Vortrag Oskar Dirlewanger von Rolf Laschet
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Vortrag Oskar Dirlewanger von Rolf Laschet
Rolf Laschet Russisch- und Geschichtslehrer am Schelztor-Gymnasium Esslingen Oskar Dirlewanger als Esslinger Symbolfigur bei der Zerstörung gewerkschaftlicher und menschlicher Grundwerte Vortrag am Ort des früheren Gewerkschaftshauses in Esslingen 24.6.2014 Oskar Dirlewanger ist einer der größten Kriegsverbrecher und der wahrscheinlich brutalste Massenmörder des 2.Weltkriegs. Auch in Esslingen wird er zunehmend als Symbolfigur für die Zerschlagung menschlicher und auch gewerkschaftlicher Grundwerte in der Zeit des NS-Regimes wahrgenommen. In den Gewaltexzessen des 1. Weltkrieges verroht und brutalisiert, lebte er als Freikorpsmitglied in der Nachkriegszeit sein antikommunistisches und nationalsozialistisches Weltbild bei der Niederschlagung mehr oder weniger kommunistischer Aufstände in Württemberg aus. Dass Gewerkschaften natürlich nicht in sein Weltbild passten, war dann auch im Juli 1932 zu sehen, als er mit seinem SA-Sturmbann I/122 im Wahlkampf vor den für die Nazis zum Dammbruch werdenden Juliwahlen zum Reichstag das Esslinger Gewerkschaftshaus erstürmte. Merkwürdiger- und vielleicht auch bezeichnenderweise findet dieses Ereignis, das in der Literatur über Dirlewanger häufig zitiert wird, in der Esslinger Zeitung vom Juli 1932 keinerlei Erwähnung. Dirlewanger musst sich dann wohl im Dezember 1932 dafür vor dem Stuttgarter Landgericht wegen Landfriedensbruchs verantworten. Von einer Verurteilung ist mir nichts bekannt. Nach der Machtübergabe an die Nazionalsozialisten bekam Dirlewanger einen Versorgungsposten für alte Kämpfer als stellvertretender Leiter des Arbeitsamtes Heilbronn, so dass eine Beteiligung Dirlewangers an der Besetzung des Esslinger Gewerkschaftshauses vom 2.Mai 1933 wohl sehr unwahrscheinlich ist. Diese erfolgte nach der Machtübernahme durch die Nazis fast routinemäßig im Zuge der sogenannten Gleichschaltung der Gewerkschaften und fand dann auch in einigen dürren Worten in der EZ vom 3.Mai 1933 eine kurze Erwähnung: Gleichschaltung der Gewerkschaften Im Verlauf des Dienstag wurden wie an anderen Orten des Reiches vormittags 10 Uhr die GewerkschaftsVerwaltungsgebäude im Auftrage des Kommissars der NSDAP von der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganistion, R.L.) besetzt. Die Aktion diente zur Gleichschaltung der Gewerkschaften gegenüber der Regierung. Die erworbenen Rechte der Gewerkschaftsmitglieder bleiben dabei unangetastet. Es ist lediglich die Kontrolle und die Überwachung der Tätigkeit vorgesehen. (...) Als Kommissar der Gewerkschaften in Esslingen wurde der Kreisleiter der NSBO, Stadtrat Veil, bestimmt. Gestatten Sie mir nun einige Anmerkungen zu Dirlewangers Jugend in Esslingen und seinen verbrecherischen Ausschreitungen in Weißrussland während des 2. Weltkrieges. Lassen die vorliegenden spärlichen Informationen über Dirlewangers Kindheit und Jugend irgendwelche Dispositionen für seinen Werdegang zu einem Nationalsozialisten der ersten Stunde, einem sadistischen Alkoholiker und Kinderschänder, einem militärischen Gewaltverbrecher von unfassbarer Grausamkeit erkennen? Wohl nicht. Oskar Dirlewanger war das zweite von 4 Kindern der gutbürgerlichen Eheleute August und Pauline Dirlewanger, die im Dezember 1893 in Esslingen die Ehe geschlossen hatten, dann aber im April 1894 kurz vor Geburt der Tochter Mathilde (geb.7.Juni 1894) nach Würzburg umgezogen waren. Dort wurde am 26.9.1895 Oskar Dirlewanger geboren. Am 1. Juli 1901 zog August Dirlewanger nach Stuttgart, die Familie folgte im Oktober 1901 nach. Es ist nachweisbar, dass spätestens ab dem 9.Mai 1906 Oskar Dirlewanger in Esslingen gelebt hat und zur Schule gegangen ist. Ab 1907 ist die Familie August D. auch in den Esslinger Adressbüchern unter der Anschrift "Kesselwasen 16" verzeichnet. Oskar Dirlewanger hat also im "Gräßle-Haus", dem Haus des Dekorateurladens Gräßle, das über den Steg des Wehrneckarkanals erreichbar war, gewohnt. Er besuchte zunächst das Esslinger Gymnasium - wohl das Georgii-Gymnasium, damals noch in der Abt-FulradStraße 3 - und wechselte dann, wie viele seiner Mitschüler auch, zum Schuljahr 1910/11 vom Gymnasium in die Klasse VII der Schelztor-Oberrealschule in der Berliner Straße über. Die Schelztor-Oberrealschule hat er dann bis zur Reifeprüfung 1913 besucht. Die schulischen Leistungen Oskar Dirlewangers stabilisierten sich nach eher mäßigem Beginn mit zunächst "nicht ganz genügenden" Leistungen (Note 3 auf einer achtstufigen Skala) in 3 Fächern auf durchschnittlichem Niveau. Sein bestes Fach mit durchgängig guten Leistungen in allen drei besuchten Klassen war interessanterweise Geschichte (Note 6). Sein Reifeprüfungsjahrgang bestand aus 29 jungen Männern, darunter Söhne bekannter Esslinger Familien wie Oskar Bechtle (geb. 21.4.1895), Otto Boley (geb. 15.3.1895) oder Eugen Mangold (geb.13.12.1891). In seinem Reifeprüfungszeugnis vom 30. Juni 1913 sind die besten Noten wieder historischer Couleur: "Geschichte der deutschen Literatur" (Note 7 – sehr gut) und "Geschichte und Erdkunde" (Note 6 - gut). Die Vermutung drängt sich auf, dass ihm in seinen „Paradefächern“ ein stramm nationalistisches Weltbild nahe gebracht wurde. Mit einem befriedigenden Gesamtergebnis nimmt er nach seinen Leistungsziffern den 11. Platz von 29 Schülern ein, hat sich also ins vordere Mittelfeld verbessern können. Sein Berufswunsch nach Klasse IX war stud.jur., also ein Jurastudium. Auf der Zeugnisliste der Reifeprüfung vom 30.Juni 1913 ist "Regiminalist" (verbeamteter Verwaltungsjurist) vermerkt. Sofort nach der Schule trat Dirlewanger den Wehrdienst an, der ihn nahtlos in den 1.Weltkrieg führte. Hier stieg er als fanatischer und rücksichtsloser Kämpfer bis zum Oberleutnant (Kompanieführer) auf. Ich lasse nun die weiteren Stationen seiner „Laufbahn“ bis zu seinem „Karriereknick“ 1934 aus, als Dirlewanger wegen "Unzucht mit Personen unter 14 Jahren" Zuchthaus bis 1936 erhielt und den Ausschluss aus Partei und SA sowie die Aberkennung des Doktortitels erleben musste. Vom März 1937 – Juni 1939 versuchte er sich als Angehöriger der Legion Condor und der spanischen Fremdenlegion durch die Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg zu rehabilitieren, was dann spätestens 1940 mit der Wiederaufnahme in die NSDAP gelang. Mit Unterstützung des früheren Esslinger Stadtschulrates Gottlob Berger, der es bis zum Chef des SS-Hauptamtes in Berlin gebracht hatte, konnte Dirlewanger ein "SS-Sonderkommando Dirlewanger, das zunächst aus verurteilten Wilderern und später auch aus erpressten KZ-Insassen, Straftätern der SS und straffällig gewordenen Wehrmachtsangehörigen bestand, zusammenstellen. Dieses Sonderkommando fand vom September 1940 – Februar 1942 bei der Partisanenbekämpfung und Terrorkriegsführung in Polen (Lublin) Verwendung und wurde dann vom März 1942 – Juni 1944 nach Weißrussland verlegt. Erst in Weißrussland wurde Dirlewanger der Vollstrecker und „Protagonist der Terrorkriegsführung“ (K.Stang), deren Instrumentarium sich ihm im 1.Weltkrieg und in den Wirren der Nachkriegszeit, sowie dann im Spanischen Bürgerkrieg erschlossen hatte. Dirlewangers SS-Sonderkommando wurde zunächst nach Mogilev im Osten, dann ab Anfang 1943 nach Lagojsk zwischen Minsk und Chatyn nördlich von Minsk verlegt. In Lagojsk waren Teile des inzwischen zum SSSonderbataillon erweiterten Kommandos im Schloss und in der Schule untergebracht. Im Juni 1943 bestand es aus einer deutschen Kompanie mit 150 Mann und drei Kompanien, die aus russischen Kollaborateuren gebildet worden waren, sowie einer Polizeieinheit aus Deutschen und Russen, insgesamt 760 Männer. In Weißrussland kennt man Dirlewanger seither als militärischen Terroristen und Massenmörder, dessen Sonderbataillon für die Verbrennung und Vernichtung von rund 200 Dörfern mitsamt ihrer mehr als 120 000 Bewohner verantwortlich ist. Welche Szenen sich bei den Einsätzen der SS-Sonderformation Dirlewanger in Belarus abspielten, bezeugte bei seiner Vernehmung am 19.3.1948 der zeitweise in das Sonderbataillon versetzte Albin V.: „Bei einem Marsch – wir sind gefahren 200 km bis vor Smolensk – wurden die Dörfer umstellt. Niemand durfte raus und rein. Die Felder wurden abgesucht und die Leute wurden ins Dorf geschickt. Am anderen Morgen gegen 6.00 Uhr wurden die gesamten Leute – es war eine große Ortschaft von ca. 2500 Menschen – Kinder, Frauen und Greise in etwa 4 bis 5 Scheunen gesteckt.(...) Dann erschien Dirlewanger mit 10 Männern, Offizieren usw. und sagte: ‚Sofort alles erschießen’. Vor die Scheune stellte er vier SD-Männer mit Maschinenpistolen. Die Scheune wurde aufgerissen und Dirlewanger sagte ‚Feuer frei’. Es wurde wahllos mit den Maschinenpistolen in die Masse von Menschen hineingeschossen, ganz gleich, ob Kinder, Frauen usw. Entsetzliches hat sich abgespielt. Der Ladestreifen wurde herausgerissen, ein neuer Ladestreifen kam hinein. Es wurde nicht gezielt. Dann wurde die Scheune wieder zugemacht. Die SD-Leute nahmen Stroh von den Dächern und steckten die Scheunen in Brand. Es war dies das entsetzlichste Bild meines Lebens, was ich je gesehen habe. Die Scheunen brannten lichterloh. Kein Mensch konnte raus, bis die Scheunen zusammengestürzt waren. Inzwischen hatte(n) sich sein Stab und Dirlewanger selbst mit dem russischen Schnellfeuerkarabiner in etwa 50 Meter Entfernung um diese Scheunen herum aufgestellt. Dann stürmten aus diesen Scheunen Leichtverwundete, Schwerverwundete und Menschen, die noch nicht angeschossen waren, heraus, brennend, als Fackeln. Nun schossen diese Bestien auf diese Menschen, die zu entkommen versuchten (,) und Dirlewanger an der Spitze, bis kein Mensch mehr übrig war. Jeder einzelne Ort ist dem Boden gleichgemacht worden.“ Die Ehrung Dirlewangers für seine Niederschlagung des Warschauer Aufstandes (August 1944) und seine Verbrechen in Weißrussland am 7.11.1944 im Dienstzimmer des Esslinger Oberbürgermeisters Klaiber und die anschließende „Würdigung“ in der EZ ist einer der beschämendsten Momente der Esslinger Stadt- und Zeitungsgeschichte. Bedenkenswert ist auch, dass es des Abschlusses der Städtepartnerschaft zwischen Esslingen und Molodetschno bedurfte, um allmählich eher beiläufig als beabsichtigt etwas Licht auf die finstere „Blutspur“ Dirlewangers in Weißrussland zu werfen. Ist es Verdrängung, Beschwichtigung, Abscheu oder Ignoranz, dass erst seit Ende der 80iger Jahre dieser unmenschliche Aspekt der Esslinger Geschichte in Esslingen zunächst nur von Minderheiten wahrgenommen wurde, die Geschichte dieses Entsetzlichsten aller Esslinger aber nie von Esslinger Seite aus ernsthaft erforscht wurde? Zum Schluss bleibt mir nur noch eine nur bedingt tröstliche Feststellung: Dirlewanger wollte mit seiner Terrorkriegsführung die sogenannten slawischen „Untermenschen“ ausrotten. Heute wird an „seiner“ Schule, dem Schelztor-Gymnasium, erfolgreich Russisch als 2. Fremdsprache unterrichtet und seit 1988 ein Schüleraustausch mit Molodetschno durchgeführt, einer Stadt mitten in jener Region, in der er einst gewütet hat. Dirlewanger wollte die Gewerkschaften zerstören – die Gewerkschaften sind heute anerkannter und stärker als je zuvor. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.