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TOPICS
SCHADENSPIEGEL
Das Magazin für Schadenmanager
Ausgabe 1/2015
Katrina – 10 Jahre danach
Hurrikan Katrina hat 2005 in New Orleans
verheerende Schäden hinterlassen. Auch wenn sich
seither viel getan hat, sind längst nicht alle Wunden
verheilt. Was haben wir aus der Katastrophe in
den vergangenen zehn Jahren gelernt? SEITE 6
Marine
Wenn Schiffe
auseinanderbrechen
Flugzeugabsturz
Rasche Hilfe für
Angehörige
Jewellers Block
Mit der Axt zum
Juwelier
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
Vor zehn Jahren verursachte Hurrikan Katrina einen der bislang
teuersten Schadenkomplexe für die Versicherungswirtschaft überhaupt. In diesem Schadenspiegel-Heft befassen wir uns daher mit den
Lehren, die aus den Erfahrungen mit diesem Ereignis gezogen wurden.
Dies betrifft zum einen Vorsorgemaßnahmen durch staatliche Behörden oder private Eigentümer, die bei künftigen ähnlichen Natur‑
katastrophen das Ausmaß der Schäden begrenzen sollen, von einem
Ausbau der Deiche bis zu einer Verschärfung der Bauvorschriften.
Vor allem aber gehen wir der Frage nach, was die Versicherer seit
Katrina über den Umgang mit großen Naturkatastrophen dazugelernt
haben. Welche Konsequenzen hatte Katrina auf die Modellierung von
Naturkatastrophen, etwa im Hinblick auf das Zusammenwirken von
Sturm- und Flutschäden? Muss man künftig nach Naturkatastrophen
stets mit substanziellen Haftungsklagen rechnen, wie diese nach
Katrina erhoben wurden? Sind wir auf derartige Naturkatastrophen
heute insgesamt besser vorbereitet als vor zehn Jahren?
Neben Katrina steht in diesem Schadenspiegel-Heft eine Reihe
traditioneller Schadenszenarien im Mittelpunkt, die jeweils unter dem
Aspekt eines aktuellen Trends behandelt werden: Woran liegt es, wenn
Containerschiffe auseinanderbrechen, und wie bleiben die Kosten für
die Bergung der immer größeren Schiffe und ihrer Fracht nach solchen
Unglücken kalkulierbar? Wie können Schäden durch den Diebstahl von
Wertgegenständen wie Juwelen begrenzt werden, obwohl internationale Diebesbanden gleichermaßen auf brachiale Gewalt wie moderne
Technik zurückgreifen? In welchem Ausmaß müssen bei der Kalkulation
möglicher Verzögerungen bei Bauprojekten mittlerweile weltweit
neben Naturgefahren auch politische und haftungsrechtliche Ausein‑
andersetzungen in Betracht gezogen werden?
Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen
Tobias Büttner
Head of Corporate Claims bei Munich Re
NOT IF, BUT HOW
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
1
Auferstanden aus Katrina
An der östlichen Peripherie New Orleans wurden nach
einem Dammbruch die alten Häuser des Arbeiterstadtteils Lower Ward fortgerissen. Auf der lange Zeit brach
liegenden Fläche baute 2007 die von Brad Pitt gegründete „Make It Right Foundation“ hundertfünfzig Häuser.
Lower 9th Ward ist nur eines von unzähligen Bauprojekten nach der großen Katastrophe.
2
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
6
Inhalt
Die optimale Kombination aus Elastizität
und Steifigkeit des Stahls sorgt für die
Balance von Containerriesen wie der „MOL
Comfort“. Warum können Schiffe dennoch
auseinander brechen?
30
KATRINA
Katrinas Vermächtnis
Die Auswirkungen des Wirbelsturms spüren wir bis
heute. Ein Rückblick zum 10. Jahrestag.
6
Der Klimaaspekt des Hurrikanrisikos
Beeinflusst der Klimawandel die Häufigkeit und die
Stärke von Hurrikanen?
10
Große Fortschritte beim Hochwasserschutz Schutzmaßnahmen senken das Hochwasserrisiko.
14
Betriebsunterbrechung und Wide Area Damage
In welchem Umfang werden Schäden erstattet?
19
Eine neue Ölpipeline sollte quer durch ein
Vulkangebiet in den Anden verlaufen.
Noch während des Baus brach der Reven‑
tador aus.
46
AVIATION
Optimale Hilfe in Notfällen
Das Unternehmen Fireside Partners Inc.
unterstützt Fluggesellchaften, Versicherungen
und Angehörige nach einem Unfall.
MARINE
Größter Schaden in der Containerschifffahrt
Der Untergang der „MOL Comfort“ 2013
Dem Schwachpunkt auf der Spur Wenn Schiffe in der Mitte auseinanderbrechen
JEWELLERS BLOCK
Mit der Axt zum Juwelier
Bei Raubüberfällen schrecken die Täter vor kaum
etwas zurück. Die Schäden gehen in die Millionen.
28
30
38
42
Schadenmodellierung nach Katrina Risikomodelle unter der Lupe
20
Katrina 2015: Was wäre wenn?
Wie die neuen Erdgas-Terminals die Exponierung der
Region verändern.
24
ENGINEERING
Pipelinebau mit Hindernissen
46
Vulkanausbruch beschädigte die Trasse einer Pipeline.
„Katrina war in vieler Hinsicht außergewöhnlich“
27
Vorstand Peter Röder über die Versicherung von Sturm
und Sturmflut
Vorwort1
Unternehmensnachrichten4
Rezension41
Kolumne48
Impressum
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
3
NACHRICHTEN
MÜNCHENER RÜCK STIFTUNG
NATHAN MOBILE
IBHS
Vom Wissen zum Handeln
An jedem Ort, zu jeder Zeit
Fortschritte bei der
Erforschung von Hagel
Wissen verpflichtet – und wer verantwortlich handelt, teilt sein Wissen.
Aus diesem Grund hat Munich Re
2005 die Münchener Rück Stiftung
gegründet. Mit dem Anspruch „Vom
Wissen zum Handeln“ arbeitet das
Team der Stiftung seither daran,
Risiken zu minimieren und Menschen in Risikosituationen wirksam
zu helfen. Wissensaufbau, Aufklärung und direkte Hilfe vor Ort gehen
dabei Hand in Hand. „Die inter­
nationale Mikroversicherungskon­
ferenz, unsere Nebelnetzprojekte
in Marokko und Tansania, die Frühwarnsysteme in Mosambik und
Tonga“, berichtet Thomas Loster,
CEO der Stiftung, „sind erfolgreiche
Beispiele aus zehn Jahren Stiftungsarbeit, auf die wir sehr stolz sind.“
Mit dem neuen Modul der NATHAN
Risk Suite können Risikomanager
jetzt jederzeit und an jedem Ort der
Welt Naturgefahrenanalysen durchführen und Bewertungen miteinander vergleichen. Da NATHAN Mobile
direkt an die NATHAN Datenbank
angebunden ist, haben Risikoprüfer
immer Zugriff auf die aktuellen
Daten.
Das amerikanische Insurance Institute for Business & Home Safety
(IBHS) vermeldet Fortschritte bei der
Erforschung von Hagelstürmen. Im
Rahmen eines mehrjährigen Projekts
wurden 2014 nicht nur mehr natür­
liche Hagelkörner vermessen als je
zuvor, auch die Hagelerkennung
durch sogenannte Polarimetric
Radar Detection wurde verbessert.
Für den schnellen Überblick dient
der Overall Risk Score. Er stellt eine
absolute Maßzahl für die Höhe des
Naturgefahrenrisikos in der Sach­
versicherung dar und beinhaltet die
Gefahren Erdbeben, Tropischer
Sturm, Wintersturm, Tornado, Hagel,
Sturzflut, Sturmflut und Überschwemmung.
Das IBHS-Projekt soll zum einen den
Einsatz von künstlichem Hagel bei
Baustoff- und Konstruktionstests
realistischer machen, zum anderen
die Vorhersage von Hagelstürmen
verbessern. Beides dient letztendlich
der Minderung von Hagelschäden.
Das IBHS wird u. a. von Munich Re
America, Inc. finanziell unterstützt.
>> Mehr Informationen unter:
www.munichre.com/corporateresponsibility
>> Mehr Informationen unter:
www.munichre.com/de/nathan
>> Mehr Informationen unter:
www.disastersafety.org
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mit uns die Themen, die die Assekuranz bewegen: in interessanten
Artikeln, spannenden Videos oder
ganz aktuell durch „live tweets“
von Firmenveranstaltungen oder
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NACHRICHTEN
Marine
„Costa Concordia“ – drei Jahre später
noch kein Ende
Die im Januar 2012 havarierte „Costa Concordia“ hat ihren
letzten Bestimmungsort erreicht und wird im Hafen von Genua
bis Mitte 2016 abgewrackt. Auch die juristische Aufarbeitung
ist noch nicht beendet. Olaf Köberl bei Munich Re Global
Marine Partnership erläutert den Stand der Dinge.
Schadenspiegel: Wie viel hat die
Bergung der „Costa Concordia“ bisher gekostet?
Olaf Köberl: Im Rahmen der Protection & Indemnity-Versicherung sind
bislang Kosten von rund 1,5 Milliarden US-Dollar angefallen, unter
anderem für die Kompensation von
Personenschäden, die Bergung und
das Abschleppen des Wracks sowie
für das Abwracken. Die Schadensumme wurde zuletzt Mitte 2014 um
mehr als 250 Millionen Dollar nach
oben korrigiert, weil für die Bergung
und das Abschleppen zusätzliche
technische Arbeiten nötig waren.
Lassen sich durch das Abwracken
nennenswerte Erlöse erzielen,
die man gegenrechnen könnte?
Verwerten lässt sich allenfalls der
Stahl. Bei heutigen Schrottpreisen
wird das kaum mehr als zehn
Millionen Euro bringen. Dem steht
der hohe Aufwand für die personal‑
intensive Demontage gegenüber.
Zudem müssen Kunststoffe und
Mobiliar teuer entsorgt werden.
Was erwarten Sie vom Berufungsverfahren, das Unglückskapitän
Francesco Schettino nach seiner
Verurteilung zu 16 Jahren Haft angestrengt hat?
Wir gehen nicht davon aus, dass das
Berufungsgericht bezüglich der
Schuldfrage zu einer grundsätzlich
anderen Einschätzung kommen wird.
Für die Versicherer dürfte somit alles
beim Alten bleiben, denn die strafrechtliche Schuldfeststellung hat
Indizwirkung auf die zivilrechtlichen
Klagen von Behörden oder Gebietskörperschaften gegen Reederei und
Kapitän. Nach Presseberichten steht
hier eine Summe von 200 bis 250
Millionen Euro im Raum.
Olaf Köberl ist Kapitän und
Senior Legal Counsel Claims
bei Munich Re Global Marine
Partnership.
Wie ist der Stand der Dinge bei den
Zivilprozessen der Passagiere gegen
die Reederei?
Mit dem Großteil der Passagiere hat
sich die Reederei bereits geeinigt.
Offen sind vor allem noch die Ent‑
schädigungen für die Todesopfer,
weil man hier die Klärung der
Schuld­frage im Strafprozess abwarten wollte.
Welche Lehren ziehen die Versicherer aus der Katastrophe?
Aufgrund immer größerer Passagierund Frachtschiffe steigen die
Bergungskosten. Seitens der Rückversicherer, die bei der „Costa Concordia“ über 90 Prozent der Schäden
schultern mussten, gab es Bestrebungen, das Bergungsrisiko analog
zu Ölverschmutzungsschäden zu
isolieren, was der Markt nicht umgesetzt hat. Herausforderung bleibt,
die Wiederkehrperiode eines solchen
Ereignisses richtig einzuschätzen.
Hier weichen die Annahmen von
Munich Re und des P&I-Marktes voneinander ab.
Wurden Bestimmungen für neue
Sicherheitsstandards bzw. ein besseres Notfalltraining der Mannschaft
an Bord vorangetrieben?
Die Reederei der „Costa Concordia“
hat prompt reagiert und die Standards auf der Brücke bezüglich
Navigation und Routenplanung verschärft. Auch das Maritime Safety
Committee der International Maritime Organization hat seine Sicherheitsempfehlungen angepasst.
Passagiere sollen jetzt möglichst
noch vor dem Auslaufen mit Evakuierungsmaßnahmen vertraut gemacht
werden. Ein Problem bleibt der Kostendruck der Reedereien. Dadurch
kommt immer weniger qualifiziertes
Personal an Bord der Schiffe zum
Einsatz. Man sollte beachten, dass
die gesamte Besatzung, inklusive
des wenig erfahrenen Reinigungsund Servicepersonals, im Unglücksfall häufig eine maßgebliche Rolle
im Sicherheitskonzept spielt.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
5
KATRINA
Katrinas Vermächtnis
Nach einer bereits äußerst lebhaften Hurrikan­
saison bildete sich am 23. August 2005 über den
Bahamas das zwölfte tropische Tiefdruckgebiet.
In weniger als einer Woche entwickelte es sich zu
einem der gewaltigsten Wirbelstürme, die jemals
im Atlantik beobachtet wurden. Für die USA
wurde Katrina zur verheerendsten Katastrophe
in der Geschichte.
6
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
7
KATRINA
von Mark Bove
Katrina war zunächst als Tropensturm eingestuft, zog
langsam westwärts über die Bahamas und verstärkte
sich weiter, als er sich der Halbinsel Florida näherte.
Am 25. August, nur zwei Stunden vor dem Auftreffen
auf Land zwischen Miami und Fort Lauderdale,
erfolgte die Klassifizierung als Hurrikan. Er wütete in
Südflorida mit dauerhaften Windgeschwindigkeiten
von 130 km/h und verursachte kleinere Gebäude­
schäden sowie weiträumige Stromausfälle. Nachdem
der Hurrikan über den Miami-Dade County hinweg­
gefegt war, schwächte er sich zu einem tropischen
Sturmtief ab und gelangte am 26. August wieder in
den Golf von Mexiko.
Auf dem offenen Meer baute Katrina stetig Intensität
auf und wuchs über den nördlichen Florida Keys
erneut auf Hurrikanstärke an. Der Sturm zog im Zen­
trum des Golfs über ein ungewöhnlich warmes,
­ringförmiges Strömungsband hinweg, dessen Tempe­
raturen an der Oberfläche um 1 bis 2 °C über dem
langjährigen Durchschnitt lagen.
Dieses ungewöhnlich warme Wasser trug dazu
bei, dass sich Katrina rasch intensivierte. Der Hurri­
kan erreichte schließlich am 28. August die Kategorie 5 – mit dauerhaften Windgeschwindigkeiten
von 280 km/h. In diesem Zeitraum erweiterte sich
auch das Windfeld des Sturms drastisch, das noch
bis zu 160 Kilometer entfernt vom Auge Hurrikan­
stärke erreichte.
Glücklicherweise schwächte sich Katrina südöstlich
von Louisiana am Morgen des 29. August auf Kate­
gorie 3 mit Windgeschwindigkeiten von 200 km/h
ab. Der Wirbelsturm zog direkt nach Norden gut
40 Kilometer östlich an New Orleans vorbei, bewegte
sich noch einmal kurz über den Golf von Mexiko und
traf schließlich nahe der Grenze zwischen Louisiana
und Mississippi zum letzten Mal auf Land. Trotz
Abschwä­chung verursachte Katrina beträchtliche
Sturmschäden entlang der US-Golfküste und bis
200 Kilometer ins Landesinnere.
Die Sturmflut
Die schlimmsten Verwüstungen an der nördlichen
Golfküste richtete allerdings die Sturmflut an. Im
Gegensatz zum Wind hatte sie nicht genügend Zeit,
sich vor dem Auftreffen auf Land abzuschwächen.
Die Flut war somit wesentlich stärker, als es bei einer
solchen Sturmintensität zu erwarten gewesen wäre.
Im südöstlichen Louisiana und entlang der Küste, der
Back Bays und der Bayous des Mississippi erreichten
die Flutwellen mehr als neun Meter und zerstörten
praktisch alles, was sich ihnen in den Weg stellte.
Nach Osten Richtung Alabama und im Nordwesten
von Florida stieg das Wasser zwar weniger stark,
­richtete aber an der Küste auf einer Gesamtlänge von
320 Kilometern immer noch Schäden an.
Für New Orleans war das Auftreffen von Katrina der
Beginn einer nie dagewesenen Katastrophe. Die
Stadt ist praktisch von Wasser umgeben, im Süden
vom Mississippi und im Norden vom Lake Pontchar­
train. Da viele Stadtteile zudem unterhalb des Mee­
resspiegels liegen, wurde ein komplexes Deich- und
Pumpensystem installiert. Es soll vor Überschwem­
mungen schützen und überschüssiges Grundwasser
abpumpen. In den Tagen vor dem Auftreffen von
­Katrina ordneten die Behörden Zwangsevakuierun­
gen an, da man sich sorgte, ob die Deiche einem so
schweren Sturm standhalten würden. Vielen Einwoh­
ner fehlten allerdings die finanziellen Mittel, um die
Stadt zu verlassen, andere blieben trotz der Warnun­
gen in ihren Häusern.
Im überfluteten New Orleans watet ein
Mann am 30. August 2005 am Circle Food
Store vorbei, im Hintergrund die Skyline
(Bild oben). Unten dieselbe Ansicht fast
zwei Jahre später am 23. August 2007.
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Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
KATRINA
Wie befürchtet waren die Hochwasserschutzanlagen
der Sturmflut nicht gewachsen. Deiche wurden über­
spült oder brachen, Stromausfälle setzten die Pum­
pen außer Betrieb, sodass sich die „Schüssel“ von
New Orleans langsam mit Wasser aus dem Lake
Pontchartrain und dem Mississippi River-Gulf Outlet
(MRGO) Canal füllte. In einigen tiefer liegenden
Gebieten übertrafen die Flutpegel fünf Meter. Weil
das Wasser nicht ablaufen konnte, stand es über
mehrere Wochen in der Stadt, bis die Entwässe­
rungspumpen wieder in Betrieb genommen wurden.
Zurück blieben Schadstoffe und Abwässer, Gebäude
waren innen mit giftigem Schimmel überzogen. Ins­
gesamt waren 200.000 Wohn- und Geschäftshäuser
in der Stadt von der Überflutung betroffen.
Viele Todesopfer und Sachschäden
New Orleans erlebte eine humanitäre Katastrophe,
die das verheerende Ausmaß der Sachschäden noch
übertraf. Mehr als 1.000 Bewohner, die in der Stadt
geblieben waren, ertranken in den Fluten oder
­sta­rben mangels Trinkwasser und Lebensmitteln
oder an Krankheiten. Zahlreiche Einwohner suchten
im Superdome, einem Mehrzweckstadion, Schutz.
Allerdings herrschten dort bereits wenige Tage nach
dem Sturm katastrophale Zustände. Viele Einwohner
kehrten nie mehr nach New Orleans zurück. Bis heute
hat die Bevölkerungszahl den Stand vor Katrina nicht
mehr erreicht.
Das schiere Ausmaß der Schäden durch Katrina
sowie der Gesamtschaden aus den zwölf Stürmen,
die 2004 und 2005 in der Region auf Land trafen,
haben die Versicherungslandschaft in den hurrikan­
gefährdeten Bundesstaaten dramatisch verändert.
Viele Versicherer verringerten ihre Exponierung, vor
allem entlang der Küste, wodurch die Risiken bei den
staatlichen Versicherern zunahmen. In Gebieten, wo
sowohl Sturm als auch Hochwasser Schäden hinter­
ließen, wurden Gerichte bemüht, Ursache und
Deckung der Schäden im Rahmen von Wohngebäu­
deversicherungen zu ermitteln.
Wie bei allen großen Naturkatastrophen lassen sich
auch aus Katrina viele Lehren ziehen. Haben wir jetzt
ein besseres Verständnis davon, wie sich tropische
Wirbelstürme in einem veränderten Klima verhalten?
Welche Erkenntnisse haben wir über den Hochwas­
serschutz in den USA gewonnen? Wie hat sich die
Modellierung von Hurrikanrisiken verändert? Welche
Deckungsfragen hat Katrina aufgeworfen? Und wie
würden die Schäden aussehen, wenn ein solches
Ereignis heute stattfände?
Das Vermächtnis von Katrina wirkt bis heute nach.
Zum 10. Jahrestag dieses außergewöhnlichen Ereig­
nisses laden wir Sie zu einem Rückblick ein. Wir
befassen uns mit wichtigen Aspekten, die bis heute
nichts von ihrer Brisanz eingebüßt haben.
Katrina hat Gesamtschäden in Höhe von schätzungs­
weise 125 Milliarden US-Dollar verursacht. Davon
waren rund 60 Milliarden US-Dollar durch private
oder staatliche Versicherungen gedeckt (alle Scha­
denangaben in Werten von 2005). Bezüglich des
­versicherten Schadens rangiert Katrina – in Original­
werten – nach wie vor auf Platz eins der teuersten
Naturkatastrophen, und nur das Erdbeben und der
Tsunami in Japan 2011 verursachten einen noch grö­
ßeren Gesamtschaden. Glücklicherweise ging trotz
1,7 Millionen Schadenfällen und mehr als 40 Milliar­
den US-Dollar an privat versicherten Sachschäden
nur ein Versicherungsunternehmen in die Insolvenz.
Die übrigen versicherten Schäden von 15 Milliarden
US-Dollar übernahm das National Flood Insurance
Program (NFIP), das sich dazu hoch verschulden
musste. In der Folge wurden in den USA Forderungen
laut, dieses staatliche Hochwasserschutzprogramm
zu privatisieren.
UNSER EXPERTE:
Mark Bove ist Meteorologe in
Underwriting Services/Risk
Accumulation bei Munich
­Reinsurance America, Inc. Sein
Fachgebiet ist die Modellierung
von Naturkatastrophenrisiken in
den Vereinigten Staaten.
mbove@munichreamerica.com
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
9
KATRINA
Katrina und der Klimaaspekt
des Hurrikanrisikos
Die enorme Höhe des durch Katrina verursachten versicherten
Schadens von 60 Milliarden US-Dollar provozierte Fragen
für die Versicherungswirtschaft: Was bedeuten diese Ereignisse
für das Hurrikanrisiko der kommenden Jahre? Inwieweit hängt
diese Hochaktivität mit dem Klima zusammen?
von Eberhard Faust
Der Anstieg der Meeresoberflächentemperaturen
(MOT) sowie die Zunahme der tropischen Wirbel­
sturm­aktivität – Häufigkeit und maximale Intensität –
im Nordatlantik seit den 1970er-Jahren sind unbestrit­
ten. Die Ursachen dafür konnten jedoch bisher nicht
eindeutig festgestellt werden. Die Erklärungen rei­
chen vom Einfluss natürlicher Klimaschwankungen
bis zu Veränderungen in der Konzentration industriel­
ler Schwebeteilchen, sogenannter Aerosole, in der
Luft.
Was verursacht die erhöhten Meeresober‑
flächentemperaturen?
In unserer Hurrikanbroschüre von 2006 hatten wir
die Jahrzehnte übergreifenden Schwankungen der
durchschnittlichen MOT im Nordatlantik beschrie­
ben, die mit großskaligen Strömungsmustern im
Atlantik zusammenhängen. Letzteres ist als atlanti­
sche meridionale Umwälzbewegung (Atlantic Meridi­
onal Overturning Circulation AMOC) bekannt und
verantwortlich für den Anstieg der Hurrikanaktivität.
Sie gleicht einem ozeanweiten Förderband, das war­
mes und stark salzhaltiges Wasser aus dem tropi­
schen Teil des Nordatlantiks im Südwesten (Golf von
Mexiko, Karibik) in ein Gebiet von der Labradorsee
und vom südlichen Grönland bis nach Schottland
transportiert, wo das abgekühlte Oberflächenwasser
mit immer noch erhöhtem Salzgehalt absinkt und
„nordatlantisches Tiefenwasser“ bildet. Dies führt zu
einer kalten Strömung, die sich in großer Tiefe zurück
nach Süden bewegt. Die Verbindung zur AMOC
wurde bereits in der Studie von S. Goldenberg et al.
angedeutet, die 2001 im „Science Magazine“ veröf­
fentlicht wurde. Vor allem diese Arbeit hat begründet,
dass die Schwankung der gemittelten MOT über
mehrere Jahrzehnte hinweg – die atlantische multi­
dekadische Oszillation (AMO) – den wesentlichen
Antrieb für die Schwankung der Hurrikanaktivität
darstellt (Goldenberg et al., Science, 293, 2001).
10
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Bei näherer Betrachtung werden die wechselnden
aktiven beziehungsweise weniger aktiven Phasen als
Bestandteil der Jahrzehnte übergreifenden natürli­
chen Klimavariabilität eingeordnet. Sie sind mit Inter­
vallen höherer beziehungsweise niedrigerer mittlerer
MOT und Wärmegehalte im oberflächennahen Ozean
im tropischen Entstehungsgebiet der Hurrikane, das
heißt der Main Development Region (MDR, 5N-20N,
80W-20W), verbunden. Zusätzlich gehören sie dort
mit Perioden kleinerer beziehungsweise größerer ver­
tikaler Windscherung, das heißt Differenz zwischen
Winden in der Höhe und bodennah, zusammen sowie
mit höheren beziehungsweise niedrigeren Luftdruck­
werten im Meeresspiegelniveau. Mit anderen Worten:
Entstehung und Entwicklung von tropischen Wirbel­
stürmen werden lokal durch erhöhte MOT, niedrigere
Luftdruckwerte und verringerte vertikale Windsche­
rung begünstigt und durch die entgegengesetzten
Bedingungen eingeschränkt. Die aktiven warmen
Perioden (als Warmphasen bezeichnet) entsprechen
dem erhöhten Massentransport innerhalb der AMOC,
während die weniger aktiven kühlen Perioden (als
Kaltphasen bezeichnet) mit verringertem Transport
verbunden sind.
Eine viel diskutierte Klimamodell-Studie stellte kürz­
lich den mit der AMOC erklärten Mechanismus der
Jahrzehnte übergreifenden Variabilität der MOTs
infrage (Booth et al., Nature, 2012). Nach den Autoren
müssen Aerosole als Hauptverursacher dieser
Schwankungen der MOT im Nordatlantik betrachtet
werden, weil diese indirekt die Bewölkung und die
Reflexionseigenschaften der Atmosphäre verändern.
Somit bestimmen die Partikel, wie viel direkte Strah­
lung das Meer erreicht. Hohe industrielle Emissions­
raten von Aerosolen, vor allem von Schwefelaeroso­
len, wurden seit den 1970er-Jahren durch den Einbau
von Industriefiltern stark verringert, was zu einer
immer geringeren Abkühlung der Meeresoberfläche
beziehungsweise MOT-Zunahme geführt hat.
KATRINA
Die Ähnlichkeit von Zeitreihenmustern bei der MOT
zwischen Beobachtung und Simulation mit einem
Klimamodell, das Aerosole besser berücksichtigt, ist
beeindruckend. Allerdings konnten andere Forscher
nachweisen, dass die Ergebnisse des Modells nicht
mit den Beobachtungen übereinstimmen, wenn
andere Parameter als nur die räumlich gemittelten
MOT betrachtet werden, zum Beispiel das vertikale
Temperaturprofil (Zhang et al., J. Atmos. Sci., 2013).
Die Aerosol-Hypothese wird daher allgemein nicht als
Erklärung für den Hauptteil der beobachteten Varia­
bilität der MOT anerkannt, obgleich sie durchaus
einen Teil davon erklären mag.
Abb. 1 ist eine aufschlussreiche Darstellung der
Beziehung zwischen AMO-Phasen mit erhöhter oder
verringerter MOT im tropischen Atlantik (oberer Teil
des Diagramms) und der entsprechenden Anzahl der
Hurrikane im gesamten Becken. Die größeren Stürme
(Saffir-Simpson-Hurrikan-Skala SSHWS 3–5) sind
dabei hervorgehoben (unterer Teil des Diagramms).
Unterschiedliche Regime bei Hurrikanschäden
Der enge Zusammenhang zwischen der MOT und
Phasen der Hurrikanaktivität im nordatlantischen
Becken wirft die Frage auf, was die MOT mit auf Land
treffenden Stürmen und entsprechenden Schäden zu
tun hat. Da die Häufigkeit von Landtreffern deutlich
geringer ist als die von tropischen Wirbelstürmen im
Atlantik, ist es sinnvoll, Beobachtungen über einen
angemessenen Zeitraum zu sammeln, um die Signal­
stärke zu verbessern. Wir haben einen Zeitraum von
19 Jahren gewählt, was der statistisch ermittelten
Gedächtnislänge der atlantischen MOT entspricht
(Intervall bis zum ersten Nulldurchgang der Autokor­
relationsfunktion). Für den Zeitraum seit 1900 spie­
gelt die Anzahl der Landtreffer von benannten Stür­
men in den USA die Phasen mit erhöhten oder
verringerten MOT-Werten ausreichend gut wider
(Abb. 2).
Nicht nur das 19-jährig gemittelte Landtreffersignal,
sondern auch der gleitende 19-jährige Medianwert
der normalisierten Hurrikanschäden in den USA spie­
gelt die höheren und niedrigeren durchschnittlichen
Niveaus der MOT wider (Abb. 3).
Abb. 1: Tropische Wirbelstürme im Nordatlantik, 1851 bis 2014
Anzahl tropischer
Wirbelstürme
MOT-Anomalie (ºC)
30
30
0,75
25
25
20
20
15
15
10
10
5
5
0
0
0,5
0,25
0
–0,25
Regime kühlerer und wärmerer Meeres­
oberflächentemperaturen (Zeitreihe der
Anomalien im oberen Abbildungsbereich)
korrespondieren mit Aktivitätsperioden
schwerer Hurrikane (orangefarbene Bal­
kenabschnitte im unteren Bereich). Vor
Beginn der Beobachtungsflüge in den
1940er-Jahren und der Satellitenära in den
1970er-Jahren kamen die Beobachtungen
von Schiffen, und nicht alle Stürme wur­
den registriert.
2010
2000
1990
1980
1970
1960
1950
1940
1930
1920
1910
1900
1890
1880
1870
1860
1850
–0,5
Abweichung der Meeres­
oberflächentemperatur
(August bis Oktober) in der
Hauptentstehungszone
vom Mittel 1951 bis 1980
Multidekadische Regime
der Meeresoberflächen­
temperatur
Balken (linke
­Ordinatenskala):
Schwere Hurrikane
(SSHWS 3–5)
Schwache Hurrikane
(SSHWS 1–2)
Tropenstürme
Mittlere jährliche Anzahl
SSHWS 3–5 während der
Kaltphase
Mittlere jährliche Anzahl
SSHWS 3–5 während der
Warmphase
Quelle: Munich Re, 2015, und MOT-Daten
von NOAA (Kaplan)
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
11
KATRINA
Das gewählte Zeitfenster von 19 Jahren glättet die
Jahr-zu-Jahr-Veränderungen und fokussiert aus­
schließlich die Variabilität auf der Zeitskala von Jahr­
zehnten. Veränderungen innerhalb weniger Jahre
werden daraus nicht erkennbar. An der letzten Posi­
tion des 19-Jahre-Zeitfensters sind in Bezug auf Land­
treffer sehr aktive Jahre wie 2004, 2005 und 2008
enthalten, aber auch Jahre mit kaum vorhandenen
Landtreffern wie 1997 und 2010. In jüngster Zeit gab
es 2013 und 2014 erneut wenig Aktivitäten im Hin­
blick auf Entstehung, Entwicklung und Landtreffer
von Hurrikanen – vor allem aufgrund trockener Bedin­
gungen in der Troposphäre. Der letzte Landtreffer mit
schwerer Hurrikanintensität (cat 3–5) ereignete sich
bereits 2005. Unter Fachleuten wird die Möglichkeit
eines kommenden Wechsels von der aktuellen Warm­
phase zu einer neuen Kaltphase diskutiert. Jedoch
bieten die beobachteten Anomalien der MOT für
August bis Oktober bisher keine Anzeichen für eine
derartige Veränderung. Allerdings muss ein solcher
Übergang für künftige Jahre erwartet werden, und die
jüngst beobachtete niedrige Hurrikanaktivität ist
bemerkenswert.
Nach einer plausiblen Hypothese beeinflusst die
AMO die Hurrikanaktivität durch die räumliche Aus­
dehnung eines Bereichs mit hoher MOT von mindes­
tens 28,5 °C (Juni bis November), des sogenannten
atlantischen Warmpools (Wang et al., GRL, 38, 2011).
Die geografischen Eigenschaften des Warmpools
steuern die Entstehungsbereiche für tropische Wir­
belstürme, die mittlere vertikale Windscherung und
die räumliche Ausprägung des subtropischen Hochs
im Nordatlantik. Demnach gilt: Je größer der Warm­
pool, desto geringer die vertikale Windscherung,
desto weiter östlich können tropische Wirbelstürme
entstehen und desto schwieriger wird es aufgrund
einer Nordostverlagerung des steuernden Hochs für
die Stürme, auf Land zu treffen. Ein anderer plau­
sibler Ansatz betrachtet den Unterschied der mittle­
ren MOT zwischen dem tropischen Korridor um die
Erde und dem tropischen Atlantik im Besonderen.
Dieser könnte implizite Informationen zur großräumi­
gen mittleren vertikalen Windscherung und thermo­
dynamischen Instabilität im atlantischen Hauptent­
stehungsgebiet beinhalten. Der geglättete Verlauf
dieser Differenz ähnelt grob dem geglätteten Verlauf
der lokalen Zeitreihe der MOT im tropischen Atlantik.
Es lässt sich nur schwer bestimmen, welches Maß
geeigneter ist – hier halten wir uns an die lokalen
Anomalien der MOT.
Modellierung zukünftiger Änderungen
Da sich der Atlantik sowohl aufgrund der natürlichen
Klimaschwankung als auch durch den Klimawandel
erwärmt hat, scheint es plausibel, dass die Verände­
rungen bei der beckenweiten Sturmaktivität über die
vergangenen Jahrzehnte bereits zu einem gewissen
Grad vom Klimawandel beeinflusst wurden. Dies
lässt sich bisher nicht quantitativ verlässlich nachwei­
sen. Für Projektionen zukünftiger Entwicklungen
unter dem Klimawandel ist es wichtig, sich auf
12
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Abb. 2: Landtreffer tropischer Wirbelstürme in den USA,
1900 bis 2014
MOT-Anomalie (°C)
Jährliche Landtreffer
0,6
4,2
0,5
0,4
3,7
0,3
3,2
0,2
0,1
2,7
0
2,2
-0,1
1900
1920
1940
1960
19-jähriges gleitendes Mittel der Abwei­
chung der Meeresoberflächentemperatur
(August bis Oktober) in der Hauptentste­
hungszone vom Durchschnitt 1951 bis
1980 (trendbereinigt).
19-jähriges gleitendes Mittel von Land­
treffern (mindestens Tropensturmstärke)
in den USA.
1980
2000
Quelle: Munich Re, 2015,
und MOT-Daten von NOAA
(Kaplan)
Abb. 3: Normalisierte jährliche US-Gesamtschäden aus
t­ ropischen Wirbelstürmen, 1900 bis 2014
Normalisierter Jahresschaden
(Milliarden US-Dollar)
MOT-Anomalie (°C)
0,6
10
0,5
8
0,4
0,3
6
0,2
4
0,1
2
0
0
-0,1
1900
1920
1940
1960
19-jähriges gleitendes Mittel der Abwei­
chung der Meeresoberflächentemperatur
(August bis Oktober) in der Hauptentste­
hungszone vom Durchschnitt 1951 bis
1980 (trendbereinigt).
19-jähriger gleitender Median normali­
sierter jährlicher US-Gesamtschäden aus
tropischen Wirbelstürmen.
1980
2000
Quelle: Munich Re, 2015,
basierend auf SST-Daten
von NOAA (Kaplan)
KATRINA
Ensembles von hochauflösenden Klimamodellen zu
stützen, die in der Lage sind, die stärksten tropischen
Wirbelstürme annähernd realistisch zu simulieren.
Die neuesten Studien, die solche Modelle mit einem
mittleren Treibhausgas-Konzentrationsszenario
(RCP4.5) verwenden, erhalten für den Nordatlantik
die folgenden Ergebnisse (Knutson et al., Journal of
Climate, 26, 2013):
–Die Modelle projizieren eine erhebliche Zunahme
sehr starker Hurrikane (SSHWS 4–5) von rund
40 Prozent für die Zeiträume 2016 bis 2035 und
2081 bis 2100, relativ zum Bezugszeitraum 1986 bis
2005.
–Für beide Zukunftsintervalle wird relativ zum
Bezugszeitraum eine klare Zunahme der Hurrikan­
regenfälle im Bereich von 20 Prozent (innerhalb von
100 Kilometern Entfernung vom Sturmzentrum)
projiziert.
–Für die Gesamthäufigkeit tropischer Wirbelstürme
bilden Studien mit hochauflösenden Klimamodellen
für beide Zeiträume eine deutliche Verringerung im
Bereich von –20 Prozent ab. Allerdings gibt es
andere Studien, die insgesamt eine Zunahme proji­
zieren (Emanuel, PNAS, 2013).
–Bei regionaler Betrachtung zeigen die Modelle eine
Tendenz zu einer erheblichen Zunahme der Akti­
vität von sehr intensiven Hurrikanen (SSHWS 4–5)
in der Osthälfte des Golf von Mexiko einschließlich
Florida. Dies deckt auch den Großteil des von
Katri­na betroffenen Gebiets ab. Allerdings muss
dieses Ergebnis mit Vorsicht betrachtet werden, da
die Fähigkeit der Modelle zur Vorhersage von detail­
lierten regionalen Auswirkungen umstritten ist.
Es sollte angemerkt werden, dass diese Prognosen
keine natürlichen Klimaschwankungen wie die AMO
berücksichtigen. Nach einem nützlichen Gedanken­
experiment könnte eine zukünftige AMO-Kaltphase
eine gleichzeitige Zunahme von sehr starken Hur­
rikanen aufgrund des Klimawandels kompensieren,
damit effektiv keine feststellbare Veränderung dieser
Stürme bewirken. Allerdings könnte sich dies auch
andersherum entwickeln, indem eine AMO-Warm­
phase in der Zukunft die Auswirkungen des Klima­
wandels weiter verstärkt.
Finanzielle Auswirkungen
Im Rahmen eines „Business as usual“-Szenarios, bei
dem das globale Temperaturmittel um 3 °C gegen­
über der vorindustriellen Zeit ansteigt, wurden die
Anpassungskosten an den Meeresspiegelanstieg und
hurrikanbedingte Sturmfluten modelliert. Diese wur­
den als nicht diskontierte, aggregierte Kosten bis zum
Jahr 2100 bestimmt und beinhalten die Werte aufge­
gebener Immobilien, die Kosten für Bewehrung,
Strandaufspülung, Gebäude-Erhöhung und Rest­
schäden aufgrund von Sturmfluten. Sie belaufen sich
für New Orleans auf 40 Milliarden US-Dollar, mehr
als 17 Milliarden US-Dollar für Mobile (Alabama), rund
90 Milliarden US-Dollar für Tampa (Florida) und 125
Milliarden US-Dollar für Miami (Florida). Landesweit
werden diese Anpassungskosten mit etwa 1 Billion
US-Dollar abgeschätzt (Neumann et al., Climatic
Change, 2014).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass seit
2005 bedeutende Fortschritte beim Hurrikan-Risiko­
management erzielt wurden. Es entsprach den klima­
wissenschaftlichen Erkenntnissen, den Zeitraum ab
1995 als Regime erhöhter Hurrikanaktivität zu
betrachten, das sich nicht nur beckenweit manifes­
tiert hat, sondern auch im Hinblick auf Landtreffer
und entsprechende Schäden. Folglich stellen sich die
Eigenschaften von Landtreffer- und Schadenvertei­
lungen nach 1995 anders als zuvor dar. Das Muster
einer solchen Jahrzehnte übergreifenden Schwan­
kung zwischen Phasen niedriger und hoher Aktivität
kann im gesamten 20. Jahrhundert nachgewiesen
werden. Eine andere sachlich angemessene Entschei­
dung war, die für Katastrophen wie Katrina analysier­
baren Verstärkungsfaktoren für Großschäden fortan
bei der Risikomodellierung mit zu berücksichtigen.
Dies ist nur eine weitere von vielen Lektionen, die aus
den Hurrikankatastrophen 2004 und 2005 gelernt
wurden.
Die neuesten Projektionen der Aktivität von tropi­
schen Wirbelstürmen im Nordatlantik unter dem
zukünftigen Klimawandel erwarten eine Zunahme der
Häufigkeit sehr starker Hurrikane (SSHWS 4–5), die
in der Osthälfte des Golf von Mexiko und um Florida
herum besonders markant sein könnte. Weniger
starke Stürme könnten weniger häufig auftreten. Die
Regenfallmenge wird nach robusten Projektionen
nahe des Sturmzentrums deutlich ansteigen. Aller­
dings berücksichtigen diese Modellierungen nicht die
Jahrzehnte übergreifende natürliche Klimaschwan­
kung, die in den kommenden Jahrzehnten zum Bei­
spiel zu einer Kompensation zwischen AMO-Kalt­
phase und fortgesetztem Klimawandel führen könnte,
was die Auswirkungen auf Hurrikane angeht. Hohe
Kosten werden sich insbesondere aus der Anpassung
an Meeresspiegelanstieg und hurrikanbedingte
Sturmfluten in den Küstenstädten der USA ergeben,
besonders im Golf von Mexiko und in Florida.
Die zuletzt beobachteten Jahre mit niedriger Aktivität
werfen die Frage auf, ob wir dabei nur die Variabilität,
die innerhalb der Warmphase möglich ist, erleben
oder bereits der Änderungsdynamik der Jahrzehnte
übergreifenden Klimavariabilität folgen oder – als
dritte Möglichkeit – eine frühe Auswirkung des Klima­
wandels sehen, der nach einigen Modellprojektionen
die Gesamthäufigkeit von tropischen Wirbelstürmen
verringern soll.
UNSER EXPERTE:
Eberhard Faust ist leitender
Fachexperte für Naturgefahren
im Bereich Geo Risks Resarch/
Corporate Climate Centre.
efaust@munichre.com
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
13
KATRINA
Große Fortschritte beim
Hochwasserschutz
Hurrikan Katrina verursachte an der Küste von Louisiana und Mississippi
Verwüstungen in einem zuvor unbekannten Ausmaß. Der Sturm war
nicht nur ein Schock für die amerikanische Gesellschaft, sondern für die
ganze Welt. Die seitdem getroffenen Schutzmaßnahmen in New Orleans
haben das Überflutungsrisiko deutlich gesenkt.
von Wolfgang Kron
Ein Hurrikan an der Golfküste der USA ist kein seltenes Ereignis. Ein Volltreffer in New Orleans hingegen
schon. Diese Gegend war – auch bei mäßig starken
Stürmen – äußerst anfällig für Überschwemmungen
und einer hohen Wahrscheinlichkeit für den Verlust
von Menschenleben und Sachwerten ausgesetzt.
Jedes Ereignis ab einer Wiederkehrperiode von 50
Jahren konnte beträchtliche Folgen haben. Das Hurrikanschutzsystem der Stadt war aus Geldmangel
nicht fertiggestellt worden und basierte außerdem
auf veralteten Bemessungskriterien (IPET, 2009).
Fachleuten war die Gefahr einer Katastrophe
bewusst. Ein Artikel in der Zeitschrift „Civil Engineering“ (Brouwer, 2003) beschrieb detailliert, wie ein
Hurrikan New Orleans lahmlegen könnte und wie
dies zu verhindern wäre. Es wurde sogar eine Notfall-
Das 2,9 Kilometer lange Sperrwerk Inner
Harbor Navigation Canal mindert das
Sturmflutrisiko aus dem Lake Borgne und
dem Golf von Mexiko.
14
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
übung auf Basis des hypothetischen Hurrikans Pam
abgehalten, der etwa die gleiche Stärke wie Katrina
hatte. Aber weder die amerikanische Gesellschaft
noch die Bevölkerung vor Ort waren wirklich in Sorge.
Nicht umsonst wird New Orleans „The Big Easy“
genannt – der große Leichtsinn.
Katrinas Auswirkungen
Katrina bewegte sich als Hurrikan der Kategorie 5
über das offene Meer. Größe und Windfeld entsprachen einem Monstersturm. Er ließ – lange bevor er
das Land erreichte – den Wasserspiegel an der Küste
enorm ansteigen. Östlich von New Orleans hob er
sich um bis zu sieben Meter und entlang der Küste
des Staates Mississippi um bis zu neun Meter.
KATRINA
Abb. 1: Der Risikoprozess
Natürliche
Gefährdung
x
Systemverhalten
=
Überschwemmungsgefährdung
Überschwemmungs- x Auswirkungen
gefährdung
Sturmflut- und Wellenhöhen, ermittelt an
138 Stellen,
von 76 möglichen
Hurrikanen,
die meteorologische
Ereignisse mit Wiederkehrperioden zwischen
30 und 10.000 Jahren
repräsentieren.
Leistungsfähigkeit
der gesamten 560 km
langen Hochwasserschutzanlagen
1) vor Katrina
2) seit 2011
138 Abschnitte,
>350 Bauwerke und
Anschlüsse
=
Risiko
Wahrscheinlichkeit
und Intensität (Höhe)
der Überschwemmung
Mögliche Todesfälle in
Abhängigkeit von der
Überflutungshöhe
Erwartete mittlere
jährliche Anzahl von
Todesfällen
Vor Katrina und mit
neuen Hochwasserschutzanlagen
Mögliche Sachschäden
in Abhängigkeit von
der Überflutungshöhe
Erwarteter mittlerer
jährlicher wirtschaft‑
licher Schaden
Mit und ohne Pumpen
Auf Grundlage von
Bevölkerungszahlen und
Vermögenswerten vor
Katrina (2005)
Schema der IPET-Risikoabschätzung bei
der Untersuchung von New Orleans
Quelle: Munich Re nach IPET 2009
Es war die größte jemals in Nordamerika verzeichnete
Sturmflut. 200 Kilometer Küste wurden von Starkwinden und Überschwemmungen verwüstet. In New
Orleans, westlich des Landfallpunkts, verursachte
nicht der Wind, sondern die Überschwemmung die
meisten Schäden. Die Stadt, die praktisch von Wasser umgeben ist, verfügte nicht über aus­reichende
Hochwasserschutzeinrichtungen, um den Fluten zu
widerstehen. An mehr als 50 Stellen im Osten von
New Orleans und entlang der zahlreichen Kanäle in
die Stadt hinein brachen Deiche und Hochwasserschutzwände. Die „Badewanne“, in der New Orleans
liegt, füllte sich und blieb mehr als einen Monat lang
überschwemmt. Die Bevölkerung floh aus weiten
Teilen der Stadt, die sich von diesem Exodus bis
heute – zehn Jahre nach dem Ereignis – nicht wieder
erholt hat.
Die Reaktion
Etwas war schiefgelaufen, das war auf schmerzhafte
Weise klar geworden. Und das Ausmaß der Katastrophe war ganz bestimmt nicht allein auf die Sturmflut
zurückzuführen, auch wenn diese ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht hat. Weil Teile der Hochwasserschutzanlagen versagten – einige waren zu
niedrig, andere schlecht konstruiert, gewartet oder
gebaut –, konnte das Wasser in die Stadt vordringen.
Doch erst das Versagen der organisatorischen Strukturen ließ das Ereignis zu einer schweren Katastrophe
auswachsen. Mindestens 1.118 Tote wurden in Louisiana verzeichnet, die meisten davon im Raum New
Orleans. In New Orleans selbst entstanden Sachschäden in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar.
Um zu verstehen, was während Katrina geschah und
warum, wurde im Oktober 2005 die Interagency
Performance Evaluation Task Force (IPET) gegründet.
Sie setzte sich aus Wissenschaftlern und Ingenieuren
verschiedener Institutionen unter der Leitung von
Dr. Lewis E. Link von der University of Maryland
zusammen. Ziel dieser Arbeitsgruppe war es, das
Systemverhalten während Katrina zu analysieren und
zu bewerten und Erkenntnisse daraus dann bei der
Reparatur und dem Wiederaufbau des Sturmflutschutzes in und um New Orleans umzusetzen.
Umfassende Risikoanalyse
Der IPET-Bericht (IPET 2007–2009) vergleicht das
Überschwemmungsrisiko für New Orleans vor
Katrina mit dem nach der Fertigstellung des neuen
Hurricane and Storm Damage Risk Reduction System
(HSDRRS) im Jahr 2011. Das System ist auf eine Wiederkehrperiode von 100 Jahren ausgelegt. Der Bericht
enthält Karten mit Überflutungshöhen für verschiedene Wiederkehrperioden und Pumpleistungen sowie
für das Risiko des Verlustes von Menschen­leben und
Sachwerten in den beiden Wiederkehrperioden.
Die vielleicht wichtigste Information für alle Personen, Firmen und Einrichtungen in einem hochwassergefährdeten Gebiet ist, wie häufig und in welchem
Ausmaß Überschwemmungen zu erwarten sind.
Damit im Zusammenhang steht der erwartete Verlust
von Menschenleben und Sachwerten, also das Risiko.
Die IPET-Analyse in New Orleans verfolgte einen
wegweisenden Ansatz mit dem Ziel, derartige Informationen für ein großes Gebiet in ganz neuer Qualität
zur Verfügung zu stellen. Keine andere Küstenregion
in den USA verfügt heute über einen vergleichbar
umfassenden Kenntnisstand zu ihrem Risiko.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
15
KATRINA
Abb. 2: Erwartete Sachschäden in New Orleans
Vor Katrina HPS (2005)
< 10 %
10 – 30 %
30 – 50 %
50 – 70 %
70 – 90 %
>90 %
100 Jahre
500 Jahre
100 Jahre
500 Jahre
HSDRRS (2011)
50 Jahre
Relative Sachschäden (in Prozent) für verschiedene Wiederkehrperioden von Überschwemmungen unter den Bedingungen vor Katrina
2005 mit dem Hurricane Protection System
(HPS) (oben) und unter dem heutigen Hurricane and Storm Damage Risk Reduction System (HSDRRS). Die Pumpenkapazität wurde
jeweils bei 50 Prozent angesetzt. Die farbigen
Flächen stellen die verschiedenen Entwässerungsgebiete innerhalb der Stadt dar.
Quelle: Munich Re nach IPET 2009
Dabei stellt die Region New Orleans eine enorme
­Herausforderung für eine Risikoabschätzung dar. Sie
verfügt über 560 Kilometer Hochwasserschutzan­
lagen, über einen komplexen Küstenraum, beträchtliche Areale auf oder unter Meereshöhe sowie über
ausgedehnte Wohn-, Gewerbe- und Industriegebiete
mit unterschiedlichen Besonderheiten. Trotz aufwendiger und ausgeklügelter Analysen enthalten die
Ergebnisse noch immer erhebliche Unsicherheiten.
Sie sollten daher nicht als absolute, sondern als Vergleichsgrößen betrachtet werden. Insofern ist zum
Beispiel eine Schätzung der Schäden bei einem
100-jährlichen Hochwasser nicht als Prognose zu verstehen, sondern als ein Maß für potenzielle Schäden.
Im Fall eines Jahrhunderthochwassers hängt das
Schicksal von New Orleans davon ab, ob das Schutz­
system die hurrikanbedingten Fluten zurückhalten
kann. Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass
ein 100-jährliches meteo­rologisches Ereignis
ein 100-jährliches Hochwasser erzeugt. Wenn aus
einem Sturm eine Überschwemmung wird, spielen
unzählige Einflussgrößen eine Rolle, von meteoro‑
logischen über geografische bis zur Wirksamkeit des
Schutzsys­tems. All diese Aspekte hat die IPET-Studie
berück­sichtigt.
16
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Das IPET-Team betrachtete die gesamte Bandbreite
möglicher Hurrikane. Die daraus an verschiedenen
Stellen resultierenden möglichen Wasserstände
(Sturmfluthöhen plus Wellen) ließ man auf das
System einwirken, um dessen Verhalten zu studieren.
Dabei konnte auch die Zuverlässigkeit des Systems
unter verschiedenen Bemessungswerten beurteilt
sowie abgeschätzt werden, welche Gebiete bei verschiedenen Eintrittswahrscheinlichkeiten wie hoch
überflutet würden. Von ursprünglich 152 hypothe­
tischen Hurrikanen wurden 76 ausgewählt, um
detailliert die Sturmflut- und Wellenbedingungen zu
simulieren, die in die eigentliche Risikoanalyse einflossen. Erst durch Betrachtung all dieser Szenarien
erschließt sich die Risikosituation für New Orleans
als Ganzes.
New Orleans heute
Das seit 2011 bestehende Hurricane and Storm
Damage Risk Reduction System verringert die Überschwemmungsanfälligkeit für den Großteil der
Region New Orleans. Im gesamten Gebiet wurden
höhere und widerstandsfähigere Deiche und Hochwasserschutzwände errichtet, und an den Enden der
Ablaufkanäle, die New Orleans entwässern, wurden
KATRINA
Sperren und Notfallpumpen installiert. Die Pumpen
sind so ausgelegt, dass sie die Über­flutungshöhen bei
100- und 500-jährlichen Ereignissen deutlich senken.
Dies reduziert wiederum Schäden und die Gefährdung der Einwohner. Das 100-jährliche Ereignis wird
durch Niederschlag in New Orleans verursacht und
nicht aufgrund einer Überströmung oder durch Brechen des Hochwasserschutzes infolge einer Sturmflut. Da aber die Bemessung der Systeme die Unsicherheiten bei den 100-jährlichen Sturmflut- und
Wellenhöhen berücksichtigt, verringern sich auch die
Wahrscheinlichkeiten seltenerer Überflutungen bis
hin zu einem 500-jähr­lichen Ereignis deutlich.
Hinsichtlich der Pumpen betrachtete die IPET-Analyse zwei Szenarien, bei denen die Pumpleistung zu
100 Prozent und zu 50 Prozent verfügbar ist. Der
zweite Fall liegt näher an den praktischen Gegebenheiten, da die Entwässerungssysteme der Stadt, über
die das Wasser zu den Pumpen fließt, teilweise nicht
genügend Kapazitäten aufweisen.
Wenn auch einige Gebiete immer noch beträchtliche
Überschwemmungen und Schäden erleiden könnten,
so stellt die jetzige Situation doch die beste technische Risikominderung dar, die New Orleans je hatte.
Unter ähnlichen Evakuierungsbedingungen wie bei
Hurrikan Katrina wird erwartet, dass mit dem neuen
Schutzsystem im Fall eines Jahrhunderthochwassers
die Zahl der Todesopfer um bis zu 86 Prozent ohne
Pumpen und um bis zu 97 Prozent mit Pumpen
(bei halber Maximalleistung) sinkt. Auch bei einem
500-jährlichen Hochwasser verringert das Schutzsystem den potenziellen Verlust von Menschenleben
deutlich (98 Prozent). Die direkten Vermögensschäden würden im Fall eines 100-jährlichen Hochwassers um 90 Prozent und bei einem 500-jährlichen um
75 Prozent reduziert (im Vergleich zur Situation vor
Katrina ohne Pumpen und unter der Annahme einer
iden­tischen Verteilung und Gesamthöhe der Werte
wie 2005).
Es muss betont werden, dass sich die in Abbildung 2
gezeigte Schadenreduktion auf die Bevölkerungszahl
und die Werteverteilung vor Katrina im Jahr 2005
bezieht. Derzeit laufen weitere Studien, welche die
aktuellen Zahlen (das heißt weniger Menschen und
geringere Werte) berücksichtigen. Ihr Ziel ist es, eine
Risikoeinschätzung für die derzeitige Situation zu
erstellen sowie für künftige Szenarien mit einer wahrscheinlichen Zunahme beider Parameter (siehe
Interview auf Seite 18). Es muss außerdem bedacht
werden, dass New Orleans nicht der einzige Risikobrennpunkt ist. 2005 trat ein großer Teil der
Schäden – vor allem der ver­sicherten – entlang der
Küste im Osten von New ­Orleans auf, zum Beispiel in
den Casino- und Hotelbereichen von Biloxi, Mississippi. Der gesamte K
­ üstenstrich sollte daher betrachtet werden und nicht nur New Orleans.
Fazit
Eine 100-prozentige Minderung des Risikos kann
nicht erreicht werden, ungeachtet der Höhe und
Stärke der Deiche oder der Hochwasserschutzwände.
Um die Risiken weiter zu minimieren sollte die technische Verbesserung der Anlagen flankiert werden von
zusätzlichen nichttechnischen Maßnahmen. Dazu
gehören wirksame Evakuierungs- oder Notfallpläne,
welche die Gefährdung von Personen bei Überschwemmungen verringern. Hochwasserangepasstes
Bauen, die Trennung von Stadtteilen durch Zwischendeiche oder Landnutzungsvorgaben tragen zur Minderung von Sachschäden bei.
Die zentrale Frage lautet: Wie groß ist das Schadenausmaß einer Überschwemmung? Wenn sowohl die
Überflutungshöhe als auch die Schäden relativ gering
bleiben, ist das bestehende System erfolgreich.
Die Ergebnisse der IPET-Studien, vor allem die Risikoanalyse und die Bewertungsverfahren, bilden eine
solide Basis, um bessere Strategien und Pläne zur
Verringerung des Hurrikanrisikos zu entwickeln.
Quellen:
Brouwer, G. (2003): The Creeping Storm. Civil Engineering,
Juni 2003, 46–88.
IPET (2007–2009): Performance Evaluation of the New ­Orleans
and Southeast Louisiana Hurricane Protection ­System. Final
Report of the Interagency Performance Evaluation Task Force,
Volumes I–IX, März 2007 bis Juni 2009.
IPET (2009): A General Description of Vulnerability to Flooding
and Risk for New Orleans and Vicinity: Past, Present, and
Future. Supplemental Report of the Interagency Performance
Evaluation Task Force, Juni 2009 (https://IPET.wes.army.mil).
UNSER EXPERTE:
Wolfgang Kron ist Wasserbau­ingenieur und im Bereich
Geo Risks Research als Senior
Consultant u. a. zuständig für
Hochwasser und Sturmfluten.
wkron@munichre.com
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
17
KATRINA
Mit baulichen Maßnahmen allein ist
es nicht getan
Lewis E. Link, Senior Research Engineer und Professor im
Department of Civil and Environmental Engineering an der
University of Maryland im Gespräch mit Wolfgang Kron,
Hochwasserexperte von Munich Re.
Lewis E. Link leitete die
Post-Katrina Task Force IPET.
Wolfgang Kron: Katrina hat dazu
geführt, dass New Orleans hochwasserfest gemacht wurde. Ist die Stadt
jetzt sicher?
Lewis E. Link: Das Schadenrisiko
wurde drastisch reduziert, aber es
besteht immer noch ein bedeutendes
Restrisiko. Angesichts der Heraus­
forderungen durch das zukünftige
Klima kann keine Stadt am Meer als
sicher bezeichnet werden. Das
HSDRRS* ist eine sehr solide Grundlage, um das Risiko künftig noch weiter zu verringern.
War die Risikoanalyse etwas Neues?
Die risikobasierte Bemessung gibt es
bereits seit vielen Jahren. Allerdings
wurde sie nicht als routinemäßiger
Ansatz für Analysen zur Minderung
der Überschwemmungsgefährdung
verwendet, vor allem nicht für so ein
geografisch weiträumiges und komplexes Infrastruktursystem. Das war
zu diesem Zeitpunkt definitiv eine
nie dagewesene Analyse.
Wurden die baulichen Maßnahmen
gemäß der Risikoanalyse ausgeführt?
Die Risikoanalyse hat hinsichtlich
der Gefährdung eine völlig neue
Ebene der Differenzierung ermöglicht. Das hat die Bemessung erheblich beeinflusst. Anstatt statistisch
ermittelte Sturmflut- und Wellenhöhen zu verwenden, zum Beispiel das
100-jährliche Hochwasser, wurden
die Werte des 90. Perzentils herangezogen. So lassen sich Unsicher­
heiten berücksichtigen. Außerdem
wurde mithilfe einer Vielzahl von
18
Simulationen ermittelt, wie hoch die
Schutzanlagen sein müssen, damit
ein Überströmen nicht in einem
­inakzeptablen Umfang stattfindet.
Gegen ein Brechen bei Extremereignissen sind rückseitige Verstärkungen der Deiche als zusätzliche Maßnahmen geplant.
New Orleans dient oft als Beispiel,
wenn es um den ansteigenden Meeresspiegel geht. Wie sehen die Auswirkungen des Klimawandels für die
Stadt aus?
Obwohl das HSDRRS den Anstieg
des Meeresspiegels und das Absinken
des Untergrunds berücksichtigt,
wird es langfristig nicht ausreichen.
Solange New Orleans nicht den
Umgang mit dem Wasser innerhalb
der Stadt verändert, wird sie immer
weiter absinken. Zusammen mit dem
anhaltenden Verlust der umgebenden
Feuchtgebiete bedeutet dies ein stetig
wachsendes Risiko für New Orleans.
Kann Hurrikan Sandy in New York
im Jahr 2012 mit der Katastrophe
von New Orleans im Jahr 2005 verglichen werden?
Die direkten Sachschäden waren
beinahe gleich, aber zum Glück gab
es in New York wesentlich weniger
Todesfälle. Das lag größtenteils an
den Geländehöhen in diesem Gebiet
und an den niedrigeren Wasserständen bei Sandy. Allerdings war die
Vorbereitung in New York und New
Jersey vielleicht sogar noch mangelhafter, weil die Entwicklung in überschwemmungsgefährdeten Gebiete
über eine lange Zeit und weiträumig
stattgefunden hatte.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Kann New York widerstandsfähiger
gemacht werden?
Mit baulichen Maßnahmen allein ist
es nicht getan. Der New Yorker
Hafen kann zwar mit großen Sturmflutsperrwerken geschützt werden,
allerdings könnten sich dadurch die
Sturmfluthöhen außerhalb dieser
Barrieren drastisch erhöhen. Es wird
ein ganzes Maßnahmenpaket nötig
sein, und dazu gehören eine angemessene Flächennutzung und naturnahe Maßnahmen.
Gibt es in den USA weitere Problemgebiete, denen ähnliche Katastrophen wie in New Orleans oder New
York drohen könnten?
Leider ja. Miami, Tampa Bay, Boston,
Baltimore und Los Angeles gehören
zu den 20 Städten mit dem weltweit
größten Überschwemmungsrisiko.
Und in Houston wächst mit dem
Anstieg des Meeresspiegels auch
das Risiko schnell weiter.
Können wir Städte durch Hoch‑
wasserschutzanlagen vollständig
schützen?
Niemals. Aber wir können resiliente
Städte schaffen, also solche, die ein
Extremereignis besser verkraften.
Bauliche Verstärkungsmaßnahmen
sind für dicht besiedelte Stadtgebiete notwendig, aber nicht ausreichend. Wir müssen unsere Mentalität komplett ändern. Wir müssen
lernen, mit dem Wasser zu leben,
und natürliche Systeme zur Verbesserung unseres Wohlergehens und
zur Risikominderung nutzen.
*Hurricane
and Storm Damage Risk
Reduction System
KATRINA
Betriebsunterbrechung und Wide Area Damage
von Damian Cleary
Die Hurrikane Katrina und Rita, die im Jahr 2005
New Orleans heimsuchten, warfen unter anderem
die Frage auf, in welchem Umfang Betriebsunterbrechungsschäden (BU-Schäden) zu erstatten
waren. Wie lässt sich der Umfang eines BU-Schadens bestimmen, wenn die Betriebsunterbrechung
durch eine Kombination aus Schäden am Eigentum
des Versicherten und Schäden in der Umgebung
verursacht wurden?
Diese Frage war Gegenstand der Rechtssache Orient
Express Hotels gegen Generali [2010] EWHC 1186
(Comm). Unstrittig war, dass – wie üblich – nur solche
Folgen der Betriebsunterbrechung von der Police
gedeckt waren, die durch Schäden am Hotel des Versicherten entstanden sind. Außerdem waren in sehr
begrenztem Umfang BU-Schäden durch temporäre
Unannehmlichkeiten („Loss of Attraction“) und eingeschränkten Zugang („BU-Erweiterungen“) versichert.
Der Versicherer argumentierte jedoch, ein Großteil
der BU-Schäden von Orient Express sei durch Wide
Area Damage entstanden, wäre somit auch ohne
(„but for“) Schäden am Hotel eingetreten und sei
daher über die BU-Erweiterungen hinaus nicht
gedeckt (der dem kontinentaleuropäischen „conditio
sine qua non“-Test ähnliche „but for“-Test war als
Maßstab für die Ermittlung der Kausalität in der
Police ausdrücklich festgeschrieben).
Wie ist also das Ausmaß von BU-Schäden zu ermitteln, wenn diese teils auf Schäden am Eigentum des
Versicherten (von der Police gedeckt) beruhen und
teils auf Wide Area Damage (über die BU-Erweiterungen hinaus nicht von der Police gedeckt)?
Orient Express argumentierte, der übliche „but for“Kausalitätstest (Gewinn aus einem unbeschädigten
Hotel in einer beschädigten Stadt abzüglich tat­
sächlicher Gewinn des beschädigten Hotels in der
beschädigten Stadt gleich erstattungsfähige Gewinn­
einbuße) sei bei Wide Area Damage ungerecht. Aus
diesem Grund prüfte das Gericht, ob eine andere
Gegenüberstellung in solchen Fällen gerechter oder
angemessener wäre:
– Gewinn aus einem beschädigten Hotel in einer
beschädigten Stadt – dies entspräche dem tatsächlichen Sachverhalt und würde auf keinerlei Erstattung hinauslaufen.
– Gewinn aus einem unbeschädigten Hotel in einer
unbeschädigten Stadt – dies wäre so, als hätte es
keine Hurrikane gegeben, und würde zu einer
Erstattung von BU-Schäden führen, die nicht durch
Schäden am Hotel verursacht wurden, also von
Schäden, die über die BU-Erweiterungen hinaus
nicht von der Police gedeckt sind.
– Gewinn aus einem beschädigten Hotel in einer
unbeschädigten Stadt – dies wäre so, als hätten die
Hurrikane nur das Hotel getroffen, und hätte zur
Folge, dass BU-Schäden erstattet würden, die auf
Wide Area Damage in der Stadt basieren und nicht
auf Schäden am Hotel – also genau dem Gegenteil
des Wortlauts der Police.
Es überrascht daher nicht, dass das Gericht alle drei
Ansätze verwarf. Dem Gericht zufolge ist die auf der
„unbeschädigten Sache in einem beschädigten
Gebiet“ basierende Ermittlung des BU-Schadens einleuchtend.
Beispiel:
A storm caused damage to a hotel and the area around
it. Because of the storm, the hotel made a profit of
only US$ 5,000 compared to US$ 50,000 it would
have made without the storm. If the hotel had not been
damaged, but the surrounding area (“undam­aged hotel
in a damaged area”), the hotel would have made a
­profit of US$ 10,000. The hotel can only recover US$
10,000 – 5,000 USD = US$ 5,000.
Mit dieser Berechnung wird der Zweck des „but for“Kausalitätstests erfüllt: den Unterschied zu ermitteln
zwischen dem in einem großflächig beschädigten
Gebiet tatsächlich erzielten Gewinn und dem
Gewinn, der in einem großflächig beschädigten
Gebiet ohne Schäden an der versicherten Sache
erzielt worden wäre.
UNSER EXPERTE:
Damian Cleary ist Anwalt für
(Rück-)Versicherungsrecht bei
Foran Glennon (UK) LLP, London.
Er vertrat die Versicherer in der
Rechtssache Orient Express
Hotels gegen Generali.
dcleary@foranglennon.co.uk
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
19
KATRINA
Schadenmodellierung nach Katrina
Die Hurrikane, die 2004 und 2005 die USA mit noch nie dagewesener
Stärke und Häufigkeit trafen, gaben den Ausschlag, über verbesserte
Ansätze der Risikomodellierung nachzudenken. Die seitdem angestoßene und bereits vollzogene Überprüfung und Entwicklung hin zu einer
immer besseren Risikomodellierung ist längst nicht abgeschlossen.
von Mark Bove
In den vergangenen 25 Jahren kann man drei wichtige
Stadien in der Entwicklung von Modellen für Katastrophenschäden unterscheiden. Das erste Stadium
begann nach den Hurrikanen Hugo und Andrew
sowie zwei schweren Erdbeben in Kalifornien:
Damals bestätigten sich die Ergebnisse früher
Modelle, was dazu führte, dass Sachversicherer,
Rating-Agenturen und staatliche Aufsichtsbehörden
diese akzeptierten und übernahmen. Das zweite Stadium erstreckte sich über die beginnenden 2000erJahre und umfasst die Terroranschläge vom 11. September in den USA sowie den Ausbruch des
SARS-Virus 2003. Das Ergebnis waren neue Modellvarianten, die Terrorismus (sowohl für die Sach- als
auch für Arbeiterunfallversicherung) und Pandemien
einbezogen, was die Modellierung weit über Naturkatastrophen hinaus ausdehnte. Das dritte Stadium
begann im Jahr 2004 mit der nie dagewesenen Serie
von Hurrikan-Treffern in den USA.
In den 15 Monaten von August 2004 bis Oktober
2005 trafen insgesamt zwölf Wirbelstürme in den
Vereinigten Staaten auf Land, davon sieben (einschließlich Katrina) schwere Hurrikane mit mittleren
Windgeschwindigkeiten von mehr als 175 km/h (110
mph). Eine so hohe Anzahl von Treffern war in den
historischen Aufzeichnungen noch nie aufgetreten.
Die Sachversicherungsbranche hatte Schwierigkeiten, mit Häufigkeit und Umfang der Ansprüche aus
diesen Ereignissen Schritt zu halten. Und obwohl
Katastrophenmodelle nicht dazu geeignet sind, Schäden eines einzelnen Ereignisses zu berechnen, haben
viele Versicherer große Unterschiede zwischen
modellierten und tatsächlichen Schäden festgestellt.
So kam es, dass man die Akkuratesse der Katastrophenmodelle und die Abhängigkeit der Branche von
ihnen in Frage stellte.
20
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Die für die Katastrophenmodelle verantwortlichen
Firmen haben sich rasch der speziellen meteorologischen Aspekte der Hurrikansaisons 2004/2005 und
der daraus hervorgehenden Fragen ihrer Kunden
angenommen. Einige Modelländerungen waren
kleine Verbesserungsstufen, andere brachen dramatische Sprünge, und bei wieder anderen sollte die
Umsetzung Jahre dauern. Im Nachhinein wird klar,
dass Katrina und die anderen Stürme eine neue Ära
der Katastrophenmodellierung begründet haben: die
Entwicklung einer individualisierten Risikobetrachtung.
Alternative Ansätze der Modellierung
Sowohl die Versicherungswirtschaft als auch die
Katastrophenmodelle stützen sich auf das Konzept
der Stationarität der Daten, wonach sich wichtige
Eigenschaften eines Datensatzes wie Mittelwert und
Varianz im Zeitablauf nicht verändern. Für die Modellierung von Hurrikanschäden bedeutet Stationarität,
dass wir für künftige Hurrikane die gleiche Häufigkeit
und Schwere erwarten wie bei vergangenen Ereignissen. Vor 2005 basierten die Katastrophenmodelle
ausschließlich auf dieser Annahme. Sie boten den
Kunden ausschließlich die Analyse des Hurrikanrisikos im Atlantik auf der Grundlage von Daten seit dem
Jahr 1900 an.
Obwohl über lange Zeiträume hinweg Stationarität
gegeben sein kann, haben Forschungsarbeiten
gezeigt, dass verschiedene natürliche Klimazyklen die
Hurrikanaktivität im Atlantik beeinflussen. Dazu
gehören etwa die El Niño-Southern Oscillation
(ENSO) und die Atlantische Multidekadische Oszillation (AMO). Diese ist von besonderem Interesse für
Versicherer und Katastrophenmodellforscher. Man
hat festgestellt, dass AMO-Warmphasen die Hurrikanaktivität im Atlantik verstärken und Kaltphasen
diese verringern. Somit enthalten die „stationären“
Langzeitdaten ausgedehnte Zeiträume (25–40 Jahre),
in denen Häufigkeit und Schwere der Hurrikanschäden tendenziell über oder unter dem historischen
Langzeitmittel liegen. Wenn man ein Portfolio mit
KATRINA
Hurrikanrisiko auf Basis der gesamten Langzeitdaten
modelliert wird, könnte dies zu einer Unter- bzw.
Überschätzung des tatsächlichen jährlichen Risikos
führen, je nachdem, ob sich die AMO in einer Warmoder Kaltphase befindet.
Die beispiellose Hurrikanaktivität in den Jahren 2004
und 2005 hat in Verbindung mit der anhaltenden
AMO-Warmphase die Entwicklung alternativer
Betrachtungsweisen des Hurrikanrisikos angestoßen.
Jeder Modellanbieter verfolgte dabei einen anderen
Ansatz. Einige verwendeten nur Hurrikandaten aus
Jahren mit AMO-Warmphasen, andere ließen Meteorologen die Aktivität der kommenden Jahre abschätzen. Diese als „Warmphasen-Katalog“, „Modell für die
nahe Zukunft“ oder „Schadenereignis-Set für die mittelfristige Zukunft“ bekannten Modelle waren ein Versuch, das Hurrikanrisiko während der aktuellen AMOWarmphase besser abzuschätzen.
Allerdings entstehen durch diese alternative Betrachtungsweisen auch Ungewissheiten. Schon die historische Hurrikanaktivität im Atlantik seit 1900 ist
eigentlich zu kurz, um den Modellforschern ein
umfassendes Verständnis der Langzeitaktivität zu
ermöglichen. Durch Unterteilung dieser Aufzeichnungen in AMO-Warm- und Kaltphasen sinkt die Zahl der
Daten im Ereignissatz weiter. Das verstärkt die Unsicherheit der Ergebnisse, vor allem in Gebieten mit
seltener Hurrikanaktivität. Andere Methoden, wie
die Befragung von Fachleuten oder Klimaprognosemodelle, können ähnliche Ungewissheiten nach sich
ziehen.
Die anfänglichen Reaktionen auf alternative Betrachtungen des Hurrikanrisikos fielen sehr unterschiedlich aus. Rückversicherer, die nicht der staatlichen
Regulierung unterliegen, erachteten eine kurzfristigere Betrachtung des Risikos für die Bewertung ihrer
Exponierungen als nützlicher. Viele Erstversicherer
sahen das ebenso, jedoch haben sich staatliche
­Versicherungsregulierer geweigert, auf kurzfristigen
Daten basierende Ereignissätze zur Tarifierung zu
akzeptieren. Das zwang die Erstversicherer, bei
Wohngebäudeversicherungen auf Langzeitwerte
zurückzugreifen.
Faktoren für Kostensteigerungen
Das Phänomen des Nachfrageschubs, ein vorübergehender Anstieg der Lohn- und Materialkosten nach
einer Naturkatastrophe, haben Modellforscher bereits
vor den Hurrikanen der Jahre 2004/2005 erkannt.
Um dem Phänomen Rechnung zu tragen, wird bei
stochastischen Ereignissen, deren Schäden ein
bestimmtes Maß überschreiten, ein branchenspezifischer Faktor aufgeschlagen. In welcher Höhe der
Nachfrageschub angesetzt wird, hängt von der
Schwere des Schadens ab.
Nach Katrina hat man schon früh erkannt, dass die
Überschwemmung von New Orleans keine Natur-,
sondern eine menschgemachte Katastrophe ist. Da
das Abpumpen der Fluten mehrere Wochen dauerte,
entstanden an den Gebäuden größere Schäden, als
man bei einer normalen Überschwemmung erwarten
würde. Und weil die Bewohner, die ihre Häuser verlassen hatten, nicht direkt nach dem Abfließen des Wassers zurückkehren konnten, hatten Versicherte keine
Möglichkeit, weitere Schäden an ihren Gebäuden und
Geschäften zu verhindern, zum Beispiel die Entstehung und Ausbreitung von toxischem Schimmel.
Tropische Wirbelsturm- und Hurrikan-Treffer in den USA, 1900–2014
2
Schwere Hurrikane (Kategorie 3–5)
Hurrikane (Kategorie 1–5)
Tropische Wirbelstürme und Hurrikane
2014
2008
2002
1996
1990
1984
1978
1972
1966
1960
1954
1948
1942
1936
0
1930
0
4
1924
2
6
1918
4
8
1912
6
Bei der Zahl der tropischen Wirbelsturm-Treffern in den Vereinigten
Staaten seit 1900 ragen die Ereignisse der Jahre 2004 und 2005, die
während einer AMO-Warmphase auftraten, heraus. Jeder Treffer ist entsprechend der Intensität farblich
gekennzeichnet. Bedenken, dass
diese starke Aktivität anhalten
könnte, haben die Entwicklung von
alternativen Betrachtungen des Hurrikanrisikos angetrieben.
1906
8
10
1900
10
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
21
KATRINA
Das kaskadenartige Versagen der vom Menschen
geschaffenen Systeme bei einer Naturkatastrophe
und der damit verbundene höhere versicherte Schaden wird als Schaden-Nachverstärkung („Post Loss
Amplification PLA)“ bezeichnet. In vielen PLA-Szenarien fällt ein Element der modernen Zivilisation über
einen längeren Zeitraum aus, zum Beispiel die Stromerzeugung, oder die Menschen haben keinen Zugang
zu ihren Häusern und Geschäften, was zu weiteren
Schäden führt. Der Nachfrageschub ist heute in den
meisten PLA-Berechnungen enthalten und die PLA
wird innerhalb der Modelle ähnlich angewendet.
Weitere Änderungen bei der Modellierung
Wenn man den Hurrikans 2004/2005 etwas Positives abgewinnen will, so hat es die Fülle von Schadendaten den Risikomodellierern ermöglicht, die Berechnungen für die Wind- und Sturmflutanfälligkeit zu
verbessern. Mit Ausnahme von Opal 1995 und Bret
1998 waren die meisten Gebiete Floridas und der
Golfküste bis dahin seit Jahrzehnten von schweren
Hurrikanen verschont geblieben. In vielen Regionen
unterlagen die Bauvorschriften und die Bevölkerungsstruktur zwischenzeitlich starken Veränderungen, womit ältere Schadendaten und die daraus analysierbare Schadenempfindlichkeit überholt waren.
Mit den neuen Daten aus den Jahren 2004 und 2005
hat sich das gewandelt. Und obwohl es Jahre gedauert hat, bis die Modellierungsfirmen die Daten aus
Millionen von Einzelansprüchen verarbeitet hatten,
geht man davon aus, dass sich die Qualität der Schadenanfälligkeitsbeziehungen in den Modellen verbessert hat, vor allem für die gängigen Bauarten und
Nutzungstypen.
Ein wichtiger Risikoaspekt bei tropischen Wirbelstürme, den die Katastrophenschadenmodelle 2005
nur unzureichend berücksichtigen konnten, waren
Sturmfluten. Anders als bei Winddaten standen den
Modellierern für die Erstellung eines verlässlichen
statistischen Sturmflutmodells nur spärliche historische Daten zur Verfügung. Die andere Möglichkeit –
die Entwicklung eines mit numerischen Lösungsmethoden arbeitenden Sturmflutmodells – war mit
großem Arbeits- und Rechenaufwand verbunden.
Stattdessen verwendeten einige Modellierungsfirmen
einen parametrischen Ansatz der Sturmflut-Modellierung: Sie berechneten die Fluthöhe entlang der Küste
und schwächten diese landeinwärts ab, bis Landoberflächen die Fluthöhen übersteigen. Dabei handelt es
sich um ein sehr grobes Berechnungsverfahren für
das Ausmaß von Sturmfluten, das Faktoren wie die
lokale Geometrie des Meeresbodens vor der Küste,
die kanalisierende Wirkung von Flüssen und Buchten
sowie bestehende Hochwasserschutzbauten an der
Küste nicht berücksichtigt.
22
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Die gewaltige Sturmflut von Katrina, gefolgt von Hurrikan Rita im westlichen Louisiana einen Monat später, war der Zeitpunkt, an dem der alte Ansatz zur
Modellierung von Sturmfluten nicht mehr akzeptabel
war. Einige Firmen entwickelten eigene numerische
Sturmflutmodelle, während andere bestehende
Sturmflutmodelle zur Einbindung in ihre Hurrikanmodelle lizenzierten und anpassten. Ungeachtet des
zugrundeliegenden Verfahrens liefern die heutigen
numerischen Sturmflutmodelle erheblich realistischere Ergebnisse als die Ansätze vor einem Jahrzehnt.
Fazit
In vielerlei Hinsicht begann mit den Hurrikanjahren
2004/2005 eine Art von „Demokratisierung“ der
Katastrophenschadenmodellierung. Vor Einführung
der alternativen Risikobetrachtungen lieferte ein Hurrikanmodell lediglich eine einzige „Antwort“ auf Portfolioebene. Diese Antwort war für jeden Anwender
des Modells gleich, solange die eingegebenen Daten
übereinstimmten. Durch die Einführung einer alternativen Risikobetrachtung kann ein Modell heute zwei
verschiedene Antworten liefern, wohingegen zuvor
für die zweite Antwort ein anderes Hurrikanmodell
benötigt wurde. Jede Antwort betrachtet des Risiko
aus einer anderen Perspektive, während die anderen
Modellbestandteile konstant bleiben, was den Einfluss der Häufigkeitsveränderungen auf ein Portfolio
erkennen lässt.
Diese zusätzlichen Erkenntnisse verschaffen den Versicherern ein tiefgreifenderes Verständnis, wie empfindlich ihre Portfolios auf Hurrikanereignisse reagieren. Dies wiederum führte zu dem Wunsch nach einer
Möglichkeit, die Empfindlichkeit eines Portfolios
gegenüber anderen Modellkomponenten zu prüfen,
zum Beispiel Schadenempfindlichkeitsbeziehungen
und Sturmfluteinflüsse auf reine Sturmpolicen. Künftige Katastrophenmodelle werden diese Entwicklung
fortsetzen. Weil sich mehr Modellkomponenten
anpassen lassen, können die Unternehmen besser
eine eigene Risikoeinschätzung entwickeln und sich
besser auf Katastrophen vorbereiten, wo auch immer
diese auftreten.
UNSER EXPERTE:
Mark Bove ist Meteorologe in
Underwriting Services/Risk
Accumulation bei Munich Re
America, Inc. Sein Fachgebiet ist
die Modellbildung für Natur­
katastrophenrisiken in den USA.
mbove@munichreamerica.com
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NOT IF, BUT HOW
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
23
KATRINA
Katrina 2015: Was wäre wenn?
In der zurückliegenden Dekade hat die Region an der hurrikangefähr‑
deten Golfküste der USA ihr Gesicht verändert. Neu entstehende
­Terminals zur Verflüssigung von Erdgas und der Ausbau bestehender
petrochemischer Anlagen erhöhen die Exponierung beim nächsten
großen Wirbelsturm.
Die Erdgas-Verdampfungsanlage
Freeport LNG wird aufgrund mangelnder
Wirtschaftlichkeit in den kommenden
Jahren zu einer Erdgasverfüssigungsanlage (LNG) umgebaut werden.
24
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
KATRINA
von Peter Bender
Hurrikan Katrina hatte einige Charakteristika im
Schadenbild, die es bei ähnlichen Ereignissen so noch
nicht gegeben hatte. Entlang der Küste von Mississippi konzentrierte sich eine Reihe von Hotelkomplexen mit angeschlossenen Spielkasinos, die – aufgrund
gesetzlicher Bestimmungen – auf schwimmenden
Lastkänen gebaut an der Küste lagen. Hierbei kam es
entlang der Küste zu einer hohen Wertekonzentration, und all diese Komplexe erlitten hohe Schäden
infolge des Sturms.
Aufgrund gesetzlicher Änderungen können diese
Kasinos nun auf dem Festland gebaut werden, was
die Schadenanfälligkeit per se reduziert – aber auch
nicht ganz ausschließt.
Verflüssigtes Erdgas
Verflüssigtes Erdgas (engl.: LNG – Liquefied Natural
Gas) ist eine klare Flüssigkeit, die zu ca. 98 Prozent
aus Methan besteht. Beim Verflüssigungsprozess
werden zunächst unerwünschte Komponenten wie
Kohlendioxid, Stickstoff oder Kondensat aus dem
Erdgas entfernt. Im Anschluss wird das Gas bei
ca. –160 °C verflüssigt, was eine Volumenreduzierung
von 1:650 zur Folge hat. Somit besitzt LNG eine
sehr hohe Energiedichte und kann wirtschaftlich über
sehr weite Strecken transportiert oder in speziell isolierten Tanks gelagert werden.
Wie hat sich nun die Exponierung der Region in den
vergangenen zehn Jahren verändert?
Unverändert ist der Golf von Mexiko mit Hunderten
Bohrinseln, einem dichten Netz an Pipelines sowie
großen Umschlaghäfen und Raffinerien das wichtigste Zentrum der US-Energiebranche. Laut US
Energy Information Administration (EIA) befinden
sich dort 45 Prozent der gesamten Raffineriekapa­
zitäten für Öl und gut die Hälfte der Kapazitäten für
die Weiterverarbeitung von Erdgas. 2005 hatte
­Katrina an den Öl- und Gasplattformen sowie an den
Raffinerien große Schäden angerichtet.
Dagegen ist die Bedeutung der Ölförderung im Golf
von Mexiko gesunken. Stammte im Jahr 2001 rund
ein Viertel der Öl- und Gasproduktion aus der Golf­
region, ist dieser Anteil bis 2013 auf weniger als zehn
Prozent geschrumpft. Wichtige Quellen versiegten,
zudem erteilte die Regierung nach der Explosion auf
der Bohrinsel Deepwater Horizon und der anschließenden Ölpest in den Folgejahren weniger Bohrgenehmigungen. Die Fördereinbußen werden allerdings
durch den rapiden Fortschritt bei der Exploration von
Schieferöl- und -gasvorkommen mehr als wettgemacht.
Neue LNG-Terminals entstehen
Mit den Möglichkeiten durch hydraulisches Fracking
Öl und Gas aus Schiefergestein zu extrahieren ist die
USA zum größten Gasproduzenten der Welt geworden und hat gleichzeitig ihre Exportrestriktionen
gelockert. Damit das Gas per Schiff wirtschaftlich
transportiert werden kann, muss es zunächst in speziellen LNG-Terminals (LNG = Liquefied Natural Gas)
verflüssigt und somit auf einen Bruchteil seines Volumens komprimiert werden. Waren die USA bis vor
wenigen Jahren einer der Hauptimporteure von LNG
und abhängig von Lieferungen, hat sich das Bild mit
dem Fracking-Boom vollständig umgekehrt.
Heute werden Import-Terminals zu Export-Terminals
umgerüstet, zusätzlich entstehen mehrere neue LNGAnlagen auf einer Länge von 450 Kilometern entlang
der Golfküste zwischen Corpus Christi in Texas und
Lake Charles in Louisiana. Die Region wird somit für
die Weiterverarbeitung von US-Erdgas noch bedeutender, als sie es ohnehin schon ist.
Obwohl die Anlagen für hohe Windlasten ausgelegt
sind, halten sie den Kräften aber erst im Endzustand
stand. Je nach Baufortschritt sind die Anlagen erheblich gefährdeter, sodass im Fall eines schweren Hurrikans vor allem zwischen 2016 und 2018 hohe Forderungen auf die Versicherer zukommen könnten (siehe
Grafik auf Seite 26). Auch bezüglich Flut ist das
Risiko nicht zu vernachlässigen: Die neuen ­Anlagen
befinden sich innerhalb einer Zone, die laut der amerikanischen Katastrophenschutzbehörde FEMA mindestens einmal in hundert Jahren mit einer schweren
Überflutung rechnen muss.
Der Boom beim hydraulischen Fracking hat einen
weiteren Nebeneffekt: Die amerikanische Petrochemie erlebt ein Comeback. Der US-Branchen­verband
American Chemistry Council (ACC) geht davon aus,
dass sich die Exporte der heimischen
­petrochemischen Industrie zwischen 2014 und 2030
auf 123 Milliarden US-Dollar verdoppeln werden. Ein
Großteil der chemischen Grundstoffproduktion ist
aufgrund der Nähe zu Öl- und Gasvorkommen und
wegen günstiger Möglichkeiten zur Verschiffung
nach Übersee entlang der Golfküste angesiedelt. Die
Anzahl und Größe der Chemieparks dürfte somit weiter zunehmen und die Beschäftigtenzahl in die Höhe
treiben.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
25
KATRINA
Gefährdung der LNG-Anlagen je nach Bauabschnitt bei einem ­Hurrikan
Versicherungssumme (in Millionen USD)
5.000
Zeitraum der höchsten
Werteakkumulation
2.500
01.01. 01.07. 31.12. 02.07.31.12. 02.07.01.01. 02.07.01.01. 02.07.31.12. 02.07.01.01. 02.07.01.01. 03.07.01.01. 02.07.
201220122012201320132014201520152016201620162017201820182019201920202020
Aus den unterschiedlichen Baufortschritten der
LNG-Anlagen resultiert deren Schadenexponierung im Fall eines schweren Hurrikans.
Quelle: Munich Re
Sturmsaison
Baubeginn
Bauende – gefolgt von sechsmonatigem Probebetrieb mit Inbetriebnahme (alle Projekte). Umfassende
Abdeckung von Sturmschäden.
Bauzeit
Sabine Pass: Anlage 1 - 4
Freeport LNG: Anlage 1 und 2
Corpus Christi LNG: Anlage 1–3
Cameron LNG: Anlage 1–3
Wieder mehr Bohrgenehmigungen
Fortschritte bei Katastrophenplänen
Auch vor der Küste tut sich inzwischen wieder einiges: Wenige Jahre nach dem Desaster der Deepwater
Horizon werden vermehrt Großprojekte im Golf von
Mexiko angeschoben. So hat das US-Innenministerium Ende Januar 2015 im neuen Fünfjahresplan zur
Verpachtung von Offshore-Öl- und -Gasfördergebieten unter anderem zehn Areale im Golf von Mexiko
freigegeben. Das ist Teil der offiziellen Strategie, sich
von Rohölimporten aus dem Ausland noch unabhängiger zu machen. Ölquellen in Tiefwasser sind ergiebiger als Schieferquellen, was es den Unternehmenerleichtert, den Ausstoß konstant zu halten.
Es zeigt sich also: Nicht nur in der Industrie, auch bei
privaten Haushalten hat sich die Wertekonzentration
entlang der amerikanischen Golfküste in der vergangenen Dekade erhöht – und wird vermutlich weiter
zunehmen. Immerhin haben viele Unternehmen aus
den Ereignissen der Vergangenheit gelernt und ihre
Hurrikan-Katastrophenpläne verbessert. Die Chancen auf eine Schadenbegrenzung stehen damit höher.
Katrina hat aber auch gezeigt, dass die Pläne nutzlos
sind, wenn die Infrastruktur so sehr zerstört ist, dass
Hilfsmaßnahmen nicht eingeleitet werden können.
Inwieweit die Vorhaben aber auch realisiert werden,
hängt von der weiteren Entwicklung des Ölpreises ab.
Viele Firmen haben auf den Niedergang der Ölnotierungen bereits reagiert und Erkundungsbohrungen
derzeit auf Eis gelegt.
Verbunden mit dem Öl- und Gasboom der vergangenen Jahre war das Wachstum der texanischen Stadt
Houston. Der private wie gewerbliche Immobilienmarkt boomte bis vor Kurzem und damit auch die
Wertekonzentration in dem Gebiet. 2005, als Hurrikan Rita die Metropole bedrohte, mussten in einer der
größten städtischen Evakuierungsaktionen des
­Landes bis zu 2,5 Mil­lionen Einwohner ihre Häuser
verlassen. Glücklicherweise kam Houston damals
glimpflich davon.
26
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
UNSER EXPERTE:
Peter Bender ist fakultativer
Underwriter im Bereich Global
­Clients/North America bei
Munich Re sowie Leiter des Topic
Network Öl, Gas and Chemistry.
pbender@munichre.com
KOMMENTAR
„Katrina war in vieler
Hinsicht außergewöhnlich“
Katrina hat nicht nur große Teile von New Orleans
ausgelöscht, sondern auch an den Grundfesten der Asseku‑
ranz gerüttelt. Was bisher für die Versicherung von ­Sturm
und Sturmflut galt, hat der Hurrikan gründlich durcheinan‑
dergewirbelt: Die gängige Praxis, Windschäden und sturm‑
bedingte Überflutungsrisiken getrennt zu decken, ist infrage
gestellt.
Peter Röder, Mitglied des
Vorstands der Münchener
Rück AG und zuständig für
das Ressort Global Clients
and North America
von Peter Röder
Hurrikan Katrina hat mit hohen Windgeschwindig­
keiten und mit einer schweren Sturmflut 2005 weite
Teile der US-Golfküste verwüstet. Betroffen waren
vor allem die Bundesstaaten Mississippi, Louisiana
und Alabama. Besonders viele Schäden erlitt New
Orleans. Mehr als eine Million Menschen wurden im
Vorfeld evakuiert. Dennoch verloren 1.700 Menschen
durch den Sturm ihr Leben.
Katrina war in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Naturereignis. Dachten die Versicherer, dass mit
den vier Hurrikanen, die 2004 über Florida gezogen
waren, die Grenze der Belastbarkeit erreicht sei,
wurde man ein Jahr später mit Katrina auf eine weit
größere Probe gestellt. Und Katrina war nur der erste
von drei außergewöhnlichen Wirbelstürmen, die
damals die Südküste der USA trafen.
Katrina war größer und verursachte mehr Schäden
als alle Wirbelstürme 2004 zusammen. Als fatal
erwies sich die Tatsache, dass die Deiche in New
Orleans brachen und die Stadt, die größtenteils
unterhalb des Meeresspiegels liegt, für lange Zeit zu
rund 80 Prozent überflutetet wurde.
Es gab viele Diskussionen um das Abgrenzungsthema Flut versus Wind. Anlass war, dass die meisten
Schäden durch Flut entstanden, die wenigsten
Gebäude aber eine entsprechende staatliche Versicherung abgeschlossen hatten. Diese Trennung ist
derzeit immer noch die Regel. Jetzt, zehn Jahre nach
Katrina, ist es unserer Meinung nach höchste Zeit, um
über die Zusammenlegung von Wind und Flutgefahr
in einer Police nachzudenken. Wünschenswert im
Sinne des Versicherten wäre dies allemal.
Die Schwere dieses Ereignisses erforderte eine deutlich längere Abwicklungszeit als bei anderen Hurrikanen. Heute sind die meisten Schäden reguliert, einige
Gerichtsverfahren laufen jedoch noch. Aber auch
neue, bislang unbekannte Schadenszenarien bildeten
sich nach Katrina aus wie beispielsweise Haftpflichtschäden um Baumaterialien.
Zehn Jahre nach diesem außergewöhnlichen Natur­
ereignis bleibt die Frage, wie es mit New Orleans
­weitergeht. „The Big Easy“ ist heute nicht mehr dieselbe Stadt wie vor dem Sturm. Bereits im Jahr 2006
wurde vom Urban Planning Commitee ein umfassender Wiederaufbauplan vorgelegt. Er sah natürliche
und künstliche Schutzmaßnahmen vor und wurde
zum Teil mit erheblichem Aufwand realisiert.
Als Letztes erfolgte vor einem Jahr eine Akkreditierung der Deichsysteme als Schutz gegen ein 100-Jahres-Ereignis. Es bleibt zu hoffen, dass alle Maßnahmen bei künftigen schweren Stürmen einen besseren
Schutz für die Stadt und ihre Bevölkerung bieten.
Katrina war zweifelsfrei ein großes marktveränderndes Ereignis, das eine fast zehn Jahre andauernde
Periode angemessener Profitabilität – insbesondere
im US-Naturkatastrophengeschäft – für die Asse­
kuranz einleitete. Katrina hatte somit einen nachhal­
tigen Einfluss auf die Preisbildung, der erst jetzt mit
dem Eintritt in die Weichmarktphase vor rund zwei
Jahren langsam nachlässt.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
27
AVIATION
Optimale Hilfe in
Notfällen
Das US-Unternehmen Fireside Partners leistet international
Notfallhilfe und bietet vor allem im Bereich der Geschäftsluftfahrt seine Unterstützung an. Präsident und CEO Donald
J. Chupp erläutert die Rolle von Fireside bei der Betreuung
von Flugunternehmen.
Schadenspiegel: Können Sie uns
zunächst etwas über Fireside Part­
ners erzählen?
Donald J. Chupp: Fireside Partners
bietet in erster Linie drei Dienstleis­
tungen an: die Entwicklung von Not­
fallplänen für Unternehmen, Schu­
lungen zur effektiven Umsetzung
dieser Pläne und die Zusammenar­
beit mit Kunden nach Unfällen. Wir
sind der einzige umfassende Dienst­
leister, der sich auf Notfälle in der
Geschäftsluftfahrt, von vermögen­
den bzw. prominenten Personen oder
Konzernen spezialisiert hat. Fireside
steht für lückenlose Notfalldienste an
allen Tagen des Jahres, rund um die
Uhr. Dies umfasst die Überwachung
von Flugzeugen und privater Vermö­
gen, die Unterstützung bei Ermitt­
lungen und bei der Kommunikation
nach einem Unglück, die Kontakt­
aufnahme zu den Angehörigen,
die B
­ etreuung der Familien am
Unglücks­ort, den Schutz und die
Rückgabe persönlicher Gegenstände
sowie die Informationsbeschaffung
und Koordination der Ressourcen
gemeinsam mit anderen Stellen.
Mit unserer integrierten Datenaus­
wertung in Echtzeit kommen wir
Störungen sofort auf die Spur. Im
Durchschnitt reagieren wir pro Tag
auf elf Stör- oder Notfälle während
des Flugbetriebs. Um die Kunden
umfassend zu unterstützen, unter­
halten wir ein abgesichertes NotfallZentrum. Dort läuft alles zusammen:
das weltweite Krisenmonitoring, die
aktuellen Informationen oder die
Suche nach vermissten Mitarbeitern.
28
Von dort überwachen wir auch den
Funkverkehr der Notruf-Leitstellen
und der Flugsicherung sowie die
lokalen Nachrichtenmedien und sozi­
ale Medien.
Welche besonderen Herausforderun­
gen müssen Sie in Notfallsituationen
meistern?
Mit der zunehmenden Verbreitung
sozialer Medien haben sich die
Ansprüche an Notfalldienste verän­
dert. Durch den beschleunigten
Informationsfluss erfährt die Öffent­
lichkeit heute schneller als früher von
einem Unglück. Wir müssen deshalb
alles daransetzen, die betroffenen
Familien schnell zu erreichen und
mit genauen Informationen zu ver­
sorgen. Unsere Kunden stehen
immer wieder vor denselben Proble­
men. Während eine große Flug­
gesellschaft auf Hunderte oder gar
Tausende von Mitarbeitern im Kata­
strophenfall zurückgreifen kann, ist
das bei den vielen kleineren Flugan­
bietern anders. Die grundlegenden
Bedürfnisse der Familien sind aber
gleich – und die gilt es zu erfüllen.
Notfallpläne werden oft von hinten
aufgezäumt. Zuerst wird der Plan
erstellt und dann im Unternehmen
geklärt, wie die Anforderungen
erfüllt werden können. Vor dem
Erstellen eines Plans sollte man
zunächst festlegen, für welche Berei­
che er gelten soll, abhängig von der
jeweiligen Unternehmenskultur und
den Geschäftsaktivitäten.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Für die meisten Unternehmen gehö­
ren die Betreuung der Betroffenen
und eine gute Kommunikation zu
den wichtigsten Aspekten eines Not­
fallplans. Interessanterweise werden
diese beiden Bereiche aber häufig zu
wenig berücksichtigt.
Bei Ihrer Tätigkeit sind nicht nur
spezielle logistische und organisato­
rische Fähigkeiten gefragt, sondern
auch ein tiefes Verständnis für die
Bedürfnisse von Menschen in extre­
men Notlagen. Wie wählen Sie Ihre
Mitarbeiter aus und wie schulen
Sie sie? Welchen Hintergrund haben
die Mitglieder Ihres Teams?
Unser Humanitarian Emergency
Liaison Program (HELP) setzt sich
aus Piloten, Notfallhelfern und ande­
ren erfahrenen Spezialisten zusam­
men. Mitgefühl ist wichtig, aber
unsere Kunden erwarten in erster
Linie Kompetenz, Schnelligkeit,
Managementqualitäten und Ergeb­
nisse. Um sicherzugehen, dass die
Privatsphäre unserer Kunden
geschützt ist und unsere Standards
eingehalten werden, greifen wir aus­
schließlich auf eigene Mitarbeiter
zurück und nehmen nie die Dienste
von Freiwilligen oder Generalunter­
nehmern in Anspruch. Die Notfall­
teams werden mindestens einmal im
Monat in einem Präsenztraining
geschult.
Unsere Mitarbeiter besitzen ein­
schlägige Abschlüsse und Erfahrun­
gen, zum Beispiel in den Bereichen
Katastrophenhilfe, Gerichtsmedizin,
klinische Psychologie, Flugdienst­
beratung, Notruf-Leitstellendienst
und Flugzeugwartung.
AVIATION
Bei einem Flugzeugabsturz kommen
die Opfer und Familien häufig aus
unterschiedlichen Kulturkreisen.
Wie kann man auf die vielfältigen
Bedürfnisse und Befindlichkeiten
von Menschen mit so verschiedenen
Hintergründen eingehen?
Bei der Betreuung von Familien aus
unterschiedlichen Kulturkreisen
kommt es darauf an, bestimmte Fak­
toren zu beachten. Man muss einen
Notfallexperten einsetzen, der die
Muttersprache der Betroffenen
spricht und mit den jeweiligen kultu­
rellen Gepflogenheiten bei Trauer
und Tod vertraut ist. Wir entscheiden
nie selbst, was das Beste für die
Angehörigen ist, sondern versuchen,
sie in den Prozess einzubeziehen und
das Vorgehen im Dialog mit ihnen
festzulegen. Die Familien sollen ihre
Würde bewahren können, auch im
Angesicht des Unglücks. Was
gebraucht wird, können wir zwar
häufig erahnen, aber wir maßen uns
nicht an, es zu wissen.
Präsident und CEO Donald J. Chupp
von Fireside Partners
Sie schulen und beraten auch Unter­
nehmen zur Vorbereitung auf Not­
fälle. Wie sieht das im Einzelnen aus?
Wir helfen den Firmen, sich auf das
Wesentliche zu konzentrieren. Dazu
bereiten wir die Mitarbeiter im
Unternehmen darauf vor, Betroffene
zu unterstützen, die öffentliche
Wahrnehmung im Blick zu behalten
und die Ermittlungen zielführend
mitzugestalten. Dafür muss das
Unternehmen zunächst eine zentrale
Stelle einrichten, wo Entscheidun­
gen gemeinsam getroffen werden
und das Krisenmanagement gesteu­
ert wird. Wir leisten Unterstützung
beim Aufbau eines Notfallzentrums
und geben unsere Erfahrungen aus
vergangenen Ereignissen weiter, was
sich bewährt hat und was nicht.
Auch bei der benötigten Ausstattung
und bei der Besetzung der erforderli­
chen Stellen beraten wir die Firmen.
Daneben helfen wir bei der Konzep­
tion von Übungsmaßnahmen, beim
Evaluieren von Situationen und beim
Krisenmanagement sowie beim
Erstellen von Berichten nach einem
Einsatz. Auf Wunsch der Kunden
entwickeln wir auch Szenarien, die
über Flugzeugunglücke hinausge­
hen. Hierzu gehört der Umgang mit
Massenepidemien, Verbrechen und
anderen Ereignissen.
Wir sorgen dafür, dass ein Team
aufgebaut wird, das im Notfall die
Betroffenen kontaktiert und betreut.
Es setzt Angehörige von einem Not­
fall in Kenntnis und hält sie auf dem
Laufenden. Unser urheberrechtlich
geschütztes Vier-Phasen-Infor­
mationsmodell ermöglicht es einem
Unternehmen, eine Krise aktiv zu
steuern und optimal zu reagieren.
Und wir unterstützen Unternehmen
dabei, in einer Krisensituation Prä­
senz zu zeigen und die Öffentlichkeit
zu informieren. In der Vergangenheit
hat sich herausgestellt, dass eine
reine Pressearbeit nicht ausreicht.
Wir verfolgen einen ganzheitlichen
Ansatz, um den heutigen Kommu­
nikationskanälen Rechnung zu tra­
gen. Hierzu gehört die Schulung von
Topmanagern und Kommunikati­
onsteams im Umgang mit Katastro­
phen ebenso wie die Einbindung
von Kommunikationsmaßnahmen in
den Notfallplan zusammen mit den
erforderlichen Checklisten und Ver­
weisen.
Auch hier entwickeln wir Übungs­
szenarien, um das Verhalten der
Teams, der Geschäftsleitung und
anderer Interessensgruppen zu tes­
ten, einschließlich der Abgabe von
Bewertungen, Berichten und Emp­
fehlungen.
Um an der Aufklärung mitwirken zu
können, müssen die gesetzlichen
Vorgaben und der Ablauf des Ermitt­
lungsprozesses nach einem Unglück
bekannt sein. Außerdem sollte man
wissen, was zu tun ist, um das Unter­
nehmen bestmöglich zu vertreten
sowie seine Reputation und Interes­
sen zu schützen. Hier schulen wir
wichtige Vertreter des Unterneh­
mens und Technikexperten, damit sie
in der Lage sind, Interviews zu
geben, Unterlagen zur Verfügung zu
stellen sowie an Anhörungen oder
Untersuchungsterminen teilzuneh­
men.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
29
30
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
MARINE
Größter Schaden in der
Containerschifffahrt
Der Untergang der „MOL Comfort“ Mitte 2013
im arabischen Meer war die kostspieligste Havarie
eines Containerfrachters. Immer größere Schiffe
und die steigenden Kosten für Bergung und
Wrackbeseitigung stellen die Versicherungs‑
wirtschaft vor neue Herausforderungen.
Bei ihrem Stapellauf 2008 war die
„MOL Comfort“ mit 316 Metern Länge
und 45 Metern Breite ein Schiff der
„Post-Panamax“-Klasse. Schiffe dieser
Kategorie passen nicht mehr durch
den Panama-Kanal.
31
MARINE
Ein Löschboot versucht vergeblich,
das auf der „MOL Comfort“ ausgebrochene Feuer einzudämmen.
Die Struktur der „MOL Comfort“ war offensichtlich beschädigt. Innerhalb weniger
Stunden brach das Containerschiff vor der
jemenitischen Küste auseinander.
von Alexander Kababgi
Am 17. Juni 2013 brach bei schlechtem Wetter rund
380 Kilometer vor der jemenitischen Küste das Containerschiff „MOL Comfort“ entzwei. Die beiden Teile
drifteten auseinander, wobei das Achterschiff am
27. Juni und die vordere Partie am 11. Juli zusammen
mit 4.382 Containern im Meer versanken. Zuvor war
aus ungeklärter Ursache ein Feuer auf der vorderen
Schiffshälfte ausgebrochen, das Ladung und Schiffskörper zerstörte. Versuche unter anderem der Bergungsfirma Smit Salvage, die beiden Schiffsteile zu
stabilisieren und abzuschleppen, schlugen fehl.
Alle 26 Besatzungsmitglieder konnten das Schiff
rechtzeitig in Rettungsbooten verlassen und wurden
vom Containerschiff „Yantian Express“ aufgenommen, das als erstes am Unglücksort eintraf. Koordiniert hatte die Rettungsaktion die indische Küsten­
wache in Mumbai. Trotz der etwa 1.500 Tonnen
Schweröl an Bord der „MOL Comfort“ war zum Zeitpunkt des Untergangs keine nennenswerte Ölverschmutzung ersichtlich.
Schwierige Ursachenforschung
Warum der Schiffsstahl nachgab und das Schiff auseinanderbrach, wird womöglich niemals vollends
geklärt werden. Die Rumpfteile liegen in etwa 4.000
Metern Meerestiefe, sodass eine forensische Ursachenanalyse unmöglich ist.
32
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Bricht ein Schiff auseinander, drängt sich zunächst
die Frage nach seiner Seetüchtigkeit auf – ein entscheidendes Kriterium für den Versicherungsschutz
und die Haftung des Reeders. Seetüchtig ist ein
Schiff, wenn es den gewöhnlichen Gefahren einer
Seereise standhält. Dafür entscheidend sind beispielsweise der Zustand des Schiffskörpers, die Kompetenz der Besatzung oder die richtige Beladung. Bei
der „MOL Comfort“ haben Untersuchungen keine
Anhaltspunkte für eine fehlende Seetüchtigkeit ergeben. Das zum Zeitpunkt der Havarie erst fünf Jahre
alte Schiff war kurz vor der Fahrt am 29. Mai 2013
einer „Special Survey“, dem großen FünfjahresSchiffs-TÜV, unterzogen worden. Dabei hatte die
japanische Prüfgesellschaft ClassNK keine Mängel
festgestellt.
Ladung größter Schadenposten
Der versicherte Schaden wird derzeit auf fast eine
halbe Milliarde Dollar geschätzt. Davon entfallen
66 Millionen Dollar auf den Bereich Kasko und etwa
400 Millionen auf die Ladung. Bei ihrem Stapellauf
2008 war die „MOL Comfort“ mit 316 Metern Länge
und 45 Metern Breite ein Schiff der „Post-Panamax“Klasse. Schiffe dieser Kategorie passen nicht mehr
durch den Panama-Kanal, der lange Zeit als Maßstab
für Schiffsmaße herangezogen wurde. Heute läge die
„MOL Comfort“ mit ihrer Ladungskapazität von 8.110
Standardcontainern (Twenty Foot Equivalent Unit/
TEU) nur noch im Mittelfeld. Während bis 2006 kein
Schiff mehr als 10.000 Container fasste, kann das
derzeit größte Containerschiff der Welt, die „MSC
Oscar“, 19.225 TEU laden. Sie ist mit 395 Metern
noch einmal ein gutes Stück länger als die „MOL
MARINE
Ansprüche der Bergungsfirma
Schon früh hat man versucht, ein
einheitliches und effizientes Entlohnungs- und Vertragssystem für die
Bergung von Schiffen in Seenot zu
entwickeln. Es musste einerseits
genügend Anreize für eine Bergung
bieten, sollte andererseits aber den
Geretteten nicht über Gebühr belasten.
Zu diesem Zweck wurde 1892 das
heute weitverbreitete Konzept Lloyds
Open Form (LOF) eingeführt. Es ist
ein Standardvertrag, der den Bergelohn unter anderem nach der Höhe
der geretteten Werte und nach der
Schwierigkeit der Rettung bemisst.
Allerdings gilt der Grundsatz „no
cure no pay – keine Rettung keine
Entlohnung“.
Die Rettungsmaßnahme muss
zumindest teilweise erfolgreich sein.
Im Übrigen ist die Entlohnung auf
den Wert der geretteten Sache
beschränkt.
Dieser Grundsatz hatte zunehmend
negative Auswirkungen: Bergungsfirmen schreckten vor dem Einsatz
an Rettungsaktionen zurück, wenn
sie die Chancen für eine Bergung als
gering erachteten. Auch ein havarierter Öltanker erschien finanziell kaum
lukrativ, da der Restwert des Schiffs
niedrig ist. Letztlich führte der
Grundsatz „no cure no pay“ zu Verzögerungen bei der Bergung oder
gar zu großen Umweltschäden, wenn
sich das Bergungsunternehmen verweigerte.
Comfort“. Dabei gilt: Je mehr Behälter auf einem
Schiff Platz finden, desto geringer sind die Transportkosten pro Container. Aus Rentabilitätserwägungen
heraus sind Schiffe mit einem Ladevolumen von mehr
als 20.000 TEU bereits in Planung, sodass sich der
Schadenschwerpunkt weiter in Richtung Ladung verschieben wird.
Bergungskosten nur schwer kalkulierbar
Neben der Ladung sind die wachsenden Kosten für
Bergung und Wrackbeseitigung von Bedeutung.
Gemäß einer Analyse der International Salvage Union
haben sie sich zwischen 2005 und 2012 verfünffacht,
obwohl die Zahl der Havarien rückläufig war. Hierzu
beigetragen hat das veränderte politische und gesellschaftliche Umfeld: Lokale Behörden und Regierungen bestehen zunehmend darauf, dass die Wrack­
beseitigung möglichst schonend für das Ökosystem
erfolgt. Sie tragen damit dem gestiegenen Umwelt­
bewusstsein in der Bevölkerung und der verstärkten
Aufmerksamkeit in den Medien Rechnung. Vor diesem Hintergrund stellt sich die grundsätzliche Frage,
ob die Versicherungswirtschaft den damit einher­
gehenden Anstieg der Bergungskosten noch tragen
kann und muss. Aus technischer Sicht lässt sich
nahezu jedes Schiffswrack bergen. Doch sollte man
die Wirtschaftlichkeit der Bergungsoperation nicht
aus den Augen verlieren. Ein entscheidender Grund
für die Kostenzunahme sind die enormen Dimensionen moderner Schiffe.
Daher wurde „no cure no pay“ durch
wichtige Regelungen ergänzt. So
erhält das Bergungsunternehmen
nach Art. 14 der International Convention on Salvage von 1989 selbst
bei Erfolglosigkeit eine Entlohnung
auf Basis einer „fair rate for equipment and personal“, wenn dadurch
Gefahren von Umweltschäden abgewendet wurden. Zudem gibt es die
Möglichkeit einer standardvertraglichen Regelung (Special Compen­
sation P&I Clause/SCOPIC), bei der
die Bergungsfirma anhand vorab
festgelegter Tarife entlohnt wird.
Diese Berechenbarkeit macht
­SCOPIC heute zu einem beliebten
Vertrag.
Die Bergung eines Kolosses von mehreren Hundert
Metern Länge erfordert einen immensen technischen
Aufwand, wie das Beispiel des Kreuzfahrtschiffs
„Costa Concordia“ gezeigt hat. Dort haben die Wrackbeseitigungskosten die Marke von einer Milliarde
Dollar überschritten, mehr als das Schiff ursprünglich
gekostet hat. Auch wenn die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind, dürfte der Aufwand für die
Bergung oder gar Wrackbeseitigung eines Containerschiffs der Größe einer „MSC Oscar“, die mit 395
Metern noch einmal 100 Meter länger ist als die
„Costa Concordia“, erheblich und kaum kalkulierbar
sein (siehe auch „Kostspielige Wracks“, Schadenspiegel 1/2014).
Ein spezielles Problem bei havarierten Containerschiffen stellt die Rettung tausender Container dar.
Sie haben sich meist verschoben und liegen instabil
auf und unter Deck, sodass sie sich oft nur mittels
Helikopter und unter Zeitdruck in Sicherheit bringen
lassen. Bei der Havarie der „MOL Comfort“ blieb es
bei bloßen Bergungsversuchen, da das Schiff nach
kurzer Zeit versank.
Die Haftungsfragen bei einem Containerschiffs­
unglück sind komplex, und auch bei der „MOL Comfort“ noch nicht vollends geklärt. Grundsätzlich
­kommen die Kaskoversicherer (Hull) für den Schiffsschaden und die Bergung auf, die Ladungsversicherer
für die Ware (Cargo). Die P&I-Deckung (Protection
and Indemnity) tritt für Haftpflichtansprüche gegenüber dem Eigner der „MOL Comfort“ ein. Hierunter
fallen insbesondere Umweltschäden und gegebenenfalls die Kosten einer Wrackbeseitigung.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
33
MARINE
Haftungsbeschränkung des
Reeders
Die Möglichkeit eines Reeders, seine Haftung
zu beschränken, existiert bereits seit dem 17. Jahr‑
hundert. Während in der freien Wirtschaft weit‑
gehend das Prinzip der unbeschränkten Haftung
herrscht, kann ein Schiffseigner gemäß dem
Londoner Haftungsbeschränkungsübereinkommen
von 1976 ein Höchstmaß festlegen. Es berechnet
sich nach der Tonnage eines Schiffs. Diese Beschränkung greift nur bei grobem Verschulden nicht.
Ansonsten bezieht sie sich auf alle Ansprüche, die
aus Schiffsunglücken resultieren und in Art. 2
des Abkommens näher definiert sind. Nachdem der
Schiffseigner eine Haftungslimitierung beantragt,
wird ein Haftungsfonds errichtet, aus dem sich alle
Gläubiger ausschließlich befriedigen müssen.
Weil das Schiff auf offener See gesunken ist, wurden
keine Ansprüche wegen möglicher Umweltverschmutzung oder Forderungen nach Bergung der
Wrackteile gestellt. Eine Havarie in Küsten- oder
Hafennähe hätte dagegen erhebliche Haftpflichtansprüche zur Folge gehabt. So sind bei der Bergung
des Containerschiffs „Rena“, das im Oktober 2011 vor
Neuseeland auf ein Riff lief, Wrackbeseitigungskosten
von knapp 250 Millionen US-Dollar angefallen, und
das, obwohl die „Rena“ nicht einmal halb so groß wie
die „MOL Comfort“ war (siehe auch Schadenspiegel
1/2012).
Der Schiffseigner der „MOL Comfort“ hat einen
Monat nach der Havarie seine Haftung weltweit auf
40 Millionen US-Dollar limitiert, indem er in Japan
einen Fonds in dieser Höhe nach den Vorschriften des
Londoner Übereinkommens über die Beschränkung
der Haftung für Seeforderungen aufgelegt hat (siehe
Kasten oben). Dieser Betrag wird bei Weitem nicht
ausreichen, Forderungen von fast einer halben Milliarde Dollar (einschließlich Ladung) zu befriedigen.
Letztendlich stehen so vor allem die Ladungsversicherer in der Haftung.
34
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Schiffseigner verklagt Werft
Im Januar 2014 reichte der Eigner der „MOL Comfort“
überdies Klage in Tokio gegen die Werft Mitsubishi
Heavy Industries (MHI) ein, die das Schiff gebaut hat.
Ladungsbeteiligte traten der Klage im Nachgang bei.
Die Kläger werfen der Firma vor, die „MOL Comfort“
fehlerhaft konstruiert und ihre Warn- und Hinweispflichten verletzt zu haben. Ein Jahr vor dem Unglück
habe MHI bereits ähnliche Schäden/Verformungen
bei mindestens einem Schwesterschiff festgestellt,
diese Beobachtung aber nicht an den Eigner der
„MOL Comfort“ weitergegeben. Andernfalls hätte er
seine Flotte inspiziert und gegebenenfalls Nachbesserungen vorgenommen. Die unterbliebenen Hinweise seien daher ein „breach of duty of care“ gegenüber dem Eigner der „MOL Comfort“, heißt es in der
Klageschrift.
Ein ähnlicher Fall ereignete sich 1997 bei dem
Containerschiff „MSC Carla“, das auf der Fahrt von
Le Havre nach Boston auf hoher See auseinanderbrach. Während der eine Schiffsteil gerettet werden
konnte, ­versank der andere mit 1.000 Containern an
Bord in schwerer See. In diesem Fall verklagte der
Schiffs­eigner die Werft Hyundai Corp. vor dem
Southern District Court in New York wegen „defect
manufac­turing“. Im Unterschied zur „MOL Comfort“
war die „MSC Carla“ allerdings nachträglich verlängert worden. Das Gericht verurteilte Hyundai 2004
dazu, für die Schäden aufzukommen.
MARINE
Beispiele von auseinandergebrochenen Schiffen mit Vergleich der
Schiffsraummaße (BRT)
12.12.1999
19.666 BRT
„Erika“, Öltanker, schwere
Ölverschmutzung vor der
Küste Frankreichs
24.11.1997
55.241 BRT
„MSC Carla“, Containerschiff, Verlust von
ca. 1.000 Containern
im Nordatlantik
19.11.2002
42.820 BRT
„Prestige“, Öltanker,
schwere Ölverschmutzung
vor der Küste Frankreichs
und Spaniens
Versicherungen in der Pflicht
Mit einem der bislang größten Schäden in der Containerschifffahrt ist der „MOL Comfort“ ein Eintrag in
die maritimen Geschichtsbücher sicher. Es wird nicht
der letzte sein: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass
kein Schiffstyp von Havarien dieser Art ausgenommen ist (siehe Beitrag Seite 38: „Dem Schwachpunkt
auf der Spur“).
Obwohl die „MOL Comfort“ ein für heutige Verhältnisse eher kleines Containerschiff war, verursachte
sie mit knapp 500 Millionen US-Dollar einen Großschaden, den die Versicherer tragen müssen. Das ist
umso bemerkenswerter, als keine übermäßigen
Kosten für Bergung oder Umweltverschmutzung
anfielen. Hätte sich der Untergang an anderer Stelle
ereignet – vor einer Küste oder gar in einer Hafen­
einfahrt –, wäre dieser Kostenposten erheblich höher
ausgefallen. Wäre ein modernes Containerschiff wie
die „MSC Oscar“ havariert, kämen zu den unkalku­
lierbaren Bergungskosten die Entschädigung für bis
zu 20.000 Container hinzu.
18.1.2007
53.409 BRT
„MSC Napoli“, Containerschiff, Ölverschmutzung
und Containerverlust
im Ärmelkanal
17.6.2013
86.692 BRT
„MOL Comfort“, Containerschiff,
Verlust von ca. 4.000 Containern
im arabischen Meer
5.10.2011
38.788 BRT
„Rena“, Containerschiff, erhebliche
Umweltverschmutzung vor der
Küste Neuseelands
Angesichts der wachsenden Bergungskosten und
des Trends hin zu immer größeren Schiffen muss die
Versicherungswirtschaft die weitere Entwicklung
genau verfolgen. Munich Re bringt ihr Wissen und
ihre Expertise über Risiken und mögliche Szenarien
in den entsprechenden Fachgremien ein, um die Versicherbarkeit derartiger Ereignisse auch künftig zu
gewährleisten. Dazu gehört die adäquate Struktur
von (Rück-)Versicherungsprogrammen genauso wie
das mögliche Zusammenspiel der P&I-Versicherer
mit den staatlichen Behörden bei Großhavarien mit
aufwendigen Bergungsaktivitäten.
>> Weiterführende Informationen
finden Sie im am 30. September 2014
veröffentlichten Untersuchungs‑
bericht unter www.classnk.or.jp
UNSER EXPERTE:
Alexander Kababgi ist seit
15 Jahren als Schadenjurist im
Schadenmanagement bei
Munich Re tätig und zuständig
für die Bearbeitung von
Marineschäden weltweit.
akababgi@munichre.com
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
35
MARINE
Warum Schiffe auseinanderbrechen
Viele Kräfte beeinflussen die Stabilität
von Schiffen. Schiffbaulich betrifft das die
Größe, die Masse und die Form des
Schiffsrumpfes, die Ladung, das Wetter
sowie die dynamischen Kräfte, die auf das
Schiff wirken. An allen Ecken, Kanten und
Rundungen eines Schiffs wird ständig
und ununterbrochen gezerrt. Ein Schiff
muss das aushalten, tut es das nicht, kann
dies zu schwerwiegenden Unfällen führen.
Entwicklung der
Containerschiffklassen
Class:
Ladekapazität
in TEU:
Post-Panamax (abgebildetes Schiff)
1988–2000
4.000–5.000
Umgebautes Frachtschiff
500
1956–1970
Post-PanamaxPlus
2000–2005
5.000–8.000
Umgebauter Tanker
1956–1970
800
NewPanamax
2006–2013
8.000–14.000
Containerschiff
1970–1980
1.000–2.500
Triple-E-Klasse
2014
18.000
Panamax
1980–1988
3.000–4.000
Ultra Large Container Ship
2015
> 16.000
Verformung des Rumpfes
bei schwerem Seegang
bis zu drei Meter
10
m
Wulstbug
36
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Dynamische Kräfte
wirken auf den
Schiffskörper
Abweichung von der
Mittelstellung
Niedrig
1. Hogging
Längsaufbuchtung
des Schiffsrumpfes
nach oben infolge
schweren Seegangs
oder größerer
Beladung an Bug
und Heck
2. Sagging
Längseinbuchtung
des Schiffsrumpfes
nach unten infolge
schweren Seegangs
oder größerer
Beladung in der
Schiffsmitte
3. Torsion
Verwindung des
Schiffsrumpfes
infolge schräg auf
das Schiff auftreffender Wellen oder
größerer Beladung
an gegenüberliegenden Seiten
4. Transversale
Scherung
Zusammendrücken
des Schiffsrumpfes
in der Breite infolge
seitlichen Auftreffens
von Wellen
5. Längsscherung
Zusammendrücken
des Schiffsrumpfes in
der Länge infolge
frontalen Auftreffens
von Wellen
Hoch
Navigations- und
Kommunikationsgeräte
Brücke
Containerstützen
Doppelwandiger Rumpf mit
Treibstoff oder Ballastwassertanks
Schwachstellen und
mögliche Schäden
Schwachstelle:
Große Öffnung zum
Laden von Containern, nur durch Luken
verschlossen
Schott
Doppelter Boden mit Treibstoffoder Ballastwassertanks
Möglicher Schaden:
Ausbeulung an den
20 Millimeter starken
Außenhautplatten am
Boden durch dauerhafte
Belastung des Rumpfes
Möglicher Schaden:
Rumpfbruch infolge
geschwächter Außenhautplatten am Boden
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
37
MARINE
Dem Schwachpunkt auf der Spur
Schiffe brechen häufiger auseinander als gedacht, und die Ursachen‑
forschung gestaltet sich schwierig. Meist treffen mehrere Faktoren
zusammen, die den Schiffsrumpf über seine Belastungsgrenzen hinaus
beanspruchen.
von Markus Wähler
Die „MOL Comfort“ ist nur eines der Schiffe, die in
den vergangenen 15 Jahren einen katastrophalen
Strukturschaden erlitten haben. Der in Europa wohl
bekannteste Fall ist der Tanker „Erika“, der im Dezember 1999 vor der bretonischen Küste mit einer Ladung
Schweröl auseinanderbrach. Im November 2002
geriet der Öltanker „Prestige“ vor der spanischen
Atlantikküste in Seenot und brach ebenfalls in zwei
Teile. Im Januar 2007 riss beim Containerfrachter
„MSC Napoli“ auf der Fahrt im Ärmelkanal die Bordwand ein, das Schiff wurde daraufhin kontrolliert auf
Grund gesetzt. Außerhalb Europas sorgten Ende 2011
das Containerschiff „Rena“ vor Neuseeland und im
August 2013 der Schüttgutfrachter „MV Smart“ an
der Ostküste Südafrikas für Schlagzeilen. So unterschiedlich die Ursachen auch sein mögen, die Fälle
haben eines gemeinsam: Die Schiffe havarierten
meist im Sturm und bei relativ hohem Seegang.
Dabei gerät die Schiffskonstruktion unter enorme
Belastungen.
Schiffskörper sind flexibel
Kommerzielle Schiffe werden heute fast ausschließlich aus Stahl gebaut, Holz hat im Handelsschiffbau
schon lange ausgedient. Andere Materialien wie
­Aluminium oder faserverstärkte Kunststoffe (zum
Einsatz kommen Glas-, Kohlenstoff- oder Carbonfasern – GFK/KFK/CFK) sind zwar möglich, aber um
ein Vielfaches teurer. Sie werden, wenn überhaupt,
fast ausschließlich im Yachtbau eingesetzt. Obwohl
Stahl ein hochfester Werkstoff mit einer sehr hohen
Steifigkeit ist, lässt er sich unter Belastung verformen. Dabei gilt: Je länger das Schiff, desto stärker
biegt sich der Rumpf. Bei ruhigem Wetter ist das für
das Auge kaum wahrnehmbar.
38
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Kommen äußere Einflüsse wie Sturm und hohe Wellen hinzu, verformt sich der Schiffskörper aber entsprechend stärker, und zwar sowohl entlang der
Querachse als auch entlang der Längsachse aufgrund
von Torsionskräften. Ungleichmäßiges Beladen kann
ebenfalls zu einer Verformung des Schiffskörpers
führen, was sich bis zu einem gewissen Grad durch
entsprechendes Ballastwasser-Management verringern lässt. Hierfür wird Wasser in spezielle Tanks im
Schiffskörper gepumpt, um die unterschiedliche Kräfteverteilung so gut wie möglich auszugleichen. Bei
Scherkräften, die bei Wind und Wellengang schräg
auf den Schiffskörper wirken, muss diese Methode
naturgemäß versagen.
Umso wichtiger, dass die Schiffsstruktur den Belastungen standhält. Entscheidend dafür ist zum einen
die Beschaffenheit und Zusammensetzung des
Stahls, zum anderen die verbaute Menge. Kommt zu
viel Stahl zum Einsatz, steigt das Eigengewicht des
Schiffs, wird zu wenig verbaut, können sich Probleme
mit der Festigkeit ergeben – eine schwierige Gratwanderung. Zudem darf der langfristige Einfluss der
Korrosion nicht vernachlässigt werden. Salz und
­Wasser reagieren aggressiv mit Stahl, was dazu führt,
dass die Schiffshülle im Lauf der Zeit an Dicke und
damit an Stabilität verliert.
Das richtige Verstauen der Ladung ist eine Kunst
Die Einflüsse auf den Schiffskörper durch die Ladung
lassen sich theoretisch gut in den Griff bekommen.
Die einfachste Lösung ist eine homogene Beladung,
sodass Biegemomente gar nicht erst entstehen. Allerdings sind optimale Bedingungen in der Praxis so gut
wie nie anzutreffen. So kommt es, dass ein Schiff
häufig in der Mitte, am Bug oder am Heck schwerer
beladen ist. Die daraus resultierenden Belastungs­
zustände, die man in der Schifffahrt als Hogging bzw.
Sagging bezeichnet (siehe Abbildung Seite 36/37),
lassen sich durch Ballastwasser verringern oder sogar
ganz ausgleichen.
MARINE
Feststellen kann man die ungleiche Beladung, indem
man vor dem Auslaufen anhand der Tiefgangsmarken
am Vor-, Mitt- und Achterschiff prüft, wie das Schiff
im Wasser liegt. Das Ablesen gehört zur Routine des
Ladungsoffiziers und des Kapitäns. Zusammen mit
den Ladungsinformationen kann dann das Ballastwassermanagement entsprechend gegensteuern, um
Schlagseite zu verhindern.
Die Beladungsplanung erfolgt in der Regel nicht an
Bord, sondern wird an Land vom Charterer oder vom
beauftragten Planungsbüro vorgenommen. Bei einem
Tanker oder Schüttgutfrachter fällt das relativ leicht.
Sie haben oftmals lediglich eine bestimmte Ladung
an Bord und laufen nur wenige Häfen zum Be- und
Entladen an. Containerschiffe hingegen sind wahre
„Krämerläden“ und bringen unterschiedlichste Güter
an eine Reihe von Anlaufhäfen.
Container dürfen allerdings nicht beliebig an Bord
verteilt werden. Werden etwa leere Behälter im Laderaum gestapelt, die vollen Boxen dagegen an Deck,
so kann die Schwerpunktverlagerung nach oben
schnell die Stabilität beeinträchtigen. Ein so beladenes Schiff könnte noch an der Pier eine Eskimorolle
vollführen. Lassen sich leere Container noch recht
einfach ­identifizieren, stellen die häufig falsch deklarierten Gewichte ein ernsteres Problem dar. Geht man
davon aus, dass bei 20 bis 25 Prozent der Container
an Bord eines Schiffs das angegebene Gewicht vom
tatsächlichen nur um eine Tonne abweicht, so kann
sich das auf mehrere Hundert Tonnen summieren. Bei
einem Schiff wie der „MOL Comfort“, die auf eine
Kapazität von gut 8.000 Standardcontainern (TEU)
ausgelegt war, wären unter dieser Annahme bis zu
2.000 Tonnen mehr oder weniger an Ladung an Bord.
Im günstigsten Fall gleicht sich diese Differenz aus,
eine exakte Beladungsrechnung ist in diesem theoretischen Fall aber unmöglich.
Es gleicht einem „Tetris“-Spiel, die ­­Con‑
tainer so auf dem Schiff zu stapeln, dass
sie mit wenig Aufwand und in kurzer Zeit
an ihrem Bestimmungsort entladen werden können.
Die Gewichtsproblematik wäre relativ einfach in den
Griff zu bekommen. Die Containerbrücken in vielen
Häfen sind heute in der Lage, die Boxen während des
Ladens mit einer eingebauten Waage zu wiegen.
Allerdings müssten die so gewonnenen Informationen auch weiterverarbeitet werden, sowohl an Bord
als auch im jeweiligen Planungsbüro des Schiffs. Eine
Initiative im Bereich der Gewichtsverifikation wäre
nicht nur wünschenswert, sondern unbedingt notwendig, um die Sicherheit im Schiffsverkehr zu erhöhen.
Angesichts der Vielzahl von möglichen Kräften, die
auf ein Schiff einwirken, kommt dem konstruktiven
Design eine entscheidende Rolle zu. Die optimale
Kombination aus Steifigkeit und Elastizität des
Stahls sorgt für eine bestmögliche Balance des
Schiffskörpers im Wasser. Auch wenn Schiffbauingenieure auf jahrzehntelange Erkenntnisse aus dem
Stahlbau zurückgreifen können, stellt die Neukons­
truktion immer größerer Schiffe eine Herausforderung dar. Um Gewicht und Material einzusparen,
kommen hier hochfeste Stahllegierungen und spezielle Verstrebungen zum Einsatz, sodass Schiffe
eigentlich nicht auseinanderbrechen dürften.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
39
MARINE
Die Realität indes sieht anders aus. Bei der „MOL
Comfort“ wird man letztendlich die genaue Ursache
für das Auseinanderbrechen nicht mehr feststellen
können. Die Schiffsteile liegen rund 4.000 Meter tief
auf dem Grund des Indischen Ozeans. Auf den
Schwes­terschiffen, die man in der Folge des
Unglücks untersucht hat, konnte man leichte Verformungen am Schiffskörper ungefähr in dem Bereich
feststellen, in dem die „MOL Comfort“ gebrochen war.
Dort haben sich Beulen in der Bodenplatte gebildet,
und man hat sich für eine Verstärkung des Bereichs
bei allen baugleichen Schiffen entschieden. Darüber
hinaus wird die Beschaffenheit des neu entwickelten
Stahls untersucht, um festzustellen, ob dessen che­
mische Zusammensetzung Auswirkungen auf das
Unglück hatte. Ein einzelner Grund als Schadenursache dürfte allerdings auch hier auszuschließen sein.
Das Verständnis, wie die unterschiedlichen Faktoren
zusammenwirken, ist der Schlüssel, um Schiffs­
unglücke wie das der „MOL Comfort“ künftig zu verhindern.
UNSER EXPERTE:
Markus Wähler ist seit 2013
Marine Consultant bei Munich
Re. Er ist Inhaber des großen
Kapitäns­patents und war jahrelang als Risiko- und Sicherheitsmanager auf einer Werft tätig.
mwaehler@munichre.com
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Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
REZENSION
Mass Torts in Europe –
Cases and Reflections
von Ina Ebert, Munich Re
„Mass Torts“ sind ein Phänomen, das lange Zeit vor allem mit dem US-Recht
in Verbindung gebracht wurde. In den vergangenen Jahren kam es aber
auch in Europa zu Klagen von Hunderten oder Tausenden von Geschädigten, die ähnliche Ansprüche gegen den gleichen Beklagten geltend machten. Auf solche Ver­fahren waren die traditionellen europäischen Rechts­
systeme nicht eingerichtet. Die Studie des Wiener European Centre of Tort
and ­Insurance Law (Ectil) zeigt, wie und mit welchem Erfolg die verschie­
denen europäischen Rechts­ordnungen versuchen, dieser neuen Herausforderung gerecht zu werden.
Um gleichermaßen Theorie und Praxis zu erfassen, verfolgt die Studie dabei
zwei Ansätze: Einerseits werden abstrakt die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen und deren Weiterentwicklungen dargestellt: Welche Mechanismen wurden eingeführt, um Ansprüche zu aggregieren und den Gerichten die
Bewältigung der Massenverfahren zu erleichtern? Wie wird festgelegt, welches nationale Recht anwendbar ist und welche Gerichte zuständig sind ?
Zum anderen veranschaulichen neun Fallstudien von Praktikern aus verschiedenen europäischen Rechtsordnungen, wie dieses „law-in-the-books“ gelebt
wird. Die Bandbreite der behandelten Fälle reicht dabei von der Entschädigung
der Opfer von Massenunfällen (Eschede, „Costa Concordia“) bis zu ersten
Erfahrungen mit Class Actions (gegen italienische Banken) und Musterverfahren von Aktionären (Deutsche Telekom). Die Beispiele zeigen, mit welchen
Mass-Torts-Szenarien man sich längst auch in Europa befassen muss.
Die Reformen in Europa gehen weiter: 2013 hat die EU ihren Mitglieds­t aaten
die Einführung von Entschädigungsmechanismen bei Mass Torts („Collective
Redress“) empfohlen, 2014 haben Frankreich und Belgien Class Actions ein­
geführt. Wer wissen will, welche Konsequenzen sich daraus für die europäischen Märkte ergeben könnten, bekommt durch die Ectil-Studie einen guten
Überblick über die bisherigen Erfahrungen mit Mass Torts in Europa.
Willem H van Boom/
Gerhard Wagner (eds):
„Mass Torts in Europe –
Cases and Reflections”,
De Gruyter, 2014
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
41
JEWELLERS’ BLOCK
Mit der Axt zum Juwelier
In jüngster Zeit häufen sich spektakuläre Juwelendiebstähle.
Selbst vor brachialer Gewalt am helllichten Tag schrecken die Täter
nicht zurück, und auch dicke Stahlbetonwände erweisen sich nicht als
große Hürde. Die Schäden gehen in die Millionen.
Mit Äxten und Hämmern verschafften sich
Banden wie die „Pink Panthers“ Zugang zu
wertvollem Schmuck.
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Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
JEWELLERS’ BLOCK
von Eckhard Schäper
Während im Londoner Diamantenviertel Hatton
­Garden Anfang April 2015 österliche Ruhe herrschte,
ging es unter der Erde mit schwerem Gerät zur
Sache. Einbrecher waren vermutlich am Karfreitag in
den Tresorraum einer dort ansässigen Depotfirma
eingedrungen. Nachdem sie einen Aufzugsschacht in
den Keller hinuntergeklettert waren, durchbohrten sie
über Stunden mit einem wassergekühlten Hochleis­
tungsbohrer eine zwei Meter dicke Stahlbetonwand.
Danach brachen sie ungestört 72 Safes auf und ver­
schwanden mit der Beute.
Was die Diebe genau erbeutet haben, ist noch nicht
bekannt, doch dürfte der Schaden im Bereich von
­vielen Millionen Pfund liegen. Unter anderem werden
die Schließfächer von örtlichen Diamantenhändlern
und Juwelieren genutzt, die ihre wertvollen Stücke
dort für die Feiertage deponiert hatten. Rätselhaft
bleibt, warum die Londoner Polizei, die kurz nach Mit­
ternacht am Karfreitag von einer Sicherheitsfirma
einen Alarm erhalten hatte, nicht reagiert hat. Der
Einbruch wurde erst bemerkt, als die Safefirma am
Dienstag wieder öffnete.
Die „Pink Panthers“ sind die derzeit am meisten
gefürchteten Diebe
Nicht minder spektakulär, wenn auch auf ganz andere
Art, geht die gefürchtete Juwelendiebbande „Pink
Panthers“ vor. Laut Interpol verübte sie in den vergan­
genen Jahren 340 Raubüberfälle in 35 Ländern. Die
Gruppe, die äußerst professionell agiert, verursachte
seit 1999 einen Schaden von mehr als 330 Millionen
Euro. Die Taten laufen meist nach ähnlichem Muster
ab: Entweder betreten die Diebe als potenzielle Käu­
fer in Gruppen von zwei bis fünf Personen ein Juwe­
liergeschäft, oder sie verschaffen sich am helllichten
Tag mit Gewalt Zugang zu den Geschäftsräumen.
Während einige aus der Gruppe die Angestellten
bedrohen, zertrümmern andere mit Äxten oder Häm­
mern die Vitrinen, reißen so viel Schmuck an sich, wie
sie zu fassen bekommen, und stürmen nach kürzester
Zeit wieder aus dem Laden. Die Fluchtwege sind
genau einstudiert, auch die Entfernung zur nächsten
Polizeistation ist in den Plänen berücksichtigt. Trotz
regelmäßiger Ermittlungserfolge, bei denen in erster
Linie die „Runner“, die ausführenden Mitglieder,
gefasst werden, stehen die Ermittler vor dem Pro­
blem, die Hintermänner und Hehler zu fassen, die das
Diebesgut zu Geld machen.
Ob die „Pink Panthers“-Bande auch hinter dem größ­
ten Juwelenraub aller Zeiten 2013 in Cannes steckt,
herrscht Unklarheit. Fakt ist, dass Juwelendiebstähle
unterschiedlichster Art Konjunktur haben, wie die
­folgende Aufstellung (ohne Anspruch auf Vollständig­
keit) zeigt. Mangelhafte Sicherheitskonzepte, ein
nachlässiger Umgang mit wertvollem Schmuck oder
unvorsichtige Mitarbeiter machen es den Dieben häu­
fig leicht.
Februar 2013: Diamantenraub am Flughafen Brüssel
Eine Gruppe von acht bewaffneten Männer erbeutete
am 18. Februar 2013 bei einem Überfall auf ein
Frachtflugzeug am Flughafen von Brüssel mehrere
Behälter mit Diamanten. Die minutiös geplante
Aktion begann kurz vor 20 Uhr. Als Polizisten verklei­
dete Räuber durchbrachen mit zwei Autos den Zaun
des Flughafengeländes und drangen bis zum Rollfeld
vor. Dort bedrohten sie die Angestellten einer Sicher­
heitsfirma, die gerade die Behälter mit den Diaman­
ten zum Weitertransport in ein Flugzeug verluden.
Nach wenigen Minuten waren die Täter mit der Beute
im Wert von etwa 37 Millionen Euro in der Dunkelheit
verschwunden.
Fast drei Monate später gelang es der Polizei, in
­Belgien, Frankreich und in der Schweiz insgesamt
31 Verdächtige festzunehmen. Nach Angaben der
Staatsanwaltschaft in Brüssel wurden in der Schweiz
Teile der Beute sichergestellt. In Brüssel seien zudem
größere Geldsummen sowie Luxusautos beschlag­
nahmt worden.
Das Sicherheitskonzept von Werttransporten ist
regelmäßig zu überprüfen, auch für vermeintlich
sichere Plätze wie das Rollfeld eines Flugplatzes, das
nicht für die Öffentlichkeit zugängig ist. Möglicher­
weise war zu wenig Sicherheitspersonal vor Ort.
Mai 2013: Juwelendiebstahl in Cannes
Während der Filmfestspiele in der südfranzösischen
Stadt brachen Unbekannte am 17. Mai 2013 in ein
Hotelzimmer ein, das eine Angestellte der Schweizer
Schmuckfirma Chopard bewohnte. Der Schmuck im
Wert von mehr als einer Million Euro befand sich im
Zimmersafe. Offensichtlich ungestört konnten der
oder die Täter den Safe aus der Veran­kerung lösen
und mitnehmen. Bis heute ist nicht geklärt, wie der
Coup trotz des riesigen Sicherheitsaufwands gelin­
gen konnte.
Der Diebstahl hätte verhindert werden können, wenn
die Chopard-Mitarbeiterin die Grundregel beachtet
hätte, wertvolle Gegenstände nicht im Zimmersafe zu
deponieren. Wesentlich sicherer ist der Hotelsafe, der
besser geschützt ist.
Juli 2013: Raubüberfall in Cannes
Ein weiterer Diebstahl ereignete sich in Cannes am
Vormittag des 28. Juli 2013, als gegen 11.30 Uhr ein
dunkel gekleideter Mann das Luxushotel „Carlton“
betrat. Zielstrebig ging er in den Seitenflügel des
Hotels, wo die „Extraordinary Diamonds“, eine Ver­
kaufsausstellung des Juweliers Lev Leviev, aufgebaut
war. Über eine normalerweise verriegelte Terrassen­
tür gelangte der Mann ungehindert in die Ausstel­
lung, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als der
Schmuck von einem Safe in die gepanzerten Vitrinen
gelegt werden sollte.
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
43
JEWELLERS’ BLOCK
Der Täter bedrohte das dort anwesende Personal und
die Sicherheitsleute mit einer Pistole und raubte
unter anderem Ringe, Schmuckanhänger und mit
Diamanten besetzte Ohrringe im Wert von 103 Millio­
nen Euro. Laut Ermittlern handelt es sich bei 34 Pre­
ziosen um Ausnahmestücke im Wert von jeweils
mehreren Millionen Dollar. Nur sie waren versichert.
Andere Stücke mit einem Wert zwischen 20.000 und
40.000 Euro waren dagegen nicht versichert. Der
Raubüberfall stellte den bis dahin größten Juwelen­
diebstahl in den Schatten: Bei einem Einbruch im
Diamantenzentrum von Antwerpen entkamen die
Täter im Februar 2003 mit einer Beute von rund 100
Millionen Euro.
In Cannes erwies sich als höchst problematisch, dass
die Verantwortlichen kein spezielles Sicherungskon­
zept entwickelt hatten. Für eine Ausstellung mit Wer­
ten im dreistelligen Millionenbetrag, die außerhalb
der gesicherten Geschäftsräume stattfindet, ist ein
ausgeklügeltes Konzept unabdingbar. Es sollte mit
Experten der Versicherung, der örtlichen Polizei und
der zuständigen Sicherheitsfirma abgestimmt sein
und unterschiedliche Schutzvorrichtungen umfassen.
Dazu gehören Überwachungskameras, Sicherheits­
vitrinen mit zeitverzögerten Schlössern, mechanisch
geschützte Zugangstüren, Meldeanlagen für Ein­
bruch und Überfälle und eventuell sogar ein Nebel­
gerät. Ein wirksames Sicherungskonzept erstreckt
sich zudem über alle Phasen einer Ausstellung – von
der Anlieferung bis zum Rücktransport – und wird
von geschulten Sicherheitsmitarbeitern begleitet.
September 2013: Juwelenraub in Paris
In den Morgenstunden des 9. September 2013 steuer­
ten vier Räuber einen Geländewagen in die Auslage
eines Pariser Juweliers nahe der Place Vendôme.
Nachdem sie Schmuck und Uhren im Wert von rund
zwei Millionen Euro aus den zerstörten Schaufens­
tern an sich gerissen hatten, setzten sie den Wagen
zur Spurenbeseitigung in Brand und flohen in einem
anderen bereitgestellten Fahrzeug.
Auch hier fehlte ein mit dem Versicherer abgestimm­
tes Sicherheitskonzept:
–Nachts sollten keine wertvollen Schmuckstücke in
den Schaufenstern ausliegen, sondern in den Treso­
ren der Geschäfte (> Nachtauslage).
–Wertvolle Stücke sollten durch billige Duplikate
ersetzt werden.
–Bei einigen Juwelieren werden nachts die Auslagen
der Schaufenster durch Rollladen verdeckt.
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Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
Täter beim Überfall auf das Juwelier­
geschäft Kern auf der Königsallee in
Düsseldorf am 23. April 2005
–Juwelierschaufenster sollten durch spezielle ein­
bruchhemmende Verglasungen gesichert werden,
die einen widerstandsfähigen Polycarbonat-Kern
aufweisen.
–Schaufenster von Juweliergeschäften sollten durch
Poller oder Blumenkübel mechanisch so geschützt
werden, dass Angriffe mit Geländewagen oder
anderen Fahrzeugen nicht möglich sind.
Oktober 2013: Juwelenraub in Hongkong
Am 11. Oktober 2013 gegen 11.30 Uhr betraten zwei
mit Helmen, Westen und Mundschutz als Bauarbeiter
maskierte Männer einen Juwelierladen im Hongkon­
ger Stadtviertel Süd-Kowloon. Einer der Täter über­
goss Mitarbeiter des Juweliers mit einer brennbaren
Flüssigkeit. Danach begann er, mittels Brechstange
eine Vitrine aufzuhebeln. Der andere Täter zückte
eine Pistole und forderte die Angestellten auf, eine
weitere Vitrine mit Schmuckstücken zu öffnen. Nach
kaum einer Minute verließen die Täter das Geschäft
mit einer Beute von ca. 1,3 Millionen Euro (in Zei­
tungsberichten ist von 10 Mio. Hongkong-Dollar – ent­
sprechend 960.000 Euro – die Rede). Der Polizei
zufolge war der Raub gut geplant, da sich die Täter
zielstrebig die beiden Vitrinen mit den wertvollsten
Stücken ausgesucht hatten.
Hier wies das Sicherheitskonzept des Juweliers
erhebliche Lücken auf. So ist es zweckmäßig, wäh­
rend der Öffnungszeiten einen uniformierten Wach­
mann vor bzw. in dem Geschäft zu postieren, um
zumindest Gelegenheitstäter abzuschrecken. Beson­
ders wertvolle Stücke gehören zudem in einen spe­
ziellen Wertschutzschrank und nicht in die Vitrinen.
Die Stücke werden interessierten Kunden nur nach
Absprache und in einem gesonderten Raum gezeigt.
JEWELLERS’ BLOCK
Oktober 2013: Einbruch bei einem Juwelier in
Tel Aviv
–Mittelsmänner übernehmen die Beute unmittelbar
nach der Tat.
An einem Wochenende im Oktober 2013 erbeuteten
drei maskierte Männer in Tel Aviv Schmuck im Wert
von 500.000 US-Dollar aus einem Juwelierladen im
ersten Stock eines mehrstöckigen Geschäftshauses.
Die Täter brachen zunächst in ein benachbartes,
kaum gesichertes Büro ein, schlugen von dort ein
Loch in die Verbindungswand und erreichten so ihr
Ziel. Im Juweliergeschäft angekommen, hebelten sie
in aller Ruhe Vitrinen und einen Wertschutzschrank
auf. Zwar wurden die Männer von den versteckten
Videokameras gefilmt. Doch löste die Einbruchmel­
deanlage keinen Alarm aus, da die Übertragung zuvor
sabotiert worden war. Auch eine Störmeldung, die
normalerweise bei einer unterbrochenen Leitung
erfolgt, hat der Wachdienst nach eigenen Aussagen
nicht bemerkt. Ein Gutachter wurde mit der Über­
prüfung der Einbruchmeldeanlage und der Übertra­
gungseinrichtung beauftragt.
–Die Täter schlagen häufig kurz nach Ladenöffnung,
gegen Mittag oder kurz vor Ladenschluss zu. Auch
in diesem Fall gab es höchstwahrscheinlich Mängel
im Sicherheitskonzept. Zudem fehlte ein Wach­
mann. Auch waren die Vitrinen nicht aus Sicher­
heitsglas mit Polycabornat-Kern.
Das Sicherungskonzept weist auf den ersten Blick
keine Lücken auf, möglicherweise ist die Schwach­
stelle das Wachunternehmen. Alarme sollten nur auf
zertifizierte Wachunternehmen aufgeschaltet wer­
den.
Februar 2014: Überfall auf ein Juweliergeschäft
in München
Fünf vermummte Männer verübten am 12. Februar
2014 gegen 11 Uhr einen blitzartigen Überfall auf den
Juwelier Chopard in der Münchner Maximilianstraße.
Einer von ihnen zertrümmerte mit einer Axt die Ein­
gangstür, die für gewöhnlich verschlossen ist und erst
auf ein Läuten von einem Wachmann geöffnet wird.
Die Täter stürmten in den Laden, zerschlugen Vitri­
nen, griffen sich Uhren und Schmuck und stoben
nach kaum einer Minute in unterschiedliche Richtun­
gen davon. Die Angestellten, die sich zum Zeitpunkt
des Überfalls im Laden befanden, blieben unverletzt.
Es wurden Uhren und Schmuck im Wert von rund
200.000 Euro erbeutet. Vier der fünf Täter konnten
unmittelbar nach der Tat von der Polizei festgenom­
men werden.
Dezember 2014: Raubüberfall auf das Berliner
Kaufhaus KaDeWe
Im Weihnachtstrubel erbeuteten Täter Uhren und
Schmuck in Millionenhöhe. Mehrere maskierte Män­
ner betraten das KaDeWe kurz nach Öffnung am
Samstagmorgen über einen Seiteneingang des Kauf­
hauses. Nachdem sie den Wachmann mit Reizgas
außer Gefecht gesetzt hatten, zertrümmerten sie die
Vitrinen aus Sicherheitsglas (Polycarbonat) und
flüchteten wenige Minuten später mit wertvollen
Uhren und Schmuck.
Fazit
Nur durchdachte und dem Risiko angepasste Siche­
rungskonzepte können Einbrüche und Fälle von Dieb­
stahl verhindern. Alle Beteiligten wie Versicherer,
­Versicherungsnehmer, Polizei, private Wachdienste
sowie die Leitstellen, bei denen die Alarme eingehen,
müssen mit den Konzepten vertraut sein. Auch die
regelmäßige Aktualisierung der Konzepte ist notwen­
dig. Nur so können Pannen wie diese vermieden wer­
den: Nach dem spektakulären Raub in London im
April 2015 wurde die Polizei wohl bereits am Karfrei­
tag über einen Alarm in der Depotfirma informiert,
der Anruf hatte aber lediglich die Dringlichkeitsstufe
„Kein Eingreifen notwendig“ erhalten.
Nach der Rekonstruktion des Tathergangs lassen sich
Parallelen zu anderen Raubüberfällen erkennen:
–Die Täter stammten aus Osteuropa. Sie wurden ein­
zig für diesen Überfall ins Land gebracht und sollten
danach sofort wieder ausreisen. Aus diesem Grund
sind die Täter nicht immer vermummt, da sie nicht
damit rechnen müssen, erkannt zu werden.
–Um nicht identifiziert zu werden, tragen die Täter
keine Ausweisdokumente bei sich.
–Die Taten werden schnell, gezielt und mit brachialer
Gewalt ausgeführt.
UNSER EXPERTE:
Eckhard Schäper ist Brand­
schutz­ingenieur und Experte für
Einbruch/Diebstahl im Bereich
Corporate Claims Munich Re.
eschaeper@munichre.com
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
45
ENGINEERING
Pipelinebau mit Hindernissen
Der Bau einer Ölpipeline durch die Anden-Region konnte nur mit
­erheb­licher Verzögerung fertiggestellt werden. Ein ­Vulkanausbruch,
aber auch der Widerstand der betroffenen Bevölkerung waren die
Gründe hierfür.
von Klaus Wenselowski
Bei dem Projekt handelt es sich um den Bau einer
etwa 500 Kilometer lange Pipeline von einem ecua­
dorianischen Ölzentrum an den Pazifik. Sie trans­
portiert seit ihrer Fertigstellung täglich rund einige
Hunderttausend Barrel Rohöl über die Anden zu
einem Hafen am Pazifik. Der größte Teil der Strecke
verläuft unterirdisch.
Bereits seit 30 Jahren besteht weitgehend parallel zur
neuen Pipeline eine Erdölleitung, die durch äußere
Einwirkungen immer wieder leckgeschlagen ist und
Gewässer sowie Böden verseucht hat. Auch deshalb
hatte sich aufseiten der Bevölkerung und der
Gemeindeverwaltung Widerstand gegen das neue
Projekt formiert.
Der Projektumfang besteht aus einem Rohöl-Lager­
terminal, vier Pumpstationen über die Anden, zwei
Druckreduzierungsanlagen und einem neuen Lagersowie See-Export-Terminal. Die Pipeline läuft durch
ein Gebiet starker seismischer und vulkanischer
Aktivität mit sechs aktiven Vulkanen, in dem regelmä­
ßig starke Erdbeben und Erdrutsche auftreten.
Noch während des Baus der Pipeline brach der Vul­
kan Reventador in den östlichen ecuadorianischen
Anden aus, der zu den aktivsten im Land gehört.
Nach Angaben des geophysikalischen Instituts in
Quito war es eine der stärksten Eruptionen, die in den
vergangenen 100 Jahren in dem Land aufgezeichnet
wurden. Die Trasse der neu zu bauenden Pipeline
Luftaufnahme eines Ausbruchs des
­Vulkans Reventador
46
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
ENGINEERING
führte unglücklicherweise nur wenige Kilometer süd­
lich am Fuß des Vulkans vorbei. Hunderte Arbeiter
mussten sofort in Sicherheit gebracht werden, da her­
abfallende Gesteins- und Lavabrocken das Baulager
gefährdeten. Auch wenn sich der Ausbruch lediglich
über knapp drei Wochen hinzog, kam es in den Folge­
monaten immer wieder zu Erdrutschen und Laharen
(eine Art Schlammlawine), die das Projekt belasteten.
Heiße Lava und vulkanische Gesteinsbrocken
beschädigten die neue Pipeline auf einer Länge von
etwa 650 Metern. Rohre wurden deformiert oder aus
der Halterungen gerissen und kamen in einigen
Fällen erst unmittelbar vor der existierenden Pipeline
zum Stillstand. Weitere Zerstörungen richteten die
mit hoher Geschwindigkeit und Temperaturen von
einigen Hundert Grad Celsius fließenden pyroklasti­
schen Ströme an. Die Glutlawinen bahnten sich ihren
Weg durch die an den Vulkan grenzenden Täler,
begruben Teile der im Bau befindlichen Pipeline
sowie der ­wichtigsten Fernstraße unter sich, bevor sie
in einem nahe gelegenen Flusstal zum Stillstand
kamen.
Eine detaillierte Analyse der Schäden ergab
folgendes Bild:
−−geringere Deformationen an ungefähr 20 Teilen,
−−starke Deformationen an zwei Leitungsteilen,
−−schwere Beschädigung eines Leitungsteils,
−−Hitzeschäden an der Beschichtung von ungefähr
zwölf Teilen,
−−unzulässige Oberflächenhärte nach Wärme‑
belastung an der Oberfläche.
−−Unterbrechung ohne Sachschäden wegen verschie­
dener Streiks und Aktionen hinsichtlich eines „Inter­
essenausgleichs“.
Insgesamt machten die Versicherten zunächst eine
Verzögerung von 221 Tagen geltend. Nach Abzug für
Funktionsprüfung, der nicht gedeckten Unterbre­
chung wegen der Zivilklage und weiteren abzugsfähi­
gen Tagen reduzierte der Versicherer die Forderung
auf nur mehr 124 Tage. Dies führte immerhin noch zu
einer Gesamtforderung für Delay in Startup von etwa
80 Millionen US-Dollar.
Der Sachverständige prüfte alle Forderungen und
stufte lediglich 36 Tage als entschädigungspflichtig
ein.
Nach längeren Diskussionen einigten sich die Par­
teien auf einen Gesamtausgleich von 50 Prozent.
Fazit
Der Schaden zeigt die große Bedeutung von Erdbe­
bendeckungen bei Baupolicen. Im vorliegenden
Fall hatten die Gutachter die schwierige Aufgabe, die
ungedeckten Ereignisse aus dem Gesamtverlust des
Versicherten aufwendig herauszurechnen. Dadurch
kam es zusätzlich zu langwierigen Diskussionen, die
bei Delay-in-Startup-Policen öfter auftreten.
Der beauftragte Schadengutachter kalkulierte einen
Sachschaden von ca. 10 Millionen US-Dollar.
Die Versicherungspolice des Projekts bestand aus
drei verschiedenen Deckungen:
−−CARu „All Risk“,
−−Cargo,
−−Delay in Startup.
Mehrere Unterbrechungen im Zuge des Vulkanaus­
bruchs, aber auch wegen diverser Streiks führten
dazu, dass das Projekt erst gut sieben Monate später
als geplant fertiggestellt werden konnte. Die Versi­
cherungsnehmer nannten folgende Hauptereignisse
für die Verzögerung:
−−sechs Tage Unterbrechung mit Sachschaden
infolge des Vulkanausbruchs und nachfolgender
Lahare,
−−1,5 Monate Unterbrechung ohne Sachschäden
wegen Widerstands der lokalen Gemeindeverwal­
tung,
−−fünf Tage Unterbrechung ohne Sachschäden wegen
einer Zivilklage einer Privatperson,
−−ein Monat Unterbrechung ohne Sachschäden
wegen Streiks,
UNSER EXPERTE:
Klaus Wenselowski ist Maschinen­
bauingenieur. Er leitet das Property
Claims Management Team in der
­Global Clients/North America Division
in München.
kwenselowski@munichre.com
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
47
KOLUMNE
Naturkatastrophen
Aus Schäden lernen,
Schäden zu begrenzen
Tobias Büttner, Head of Corporate Claims bei Munich Re
tbuettner@munichre.com
Die Folgen von Hurrikan Katrina
bleiben auch nach zehn Jahren für
die Versicherungswirtschaft einer
der teuersten Schadenkomplexe
aller Zeiten. Der Rückblick auf ein
Ereignis dieser Dimension wirft
immer auch die Frage auf, was sich
daraus für künftige ähnliche Szena­
rien lernen lässt: Welche Maß­
nahmen zur Schadenbegrenzung
haben sich bewährt? Und welche
Rolle kommt dabei der Versiche­
rungswirtschaft zu?
Im Nachgang zu Katrina wurde vor
allem versucht, durch verbesserte
Bauvorschriften in den am stärksten
von Überschwemmungen gefähr­
deten US-Staaten Vorsorge für ähn­
liche Schadenereignisse zu treffen.
Dabei zeigt sich zum einen die
Bedeutung eines engen Zusammen­
spiels von staatlicher und privater
Vorsorge. Zum anderen werden aber
auch die Schwierigkeiten deutlich,
die sich aus dem Zusammentreffen
unterschiedlicher Zuständigkeiten
ergeben können. Hinzu kommt, dass
nicht selten fehlende Ausweichmög­
lichkeiten und beschränkte finan­
zielle Ressourcen der Beteiligten die
konsequente Umsetzung regulato­
rischer Vorgaben maßgeblich beein­
trächtigen.
48
Insgesamt hat sich bei Hurrikanen in
den vergangenen Jahren in den USA
aber gezeigt, wie sehr ein erhöhtes
Risikobewusstsein aller Beteiligten
dazu beitragen kann, Schäden zu
begrenzen. So dürften etwa die früh­
zeitigen Warnungen und umfassen­
den Evakuierungsmaßnahmen bei
Hurrikan Sandy 2012 das Schaden­
ausmaß spürbar gesenkt haben.
Ein weiteres Beispiel für den Erfolg
frühzeitiger und konsequenter Vor­
sorgemaßnahmen liefern die Zyklone
Odisha und Hudhud in Indien:
­Odisha forderte 1999 noch 10.000
Menschenleben. Im Vorfeld von Hud­
hud wurde 2014 die Gefahrenzone
schnell und großflächig evakuiert.
Obwohl beide Zyklone sehr ähnlich
verliefen, waren daher nach Hudhud
lediglich 84 Todesopfer zu beklagen.
Wie effektiv und daher sinnvoll
­Schadenprävention ist, lässt sich
auch in Europa aufzeigen. Zwar
belief sich sowohl nach der Elbeflut
von 2002 als auch beim Hochwasser
in Deutschland 2013 der versicherte
Schaden auf jeweils rund zwei Mil­
liarden Euro. Dies beruht jedoch dar­
auf, dass Versicherungsdichte und
Wertekonzentration in der betroffe­
nen Region zwischenzeitlich zuge­
nommen hatten. Der wirtschaftliche
Gesamtschaden hingegen halbierte
sich annähernd von mehr als 11,5 Mil­
liarden auf knapp sechs Milliarden
Euro. Das ist zum Teil dem Ausbau
und der besseren Instandhaltung der
Deiche zu verdanken. Daneben spiel­
ten aber auch präventive Maßnah­
men der Hauseigentümer und Unter­
nehmen eine zentrale Rolle. So
wirkten sich zum Beispiel die Verla­
gerung von Heizungsanlagen in
Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015
höhere Stockwerke oder die bessere
Abdichtung von Gebäuden schaden­
mindernd aus. Allerdings zeigte sich
auch hier, wie wichtig eine enge
Kooperation aller beteiligten staatli­
chen und privaten Akteure ist, damit
der Schaden insgesamt begrenzt
wird und nicht lediglich eine Umver­
teilung der Schadenlast erfolgt.
Der Beitrag der Versicherungswirt­
schaft zu dieser Entwicklung geht
dabei weit über die finanzielle Risiko­
verlagerung hinaus. Sie stärkt durch
frühzeitige Aufklärung über Risiken
das Bewusstsein für mögliche
Gefahren und zeigt Optionen zur
Prävention auf. Darüber hinaus las­
sen sich durch die Prämiengestal­
tung Anreize zur Schadenverhütung
oder zumindest zur Schadenbegren­
zung schaffen.
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