufig als „Affentanz“ bezeichnet26.
Eine kecak-Aufführung wird von 50 bis 150 Tänzern dargeboten. Acht
bis zwölf Solisten stellen eine Geschichte aus dem alt-indischen Epos
Ramayana dar, meist die Episode der Entführung der Prinzessin Sita
durch den Dämonenkönig Rahwana. Der Rest der Tänzer bildet den
cak-Chor, der rein vokal das Tanzdrama begleitet. Die Mitglieder des
Chores, auch pengecak genannt, sitzen in bis zu vier konzentrischen
Kreisen um eine in der Mitte der Bühne stehende Lampe, die damar
kecak. Die Solisten tanzen vor allem in der frei gelassenen Mitte des
25 Sofern nicht anders vermerkt, beruhen alle Informationen auf
Forschungsmaterial für meine Dissertation (transkribierte formelle und
informelle Interviews, verschriftlichte Beobachtungen und VideoAufzeichnungen), von 2000/01, aus den Regionen Badung und Gianyar.
26 Balinesische Musiker und Experten lehnen diese Bezeichnung als herab-
würdigend meist ab, die Bezeichnung stammt aus Zeiten, zu denen der
kecak vor allem den Kampf einer Affenarmee darstellte, zu sehen beispielsweise im Dokumentarfilm Bali von Vicky Baum, gedreht auf Bali
1935.
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Chores, um die damar kecak herum. In neueren Choreographien kann
diese grundsätzliche Anordnung verändert werden, beispielsweise hin
zu einem in Richtung Publikum offenen Halbkreis, oder in zwei sich
gegenübersitzenden Gruppen aufgeteilt, zwischen denen die Tänzer
sich in einer Art Korridor vom zentralen Bühnenaufgang Richtung
Publikum bewegen können. Die pengecak tragen lediglich karierte
Schals (saput) über meist schwarzen Hüfttüchern (babuletan) (Dibia
2000: 30), die Solisten hingegen erscheinen in elaborierten Kostümen,
den dargestellten Charakteren entsprechend und klar voneinander
unterscheidbar.
Die Musik des kecak basiert auf gleichmäßigem Interlocking einzelner Stimmen des cak-Chores. Die von den pengecak gerufene Silbe
„cak“ bildet die Grundlage für die konstante Verzahnung und gibt darüber hinaus dem Genre den Namen cak oder kecak. Zwei oder drei
pengecak zusammen bilden jeweils ein Interlocking, die Bezeichnung
der einzelnen Pattern ist polos, sangsih und sanglot. Neben den pen gecak, die verschiedene cak-Pattern singen, gibt es einige Solisten
innerhalb des cak-Chores, die die Orientierung für alle anderen pen gecak bieten. Der juru klempung ruft in regelmäßigen Abständen die
Silbe „pung“ und bildet damit den Grundschlag. Die in weiten Teilen
einer kecak-Aufführung verwendete Basismelodie geht über acht
Schläge und wird vom juru gending übernommen, der durch diese
Melodie die pung-Rufe (jeweils ein pung entspricht einem Schlag) des
juru klempung in eine feste metrische Form bringt. Die Einsätze,
Varianten und Stops für die pengecak werden vom juru tarek durch
laute Rufe zu festgelegten Zeiten angezeigt. Der juru tarek könnte als
Leiter des cak-Chores bezeichnet werden; er ist die Schnittstelle zwischen den Tänzern und dem Chor. Die gesamte Struktur des kecak
beruht auf den gleichen Grundregeln wie balinesische instrumentale
Musik und wird zum Teil auch als „vokales gamelan“ (gamelan suara)
bezeichnet (Dibia/Ballinger 2004: 92)27.
27 Selbstverständlich existiert nicht nur eine Art von balinesischem game-
lan, sondern diverse verschiedene Typen mit zum Teil sehr unterschiedlicher musikalischer Struktur. Dennoch gibt es Regeln, die grundsätzlich
auf viele Arten von gamelan zutreffen, beispielsweise die Zyklizität einer
Grundmelodie.
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Die erste Erwähnung des Namen kecak ist in einem Brief von 1935
von Walter Spies, dem zu jener Zeit auf Bali lebenden deutschen
Künstler, Musiker, Forscher und Bohemien, an Jane Belo und Colin
McPhee zu finden.28 Zu jener Zeit war der kecak bereits als Tanzform
etabliert und wurde aus Anlass des Besuchs des Generalgouverneurs
von Niederländisch Indien aufgeführt. Nur fünf Jahre zuvor führte die
Zusammenarbeit zwischen balinesischen Tänzern, genannt sei hier der
aus Singapadu stammende Limbak, und Walter Spies, zur Schaffung
des kecak. Spies war der künstlerische Berater für einen 1930 von
Baron Viktor von Plessen auf Bali gedrehten Film mit dem Titel Insel
der Dämonen. Für die Szene eines Exorzismus im Dorftempel verwendete Spies den Tanz sanghyang dedari, bei dem zwei junge Mädchen
in Trance tanzen. Begleitet werden die zwei Tänzerinnen von einem
cak-Chor, der nach 70 Jahren noch immer erstaunliche Ähnlichkeit mit
der Musik des heutigen kecak aufweist.29 Für diesen Film wurde also
zum ersten Mal ein sanghyang außerhalb des rituellen Kontextes, für
eine Filmaufnahme und damit indirekt für ein menschliches Publikum
aufgeführt. Von hier an entwickelte sich die neue Tanzform kecak durch
die weitere Zusammenarbeit von Spies mit balinesischen Tänzern in
sehr kurzer Zeit zu einem rein künstlerisch-ästhetischen Genre außerhalb des religiösen oder rituellen Kontextes. Die Musik des sanghyang
wurde kombiniert mit dramatischen Elementen, dargestellt wurden von
Beginn an Szenen aus dem Ramayana, seit den 1960er Jahren ist die
Episode der „Entführung der Sita“ Standard der meisten kecakGruppen. Der kecak wird seit seiner Entstehung vor allem für Gäste
der Insel dargeboten. Zwar gibt es Anlässe, zu denen kecak auch für
ein balinesisches Publikum aufgeführt wird, diese sind jedoch eher selten. Kecak-Aufführungen finden entweder auf Bühnen statt, die extra
für touristische Aufführungen gebaut wurden, oder an öffentlichen
Stellen des balinesischen Lebens, wie der Gemeindehalle eines Dorfes
28 Der Orginalbrief ist in der Sammlung der Stiftung Walter Spies in der
Universitätsbibliothek Leiden einzusehen.
29 Bei meiner 2002 vom Berliner Phonogammarchiv unterstützten
Forschung konnte ich sanghyang Aufnahmen von 1926 (Sammlung Jaap
Kunst Bali) balinesischen Experten vor Ort vorspielen. Alle Befragten
waren der Meinung, kecak zu hören und erstaunt, dass es sich den
Aufzeichnungen nach eindeutig um sanghyang handelt.
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(wantilan) oder dem äußersten Hof eines Tempels. Die einstündigen
Aufführungen starten auf den meisten Bühnen am frühen Abend und
werden von Touristen unterschiedlichster Herkunft entweder als Teil
einer organisierten Rundreise oder individuell besucht.
Veränderungen nach 2002
Die kecak-Szene, die beispielsweise 2001 über 20 verschiedene
Gruppen in Süd- und Zentralbali umfasste, ist schon immer sehr wechselhaft gewesen. Beinahe jedes Jahr entstehen neue Gruppen, andere
lösen sich auf. Trotz der ohnehin festgestellten Unbeständigkeit kann
gesagt werden, dass die Bombenanschläge zusätzlich einen weitgreifenden Einfluss auf einzelne Gruppen und Bühnen hatten, wie folgendes Beispiel zeigen wird.
Eine der – nach Meinung balinesischer wie westlicher Spezialisten –
besten kecak-Gruppen auf Bali ist die von Ida Bagus Nyoman Mas
geleitete Sekaha Cak Puspita Jaya aus Blahkiuh. Diese Gruppe führte vor 2002 regelmäßig dreimal in der Woche eine circa einstündige
kecak-Aufführung auf der in Kesiman, Denpasar gelegenen kecakBühne Uma Dewi auf. Auch nach Aussage des Besitzers der Uma
Dewi30 wurde die Sakaha Cak Puspita Jaya als das Zugpferd der
Bühne angesehen, und bekam eine deutlich höhere Gage als die beiden anderen regelmäßig auftretenden Gruppen.
Als ich im Dezember 2004 zur Uma Dewi fuhr um dort eine kecakAufführung der Sakaha Cak Puspita Jaya zu sehen, musste ich feststellen, dass eine andere Gruppe auftrat, die musikalisch und tänzerisch wesentlich weniger anspruchsvoll war. An jenem Abend konnte
ich mich mit dem Manager der Uma Dewi unterhalten, der mir die
jüngste Geschichte der Bühne nach den Anschlägen schilderte: Nach
dem Zusammenbruch des Tourismus im Oktober 2002 haben die
Gruppen oft vor leerem Haus gespielt. Da die Gruppen jedoch pauschal bezahlt werden, bedeutete jeder Abend, an dem unter 50
Zuschauer anwesend waren, einen Verlust für die Uma Dewi. Das
Management bemühte sich also um eine Lösung, um die Bühne am
Leben zu erhalten. Zunächst sollten die Kosten gekürzt und die
30 Interview mit I Dewa Made Oka Merta am 07.05.2001.
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Aufführungstage reduziert werden, damit die Einrichtung weiter funktionieren konnte. Zwei der drei kecak-Gruppen ließen sich darauf ein,
nicht jedoch die bestbezahlte Sekaha Cak Puspita Jaya. So wurde der
Betrieb mit nur zwei Gruppen weiter geführt und mit dem Leiter der
Gruppe Puspita Jaya abgemacht, zu pausieren, bis sich die Besucherzahlen erholt hätten, um dann wieder mit dem vollen Gehalt einsteigen zu können. Nach einem halben Jahr konnte der Betrieb – wenn
auch auf niedrigerem Niveau als zuvor – wieder voll aufgenommen
werden. Als jedoch zu jenem Zeitpunkt die Sekaha Cak Puspita Jaya
kontaktiert wurde, hatte sich diese aufgelöst und konnte nicht mehr
auftreten. Seitdem treten auf der Uma Dewi die zwei alten und eine
neue kecak-Gruppe auf, die jedoch alle nicht – laut Aussage des
Managers – an das Niveau der Sekaha Cak Puspita Jaya heranreichen.
Kurz nach diesem Gespräch begegnete ich Ida Bagus Nyoman Mas,
noch immer Leiter der Gruppe Puspita Jaya. Nach dem Fortbestehen
seiner Gruppe befragt, schilderte er mir seine Version der Ereignisse.
Tatsächlich wollte er seine kecak-Gruppe nicht mit gekürzter Gage auftreten lassen. Da das Dorf Blahkiuh, aus dem die Sekaha Cak Puspita
Jaya stammt, recht weit von Kesiman entfernt ist, sind jeden Abend
Transportkosten angefallen, die bei gekürzter Gage kaum noch gedeckt
hätten werden können. So entschloss sich die Gruppe, für eine Weile
mit den Aufführungen auf der Uma Dewi zu pausieren und nur noch
bei Gelegenheit aufzutreten. Zwar war mit dem Management der Uma
Dewi ausgemacht, dass dieses sich melden würde, wenn die
Besucherzahlen wieder normalisiert wären, doch wurde die Gruppe
laut Ida Bagus Nyoman Mas seitdem nicht wieder kontaktiert. Er vermutet, dass sich die Uma Dewi inzwischen mit den dort aufführenden
Gruppen arrangiert habe, und nun nicht willens sei, mehr Geld als nötig
auszugeben. Die Bombenanschläge hatten hier also zwei direkte
Folgen: Eine der bekanntesten kecak-Gruppen, die Sekaha Cak
Puspita Jaya existiert zwar noch immer, führt jedoch nur noch bei
Gelegenheit ihren kecak auf. Die für Touristen viel signifikantere Folge
ist vermutlich, dass das Niveau der kecak-Aufführungen auf der größten kecak-Bühne in der Region Badung deutlich gesunken ist. Indirekt
bedingt das, dass Touristen kecak geboten wird, der weit hinter seinen
Möglichkeiten ist, und vielfach haben meine Umfragen und Beob-
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achtungen gezeigt, dass der kecak, in Abhängigkeit von der Qualität
der Aufführung, als etwas sehr Langweiliges beurteilt werden kann.31
Ein anderes, positives Beispiel für das Fortbestehen des kecak auf
hohem Niveau ist die Gruppe Kerama Desa Adat Ubud Kaja, die im
Pura Dalem in Ubud zweimal in der Woche aufführt32. Diese Gruppe
besteht schon seit 1994 und hat 2005 eine neue Choreographie erarbeitet. Erdacht und einstudiert wurde die neue Choreographie von dem
kecak-Spezialisten I Wayan Dibia. Die dargestellte Geschichte ist eine
andere Episode aus dem Ramayana, den Tod des Kumbakarna. Dibia
verwendet hier umfangreiche und anspruchsvolle musikalische und
choreographische Elemente, die von der kecak-Gruppe, sowohl den
pengecak wie auch den Solotänzern, hervorragend gemeistert werden.
Die Gruppe ist nur ein Beispiel für junge Gruppen, die mit einem guten
Lehrer und hohem Anspruch an ihr künstlerisches Niveau das Genre
kecak am Leben erhalten. Ebenso wie das gamelan rindik ist auch der
kecak inzwischen Teil des balinesischen Lebens geworden, wird auf
Tempelfesten aufgeführt und als eine moderne, flexible Tanzform
angesehen, die auch durch den Einfluss einzelner Persönlichkeiten wie
dem javanischen Choreographen Sardono Kusumo oder I Wayan Dibia
für Projekte und Kollaborationen verschiedener Genres genutzt wird.
Im April 2006 waren in Ubud insgesamt neun verschiedene kecakGruppen aktiv, mehr, als im Jahr 2000. Manche der schon längerfristig existierenden Gruppen haben an Niveau verloren, andere stark
gewonnen. Was für das gamelan rindik zutrifft, ist beim kecak nicht
zu erkennen: der kecak besteht weiter, wird sowohl in der traditionellen Form für Touristen aufgeführt als auch in den balinesischen
Aufführungskontext integriert und für moderne Kreationen genutzt.
Der kecak ist vermutlich zu präsent, zu beliebt bei Touristen wie
Balinesen, als dass der kurzfristige Zusammenbruch des Tourismus
signifikanten, längerfristigen Einfluss auf das Genre hätte haben können.
31 Eine Forschung zur Publikumsmeinung über verschiedene k e c a k-
Aufführungen führte ich im März / April 2006 in Ubud durch.
32 Interview mit Made Roja, 03.08.2001.
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Das Leben als Musiker und Tänzer
nach den Bombenanschlägen
Nach diesen beiden konkreten Beispielen möchte ich noch kurz auf
die Folgen der Bombenanschläge für balinesische Musiker und Tänzer
generell eingehen. Wie bereits im Abschnitt über den kulturellen
Tourismus auf Bali geschildert, existiert ein ganzer ökonomischer
Zweig des Tourismus, der die Musik- und Tanzaufführungen organisiert und ausführt. Viele professionelle Tänzer und Musiker auf Bali,
ob mit oder ohne akademischen Abschluss am ISI Denpasar (Institut
für Indonesische Künste, die Musik- und Kunsthochschule Balis) verdienen ausreichend an ihren Auftritten, um ihre Familien davon
ernähren zu können. Diese Auftritte umfassen alle möglichen Arten
der auf Bali existierenden Kontexte. Bei jedem Tempelfest und beinahe jeder Zeremonie in Dorf oder Familie ist die Aufführung bestimmter Tänze durch professionelle Tänzer notwendig, beispielsweise die
Aufführung des Maskendramas topeng bei Verbrennungszeremonien,
oder dem als „balinesische Oper“ bezeichneten Tanz- und Gesangsdrama arja bei Tempelfesten. Bekannte, gute Tänzer haben oft
Engagements weit von ihrem Heimatort entfernt und sind so öfter von
einer Veranstaltung zur nächsten mit kleinen Bussen über Land unterwegs und kehren erst spät in der Nacht zurück. Solche Auftritte werden je nach Bekanntheitsgrad der Aufführenden gut bis mäßig bezahlt.
Wenn Tänzer oder Musiker für ihre eigene Dorfgemeinschaft, ihr ban jar, oder einen der Dorftempel aufführen, erhalten sie dafür keine
Gage; das Geben ihrer Fähigkeiten für die Gemeinschaft oder die
Götter wird erwartet, ist quasi Dienst an der sozialen Gemeinschaft
und wird als ngayah bezeichnet. Viele organisierte Tanz- und
Musikgruppen treten nicht nur für ein balinesisches Publikum auf, sondern versuchen, so viel wie möglich auch Engagements von Hotels
oder Restaurants zu bekommen, da diese oftmals deutlich besser bezahlen, als Dorfgemeinschaften.
Um von ihrer Kunst leben zu können, sind Musiker und Tänzer also
darauf angewiesen, möglichst viele Auftritte außerhalb ihres Dorfes
zu haben, und zusätzlich möglichst oft im touristischen Kontext aufzutreten.
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Wenn nun also, in Folge der gesunkenen Besucherzahlen, immer weniger Hotels und Restaurants Tanzaufführungen anbieten, ist die direkte Folge, dass für viele Tänzer und Musiker ein wichtiger Teil ihres
Einkommens entfällt. Hinzu kommt jedoch noch ein weiterer, indirekter Effekt; dadurch, dass die Ökonomie insgesamt auf Bali geschwächt
ist – wie im Abschnitt über die Bombenanschläge 2002 und 2005
geschildert – können sich auch weniger Dorfgemeinschaften und
Familien teure Musiker und Tänzer für ihre Feste und Zeremonien leisten. Auch im balinesischen Kontext fallen so wichtige Verdienstmöglichkeiten weg.
Aus vielen verschiedenen Gesprächen mit Musikern und Tänzern aus
den Regionen Badung und Gianyar ging hervor, wie schwer es nach
den Anschlägen geworden ist, als professioneller Musiker oder Tänzer
ausreichend zu verdienen, um auf dem gewohnten Standard leben zu
können. Einig waren sich alle Befragten darin, dass sie auf bessere
Zeiten hoffen und derweil versuchen, ihre Ansprüche zu verringern
oder sich alternative Verdienstmöglichkeiten zu suchen.
Fazit
Der Einbruch des Tourismus traf in erster Linie die primär oder sekundär im Tourismus Beschäftigten. Eine Berufsgruppe, die signifikant
betroffen ist, an die jedoch selten gedacht wird, wenn die direkten und
indirekten Folgen der Anschläge betrachtet werden, ist die der balinesischen Tänzer und Musiker, die regelmäßig oder sporadisch in Hotels
und Restaurants auftreten.
Anhand zweier Beispiele konnte gezeigt werden, dass sich der kurzfristige Zusammenbruch und das Fortbestehen des Tourismus auf niedrigem Niveau auf die weitere Entwicklung einzelner touristischer
Genres auswirken kann, aber nicht muss. Bei der Betrachtung der
direkten und indirekten Folgen für Musiker und Tänzer allgemein
wurde deutlich, dass hier die Auswirkungen auf das Leben der Künstler
wesentlich weitreichender sind.
Vier Jahre nach den ersten Anschlägen auf Bali scheint es, als habe
sich auf Bali nicht viel geändert. In einigen Fällen hat zwar der 12.
Oktober 2002 bestehende soziale Probleme, wie etwa die Intoleranz
indonesischen – meist muslimischen – Migranten gegenüber, verstärkt,
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die Ereignisse haben jedoch weder zu einer Neuorientierung im
Tourismus geführt, noch die bestehende, stabile Gesellschaftsordnung
nachhaltig verändert. Auch in der Musikszene hat sich zwar Einiges
verändert, dennoch sind keine grundlegenden, eindeutigen Tendenzen
in die eine oder andere Richtung erkennbar. Es bleibt festzuhalten, dass
auch die Bombenanschläge „nur“ ein weiterer Faktor des globalen
Einflusses auf die lokale, balinesische Kultur ist. Ich kehre zum ersten
Satz dieses Artikels zurück; keine Kultur ist statisch und unabhängig
von den Welt- und Zeitläuften. Die balinesische Kultur wäre nicht das,
was sie ist, wenn sie nicht schon in den vergangenen Jahrhunderten
verstanden hätte, mit äußeren Einflüssen umzugehen, Neues in ihr
Schaffen einzubeziehen und auch unter widrigen Umständen ihre
Eigenständigkeit und Einzigartigkeit zu bewahren und weiterzuentwickeln.
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