Skript Wirtschaftspolitik
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Skript Wirtschaftspolitik
SKRIPT FÜR DEN THEMENSCHWERPUNKT WIRTSCHAFTSPOLITIK © GOING PUBLIC! Seite - 1 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ INHALTSANGABE 1 BEGRIFFSDEFINITIONEN....................................................................................... 3 2 WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTLICHE THEORIEN .............................................. 4 3 DIE BEREICHE DER WIRTSCHAFTSPOLITIK........................................................ 6 3.1 ORDNUNGSPOLITIK ............................................................................................................ 6 3.2 PROZESSPOLITIK ................................................................................................................ 6 3.2.1 Geldpolitik.................................................................................................................... 7 3.2.2 Fiskalpolitik .................................................................................................................. 7 3.2.3 Einkommenspolitik ...................................................................................................... 7 3.3 STRUKTURPOLITIK .............................................................................................................. 8 4 WIRTSCHAFTSWACHSTUM UND KONJUNKTUR ................................................. 8 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 5 WIRTSCHAFTSWACHSTUM UND SEINE MESSUNG.................................................................. 8 BEDEUTUNG DES WIRTSCHAFTSWACHSTUMS .................................................................... 10 WEGE ZUM WIRTSCHAFTSWACHSTUM ............................................................................... 11 KONJUNKTURSCHWANKUNGEN......................................................................................... 16 KONJUNKTURELLE WENDEPUNKTE UND IHRE FRÜHZEITIGE ERKENNUNG ............................ 17 GRUNDZÜGE DER GELDPOLITIK........................................................................ 20 5.1 STEUERUNG DER GELDMENGE – GELDSCHÖPFUNG UND GELDVERNICHTUNG .................... 20 5.2 BEGRIFF DER GELDSCHÖPFUNG ....................................................................................... 20 5.3 FUNKTION DER ZENTRALBANK .......................................................................................... 21 5.4 FUNKTION DER GESCHÄFTSBANKEN ................................................................................. 21 5.5 GELDSCHÖPFUNG DURCH DIE ZENTRALBANK .................................................................... 22 5.5.1 Refinanzierungspolitik ............................................................................................... 22 5.5.2 Offenmarktpolitik ....................................................................................................... 22 5.5.3 Mindestreservenpolitik .............................................................................................. 23 5.6 GELDSCHÖPFUNG DURCH DIE GESCHÄFTSBANKEN ........................................................... 23 5.6.1 Krediterteilung ........................................................................................................... 23 5.6.2 Multiple Geldschöpfung............................................................................................ 24 6 GRUNDZÜGE DER FISKALPOLITIK ..................................................................... 25 6.1 6.2 6.3 6.4 7 NACHFRAGESEITIGE FISKALPOLITIK ................................................................................... 25 ANGEBOTSSEITIGE FISKALPOLITIK ..................................................................................... 26 ANTIZYKLISCHE FISKALPOLITIK .......................................................................................... 26 EFFEKTE DER FISKALPOLITIK ............................................................................................. 27 STRUKTURPOLITIK .............................................................................................. 27 7.1 7.2 7.3 ZIELE UND INSTRUMENTE .................................................................................................. 27 BEWERTUNG DER PRAXIS BIS 1990 ................................................................................... 28 TENDENZEN SEIT 1990 ..................................................................................................... 29 VERWENDETE LITERATUR.......................................................................................... 30 Seite - 2 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ 1 Begriffsdefinitionen Die Wissenschaft der Wirtschaftspolitik ist ein Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre und beschäftigt sich mit den Organisationsprinzipien von Wirtschaftssystemen und den wirtschaftlichen Abläufen. Wirtschaftspolitik bezeichnet alle politischen und verbandlichen Aktivitäten sowie die staatlichen Maßnahmen, die das Ziel haben, den Wirtschaftsprozess zu ordnen, zu beeinflussen oder direkt in die wirtschaftlichen Abläufe einzugreifen. Nachdem mit dem Ende der sozialistischen Wirtschaftssysteme auch die unversöhnliche Konfrontation zwischen Zentralverwaltungswirtschaft und Kapitalismus beendet ist, bilden zwei konträre wirtschaftstheoretische Ansätze die Grundlage moderner Wirtschaftspolitik: 1. Die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik (Monetarismus), die die Renditeerwartungen der Kapitalgeber in den Mittelpunkt stellt und daher die Bedeutung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (Geldwertstabilität, Löhne, Arbeitszeitregelungen, Steuern, staatliche Auflagen etc.) betont. 2. Die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik (Keynesianismus), die dem Staat wichtige Aufgaben bei der Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zuweist. Durch antizyklisches Verhalten (z.B. durch Ausgabenerhöhung bei schwacher privatwirtschaftlicher Nachfrage bzw. durch Ausgabensenkung bei Übernachfrage) und aktive Wirtschaftspolitik soll dieser Theorie zufolge der aufgeklärte, liberale Staat wirtschaftspolitische Verpflichtungen übernehmen. Diesen beiden wirtschaftstheoretischen Alternativen entsprechend werden die folgenden wirtschaftspolitischen Instrumente unterschiedlich gewichtet, eingesetzt oder abgelehnt: 1 Ordnungspolitische Instrumente, die • nach innen wirken (z.B. Regelung der Eigentumsrechte, der sozialen Sicherung, der Steuern und Abgaben) oder • 2 außenwirtschaftliche Bedeutung haben, z.B. Beeinflussung internationaler Regelungen, etwa der Welthandelsorganisation (WTO) oder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Haushalts- und finanzpolitische Instrumente, die • 3 die Staatsausgaben (z.B. Subventionen, Sozialausgaben etc.) oder • die Staatseinnahmen (z.B. Steuern, Zölle) betreffen. Geld- und kreditpolitische Instrumente, die • • Einfluss auf die umlaufende Geldmenge haben (z.B. Mindestreservepolitik), die Kosten für Kredite etc. (z.B. Veränderung des Diskontsatzes) oder c) den Wechselkurs der eigenen Währung gegenüber anderen Währungen beeinflussen. Darüber hinaus zählen zu den wirtschaftspolitischen Instrumenten des Staates: 4 5 Eingriffe in Wirtschaftsabläufe, die vorwiegend dem Schutz der Umwelt, der Verbraucher, der Arbeit oder des Kapitalmarktes dienen, und Eingriffe des Staates in Wirtschaftsabläufe, die vorwiegend der Steuerung und Überwachung • der Investitionstätigkeit, • der Produktion, • der Güter- und Dienstleistungsmärkte dienen. © GOING PUBLIC! Seite - 3 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Im Rahmen der weltweiten Öffnung der Märkte (Globalisierung), zunehmender internationaler Absprachen, Handelsabkommen etc. und der fortschreitenden Integration Europas gestalten sich isolierte wirtschaftspolitische Maßnahmen einzelner Staaten zunehmend schwieriger, vor allem aber sinken deren Erfolgsaussichten drastisch. Unter der Wirtschaftspolitik versteht man also die Gesamtheit der Maßnahmen, mit denen der Staat regelnd und gestaltend in die Wirtschaft eingreift. Die Wirtschaftspolitik legt die Spielregeln fest, innerhalb derer die weitgehend privat organisierte Wirtschaft sich mit all ihren verschiedenen Akteuren entfalten kann. 2 Wirtschaftswissenschaftliche Theorien Die Wirtschaftswissenschaften beschäftigen sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung der Wirtschaft. Traditionell werden hier Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre unterschieden. Die Volkswirtschaftslehre (VWL) beschäftigt sich mit dem sich wandelnden Verhältnis von Arbeit, Gütern und Geld. Es ist der Versuch, Gesetzmäßigkeiten zu finden und daraus Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftspolitik abzuleiten. Sie untersucht Probleme, die aus dem grundsätzlichen Phänomen der Knappheit und Verteilung von Gütern resultieren. Die Knappheit erfordert ein Haushalten der Wirtschaftssubjekte um ihre individuellen Bedürfnisse befriedigen zu können. Die Verteilung ist eine reine Sache der menschlichen Einstellung und infolgedessen eines gesellschaftlichen Systems. Dieses Spannungsfeld modelliert die VWL sowohl einzelwirtschaftlich (Mikroökonomie) als auch gesamtwirtschaftlich (Makroökonomie). Sie ist ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft. Gleichzeitig beschäftigt sie sich mit dem menschlichen Handeln unter ökonomischen Bedingungen, das heißt mit der Frage: wie kann das Handeln von Menschen ökonomisch begründet werden und welches Handeln bringt den größtmöglichen Nutzen für den Einzelnen (Theorie des Homo oeconomicus). Mathematische Modelle spielen eine wesentliche Rolle in der VWL, da sie eine klare Beweisführung und eindeutig definierte Annahmen verlangen und in der Regel nicht zu vieldeutigen oder "weich" interpretierbaren Ergebnissen führen. In den letzten Jahren zeigt sich eine zunehmende Tendenz hin zu ökonometrischen Arbeiten. Als Grundrichtungen der Wirtschaftstheorien gelten: • • Mikroökonomie, die sich mit den Beziehungen von einzelnen Wirtschaftssubjekten wie Haushalten und Unternehmen befasst. Sie untersucht damit einzelwirtschaftliche Zusammenhänge. Gleichzeitig sind Marktformen Untersuchungsgegenstand der Mikroökonomie, d.h. welche Märkte gibt es in einer Volkswirtschaft und welche sind unter dem Aspekt der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt sinnvoll. Makroökonomie, die die Wirtschaft auf einer aggregierten Ebene im Gesamtzusammenhang betrachtet. Sie untersucht damit gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge. Dies kann etwa auf der Ebene eines aggregierten Marktes wie z.B. dem Arbeitsmarkt, der Ebene eines Landes, einer Staatengemeinschaft wie der Europäischen Union oder auch der Weltwirtschaft insgesamt geschehen. Beispiele für Untersuchungsgegenstände wären das gesamtwirtschaftliche Einkommen, Beschäftigung, Inflation, usw. In den letzten zwanzig Jahren gab es immer wieder Versuche, diese beiden Grundrichtungen miteinander zu verzahnen. Heute werden makroökonomische Analysen häufig auf mikroökonomischen Zusammenhängen aufgebaut (Fachbegriff: "mikrofundiert"). Allerdings ist bisher nur die klassische Nationalökonomie wirklich mikrofundiert. Der Keynesianismus verfügt nur innerhalb der Neuen Makroökonomie in Teilen über eine eigenständige Mikrofundierung. Er greift weitestgehend auf die neoklassische Mikorökonomie zurück Die Betriebswirtschaftslehre (BWL) ist das zweite Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft. Wie in der Volkswirtschaftslehre, beruht das Interesse der BWL auf der Tatsache, dass Güter Seite - 4 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ grundsätzlich knapp sind und dementsprechend einen ökonomischen Umgang erfordern. Im Unterschied zur abstrakteren Volkswirtschaftslehre nimmt die Betriebswirtschaftslehre dabei die Perspektive von einzelnen Betrieben ein. Ziele sind dabei nicht nur die Beschreibung und Erklärung, sondern auch die konkrete Unterstützung der Entscheidungsprozesse in Unternehmungen. Die Wirtschaftswissenschaften haben eine Reihe von Wirtschaftstheorien hervorgebracht. Wichtige Wirtschaftstheorien sind (chronologisch nach Entstehungszeitraum): • Physiokratie • Klassische Nationalökonomie (unter anderem Adam Smith, David Ricardo, John Stuart Mill, Thomas Robert Malthus und Jean-Baptiste Say) • Marxismus (unter anderem Karl Marx, Friedrich Engels, Rosa Luxemburg) • • Neoklassische Theorie (unter anderem Vilfredo Pareto, Léon Walras, Carl Menger) Keynesianismus (John Maynard Keynes) • Ordoliberalismus/Neoliberalismus (unter anderem Walter Eucken, Friedrich August von Hayek) • Monetarismus (unter anderem Milton Friedman) Vertiefende Ausführungen zu Wirtschaftstheorien sind in einem gesonderten Script enthalten. REINE GLEICHGEWICHTSTHEORIE NEOKLASSIKER SCHUMPETER POSTKEYNESIAKEYNESIANISMUS NISMUS z.B. Clower z.B. Tobin (1965) MONETARISMUS Friedman (1956) Brunner (1970) Samuelson SPIELTHEORIE v. Neumann, Morgenstern (1944) Hicks (1937) SYSTEMKRITIKER z.B. Galbraith DOGMAT. WESTL. STRÖMUNGEN STRÖÖSTL. MUNGEN PRÄGUNG NEORICARDIANER, Sraffa (1960) NEOMARXISTISCHE RICHTUNGEN J.M. KAYNES (1936) Lenin (1917) Luxemburrg (1913) Hilferding (1910) Marshall (1890) NEOKLASSIK Walras Menger Jevons MARXsches SYSTEM K. Marx F. Engels (1871/74) (1867/85/94) H.v. Gossen (1848) J.St Mill (1848) KLASSIK D. Ricardo (1817) Adam Smith (1776) Abbildung: MERKANTILISMUS (ca. 1550-1750) Stuart (1767); Cantillon (1730/55) Th. v. Aquin © GOING PUBLIC! Aristoteles PHYSIOKRATEN (1750-75) Turgot (1769/70); Quesney (1758) KAMERALISTEN Der „Baum der Wirtschaftstheorien“ (nach Wagner : http://www.wagner-berlin.com/am20.gif Seite - 5 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ 3 Die Bereiche der Wirtschaftspolitik 3.1 Ordnungspolitik Ordnungspolitik bezeichnet im weiteren Sinne einen Analyse- und Denkansatz der Politik. Im engeren Sinne bezeichnet Ordnungspolitik alle staatlichen Maßnahmen, die auf Rahmenbedingungen des Wirtschaftens, besonders der Aufrechterhaltung und der Regelung der inneren und äußeren Ordnung und der (Rechts-)Sicherheit, die Erhaltung, die Anpassung und Verbesserung der Wirtschaftsordnung gerichtet sind. Dazu gehören insbesondere: • die Eigentumsordnung • die rechtlichen Regelungen zur Gewährleistung wirtschaftlichen Wettbewerbs (Verbot von Kartellen, Absprachen etc., Kontrolle der Werbe- und Verkaufspraktiken etc.) (Wettbewerbspolitik) • die Regelung des Vertrags- und Haftungsrechts • Tarif- und Arbeitsmarktordnung Dies geschieht zum Beispiel durch die gesetzliche Sicherung von Privateigentum und die Gewährleistung der Vertragsfreiheit, aber auch durch die Einschränkung der Vertragsfreiheit, etwa durch Allgemeine Geschäftsbedingungen oder durch das Antidiskriminierungsgesetz. Ordnungen sind vor allem Anreizsysteme, die das Verhalten der Menschen lenken. Zur ordnungspolitischen Verfasstheit eines Staates gehören allgemeine Regeln, die die gesamte Gesellschaft bzw. Volkswirtschaft betreffen und Rahmenbedingungen, die für spezielle Bereiche der Wirtschaft gelten, also alle Maßnahmen, die der Gestaltung und Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens dienen, u. a. die Wettbewerbspolitik, die die Unternehmens- und die Eigentumsordnung gestaltende Politik, außerdem die Verteilungs- und Sozialpolitik sowie die Geldordnung. Ordnungspolitische Entscheidungen haben häufig Verfassungsrang. Die Wirtschaftsordnung ist Ergebnis des Zusammenwirkens der rechtlich fixierten Wirtschaftsverfassung, der gewachsenen kulturellen und sittlich-moralischen Werte und Regeln sowie der realisierten Wirtschaftspolitik. Ordnungspolitik und die daraus resultierende Wirtschaftsordnung nehmen folglich eine Schlüsselrolle für die Lebensgestaltung der Menschen ein. 3.2 Prozesspolitik Die Prozesspolitik ist dadurch gekennzeichnet, dass der Staat entweder selbst am Markt auftritt, oder endogene Variablen direkt verändert. Die wichtigsten Formen der Prozesspolitik sind die Finanzpolitik und die Geldpolitik, mit deren Hilfe er einen Einfluss auf den Konjunkturverlauf nehmen und ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum gewährleisten will. Ihr kommt die Aufgabe zu, innerhalb der gewählten Wirtschaftsordnung die Abläufe sowie die Ergebnisse der arbeitsteiligen Wirtschaftsprozesse zu beeinflussen. Hierunter fallen folglich sämtliche wirtschaftspolitischen Maßnahmen, welche innerhalb des durch die Ordnungspolitik gesetzten Rahmens durchgeführt werden. Es handelt sich bei der Prozesspolitik um eine quantitative Politik, die bei gegebenen Rahmenbedingungen in den Ablauf eingreift. Damit unterscheidet sie sich von der Ordnungspolitik. Zu den Instrumenten der Prozesspolitik zählen: • Geldpolitik • Fiskalpolitik • Einkommenspolitik Seite - 6 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ 3.2.1 Geldpolitik Als Geldpolitik (auch Geldmarktpolitik) bezeichnet man zusammenfassend alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die die Zentralbank ergreift, um ihre Ziele zu verwirklichen. In der EWWU nimmt die Europäische Zentralbank die Geldpolitik wahr. Im engeren Sinn ist eine Verknappung der Geldmenge eine kontraktive / restriktive Geldpolitik; eine Ausdehnung der Geldmenge eine expansive Geldpolitik. Unter den Zielen, die die Geldpolitik verfolgt, sind die zwei hauptsächlichen: • wirtschaftspolitisches Ziel: Ergibt sich in der Regel aus den Zentralbankstatuten. Bei der Deutschen Bundesbank wie auch bei der Europäischen Zentralbank ist das die Preisniveaustabilität. Die Zentralbank der USA (das Federal Reserve System, „Fed“) hat daneben ein Wachstums- und Beschäftigungsziel. Auch Bundesbank und EZB haben das Nebenziel, die allgemeine Wirtschaftspolitik zu unterstützen. Bisweilen verfolgen Zentralbanken auch Wechselkursziele. • Ziel der Zentralbankpolitik: Ergibt sich aus dem Zwischenziel, welches sie bei der Erfüllung ihres wirtschaftspolitischen Ziels im Auge hat. Das Zwischenziel ist somit ein Indikator, ob das wirtschaftspolitische Ziel eingehalten wird. Dies kann z.B. die Geldmenge, der Zins, die Inflationsrate, das Wirtschaftswachstum oder eine Kombination aus mehreren Zielen sein. 3.2.2 Fiskalpolitik Fiskalpolitik ist ein wirtschaftspolitisches wichtiges Element der Konjunkturpolitik. Sie beabsichtigt mittels der Beeinflussung von Steuern und Staatsausgaben die konjunkturellen Schwankungen auszugleichen und damit ein stabiles wirtschaftliches Wachstum zu erhalten, wobei auch ein hoher Beschäftigungsstand und eine gleichmäßig geringe Inflation Ziel sind 3.2.3 Einkommenspolitik Darunter werden wirtschaftspolitische Maßnahmen verstanden, die darauf gerichtet sind, die Entstehung von Einkommen wie Arbeitseinkommen, Zinsen oder Gewinnen so zu beeinflussen, dass die Einkommensentwicklung mit den konjunkturpolitischen Zielen wie der Stabilität des Preisniveaus vereinbar ist und diese nicht gefährden. Die Notwendigkeit der Einkommenspolitik wird insbesondere mit der Annahme begründet, das Anbieter oder Nachfrager auf Märkten unabhängig von der konjunkturellen Lage ihrer Marktmacht ausnutzen können. Dabei erlaubt es die jeweilige Machtposition der Unternehmen oder auch der Arbeitnehmer, die Preise für ihre Waren oder für ihre Arbeitleistungen unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Nachfragesituation und der konjunkturellen Lage zu erhöhen. Einkommenspolitik kann indirekt oder direkt betrieben werden. Indirekte Maßnahmen können z.B. auf die Erhaltung und Verbesserung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs gerichtet sein. Direkte Maßnahmen der Einkommenspolitik sind z.B. ein staatlich verordneter Lohn- oder Preisstopp, was in Deutschland bei der Tarifautonomie kaum möglich ist. Zur Einkommenspolitik werden auch alle wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen gezählt, die auf eine Verbesserung der Einkommensverteilung sowie auf die Förderung der Vermögensbildung gerichtet sind (Einkommensverteilungs- und Vermögenspolitik). © GOING PUBLIC! Seite - 7 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ 3.3 Strukturpolitik Die Strukturpolitik ist ein Oberbegriff für die Gesamtheit der wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Gestaltung der Struktur der Volkswirtschaft eines Staates. Ziel der Strukturpolitik ist die Vermeidung bzw. Überwindung von Strukturkrisen, die das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht stören. Mit Strukturpolitik werden Veränderungen in der Wirtschaft, die durch neue Produkte, Globalisierung oder Strukturwandel hervorgerufen werden, abgeschwächt oder sozial verträglich gestaltet. Strukturpolitik wird in folgenden Formen umgesetzt: • als regionale Strukturpolitik, die durch Maßnahmen der Investitionsförderung die Ansiedlung von Industrien in Fördergebieten unterstützt • oder als sektorale Strukturpolitik, die durch Subventionen und Steuervergünstigungen – bestimmte Wirtschaftszweige aus politischen Gründen erhält, – Anpassungen an den Strukturwandel erleichtert – oder bestimmte zukunftsträchtige Technologien und Wirtschaftszweige und u. a. besonders den Einsatz von künstlicher Intelligenz in modernen Industrieregionen bewusst fördert. 4 Wirtschaftswachstum und Konjunktur 4.1 Wirtschaftswachstum und seine Messung Unter Wirtschaftswachstum versteht man die mengenmäßige Zunahme der Produktion von Gutem und Dienstleistungen in einer Wirtschaft im Zeitablauf. Geographisch bezieht sich Wirtschaftswachstum in aller Regel auf ein Land (z.B. Deutschland) oder eine Region (z.B. Bayern) oder eine Ländergruppe (z.B. Euroland). Da Wachstum Veränderung beinhaltet, vergleicht man beim Wirtschaftswachstum immer das Produktionsergebnis zweier unterschiedlicher Zeiträume (Jahresvergleiche, Quartalsvergleiche). Bei der praktischen Messung des Wirtschaftswachstums verdichtet man die ökonomische Leistung (Produktion von Gutem und Dienstleistungen) einer Wirtschaft innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu einer Zahl. So wird z.B. die ökonomische Leistung innerhalb der geographischen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland sowohl vierteljährlich als auch jährlich berechnet. Sie nennt man auch reales Bruttoinlandsprodukt (reales BIP). Die Veränderung des realen BIP im Zeitablauf ist Wirtschaftswachstum. Bei der Berechnung des realen Bruttoinlandsprodukts werden die in einem Zeitraum erzeugten Gutem und Dienstleistungen mit den Preisen eines bestimmten Jahres (Basisjahr) bewertet. Bewertet man das Buttoinlandsprodukt einer Wirtschaft für unterschiedliche Jahre mit den Preisen eines gemeinsamen Basisjahres, so ist bei konstanter Preisbewertung ein Unterschied nur möglich, wenn mengenmäßig mehr oder weniger produziert wurde als im Vergleichsjahr. Wird die ökonomische Leistung eines Jahres mit den tatsächlichen Preisen im betreffenden Jahr bewertet, so spricht man vom nominalen Bruttoinlandsprodukt. Wirtschaftswachstum kann man nur mit Zahlen des realen Bruttoinlandsproduktes berechnen, da beim nominalen Bruttoinlandsprodukt durch Veränderungen der Preise und Mengen im Zeitablauf eine eindeutige Bestimmung der Mengenveränderung nicht mehr möglich ist. In einer Wirtschaft gilt für jede Periode immer, dass das gesamtwirtschaftliche Güter- und Dienstleistungsangebot gleich ist der realisierten gesamtwirtschaftlichen Güter- und Dienstleistungsnachfrage. In Gleichung (1) gibt die linke Seite an, woher das Güterangebot einer bestimmten Periode (z.B. eines Jahres) stammt. Entweder wurde es in der betreffenden Wirtschaft in dem betreffenden Zeitraum produziert (=reales BIP) oder es wurde im Ausland Seite - 8 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ produziert und im Inland angeboten (Importe) oder es wurde schon in einer Vorperiode produziert und dann in der betreffenden Periode verkauft (Fertigwarenlagerabbau). Die rechte Seite unten stehender Gleichung informiert darüber, was mit den angebotenen Gütern geschehen ist. Einen Teil haben die privaten Haushalte als Konsumgüter gekauft (privater Konsum). Einen weiteren Teil hat der Staat verbraucht (staatlicher Konsum). Wiederum ein anderer Teil wurde von Unternehmen und Staat in Form von Maschinen, Anlagen und Software (Ausrüstungsinvestitionen) gekauft. Die gebauten Häuser, Straßen, Schulen, Fabrikanlagen, Büros (Bauinvestitionen) in einer Periode wurden von den privaten Haushalten, dem Staat und den Unternehmen in Auftrag gegeben. Einen weiteren Teil der Güter fragte das Ausland nach (Export). Güter, die nicht verkauft wurden, erhöhen die Fertigwarenlager der Unternehmen. Sie werden als „Eigennachfrage" der Unternehmen in der Gleichung behandelt. Der Fertigwarenlageraufbau kann freiwillig sein, wenn er von den Unternehmen so geplant wurde. Er kann allerdings auch unfreiwillig sein, wenn Unternehmen Güter produziert haben, die entgegen ihrer Pläne in der entsprechenden Periode nicht zu verkaufen waren. Ist der Fertigwarenlageraufbau unfreiwillig, hat er häufig eine wichtige ökonomische Konsequenz. Können Unternehmen die produzierten Güter nicht verkaufen, so drosseln sie ihre Produktionspläne. Damit wird die zukünftige ökonomische Leistung gedämpft und das Wirtschaftswachstum schwächt sich ab oder wird sogar negativ. Gesamtwirtschaftliches Angebot = reales BIP Importe Fertigwarenlagerabbau = + + Gesamtwirtschaftliche Nachfrage + + + + + Privater Konsum Staatlicher Konsum Ausrüstungsinvestitionen (Maschinen, Anlagen) Bauinvestitionen Fertigwarenlageraufbau (freiwillig / unfreiwillig) Exporte Saldiert man in der Gleichung den möglichen Fertigwarenlageraufbau mit dem möglichen Fertigwarenlagerabbau und bezeichnet den Saldo als Lagerinvestitionen und bringt des weiteren die Importe auf die rechte Gleichungsseite, so zeigt sich, dass die ökonomische Leistung der Wirtschaft einer Periode gleich ist der realisierten gesamtwirtschaftlichen Nachfrage minus der Importe. Gesamtwirtschaftliches Angebot reales BIP Gesamtwirtschaftliche Nachfrage minus Importe = = + + + + + - Privater Konsum Staatlicher Konsum Ausrüstungsinvestitionen Bauinvestitionen Lagerinvestitionen Exporte Importe Möchte man wissen, welche gesamtwirtschaftlichen Nachfragekomponenten das Wirtschaftswachstum eines Jahres besonders beflügelt oder belastet haben, so muss man die Verwendung des Bruttoinlandsprodukts genauer analysieren. © GOING PUBLIC! Seite - 9 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ 4.2 Bedeutung des Wirtschaftswachstums Wirtschaftswachstum ist notwendig, wenn in einer Gesellschaft • mehr Einkommen bzw. materieller Wohlstand • soziale Sicherheit und • Arbeitsplätze entstehen sollen. Die Produktion von Gütern und Dienstleistungen erfordert den Einsatz von menschlicher Arbeitskraft, Kapital und Boden. Diejenigen, die am Produktionsprozess beteiligt sind, erhalten für ihre Leistungen Einkommen. Wer seine Arbeitskraft einem Unternehmen zur Verfügung stellt, bekommt Lohn oder Gehalt. Wer Kapital zur Verfügung stellt, bezieht Zinsen und/oder Gewinne bzw. Dividenden. Die Bodenbesitzer erhalten Pachten. Grundsätzlich gilt: Je stärker die ökonomische Leistung einer Wirtschaft steigt, desto größer werden auch die aus dem ökonomischen Leistungsprozess fließenden Einkommen. Je höher wiederum die Einkommen sind, desto wohlhabender ist eine Gesellschaft. Wirtschaftswachstum bedeutet also materielle Wohlstandsmehrung. An Finanzmärkten zeigt sich diese Wohlstandsmehrung häufig in Form steigender Aktienkurse. Eine wachsende Wirtschaft führt bei den Unternehmen zu steigenden Umsätzen. Steigen die Kosten der Unternehmen langsamer als die Umsätze, so erhöhen sich die Unternehmensgewinne. Höhere Gewinne machen Unternehmen wertvoller, so dass auch ihr Aktienkurs steigt. Wirtschaftswachstum ist damit eine wichtige Voraussetzung für langfristig steigende Aktienkurse. Soziale Sicherungssysteme sind notwendig für ökonomisch Schwächere in einer Gesellschaft. Alle gesellschaftlichen Aufwendungen für soziale Sicherheit müssen erarbeitet werden. Je stärker die ökonomische Leistung einer Gesellschaft wächst, desto mehr kann auch für soziale Sicherungssysteme ausgegeben werden. In diesem Sinne ist Wirtschaftswachstum eine notwendige Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit sozialer Sicherungssysteme. Dies hat zwei wichtige Konsequenzen. Erstens: Zusätzliche Arbeitsplätze entstehen in der deutschen Wirtschaft nur, wenn das jährliche Wirtschaftswachstum über 2 % liegt. Zweitens: Bleibt das Wirtschaftswachstum deutlich unter 2 %, so gehen Arbeitsplätze per Saldo verloren, weil dann die ökonomische Leistung mit weniger Arbeitskräften erbracht werden kann. Jede Strategie zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen muss diesen Zusammenhang beachten. Seite - 10 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Ist nun arbeitsplatzsparender technischer Fortschritt schlecht, da er ja eine Gefahr für Arbeitsplätze ist? Die Antwort ist nein. Ganz im Gegenteil: Technischer Fortschritt ist eine wesentliche Quelle für Wohlstand. Denn nur technischer Fortschritt erlaubt es einer Gesellschaft, die ökonomische Leistung (und damit auch die Einkommen) immer weiter zu steigern bei gleichzeitiger Schaffung von mehr Freizeit. Das Problem mit dem arbeitsplatzsparenden technischen Fortschritt besteht darin, dass man es noch nicht gelernt hat, die durch Rationalisierung anfallende erhöhte Freizeit gesellschaftlich richtig zu verteilen. Leider werden heutzutage noch zu viele Arbeitskräfte als Folge von Rationalisierung unmittelbar in ihrem Arbeitsbereich arbeitslos, d.h. sie „ernten" die Früchte des technischen Fortschritts ungewollt in Form von totaler Freizeit, während sich bei anderen Erwerbstätigen an der Arbeitszeit unmittelbar nichts ändert, obwohl sie vielleicht gerne etwas weniger arbeiten würden. Dieses Problem lässt sich gesellschaftlich nur dann erträglicher gestalten, wenn es in Zukunft besser gelingt, über flexiblere Arbeitszeiten und wachsende Mobilität der Beschäftigten, die durch technischen Fortschritt mögliche vermehrte Freizeit an jene weiterzugeben, die sie auch tatsächlich wünschen. 4.3 Wege zum Wirtschaftswachstum Wenn Wirtschaftswachstum so wichtig für den Wohlstand und die Beschäftigung in einer Gesellschaft ist, so lohnt sich die Frage, wie man mehr Wirtschaftswachstum erreichen kann. Dies gilt besonders für Zeiten, in denen die Arbeitslosigkeit hoch ist. Wirtschaftswachstum setzt offensichtlich zwei wesentliche Dinge voraus: • Erstens, ein steigendes Güter- und Dienstleistungsangebot. • Zweitens, eine steigende Güter und Dienstleistungsnachfrage. Nur wenn sich das gesamtwirtschaftliche Güterangebot und die gesamtwirtschaftliche Gütemachfrage im Zeitablauf im Gleichschritt bewegen, gibt es ein spannungsfreies Wirtschaftswachstum. Ist das gesamtwirtschaftliche Güterangebot größer als die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage, so werden nicht alle produzierten Güter verkauft und die Unternehmen drosseln ihre Produktionspläne. Dadurch schwächt sich die zukünftige ökonomische Leistung ab; es kann dann sogar zu negativem Wirtschaftswachstum (Rezession) kommen. Bleibt andererseits die Güterproduktion hinter der gesamtwirtschaftlichen Gütemachfrage zurück, z.B. weil die Unternehmen nicht mehr produzieren können oder wegen fehlender Gewinnaussichten wollen, so wird das Wirtschaftswachstum von der Angebotsseite gebremst. Hinsichtlich der Wege zu mehr Wirtschaftswachstum sind sich die Ökonomen uneins. Eine Gruppe von Ökonomen glaubt, dass zur Wachstumsstimulierung in einer Wirtschaft die gesamtwirtschaftlichen Angebotsbedingungen, vor allem die Gewinnsituation der Unternehmen, auf den Gütermärkten verbessert werden müssen. Ihre Empfehlungen basieren häufig auf dem Gedankengut des Neoliberalismus. Eine andere Gruppe hält die Stimulanz der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage für die bessere Strategie zur Steigerung von Wirtschaftswachstum. Diese Gruppe von Wirtschaftsfachleuten ist häufig stärker den ökonomischen Ideen von Keynes verpflichtet. © GOING PUBLIC! Seite - 11 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Wirtschaftswachstum erfordert ein … Güternachfrage Güterangebot … im Gleichschritt mit der ... Nachfragestrategie Angebotsstrategie Ziel: Unternehmensrentabilität verbessern Ziel: Gesamtwirtschaftliche Nachfrage stärken Weg: Die Ertragschancen für unternehmerisches Produktivitätskapital erhöhen und Risiken senken, Produktinnovationen fördern Weg: Private Nachfrage durch staatliche Anreize erhöhen. Staatliche Nachfrage steigern Mittel: Mittel: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 1. Steuersenkung für private Haushalte und höhere Löhne, damit Konsumnachfrage steigt. 2. Erhöhung der Staatsausgaben (über Kredite) 3. Staatliche Investitionszulagen und niedrigere Zentralbankzinsen, damit Unternehmen mehr Investitionsgüter kaufen. 4. Weniger sparen, mehr Güter nachfragen Steuersenkung für Unternehmen Abbau Staatlicher Bürokratie Abbau Staatlicher Defizite Privatisierung staatlicher Betriebe Förderung von Existenzgründungen Dämpfung der Lohnkosten Ersparnis fördern / Wagniskapital Unternehmen Bereitstellen Abbildung: Grundstrategien für Wirtschaftswachstum Es gibt gute Gründe für beide Sichtweisen. Im Kern handelt es sich hier um die Henne-EiProblematik. Schafft Gütemachfrage mehr Güterangebot und damit Wirtschaftswachstum oder schafft sich ein wachsendes Güterangebot selbst seine Güternachfrage? Von letzterem sind die Neoliberalen überzeugt. Der Königsweg für mehr Wirtschaftswachstum ist nach ihrer Meinung die Steigerung der Unternehmensgewinne oder genauer die Steigerung der Eigenkapitalrentabilität der Unternehmen Die Eigenkapitalrentabilität eines Unternehmens errechnet sich als Verhältnis von Gewinn zu eingesetztem Eigenkapital. Entscheidend für längerfristig befriedigendes Wirtschaftswachstum ist nach neoliberaler Ansicht, dass in einer Wirtschaft ein möglichst günstiges Gewinn/Risiko-Klima für jene Unternehmen herrscht, die den Mut haben, neue Produktideen (Produktinnovationen) zu entwickeln und am Markt anzubieten. Je größer die materielle Entlohnung für diejenigen ist, die sich auf den mühsamen und (finanziell) risikoreichen Weg der Entwicklung und Vermarktung neuer Güter und Dienstleistungen machen, desto mehr Produktinnovationen sind zu erwarten. Je mehr Produktinnovationen auf die Gütermärkte kommen, desto größer ist die Chance, dass einige große Absatzerfolge werden und entsprechend viel Nachfrage generieren. In diesem Sinn schafft sich das Güterangebot selbst seine Nachfrage. Eine verstärkte Nachfrage bei attraktiven Produkten hat eine steigende Produktion und damit mehr Wirtschaftswachstum zur Folge. Gleichzeitig steigt das Gesamteinkommen einer Wirtschaft und weitere Produkte werden nachgefragt, wodurch wiederum Wirtschaftswachstum anregt wird. Seite - 12 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Wer Unternehmensgewinne bzw. eine ausreichende Unternehmensrentabilität und Produktinnovationen als Schlüsselgrößen für Wirtschaftswachstum betrachtet, muss diejenigen in einer Wirtschaft motivieren, die kreativ, risikofreudig und besonders leistungsfähig sind. Da Produktinnovationen häufig neue Maschinen und Produktionsanlagen für ihre Fertigung erfordern, muss für (riskante) Sachinvestitionen genügend Ersparnis und Risikokapital in einer Wirtschaft zur Verfügung stehen. Daher die neoliberale Forderung nach Steuersenkung besonders für Leistungsträger in der Wirtschaft, um sie zu motivieren, das finanzielle Wagnis von Produktinnovationen einzugehen. Daher die Förderung von Existenzgründungen, da man erwartet, dass junge Unternehmen neue und interessante Produkte auf den Markt bringen. Daher auch die Forderung, dass junge und dynamische Unternehmen zur Finanzierung ihrer Expansion leichter mit (Wagnis-)Kapital ausgestattet werden. In diesem Sinne war das 1997 eingeführte Aktienmarktsegment „Neuer Markt" an der Frankfurter Börse, auf dem sich vor allem kleine und dynamisch wachsende Technologieunternehmen Eigenkapital besorgen können, ein wichtiger Baustein im Angebotskonzept neoliberaler Wirtschaftspolitik. J.M. Keynes hat 1936 in seinem Buch, A General Theory of Employment, Interest and Money, London 1936, als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 eine neue Sicht über die Ursachen von Arbeitslosigkeit und fehlendem Wirtschaftswachstum veröffentlicht. Nach seiner Meinung ist eine freie Marktwirtschaft alleine nicht immer in der Lage, für ausreichendes Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung zu sorgen. Der Staat muss daher in den Wirtschaftsprozess eingreifen und über die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage für Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung sorgen. Auf dieser Sichtweise von Wirtschaft gründeten bis etwa Mitte der 70er Jahre viele Industrieländer ihre Wirtschaftspolitik. Seither ist der Keynesianismus auf dem Rückzug gegenüber dem sich immer stärker ausbreitenden Neoliberalismus. Allerdings bietet dieser Prozess der Nachfragestimulanz durch vermehrtes Güterangebot keine automatische Gewähr dafür, dass sich das gesamtwirtschaftliche Güterangebot und die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage zeitlich immer synchron entwickeln. Störungen in dieser „Harmonie", die aufgrund komplexer ökonomischer Interdependenzen möglich sind, zeigen sich dann darin, dass sich die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage über Monate oder gar Jahre schwächer entwickelt als das gesamtwirtschaftliche Güterangebot. Es droht dann wirtschaftliche Stagnation oder sogar Rezession (=Schrumpfung der ökonomischen Leistung einer Wirtschaft). Neoliberale Wirtschaftsökonomen glauben, dass ökonomische Schwächephasen, die von Zeit zu Zeit unvermeidlich sind, am schnellsten durch die Selbstheilungskräfte einer funktionierenden Marktwirtschaft wieder kuriert werden. Um diesen Selbstheilungsprozess wirksam zu unterstützen, müssen in einer Marktwirtschaft die Preise auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten, die Zinsen auf den Finanzmärkten, die Wechselkurse auf den Devisenmärkten und die Lohne und Gehalter auf dem Arbeitsmarkt möglichst flexibel, d h. in beiden Richtungen veränderbar sein. Außerdem sollte auf allen Märkten in einer Marktwirtschaft möglichst viel Wettbewerb herrschen. Schließlich sollten auch die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sehr mobil sein, um nach Freisetzung an einer Stelle im gesamtwirtschaftlichen Produktionsprozess schnell wieder eine neue Verwendung zu finden. Im Gegensatz zu den angebotsorientierten Ökonomen bezweifeln die auf eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik setzenden Keynesianer grundsätzlich, dass eine Marktwirtschaft über genügend Selbstheilungskräfte verfugt, um im Falle einer akuten Wachstumsschwäche in akzeptabler Zeit wieder aus eigener Kraft zu ausreichendem Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung zurückzufinden. Zur schnellen Überwindung einer wirtschaftlichen Wachstumsschwäche glauben die Keynesianer das richtige Rezept zu haben: Der Staat muss in die Bresche springen und entweder selber mehr Güter nachfragen (z.B. seine Infrastrukturinvestitionen kräftig ausweiten) oder die Konsumenten und Unternehmen über Steuersenkungen und/oder Investitionsanreize (Abschreibungserleichterungen/Zinssenkungen) zu mehr Nachfrage animieren. Steigt dadurch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, so wird mehr produziert und es gibt mehr Wirtschaftswachstum. © GOING PUBLIC! Seite - 13 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ So bestechend einfach und auf den ersten Blick einleuchtend diese Wirtschaftsstrategie ist, sie hat einen großen Nachteil: In Rezessionen, wenn aufgrund von Steuerausfällen der Staat schon weniger Einnahmen hat, müssen öffentliche Kredite aufgenommen werden, um die vermehrten Staatsausgaben und Steuererleichterungen zu finanzieren. Die Vergangenheit hat gelehrt, dass Politiker in Rezessionen schnell bereit waren, die Staatsnachfrage durch Kreditaufnahme anzukurbeln. Allerdings haben sie es dann leider in Phasen einer ausreichenden gesamtwirtschaftlichen Nachfrage versäumt, durch staatliches Sparen die aufgenommen Kredite wieder zurück zu zahlen. Staatliches Sparen erfordert häufig die Kürzung staatlicher Leistungen für die Bürger. Da dies recht unpopulär beim Wähler ist, waren dazu in der Vergangenheit viele Politiker aus Furcht vor schwindenden Chancen zur Wiederwahl nicht bereit. Die staatliche Unfähigkeit, in besseren wirtschaftlichen Wachstumsphasen zu sparen, hat in fast allen Industrieländern im Laufe der Jahre zu einer immensen Anhäufung der Staatsschulden geführt. Der wachsende öffentliche Schuldenberg erforderte immer höhere staatliche Zinsausgaben bis er letztlich die Fähigkeit des Staates zur Kreditaufnahme in Rezessionen einengte, wenn wirklich neue Kredite nötig waren. Da im Zeitverlauf auch die Wähler die Schuldenorgie des Staates immer skeptischer beurteilten, wurde die nachfrageorientierte staatliche Wirtschaftspolitik im Laufe der Jahre immer mehr diskreditiert. Die Idee einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik ist damit nicht ausschließlich, jedoch zu einem erheblichen Teil, Opfer des Opportunismus und Egoismus der politisch Handelnden geworden. Im Gegensatz zum Keynesianismus fordert der Neoliberalismus vom Staat, dass er sich möglichst weit aus der Wirtschaft heraus hält. Vor allem soll er keine Schulden machen und auch nicht den Versuch unternehmen, die Wirtschaft durch gesamtwirtschaftliche Nachfragesteuerung zu stabilisieren. Vielmehr sollte er die Steuern der Bürger möglichst weit senken und die geringeren Steuereinnahmen durch staatliche Ausgabenkürzungen kompensieren. Vor dem Hintergrund riesig aufgetürmter Schuldenberge' scheinen nun die Politiker in den meisten Industrieländern allmählich zur Einsicht zu gelangen, dass es mit den Staatsschulden so nicht weiter gehen kann. In diesem Sinne schafft der Neoliberalismus für die Politiker eine willkommene ökonomische Rechtfertigung, wie sie aus der selbst geschaffenen Verschuldungsfalle wieder heraus kommen. Vergleicht man die angebots- und nachfrageorientierte Strategie für mehr Wirtschaftswachstum, so solle man als erstes feststellen, dass die angebotsorientierte Wachstumsstrategie mit ihrer Betonung einer ausreichenden Eigenkapitalrentabilität für die Unternehmen mehr auf langfristig (5-10 Jahre) wichtige Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum abstellt. Die nachfrageorientierte 'Wachstumsstrategie, auch häufig Konjunkturpolitik genannt, möchte dagegen verstärkt kurzfristige (1-3 Jahre) Schwächen im Wirtschaftswachstum beheben. Dieser unterschiedliche Zeithorizont würde es ja nahe legen, beide Strategien miteinander zu kombinieren. Jedoch scheint dies schwerer, als auf den ersten Blick ersichtlich. Auf dem Feld der praktischen Wirtschaftspolitik gab es Versuche, das angebots- und nachfrageorientierte Konzept für mehr Wirtschaftswachstum miteinander zu kombinieren, bislang noch mit mäßigem Erfolg. Vor der Bundestagswahl 1998 hatten die sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Schröder (mehr angebotsorientierter Wirtschaftspolitiker) und Lafontaine (stark nachfrageorientierter Wirtschaftspolitiker) im Wahlprogramm der SPD versucht, diese gänzlich unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Denkansätze unter dem Schlagwort „sozialdemokratische Angebotspolitik" miteinander in Einklang zu bringen. Wie allgemein bekannt, ist dieses Konzept u.a. auch an Widersprüchen bei der praktischen Umsetzung schon nach wenigen Monaten gescheitert. Seite - 14 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Was die zeitgleiche praktische Umsetzung beider Konzepte in der Wirtschaftspolitik so schwierig macht, sind die völlig konträren Empfehlungen bei der Lösung wichtiger gesamtwirtschaftlicher Probleme: • Arbeitslosigkeit: Nach Meinung von Neoklassikern ist die Hauptursache für Arbeitslosigkeit ein zu hohes und zu starres Lohnniveau auf dem Arbeitsmarkt. Wer Arbeitslosigkeit bekämpfen will, muss also die Löhne am Arbeitsmarkt flexibler gestalten. Nach Meinung der Keynesianer kann ein zu hohes und zu starres Lohnniveau die Ursache für Arbeitslosigkeit sein, muss es aber nicht. Arbeitslosigkeit kann ihrer Meinung nach auch auf einer zu schwachen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage beruhen. In diesem Fall würden Lohnsenkungen und damit Einkommenssenkungen die private Konsumnachfrage und das Wirtschaftswachstum schwächen und so für noch mehr Arbeitslosigkeit sorgen. Besser wäre es in diesem Fall, über steigende Löhne für mehr Konsum zu sorgen. • Steuerpolitik: Neoklassiker plädieren für starke Einkommenssteuersenkungen vor allem bei den kreativen Leistungsträgem einer Wirtschaft, um sie materiell hinreichend zu motivieren, die Risiken bei Produktinnovationen zu tragen. Keynesianer betonen die Notwendigkeit, Einkommen von geringer Verdienenden steuerlich stärker zu entlasten, da Haushalte mit niedrigen Einkommen prozentual größere Teile ihres Einkommens für Konsum aufwenden als Haushalte mit hohen Einkommen. Steuersenkungen wurden damit sehr schnell zu mehr gesamtwirtschaftlicher Nachfrage führen. • Rolle des Staates: Der Staat soll sich aus Sicht der Neoliberalen möglichst weit aus dem Wirtschaftsleben zurückziehen und bei niedrigen Steuern seinen öffentlichen Haushalt ausgeglichen halten, also keine Schulden machen bzw. sogar einen leichten Überschuss erwirtschaften. Er soll keinen Versuch unternehmen, über die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage im Rahmen von Konjunkturpolitik, für mehr wirtschaftliche Stabilität zu sorgen, denn dies könne er sowieso nicht. Für Keynesianer ist gerade die Stabilitätsaufgabe ein ganz zentrales Element staatlicher Wirtschaftspolitik. Zwecks Nachfragestimulierung bei wirtschaftlicher Schwäche soll der Staat zur Finanzierung seiner Konjunkturpolitik sogar Defizite aufbauen und Schulden machen. • Rolle der Geldpolitik: Nach Meinung der Neoliberalen sorgt eine Notenbank dann am besten für Preisstabilität, wenn sie die Geldversorgung der Wirtschaft stetig am Wachstum der ökonomischen Leistung eines Landes orientiert. Zu viel Geld in der Wirtschaft sei letztlich die Hauptursache für Inflation. Keynesianer sind dagegen der Meinung, dass vor allem in wirtschaftlichen Schwächephasen die Notenbank die Zinsen kräftig senken sollte, um über eine Anregung der zinsabhängigen Investitionsnachfrage die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stärken. Ein dadurch möglicherweise verursachtes stärkeres Geldmengenwachstum müsse nicht unbedingt zu mehr Inflation führen. © GOING PUBLIC! Seite - 15 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ 4.4 Konjunkturschwankungen Mehrjährige Schwankungen im Wirtschaftswachstum, ausgelöst durch gesamtwirtschaftliche Nachfrageveränderungen, werden auch Konjunkturschwankungen genannt. Reales BIP, Produktionskapazität reales BIP ökonomische Produktionskapazität 1. Auf2. Boom 3. Abküh- 4. Reschwung lung zession Ein Konjunkturzyklus (3-7 Jahre) Zeit Konjunkturschwankungen unterteilt man weiter in Konjunkturzyklen. Ein Konjunkturzyklus hat normalerweise eine Länge von etwa drei bis sieben Jahren. Konjunkturzyklen wiederum bestehen aus zwei Hauptphasen: Einer Aufschwungphase, die man weiter in eine Erholungsund Überhitzungsphase (Boom) untergliedert sowie einer Abschwungphase, die die konjunkturelle Abkühlungsphase und Rezession umfasst. Die einzelnen Konjunkturphasen können häufig zeitlich nicht exakt voneinander getrennt werden. Es gibt mehrere Möglichkeiten, Konjunkturschwankungen zu messen. Der anspruchsvollste Ansatz besteht darin, eine ökonomische Kapazitätsgrenze für eine Wirtschaft zu bestimmen. Im Kern geht es dabei um die Frage, welche maximale ökonomische Leistung eine Wirtschaft in einer bestimmten Periode erbringen kann, ohne dass es zu Inflationsgefahren aufgrund einer zu starken gesamtwirtschaftlichen Nachfrage kommt. Die ökonomische Kapazitätsgrenze einer Wirtschaft verändert sich im Zeitablauf mit der Zahl an Arbeitskräften, dem Umfang der Ausrüstungs- und Bauinvestitionen sowie aufgrund des technischen Fortschritts. Konjunkturschwankungen sind gemäß diesem Messkonzept Schwankungen in der ökonomischen Kapazitätsauslastung einer Wirtschaft. In Zeiten hoher konjunktureller Nachfrage übersteigt das reale Bruttoinlandsprodukt häufig die ökonomisch (sinnvolle) Kapazitätsgrenze und viele Unternehmen müssen aufgrund der starker Auftragseingänge bei der Produktion Sonderschichten fahren. Am Arbeitsmarkt suchen Unternehmen dann nach Fachkräften, die jedoch kaum zu bekommen sind. In einer solchen Phase steigen in einer Wirtschaft in aller Regel die Lohnkosten stark an. Aufgrund der guten Beschäftigungslage können die Unternehmen dann zusätzliche (Lohn-) Kosten leichter durch Preissteigerungen auf die Kunden abwälzen, es kommt zu Inflation. Liegt dagegen die gesamtwirtschaftliche Leistung deutlich unterhalb der ökonomischen Kapazitätsgrenze, so herrscht in einer Wirtschaft Arbeitslosigkeit und die Unternehmen klagen über Auftragsmangel. In dieser Konjunkturphase ist der Lohnkostendruck und Preisüberwälzungsspielraum für die Unternehmen gering. Entsprechend niedrig sind die Inflationsgefahren. Da die Schätzung ökonomischer Kapazitätsgrenzen in der Praxis mit erheblichen Problemen behaftet ist, soll an dieser Stelle eine sehr einfache, aber weit verbreitete Form der Konjunkturmessung vorgestellt werden. Als Messgröße für Konjunkturschwankungen werden die (leicht geglätteten) Wachstumsraten des vierteljährlichen Bruttoinlandsprodukts verwendet. Solange die Wachstumsraten steigen, wird von einer konjunkturellen Aufschwungphase gesprochen, sobald sie fallen, von einer konjunkturellen Abschwungphase. Sind die Wachstumsraten zwei Quartale oder länger negativ, so spricht man von einer Rezession. Die letzte Rezession wurde in Deutschland 1993 beobachtet. Seite - 16 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ 4.5 Konjunkturelle Wendepunkte und ihre frühzeitige Erkennung Konjunkturelle Wendepunkte markieren Übergänge von konjunkturellen Abschwung- in Aufschwungphasen und umgekehrt. Für die Wirtschaftspolitik, Unternehmen und Anleger ist das rechtzeitige Erkennen von konjunkturellen Wendepunkten wichtig. Der Wirtschaftspolitik signalisiert der Übergang von einer konjunkturellen Abschwung- in eine Aufschwungphase die Aussicht auf mehr Wirtschaftswachstum und eine mögliche Besserung am Arbeitsmarkt. Andererseits bedeutet das Ende eines konjunkturellen Aufschwungs und der Beginn eines Abschwungs häufig Arbeitsplatzabbau und weniger Wirtschaftswachstum. Unternehmen können in konjunkturellen Aufschwungphasen mehr Umsatz und höhere Gewinne erwarten, während in Abschwungphasen ein Absatz- und Gewinnrückgang droht. Für Aktienanleger bedeuten konjunkturelle Aufschwungphasen die Aussicht auf steigende Unternehmensgewinne und damit steigende Aktienkurse. Ein konjunktureller Abschwung kann andererseits zu einem Gewinnrückgang bei Unternehmen fuhren und damit Kursrisiken für Aktien bedeuten. Da konjunkturelle Auf- und Abschwungphasen in aller Regel mehrere Jahre umfassen, ist es wichtig, diese Trendwechsel frühzeitig zu erkennen. In der Vergangenheit hat es daher große Bemühungen gegeben, die deutsche Wirtschaft mit vielfältigen Konjunkturindikatoren zu versehen, die möglichst frühzeitig konjunkturelle Trendwechsel anzeigen. Bevor sie näher vorgestellt werden, erfolgt ein Überblick, wo man in einer Wirtschaft Indikatoren installiert, um konjunkturelle Wendepunkte möglichst frühzeitig zu erkennen. Da sich mehrjährige ökonomische Leistungsschwankungen der drei Wirtschaftssekoren auf gesamtwirtschaftlicher Ebene als Konjunkturzyklen zeigen, ist es offensichtlich sinnvoll, nach konjunkturellen Frühindikatoren im Nachfrageumfeld dieser Wirtschaftssektoren zu suchen. Wachstum des realen Bruttoinnlandsproduktes Ökonomische Leistung der Deutschen Wirtschaft nach Sektoren Produzierendes Gewerbe Incl. Baugewerbe (%-Anteil 1998: 29,5%) Baunachfrage Erteilte Baugenehmigungen Privater Dienstleistungssektor -Handel, Verkehr, Banken, usw.(%-Anteil 1998: 44,9%) Verarbeitendes Gewerbe Produktion Auftragseingang Auslandsnachfrage Auftragseingang aus dem Ausland Geldmenge Abbildung: Öffentlicher Dienstleistungssektor (%-Anteil 1998: 19,6%) Konsumnachfrage Einzelhandelsumsatz Kaufkraft der Verbraucher Investitionsgüternachfrage (Maschinen / Anlagen) Finanzsektor Zinsen (Renditedifferenz) Modell zur frühzeitigen Erkennung konjunktureller Wendepunkte Dabei spielt traditionell das produzierende Gewerbe und hier speziell das Teilsegment „verarbeitendes Gewerbe" (Industriesektor plus industrienahes Handwerk), eine herausragende Rolle. Dies hat zwei wesentliche Gründe. Zum einen behaupten viele Konjunkturtheorien, dass © GOING PUBLIC! Seite - 17 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ die Ursachen für Konjunkturschwankungen vor allem im Investitionsverhalten einer Wirtschaft liegen und durch die Lagerhaltung im Industriesektor (Lagerzyklustheorie) systematisch verstärkt werden. Zum zweiten gibt es, im Gegensatz zum öffentlichen und privaten Dienstleistungssektor, fast nur im verarbeitenden Gewerbe Deutschlands monatliche statistische Erhebungen, die sich für aktuelle Konjunkturanalysen eignen. Zahlen zu Produktion, Umsatz und Auftragseingang sowie, speziell für die Bauwirtschaft wichtig, die Entwicklung der Baugenehmigungen, werden monatlich vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden veröffentlicht. Das Ifo-Institut aus München ergänzt diese Zahlen der amtlichen Statistik um monatliche Umfragen im verarbeitenden Gewerbe und Baugewerbe bezüglich Geschäftslage, Geschäftserwartungen, Produktionspläne, Auftragsbestands- und Fertigwarenlagerbeurteilungen. Zudem gibt es auf Quartalsbasis noch Befragungen zur betrieblichen Kapazitätsauslastung und dem Auftragsbestand. Die Konsumnachfrage wird durch monatliche Statistiken über Einzel- und Großhandelsumsätze vom Statistischen Bundesamt dokumentiert. Ergänzend dazu erfolgen vom Ifo-Institut, noch monatliche Händlerbefragungen zur Geschäftslage und -erwartung, Lagerbeurteilung und Preistrends. Vierteljährliche statistische Zahlen zur Kaufkraftentwicklung der Verbraucher und monatliche Umfragen bezüglich ihrer Kaufbereitschaft (Konsumentenstimmung) runden das Bündel der Konjunkturindikatoren im Konsumbereich ab. Aber auch vom aktuellen Geschehen im Finanzsektor einer Wirtschaft gehen wesentliche Impulse auf die zukünftige Konjunktur aus. Wichtige Konjunkturindikatoren aus dem Finanzsektor, die die Wirtschaftskonjunktur mittelfristig stark beeinflussen können, sind z.B. die • Geldmenge • Zinshöhe und • Renditedifferenz, also das Verhältnis von lang- zu kurzfristigen Zinsen. Dabei gilt grundsätzlich: Niedrige Zinsen und ein lebhaftes Geldmengenwachstum wirken auf den Konjunkturprozess stimulierend, während hohe Zinsen und ein schwaches Geldmengenwachstum die Konjunkturaussichten dämpfen. Nachfolgend werden wichtige Konjunkturindikatoren einzeln vorgestellt. Begonnen wird jedoch mit einem Gesamtindikator, der sich aus mehreren Einzelindikatoren dieser Bereiche zusammensetzt und offensichtlich eine gute Kurzfristprognose für das reale Bruttoinlandsprodukt auf Sicht von drei Monaten erlaubt. Dies ist der HandelsblattFrühindikator, der sich aus fünf Einzelindikatoren mit folgender Gewichtung zusammensetzt: Gewicht im Index • Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe in Westdeutschland 20% • Auftragseingang im Bauhauptgewerbe Westdeutschlands 10% • Einzelhandelsumsatz in Gesamtdeutschland 30% • Ifo-Geschäftsklima-Index für das verarbeitende Gewerbe • • Zinsdifferenz zwischen lang- und kurzfristigen Zinsen (Finanzsektor) Gesamt 1 30% 10% 100% Diese konjunkturellen Einzelindikatoren werden untereinander gewichtet und nach einem bestimmten mathematischen Verfahren zu einem Gesamtindex zusammengefasst. Seine Brauchbarkeit für eine konjunkturelle Wendepunktprognose wird allerdings dadurch stark eingeschränkt, dass sein zeitlicher Vorlauf gegenüber dem Wachstum des realen BIP nur etwa drei bis sechs Monate beträgt. Seite - 18 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Ein Indikator, der in der Vergangenheit häufig mit einem Vorlauf von sechs und mehr Monaten konjunkturelle Trendwechsel in Deutschland angezeigt hat, ist der Ifo-Geschäftsklima-Index für das verarbeitende Gewerbe. Dieser Index setzt sich aus zwei Einzelindikatoren zusammen: • aktuelle Geschäftslagebeurteilung seitens der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe • Geschäftserwartungen für die kommenden 6 Monate. Vom Ifo-Institut werden monatlich zahlreiche Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe befragt, ob sie ihre Geschäftslage als gut, normal oder schlecht einstufen. Anschließend wird vom Ifo-Institut der Prozentsaldo aus den Gut- und Schlecht-Meldungen ermittelt. Bei der Frage nach den Geschäftserwartungen für die kommenden 6 Monate können die Unternehmen besser, gleich oder schlechter im Vergleich zur aktuellen Situation angeben. Auch hier wird monatlich der Prozentsaldo aus den Besser- und Schlechtermeldungen errechnet. Beide Salden werden miteinander nach einer bestimmten mathematischen Formel verkettet und als Ergebnis erhält man den Geschäftsklima-Index für das verarbeitende Gewerbe. Ein wichtiger konjunktureller Einzelindikator ist auch der reale Auftragseingang im Verarbeitenden Gewerbe. „Real" bedeutet dabei „nach Ausschaltung von Preisveränderungen". Dieser Index gibt damit quasi die mengenmäßige Entwicklung der Auftragseingänge für die Industrie an. Es ist sinnvoll, diesen Index gleich mit der Produktionsentwicklung darzustellen, da diese wiederum als ökonomische Leistung direkt in die Berechnung des realen BIP eingeht. Ein wichtiger Indikator für die Entwicklung der Konsumnachfrage ist der reale (=preisbereinigte) Einzelhandelsumsatz. Allerdings muss man beachten, dass der Einzelhandelsumsatz mittlerweile weniger als die Hälfte aller Konsumausgaben in Deutschland repräsentiert, so dass seine Gültigkeit als genereller Indikator für Konsumausgaben begrenzt ist. Nachdem in den 80er Jahren aus dem Finanzbereich vor allem die Geldmenge als wichtiger konjunktureller Frühindikator ausgewählt wurde, hat sich in den 90er Jahren das Gewicht etwas stärker auf die Zinsdifferenz, also dem Saldo aus lang- und kurzfristigen Kreditzinsen, verlagert. In aller Regel wird dieser Indikator als Differenz zwischen der Rendite 10-jähriger Bundesanleihen und der Rendite von Dreimonatsgeld gebildet. Um zu verstehen, warum diese Zinsdifferenz ein konjunktureller Frühindikator ist, muss man sich klar machen, durch wen die Entwicklung dieser zwei Renditen bestimmt wird. Die Renditehöhe des Dreimonatsgeldes bestimmt fast ausschließlich die Zinspolitik der Notenbank. Je niedriger sie die Leitzinsen setzt, desto niedriger ist auch die Rendite des Dreimonatsgeldes. Niedrige Leitzinsen und damit billiges Dreimonatsgeld wirkt stimulierend für die Wirtschaftskonjunktur. Je höher die Notenbank die Leitzinsen setzt, desto teuerer ist auch Dreimonatsgeld und desto stärker wird die Wirtschaftskonjunktur von der Zinsseite gebremst. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen schwankt eng mit den Inflationserwartungen der Anleger. Wesentlich für die Inflationserwartungen der Anleger ist die Stärke des zukünftigen Wirtschaftswachstums. So steigt die Rendite 10-jähriger Anleihen, wenn die Anleger am Anleihenmarkt ein stärkeres Wirtschaftswachstum und damit höhere Inflationsgefahren erwarten. Die Erwartung eines schwächeren Wirtschaftswachstums mit nachlassendem Inflationsdruck führt häufig zu fallenden 10-jährigen Anleihenrenditen. Die Differenz zwischen lang- und kurzfristigen Zinsen wird offensichtlich um so größer, je stärker die Notenbank ihre Geldpolitik lockert und je mehr die Anleger befürchten, dass diese Lockerung in Zukunft eine kräftige Konjunkturbelebung mit entsprechenden Inflationsgefahren bringt. Damit drückt also eine hohe positive Differenz die Erwartung einer deutlichen Konjunkturbelebung durch die Finanzmärkte aus. Ist die Zinsdifferenz gering bzw. sogar negativ (kurzfristige Zinsen höher als langfristige Zinsen), so erwarten die Finanzmärkte offensichtlich, dass die Hochzinspolitik der Notenbank letztlich die Konjunktur und damit die Inflationsgefahren in der Wirtschaft dämpft. © GOING PUBLIC! Seite - 19 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ 5 Grundzüge der Geldpolitik 5.1 Steuerung der Geldmenge – Geldschöpfung und Geldvernichtung Die Steuerung der Geldmenge wird von der Zentralbank durch Geldschöpfung und Geldvernichtung wahrgenommen. Geldschöpfung ist ein Vorgang, bei dem dem Wirtschaftskreislauf Geld zugeführt wird. Dies geschieht durch die Kreditvergabe von Zentralbanken an Geschäftsbanken und von Geschäftsbanken an Unternehmen und Privatpersonen (so genannte Nichtbanken). Geldschöpfung ist neben der Geldvernichtung ein Element zur Steuerung der Geldmenge, deren Kontrolle Aufgabe der Zentralbank eines Landes oder Währungsraums ist. Diese Kontrolle ist notwendig, um die Geldwertstabilität und somit die Wirtschaft eines Währungsraumes zu sichern. 5.2 Begriff der Geldschöpfung Geld wird durch Aufnahme von Krediten vermehrt und durch Rückzahlung dieser vermindert. Diese Vorgänge werden als Geldschöpfung und Geldvernichtung bezeichnet. Die Ausgabe von Geld an die Bevölkerung eines Währungsraums erfolgt durch das Bankensystem. Geld wird durch die Zusammenarbeit von Zentralbanken, Geschäftsbanken und Nichtbanken geschaffen. (Zu den Nichtbanken zählen alle Unternehmen ohne Banken, die privaten Haushalte und die öffentliche Hand.) Geldschöpfung basiert vorwiegend auf der Gewährung von Krediten. Aus der Sicht der Geldschöpfung sind zwei unterschiedliche Arten von Geld zu unterscheiden: Zum einen das Zentralbankgeld, das von der Zentralbank geschaffen oder vernichtet wird. Hierzu zählt auch das Bargeld. Zum anderen spricht man von Geschäftsbankengeld, ein Buch- bzw. Giralgeld rein auf Bankkonten, das bei den privaten Geldinstituten entsteht oder verschwindet. Der Anstoß zur Geldschöpfung geht von der Nachfrage der Nichtbanken nach Krediten aus. Wenn Geschäftsbanken Wirtschaftsunternehmen Kredite erteilen wollen, für welche sie über zu wenig Mittel verfügen, nehmen sie ihrerseits bei der Zentralbank Kredite auf. Im Gegenzug verpfänden sie der Zentralbank Wertschriften als Sicherheiten. Die Geschäftsbanken verschulden sich also bei der Zentralbank. Aufgrund solcher Kredite erhalten die Geschäftsbanken von der Zentralbank Zentralbankgeld in Form von Gutschriften auf ihren Konten bei der Zentralbank. Zu Lasten dieser Gutschriften können die Geschäftsbanken von der Zentralbank auch Bargeld beziehen (Geldscheine und Münzen), das sie selbst nicht schaffen dürfen. Das Zentralbankgeld gibt den Geschäftsbanken die Voraussetzung, selbst Kredite zu erteilen. Auch die kreditsuchenden Unternehmen überschreiben ihren Banken Sicherheiten für die Kredite. Damit ist Geld vom Standpunkt der Geschäftsbanken aus ein Schuldbeleg. Für die Zentralbank ist Geld Guthaben bei den Banken. Da alles Geld heute als Kredit geschaffen wird, sei es von der Zentralbank gegenüber den Geschäftsbanken, sei es bei Geschäftsbanken gegenüber ihren Kreditkunden, ist Geld Schuldanerkenntnis. Wesentlich dabei ist, von wem und an wen diese Schuldanerkenntnis besteht. Für diejenigen hingegen, die außerhalb des Bankensystems über einen Geldschein verfügen, ist er nicht Schuldschein, sondern Zahlungsmittel. Aus diesen Vorgängen ist ersichtlich, dass die Menge des vorhandenen Geldes vom Umfang der Kredite abhängt und ständig schwankt. Außerdem ist die Geldschöpfung abhängig von Vermögenswerten, welche von den Kreditnehmern ihren Banken als Sicherheiten für ihre Kredite verpfändet werden können und ohne welche es keine Kredite gibt. Unter den derzeit Seite - 20 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ üblichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann nur eine verschuldete Gesellschaft über Geld verfügen. Aus diesem Grund ist - bis auf wenige Ausnahmen wie bei umlaufgesichertem Geld - alles Geld von vorn herein mit Zins belastet. Geld ist darum stets an Zinsen gebunden, und das Zahlen von Zinsen an die herausgebenden Banken ist Voraussetzung für das Vorhandensein von Geld. Bargeld (Münzen und Banknoten) kann nur von der Zentralbank geschaffen werden, Buchgeld auf Sichtguthabenkonten (Giralgeld) sowohl von der Zentralbank wie auch von Geschäftsbanken. Der Ablauf der Geldschöpfung beinhaltet die Wirtschaftssubjekte Zentralbank, Geschäftsbank und Endverbraucher. Die Initiative zur Geldschöpfung geht von der Zentralbank aus, die Nachfrage muss jedoch vom Endverbraucher stammen. Der Zentralbank stehen zur Geldschöpfung verschiedene Methoden zur Auswahl, die je nach Wirtschaftsverhältnissen mehr oder weniger gut wirksam werden. 5.3 Funktion der Zentralbank Der Zentralbank eines Landes obliegt die Erstversorgung ihres Währungsraums mit Geld. Dabei beschreitet sie den Weg über die Geschäftsbanken. Die Zentralbank schöpft Geld einerseits über Kredite, die sie an die Geschäftsbanken gegen die Verpfändung von Sicherheiten vergibt. Die von den Geschäftsbanken verpfändeten Schuldtitel sind häufig von der Bank selbst oder von anderen Banken ausgegeben, emittiert worden. Andererseits kann die Zentralbank Geld durch den Ankauf von Devisen, Edelmetallen oder Wertpapieren von den Geschäftsbanken erzeugen (Offenmarktpolitik). In beiden Fällen erhalten die Geschäftsbanken Zentralbankgeld in Form von Guthaben auf Konten gutgeschrieben, die sie bei der Zentralbank unterhalten. Das vom Bankenpublikum bei den Geschäftsbanken angeforderte Bargeld wird von der Zentralbank in Form von Münzen und Geldscheinen abgegeben, welche die Geschäftsbanken bei der Zentralbank zu Lasten ihrer Guthaben an Zentralbankgeld beziehen können ("Geldschöpfung durch Notenpresse", d.h. Drucken von Banknoten oder Prägen von Münzen). Die Zentralbank erhebt auf den von ihr an die Geschäftsbanken vergebenen Krediten die sogenannten Zentralbankzinsen. Diese werden von den Banken ihren eigenen Kreditnehmern weiterbelastet. Die Vergabe von Krediten an die öffentliche Hand durch die Zentralbank ist im Euroraum seit der zweiten Stufe der Europäischen Währungsunion von 1994 verboten, d. h. der Staat muss sich Geld bei Geschäftsbanken leihen. Ganz anders in den USA: Dort machte beispielsweise am 17. November 2004 der Posten "U.S. Treasury" sogar 89,3% der gesamten Aktiva des Federal Reserve Systems aus. Das heißt: Der US-Dollar ist fast ausschließlich durch die US-Staatsverschuldung gedeckt. 5.4 Funktion der Geschäftsbanken Die Geschäftsbanken geben die von der Zentralbank erhaltenen Kredite ebenfalls in Form von Krediten an die Endverbraucher – die Unternehmer und Privatpersonen (Nichtbanken) – weiter. Der Zinssatz, den die Geschäftsbank für den Kredit bei der Zentralbank zahlen muss, wird bei der Vergabe von Krediten an Endverbraucher zur Deckung eigener Aufwände und zur Erwirtschaftung eines Gewinnes erhöht. © GOING PUBLIC! Seite - 21 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ 5.5 Geldschöpfung durch die Zentralbank 5.5.1 Refinanzierungspolitik Bei der Refinanzierungspolitik stellt die Zentralbank den Geschäftsbanken in unterschiedlichem Umfang Bargeld (Zentralbankgeld) für die Kreditvergabe zur Verfügung. Sind die dafür berechneten Zinsen (Diskontsatz bzw. Lombardsatz, wobei der Lombardsatz in der Regel höher als der Diskontsatz ist) niedrig, werden die Banken viele Papiere verpfänden, damit viel Geld erhalten, und sie können so auch mehr Kredite vergeben. Verteuert die Zentralbank diese Beschaffung von Geld, sinkt die Kreditvergabe entsprechend. Dies ist die bedeutendste Form der Kreditgewährung der Zentralbanken an die Geschäftsbanken. Diskontpolitik Bei der Diskontpolitik können Geschäftsbanken Wechsel, die sie von Unternehmen angekauft haben, bei der Zentralbank verpfänden. Die Zentralbank kann mengenmäßig durch die Festlegung von Obergrenzen (Refinanzierungsplafond) eingreifen, bis zu welchen eine Bank Wechseldiskont in Anspruch nehmen kann. Die Diskontpolitik hat auch eine qualitative Komponente, da nur Handelswechsel mit bester Bonität und mit höchstens 90-tägiger Laufzeit angekauft werden. Lombardpolitik Bei der Lombardpolitik können Geschäftsbanken kurzfristige Darlehen bis zu drei Monaten bei den Zentralbanken aufnehmen, wenn sie im Gegenzug Wertpapiere verpfänden. Obergrenzen (Refinanzierungsplafonds) begrenzen diese Möglichkeit der Geldaufnahme durch Banken. Ständige Fazilitäten Die EZB verzichtet auf eine Diskontpolitik und an Stelle der Lombardpolitik traten die Spitzenrefinanzierungsfazilitäten. Daneben bietet die EZB die Möglichkeit, über die Einlagefazilität, eine niedrig verzinste Einlage der MFI beim Eurosystem, überschüssige Liquidität zu absorbieren. Die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität bilden eine Ober- und Untergrenze für die kurzfristigen Zinssätze des Interbankenmarktes wie den EONIA. Somit leisten die ständigen Fazilitäten neben dem kurzfristigen Liquiditätsausgleich einen wichtigen Beitrag zur Begrenzung der Volatilität am Geldmarkt. 5.5.2 Offenmarktpolitik Bei der Offenmarktpolitik bilden Offenmarktgeschäfte heute das Rückgrat der Notenbankpolitik. Sie dienen der Liquiditätsversorgung und der Zinssteuerung. Durch An- und Verkauf von Wertpapieren durch die Zentralbank erhalten die Geschäftsbanken Alternativen zur Kreditvergabe. Sind die Zinskonditionen der Zentralbank gut, werden die Banken Offenmarktpapiere kaufen anstatt Kredite zu vergeben und die Geldschöpfung wird geringer. Die EZB betreibt diese Politik mittels ihres Hauptrefinanzierungsinstruments, welches mit etwa 75 % den größten Anteil an der Liquiditätsversorgung umfasst. Bedarfsweise können auch Feinsteuerungsoperationen (meist als so genannte Schnelltender) oder strukturelle Operationen durchgeführt werden. Dies bildet jedoch die Ausnahme. Devisenkurspolitik Bei der Devisenkurspolitik kauft und verkauft die Zentralbank Devisen. Dies sind zumeist kurzfristig fällige Bankguthaben im Ausland. Beim Devisenzukauf wird der Volkswirtschaft Geld entzogen, beim Verkauf fließt ihr Geld zu. Devisenswappolitik Seite - 22 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Mit der Devisenswappolitik kann die Zentralbank durch Devisenswap- und Zinsswapgeschäften den Devisenimport und -export beeinflussen sowie die Liquidität der inländischen Banken erhöhen. Dies geschieht, indem die Zentralbank den Geschäftsbanken Devisen zum Kassakurs verkauft, diese aber sofort wieder zum höheren Terminkurs per Termin 30, 60 oder 90 Tage zurückkauft. Die Banken legen diese Devisen für diesen Zeitraum zinsgünstig im Ausland an und nehmen sie nach Fälligkeit zurück um sie zum vereinbarten Termin wieder an die Zentralbank zurückzugeben. Die Swappolitik ist überflüssig, wenn das ausländische Zinsniveau höher ist. 5.5.3 Mindestreservenpolitik Die Mindestreservenpolitik verpflichtet die Banken, einen Teil ihrer Einlagen als Mindestreserve bei der Zentralbank zu hinterlegen. Der Mindestreservesatz bestimmt dabei, wie hoch der Anteil des Guthabens ist, der an die Zentralbank ohne Sicherheiten verliehen werden muss. Bei einer höheren Mindestreserve können die Banken weniger Kredite vergeben und umgekehrt. Bei der EZB liegt der Mindestreservesatz, um die Wettbewerbsfähigkeit der Geschäftsbanken nicht zu beschränken, bei maximal 2% des Guthabens und wurde bisher noch nicht verändert, also für die Geldpolitik eingesetzt. Die Mindestreserven werden inzwischen auch zum Hauptrefinanzierungssatz verzinst. Bei der Deutschen Bundesbank gab es zeitweise bis zu 27 Mindestreservesätze, die differenziert nach Bankengröße und Einlageform galten. In der Schweiz sind keine Mindestreserven vorgesehen. Ursprünglich diente diese Politik zum Gläubigerschutz (Sicherung eines Teils der Spareinlagen). Heute ist sie ein kreditpolitisches Instrument. 5.6 Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken 5.6.1 Krediterteilung Aufgrund von Krediten der Zentralbank (Zentralbankgeld-Guthaben) und von Spareinlagen von Bankkunden (Nichtbanken) können Geschäftsbanken ihren Kunden Kredite erteilen. Durch diesen Vorgang wird Buchgeld geschaffen, gem. der Buchung Darlehens-Debitor an Sichtoder Terminkreditor. Nach Zusage des Kredits kann der Kreditnehmer von einem Sichtguthabenkonto bei seiner Bank aus Zahlungen per Überweisungen auf Konten von Kunden der gleichen oder einer anderen Bank vornehmen lassen oder darauf Schecks ausstellen oder sich Bargeld auszahlen lassen. Das von Kreditkunden abgehobene Bargeld kann außerhalb des Bankensystems zu Barzahlungen verwendet werden. Auf diese Weise gelangt Bargeld grundsätzlich immer unter die Bevölkerung. Eine Ausnahme davon war in Deutschland 1948 die direkte Barauszahlung von 40 D-Mark von den Gemeindeverwaltungen an jeden Landesbürger als Startgeld bei der Währungsreform. Bei Geschäftsbanken entsteht Buchgeld, indem Bargeld von Bankkunden auf Sichtguthabenkonten eingezahlt wird. Danach liegt das Bargeld zunächst bei der Bank, und der Kunde verfügt über ein Kontoguthaben. Das Guthaben stellt eine Forderung auf Bargeld dar, gegen welches der Kunde die Wiederauszahlung von Bargeld zugute hat. Jede Einzahlung von Bargeld hinterlässt bei den Banken zahlungsfähiges Buchgeld in Form von Guthaben, das so lange im Bankensystem erhalten bleibt und als Zahlungsmittel von Konto zu Konto umläuft, bis eine Bank dem Einzahler wieder Bargeld ausbezahlt. Das Entstehen von Buchgeld aus einer Bargeldeinzahlung kann noch nicht als eigentliche Geldschöpfung verstanden werden, weil hier keine Geldvermehrung stattfindet, sondern lediglich eine Geldform in eine andere umgewandelt wird – Bargeld in Sichtguthaben. © GOING PUBLIC! Seite - 23 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Echte Geldschöpfung hingegen ist es, wenn die Menge des Buchgeldes zunimmt, indem das gleiche Bargeld mehrfach wiederholt zur Kreditgewährung verwendet wird, dann das Bankensystem wieder verlässt und erneut auf Konten eingezahlt wird. Dies wird als multiple Geldschöpfung bezeichnet. 5.6.2 Multiple Geldschöpfung Nachdem grundsätzlich einmal Bargeld in der Bevölkerung in Umlauf gekommen ist – in der Regel auf dem Kreditweg von der Zentralbank über Geschäftsbanken an kreditnehmende Unternehmen und dann als Zahlungen an deren Lieferanten und Lohnempfänger –, kann es bei Geschäftsbanken auf Konten eingezahlt werden. Damit sind die Banken in der Lage, Kredite zu erteilen. Soweit die Kredite in Form von Bargeld ausbezahlt werden, kann Bargeld außerhalb des Bankensystems für Zahlungen verwendet werden und früher oder später wieder als Einzahlung zu den Banken zurückkehren. Wird Bargeld auf das Kreditkonto eines Kreditnehmers eingezahlt, so bedeutet diese eine Minderung oder Tilgung seines Kredits. Kehrt Bargeld jedoch auf andere Bankkonten als diejenigen von Kreditnehmern ins Bankensystem zurück, so verfügen die Banken erneut über Geld, um weitere Kredite vergeben zu können. Auf diese Weise bildet sich bei den Banken eine Kette von empfangenen Einlagen und vergebenen Krediten. Jedes Mal entstehen Sichtguthaben, welche zusätzlich zum Bargeld Zahlungsmittel sind. Dazu das Modellbeispiel einer Kreditkette: • • Eine Bank hat von ihren Kunden 1.000,– € als Einlage auf Sichtguthabenkonten erhalten (1. Einlage). Davon führt sie den von der Zentralbank festgelegten Mindestreservesatz an die Zentralbank ab oder behält – falls eine solche Verpflichtung, wie beispielsweise in der Schweiz, nicht besteht – eine Sicherheitsreserve (Liquiditätsreserve) zurück (hier angenommen zu 10% = 100,– €, tatsächlich heute wesentlich weniger), so dass ihr 900,– € verbleiben, die sie als Kredit an einen Kunden vergibt. Diese 900,– € werden vom Kreditnehmer als Bargeld abgehoben und ausgegeben und landen als weitere Einlage auf einem anderen Sichtguthabenkonto (2. Einlage). Hiervon behält die Bank erneut 10% = 90,– € als Reserve ein und verleiht die verbleibenden 810,– € als neuen Kredit. Dieser Kreditbetrag wird erneut als Bargeld abgehoben und ausgegeben und wieder auf ein Sichtguthabenkonto eingezahlt (3. Einlage). Erneut werden 10% = 81,– € als Reserve zurückbehalten, und es bleiben 729,– € übrig, die wieder als Kredit vergeben werden, u. s. w. Die Sichtguthaben aus den Einlagen ergeben zusammen 2710 € als Buchgeldmenge (1000 + 900 + 810 €) und können zu Zahlungen von Konto zu Konto verwendet werden. Demgegenüber hat sich die in Verkehr stehende Menge von Bargeld um die Reserven verringert, also um 100 + 90 + 81 = 271 €. Damit stehen noch 1000 – 271 = 729 € an Bargeld in Verkehr. Infolgedessen können mit 2710 € an Sichtguthaben und mit 729 € an Bargeld im gleichen Zeitpunkt von verschiedenen Inhabern Zahlungen ausgeführt werden. Genauer: Zur gleichen Zeit, wie der letzterwähnte Kreditnehmer mit Bargeld von 729 € zahlt, können die drei Sichtguthabenbesitzer mit ihren Guthaben Zahlungen von zusammen 2710 € ausführen, indem sie die Guthaben auf Konten anderer Kontoinhaber überweisen. Die zahlungsfähige Geldmenge M1 ist also gegenüber der Ausgangsmenge von 1000 € auf 2710 + 729 = 3439 € angewachsen! Diese Geldvermehrung gilt, solange keiner der Einzahler eine Bargeldabhebung von seinem Sichtguthaben vornimmt. Die Kreditkette könnte unbegrenzt fortgesetzt werden, doch werden die neu zu vergebenden Kredite immer geringer. Wie stark sich die Geldmenge letztlich theoretisch erhöhen kann, gibt der Geldschöpfungsmultiplikator an, der von der Höhe des Mindestreservesatzes abhängt. Er beträgt 1/Mindestreservesatz. (Im Beispiel mit 0.1 als Mindestreservesatz beträgt der Geldschöpfungsmultiplikator 10.) Eine natürliche Begrenzung der Geldschöpfung ergibt sich dadurch, dass die Banken in der Lage sein müssen, ihren Kunden auf Verlangen Bargeld auszuzahlen. Dazu müssen sie eine Sicherheitsreserve in Bargeld halten, die erwähnte Liquiditätsreserve, und können die Einlagen nicht in voller Höhe für Kredite bereitstellen. Die Seite - 24 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Liquiditätsreserve muss nicht den vollen Bestand an Sichtguthaben umfassen, weil das einmal eingezahlte Bargeld von den Bankkunden praktisch nie mehr in vollem Umfang zurückgezogen wird – bargeldloses Zahlen ist vorteilhafter. Die Krediterteilung von jeweils neun Zehnteln der eingezahlten Bargeldmenge bei einer Sicherheitsreserve von zehn Prozent wie im Beispiel entspricht der üblichen Größenordnung. Dieses Verhältnis kann je nach dem Bedarf der Banken an Sicherheitsreserve schwanken. Steigt dieser Bedarf, so nimmt ihre Krediterteilungsfähigkeit ab, und die Buchgeldmenge muss sinken. Die Krediterteilung von neun Zehnteln führt in der Praxis zu einer Buchgeldmenge, die das Zwei- bis Zweieinhalbfache derjenigen Bargeldmenge ausmacht, die sich in der Bevölkerung in Umlauf befindet. Nach einer Krediterteilung, die auf eingezahltem Bargeld beruht, können zwei verschiedene Zahlungen gleichzeitig und nebeneinander ausgeführt werden, wo zuvor nur eine einzige möglich war, nämlich einerseits durch Weitergabe von Bargeld außerhalb des Bankensystems, andererseits durch Überweisen von Buchgeld innerhalb des Bankensystems. Diese Möglichkeit besteht, weil nun Bargeld und Buchgeld gleichzeitig im Spiele sind, anstatt nur Bargeld allein. Das über den Kredit wieder ausgegebene Bargeld kann ein weiteres Mal und von einem neuen Besitzer auf ein Sichtguthabenkonto eingezahlt werden, entweder auf sein eigenes oder auf dasjenige eines anderen. Dieses mehrfache Verwenden des gleichen Bargeldes in abnehmendem Umfang ist Grundlage der multiplen Geldschöpfung der Geschäftsbanken. Charakteristisch dabei ist das wiederholte Wechseln der Art des Zahlungsmittels zwischen Bargeld und Buchgeld. Die multiple Geldschöpfung ist Voraussetzung und Erklärung der Tatsache, dass die Buchgeldmenge wesentlich größer sein kann und ist als die Bargeldmenge. Auf die gleiche Weise konnte vor der Zeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs aus einer begrenzten Menge Münzgeld eine wesentlich größere Menge Banknotengeld entstehen. Geschäftsbanken können von sich aus und absichtlich keine (aktive) Buchgeldschöpfung betreiben, wenn sie keine neuen Bareinlagen erhalten, weil sonst ihre Bilanzen aus dem Gleichgewicht geraten würden. Die multiple Buchgeldschöpfung ist ein allgemeiner banktechnischer Vorgang, der bei den Banken unbeabsichtigt (passiv) abläuft und ihnen oft nicht bewusst ist, weil jeder der daran beteiligten Vorgänge ein einzelnes unabhängiges Bankgeschäft darstellt. Obwohl dadurch die Geldmenge mit der Gefahr der Inflation zunimmt, tragen die Banken selbst keine Verantwortung dafür. Stattdessen sucht die Zentralbank diesen Prozess durch das Festlegen ihrer Zentralbankzinssätze und – sofern praktiziert – des Mindestreservesatzes zu steuern, die den Geschäftsbanken das Erteilen von Krediten verteuern oder verbilligen und sie dadurch zum Eindämmen oder Ausweiten ihrer Kredite und damit der Buchgeldmenge motivieren. Um die Geldschöpfung der Geschäftsbanken völlig auszuschalten, wurde schon eine 100-prozentige Mindestreserve gefordert, so von Milton Friedman. 6 Grundzüge der Fiskalpolitik 6.1 Nachfrageseitige Fiskalpolitik Expansive (nachfragesteigernde) fiskalpolitische Instrumente sind z.B. • • • • Senkung der Einkommensteuer und der Verbrauchsteuern Vergabe von öffentlichen Aufträgen Ausbau von Sozialleistungen Förderung von Beschäftigungsprogrammen Restriktive (nachfragesenkende) fiskalpolitische Instrumente sind z.B. • • Erhöhung von Einkommen- und Verbrauchsteuern Verringerung öffentlicher Aufträge © GOING PUBLIC! Seite - 25 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ • Abbau von Sozialleistungen 6.2 Angebotsseitige Fiskalpolitik Die angebotsorientierte Fiskalpolitik unterstützt im Gegensatz zur oben beschriebenen nachfrageorientierten Fiskalpolitik die Angebotsseite, also die Unternehmer. Diese wird aus diesem Grunde auch als Unternehmerpolitik bezeichnet. Im Mittelpunkt der angebotsorientierten Fiskalpolitik steht die Schaffung optimaler finanzieller Rahmenbedingungen für Unternehmen. Diese können entstehen durch: • • • • Senkung der Unternehmenssteuern Senkung der Sozialabgaben Abschreibungserleichterungen und großzügige Abschreibungsregelungen Subventionen Auch durch die angebotsorientierte Fiskalpolitik können Probleme entstehen: • • • • soziale Probleme können verstärkt werden, das Reich-Arm-Gefälle wird größer Arbeitnehmer sind immer mehr von den Arbeitgebern abhängig (z. B. durch Lockerung des Kündigungsschutzes) Einsparungen durch Steuersenkungen werden häufig nicht in inländische Produktionspotentiale gesteckt, sondern ins Ausland Selbstheilungskräfte des Marktes werden überschätzt (z. B. keynsianische Arbeitslosigkeit kann ohne Eingriffe des Staates nicht behoben werden) 6.3 Antizyklische Fiskalpolitik Um die beispielsweise im deutschen Stabilitätsgesetz festgelegten Ziele zu erreichen, muss der Staat den Konjunkturschwankungen entgegenwirken. In Phasen der Rezession und der Depression wird der Staat versuchen, die Konjunktur zu beleben. In Phasen der Hochkonjunktur wird er dagegen versuchen, die Konjunktur zu bremsen, um eine Inflation zu vermeiden. Da auf diese Weise dem Konjunkturzyklus entgegengewirkt wird, spricht man von einer antizyklischen Fiskalpolitik. In Zeiten des Abschwungs sinken die Staatseinnahmen. Trotzdem muss der Staat die Ausgaben erhöhen, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu erhöhen. Die staatlichen Maßnahmen werden entweder aus der Konjunkturausgleichsrücklage oder durch Staatsverschuldung finanziert (deficit spending). In Zeiten der Hochkonjunktur steigen die Staatseinnahmen wieder und der Staat drosselt seine staatlichen Maßnahmen. Die antizyklische Fiskalpolitik versucht durch Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die Konjunktur zu beeinflussen und somit die Wirtschaftsschwankungen auszugleichen. Außerdem versucht der Staat in der Aufschwungphase durch Sparmaßnahmen Puffer für die später erwartete Rezession zu schaffen um Engpässe unproblematisch überstehen zu können. Konjunkturschwankungen entstehen vor allem aus dem Missverhältnis von Angebot und Nachfrage. Aus diesem Grund wird sie auch als nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik bezeichnet. Man ging lange Zeit davon aus, mit diesen Mitteln konjunkturpolitische Schwankungen weitgehend vermeiden zu können. Wirtschaftskrisen Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre haben allerdings die Wirksamkeit dieser Politik in Frage gestellt. Die Kritik der antizyklischen Fiskalpolitik setzt an folgenden Punkten an: • Die Auslandsnachfrage lässt sich fast nicht beeinflussen. Internationale Zwänge erlauben darüber hinaus kein allzu übermächtiges Gegensteuern. Seite - 26 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ • Bei allen wirtschaftspolitischen Instrumenten treten Wirkungsverzögerungen (sog. Timelags) auf. Das kann dazu führen, dass die Maßnahmen erst dann greifen, wenn bereits eine andere Konjunkturphase eingetreten ist, so dass sie sich kontraproduktiv auswirken. • Die Reaktionen der Wirtschaftssubjekte sind nicht vorhersehbar. Eine Steuersenkung muss z.B. nicht unbedingt höhere Ausgaben auslösen, sondern sie kann auch zu einer höheren Sparquote führen. • In Zeiten leerer Staatskassen sind expansive Maßnahmen nur zu Lasten der Staatsverschuldung möglich (sog. Deficit-spending). Eine hohe Staatsverschuldung kann jedoch inflationäre Tendenzen auslösen und schränkt die zukünftige Handlungsfähigkeit des Staates ein. • Ein Teil der Wirtschaftstheoretiker bezweifelt grundsätzlich die Wirksamkeit fiskalpolitischer Maßnahmen. Sie führen an, dass höhere Staatsausgaben zu einem Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus führen würden, wodurch private Investitionen zurückgedrängt würden (crowding out). Dadurch blieben Produktion und Beschäftigung unverändert. In der Vergangenheit wurden die fiskalpolitischen Instrumente oft falsch gehandhabt, da strukturelle Probleme mit konjunkturpolitischen Instrumenten bekämpft wurden. Dadurch entstanden strukturelle Haushaltsdefizite. Außerdem wurden keine Überschüsse für den Konjunkturausgleich stillgelegt, wie es eigentlich im Gesetz vorgesehen ist. 6.4 Effekte der Fiskalpolitik Die Effekte bewirken, dass kleine Veränderungen bei den Staatsausgaben große Veränderungen in der Konjunktur bewirken können. Es wird zwischen dem Multiplikatoreffekt und dem Akzeleratoreffekt unterschieden: • Multiplikatoreffekt Durch Staatsausgaben erhöht sich das Volkseinkommen. Die Zahlungen des Staates gehen entweder direkt an die privaten Haushalte (z. B. Kindergeld, Arbeitnehmersparzulage) oder indirekt über die Unternehmen. Dadurch wird eine zusätzliche Nachfrage ausgelöst, die um ein vielfaches höher ist, als die eigentlichen zusätzlichen Staatsausgaben. • Akzeleratoreffekt Die sich aus dem Multiplikatoreffekt ergebende erhöhte Nachfrage führt zu Kapazitätsauslastungen in den Unternehmen. Um Engpässe zu beseitigen, sind die Unternehmen "gezwungen", Investitionen zu tätigen. Dieser Effekt vom erhöhten Volkseinkommen zu den erhöhten Investitionen wird als Akzeleratoreffekt bezeichnet. 7 Strukturpolitik 7.1 Ziele und Instrumente Sektorale Strukturpolitik hat das Ziel, das Wachstum einzelner Sektoren der Volkswirtschaft oder, innerhalb eines Sektors, das einzelner Branchen zu fördern bzw. Schrumpfungsprozesse zu verlangsamen. Die Förderung einzelner Branchen der Industrie wird auch als "Industriepolitik" bezeichnet. Regionale Strukturpolitik will das wirtschaftliche Wachstum in bestimmten Regionen beeinflussen. Alle Bundesregierungen seit 1949 haben St. betrieben: Sektorale Förderung wurde vor allem der Landwirtschaft, dem Wohnungsbau, Bergbau und Verkehr, der Stahlindustrie und der © GOING PUBLIC! Seite - 27 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Stromerzeugung zuteil. Ab 1955 kam die Kernenergie, in den 60er Jahren der Schiffbau, die Luft- und Raumfahrt, in den 70er Jahren die Mikroelektronik hinzu. Von Anfang an gab es auch regionale Hilfsprogramme für West-Berlin, für die Zonenrand- und Grenzgebiete. Wichtigste Instrumente der Strukturpolitik sind, abgesehen von Infrastrukturmaßnahmen, Subventionen (Finanzhilfen und Steuerermäßigungen) an Unternehmen. Die sektorale Wirtschaftsstruktur kann außerdem durch Protektionismus (Zölle, Einfuhrkontingente, Selbstbeschränkungsabkommen oder administrative Handelsbeschränkungen) beeinflusst werden. Träger der Strukturpolitik sind vor allem der Bund, daneben die Länder, zunehmend auch die EU. Die Gemeinden fördern die Gewerbeansiedlungen außer durch Infrastrukturmaßnahmen durch das Anbieten und Erschließen verbilligter Grundstücke in beträchtlichem, wenn auch schwer quantifizierbarem Maße. 1966 versuchte die Bundesregierung Grundsätze für die Vergabe von sektoralen Strukturhilfen aufzustellen, um die Ausuferung von Subventionen einzudämmen. Diese Grundsätze sind in der Folge nicht geändert, sondern nur präzisiert worden. Folgende Ziele der Strukturpolitik werden heute angegeben: • • • Sozialverträgliche Gestaltung: Der Staat dürfe den Strukturwandel nicht behindern, müsse aber "bruchartige Entwicklungen mit unzumutbaren sozialen Härten" vermeiden helfen, er fördere daher die Anpassung an veränderte Wettbewerbsbedingungen. "Anpassungshilfen" zielten auf die Veränderung bestehender Strukturen und sollten nach einiger Zeit entbehrlich werden. Forschungs- und Technologieförderung durch "direkte Projektförderung" bei "risikoreichen, aufwendigen, die Privatwirtschaft überfordernden längerfristigen Forschungsvorhaben und Entwicklungen oder in besonders wichtigen branchenübergreifenden Schlüsseltechnologien sowie in Bereichen der staatlichen Daseins- und Zukunftsvorsorge". "Stärkung der technischen Leistungskraft der Unternehmen durch Produktivitäts- und Wachstumshilfen, z.B. Personalkostenzuschüsse für Forschung und Entwicklung, Förderung technologieorientierter Unternehmensgründungen, Förderung der Anwendung von Robotern in der Fertigungstechnik". 7.2 Bewertung der Praxis bis 1990 Die herrschende Meinung in der Ökonomie bewertet die bisher betriebene Strukturpolitik negativ. Entgegen der Zielsetzung der Bundesregierung sind die Erhaltungssubventionen keineswegs die Ausnahme: denn auch ein Teil der "Anpassungshilfen" ist zur Dauersubvention mit Erhaltungscharakter geworden (Schiffbau). Zudem erscheint die Begründung der größten Blöcke bei den Erhaltungssubventionen (Landwirtschaft, Bergbau) immer fragwürdiger (Subventionen). Volkswirtschaftlich besonders bedenklich ist, dass in den hochbegünstigten Branchen pro DM Hilfe relativ wenig an zusätzlichen Investitionen und Arbeitsplätzen gefördert worden sind (Gerstenberger 1987:7). Auch die Forschungs- und Technologiepolitik wirkt nicht überzeugend. Hohe Mitnahmeeffekte werden ebenso beklagt wie grundlegende Fehler bei der Planung, so Vergeudung von Milliarden bei einzelnen Projekten (Schneller Brüter!). Eine deutliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft durch die sektorale Strukturpolitik sei nicht festzustellen. Die regionale Strukturpolitik habe wenigstens verhindert, dass das Wohlstandsgefälle, gemessen an Durchschnittseinkommen und Höhe der Beschäftigung, zwischen den Wachstumszentren und den strukturschwachen Gebieten seit 1969 größer geworden sei. Auch dabei werden allerdings die "Mitnahmeeffekte" als hoch angesehen. Seite - 28 © GOING PUBLIC! Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Im Gegensatz zu der in Wirtschaft und Politik dominierenden, marktwirtschaftlich orientierten Lehrmeinung verlangten die Anhänger staatsinterventionistischer Lösungen Mitte der 70er Jahre, der Staat sollte von der unsystematischen, lediglich opportunistisch reagierenden St. abgehen und eine systematische St. betreiben. Das Spektrum dieser Forderungen reichte von der indikativen Strukturplanung bis zur imperativen Investitionslenkung. Indikative Strukturplanung arbeitet mit Prognosen der wahrscheinlichen und Projektion der erwünschten Entwicklung und gewährt Subventionen dem Unternehmen, das sich an die gewünschten Entwicklungsziele hält. Imperative Investitionslenkung zwingt die Unternehmen dazu, nach den Vorgaben zu investieren, weil die Kombination von Investitionsanreizen und Sanktionen (Verweigerung von Krediten, von Staatsaufträgen) ihnen keine andere Wahl läßt. 7.3 Tendenzen seit 1990 Zwischen 1990 und 1996 flossen in die östlichen Bundesländer öffentliche Mittel in Höhe von mehr als 750 Mrd. DM, die aus Subventionen, Steuererleichterungen und sonstigen Zuweisungen der verschiedenen Gebietskörperschaften gespeist wurden. Die deutsche Vereinigung und Entwicklungen in der EU haben die Diskussion über strukturpolitische Konzeptionen seit 1990 beherrscht. Die Politik der Treuhandanstalt (THA), insbesondere die Privatisierung in Ostdeutschland, hat notwendigerweise mit der vollständigen Veränderung der wirtschaftlichen Strukturen in den neuen Bundesländern die regionalen und Branchenstrukturen weitgehend bestimmt. Es verwundert daher nicht, dass die Politik der THA zum Kristallisationspunkt der strukturpolitischen Debatte in den neuen Bundesländern geworden ist. Von den drei Grundoptionen der THA - Privatisierung, Sanierung, Liquidierung - stand dabei die Sanierung mit staatlichen Mitteln und insbesondere die Erhaltung industrieller Kerne im Mittelpunkt. In Reaktion auf die Politik der THA entwickelten die neuen Bundesländer eigene Konzepte der regionalen Sturkturpolitik. Die rot-grüne Bundesregierung Schröder stellt ihre Strukturpolitik unter den Ansatz der ökologischen Modernsierung für Arbeit und Umwelt. Sie versucht den Umweltschutz mit Steuerund Energiepolitik zu verbinden. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bedeutet auch die zunehmende Einwirkung der EU-Organe auf die Strukturpolitik in D. So hat sich die EU-Kommission z.B. in Ostdeutschland nicht nur über die Mitfinanzierung am strukturpolitischen Entscheidungsprozess beteiligt, sondern auch über die Genehmigung großer Sanierungskonzepte. Allgemein hat die EU ihre Forschungs- und Technologiepolitik als Teil der Strukturpolitik beträchtlich ausgeweitet. Im Rahmen der im März 1999 auf dem EU-Gipfel in Köln verabschiedeten Agenda 2000 wurde auch eine Reform der Strukturfonds erreicht. Mittelfristig werden immer mehr Kompetenzen in der Forschungs- und Technologiepolitik auf die Gemeinschaft übergehen. Auch auf die sektorale und regionale Strukturpolitik der Einzelstaaten versucht die EU zunehmend Einfluss zu gewinnen. Sie kann sich dabei auf Art. 92 und 93 EWG-Vertrag stützen. Art. 92 verbietet Subventionen der Mitgliedstaaten, soweit sie den Handel zwischen ihnen beeinträchtigen, lässt aber Ausnahmen großzügig zu. Die EUKommission hat nach Art. 93 das Recht, diese Beihilfen zu überprüfen. Sie gerät dabei teilweise in Konflikt mit den Mitgliedsländern, insbesondere im Widerstreit zwischen "schützender" Struktur- und Öffnen der Wettbewerbspolitik. Ein Beispiel dafür ist die Kontroverse um die Zulässigkeit der Preisbindung im dt. und österreichischen Buchhandel. © GOING PUBLIC! Seite - 29 Skript zu „Wirtschaftspolitik“ Verwendete Literatur • Rainer Klump: Wirtschaftspolitik - Instrumente, Ziele und Institutionen. Pearson Studium, München 2006 • Kromphardt, J. 1982: Wirtschaftswissenschaft II: Methoden und Theoriebildung in der Volkswirtschaftslehre, HdWW, Bd. 9 • Pribram, Karl: Geschichte des ökonomischen Denkens. Übersetzung der Originialausgabe A History of Economic Reasoning. Erster und zweiter Band. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 1998. Seite - 30 © GOING PUBLIC!