1 Texte zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Europas Mittelalter
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1 Texte zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Europas Mittelalter
Texte zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Europas Mittelalter und Neuzeit 1) Über Dienste und Abgaben der Hörigen der Kirche Im 5.-9. Jahrhundert entstanden mehrere Volksrechte germanischer Stämme, die zumeist in Vulgärlatein abgefasst sind, aber zahlreiche germanische Ausdrücke aufweisen; die Volksrechte der Angelsachsen und Nordgermanen wurden hingegen schon in der Volkssprache abgefasst. In den Volksrechten wird vor allem das Gewohnheitsrecht zusammengefasst, nicht selten aufgrund der Klagen der Adeligen über unklare Rechtsverhältnisse; sie sind daher keine Gesetze im neuzeitlichen Sinn. Hauptsächlich umfassen die germanischen Volksrechte straf- und prozessrechtliche Bestimmungen, verbunden mit ausführlichen Darlegungen über die zu leistenden Bußen. Wichtig ist, dass die germanischen Volksrechte dem Personalitätsprinzip folgen, d.h. dass etwa ein Bajuware stets nach der Lex Bajuvariorum (Volksrecht der Bajuwaren) behandelt wurde, egal wo er sich aufhielt – im Gegensatz zum heute üblichen Territorialprinzip, wonach jeder nach der im jeweiligen Land geltenden Rechtslage beurteilt wird. Die Lex Bajuvariorum gehört mit der Lex Alamannorum (Volksrecht der Alamannen) zu der im 7./8. Jahrhundert entstandenen süddeutschen Gruppe von Volksrechten, die in karolingischer Zeit eine Weiterwirkung auch im norddeutschen Raum hatte, in Form der Volksrechte der Sachsen (Lex Saxonum), Friesen (Lex Frisionum) und Thüringer (Lex Thuringorum). Die Kirchen und Klöster verfügten durch Schenkungen über reichen Grundbesitz. Mit diesen Schenkungen wurden auch die freien und unfreien Bauern zu Untertanen den Kirche. Das Volksrecht der Bajuwaren regelte auch die Pflichten der hörigen Bauern auf kirchlichen Gütern: „Von Hörigen oder Knechten der Kirche, wie sie dienen und welche Abgaben sie leisten sollen. ... Dies aber sehe der Richter vor: gemäß dem, was einer hat, gebe er. Von 30 Scheffeln1 gebe er drei Scheffel und den Weidezins2 entrichte er nach des Landes Brauch. Die gesetzmäßigen Feldstücke ... soll er pflügen, besäen, umzäunen, (den Ertrag) sammeln, bringen und einlagern; ... Weinstöcke soll er pflanzen, umzäunen, umgraben, aufpfropfen, beschneiden und lesen. Vom Lein3 sollen sie ein Bündel leisten; von Bienen zehn Fässer; vier Hühner, 15 Eier soll er leisten. Reitpferde sollen sie stellen oder selbst dahin gehen, wohin es ihnen aufgetragen ist. Frondienste mit Wagen4 sollen sie bis zu einer Entfernung von 50 Meilen leisten; weiter sollen sie nicht fahren. Um die Herrenhäuser zu unterhalten, zur Wiederherstellung von Heuschober, Kornspeicher oder Zaun sollen sie ihre angemessene Teilarbeit übernehmen und, wenn es nötig ist, sie ganz aufbauen. Den Kalkofen sollen, wenn er nahe ist, 50 Mann mit Brennholz und Steinen beliefern, wenn er fern ist, sollen 100 Mann es ausführen; und zu dem Ort oder zu dem Hof, wo es nötig ist, sollen sie diesen Kalk hinbefördern. Die Knechte der Kirche aber sollen gemäß ihrem Besitz Abgaben leisten. Drei Tage in der Woche tue er Dienst für die Herrschaft, drei arbeite er für sich ... Aber niemanden bedrücke man ungerecht.“ 1 eine Maßeinheit für Getreide. Je nach Region betrug ein Scheffel zwischen 23 und 222 Litern. Abgaben für die Nutzung der Wiesen, die für die Tierweide verwendet wurden. 3 Leinen, wichtigster Grundstoff zur Herstellung von einfacher Kleidung im Mittelalter. 4 Die Frondienste konnten auch darin bestehen, dass die Bauern ihr Fuhrwerk für Transporte zur Verfügung stellen und selbst die Führung der Zugtiere übernehmen mussten. 2 1 (Lex Baiuvariorum, ca. 741/744, leicht gekürzt; zitiert nach Günther Franz, Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes im Mittelalter, Berlin 1967, S. 23) Arbeitsfragen zum Text: • Welche Tätigkeiten sind nach der Lex Baiuvariorum Bestandteil des Alltags eines hörigen Bauern? • Recherchiere allgemein zu den Arbeiten der Bauern im Jahreskreis sowie zu deren Abgaben! 2) Die Wahl des römisch-deutschen Königs Die „Goldene Bulle“ Kaiser Karls IV. ist im Grunde genommen gar keine Urkunde mehr, sondern ein umfangreiches Regelwerk, dessen Text in etwa 40 moderne Druckseiten umfasst. Bis ins letzte Detail werden darin alle notwendigen Schritte für die Königswahl, aber auch allgemeine Fragen des Lehenswesens geregelt. Es ist in mehreren Ausfertigungen in lateinischer Sprache erhalten, davon auch in einer Prunkhandschrift von Karls Nachfolger, König Wenzel (1378-1400), weiters in einer zeitgenössischen mittelhochdeutschen Übersetzung. Sie fasst weitgehend die Rechtspraxis bei der Königswahl zusammen, die als Gewohnheitsrecht schon seit langer Zeit üblich war. Die schriftliche Festlegung diente aber vor allem dem Zweck, dass die Luxemburger (als Könige von Böhmen) den für sie sehr günstigen Rechtsstatus gegen die Wittelsbacher und Habsburger ein für alle Mal unveränderbar machen konnten. Aus dem Inhalt: Wie das Geleit der Kurfürsten sein soll und wer sie geleiten soll; die Wahl des Römischen Königs; die Sitzordnung der Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz; die Kurfürsten allgemein; das Recht des Pfalzgrafen und auch des Herzogs von Sachsen; Vergleich der Kurfürsten mit den anderen gewöhnlichen Fürsten; die Erbfolge der Kurfürsten; die Gerichtsfreiheit des Königs von Böhmen und der Einwohner seines Reiches; die Gold-, Silber- und anderen Bergwerke; die Münzen; die Gerichtsfreiheit der Kurfürsten; die Zusammenkunft der Kurfürsten; Widerrufung der Privilegien; Entzug der Lehensgüter Unwürdiger; Schwurgemeinschaften; die Pfahlbürger (Menschen die im Umkreis der Stadt in einer „rechtlichen Grauzone“ lebten); das Ansagen von Fehden; Wahleinladungsbrief; Bevollmächtigungsformular, das durch einen Kurfürsten zu schicken ist, der seine Botschafter zur Durchführung der Wahl senden zu müssen glaubt; die Einheit der Kurfürsten und der damit verbundenen Rechte; die Prozessionsordnung der Erzbischöfe; die Prozessionsordnung der Kurfürsten als Insignienträger; die Segensspendung der Erzbischöfe in Gegenwart des Kaisers; Strafe für Aufsässige gegen Kurfürsten; Nachkommen der weltlichen Kurfürsten; Prozessionsordnung; kurfürstliche Ämter auf Reichstagen; Tischordnung am Kaiserhof; Krönungs- und Reichstagsort; Abgaben bei Lehensempfang. „Nachdem die Kurfürsten oder ihre Botschafter in die Stadt Frankfurt gekommen sind, sollen sie sofort am folgenden Morgen bei Sonnenaufgang in der Kirche des Hl. Apostels Bartholomäus5 dort in aller Gegenwart die Messe „Vom Heiligen Geist“ singen lassen, ... 5 Frankfurter Dom. 2 damit sie gestützt auf seine Hilfe einen gerechten, guten und geeigneten Mann als Römischen König und künftigen Kaiser wählen können, zum Heil des christlichen Volkes. Nach Beendigung dieser Messe aber sollen alle Kurfürsten oder ihre Botschafter an den Altar herantreten ... und dort sollen die geistlichen Kurfürsten vor dem Evangelium des Hl. Johannes6 ..., das ihnen dort vorgelegt werden soll, die Hände voll Ehrfurcht über der Brust falten; die weltlichen Kurfürsten aber sollen dieses Evangelium leiblich mit den Händen berühren; sie alle sollen mit ihrem ganzen Gefolge dort ohne Waffen stehen. Und der Erzbischof von Mainz soll ihnen die Eidesformel vorsprechen und zusammen mit ihnen ... den Eid ... auf Deutsch leisten. ... Sobald nun durch die Kurfürsten oder deren Boten solcher Eid ... geschworen ist, sollen sie zur Wahl schreiten; sie dürfen sich von dieser Stunde an nicht mehr aus der Stadt Frankfurt entfernen, es sei denn, die Mehrheit von ihnen hätte zuvor das weltliche Oberhaupt ... gewählt, also den Römischen König ... Wenn sie dies zu tun 30 Tage hinauszögern, vom Tag der Eidesleistung an gerechnet, sollen sie nach Ablauf der 30 Tage künftig nur Wasser und Brot essen, aber keinesfalls die Stadt verlassen. ... Der Erzbischof von Mainz und kein anderer seiner Mitkurfürsten soll die Kurfürsten in folgender Reihenfolge nach ihrer Wahlentscheidung fragen: Zum ersten soll er den Erzbischof von Trier fragen, dem Unserer Bekanntmachung zufolge die erste Stimme zukommt ...; zum zweiten den Erzbischof von Köln, dem Würde und Amt zukommen, dem Römischen König die erste Königskrone aufzusetzen; zum dritten den König von Böhmen, der unter den weltlichen Kurfürsten aufgrund der Hoheit seiner Königswürde mit Recht den ersten Rang einnimmt; zum vierten den Pfalzgrafen bei Rhein, zum fünften den Herzog von Sachsen, zum sechsten den Markgrafen von Brandenburg. ... Danach sollen diese Fürsten, seine Genossen, den Erzbischof von Mainz ihrerseits ersuchen, er möge seine Meinung ausdrücken und ihnen seine Wahlentscheidung offenbaren.“ (Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom 10. Jänner 1356, Kapitel 2 und 4, gekürzt; zitiert nach der deutschen Übersetzung bei Lorenz Weinrich, Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter, Darmstadt 1983, S. 333-337 und 341) Arbeitsfragen: • Beschreibe die einzelnen Schritte, die zur Wahl des Königs führen? • Welche Rolle spielt die katholische Kirche bzw. die katholische Religion bei der Königswahl? • Versuche allgemeine Informationen zur Goldenen Bulle und zur Rolle der sieben Kurfürsten zu finden! 3) Das Stadtrecht von Enns (1212) Am Übergang über die Enns entwickelte sich nicht weit vom ehemaligen römischen Legionslager Lauriacum (Lorch) ein wichtiger Umschlagplatz für den Osthandel. Die nach dem Fluss benannte Siedlung erhielt im Jahr 1212 von Herzog Leopold VI. von Österreich das Stadtrecht. Es handelt sich dabei um das älteste, das für eine Stadt auf heute österreichischem Gebiet erhalten ist. 6 d.h. vor einer Handschrift mit dem Johannes-Evangelium. 3 „Wir haben also beschlossen, dass ein Bürger, wenn er jemanden tötet, aber Liegenschaften im Wert von 30 Pfund Pfennigen7 besitzt, keinen Bürgen für sich benötigt, sondern insgesamt drei Mal vor das Gericht gerufen wird; wenn er nun vor Gericht zitiert wird und aussagt, dass er den anderen in Notwehr getötet habe und das mit sieben glaubwürdigen Zeugen beweisen kann, [wird er freigesprochen]; ... Wenn er aber drei Mal rechtmäßig vor Gericht gerufen wurde und nicht erschienen ist, so möge der Richter sein Vermögen einziehen: zwei Drittel seiner Güter gehen an seine Frau und seine Kinder, ein Drittel in die Gewalt des Gerichts; wenn der Beschuldigte aber weder Frau noch Kinder hat, bis sein Vermögen eingezogen wird, so mag er über die zwei Drittel bestimmen, wie er will. ... Wenn aber jemand nicht Grundbesitz im Wert von 30 Pfund Pfennigen vorweisen kann, wie vorhin erwähnt ... aber keinen Bürgen für sich finden kann, so soll der Richter ihn einsperren, bis er über ihn richtet. ... Wenn aber ein Bürger jemandem eine Hand oder einen Fuß, ein Auge, die Nase oder irgendeinen anderen Körperteil abschneidet, so soll der Täter zur Strafe dem Richter zehn Pfund Pfennige zahlen und dem Opfer ebenso viel. Wenn aber der Täter so viel Geld nicht besitzt, so soll über ihn gerichtet werden nach dem Muster Aug um Aug, Hand um Hand und so weiter. ... Wenn jemand einen anderen so verletzt, dass das Opfer keine bleibenden Schäden erleidet, so soll er dem Richter zwei Pfund Pfennige zahlen, dem Opfer ebenfalls; wenn er aber das Geld nicht hat, so soll er öffentlich ausgepeitscht werden sowie seine Haare und seine Haut verlieren,8 aber nicht dort, wo die Diebe ausgepeitscht werden. ... Wenn jemand einen ehrenhaften Mann mit den Fäusten schlägt, so soll er dem Richter zwei Pfund Pfennige und dem Opfer ebenso viel geben; wenn er aber einen unehrenhaften Mann schlägt, der das wegen seiner Worte oder irgendeiner Undiszipliniertheit gegenüber ihm verdient hat, so soll er dem Richter ein Pfund Pfennige zahlen, dem Opfer aber nichts. ... Wir haben auch festgesetzt, dass jemand, der eine Jungfrau oder eine ehrenhafte Frau bedrängt oder vergewaltigt hat – und jene hat mit zwei Zeugen nachgewiesen, dass sie um Hilfe gerufen hat –, sich durch das Urteil des glühenden Eisens reinwaschen kann; wenn er sich aber der Feuerprobe nicht unterzieht, so wird er hingerichtet. Wenn jene aber durch das Zeugnis von sieben glaubwürdigen Zeugen ihn überführt, so soll ihm nicht einmal die Feuerprobe zugestanden werden, sondern soll er gleich hingerichtet werden. Wenn aber irgendeine gemeine Frau beklagt, sie sei vergewaltigt worden, so soll niemand ihre Klage vor Gericht behandeln. Wer auch immer einen anderen ‚Hurensohn’“ nennt, soll dem Richter 60 Pfennige zahlen; für ‚Hundesohn’ zahle er 24 Pfennige. ...“ (Stadtrecht von Enns, Originalurkunde Herzog Leopolds VI. vom 22. April 1212, gekürzt; Übersetzung Christian Rohr) Arbeitsaufgaben: • Fasse zusammen, was über die Rechtsprechung in der Stadt bei Gewaltdelikten ausgesagt wird? Wird vor Gericht jeder gleich behandelt? 7 Das Vielfache von Pfennigen wurde rein in Gewichtseinheiten angegeben, die gleichzeitig Zähleinheiten bildeten. Ein Pfund (ca. 480g) entsprach 240 Pfennigen. 40 Pfennige wurden beispielsweise als 1 Schilling, 10 Pfennige angegeben (ein Schilling entsprach in der Regel 12 Pfennigen, im österreichischen Raum 30 Pfennigen) 8 Gemeint ist, dann dem Angeklagten zur Strafe öffentlich die Haare geschoren wurden und er so lange ausgepeitscht wurde, bis die Haut aufplatzte und Blut spritzte. Vgl. dazu auch Kapitel D.1. 4 • • Was wird über die Vorgangsweise bei Vergewaltigungen ausgesagt? Handelt es sich deiner Meinung nach um eine frauenfeindliche oder frauenfreundliche Rechtspraxis? Versuche allgemeine Informationen zu Stadtrechten und ihren Inhalten zu finden! 4) Das „Jahrtausendhochwasser“ auf der Donau im August 1501 Im Kloster Melk wurden seit dem Hochmittelalter jährliche Aufzeichnungen, so genannte Annalen, geführt. Sie berichten von politischen Ereignissen und wichtigen Vorkommnissen im Kloster ebenso wie über herausragende Naturereignisse. Der Autor, ein Mönch des Klosters, war mit Sicherheit Augenzeuge: „In diesem Jahr trat eine sehr starke Überschwemmung der Gewässer ein, die am Tage vor Mariä Himmelfahrt [15. August] begann und fast 10 Tage dauerte. Eine derartig hohe Flut wurde in hundert Jahren kaum in ähnlicher Weise beobachtet, wie eine Marktfrau im Alter von 107 Jahren bezeugte. Das Getreide und Heu, das von einigen geborgen worden war, ging durch die Donau verloren, das auf den Feldern bereits geschnittene verfaulte infolge der Regengüsse. Durch alle Stellen der Städte und festen Plätze an der Donau floss die Wasserflut so reichlich, dass sie schiffbar schienen. Sie stürzte Häuser von Grund aus um, zwei trug sie, als sie bei Melk vorüberfloss, mit der Bewohnerschaft nach Osten davon. Die Wiesen und Maueranger bedeckte sie mit Sand, warf Bäume um und entwurzelte die Weinstöcke; unbeschädigte Gehöfte mit den Scheunen und dem Vorrat jeder Art führten sie bei Nacht und bei Tag davon. Schließlich wütete die Donau in den großen Städten und Dörfern so sehr, dass man kaum ein Haus unbeschädigt sah. Ein Teil des Volkes lachte, ein anderer weinte. Hier und in Teilen von Böhmen ging ein großer Teil der Menschen bei Nacht in den [durch die Flut] entstandenen Morästen zugrunde, und die Menschen wurden, nach Habakuks Weissagung, zu Meeresfischen. Auch in die Marktkirche zur heiligen Jungfrau drang die Wasserflut ein, stand zu derselben Zeit eine Elle hoch über dem Altar und stieß die Bänke und Grabhügel um.“ (Melker Annalen zum Jahr 1501; zitiert nach Weikinn, Quellen zu Witterung und Klima 2, S. 6 f.) Arbeitsaufgaben: • Vergleiche beide Texte: Welche Auswirkungen des Naturereignisses erschienen den Autoren erwähnenswert? Was erfahren wir über die Deutung und unmittelbare Bewältigung? • Welche Rolle spielen in den beiden Texte Gott bzw. die Deutung, dass es sich bei dem Naturereignis um eine Strafe Gottes handeln könne? • Versuche verschiedene Quellen zum verheerenden Hochwasser des Jahres 2002 in Österreich sowie zu früheren Hochwassern zu finden: Wie wurde damals die Überschwemmung wahrgenommen, erklärt und bewältigt? 5) Ernährung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit 5 a) Zu Tisch bei Bischof Matthias von Rammung in Speyer Um 1470 erließ der Speyerer Bischof Matthias von Rammung (1464-1478) eine Küchenordnung für seine Hauptresidenz in Udenheim bei Speyer am Rhein. Neben Anweisungen über Sparsamkeit und Hygiene in der Küche enthält die Küchenordnung zahlreiche Hinweise auf die alltägliche Küche eines hohen Geistlichen, über die Bewirtung von Gästen und über die Verpflegung des Gesindes am Ende des Mittelalters. „Ferner soll immer das erste Essen, das morgens von uns übrig bleibt, oder stattdessen ein anderes nach unserem Befehl armen Leuten um Gottes Willen gegeben werden. Hofmeister, Küchenmeister und Keller sollen dafür sorgen, dass darauf geachtet wird, was zu dem gemeinen Almosen gehört, und dass es notdürftigen Leuten gegeben wird. Man möge uns morgens dreierlei Fleisch oder Fisch zu essen geben: nämlich Brühe mit Fleisch, zweitens [Fleisch] als Pfeffer9 oder als Pasteten, drittens gebratenes [Fleisch], dazu jeweils die Beilagen. ... Dazu möge man Sülze, Wurst oder andere Speisen geben, wie man sie gerade hat, und das für eines der Gerichte zubereiten, sodass am Morgen nicht mehr als drei Gänge serviert werden. Ferner soll man das Essen noch vollkommener zubereiten, wenn fremde Leute kommen oder sich das Hofgesinde vermehrt. ... Dabei soll gebührend und sparsam mit den Gewürzen umgegangen werden, und niemand außer dem Meisterkoch darf darüber verfügen. ... Ferner sollen Küchenmeister und Köche daran denken, nicht stets das gleiche Einerlei zu kochen, sondern heute dies, morgen etwas anderes. Denn man wird immer derselben Speise überdrüssig. Weiterhin soll man uns zum Nachtmahl nicht mehr als zwei Gerichte servieren und eine Speise, die gut verdaulich ist: Insbesondere sollen es zwei oder drei verschiedene Fleischsorten sein, wie man es gerade hat oder es anfällt. Man soll darauf achten, im Sommer kalte Speisen und im Winter warme Speisen zu kochen und diese auch entsprechend zu würzen. Wenn fremde Leute und Gäste geladen sind, die standesgemäß sind, soll man reichlich auftragen, sich köstlich geben, kein Maß beachten und danach wieder anfangen zu sparen. ... Auch dem Gesinde soll morgens und abends nicht mehr als zwei Gerichte mit ihren Beilagen gegeben werden, doch am Morgen reichlicher als am Abend. Es soll darauf geachtet werden, dass sie genug zu Essen haben.“ (Küchenordnung des Speyerer Bischofs Matthias von Rammung, um 1470, gekürzt; zitiert nach Fouquet/Mayer, Quellen zur Geschichte der Menschen in ihrer Zeit 2, S. 188 f.) b) Das Essen der ärmeren Leute Der Speiseplan der Bediensteten auf dem landwirtschaftlichen Hof des in Bayern gelegenen Schlosses Schleißheim sah im Jahr 1618 schon eintöniger aus: „Sonntag: 9 eine Art Ragout, das besonders mit Pfeffer gewürzt war 6 Mittags: Hirsebrei oder Griesmus, Speckknödel und Kraut Nachts: Kraut, dicke Schnitzen10 und süße Milch Montag: Morgens: Weizenmus, saure Milchsuppe Mittags: Kraut, gestampfte Gerste, Kirschkuchen Nachts: Kraut, Erbsen, Milch Dienstag: Morgens: Mus und Wassersuppe Mittags: Kraut, eingebrannte Suppe, Dampfnudeln11 Nachts: Kraut, Rüben, Milch Mittwoch: Morgens: Weizenmus, Sauermilchsuppe Mittags: Kraut, dicke Schnitzen, gekochter Hafer Nachts: Kraut, Gerste, Milch Donnerstag: Morgens: Weizenmus und Wassersuppe Mittags: Kraut, Erbsen, Küchlein oder Striezel Nachts: Kraut, Rüben, Milch Freitag: Morgens: Weizenmus, Sauermilchsuppe Mittags: Kraut, dicke Schnitzen, Lebkuchengebackenes [wahrscheinlich mit Obst] Nachts: Kraut, Gerste, Milch Samstag: Morgens: Weizenmus und Wassersuppe Mittags: Kraut, Erbsen, Rüben Nachts: Kraut, aufgegangene [Nudeln] oder Dampfnudeln“ (Wochenspeiseplan für das Gesinde des Schlosses Schleißheim/Bayern, 1618; zitiert nach Fouquet/Mayer, Quellen zur Geschichte der Menschen in ihrer Zeit 2, S. 192) Arbeitsaufgaben: • Welche Nahrungsmittel kommen in den Speiseordnungen bzw. im Rezept vorrangig zur Anwendung? • Vergleiche den Speisezettel des Speyerer Bischofs mit dem der Bediensteten von Schloss Schleißheim: In welchen Bereichen gibt es Abwechslung, in welchen nicht? • Welche allgemeinen Informationen kannst du zu den Nahrungsmitteln in der Frühen Neuzeit finden? 6) Quellen zur Geldgeschichte des Mittelalters a) König Heinrich VII. erlässt Regelungen zum Münzwesen im Heiligen Römischen Reich 10 11 Es bleibt unklar, woraus diese Schnitzen bestanden haben. Germknödel 7 Das Recht Münzen zu prägen gehörte zu den Regalien, d.h. es war zunächst nur dem König selbst vorbehalten. Dieser verlieh es aber seit dem Hochmittelalter zahlreichen Landesfürsten, die daraufhin eigene Münzprägestätten zur Herstellung von Silberpfennigen errichteten. Die zahlreichen Pfennigsorten waren aber in ihrem Silbergehalt durchaus unterschiedlich, sodass sich einzelne Pfennige als besonders „harte Währungen“, andere aber als relativ wertlos herausstellten. „Recht häufig wurde vor unserem Herrn und Vater, dem hochehrwürdigen Römischen Kaiser [Friedrich II.], sowie vor uns durch Rechtsspruch festgelegt, dass in den Städten und den anderen Orten, wo es üblicherweise eine eigene und rechtmäßige Münze [= Münzprägestätte] gibt, niemand irgendwelchen Markt abhalten soll mit Silber, sondern nur mit den Pfennigen von deren eigener Münze. Das Umtauschen, das man gemeinhin „Wechseln“ nennt, soll weder der Händler noch sonst einer der Kaufleute vornehmen, sondern nur der Münzer selbst oder derjenige, dem der Herr es aus besonderer Gnade gestattet. Außerdem sollen sich die Pfennige einer Münze durch so deutliche Kennzeichen und die Unterschiedlichkeit der Bilder von den Pfennigen einer anderen Münze unterscheiden, dass man sofort auf den ersten Blick und ohne irgendwelche Schwierigkeiten deren Bedeutung und Wertunterschied untereinander feststellen kann. Wenn jemand ferner mit falschen Pfennigen ertappt wird, soll er die Strafe für Münzfälscher erleiden; und es soll ihm nichts nützen, wenn er sagt, er habe sie auf einem öffentlichen und allgemeinen Markt erhalten, es sei denn die Summe ist so klein, dass sie neun Pfennige nicht übersteigt. Wenn dieser auch ein drittes Mal mit der genannten Summe oder mehr ertappt wird, darf er als Münzfälscher ohne die zuvor genannte Ausnahme oder Entschuldigung abgeurteilt werden.“ (Reichsspruch König Heinrichs VII. vom 30. April 1231, gekürzt; zitiert nach Lorenz Weinrich, Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, S. 420423) b) Das Unwesen des Münzverrufs im 15. Jh. Besonders in den 1450er-Jahren wurde der Münzverruf im bayerisch-österreichischen Raum von den Münzherren sehr häufig praktiziert, um aus der Differenz des Silbergehalts zwischen alten und neuen Pfennigen Erträge abzuzweigen. Der zeitgenössische Augsburger Chronist Burkart Zink berichtet über die Auswirkungen dieser „Schinderlingszeit“: „ ... Unser Herr Kaiser schlug in dieser Zeit [1459] überall im Land so viele [mindere] Münzen, dass niemand sie gerne nehmen wollte, und man konnte in vielen Städten weder Brot noch Wein oder andere Nahrungsmittel dafür finden; arme Leute mochten lieber am Hungertod sterben. Wenn ein armer Mann den ganzen Tag um 10 bis 12 Pfennige arbeitete, so konnte er um seinen Tageslohn nicht einmal ein Brot kaufen, das normal einen Pfennig kostet. Wenn einer zu einem Wirt ging und dort mit einer guten böhmischen Großmünze [einem Groschen zu 20 Pfennigen] zahlte, so erhielt er dafür vom Wirt ein gutes Mahl und bekam zudem noch 30 oder 40 gute böhmische Pfennige heraus. ... Ebenso soll man wissen, dass die Kaufleute zu Augsburg, die sich damals in Wien aufhielten, ... sich alle mit denselben Münzen die Schulden bezahlen lassen mussten. Sie 8 kauften um das eingenommene Geld besonders guten Wein ein und brachten 50 Fass zu je 22 Eimer nach Augsburg heim ... Zudem kauften sie etliche Rosse in Wien, die sie ebenfalls heim brachten; so ließen sie alle [schlechten] Pfennige in Österreich zurück und brachten Wein und andere Waren mit sich, die sie wieder um gute Pfennige weiterverkauften. Als nun eben die schlechten Münzen in Österreich der Steiermark, in Ungarn und Bayern in Umlauf waren, ... da trachtete jeder, die Münzen dem anderen zuzuschieben. Wenn jemand Schulden hatte, so zahlte er diese damals zurück; einer kaufte dem anderen etwas ab, und sei es noch so teuer, nur um seine Münzen loszuwerden. Im Jahr 1460 waren die Pfennige so sehr heruntergekommen, dass man sie in allen Ländern aus dem Verkehr zog und verbot, da sie niemand mehr nehmen wollte: für einen Gulden bekam man 10 Pfund Pfennige [2400 Pfennige].12 Allmächtiger Gott, wie gütig bist du, dass du so viel, Ungerechtigkeit und Bosheit übersiehst, dass einer den anderen betrügt und um sein Vermögen bringt, so wie es damals mit den schlechten Pfennigen geschehen ist. So mancher Mann verlor sein ganzes Vermögen, während andere damals reich wurden.“ (Chronik des Augsburgers Burkart Zink zu den Jahren 1458-1460, gekürzt; nach der Ausgabe bei Möncke, Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte mittel- und oberdeutscher Städte im Spätmittelalter, S. 328-331 ins Neuhochdeutsche übersetzt von Christian Rohr) Arbeitsaufgaben: • Welche Regelungen traf König Heinrich VII. für die Verwendung verschiedener Pfennigsorten auf Märkten im Heiligen Römischen Reich? • Welche Auswirkungen brachte der Verfall des Wertes der Pfennigmünzen 1458/60? Wie konnten Menschen davon auch profitieren? • Versuche allgemeine Informationen über das Münzwesen im Mittelaltzer und in der Frühen Neuzeit zu finden! 7) Schülerleben im ausgehenden Mittelalter und in der Neuzeit a) Johannes Butzbachs Schulerfahrungen Seit dem ausgehenden Mittelalter besuchten die Bürgersöhne eine städtische Bürgerschule, um dort in einer Grundschule Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Der humanistische Gelehrte Johannes Butzbach (1478-1516) blickt auf seine Schulzeit zurück. „Als ich schon sechs Jahre alt war, ließ sie [meine Tante] mich die Schule besuchen, damit ich die Grundzüge der Bildung erlernen konnte, obwohl ich bis dahin noch kaum die deutschen Wörter richtig auszusprechen vermochte. ... Die Liebe zur Schule machte mir die fromme Frau anfangs freundlicherweise mit Brezeln schmackhaft – nach den Worten des Horaz: ‚... den Kindern geben die freundlichen Lehrer Brezeln, damit sie die ersten Anfangsgründe erlernen wollen.’ Dann aber, als die Brezeln, Feigen, Rosinen und Mandeln 12 Der Wert der Pfennige verfiel damals rasant. Entsprachen einem ungarischen Goldgulden 1458 zunächst noch 210 Silberpfennige, so waren es zwei Jahre später 2400 Silberpfennige. 9 mit der Fastenzeit vorbei waren, ... schien auch mein Lerneifer erschöpft zu sein; so hielt sie es für angebracht, mich nicht mehr mit Belohnungen, sondern mit Drohungen zu nähren. Und nun – wehe mir! Sie zögerte nämlich nicht, mich mit harten Ruten gewaltsam zum Schulbesuch zu zwingen, obwohl sie mich doch bisher nur mit Süßigkeiten und Zückerchen dazu angeregt hatte. ... Nach dem Tode nun meiner Amme seligen Angedenkens wurde ich wieder ins Haus meiner eigenen Eltern gebracht. ... Aber als ich nun gleich wie vorher gegen meinen Willen zum begonnenen Schulbesuch gezwungen wurde, begann ich oftmals zu schwänzen. ... Als ich dann aber vom Lehrer, den ich über alles fürchtete, wegen meiner Abwesenheit ausgefragt wurde, pflegte ich notgedrungen zu sagen, ich sei auf Geheiß der Eltern zu Hause zurückbehalten worden und hätte dieses oder jenes getan. ... Als ich eines Abends wiederum nicht aus der Schule, sondern wie gewohnt aus dem Schiff nach Hause kam, da sagte ich meinen Eltern nicht die Lateinwörter dieses selben Tages auf. Sie begannen mich des Schwänzens zu bezichtigen und des Lügens zu beschuldigen, denn sie überführten mich, dass ich ihnen vor wenigen Tagen dieselben Wörter aufgesagt hatte. Am nächsten Morgen schleppte mich meine Mutter zur Schule. ... Der Locatus [= Lehrer] ... packte mich in einem Wutanfall und ließ mich auskleiden und sogleich an einer Säule festbinden. Grausam und unbarmherzig – denn er war ein roher Kerl – ließ er mich mit den härtesten Ruten auspeitschen, indem er selbst kräftig mitmachte.“ (Johannes Butzbach, Odeporicon, 1506, gekürzt; zitiert nach Gerhard Fouquet/Ulrich Mayer (Hg.), Lebenswelten 2. Quellen zur Geschichte der Menschen in ihrer Zeit. Alteuropa 800 bis 1800, Stuttgart 2001, S. 152 f.) b) Johann Wolfgang von Goethe und seine behütete Schulzeit zu Hause Der berühmte Dichter und Universalgelehrte Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) erhielt seine Grundschulausbildung wie zahlreiche andere Kinder aus dem gehobenen Bürgertum zu Hause von seinem eigenen Vater und von Privatlehrern. „Es ist ein frommer Wunsch aller Väter, das, was ihnen selbst abgegangen, an den Söhnen realisiert zu sehen, so ohngefähr als wenn man zum zweitenmal lebte und die Erfahrungen des ersten Lebenslaufes nun erst recht nutzen wollte. Im Gefühl seiner Kenntnisse, in Gewissheit einer treuen Ausdauer, und im Misstrauen gegen die damaligen Lehrer, nahm der Vater sich vor, seine Kinder selbst zu unterrichten und nur so viel es nötig schien, einzelne Stunden durch eigentliche Lehrmeister zu besetzen. ... Die Grammatik missfiel mir, weil ich sie nur als ein willkürliches Gesetz ansah; die Regeln schienen mir lächerlich, weil sie durch so viele Ausnahmen aufgehoben wurden, die ich alle wieder besonders lernen sollte. Und wäre nicht der gereimte Lateiner13 gewesen, so hätte es schlimm mit mir ausgesehen; doch diesen trommelte und sang ich mir gern vor. So hatten wir auch eine Geographie in solchen Gedächtnisversen, wo die abgeschmacktesten Reime das zu Behaltende am besten einprägten. ... In rhetorischen Dingen ... tat es mir niemand zuvor, ob ich schon wegen Sprachfehler oft hintanstehen musste. Solche Aufsätze waren es 13 Johann Gottfried Gross, Der angehende Lateiner, Halle 1747, ein Lehrbuch der lateinischen Sprache in Merkversen. 10 jedoch, die meinem Vater besondre Freude machten und wegen deren er mich mit manchem für einen Knaben bedeutenden Geldgeschenk belohnte. Mein Vater lehrte die Schwester in demselben Zimmer Italienisch, wo ich den Cellarius14 auswendig zu lernen hatte. Indem ich nun mit meinem Pensum bald fertig war und doch still sitzen sollte, horchte ich über das Buch weg und fasste das Italienische, das mir als eine lustige Abweichung des Lateinischen auffiel, sehr behände. (Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit, in Goethes Werke, Bd. 9, S. 31-34; zitiert nach Gerhard Fouquet/Ulrich Mayer (Hg.), Lebenswelten 2. Quellen zur Geschichte der Menschen in ihrer Zeit. Alteuropa 800 bis 1800, Stuttgart 2001, S. 155) Arbeitsaufgaben: • In welchen Fächern wurden Butzbach und Goethe unterrichtet? Welche Lernmethoden kamen zur Anwendung? • Was verraten die beiden Autoren über die Qualität der Lehrer zu ihrer Zeit? • Welche Rolle spielen Belohnung und Bestrafung bei Butzbach und Goethe? • Versuche allgemeine Informationen zum Ausbildungswesen in der Frühen Neuzeit zu finden! 14 Ein 1755 erschienenes Latein-Lehrbuch von Christoph Cellarius. 11