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Fest der Hl. Familie (Jes 3,2-6.12-14;Lk 2,41-52) (30.12.12) Liebe Gottesdienstgemeinschaft! Am Sonntag nach Weihnachten feiert die Kirche das Fest der Heiligen Familie und meint damit zunächst Josef, Maria und Josef. Nicht selten wurde dieses Fest benutzt, um den Familien zu sagen, wie sie leben müssten, um ein gute katholische Familie zu sein. Dieses Idealbild war nicht selten seit dem 19. Jahrhundert das Bild einer braven bürgerlichen Familie. Dazu ist zu sagen: Die heilige Familie gab es und gibt es nicht. Ja, auch das Bild, das die Nazarenermaler von Jesus, Maria und Josef gemalt haben und das noch in manchen Schlafzimmern hängt, ist abgesehen von der mangelnden künstlerischen Qualität mehr Schein als Sein: Nicht von ungefähr hat deshalb ein moderner Maler einmal die Gottesmutter Maria gezeichnet, wie sie dem Jesus Hiebe gab. Dass es Konflikte auch in der sogenannten Heiligen Familie gab, davon erzählt beispielhaft das heutige Evangelium. Es ist ein schmerzhafter Ablösungsprozess des Kindes Jesus von den Eltern am Beispiel seines Bleibens im Tempel geschildert, damit Jesu in seine eigene Berufung und Sendung hineinwächst. Einerseits ist die Angst der Eltern verständlich, andererseits braucht es das Ringen Jesu um seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Wer kennt nicht diese Situation: die Eltern, die nicht verstehen, wie ihr Kind ihnen diesen Schmerz zufügen kann, und der Sohn, der nicht einsieht, weshalb seine Eltern ihn nicht seinen eigenen Weg gehen lassen wollen?! Indem der Evangelist Lukas die Intelligenz und Schlagfertigkeit des zwölfjährigen Jesus hervorhebt, will er in einer damals üblichen literarischen Gattung vom österlichen Licht her auf die besondere heilsgeschichtliche Sendung Jesu hinweisen und Jesus ins rechte Licht rücken. Für mich ist diese Begebenheit irgendwie vergleichbar mit der jüdischen Bar Mizwa, bei der die zwölfjährigen jüdischen Knaben berechtigt werden, auch selbst in der Synagoge das Wort Gottes zu lesen, und es ist vergleichbar mit dem christlichen Sakrament der Firmung, bei dem auch von Gott her die Ablösung des Jugendlichen vom biologischen Elternhaus durch Gott bestärkt und besiegelt wird. Wenn Jesus bei Lukas darauf hinweist, dass er in dem sein muss, was seines Vaters ist, so sind diese ersten Worte Jesu schon ein versteckter Hinweis auf seine letzten Worte bei Lukas: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23,46) Wer mit ehrlichen Augen auf seine eigene Herkunftsfamilie oder jetzige Familie schaut, wird auch gestehen, dass es verschiedene Seiten der Familie gibt: Da ist einerseits die große Wärme und Geborgenheit, die wir erfahren haben, verbunden mit unwahrscheinlichen Momenten des Glücks. Da sind aber auch die Erinnerungen an großes seelisches Leid und manche Qual. Manche bleiben sogar zeitlebens geschädigt, denn der häufigste Ort sexuellen Missbrauchs (zwischen 80 und 90 Prozent) ist leider bei weitem die Familie, auch wenn die Presse vor allem vom Missbrauch in kirchlichen Heimen geschrieben hat. Bekannt ist auch, dass es leider nicht wenig Gewalt auch in Familien gibt. Wir wissen, dass gerade zu hohe Erwartungen wie jetzt zu Weihnachten eher zu familiärem Unfrieden und zu Streit als zu weihnachtlichem Frieden und zu Harmonie führen. Weil viele Eltern auch mit ihrer Erziehungsaufgabe immer mehr an ihre Grenzen stoßen, hat die Telefonseelsorge in diesem Jahr das ElternTelefon eingerichtet. Die Tel.-Nummer ist 142. Als Mitglied des Kuratoriums des ökumenischen Notrufdienstes darf ich heute bewusst darauf hinweisen. „Es gibt Tage, an denen Väter und Mütter einfach mit ihren alltäglichen Herausforderungen nicht zurechtkommen, jemanden zum Reden brauchen und mit einer neutralen Person über ihre Erziehungsschwierigkeiten, Sorgen und Ängste sprechen wollen. Genau dafür bietet das ElternTelefon ein kostenloses, vertrauliches und rund um die Uhr erreichbares Beratungsangebot, ein offenes Ohr, Entlastung und Unterstützung“ (Silvia Breitwieser). Dass diese familiären Bindungen bei Freude oder Leid so tief gehen, kommt wohl durch die tiefen Wurzeln und deshalb auch Emotionen, die uns mit unseren Familienangehörigen verbinden. Am Beginn der Heilsgeschichte stehen übrigens auch die turbulenten Familiengeschichten des Abraham, des Jakob und des Isaak. Wir wissen, dass es auch da krumme Touren gab, etwa die Eifersucht zwischen der Frau Abrahams Sarah und seiner Dienerin Hagar, die Betrugsgeschichte zwischen Jakob und Esau oder der aus Neid verursachte Verkauf des Josef durch seine elf Brüder an ägyptische Kaufleute. Der Hintergrund der heutigen Lesung ist übrigens ein Streit zwischen den beiden Frauen des Elkana, der zunächst kinderlosen Hanna und deren Rivalin und mehrfachen Mutter Pennina. Hanna hat Gott um ein Kind angefleht und gebiert schließlich Samuel. Wenn sie, wie wir hörten, im Tempel für ihren Sohn Samuel dankt und über das göttliche Geschenk des Sohnes nicht verfügen will, sondern dem Priester Eli anvertraut, so heißt dies wohl auch, dass die Weitergabe von Leben nicht bloß ein einklagbares Recht und eine kalkulierbare menschliche Produktion - womöglich im Labor, unabhängig von der Liebe zwischen Mann und Frau – ist, sondern dass jedes Kind Geschenk Gottes und Teilhabe an seiner Schöpferkraft bleibt. Es wäre wünschenswert, wenn dies auch die heutige so genannte Reproduktionsmedizin mit bedenken würde! Schwestern und Brüder! Für mich ist es tröstlich, dass das AT so realistisch ist, denn das heißt, dass Gott auch auf unseren krummen Zeilen nochmals gerade schreibt. Dies dürfen wir auch für unsere Zeit hoffen: Einerseits genießen Verbindlichkeit, Treue und Familie bei den Jugendlichen gegen alle Kinowelt hohe Werte, andererseits freilich reicht der gute Wille allein nicht aus und es scheitern viele Beziehungen und Ehen und es bilden sich viele neue Formen von Familien, die sogenannten Patchwork-Familien. Die biblischen Geschichten können uns Mut machen, dass auch wir auf das Gescheiterte und das Zerbrochene in unseren Familien schauen und darüber mit Gott und mit Menschen des Vertrauens oder auch mit einem Seelsorger zu reden kommen. Wenn wir für Gottes Wirken offen sind, dürfen wir darauf vertrauen, dass auch dieser Teil Familie von Gott getragen und begleitet ist und dass er Heilsgeschichte wirkt, ob es sich nun um aufrechte eheliche und familiäre Beziehungen handelt, um Geschiedene und Wiederverheiratete, um Singles oder um andere von Treue und Verantwortung geprägte Beziehungen. Freilich ist jeder Tag und in gewisser Weise zumal auch das Ende eines Jahres die besondere Einladung, über unseren Schatten zu springen und dem Partner, der Partnerin, den Eltern und Kindern, den Geschwistern und Großeltern die Hand der Versöhnung zu reichen, um unbelasteter und freier in das neue Jahr zu gehen. Wie uns die Psychologen sagen, ist auch die Lebensmitte entwicklungspsychologisch eine besondere Einladung, nicht ständig noch weiter diesen oder jenen der lebenden oder verstorbenen Angehörigen die Schuld zuzuteilen, sondern sich auch mit den dunklen Anteilen, die zu jeder Familiengeschichte gehören, zu versöhnen zu einer „new fellowship“, zu einer neuen Gefährtenschaft, und die eigne Verantwortung für das Maß des jeweils Möglichen zu übernehmen. Der Friede, der uns in jeder Eucharistiefeier zugesprochen wird, möge uns auch Antrieb und Kraftquelle sein, in der eigenen Familie Werkzeug des Friedens zu sein. Amen. Pfarrer Walter Wimmer