Die Verknotung der Welt
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Die Verknotung der Welt
Neuö Zürcör Zäitung Freitag, 11. Juli 2014 ^ Nr. 158 FEUILLETON 53 Die Verknotung der Welt Die Sammlung Ulla Dreyfus in Venedig Dank Projektion kann der Himmel auch am Boden erscheinen – Silvie Defraoui und Georg Rehsteiner: «Lune noir», 2014. GEORG REHSTEINER Scherben von Schein und Sein Eine grosse Werkschau von Silvie Defraoui im Kunstmuseum Solothurn Unter dem etwas rätselhaften Titel «Und überdies Projektionen» zeigt das Kunstmuseum Solothurn eine stringente Ausstellung mit Werken der Grande Dame der Schweizer Videokunst, Silvie Defraoui. Deborah Keller Der rätselhaft fragmentarische Titel der Ausstellung von Silvie Defraoui im Kunstmuseum Solothurn («Und überdies Projektionen») hält die Gedanken nicht weniger auf als der eigensinnige Untertitel «Archives du futur», dessen inhärenter Widerspruch beisst, dessen poetischer Klang aber gleichzeitig fesselt. So widerborstig diese begrifflichen Vorbedingungen auch sind, so stringent ist die Ausstellung, die Silvie Defraoui (geb. 1935) mit Werken der letzten zwanzig Jahre eingerichtet hat. Ein hoher Grad an ästhetischer Anmut, die freilich mit Vorbehalt zu geniessen ist, prägt zudem die Schau als Ganzes. Der erste Saal bereits ist als eine Art Bühne des Auftakts komponiert: Man durchschreitet einen weitgehend leeren Raum, dessen Terrazza-Boden von einem in unregelmässigen Abständen aufgeklebten geometrischen Muster akzentuiert wird. Darauf bewegt man sich auf ein dunkles, vierteiliges Podest am anderen Ende des Saals zu, hinter dem sich als erster Kulminationspunkt an der Wand vierzig quadratische Fotografien in einer Gitterformation reihen. Die Ansichten von südlichen Städten und Landschaften erinnern an Reisefotos und wecken unweigerlich Fernweh. Ein feines, dunkles Linienmuster, das die Fotos da und dort durchkreuzt und an die Bodenaufkleber erinnert, bindet die Serie zu einem Gan- Neue Zürcher Zeitung UND SCHWEIZERISCHES HANDELSBLATT Gegründet 1780 Der Zürcher Zeitung 235. Jahrgang REDAKTION Chefredaktor: Markus Spillmann Stellvertreter: René Zeller, Luzi Bernet (Nachrichtenchef) International: Eric Gujer, Cyrill Stieger, Andres Wysling, Andreas Rüesch, Werner J. Marti, Beat Bumbacher, Stefan Reis Schweizer Schweiz: René Zeller, Claudia Schoch, Claudia Baer, Markus Hofmann, Paul Schneeberger, Simon Gemperli, zen. Von hier führt der Rundgang weiter über neueste, grossformatige Fotoarbeiten und Textmalereien im ersten Teil der Schau zu den bewegten Bildern im zweiten Hausflügel. «Archives du futur» Sämtliche Möglichkeiten der Videoinstallation, die bei Defraoui stets unter dem Namen der «Projektion» firmiert, werden hier ausgelotet: Bald rechteckig, bald rund fällt das Lichtbild bald auf eine durchlässige Leinwand, bald von der Decke direkt auf den Boden, bald auf Steine oder auf zerknülltes Papier. Auch in diesen Arbeiten herrscht höchste ästhetische Präzision vor, die den Betrachter in den Bann zieht und die vielleicht gerade deshalb das Potenzial hat, das Wesen von Bildlichkeit so wirkungsvoll zu unterwandern. Denn bereits in den 1970er Jahren hatte die Künstlerin mit ihrem Mann Chérif Defraoui in ihren Werken auf Fragen der Wahrnehmung, der Zeitlichkeit und der Erinnerung fokussiert und darauf, wie diese sich gegenseitig bedingen. Als das Paar 1975 an der Ecole supérieure d’art visuel in Genf den innovativen Lehrstuhl für Mixed Media ins Leben rief, wurde auch die Wendung «Archives du futur» geprägt, unter der die beiden fortan ihr gesamtes gemeinsames Schaffen subsumierten. Die Projektion ist darin ein wesentliches Mittel, um die vermeintliche Bildwirklichkeit aufzubrechen. «Projektion» verweist als Begriff auf Zukünftiges ebenso wie auf Illusionismus und auf die Möglichkeit, unterschiedliche Bildebenen zu verbinden. Diesen Ansatz hat Silvie Defraoui nach dem Tod ihres Mannes 1994 konsequent fortgesetzt, wie die Solothurner Schau zeigt. Der Bruch mit dem schönen Schein, mit dem Defraouis Bildsprache Davide Scruzzi, Michael Schoenenberger, Valerie Zaslawski, Frank Sieber Bundeshaus: Markus Häfliger, Christof Forster Bundesgericht: Katharina Fontana Medien: Rainer Stadler Wirtschaft / Börse: Peter A. Fischer, Werner Enz, Beat Gygi, Ermes Gallarotti, Sergio Aiolfi, Christin Severin, Nicole Rütti Ruzicic, Andrea Martel Fus, Michael Rasch, Giorgio V. Müller, Michael Ferber, Thomas Stamm, Lucie Paška, Hansueli Schöchli, Martin Lanz, Thomas Schürpf, Zoé Inés Baches Kunz, Gerald Hosp, Jan Roth, Matthias Müller Feuilleton: Martin Meyer, Roman Hollenstein, Angela Schader, Peter Hagmann, Barbara Villiger Heilig, Andreas Breitenstein, Claudia Schwartz, Andrea Köhler, Uwe Justus Wenzel, Roman Bucheli, Susanne Ostwald, Samuel Herzog Zürich: Thomas Ribi, Christina Neuhaus, Dorothee Vögeli, Florian Sorg, Irène Troxler, Urs Bühler, Walter Bernet, Brigitte Hürlimann, Stefan Hotz, Adi Kälin, Natalie Avanzino, Ümit Yoker, Andreas Schürer Zürcher Kultur: Urs Steiner, Philipp Meier, Ueli Bernays Sport: Elmar Wagner, Peter Jegen, Christoph Fisch, Flurin Clalüna, Andreas Kopp, Benjamin Steffen, Daniel Germann, Anja Knabenhans Meinung & Debatte: Martin Senti Panorama: Katja Baigger (Leitung), Manuela Nyffenegger, Susanna Ellner, Ruth Spitzenpfeil Nachrichtenredaktion: Anja Grünenfelder (Leitung), Susanne Ostwald, Marc Ronner, Michèle Schell, Elena Panagiotidis, Andreas Jahn Data-Journalismus: Sylke Gruhnwald (Leitung), Alice Kohli Reporter: Marcel Gyr, Alois Feusi Wissenschaft: Christian Speicher, Alan Niederer, Stephanie Kusma, Lena Stallmach Beilagen (Bildung und Gesellschaft / Mobil » Digital / Reisen und Freizeit): Walter Hagenbüchle, Stefan Betschon, Susanna Müller, Claudia Wirz, Michael Baumann, Andrea Hohendahl GESTALTUNG / PRODUKTION Leitung Art-Direction/Bild: Brigitte Meyer. Leitung Fotografen: Christoph Ruckstuhl. Blattplanung: Philipp operiert, ist in den gezeigten Werken selten explizit wuchtig, aber stets prägnant und eindrücklich: Vor einer kulissenhaften Wüstenlandschaft fallen in dem Video «Aphrodite Ping Pong» unaufhörlich unterschiedliche geometrische Metallkörper auf stets neue Porzellanteller. Kurz vor dem Aufprall ist der Film geschnitten, um im nächsten Moment den zerbrochenen Teller im verlangsamten Bildrücklauf vor den Augen des Betrachters wieder zusammenzufügen. Die Bildgewalt der Zerstörung wird damit als quasiheilsamer Akt dargestellt. Petra Kipphoff ^ Natürlich wäre Florenz der grundsätzlich genuine, ist das venezianische Museum Peggy Guggenheim mit dem Schwerpunkt Max Ernst aber der ideale Ort, um eine Sammlung zu zeigen, die aus dem saturnalisch geprägten Herzen des Manierismus ans Licht der Welt gewuchert ist. Wobei der Titel «For your eyes only», der auf eine altmodisch scherzhafte Weise den Voyeur zur Betrachtung des Verbotenen auch noch in einer Zeit einlädt, in der Kinderpornos per Mausklick rund um die Welt abgerufen werden, gut zu den Räumen der Sammler passt, die im Katalog abgebildet sind. Es sind eher kleine, sichtbar private, gepflegte, mit Bildern behängte und mit Objekten jeder Art und Grösse bestückte Räume. Es gibt einen Kamin, auch ein stilvoll üppig ausgelegter Esszimmertisch ist zu bewundern. Über dem Kamin hängt Magrittes kleines, wunderbares Bild «Le bouquet tout fait», Botticellis blütenstreuende Primavera auf dem Rücken eines Herrn im Gehrock und mit Zylinder. Aber dann steht da irgendwo auf einem Sockel auch ein Bügeleisen, kein vergessenes Haushaltsgerät, sondern dank der Nagelreihe, die aus der Bügeleisenfläche spriesst, als Kunstwerk erkenntlich, «Gift» von Man Ray. Und über dem verschossenen Grün der samtenen Eckcouch hängt ein Bild, auf dem sich eine Apokalypse der umfassendsten und zierlichsten Art abspielt: Jacob Isaacsz van Swanenburgs «Aeneas, von der Cumäischen Sibvlle durch die Unterwelt geführt». Von der «Verknotung der Welt» und dem «ruhelosen Wandern in den Wundern der Welt» schreibt Gustav René Hocke in seiner Kunst und Literatur umfassenden, kanonischen Darstellung des Manierismus, die seit ihrem ersten Erscheinen, 1957 als Rowohlt-Doppelband-Taschenbuch, eine grundlegende und animierende Lektüre ist und bleibt. Von dieser Wanderschaft, die oft genug im Abgrund endet, im 16./17. Jahrhundert gern durch die Übermacht diabolischer Kräfte und Geschöpfe, im 18./19. Jahrhundert durch die Albträume des eigengenerierten Wahns, kündet die Sammlung des Ehepaares Richard und Ulla Dreyfus-Best. Mit Max Ernst, Salvador Dalı́, Magritte, Hans Bellmer und Richard Oelze findet sie bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein ihre phantastische Fortsetzung. «Fuck you» (1991) von Not Vital (ein bronziertes Hirschgeweih, die entsprechenden Buchstaben tragend) und «Grounded» (2012) von Rolf Sachs (ein bronzierter Tannenzweig) bezeugen in diesem vom Doppelantlitz der Medusa geprägten Labyrinth dann zum Schluss leider nur noch die Ratlosigkeit von Künstlern, für die nichts mehr unmöglich, weil ausser dem Diebstahl von Autos alles erlaubt ist. Ein Albtraum. For your eyes only. Peggy-Guggenheim-Sammlung Venedig. Bis zum 31. August 2014. Vom 20. September bis 4. Januar 2015 im Kunstmuseum Basel. Katalog. Zweifache Entfernung «Bruits de surface» zeigt Gläser, die mit Milch gefüllt werden und sich so zur Projektionsfläche für Dias wandeln, bevor ein Arm in einer unwirschen Geste die Gläser vom Tisch wischt. Das Zerschellen freilich findet ausserhalb des Kamerafokus nur als Klangresonanz statt, ein Geräusch, das man bald ebenso gespannt erwartet wie das Erscheinen der nächsten Bildprojektion. Und schliesslich sind auch die «Reisefotos» vom Anfang des Rundgangs – natürlich – Trugbilder, sie sind nicht nur Fotos, sondern «überdies Projektionen»: Die Künstlerin hat die Bilder in einem doppelten Ablichtungsverfahren hergestellt, indem sie das orientalische Linienmuster auf die gedruckten Reisemotive projizierte und diese Situation erneut abfotografierte. Aufgezogen auf quadratische Plexiglasplatten, sind die Resultate also eine zweifache Entfernung von der Realität, Folien der Realität, die, mit einem Loch irgendwo mitten im Bild versehen, schlicht an den Nagel gehängt werden. Silvie Defraoui: Und überdies Projektionen (Archives du futur). Kunstmuseum Solothurn. Bis 3. August 2014. Katalog. Müller. Produktionsleitung: Hansruedi Frei. Korrektorat: Stephan Dové. Archiv: Ruth Haener WEITERE REDAKTIONEN NZZ-Folio: Daniel Weber. NZZ-TV: Tobias Wolff. NZZCampus: Ronald Schenkel. NZZ am Sonntag: Felix E. Müller. Rechtskonsulentin der Redaktion: Claudia Schoch. Projekte: André Maerz NZZ-MEDIENGRUPPE Veit V. Dengler (CEO) ADRESSEN Redaktion: Falkenstr. 11; Briefe: Postfach, CH-8021 Zürich, Tel. 044 258 11 11, Fax 044 252 13 29 Internet: www.nzz.ch, E-Mail: redaktionxnzz.ch Verlag: Falkenstr. 11; Briefe: Postfach, CH-8021 Zürich, Tel. 044 258 11 11, E-Mail: verlagxnzz.ch Leserservice: Postfach, CH-8021 Zürich, Schweiz: Tel. 044 258 15 30, Fax 044 258 18 39, Ausland: Tel. +41 44 258 18 03, Fax +41 44 258 18 29, www.nzz.ch/leserservice, E-Mail: leserservicexnzz.ch Siegfried-Lenz-Preis für Amos Oz (dpa) ^ Der erste, mit 50 000 Euro dotierte Siegfried-Lenz-Preis geht an den israelischen Schriftsteller Amos Oz. Das teilte die vor kurzem von dem Schriftsteller Siegfried Lenz ins Leben gerufene Stiftung in Hamburg mit. Amos Oz werde den Preis am 14. November im Kaisersaal des Hamburger Rathauses entgegennehmen. Mit dem Siegfried-Lenz-Preis sollen internationale Schriftsteller ausgezeichnet werden, «die mit ihrem erzählerischen Werk Anerkennung erlangt haben und deren schöpferisches Wirken dem Geist von Siegfried Lenz nah ist». Der 1939 in Jerusalem geborene Amos Oz lebt nach Jahren in Arad in der Negev-Wüste heute in Tel Aviv. Er gilt als prominenter Befürworter der Zweistaatenlösung im Nahost-Konflikt. Neben Romanen und Erzählungen publiziert er Essays und nimmt in Zeitungen zur politischen Aktualität Stellung. Inserate: Publicitas, NZZ Media, Seehofstr. 16, CH-8021 Zürich, Tel. 044 258 16 98, Fax 044 258 13 70 E-Mail: anzeigenxnzzmedia.ch, Internet: www.nzzwerbung.ch Druck: Zürcherstr. 39, CH-8952 Schlieren; Briefe: Postfach, CH-8021 Zürich, Tel. 044 258 11 11, Fax 044 258 18 74, E-Mail: printxnzz.ch PREISE ABONNEMENTE (inkl. MWSt.) Abonnement NZZ inkl. digitaler Ausgaben: 649 Fr. (12 Monate), 358 Fr. (6 Monate), 195 Fr. (3 Monate) Abonnement NZZ Digital: 479 Fr. (12 Monate), 265 Fr. 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