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TOPICS SCHADENSPIEGEL Das Magazin für Schadenmanager Ausgabe 1/2015 Katrina – 10 Jahre danach Hurrikan Katrina hat 2005 in New Orleans verheerende Schäden hinterlassen. Auch wenn sich seither viel getan hat, sind längst nicht alle Wunden verheilt. Was haben wir aus der Katastrophe in den vergangenen zehn Jahren gelernt? SEITE 6 Marine Wenn Schiffe auseinanderbrechen Flugzeugabsturz Rasche Hilfe für Angehörige Jewellers Block Mit der Axt zum Juwelier Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, Vor zehn Jahren verursachte Hurrikan Katrina einen der bislang teuersten Schadenkomplexe für die Versicherungswirtschaft überhaupt. In diesem Schadenspiegel-Heft befassen wir uns daher mit den Lehren, die aus den Erfahrungen mit diesem Ereignis gezogen wurden. Dies betrifft zum einen Vorsorgemaßnahmen durch staatliche Behörden oder private Eigentümer, die bei künftigen ähnlichen Natur‑ katastrophen das Ausmaß der Schäden begrenzen sollen, von einem Ausbau der Deiche bis zu einer Verschärfung der Bauvorschriften. Vor allem aber gehen wir der Frage nach, was die Versicherer seit Katrina über den Umgang mit großen Naturkatastrophen dazugelernt haben. Welche Konsequenzen hatte Katrina auf die Modellierung von Naturkatastrophen, etwa im Hinblick auf das Zusammenwirken von Sturm- und Flutschäden? Muss man künftig nach Naturkatastrophen stets mit substanziellen Haftungsklagen rechnen, wie diese nach Katrina erhoben wurden? Sind wir auf derartige Naturkatastrophen heute insgesamt besser vorbereitet als vor zehn Jahren? Neben Katrina steht in diesem Schadenspiegel-Heft eine Reihe traditioneller Schadenszenarien im Mittelpunkt, die jeweils unter dem Aspekt eines aktuellen Trends behandelt werden: Woran liegt es, wenn Containerschiffe auseinanderbrechen, und wie bleiben die Kosten für die Bergung der immer größeren Schiffe und ihrer Fracht nach solchen Unglücken kalkulierbar? Wie können Schäden durch den Diebstahl von Wertgegenständen wie Juwelen begrenzt werden, obwohl internationale Diebesbanden gleichermaßen auf brachiale Gewalt wie moderne Technik zurückgreifen? In welchem Ausmaß müssen bei der Kalkulation möglicher Verzögerungen bei Bauprojekten mittlerweile weltweit neben Naturgefahren auch politische und haftungsrechtliche Ausein‑ andersetzungen in Betracht gezogen werden? Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen Tobias Büttner Head of Corporate Claims bei Munich Re NOT IF, BUT HOW Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 1 Auferstanden aus Katrina An der östlichen Peripherie New Orleans wurden nach einem Dammbruch die alten Häuser des Arbeiterstadtteils Lower Ward fortgerissen. Auf der lange Zeit brach liegenden Fläche baute 2007 die von Brad Pitt gegründete „Make It Right Foundation“ hundertfünfzig Häuser. Lower 9th Ward ist nur eines von unzähligen Bauprojekten nach der großen Katastrophe. 2 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 6 Inhalt Die optimale Kombination aus Elastizität und Steifigkeit des Stahls sorgt für die Balance von Containerriesen wie der „MOL Comfort“. Warum können Schiffe dennoch auseinander brechen? 30 KATRINA Katrinas Vermächtnis Die Auswirkungen des Wirbelsturms spüren wir bis heute. Ein Rückblick zum 10. Jahrestag. 6 Der Klimaaspekt des Hurrikanrisikos Beeinflusst der Klimawandel die Häufigkeit und die Stärke von Hurrikanen? 10 Große Fortschritte beim Hochwasserschutz Schutzmaßnahmen senken das Hochwasserrisiko. 14 Betriebsunterbrechung und Wide Area Damage In welchem Umfang werden Schäden erstattet? 19 Eine neue Ölpipeline sollte quer durch ein Vulkangebiet in den Anden verlaufen. Noch während des Baus brach der Reven‑ tador aus. 46 AVIATION Optimale Hilfe in Notfällen Das Unternehmen Fireside Partners Inc. unterstützt Fluggesellchaften, Versicherungen und Angehörige nach einem Unfall. MARINE Größter Schaden in der Containerschifffahrt Der Untergang der „MOL Comfort“ 2013 Dem Schwachpunkt auf der Spur Wenn Schiffe in der Mitte auseinanderbrechen JEWELLERS BLOCK Mit der Axt zum Juwelier Bei Raubüberfällen schrecken die Täter vor kaum etwas zurück. Die Schäden gehen in die Millionen. 28 30 38 42 Schadenmodellierung nach Katrina Risikomodelle unter der Lupe 20 Katrina 2015: Was wäre wenn? Wie die neuen Erdgas-Terminals die Exponierung der Region verändern. 24 ENGINEERING Pipelinebau mit Hindernissen 46 Vulkanausbruch beschädigte die Trasse einer Pipeline. „Katrina war in vieler Hinsicht außergewöhnlich“ 27 Vorstand Peter Röder über die Versicherung von Sturm und Sturmflut Vorwort1 Unternehmensnachrichten4 Rezension41 Kolumne48 Impressum Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 3 NACHRICHTEN MÜNCHENER RÜCK STIFTUNG NATHAN MOBILE IBHS Vom Wissen zum Handeln An jedem Ort, zu jeder Zeit Fortschritte bei der Erforschung von Hagel Wissen verpflichtet – und wer verantwortlich handelt, teilt sein Wissen. Aus diesem Grund hat Munich Re 2005 die Münchener Rück Stiftung gegründet. Mit dem Anspruch „Vom Wissen zum Handeln“ arbeitet das Team der Stiftung seither daran, Risiken zu minimieren und Menschen in Risikosituationen wirksam zu helfen. Wissensaufbau, Aufklärung und direkte Hilfe vor Ort gehen dabei Hand in Hand. „Die inter nationale Mikroversicherungskon ferenz, unsere Nebelnetzprojekte in Marokko und Tansania, die Frühwarnsysteme in Mosambik und Tonga“, berichtet Thomas Loster, CEO der Stiftung, „sind erfolgreiche Beispiele aus zehn Jahren Stiftungsarbeit, auf die wir sehr stolz sind.“ Mit dem neuen Modul der NATHAN Risk Suite können Risikomanager jetzt jederzeit und an jedem Ort der Welt Naturgefahrenanalysen durchführen und Bewertungen miteinander vergleichen. Da NATHAN Mobile direkt an die NATHAN Datenbank angebunden ist, haben Risikoprüfer immer Zugriff auf die aktuellen Daten. Das amerikanische Insurance Institute for Business & Home Safety (IBHS) vermeldet Fortschritte bei der Erforschung von Hagelstürmen. Im Rahmen eines mehrjährigen Projekts wurden 2014 nicht nur mehr natür liche Hagelkörner vermessen als je zuvor, auch die Hagelerkennung durch sogenannte Polarimetric Radar Detection wurde verbessert. Für den schnellen Überblick dient der Overall Risk Score. Er stellt eine absolute Maßzahl für die Höhe des Naturgefahrenrisikos in der Sach versicherung dar und beinhaltet die Gefahren Erdbeben, Tropischer Sturm, Wintersturm, Tornado, Hagel, Sturzflut, Sturmflut und Überschwemmung. Das IBHS-Projekt soll zum einen den Einsatz von künstlichem Hagel bei Baustoff- und Konstruktionstests realistischer machen, zum anderen die Vorhersage von Hagelstürmen verbessern. Beides dient letztendlich der Minderung von Hagelschäden. Das IBHS wird u. a. von Munich Re America, Inc. finanziell unterstützt. >> Mehr Informationen unter: www.munichre.com/corporateresponsibility >> Mehr Informationen unter: www.munichre.com/de/nathan >> Mehr Informationen unter: www.disastersafety.org Treffen Sie uns im Netz! Folgen Sie uns – und verfolgen Sie mit uns die Themen, die die Assekuranz bewegen: in interessanten Artikeln, spannenden Videos oder ganz aktuell durch „live tweets“ von Firmenveranstaltungen oder Branchenereignissen. 4 >> twitter.com/munichre >> facebook.com/munichre >> youtube.com/user/munichrevideo >> linkedin.com/company/munich-re >> xing.com/companies/munichre >> plus.google.com/ 115897201513788995727 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 NACHRICHTEN Marine „Costa Concordia“ – drei Jahre später noch kein Ende Die im Januar 2012 havarierte „Costa Concordia“ hat ihren letzten Bestimmungsort erreicht und wird im Hafen von Genua bis Mitte 2016 abgewrackt. Auch die juristische Aufarbeitung ist noch nicht beendet. Olaf Köberl bei Munich Re Global Marine Partnership erläutert den Stand der Dinge. Schadenspiegel: Wie viel hat die Bergung der „Costa Concordia“ bisher gekostet? Olaf Köberl: Im Rahmen der Protection & Indemnity-Versicherung sind bislang Kosten von rund 1,5 Milliarden US-Dollar angefallen, unter anderem für die Kompensation von Personenschäden, die Bergung und das Abschleppen des Wracks sowie für das Abwracken. Die Schadensumme wurde zuletzt Mitte 2014 um mehr als 250 Millionen Dollar nach oben korrigiert, weil für die Bergung und das Abschleppen zusätzliche technische Arbeiten nötig waren. Lassen sich durch das Abwracken nennenswerte Erlöse erzielen, die man gegenrechnen könnte? Verwerten lässt sich allenfalls der Stahl. Bei heutigen Schrottpreisen wird das kaum mehr als zehn Millionen Euro bringen. Dem steht der hohe Aufwand für die personal‑ intensive Demontage gegenüber. Zudem müssen Kunststoffe und Mobiliar teuer entsorgt werden. Was erwarten Sie vom Berufungsverfahren, das Unglückskapitän Francesco Schettino nach seiner Verurteilung zu 16 Jahren Haft angestrengt hat? Wir gehen nicht davon aus, dass das Berufungsgericht bezüglich der Schuldfrage zu einer grundsätzlich anderen Einschätzung kommen wird. Für die Versicherer dürfte somit alles beim Alten bleiben, denn die strafrechtliche Schuldfeststellung hat Indizwirkung auf die zivilrechtlichen Klagen von Behörden oder Gebietskörperschaften gegen Reederei und Kapitän. Nach Presseberichten steht hier eine Summe von 200 bis 250 Millionen Euro im Raum. Olaf Köberl ist Kapitän und Senior Legal Counsel Claims bei Munich Re Global Marine Partnership. Wie ist der Stand der Dinge bei den Zivilprozessen der Passagiere gegen die Reederei? Mit dem Großteil der Passagiere hat sich die Reederei bereits geeinigt. Offen sind vor allem noch die Ent‑ schädigungen für die Todesopfer, weil man hier die Klärung der Schuldfrage im Strafprozess abwarten wollte. Welche Lehren ziehen die Versicherer aus der Katastrophe? Aufgrund immer größerer Passagierund Frachtschiffe steigen die Bergungskosten. Seitens der Rückversicherer, die bei der „Costa Concordia“ über 90 Prozent der Schäden schultern mussten, gab es Bestrebungen, das Bergungsrisiko analog zu Ölverschmutzungsschäden zu isolieren, was der Markt nicht umgesetzt hat. Herausforderung bleibt, die Wiederkehrperiode eines solchen Ereignisses richtig einzuschätzen. Hier weichen die Annahmen von Munich Re und des P&I-Marktes voneinander ab. Wurden Bestimmungen für neue Sicherheitsstandards bzw. ein besseres Notfalltraining der Mannschaft an Bord vorangetrieben? Die Reederei der „Costa Concordia“ hat prompt reagiert und die Standards auf der Brücke bezüglich Navigation und Routenplanung verschärft. Auch das Maritime Safety Committee der International Maritime Organization hat seine Sicherheitsempfehlungen angepasst. Passagiere sollen jetzt möglichst noch vor dem Auslaufen mit Evakuierungsmaßnahmen vertraut gemacht werden. Ein Problem bleibt der Kostendruck der Reedereien. Dadurch kommt immer weniger qualifiziertes Personal an Bord der Schiffe zum Einsatz. Man sollte beachten, dass die gesamte Besatzung, inklusive des wenig erfahrenen Reinigungsund Servicepersonals, im Unglücksfall häufig eine maßgebliche Rolle im Sicherheitskonzept spielt. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 5 KATRINA Katrinas Vermächtnis Nach einer bereits äußerst lebhaften Hurrikan saison bildete sich am 23. August 2005 über den Bahamas das zwölfte tropische Tiefdruckgebiet. In weniger als einer Woche entwickelte es sich zu einem der gewaltigsten Wirbelstürme, die jemals im Atlantik beobachtet wurden. Für die USA wurde Katrina zur verheerendsten Katastrophe in der Geschichte. 6 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 7 KATRINA von Mark Bove Katrina war zunächst als Tropensturm eingestuft, zog langsam westwärts über die Bahamas und verstärkte sich weiter, als er sich der Halbinsel Florida näherte. Am 25. August, nur zwei Stunden vor dem Auftreffen auf Land zwischen Miami und Fort Lauderdale, erfolgte die Klassifizierung als Hurrikan. Er wütete in Südflorida mit dauerhaften Windgeschwindigkeiten von 130 km/h und verursachte kleinere Gebäude schäden sowie weiträumige Stromausfälle. Nachdem der Hurrikan über den Miami-Dade County hinweg gefegt war, schwächte er sich zu einem tropischen Sturmtief ab und gelangte am 26. August wieder in den Golf von Mexiko. Auf dem offenen Meer baute Katrina stetig Intensität auf und wuchs über den nördlichen Florida Keys erneut auf Hurrikanstärke an. Der Sturm zog im Zen trum des Golfs über ein ungewöhnlich warmes, ringförmiges Strömungsband hinweg, dessen Tempe raturen an der Oberfläche um 1 bis 2 °C über dem langjährigen Durchschnitt lagen. Dieses ungewöhnlich warme Wasser trug dazu bei, dass sich Katrina rasch intensivierte. Der Hurri kan erreichte schließlich am 28. August die Kategorie 5 – mit dauerhaften Windgeschwindigkeiten von 280 km/h. In diesem Zeitraum erweiterte sich auch das Windfeld des Sturms drastisch, das noch bis zu 160 Kilometer entfernt vom Auge Hurrikan stärke erreichte. Glücklicherweise schwächte sich Katrina südöstlich von Louisiana am Morgen des 29. August auf Kate gorie 3 mit Windgeschwindigkeiten von 200 km/h ab. Der Wirbelsturm zog direkt nach Norden gut 40 Kilometer östlich an New Orleans vorbei, bewegte sich noch einmal kurz über den Golf von Mexiko und traf schließlich nahe der Grenze zwischen Louisiana und Mississippi zum letzten Mal auf Land. Trotz Abschwächung verursachte Katrina beträchtliche Sturmschäden entlang der US-Golfküste und bis 200 Kilometer ins Landesinnere. Die Sturmflut Die schlimmsten Verwüstungen an der nördlichen Golfküste richtete allerdings die Sturmflut an. Im Gegensatz zum Wind hatte sie nicht genügend Zeit, sich vor dem Auftreffen auf Land abzuschwächen. Die Flut war somit wesentlich stärker, als es bei einer solchen Sturmintensität zu erwarten gewesen wäre. Im südöstlichen Louisiana und entlang der Küste, der Back Bays und der Bayous des Mississippi erreichten die Flutwellen mehr als neun Meter und zerstörten praktisch alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Nach Osten Richtung Alabama und im Nordwesten von Florida stieg das Wasser zwar weniger stark, richtete aber an der Küste auf einer Gesamtlänge von 320 Kilometern immer noch Schäden an. Für New Orleans war das Auftreffen von Katrina der Beginn einer nie dagewesenen Katastrophe. Die Stadt ist praktisch von Wasser umgeben, im Süden vom Mississippi und im Norden vom Lake Pontchar train. Da viele Stadtteile zudem unterhalb des Mee resspiegels liegen, wurde ein komplexes Deich- und Pumpensystem installiert. Es soll vor Überschwem mungen schützen und überschüssiges Grundwasser abpumpen. In den Tagen vor dem Auftreffen von Katrina ordneten die Behörden Zwangsevakuierun gen an, da man sich sorgte, ob die Deiche einem so schweren Sturm standhalten würden. Vielen Einwoh ner fehlten allerdings die finanziellen Mittel, um die Stadt zu verlassen, andere blieben trotz der Warnun gen in ihren Häusern. Im überfluteten New Orleans watet ein Mann am 30. August 2005 am Circle Food Store vorbei, im Hintergrund die Skyline (Bild oben). Unten dieselbe Ansicht fast zwei Jahre später am 23. August 2007. 8 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 KATRINA Wie befürchtet waren die Hochwasserschutzanlagen der Sturmflut nicht gewachsen. Deiche wurden über spült oder brachen, Stromausfälle setzten die Pum pen außer Betrieb, sodass sich die „Schüssel“ von New Orleans langsam mit Wasser aus dem Lake Pontchartrain und dem Mississippi River-Gulf Outlet (MRGO) Canal füllte. In einigen tiefer liegenden Gebieten übertrafen die Flutpegel fünf Meter. Weil das Wasser nicht ablaufen konnte, stand es über mehrere Wochen in der Stadt, bis die Entwässe rungspumpen wieder in Betrieb genommen wurden. Zurück blieben Schadstoffe und Abwässer, Gebäude waren innen mit giftigem Schimmel überzogen. Ins gesamt waren 200.000 Wohn- und Geschäftshäuser in der Stadt von der Überflutung betroffen. Viele Todesopfer und Sachschäden New Orleans erlebte eine humanitäre Katastrophe, die das verheerende Ausmaß der Sachschäden noch übertraf. Mehr als 1.000 Bewohner, die in der Stadt geblieben waren, ertranken in den Fluten oder starben mangels Trinkwasser und Lebensmitteln oder an Krankheiten. Zahlreiche Einwohner suchten im Superdome, einem Mehrzweckstadion, Schutz. Allerdings herrschten dort bereits wenige Tage nach dem Sturm katastrophale Zustände. Viele Einwohner kehrten nie mehr nach New Orleans zurück. Bis heute hat die Bevölkerungszahl den Stand vor Katrina nicht mehr erreicht. Das schiere Ausmaß der Schäden durch Katrina sowie der Gesamtschaden aus den zwölf Stürmen, die 2004 und 2005 in der Region auf Land trafen, haben die Versicherungslandschaft in den hurrikan gefährdeten Bundesstaaten dramatisch verändert. Viele Versicherer verringerten ihre Exponierung, vor allem entlang der Küste, wodurch die Risiken bei den staatlichen Versicherern zunahmen. In Gebieten, wo sowohl Sturm als auch Hochwasser Schäden hinter ließen, wurden Gerichte bemüht, Ursache und Deckung der Schäden im Rahmen von Wohngebäu deversicherungen zu ermitteln. Wie bei allen großen Naturkatastrophen lassen sich auch aus Katrina viele Lehren ziehen. Haben wir jetzt ein besseres Verständnis davon, wie sich tropische Wirbelstürme in einem veränderten Klima verhalten? Welche Erkenntnisse haben wir über den Hochwas serschutz in den USA gewonnen? Wie hat sich die Modellierung von Hurrikanrisiken verändert? Welche Deckungsfragen hat Katrina aufgeworfen? Und wie würden die Schäden aussehen, wenn ein solches Ereignis heute stattfände? Das Vermächtnis von Katrina wirkt bis heute nach. Zum 10. Jahrestag dieses außergewöhnlichen Ereig nisses laden wir Sie zu einem Rückblick ein. Wir befassen uns mit wichtigen Aspekten, die bis heute nichts von ihrer Brisanz eingebüßt haben. Katrina hat Gesamtschäden in Höhe von schätzungs weise 125 Milliarden US-Dollar verursacht. Davon waren rund 60 Milliarden US-Dollar durch private oder staatliche Versicherungen gedeckt (alle Scha denangaben in Werten von 2005). Bezüglich des versicherten Schadens rangiert Katrina – in Original werten – nach wie vor auf Platz eins der teuersten Naturkatastrophen, und nur das Erdbeben und der Tsunami in Japan 2011 verursachten einen noch grö ßeren Gesamtschaden. Glücklicherweise ging trotz 1,7 Millionen Schadenfällen und mehr als 40 Milliar den US-Dollar an privat versicherten Sachschäden nur ein Versicherungsunternehmen in die Insolvenz. Die übrigen versicherten Schäden von 15 Milliarden US-Dollar übernahm das National Flood Insurance Program (NFIP), das sich dazu hoch verschulden musste. In der Folge wurden in den USA Forderungen laut, dieses staatliche Hochwasserschutzprogramm zu privatisieren. UNSER EXPERTE: Mark Bove ist Meteorologe in Underwriting Services/Risk Accumulation bei Munich Reinsurance America, Inc. Sein Fachgebiet ist die Modellierung von Naturkatastrophenrisiken in den Vereinigten Staaten. mbove@munichreamerica.com Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 9 KATRINA Katrina und der Klimaaspekt des Hurrikanrisikos Die enorme Höhe des durch Katrina verursachten versicherten Schadens von 60 Milliarden US-Dollar provozierte Fragen für die Versicherungswirtschaft: Was bedeuten diese Ereignisse für das Hurrikanrisiko der kommenden Jahre? Inwieweit hängt diese Hochaktivität mit dem Klima zusammen? von Eberhard Faust Der Anstieg der Meeresoberflächentemperaturen (MOT) sowie die Zunahme der tropischen Wirbel sturmaktivität – Häufigkeit und maximale Intensität – im Nordatlantik seit den 1970er-Jahren sind unbestrit ten. Die Ursachen dafür konnten jedoch bisher nicht eindeutig festgestellt werden. Die Erklärungen rei chen vom Einfluss natürlicher Klimaschwankungen bis zu Veränderungen in der Konzentration industriel ler Schwebeteilchen, sogenannter Aerosole, in der Luft. Was verursacht die erhöhten Meeresober‑ flächentemperaturen? In unserer Hurrikanbroschüre von 2006 hatten wir die Jahrzehnte übergreifenden Schwankungen der durchschnittlichen MOT im Nordatlantik beschrie ben, die mit großskaligen Strömungsmustern im Atlantik zusammenhängen. Letzteres ist als atlanti sche meridionale Umwälzbewegung (Atlantic Meridi onal Overturning Circulation AMOC) bekannt und verantwortlich für den Anstieg der Hurrikanaktivität. Sie gleicht einem ozeanweiten Förderband, das war mes und stark salzhaltiges Wasser aus dem tropi schen Teil des Nordatlantiks im Südwesten (Golf von Mexiko, Karibik) in ein Gebiet von der Labradorsee und vom südlichen Grönland bis nach Schottland transportiert, wo das abgekühlte Oberflächenwasser mit immer noch erhöhtem Salzgehalt absinkt und „nordatlantisches Tiefenwasser“ bildet. Dies führt zu einer kalten Strömung, die sich in großer Tiefe zurück nach Süden bewegt. Die Verbindung zur AMOC wurde bereits in der Studie von S. Goldenberg et al. angedeutet, die 2001 im „Science Magazine“ veröf fentlicht wurde. Vor allem diese Arbeit hat begründet, dass die Schwankung der gemittelten MOT über mehrere Jahrzehnte hinweg – die atlantische multi dekadische Oszillation (AMO) – den wesentlichen Antrieb für die Schwankung der Hurrikanaktivität darstellt (Goldenberg et al., Science, 293, 2001). 10 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Bei näherer Betrachtung werden die wechselnden aktiven beziehungsweise weniger aktiven Phasen als Bestandteil der Jahrzehnte übergreifenden natürli chen Klimavariabilität eingeordnet. Sie sind mit Inter vallen höherer beziehungsweise niedrigerer mittlerer MOT und Wärmegehalte im oberflächennahen Ozean im tropischen Entstehungsgebiet der Hurrikane, das heißt der Main Development Region (MDR, 5N-20N, 80W-20W), verbunden. Zusätzlich gehören sie dort mit Perioden kleinerer beziehungsweise größerer ver tikaler Windscherung, das heißt Differenz zwischen Winden in der Höhe und bodennah, zusammen sowie mit höheren beziehungsweise niedrigeren Luftdruck werten im Meeresspiegelniveau. Mit anderen Worten: Entstehung und Entwicklung von tropischen Wirbel stürmen werden lokal durch erhöhte MOT, niedrigere Luftdruckwerte und verringerte vertikale Windsche rung begünstigt und durch die entgegengesetzten Bedingungen eingeschränkt. Die aktiven warmen Perioden (als Warmphasen bezeichnet) entsprechen dem erhöhten Massentransport innerhalb der AMOC, während die weniger aktiven kühlen Perioden (als Kaltphasen bezeichnet) mit verringertem Transport verbunden sind. Eine viel diskutierte Klimamodell-Studie stellte kürz lich den mit der AMOC erklärten Mechanismus der Jahrzehnte übergreifenden Variabilität der MOTs infrage (Booth et al., Nature, 2012). Nach den Autoren müssen Aerosole als Hauptverursacher dieser Schwankungen der MOT im Nordatlantik betrachtet werden, weil diese indirekt die Bewölkung und die Reflexionseigenschaften der Atmosphäre verändern. Somit bestimmen die Partikel, wie viel direkte Strah lung das Meer erreicht. Hohe industrielle Emissions raten von Aerosolen, vor allem von Schwefelaeroso len, wurden seit den 1970er-Jahren durch den Einbau von Industriefiltern stark verringert, was zu einer immer geringeren Abkühlung der Meeresoberfläche beziehungsweise MOT-Zunahme geführt hat. KATRINA Die Ähnlichkeit von Zeitreihenmustern bei der MOT zwischen Beobachtung und Simulation mit einem Klimamodell, das Aerosole besser berücksichtigt, ist beeindruckend. Allerdings konnten andere Forscher nachweisen, dass die Ergebnisse des Modells nicht mit den Beobachtungen übereinstimmen, wenn andere Parameter als nur die räumlich gemittelten MOT betrachtet werden, zum Beispiel das vertikale Temperaturprofil (Zhang et al., J. Atmos. Sci., 2013). Die Aerosol-Hypothese wird daher allgemein nicht als Erklärung für den Hauptteil der beobachteten Varia bilität der MOT anerkannt, obgleich sie durchaus einen Teil davon erklären mag. Abb. 1 ist eine aufschlussreiche Darstellung der Beziehung zwischen AMO-Phasen mit erhöhter oder verringerter MOT im tropischen Atlantik (oberer Teil des Diagramms) und der entsprechenden Anzahl der Hurrikane im gesamten Becken. Die größeren Stürme (Saffir-Simpson-Hurrikan-Skala SSHWS 3–5) sind dabei hervorgehoben (unterer Teil des Diagramms). Unterschiedliche Regime bei Hurrikanschäden Der enge Zusammenhang zwischen der MOT und Phasen der Hurrikanaktivität im nordatlantischen Becken wirft die Frage auf, was die MOT mit auf Land treffenden Stürmen und entsprechenden Schäden zu tun hat. Da die Häufigkeit von Landtreffern deutlich geringer ist als die von tropischen Wirbelstürmen im Atlantik, ist es sinnvoll, Beobachtungen über einen angemessenen Zeitraum zu sammeln, um die Signal stärke zu verbessern. Wir haben einen Zeitraum von 19 Jahren gewählt, was der statistisch ermittelten Gedächtnislänge der atlantischen MOT entspricht (Intervall bis zum ersten Nulldurchgang der Autokor relationsfunktion). Für den Zeitraum seit 1900 spie gelt die Anzahl der Landtreffer von benannten Stür men in den USA die Phasen mit erhöhten oder verringerten MOT-Werten ausreichend gut wider (Abb. 2). Nicht nur das 19-jährig gemittelte Landtreffersignal, sondern auch der gleitende 19-jährige Medianwert der normalisierten Hurrikanschäden in den USA spie gelt die höheren und niedrigeren durchschnittlichen Niveaus der MOT wider (Abb. 3). Abb. 1: Tropische Wirbelstürme im Nordatlantik, 1851 bis 2014 Anzahl tropischer Wirbelstürme MOT-Anomalie (ºC) 30 30 0,75 25 25 20 20 15 15 10 10 5 5 0 0 0,5 0,25 0 –0,25 Regime kühlerer und wärmerer Meeres oberflächentemperaturen (Zeitreihe der Anomalien im oberen Abbildungsbereich) korrespondieren mit Aktivitätsperioden schwerer Hurrikane (orangefarbene Bal kenabschnitte im unteren Bereich). Vor Beginn der Beobachtungsflüge in den 1940er-Jahren und der Satellitenära in den 1970er-Jahren kamen die Beobachtungen von Schiffen, und nicht alle Stürme wur den registriert. 2010 2000 1990 1980 1970 1960 1950 1940 1930 1920 1910 1900 1890 1880 1870 1860 1850 –0,5 Abweichung der Meeres oberflächentemperatur (August bis Oktober) in der Hauptentstehungszone vom Mittel 1951 bis 1980 Multidekadische Regime der Meeresoberflächen temperatur Balken (linke Ordinatenskala): Schwere Hurrikane (SSHWS 3–5) Schwache Hurrikane (SSHWS 1–2) Tropenstürme Mittlere jährliche Anzahl SSHWS 3–5 während der Kaltphase Mittlere jährliche Anzahl SSHWS 3–5 während der Warmphase Quelle: Munich Re, 2015, und MOT-Daten von NOAA (Kaplan) Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 11 KATRINA Das gewählte Zeitfenster von 19 Jahren glättet die Jahr-zu-Jahr-Veränderungen und fokussiert aus schließlich die Variabilität auf der Zeitskala von Jahr zehnten. Veränderungen innerhalb weniger Jahre werden daraus nicht erkennbar. An der letzten Posi tion des 19-Jahre-Zeitfensters sind in Bezug auf Land treffer sehr aktive Jahre wie 2004, 2005 und 2008 enthalten, aber auch Jahre mit kaum vorhandenen Landtreffern wie 1997 und 2010. In jüngster Zeit gab es 2013 und 2014 erneut wenig Aktivitäten im Hin blick auf Entstehung, Entwicklung und Landtreffer von Hurrikanen – vor allem aufgrund trockener Bedin gungen in der Troposphäre. Der letzte Landtreffer mit schwerer Hurrikanintensität (cat 3–5) ereignete sich bereits 2005. Unter Fachleuten wird die Möglichkeit eines kommenden Wechsels von der aktuellen Warm phase zu einer neuen Kaltphase diskutiert. Jedoch bieten die beobachteten Anomalien der MOT für August bis Oktober bisher keine Anzeichen für eine derartige Veränderung. Allerdings muss ein solcher Übergang für künftige Jahre erwartet werden, und die jüngst beobachtete niedrige Hurrikanaktivität ist bemerkenswert. Nach einer plausiblen Hypothese beeinflusst die AMO die Hurrikanaktivität durch die räumliche Aus dehnung eines Bereichs mit hoher MOT von mindes tens 28,5 °C (Juni bis November), des sogenannten atlantischen Warmpools (Wang et al., GRL, 38, 2011). Die geografischen Eigenschaften des Warmpools steuern die Entstehungsbereiche für tropische Wir belstürme, die mittlere vertikale Windscherung und die räumliche Ausprägung des subtropischen Hochs im Nordatlantik. Demnach gilt: Je größer der Warm pool, desto geringer die vertikale Windscherung, desto weiter östlich können tropische Wirbelstürme entstehen und desto schwieriger wird es aufgrund einer Nordostverlagerung des steuernden Hochs für die Stürme, auf Land zu treffen. Ein anderer plau sibler Ansatz betrachtet den Unterschied der mittle ren MOT zwischen dem tropischen Korridor um die Erde und dem tropischen Atlantik im Besonderen. Dieser könnte implizite Informationen zur großräumi gen mittleren vertikalen Windscherung und thermo dynamischen Instabilität im atlantischen Hauptent stehungsgebiet beinhalten. Der geglättete Verlauf dieser Differenz ähnelt grob dem geglätteten Verlauf der lokalen Zeitreihe der MOT im tropischen Atlantik. Es lässt sich nur schwer bestimmen, welches Maß geeigneter ist – hier halten wir uns an die lokalen Anomalien der MOT. Modellierung zukünftiger Änderungen Da sich der Atlantik sowohl aufgrund der natürlichen Klimaschwankung als auch durch den Klimawandel erwärmt hat, scheint es plausibel, dass die Verände rungen bei der beckenweiten Sturmaktivität über die vergangenen Jahrzehnte bereits zu einem gewissen Grad vom Klimawandel beeinflusst wurden. Dies lässt sich bisher nicht quantitativ verlässlich nachwei sen. Für Projektionen zukünftiger Entwicklungen unter dem Klimawandel ist es wichtig, sich auf 12 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Abb. 2: Landtreffer tropischer Wirbelstürme in den USA, 1900 bis 2014 MOT-Anomalie (°C) Jährliche Landtreffer 0,6 4,2 0,5 0,4 3,7 0,3 3,2 0,2 0,1 2,7 0 2,2 -0,1 1900 1920 1940 1960 19-jähriges gleitendes Mittel der Abwei chung der Meeresoberflächentemperatur (August bis Oktober) in der Hauptentste hungszone vom Durchschnitt 1951 bis 1980 (trendbereinigt). 19-jähriges gleitendes Mittel von Land treffern (mindestens Tropensturmstärke) in den USA. 1980 2000 Quelle: Munich Re, 2015, und MOT-Daten von NOAA (Kaplan) Abb. 3: Normalisierte jährliche US-Gesamtschäden aus t ropischen Wirbelstürmen, 1900 bis 2014 Normalisierter Jahresschaden (Milliarden US-Dollar) MOT-Anomalie (°C) 0,6 10 0,5 8 0,4 0,3 6 0,2 4 0,1 2 0 0 -0,1 1900 1920 1940 1960 19-jähriges gleitendes Mittel der Abwei chung der Meeresoberflächentemperatur (August bis Oktober) in der Hauptentste hungszone vom Durchschnitt 1951 bis 1980 (trendbereinigt). 19-jähriger gleitender Median normali sierter jährlicher US-Gesamtschäden aus tropischen Wirbelstürmen. 1980 2000 Quelle: Munich Re, 2015, basierend auf SST-Daten von NOAA (Kaplan) KATRINA Ensembles von hochauflösenden Klimamodellen zu stützen, die in der Lage sind, die stärksten tropischen Wirbelstürme annähernd realistisch zu simulieren. Die neuesten Studien, die solche Modelle mit einem mittleren Treibhausgas-Konzentrationsszenario (RCP4.5) verwenden, erhalten für den Nordatlantik die folgenden Ergebnisse (Knutson et al., Journal of Climate, 26, 2013): –Die Modelle projizieren eine erhebliche Zunahme sehr starker Hurrikane (SSHWS 4–5) von rund 40 Prozent für die Zeiträume 2016 bis 2035 und 2081 bis 2100, relativ zum Bezugszeitraum 1986 bis 2005. –Für beide Zukunftsintervalle wird relativ zum Bezugszeitraum eine klare Zunahme der Hurrikan regenfälle im Bereich von 20 Prozent (innerhalb von 100 Kilometern Entfernung vom Sturmzentrum) projiziert. –Für die Gesamthäufigkeit tropischer Wirbelstürme bilden Studien mit hochauflösenden Klimamodellen für beide Zeiträume eine deutliche Verringerung im Bereich von –20 Prozent ab. Allerdings gibt es andere Studien, die insgesamt eine Zunahme proji zieren (Emanuel, PNAS, 2013). –Bei regionaler Betrachtung zeigen die Modelle eine Tendenz zu einer erheblichen Zunahme der Akti vität von sehr intensiven Hurrikanen (SSHWS 4–5) in der Osthälfte des Golf von Mexiko einschließlich Florida. Dies deckt auch den Großteil des von Katrina betroffenen Gebiets ab. Allerdings muss dieses Ergebnis mit Vorsicht betrachtet werden, da die Fähigkeit der Modelle zur Vorhersage von detail lierten regionalen Auswirkungen umstritten ist. Es sollte angemerkt werden, dass diese Prognosen keine natürlichen Klimaschwankungen wie die AMO berücksichtigen. Nach einem nützlichen Gedanken experiment könnte eine zukünftige AMO-Kaltphase eine gleichzeitige Zunahme von sehr starken Hur rikanen aufgrund des Klimawandels kompensieren, damit effektiv keine feststellbare Veränderung dieser Stürme bewirken. Allerdings könnte sich dies auch andersherum entwickeln, indem eine AMO-Warm phase in der Zukunft die Auswirkungen des Klima wandels weiter verstärkt. Finanzielle Auswirkungen Im Rahmen eines „Business as usual“-Szenarios, bei dem das globale Temperaturmittel um 3 °C gegen über der vorindustriellen Zeit ansteigt, wurden die Anpassungskosten an den Meeresspiegelanstieg und hurrikanbedingte Sturmfluten modelliert. Diese wur den als nicht diskontierte, aggregierte Kosten bis zum Jahr 2100 bestimmt und beinhalten die Werte aufge gebener Immobilien, die Kosten für Bewehrung, Strandaufspülung, Gebäude-Erhöhung und Rest schäden aufgrund von Sturmfluten. Sie belaufen sich für New Orleans auf 40 Milliarden US-Dollar, mehr als 17 Milliarden US-Dollar für Mobile (Alabama), rund 90 Milliarden US-Dollar für Tampa (Florida) und 125 Milliarden US-Dollar für Miami (Florida). Landesweit werden diese Anpassungskosten mit etwa 1 Billion US-Dollar abgeschätzt (Neumann et al., Climatic Change, 2014). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass seit 2005 bedeutende Fortschritte beim Hurrikan-Risiko management erzielt wurden. Es entsprach den klima wissenschaftlichen Erkenntnissen, den Zeitraum ab 1995 als Regime erhöhter Hurrikanaktivität zu betrachten, das sich nicht nur beckenweit manifes tiert hat, sondern auch im Hinblick auf Landtreffer und entsprechende Schäden. Folglich stellen sich die Eigenschaften von Landtreffer- und Schadenvertei lungen nach 1995 anders als zuvor dar. Das Muster einer solchen Jahrzehnte übergreifenden Schwan kung zwischen Phasen niedriger und hoher Aktivität kann im gesamten 20. Jahrhundert nachgewiesen werden. Eine andere sachlich angemessene Entschei dung war, die für Katastrophen wie Katrina analysier baren Verstärkungsfaktoren für Großschäden fortan bei der Risikomodellierung mit zu berücksichtigen. Dies ist nur eine weitere von vielen Lektionen, die aus den Hurrikankatastrophen 2004 und 2005 gelernt wurden. Die neuesten Projektionen der Aktivität von tropi schen Wirbelstürmen im Nordatlantik unter dem zukünftigen Klimawandel erwarten eine Zunahme der Häufigkeit sehr starker Hurrikane (SSHWS 4–5), die in der Osthälfte des Golf von Mexiko und um Florida herum besonders markant sein könnte. Weniger starke Stürme könnten weniger häufig auftreten. Die Regenfallmenge wird nach robusten Projektionen nahe des Sturmzentrums deutlich ansteigen. Aller dings berücksichtigen diese Modellierungen nicht die Jahrzehnte übergreifende natürliche Klimaschwan kung, die in den kommenden Jahrzehnten zum Bei spiel zu einer Kompensation zwischen AMO-Kalt phase und fortgesetztem Klimawandel führen könnte, was die Auswirkungen auf Hurrikane angeht. Hohe Kosten werden sich insbesondere aus der Anpassung an Meeresspiegelanstieg und hurrikanbedingte Sturmfluten in den Küstenstädten der USA ergeben, besonders im Golf von Mexiko und in Florida. Die zuletzt beobachteten Jahre mit niedriger Aktivität werfen die Frage auf, ob wir dabei nur die Variabilität, die innerhalb der Warmphase möglich ist, erleben oder bereits der Änderungsdynamik der Jahrzehnte übergreifenden Klimavariabilität folgen oder – als dritte Möglichkeit – eine frühe Auswirkung des Klima wandels sehen, der nach einigen Modellprojektionen die Gesamthäufigkeit von tropischen Wirbelstürmen verringern soll. UNSER EXPERTE: Eberhard Faust ist leitender Fachexperte für Naturgefahren im Bereich Geo Risks Resarch/ Corporate Climate Centre. efaust@munichre.com Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 13 KATRINA Große Fortschritte beim Hochwasserschutz Hurrikan Katrina verursachte an der Küste von Louisiana und Mississippi Verwüstungen in einem zuvor unbekannten Ausmaß. Der Sturm war nicht nur ein Schock für die amerikanische Gesellschaft, sondern für die ganze Welt. Die seitdem getroffenen Schutzmaßnahmen in New Orleans haben das Überflutungsrisiko deutlich gesenkt. von Wolfgang Kron Ein Hurrikan an der Golfküste der USA ist kein seltenes Ereignis. Ein Volltreffer in New Orleans hingegen schon. Diese Gegend war – auch bei mäßig starken Stürmen – äußerst anfällig für Überschwemmungen und einer hohen Wahrscheinlichkeit für den Verlust von Menschenleben und Sachwerten ausgesetzt. Jedes Ereignis ab einer Wiederkehrperiode von 50 Jahren konnte beträchtliche Folgen haben. Das Hurrikanschutzsystem der Stadt war aus Geldmangel nicht fertiggestellt worden und basierte außerdem auf veralteten Bemessungskriterien (IPET, 2009). Fachleuten war die Gefahr einer Katastrophe bewusst. Ein Artikel in der Zeitschrift „Civil Engineering“ (Brouwer, 2003) beschrieb detailliert, wie ein Hurrikan New Orleans lahmlegen könnte und wie dies zu verhindern wäre. Es wurde sogar eine Notfall- Das 2,9 Kilometer lange Sperrwerk Inner Harbor Navigation Canal mindert das Sturmflutrisiko aus dem Lake Borgne und dem Golf von Mexiko. 14 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 übung auf Basis des hypothetischen Hurrikans Pam abgehalten, der etwa die gleiche Stärke wie Katrina hatte. Aber weder die amerikanische Gesellschaft noch die Bevölkerung vor Ort waren wirklich in Sorge. Nicht umsonst wird New Orleans „The Big Easy“ genannt – der große Leichtsinn. Katrinas Auswirkungen Katrina bewegte sich als Hurrikan der Kategorie 5 über das offene Meer. Größe und Windfeld entsprachen einem Monstersturm. Er ließ – lange bevor er das Land erreichte – den Wasserspiegel an der Küste enorm ansteigen. Östlich von New Orleans hob er sich um bis zu sieben Meter und entlang der Küste des Staates Mississippi um bis zu neun Meter. KATRINA Abb. 1: Der Risikoprozess Natürliche Gefährdung x Systemverhalten = Überschwemmungsgefährdung Überschwemmungs- x Auswirkungen gefährdung Sturmflut- und Wellenhöhen, ermittelt an 138 Stellen, von 76 möglichen Hurrikanen, die meteorologische Ereignisse mit Wiederkehrperioden zwischen 30 und 10.000 Jahren repräsentieren. Leistungsfähigkeit der gesamten 560 km langen Hochwasserschutzanlagen 1) vor Katrina 2) seit 2011 138 Abschnitte, >350 Bauwerke und Anschlüsse = Risiko Wahrscheinlichkeit und Intensität (Höhe) der Überschwemmung Mögliche Todesfälle in Abhängigkeit von der Überflutungshöhe Erwartete mittlere jährliche Anzahl von Todesfällen Vor Katrina und mit neuen Hochwasserschutzanlagen Mögliche Sachschäden in Abhängigkeit von der Überflutungshöhe Erwarteter mittlerer jährlicher wirtschaft‑ licher Schaden Mit und ohne Pumpen Auf Grundlage von Bevölkerungszahlen und Vermögenswerten vor Katrina (2005) Schema der IPET-Risikoabschätzung bei der Untersuchung von New Orleans Quelle: Munich Re nach IPET 2009 Es war die größte jemals in Nordamerika verzeichnete Sturmflut. 200 Kilometer Küste wurden von Starkwinden und Überschwemmungen verwüstet. In New Orleans, westlich des Landfallpunkts, verursachte nicht der Wind, sondern die Überschwemmung die meisten Schäden. Die Stadt, die praktisch von Wasser umgeben ist, verfügte nicht über ausreichende Hochwasserschutzeinrichtungen, um den Fluten zu widerstehen. An mehr als 50 Stellen im Osten von New Orleans und entlang der zahlreichen Kanäle in die Stadt hinein brachen Deiche und Hochwasserschutzwände. Die „Badewanne“, in der New Orleans liegt, füllte sich und blieb mehr als einen Monat lang überschwemmt. Die Bevölkerung floh aus weiten Teilen der Stadt, die sich von diesem Exodus bis heute – zehn Jahre nach dem Ereignis – nicht wieder erholt hat. Die Reaktion Etwas war schiefgelaufen, das war auf schmerzhafte Weise klar geworden. Und das Ausmaß der Katastrophe war ganz bestimmt nicht allein auf die Sturmflut zurückzuführen, auch wenn diese ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht hat. Weil Teile der Hochwasserschutzanlagen versagten – einige waren zu niedrig, andere schlecht konstruiert, gewartet oder gebaut –, konnte das Wasser in die Stadt vordringen. Doch erst das Versagen der organisatorischen Strukturen ließ das Ereignis zu einer schweren Katastrophe auswachsen. Mindestens 1.118 Tote wurden in Louisiana verzeichnet, die meisten davon im Raum New Orleans. In New Orleans selbst entstanden Sachschäden in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar. Um zu verstehen, was während Katrina geschah und warum, wurde im Oktober 2005 die Interagency Performance Evaluation Task Force (IPET) gegründet. Sie setzte sich aus Wissenschaftlern und Ingenieuren verschiedener Institutionen unter der Leitung von Dr. Lewis E. Link von der University of Maryland zusammen. Ziel dieser Arbeitsgruppe war es, das Systemverhalten während Katrina zu analysieren und zu bewerten und Erkenntnisse daraus dann bei der Reparatur und dem Wiederaufbau des Sturmflutschutzes in und um New Orleans umzusetzen. Umfassende Risikoanalyse Der IPET-Bericht (IPET 2007–2009) vergleicht das Überschwemmungsrisiko für New Orleans vor Katrina mit dem nach der Fertigstellung des neuen Hurricane and Storm Damage Risk Reduction System (HSDRRS) im Jahr 2011. Das System ist auf eine Wiederkehrperiode von 100 Jahren ausgelegt. Der Bericht enthält Karten mit Überflutungshöhen für verschiedene Wiederkehrperioden und Pumpleistungen sowie für das Risiko des Verlustes von Menschenleben und Sachwerten in den beiden Wiederkehrperioden. Die vielleicht wichtigste Information für alle Personen, Firmen und Einrichtungen in einem hochwassergefährdeten Gebiet ist, wie häufig und in welchem Ausmaß Überschwemmungen zu erwarten sind. Damit im Zusammenhang steht der erwartete Verlust von Menschenleben und Sachwerten, also das Risiko. Die IPET-Analyse in New Orleans verfolgte einen wegweisenden Ansatz mit dem Ziel, derartige Informationen für ein großes Gebiet in ganz neuer Qualität zur Verfügung zu stellen. Keine andere Küstenregion in den USA verfügt heute über einen vergleichbar umfassenden Kenntnisstand zu ihrem Risiko. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 15 KATRINA Abb. 2: Erwartete Sachschäden in New Orleans Vor Katrina HPS (2005) < 10 % 10 – 30 % 30 – 50 % 50 – 70 % 70 – 90 % >90 % 100 Jahre 500 Jahre 100 Jahre 500 Jahre HSDRRS (2011) 50 Jahre Relative Sachschäden (in Prozent) für verschiedene Wiederkehrperioden von Überschwemmungen unter den Bedingungen vor Katrina 2005 mit dem Hurricane Protection System (HPS) (oben) und unter dem heutigen Hurricane and Storm Damage Risk Reduction System (HSDRRS). Die Pumpenkapazität wurde jeweils bei 50 Prozent angesetzt. Die farbigen Flächen stellen die verschiedenen Entwässerungsgebiete innerhalb der Stadt dar. Quelle: Munich Re nach IPET 2009 Dabei stellt die Region New Orleans eine enorme Herausforderung für eine Risikoabschätzung dar. Sie verfügt über 560 Kilometer Hochwasserschutzan lagen, über einen komplexen Küstenraum, beträchtliche Areale auf oder unter Meereshöhe sowie über ausgedehnte Wohn-, Gewerbe- und Industriegebiete mit unterschiedlichen Besonderheiten. Trotz aufwendiger und ausgeklügelter Analysen enthalten die Ergebnisse noch immer erhebliche Unsicherheiten. Sie sollten daher nicht als absolute, sondern als Vergleichsgrößen betrachtet werden. Insofern ist zum Beispiel eine Schätzung der Schäden bei einem 100-jährlichen Hochwasser nicht als Prognose zu verstehen, sondern als ein Maß für potenzielle Schäden. Im Fall eines Jahrhunderthochwassers hängt das Schicksal von New Orleans davon ab, ob das Schutz system die hurrikanbedingten Fluten zurückhalten kann. Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass ein 100-jährliches meteorologisches Ereignis ein 100-jährliches Hochwasser erzeugt. Wenn aus einem Sturm eine Überschwemmung wird, spielen unzählige Einflussgrößen eine Rolle, von meteoro‑ logischen über geografische bis zur Wirksamkeit des Schutzsystems. All diese Aspekte hat die IPET-Studie berücksichtigt. 16 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Das IPET-Team betrachtete die gesamte Bandbreite möglicher Hurrikane. Die daraus an verschiedenen Stellen resultierenden möglichen Wasserstände (Sturmfluthöhen plus Wellen) ließ man auf das System einwirken, um dessen Verhalten zu studieren. Dabei konnte auch die Zuverlässigkeit des Systems unter verschiedenen Bemessungswerten beurteilt sowie abgeschätzt werden, welche Gebiete bei verschiedenen Eintrittswahrscheinlichkeiten wie hoch überflutet würden. Von ursprünglich 152 hypothe tischen Hurrikanen wurden 76 ausgewählt, um detailliert die Sturmflut- und Wellenbedingungen zu simulieren, die in die eigentliche Risikoanalyse einflossen. Erst durch Betrachtung all dieser Szenarien erschließt sich die Risikosituation für New Orleans als Ganzes. New Orleans heute Das seit 2011 bestehende Hurricane and Storm Damage Risk Reduction System verringert die Überschwemmungsanfälligkeit für den Großteil der Region New Orleans. Im gesamten Gebiet wurden höhere und widerstandsfähigere Deiche und Hochwasserschutzwände errichtet, und an den Enden der Ablaufkanäle, die New Orleans entwässern, wurden KATRINA Sperren und Notfallpumpen installiert. Die Pumpen sind so ausgelegt, dass sie die Überflutungshöhen bei 100- und 500-jährlichen Ereignissen deutlich senken. Dies reduziert wiederum Schäden und die Gefährdung der Einwohner. Das 100-jährliche Ereignis wird durch Niederschlag in New Orleans verursacht und nicht aufgrund einer Überströmung oder durch Brechen des Hochwasserschutzes infolge einer Sturmflut. Da aber die Bemessung der Systeme die Unsicherheiten bei den 100-jährlichen Sturmflut- und Wellenhöhen berücksichtigt, verringern sich auch die Wahrscheinlichkeiten seltenerer Überflutungen bis hin zu einem 500-jährlichen Ereignis deutlich. Hinsichtlich der Pumpen betrachtete die IPET-Analyse zwei Szenarien, bei denen die Pumpleistung zu 100 Prozent und zu 50 Prozent verfügbar ist. Der zweite Fall liegt näher an den praktischen Gegebenheiten, da die Entwässerungssysteme der Stadt, über die das Wasser zu den Pumpen fließt, teilweise nicht genügend Kapazitäten aufweisen. Wenn auch einige Gebiete immer noch beträchtliche Überschwemmungen und Schäden erleiden könnten, so stellt die jetzige Situation doch die beste technische Risikominderung dar, die New Orleans je hatte. Unter ähnlichen Evakuierungsbedingungen wie bei Hurrikan Katrina wird erwartet, dass mit dem neuen Schutzsystem im Fall eines Jahrhunderthochwassers die Zahl der Todesopfer um bis zu 86 Prozent ohne Pumpen und um bis zu 97 Prozent mit Pumpen (bei halber Maximalleistung) sinkt. Auch bei einem 500-jährlichen Hochwasser verringert das Schutzsystem den potenziellen Verlust von Menschenleben deutlich (98 Prozent). Die direkten Vermögensschäden würden im Fall eines 100-jährlichen Hochwassers um 90 Prozent und bei einem 500-jährlichen um 75 Prozent reduziert (im Vergleich zur Situation vor Katrina ohne Pumpen und unter der Annahme einer identischen Verteilung und Gesamthöhe der Werte wie 2005). Es muss betont werden, dass sich die in Abbildung 2 gezeigte Schadenreduktion auf die Bevölkerungszahl und die Werteverteilung vor Katrina im Jahr 2005 bezieht. Derzeit laufen weitere Studien, welche die aktuellen Zahlen (das heißt weniger Menschen und geringere Werte) berücksichtigen. Ihr Ziel ist es, eine Risikoeinschätzung für die derzeitige Situation zu erstellen sowie für künftige Szenarien mit einer wahrscheinlichen Zunahme beider Parameter (siehe Interview auf Seite 18). Es muss außerdem bedacht werden, dass New Orleans nicht der einzige Risikobrennpunkt ist. 2005 trat ein großer Teil der Schäden – vor allem der versicherten – entlang der Küste im Osten von New Orleans auf, zum Beispiel in den Casino- und Hotelbereichen von Biloxi, Mississippi. Der gesamte K üstenstrich sollte daher betrachtet werden und nicht nur New Orleans. Fazit Eine 100-prozentige Minderung des Risikos kann nicht erreicht werden, ungeachtet der Höhe und Stärke der Deiche oder der Hochwasserschutzwände. Um die Risiken weiter zu minimieren sollte die technische Verbesserung der Anlagen flankiert werden von zusätzlichen nichttechnischen Maßnahmen. Dazu gehören wirksame Evakuierungs- oder Notfallpläne, welche die Gefährdung von Personen bei Überschwemmungen verringern. Hochwasserangepasstes Bauen, die Trennung von Stadtteilen durch Zwischendeiche oder Landnutzungsvorgaben tragen zur Minderung von Sachschäden bei. Die zentrale Frage lautet: Wie groß ist das Schadenausmaß einer Überschwemmung? Wenn sowohl die Überflutungshöhe als auch die Schäden relativ gering bleiben, ist das bestehende System erfolgreich. Die Ergebnisse der IPET-Studien, vor allem die Risikoanalyse und die Bewertungsverfahren, bilden eine solide Basis, um bessere Strategien und Pläne zur Verringerung des Hurrikanrisikos zu entwickeln. Quellen: Brouwer, G. (2003): The Creeping Storm. Civil Engineering, Juni 2003, 46–88. IPET (2007–2009): Performance Evaluation of the New Orleans and Southeast Louisiana Hurricane Protection System. Final Report of the Interagency Performance Evaluation Task Force, Volumes I–IX, März 2007 bis Juni 2009. IPET (2009): A General Description of Vulnerability to Flooding and Risk for New Orleans and Vicinity: Past, Present, and Future. Supplemental Report of the Interagency Performance Evaluation Task Force, Juni 2009 (https://IPET.wes.army.mil). UNSER EXPERTE: Wolfgang Kron ist Wasserbauingenieur und im Bereich Geo Risks Research als Senior Consultant u. a. zuständig für Hochwasser und Sturmfluten. wkron@munichre.com Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 17 KATRINA Mit baulichen Maßnahmen allein ist es nicht getan Lewis E. Link, Senior Research Engineer und Professor im Department of Civil and Environmental Engineering an der University of Maryland im Gespräch mit Wolfgang Kron, Hochwasserexperte von Munich Re. Lewis E. Link leitete die Post-Katrina Task Force IPET. Wolfgang Kron: Katrina hat dazu geführt, dass New Orleans hochwasserfest gemacht wurde. Ist die Stadt jetzt sicher? Lewis E. Link: Das Schadenrisiko wurde drastisch reduziert, aber es besteht immer noch ein bedeutendes Restrisiko. Angesichts der Heraus forderungen durch das zukünftige Klima kann keine Stadt am Meer als sicher bezeichnet werden. Das HSDRRS* ist eine sehr solide Grundlage, um das Risiko künftig noch weiter zu verringern. War die Risikoanalyse etwas Neues? Die risikobasierte Bemessung gibt es bereits seit vielen Jahren. Allerdings wurde sie nicht als routinemäßiger Ansatz für Analysen zur Minderung der Überschwemmungsgefährdung verwendet, vor allem nicht für so ein geografisch weiträumiges und komplexes Infrastruktursystem. Das war zu diesem Zeitpunkt definitiv eine nie dagewesene Analyse. Wurden die baulichen Maßnahmen gemäß der Risikoanalyse ausgeführt? Die Risikoanalyse hat hinsichtlich der Gefährdung eine völlig neue Ebene der Differenzierung ermöglicht. Das hat die Bemessung erheblich beeinflusst. Anstatt statistisch ermittelte Sturmflut- und Wellenhöhen zu verwenden, zum Beispiel das 100-jährliche Hochwasser, wurden die Werte des 90. Perzentils herangezogen. So lassen sich Unsicher heiten berücksichtigen. Außerdem wurde mithilfe einer Vielzahl von 18 Simulationen ermittelt, wie hoch die Schutzanlagen sein müssen, damit ein Überströmen nicht in einem inakzeptablen Umfang stattfindet. Gegen ein Brechen bei Extremereignissen sind rückseitige Verstärkungen der Deiche als zusätzliche Maßnahmen geplant. New Orleans dient oft als Beispiel, wenn es um den ansteigenden Meeresspiegel geht. Wie sehen die Auswirkungen des Klimawandels für die Stadt aus? Obwohl das HSDRRS den Anstieg des Meeresspiegels und das Absinken des Untergrunds berücksichtigt, wird es langfristig nicht ausreichen. Solange New Orleans nicht den Umgang mit dem Wasser innerhalb der Stadt verändert, wird sie immer weiter absinken. Zusammen mit dem anhaltenden Verlust der umgebenden Feuchtgebiete bedeutet dies ein stetig wachsendes Risiko für New Orleans. Kann Hurrikan Sandy in New York im Jahr 2012 mit der Katastrophe von New Orleans im Jahr 2005 verglichen werden? Die direkten Sachschäden waren beinahe gleich, aber zum Glück gab es in New York wesentlich weniger Todesfälle. Das lag größtenteils an den Geländehöhen in diesem Gebiet und an den niedrigeren Wasserständen bei Sandy. Allerdings war die Vorbereitung in New York und New Jersey vielleicht sogar noch mangelhafter, weil die Entwicklung in überschwemmungsgefährdeten Gebiete über eine lange Zeit und weiträumig stattgefunden hatte. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Kann New York widerstandsfähiger gemacht werden? Mit baulichen Maßnahmen allein ist es nicht getan. Der New Yorker Hafen kann zwar mit großen Sturmflutsperrwerken geschützt werden, allerdings könnten sich dadurch die Sturmfluthöhen außerhalb dieser Barrieren drastisch erhöhen. Es wird ein ganzes Maßnahmenpaket nötig sein, und dazu gehören eine angemessene Flächennutzung und naturnahe Maßnahmen. Gibt es in den USA weitere Problemgebiete, denen ähnliche Katastrophen wie in New Orleans oder New York drohen könnten? Leider ja. Miami, Tampa Bay, Boston, Baltimore und Los Angeles gehören zu den 20 Städten mit dem weltweit größten Überschwemmungsrisiko. Und in Houston wächst mit dem Anstieg des Meeresspiegels auch das Risiko schnell weiter. Können wir Städte durch Hoch‑ wasserschutzanlagen vollständig schützen? Niemals. Aber wir können resiliente Städte schaffen, also solche, die ein Extremereignis besser verkraften. Bauliche Verstärkungsmaßnahmen sind für dicht besiedelte Stadtgebiete notwendig, aber nicht ausreichend. Wir müssen unsere Mentalität komplett ändern. Wir müssen lernen, mit dem Wasser zu leben, und natürliche Systeme zur Verbesserung unseres Wohlergehens und zur Risikominderung nutzen. *Hurricane and Storm Damage Risk Reduction System KATRINA Betriebsunterbrechung und Wide Area Damage von Damian Cleary Die Hurrikane Katrina und Rita, die im Jahr 2005 New Orleans heimsuchten, warfen unter anderem die Frage auf, in welchem Umfang Betriebsunterbrechungsschäden (BU-Schäden) zu erstatten waren. Wie lässt sich der Umfang eines BU-Schadens bestimmen, wenn die Betriebsunterbrechung durch eine Kombination aus Schäden am Eigentum des Versicherten und Schäden in der Umgebung verursacht wurden? Diese Frage war Gegenstand der Rechtssache Orient Express Hotels gegen Generali [2010] EWHC 1186 (Comm). Unstrittig war, dass – wie üblich – nur solche Folgen der Betriebsunterbrechung von der Police gedeckt waren, die durch Schäden am Hotel des Versicherten entstanden sind. Außerdem waren in sehr begrenztem Umfang BU-Schäden durch temporäre Unannehmlichkeiten („Loss of Attraction“) und eingeschränkten Zugang („BU-Erweiterungen“) versichert. Der Versicherer argumentierte jedoch, ein Großteil der BU-Schäden von Orient Express sei durch Wide Area Damage entstanden, wäre somit auch ohne („but for“) Schäden am Hotel eingetreten und sei daher über die BU-Erweiterungen hinaus nicht gedeckt (der dem kontinentaleuropäischen „conditio sine qua non“-Test ähnliche „but for“-Test war als Maßstab für die Ermittlung der Kausalität in der Police ausdrücklich festgeschrieben). Wie ist also das Ausmaß von BU-Schäden zu ermitteln, wenn diese teils auf Schäden am Eigentum des Versicherten (von der Police gedeckt) beruhen und teils auf Wide Area Damage (über die BU-Erweiterungen hinaus nicht von der Police gedeckt)? Orient Express argumentierte, der übliche „but for“Kausalitätstest (Gewinn aus einem unbeschädigten Hotel in einer beschädigten Stadt abzüglich tat sächlicher Gewinn des beschädigten Hotels in der beschädigten Stadt gleich erstattungsfähige Gewinn einbuße) sei bei Wide Area Damage ungerecht. Aus diesem Grund prüfte das Gericht, ob eine andere Gegenüberstellung in solchen Fällen gerechter oder angemessener wäre: – Gewinn aus einem beschädigten Hotel in einer beschädigten Stadt – dies entspräche dem tatsächlichen Sachverhalt und würde auf keinerlei Erstattung hinauslaufen. – Gewinn aus einem unbeschädigten Hotel in einer unbeschädigten Stadt – dies wäre so, als hätte es keine Hurrikane gegeben, und würde zu einer Erstattung von BU-Schäden führen, die nicht durch Schäden am Hotel verursacht wurden, also von Schäden, die über die BU-Erweiterungen hinaus nicht von der Police gedeckt sind. – Gewinn aus einem beschädigten Hotel in einer unbeschädigten Stadt – dies wäre so, als hätten die Hurrikane nur das Hotel getroffen, und hätte zur Folge, dass BU-Schäden erstattet würden, die auf Wide Area Damage in der Stadt basieren und nicht auf Schäden am Hotel – also genau dem Gegenteil des Wortlauts der Police. Es überrascht daher nicht, dass das Gericht alle drei Ansätze verwarf. Dem Gericht zufolge ist die auf der „unbeschädigten Sache in einem beschädigten Gebiet“ basierende Ermittlung des BU-Schadens einleuchtend. Beispiel: A storm caused damage to a hotel and the area around it. Because of the storm, the hotel made a profit of only US$ 5,000 compared to US$ 50,000 it would have made without the storm. If the hotel had not been damaged, but the surrounding area (“undamaged hotel in a damaged area”), the hotel would have made a profit of US$ 10,000. The hotel can only recover US$ 10,000 – 5,000 USD = US$ 5,000. Mit dieser Berechnung wird der Zweck des „but for“Kausalitätstests erfüllt: den Unterschied zu ermitteln zwischen dem in einem großflächig beschädigten Gebiet tatsächlich erzielten Gewinn und dem Gewinn, der in einem großflächig beschädigten Gebiet ohne Schäden an der versicherten Sache erzielt worden wäre. UNSER EXPERTE: Damian Cleary ist Anwalt für (Rück-)Versicherungsrecht bei Foran Glennon (UK) LLP, London. Er vertrat die Versicherer in der Rechtssache Orient Express Hotels gegen Generali. dcleary@foranglennon.co.uk Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 19 KATRINA Schadenmodellierung nach Katrina Die Hurrikane, die 2004 und 2005 die USA mit noch nie dagewesener Stärke und Häufigkeit trafen, gaben den Ausschlag, über verbesserte Ansätze der Risikomodellierung nachzudenken. Die seitdem angestoßene und bereits vollzogene Überprüfung und Entwicklung hin zu einer immer besseren Risikomodellierung ist längst nicht abgeschlossen. von Mark Bove In den vergangenen 25 Jahren kann man drei wichtige Stadien in der Entwicklung von Modellen für Katastrophenschäden unterscheiden. Das erste Stadium begann nach den Hurrikanen Hugo und Andrew sowie zwei schweren Erdbeben in Kalifornien: Damals bestätigten sich die Ergebnisse früher Modelle, was dazu führte, dass Sachversicherer, Rating-Agenturen und staatliche Aufsichtsbehörden diese akzeptierten und übernahmen. Das zweite Stadium erstreckte sich über die beginnenden 2000erJahre und umfasst die Terroranschläge vom 11. September in den USA sowie den Ausbruch des SARS-Virus 2003. Das Ergebnis waren neue Modellvarianten, die Terrorismus (sowohl für die Sach- als auch für Arbeiterunfallversicherung) und Pandemien einbezogen, was die Modellierung weit über Naturkatastrophen hinaus ausdehnte. Das dritte Stadium begann im Jahr 2004 mit der nie dagewesenen Serie von Hurrikan-Treffern in den USA. In den 15 Monaten von August 2004 bis Oktober 2005 trafen insgesamt zwölf Wirbelstürme in den Vereinigten Staaten auf Land, davon sieben (einschließlich Katrina) schwere Hurrikane mit mittleren Windgeschwindigkeiten von mehr als 175 km/h (110 mph). Eine so hohe Anzahl von Treffern war in den historischen Aufzeichnungen noch nie aufgetreten. Die Sachversicherungsbranche hatte Schwierigkeiten, mit Häufigkeit und Umfang der Ansprüche aus diesen Ereignissen Schritt zu halten. Und obwohl Katastrophenmodelle nicht dazu geeignet sind, Schäden eines einzelnen Ereignisses zu berechnen, haben viele Versicherer große Unterschiede zwischen modellierten und tatsächlichen Schäden festgestellt. So kam es, dass man die Akkuratesse der Katastrophenmodelle und die Abhängigkeit der Branche von ihnen in Frage stellte. 20 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Die für die Katastrophenmodelle verantwortlichen Firmen haben sich rasch der speziellen meteorologischen Aspekte der Hurrikansaisons 2004/2005 und der daraus hervorgehenden Fragen ihrer Kunden angenommen. Einige Modelländerungen waren kleine Verbesserungsstufen, andere brachen dramatische Sprünge, und bei wieder anderen sollte die Umsetzung Jahre dauern. Im Nachhinein wird klar, dass Katrina und die anderen Stürme eine neue Ära der Katastrophenmodellierung begründet haben: die Entwicklung einer individualisierten Risikobetrachtung. Alternative Ansätze der Modellierung Sowohl die Versicherungswirtschaft als auch die Katastrophenmodelle stützen sich auf das Konzept der Stationarität der Daten, wonach sich wichtige Eigenschaften eines Datensatzes wie Mittelwert und Varianz im Zeitablauf nicht verändern. Für die Modellierung von Hurrikanschäden bedeutet Stationarität, dass wir für künftige Hurrikane die gleiche Häufigkeit und Schwere erwarten wie bei vergangenen Ereignissen. Vor 2005 basierten die Katastrophenmodelle ausschließlich auf dieser Annahme. Sie boten den Kunden ausschließlich die Analyse des Hurrikanrisikos im Atlantik auf der Grundlage von Daten seit dem Jahr 1900 an. Obwohl über lange Zeiträume hinweg Stationarität gegeben sein kann, haben Forschungsarbeiten gezeigt, dass verschiedene natürliche Klimazyklen die Hurrikanaktivität im Atlantik beeinflussen. Dazu gehören etwa die El Niño-Southern Oscillation (ENSO) und die Atlantische Multidekadische Oszillation (AMO). Diese ist von besonderem Interesse für Versicherer und Katastrophenmodellforscher. Man hat festgestellt, dass AMO-Warmphasen die Hurrikanaktivität im Atlantik verstärken und Kaltphasen diese verringern. Somit enthalten die „stationären“ Langzeitdaten ausgedehnte Zeiträume (25–40 Jahre), in denen Häufigkeit und Schwere der Hurrikanschäden tendenziell über oder unter dem historischen Langzeitmittel liegen. Wenn man ein Portfolio mit KATRINA Hurrikanrisiko auf Basis der gesamten Langzeitdaten modelliert wird, könnte dies zu einer Unter- bzw. Überschätzung des tatsächlichen jährlichen Risikos führen, je nachdem, ob sich die AMO in einer Warmoder Kaltphase befindet. Die beispiellose Hurrikanaktivität in den Jahren 2004 und 2005 hat in Verbindung mit der anhaltenden AMO-Warmphase die Entwicklung alternativer Betrachtungsweisen des Hurrikanrisikos angestoßen. Jeder Modellanbieter verfolgte dabei einen anderen Ansatz. Einige verwendeten nur Hurrikandaten aus Jahren mit AMO-Warmphasen, andere ließen Meteorologen die Aktivität der kommenden Jahre abschätzen. Diese als „Warmphasen-Katalog“, „Modell für die nahe Zukunft“ oder „Schadenereignis-Set für die mittelfristige Zukunft“ bekannten Modelle waren ein Versuch, das Hurrikanrisiko während der aktuellen AMOWarmphase besser abzuschätzen. Allerdings entstehen durch diese alternative Betrachtungsweisen auch Ungewissheiten. Schon die historische Hurrikanaktivität im Atlantik seit 1900 ist eigentlich zu kurz, um den Modellforschern ein umfassendes Verständnis der Langzeitaktivität zu ermöglichen. Durch Unterteilung dieser Aufzeichnungen in AMO-Warm- und Kaltphasen sinkt die Zahl der Daten im Ereignissatz weiter. Das verstärkt die Unsicherheit der Ergebnisse, vor allem in Gebieten mit seltener Hurrikanaktivität. Andere Methoden, wie die Befragung von Fachleuten oder Klimaprognosemodelle, können ähnliche Ungewissheiten nach sich ziehen. Die anfänglichen Reaktionen auf alternative Betrachtungen des Hurrikanrisikos fielen sehr unterschiedlich aus. Rückversicherer, die nicht der staatlichen Regulierung unterliegen, erachteten eine kurzfristigere Betrachtung des Risikos für die Bewertung ihrer Exponierungen als nützlicher. Viele Erstversicherer sahen das ebenso, jedoch haben sich staatliche Versicherungsregulierer geweigert, auf kurzfristigen Daten basierende Ereignissätze zur Tarifierung zu akzeptieren. Das zwang die Erstversicherer, bei Wohngebäudeversicherungen auf Langzeitwerte zurückzugreifen. Faktoren für Kostensteigerungen Das Phänomen des Nachfrageschubs, ein vorübergehender Anstieg der Lohn- und Materialkosten nach einer Naturkatastrophe, haben Modellforscher bereits vor den Hurrikanen der Jahre 2004/2005 erkannt. Um dem Phänomen Rechnung zu tragen, wird bei stochastischen Ereignissen, deren Schäden ein bestimmtes Maß überschreiten, ein branchenspezifischer Faktor aufgeschlagen. In welcher Höhe der Nachfrageschub angesetzt wird, hängt von der Schwere des Schadens ab. Nach Katrina hat man schon früh erkannt, dass die Überschwemmung von New Orleans keine Natur-, sondern eine menschgemachte Katastrophe ist. Da das Abpumpen der Fluten mehrere Wochen dauerte, entstanden an den Gebäuden größere Schäden, als man bei einer normalen Überschwemmung erwarten würde. Und weil die Bewohner, die ihre Häuser verlassen hatten, nicht direkt nach dem Abfließen des Wassers zurückkehren konnten, hatten Versicherte keine Möglichkeit, weitere Schäden an ihren Gebäuden und Geschäften zu verhindern, zum Beispiel die Entstehung und Ausbreitung von toxischem Schimmel. Tropische Wirbelsturm- und Hurrikan-Treffer in den USA, 1900–2014 2 Schwere Hurrikane (Kategorie 3–5) Hurrikane (Kategorie 1–5) Tropische Wirbelstürme und Hurrikane 2014 2008 2002 1996 1990 1984 1978 1972 1966 1960 1954 1948 1942 1936 0 1930 0 4 1924 2 6 1918 4 8 1912 6 Bei der Zahl der tropischen Wirbelsturm-Treffern in den Vereinigten Staaten seit 1900 ragen die Ereignisse der Jahre 2004 und 2005, die während einer AMO-Warmphase auftraten, heraus. Jeder Treffer ist entsprechend der Intensität farblich gekennzeichnet. Bedenken, dass diese starke Aktivität anhalten könnte, haben die Entwicklung von alternativen Betrachtungen des Hurrikanrisikos angetrieben. 1906 8 10 1900 10 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 21 KATRINA Das kaskadenartige Versagen der vom Menschen geschaffenen Systeme bei einer Naturkatastrophe und der damit verbundene höhere versicherte Schaden wird als Schaden-Nachverstärkung („Post Loss Amplification PLA)“ bezeichnet. In vielen PLA-Szenarien fällt ein Element der modernen Zivilisation über einen längeren Zeitraum aus, zum Beispiel die Stromerzeugung, oder die Menschen haben keinen Zugang zu ihren Häusern und Geschäften, was zu weiteren Schäden führt. Der Nachfrageschub ist heute in den meisten PLA-Berechnungen enthalten und die PLA wird innerhalb der Modelle ähnlich angewendet. Weitere Änderungen bei der Modellierung Wenn man den Hurrikans 2004/2005 etwas Positives abgewinnen will, so hat es die Fülle von Schadendaten den Risikomodellierern ermöglicht, die Berechnungen für die Wind- und Sturmflutanfälligkeit zu verbessern. Mit Ausnahme von Opal 1995 und Bret 1998 waren die meisten Gebiete Floridas und der Golfküste bis dahin seit Jahrzehnten von schweren Hurrikanen verschont geblieben. In vielen Regionen unterlagen die Bauvorschriften und die Bevölkerungsstruktur zwischenzeitlich starken Veränderungen, womit ältere Schadendaten und die daraus analysierbare Schadenempfindlichkeit überholt waren. Mit den neuen Daten aus den Jahren 2004 und 2005 hat sich das gewandelt. Und obwohl es Jahre gedauert hat, bis die Modellierungsfirmen die Daten aus Millionen von Einzelansprüchen verarbeitet hatten, geht man davon aus, dass sich die Qualität der Schadenanfälligkeitsbeziehungen in den Modellen verbessert hat, vor allem für die gängigen Bauarten und Nutzungstypen. Ein wichtiger Risikoaspekt bei tropischen Wirbelstürme, den die Katastrophenschadenmodelle 2005 nur unzureichend berücksichtigen konnten, waren Sturmfluten. Anders als bei Winddaten standen den Modellierern für die Erstellung eines verlässlichen statistischen Sturmflutmodells nur spärliche historische Daten zur Verfügung. Die andere Möglichkeit – die Entwicklung eines mit numerischen Lösungsmethoden arbeitenden Sturmflutmodells – war mit großem Arbeits- und Rechenaufwand verbunden. Stattdessen verwendeten einige Modellierungsfirmen einen parametrischen Ansatz der Sturmflut-Modellierung: Sie berechneten die Fluthöhe entlang der Küste und schwächten diese landeinwärts ab, bis Landoberflächen die Fluthöhen übersteigen. Dabei handelt es sich um ein sehr grobes Berechnungsverfahren für das Ausmaß von Sturmfluten, das Faktoren wie die lokale Geometrie des Meeresbodens vor der Küste, die kanalisierende Wirkung von Flüssen und Buchten sowie bestehende Hochwasserschutzbauten an der Küste nicht berücksichtigt. 22 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Die gewaltige Sturmflut von Katrina, gefolgt von Hurrikan Rita im westlichen Louisiana einen Monat später, war der Zeitpunkt, an dem der alte Ansatz zur Modellierung von Sturmfluten nicht mehr akzeptabel war. Einige Firmen entwickelten eigene numerische Sturmflutmodelle, während andere bestehende Sturmflutmodelle zur Einbindung in ihre Hurrikanmodelle lizenzierten und anpassten. Ungeachtet des zugrundeliegenden Verfahrens liefern die heutigen numerischen Sturmflutmodelle erheblich realistischere Ergebnisse als die Ansätze vor einem Jahrzehnt. Fazit In vielerlei Hinsicht begann mit den Hurrikanjahren 2004/2005 eine Art von „Demokratisierung“ der Katastrophenschadenmodellierung. Vor Einführung der alternativen Risikobetrachtungen lieferte ein Hurrikanmodell lediglich eine einzige „Antwort“ auf Portfolioebene. Diese Antwort war für jeden Anwender des Modells gleich, solange die eingegebenen Daten übereinstimmten. Durch die Einführung einer alternativen Risikobetrachtung kann ein Modell heute zwei verschiedene Antworten liefern, wohingegen zuvor für die zweite Antwort ein anderes Hurrikanmodell benötigt wurde. Jede Antwort betrachtet des Risiko aus einer anderen Perspektive, während die anderen Modellbestandteile konstant bleiben, was den Einfluss der Häufigkeitsveränderungen auf ein Portfolio erkennen lässt. Diese zusätzlichen Erkenntnisse verschaffen den Versicherern ein tiefgreifenderes Verständnis, wie empfindlich ihre Portfolios auf Hurrikanereignisse reagieren. Dies wiederum führte zu dem Wunsch nach einer Möglichkeit, die Empfindlichkeit eines Portfolios gegenüber anderen Modellkomponenten zu prüfen, zum Beispiel Schadenempfindlichkeitsbeziehungen und Sturmfluteinflüsse auf reine Sturmpolicen. Künftige Katastrophenmodelle werden diese Entwicklung fortsetzen. Weil sich mehr Modellkomponenten anpassen lassen, können die Unternehmen besser eine eigene Risikoeinschätzung entwickeln und sich besser auf Katastrophen vorbereiten, wo auch immer diese auftreten. UNSER EXPERTE: Mark Bove ist Meteorologe in Underwriting Services/Risk Accumulation bei Munich Re America, Inc. Sein Fachgebiet ist die Modellbildung für Natur katastrophenrisiken in den USA. mbove@munichreamerica.com Ist Ihr Geschäft geointelligent genug ? Wer heute Risiken ganzheitlich managen will, muss das räumliche Umfeld exakt kennen. Mit der NATHAN Risk Suite können Sie Naturgefahrenrisiken adressgenau einschätzen und ganze Risikobestände analysieren – und das weltweit. UNSERE LÖSUNGEN, IHR ERFOLG Mit der NATHAN Risk Suite profitieren Sie von – ortsgenauem Wissen für eine maßgeschneiderte Tarifierung, – transparenten Zusammenhängen für klare Entscheidungen sowie – mehr Wissen für eine optimale Risikostreuung. Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte Ihren Client Manager oder besuchen Sie connect.munichre.com NOT IF, BUT HOW Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 23 KATRINA Katrina 2015: Was wäre wenn? In der zurückliegenden Dekade hat die Region an der hurrikangefähr‑ deten Golfküste der USA ihr Gesicht verändert. Neu entstehende Terminals zur Verflüssigung von Erdgas und der Ausbau bestehender petrochemischer Anlagen erhöhen die Exponierung beim nächsten großen Wirbelsturm. Die Erdgas-Verdampfungsanlage Freeport LNG wird aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit in den kommenden Jahren zu einer Erdgasverfüssigungsanlage (LNG) umgebaut werden. 24 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 KATRINA von Peter Bender Hurrikan Katrina hatte einige Charakteristika im Schadenbild, die es bei ähnlichen Ereignissen so noch nicht gegeben hatte. Entlang der Küste von Mississippi konzentrierte sich eine Reihe von Hotelkomplexen mit angeschlossenen Spielkasinos, die – aufgrund gesetzlicher Bestimmungen – auf schwimmenden Lastkänen gebaut an der Küste lagen. Hierbei kam es entlang der Küste zu einer hohen Wertekonzentration, und all diese Komplexe erlitten hohe Schäden infolge des Sturms. Aufgrund gesetzlicher Änderungen können diese Kasinos nun auf dem Festland gebaut werden, was die Schadenanfälligkeit per se reduziert – aber auch nicht ganz ausschließt. Verflüssigtes Erdgas Verflüssigtes Erdgas (engl.: LNG – Liquefied Natural Gas) ist eine klare Flüssigkeit, die zu ca. 98 Prozent aus Methan besteht. Beim Verflüssigungsprozess werden zunächst unerwünschte Komponenten wie Kohlendioxid, Stickstoff oder Kondensat aus dem Erdgas entfernt. Im Anschluss wird das Gas bei ca. –160 °C verflüssigt, was eine Volumenreduzierung von 1:650 zur Folge hat. Somit besitzt LNG eine sehr hohe Energiedichte und kann wirtschaftlich über sehr weite Strecken transportiert oder in speziell isolierten Tanks gelagert werden. Wie hat sich nun die Exponierung der Region in den vergangenen zehn Jahren verändert? Unverändert ist der Golf von Mexiko mit Hunderten Bohrinseln, einem dichten Netz an Pipelines sowie großen Umschlaghäfen und Raffinerien das wichtigste Zentrum der US-Energiebranche. Laut US Energy Information Administration (EIA) befinden sich dort 45 Prozent der gesamten Raffineriekapa zitäten für Öl und gut die Hälfte der Kapazitäten für die Weiterverarbeitung von Erdgas. 2005 hatte Katrina an den Öl- und Gasplattformen sowie an den Raffinerien große Schäden angerichtet. Dagegen ist die Bedeutung der Ölförderung im Golf von Mexiko gesunken. Stammte im Jahr 2001 rund ein Viertel der Öl- und Gasproduktion aus der Golf region, ist dieser Anteil bis 2013 auf weniger als zehn Prozent geschrumpft. Wichtige Quellen versiegten, zudem erteilte die Regierung nach der Explosion auf der Bohrinsel Deepwater Horizon und der anschließenden Ölpest in den Folgejahren weniger Bohrgenehmigungen. Die Fördereinbußen werden allerdings durch den rapiden Fortschritt bei der Exploration von Schieferöl- und -gasvorkommen mehr als wettgemacht. Neue LNG-Terminals entstehen Mit den Möglichkeiten durch hydraulisches Fracking Öl und Gas aus Schiefergestein zu extrahieren ist die USA zum größten Gasproduzenten der Welt geworden und hat gleichzeitig ihre Exportrestriktionen gelockert. Damit das Gas per Schiff wirtschaftlich transportiert werden kann, muss es zunächst in speziellen LNG-Terminals (LNG = Liquefied Natural Gas) verflüssigt und somit auf einen Bruchteil seines Volumens komprimiert werden. Waren die USA bis vor wenigen Jahren einer der Hauptimporteure von LNG und abhängig von Lieferungen, hat sich das Bild mit dem Fracking-Boom vollständig umgekehrt. Heute werden Import-Terminals zu Export-Terminals umgerüstet, zusätzlich entstehen mehrere neue LNGAnlagen auf einer Länge von 450 Kilometern entlang der Golfküste zwischen Corpus Christi in Texas und Lake Charles in Louisiana. Die Region wird somit für die Weiterverarbeitung von US-Erdgas noch bedeutender, als sie es ohnehin schon ist. Obwohl die Anlagen für hohe Windlasten ausgelegt sind, halten sie den Kräften aber erst im Endzustand stand. Je nach Baufortschritt sind die Anlagen erheblich gefährdeter, sodass im Fall eines schweren Hurrikans vor allem zwischen 2016 und 2018 hohe Forderungen auf die Versicherer zukommen könnten (siehe Grafik auf Seite 26). Auch bezüglich Flut ist das Risiko nicht zu vernachlässigen: Die neuen Anlagen befinden sich innerhalb einer Zone, die laut der amerikanischen Katastrophenschutzbehörde FEMA mindestens einmal in hundert Jahren mit einer schweren Überflutung rechnen muss. Der Boom beim hydraulischen Fracking hat einen weiteren Nebeneffekt: Die amerikanische Petrochemie erlebt ein Comeback. Der US-Branchenverband American Chemistry Council (ACC) geht davon aus, dass sich die Exporte der heimischen petrochemischen Industrie zwischen 2014 und 2030 auf 123 Milliarden US-Dollar verdoppeln werden. Ein Großteil der chemischen Grundstoffproduktion ist aufgrund der Nähe zu Öl- und Gasvorkommen und wegen günstiger Möglichkeiten zur Verschiffung nach Übersee entlang der Golfküste angesiedelt. Die Anzahl und Größe der Chemieparks dürfte somit weiter zunehmen und die Beschäftigtenzahl in die Höhe treiben. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 25 KATRINA Gefährdung der LNG-Anlagen je nach Bauabschnitt bei einem Hurrikan Versicherungssumme (in Millionen USD) 5.000 Zeitraum der höchsten Werteakkumulation 2.500 01.01. 01.07. 31.12. 02.07.31.12. 02.07.01.01. 02.07.01.01. 02.07.31.12. 02.07.01.01. 02.07.01.01. 03.07.01.01. 02.07. 201220122012201320132014201520152016201620162017201820182019201920202020 Aus den unterschiedlichen Baufortschritten der LNG-Anlagen resultiert deren Schadenexponierung im Fall eines schweren Hurrikans. Quelle: Munich Re Sturmsaison Baubeginn Bauende – gefolgt von sechsmonatigem Probebetrieb mit Inbetriebnahme (alle Projekte). Umfassende Abdeckung von Sturmschäden. Bauzeit Sabine Pass: Anlage 1 - 4 Freeport LNG: Anlage 1 und 2 Corpus Christi LNG: Anlage 1–3 Cameron LNG: Anlage 1–3 Wieder mehr Bohrgenehmigungen Fortschritte bei Katastrophenplänen Auch vor der Küste tut sich inzwischen wieder einiges: Wenige Jahre nach dem Desaster der Deepwater Horizon werden vermehrt Großprojekte im Golf von Mexiko angeschoben. So hat das US-Innenministerium Ende Januar 2015 im neuen Fünfjahresplan zur Verpachtung von Offshore-Öl- und -Gasfördergebieten unter anderem zehn Areale im Golf von Mexiko freigegeben. Das ist Teil der offiziellen Strategie, sich von Rohölimporten aus dem Ausland noch unabhängiger zu machen. Ölquellen in Tiefwasser sind ergiebiger als Schieferquellen, was es den Unternehmenerleichtert, den Ausstoß konstant zu halten. Es zeigt sich also: Nicht nur in der Industrie, auch bei privaten Haushalten hat sich die Wertekonzentration entlang der amerikanischen Golfküste in der vergangenen Dekade erhöht – und wird vermutlich weiter zunehmen. Immerhin haben viele Unternehmen aus den Ereignissen der Vergangenheit gelernt und ihre Hurrikan-Katastrophenpläne verbessert. Die Chancen auf eine Schadenbegrenzung stehen damit höher. Katrina hat aber auch gezeigt, dass die Pläne nutzlos sind, wenn die Infrastruktur so sehr zerstört ist, dass Hilfsmaßnahmen nicht eingeleitet werden können. Inwieweit die Vorhaben aber auch realisiert werden, hängt von der weiteren Entwicklung des Ölpreises ab. Viele Firmen haben auf den Niedergang der Ölnotierungen bereits reagiert und Erkundungsbohrungen derzeit auf Eis gelegt. Verbunden mit dem Öl- und Gasboom der vergangenen Jahre war das Wachstum der texanischen Stadt Houston. Der private wie gewerbliche Immobilienmarkt boomte bis vor Kurzem und damit auch die Wertekonzentration in dem Gebiet. 2005, als Hurrikan Rita die Metropole bedrohte, mussten in einer der größten städtischen Evakuierungsaktionen des Landes bis zu 2,5 Millionen Einwohner ihre Häuser verlassen. Glücklicherweise kam Houston damals glimpflich davon. 26 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 UNSER EXPERTE: Peter Bender ist fakultativer Underwriter im Bereich Global Clients/North America bei Munich Re sowie Leiter des Topic Network Öl, Gas and Chemistry. pbender@munichre.com KOMMENTAR „Katrina war in vieler Hinsicht außergewöhnlich“ Katrina hat nicht nur große Teile von New Orleans ausgelöscht, sondern auch an den Grundfesten der Asseku‑ ranz gerüttelt. Was bisher für die Versicherung von Sturm und Sturmflut galt, hat der Hurrikan gründlich durcheinan‑ dergewirbelt: Die gängige Praxis, Windschäden und sturm‑ bedingte Überflutungsrisiken getrennt zu decken, ist infrage gestellt. Peter Röder, Mitglied des Vorstands der Münchener Rück AG und zuständig für das Ressort Global Clients and North America von Peter Röder Hurrikan Katrina hat mit hohen Windgeschwindig keiten und mit einer schweren Sturmflut 2005 weite Teile der US-Golfküste verwüstet. Betroffen waren vor allem die Bundesstaaten Mississippi, Louisiana und Alabama. Besonders viele Schäden erlitt New Orleans. Mehr als eine Million Menschen wurden im Vorfeld evakuiert. Dennoch verloren 1.700 Menschen durch den Sturm ihr Leben. Katrina war in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Naturereignis. Dachten die Versicherer, dass mit den vier Hurrikanen, die 2004 über Florida gezogen waren, die Grenze der Belastbarkeit erreicht sei, wurde man ein Jahr später mit Katrina auf eine weit größere Probe gestellt. Und Katrina war nur der erste von drei außergewöhnlichen Wirbelstürmen, die damals die Südküste der USA trafen. Katrina war größer und verursachte mehr Schäden als alle Wirbelstürme 2004 zusammen. Als fatal erwies sich die Tatsache, dass die Deiche in New Orleans brachen und die Stadt, die größtenteils unterhalb des Meeresspiegels liegt, für lange Zeit zu rund 80 Prozent überflutetet wurde. Es gab viele Diskussionen um das Abgrenzungsthema Flut versus Wind. Anlass war, dass die meisten Schäden durch Flut entstanden, die wenigsten Gebäude aber eine entsprechende staatliche Versicherung abgeschlossen hatten. Diese Trennung ist derzeit immer noch die Regel. Jetzt, zehn Jahre nach Katrina, ist es unserer Meinung nach höchste Zeit, um über die Zusammenlegung von Wind und Flutgefahr in einer Police nachzudenken. Wünschenswert im Sinne des Versicherten wäre dies allemal. Die Schwere dieses Ereignisses erforderte eine deutlich längere Abwicklungszeit als bei anderen Hurrikanen. Heute sind die meisten Schäden reguliert, einige Gerichtsverfahren laufen jedoch noch. Aber auch neue, bislang unbekannte Schadenszenarien bildeten sich nach Katrina aus wie beispielsweise Haftpflichtschäden um Baumaterialien. Zehn Jahre nach diesem außergewöhnlichen Natur ereignis bleibt die Frage, wie es mit New Orleans weitergeht. „The Big Easy“ ist heute nicht mehr dieselbe Stadt wie vor dem Sturm. Bereits im Jahr 2006 wurde vom Urban Planning Commitee ein umfassender Wiederaufbauplan vorgelegt. Er sah natürliche und künstliche Schutzmaßnahmen vor und wurde zum Teil mit erheblichem Aufwand realisiert. Als Letztes erfolgte vor einem Jahr eine Akkreditierung der Deichsysteme als Schutz gegen ein 100-Jahres-Ereignis. Es bleibt zu hoffen, dass alle Maßnahmen bei künftigen schweren Stürmen einen besseren Schutz für die Stadt und ihre Bevölkerung bieten. Katrina war zweifelsfrei ein großes marktveränderndes Ereignis, das eine fast zehn Jahre andauernde Periode angemessener Profitabilität – insbesondere im US-Naturkatastrophengeschäft – für die Asse kuranz einleitete. Katrina hatte somit einen nachhal tigen Einfluss auf die Preisbildung, der erst jetzt mit dem Eintritt in die Weichmarktphase vor rund zwei Jahren langsam nachlässt. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 27 AVIATION Optimale Hilfe in Notfällen Das US-Unternehmen Fireside Partners leistet international Notfallhilfe und bietet vor allem im Bereich der Geschäftsluftfahrt seine Unterstützung an. Präsident und CEO Donald J. Chupp erläutert die Rolle von Fireside bei der Betreuung von Flugunternehmen. Schadenspiegel: Können Sie uns zunächst etwas über Fireside Part ners erzählen? Donald J. Chupp: Fireside Partners bietet in erster Linie drei Dienstleis tungen an: die Entwicklung von Not fallplänen für Unternehmen, Schu lungen zur effektiven Umsetzung dieser Pläne und die Zusammenar beit mit Kunden nach Unfällen. Wir sind der einzige umfassende Dienst leister, der sich auf Notfälle in der Geschäftsluftfahrt, von vermögen den bzw. prominenten Personen oder Konzernen spezialisiert hat. Fireside steht für lückenlose Notfalldienste an allen Tagen des Jahres, rund um die Uhr. Dies umfasst die Überwachung von Flugzeugen und privater Vermö gen, die Unterstützung bei Ermitt lungen und bei der Kommunikation nach einem Unglück, die Kontakt aufnahme zu den Angehörigen, die B etreuung der Familien am Unglücksort, den Schutz und die Rückgabe persönlicher Gegenstände sowie die Informationsbeschaffung und Koordination der Ressourcen gemeinsam mit anderen Stellen. Mit unserer integrierten Datenaus wertung in Echtzeit kommen wir Störungen sofort auf die Spur. Im Durchschnitt reagieren wir pro Tag auf elf Stör- oder Notfälle während des Flugbetriebs. Um die Kunden umfassend zu unterstützen, unter halten wir ein abgesichertes NotfallZentrum. Dort läuft alles zusammen: das weltweite Krisenmonitoring, die aktuellen Informationen oder die Suche nach vermissten Mitarbeitern. 28 Von dort überwachen wir auch den Funkverkehr der Notruf-Leitstellen und der Flugsicherung sowie die lokalen Nachrichtenmedien und sozi ale Medien. Welche besonderen Herausforderun gen müssen Sie in Notfallsituationen meistern? Mit der zunehmenden Verbreitung sozialer Medien haben sich die Ansprüche an Notfalldienste verän dert. Durch den beschleunigten Informationsfluss erfährt die Öffent lichkeit heute schneller als früher von einem Unglück. Wir müssen deshalb alles daransetzen, die betroffenen Familien schnell zu erreichen und mit genauen Informationen zu ver sorgen. Unsere Kunden stehen immer wieder vor denselben Proble men. Während eine große Flug gesellschaft auf Hunderte oder gar Tausende von Mitarbeitern im Kata strophenfall zurückgreifen kann, ist das bei den vielen kleineren Flugan bietern anders. Die grundlegenden Bedürfnisse der Familien sind aber gleich – und die gilt es zu erfüllen. Notfallpläne werden oft von hinten aufgezäumt. Zuerst wird der Plan erstellt und dann im Unternehmen geklärt, wie die Anforderungen erfüllt werden können. Vor dem Erstellen eines Plans sollte man zunächst festlegen, für welche Berei che er gelten soll, abhängig von der jeweiligen Unternehmenskultur und den Geschäftsaktivitäten. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Für die meisten Unternehmen gehö ren die Betreuung der Betroffenen und eine gute Kommunikation zu den wichtigsten Aspekten eines Not fallplans. Interessanterweise werden diese beiden Bereiche aber häufig zu wenig berücksichtigt. Bei Ihrer Tätigkeit sind nicht nur spezielle logistische und organisato rische Fähigkeiten gefragt, sondern auch ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen in extre men Notlagen. Wie wählen Sie Ihre Mitarbeiter aus und wie schulen Sie sie? Welchen Hintergrund haben die Mitglieder Ihres Teams? Unser Humanitarian Emergency Liaison Program (HELP) setzt sich aus Piloten, Notfallhelfern und ande ren erfahrenen Spezialisten zusam men. Mitgefühl ist wichtig, aber unsere Kunden erwarten in erster Linie Kompetenz, Schnelligkeit, Managementqualitäten und Ergeb nisse. Um sicherzugehen, dass die Privatsphäre unserer Kunden geschützt ist und unsere Standards eingehalten werden, greifen wir aus schließlich auf eigene Mitarbeiter zurück und nehmen nie die Dienste von Freiwilligen oder Generalunter nehmern in Anspruch. Die Notfall teams werden mindestens einmal im Monat in einem Präsenztraining geschult. Unsere Mitarbeiter besitzen ein schlägige Abschlüsse und Erfahrun gen, zum Beispiel in den Bereichen Katastrophenhilfe, Gerichtsmedizin, klinische Psychologie, Flugdienst beratung, Notruf-Leitstellendienst und Flugzeugwartung. AVIATION Bei einem Flugzeugabsturz kommen die Opfer und Familien häufig aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Wie kann man auf die vielfältigen Bedürfnisse und Befindlichkeiten von Menschen mit so verschiedenen Hintergründen eingehen? Bei der Betreuung von Familien aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommt es darauf an, bestimmte Fak toren zu beachten. Man muss einen Notfallexperten einsetzen, der die Muttersprache der Betroffenen spricht und mit den jeweiligen kultu rellen Gepflogenheiten bei Trauer und Tod vertraut ist. Wir entscheiden nie selbst, was das Beste für die Angehörigen ist, sondern versuchen, sie in den Prozess einzubeziehen und das Vorgehen im Dialog mit ihnen festzulegen. Die Familien sollen ihre Würde bewahren können, auch im Angesicht des Unglücks. Was gebraucht wird, können wir zwar häufig erahnen, aber wir maßen uns nicht an, es zu wissen. Präsident und CEO Donald J. Chupp von Fireside Partners Sie schulen und beraten auch Unter nehmen zur Vorbereitung auf Not fälle. Wie sieht das im Einzelnen aus? Wir helfen den Firmen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dazu bereiten wir die Mitarbeiter im Unternehmen darauf vor, Betroffene zu unterstützen, die öffentliche Wahrnehmung im Blick zu behalten und die Ermittlungen zielführend mitzugestalten. Dafür muss das Unternehmen zunächst eine zentrale Stelle einrichten, wo Entscheidun gen gemeinsam getroffen werden und das Krisenmanagement gesteu ert wird. Wir leisten Unterstützung beim Aufbau eines Notfallzentrums und geben unsere Erfahrungen aus vergangenen Ereignissen weiter, was sich bewährt hat und was nicht. Auch bei der benötigten Ausstattung und bei der Besetzung der erforderli chen Stellen beraten wir die Firmen. Daneben helfen wir bei der Konzep tion von Übungsmaßnahmen, beim Evaluieren von Situationen und beim Krisenmanagement sowie beim Erstellen von Berichten nach einem Einsatz. Auf Wunsch der Kunden entwickeln wir auch Szenarien, die über Flugzeugunglücke hinausge hen. Hierzu gehört der Umgang mit Massenepidemien, Verbrechen und anderen Ereignissen. Wir sorgen dafür, dass ein Team aufgebaut wird, das im Notfall die Betroffenen kontaktiert und betreut. Es setzt Angehörige von einem Not fall in Kenntnis und hält sie auf dem Laufenden. Unser urheberrechtlich geschütztes Vier-Phasen-Infor mationsmodell ermöglicht es einem Unternehmen, eine Krise aktiv zu steuern und optimal zu reagieren. Und wir unterstützen Unternehmen dabei, in einer Krisensituation Prä senz zu zeigen und die Öffentlichkeit zu informieren. In der Vergangenheit hat sich herausgestellt, dass eine reine Pressearbeit nicht ausreicht. Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz, um den heutigen Kommu nikationskanälen Rechnung zu tra gen. Hierzu gehört die Schulung von Topmanagern und Kommunikati onsteams im Umgang mit Katastro phen ebenso wie die Einbindung von Kommunikationsmaßnahmen in den Notfallplan zusammen mit den erforderlichen Checklisten und Ver weisen. Auch hier entwickeln wir Übungs szenarien, um das Verhalten der Teams, der Geschäftsleitung und anderer Interessensgruppen zu tes ten, einschließlich der Abgabe von Bewertungen, Berichten und Emp fehlungen. Um an der Aufklärung mitwirken zu können, müssen die gesetzlichen Vorgaben und der Ablauf des Ermitt lungsprozesses nach einem Unglück bekannt sein. Außerdem sollte man wissen, was zu tun ist, um das Unter nehmen bestmöglich zu vertreten sowie seine Reputation und Interes sen zu schützen. Hier schulen wir wichtige Vertreter des Unterneh mens und Technikexperten, damit sie in der Lage sind, Interviews zu geben, Unterlagen zur Verfügung zu stellen sowie an Anhörungen oder Untersuchungsterminen teilzuneh men. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 29 30 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 MARINE Größter Schaden in der Containerschifffahrt Der Untergang der „MOL Comfort“ Mitte 2013 im arabischen Meer war die kostspieligste Havarie eines Containerfrachters. Immer größere Schiffe und die steigenden Kosten für Bergung und Wrackbeseitigung stellen die Versicherungs‑ wirtschaft vor neue Herausforderungen. Bei ihrem Stapellauf 2008 war die „MOL Comfort“ mit 316 Metern Länge und 45 Metern Breite ein Schiff der „Post-Panamax“-Klasse. Schiffe dieser Kategorie passen nicht mehr durch den Panama-Kanal. 31 MARINE Ein Löschboot versucht vergeblich, das auf der „MOL Comfort“ ausgebrochene Feuer einzudämmen. Die Struktur der „MOL Comfort“ war offensichtlich beschädigt. Innerhalb weniger Stunden brach das Containerschiff vor der jemenitischen Küste auseinander. von Alexander Kababgi Am 17. Juni 2013 brach bei schlechtem Wetter rund 380 Kilometer vor der jemenitischen Küste das Containerschiff „MOL Comfort“ entzwei. Die beiden Teile drifteten auseinander, wobei das Achterschiff am 27. Juni und die vordere Partie am 11. Juli zusammen mit 4.382 Containern im Meer versanken. Zuvor war aus ungeklärter Ursache ein Feuer auf der vorderen Schiffshälfte ausgebrochen, das Ladung und Schiffskörper zerstörte. Versuche unter anderem der Bergungsfirma Smit Salvage, die beiden Schiffsteile zu stabilisieren und abzuschleppen, schlugen fehl. Alle 26 Besatzungsmitglieder konnten das Schiff rechtzeitig in Rettungsbooten verlassen und wurden vom Containerschiff „Yantian Express“ aufgenommen, das als erstes am Unglücksort eintraf. Koordiniert hatte die Rettungsaktion die indische Küsten wache in Mumbai. Trotz der etwa 1.500 Tonnen Schweröl an Bord der „MOL Comfort“ war zum Zeitpunkt des Untergangs keine nennenswerte Ölverschmutzung ersichtlich. Schwierige Ursachenforschung Warum der Schiffsstahl nachgab und das Schiff auseinanderbrach, wird womöglich niemals vollends geklärt werden. Die Rumpfteile liegen in etwa 4.000 Metern Meerestiefe, sodass eine forensische Ursachenanalyse unmöglich ist. 32 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Bricht ein Schiff auseinander, drängt sich zunächst die Frage nach seiner Seetüchtigkeit auf – ein entscheidendes Kriterium für den Versicherungsschutz und die Haftung des Reeders. Seetüchtig ist ein Schiff, wenn es den gewöhnlichen Gefahren einer Seereise standhält. Dafür entscheidend sind beispielsweise der Zustand des Schiffskörpers, die Kompetenz der Besatzung oder die richtige Beladung. Bei der „MOL Comfort“ haben Untersuchungen keine Anhaltspunkte für eine fehlende Seetüchtigkeit ergeben. Das zum Zeitpunkt der Havarie erst fünf Jahre alte Schiff war kurz vor der Fahrt am 29. Mai 2013 einer „Special Survey“, dem großen FünfjahresSchiffs-TÜV, unterzogen worden. Dabei hatte die japanische Prüfgesellschaft ClassNK keine Mängel festgestellt. Ladung größter Schadenposten Der versicherte Schaden wird derzeit auf fast eine halbe Milliarde Dollar geschätzt. Davon entfallen 66 Millionen Dollar auf den Bereich Kasko und etwa 400 Millionen auf die Ladung. Bei ihrem Stapellauf 2008 war die „MOL Comfort“ mit 316 Metern Länge und 45 Metern Breite ein Schiff der „Post-Panamax“Klasse. Schiffe dieser Kategorie passen nicht mehr durch den Panama-Kanal, der lange Zeit als Maßstab für Schiffsmaße herangezogen wurde. Heute läge die „MOL Comfort“ mit ihrer Ladungskapazität von 8.110 Standardcontainern (Twenty Foot Equivalent Unit/ TEU) nur noch im Mittelfeld. Während bis 2006 kein Schiff mehr als 10.000 Container fasste, kann das derzeit größte Containerschiff der Welt, die „MSC Oscar“, 19.225 TEU laden. Sie ist mit 395 Metern noch einmal ein gutes Stück länger als die „MOL MARINE Ansprüche der Bergungsfirma Schon früh hat man versucht, ein einheitliches und effizientes Entlohnungs- und Vertragssystem für die Bergung von Schiffen in Seenot zu entwickeln. Es musste einerseits genügend Anreize für eine Bergung bieten, sollte andererseits aber den Geretteten nicht über Gebühr belasten. Zu diesem Zweck wurde 1892 das heute weitverbreitete Konzept Lloyds Open Form (LOF) eingeführt. Es ist ein Standardvertrag, der den Bergelohn unter anderem nach der Höhe der geretteten Werte und nach der Schwierigkeit der Rettung bemisst. Allerdings gilt der Grundsatz „no cure no pay – keine Rettung keine Entlohnung“. Die Rettungsmaßnahme muss zumindest teilweise erfolgreich sein. Im Übrigen ist die Entlohnung auf den Wert der geretteten Sache beschränkt. Dieser Grundsatz hatte zunehmend negative Auswirkungen: Bergungsfirmen schreckten vor dem Einsatz an Rettungsaktionen zurück, wenn sie die Chancen für eine Bergung als gering erachteten. Auch ein havarierter Öltanker erschien finanziell kaum lukrativ, da der Restwert des Schiffs niedrig ist. Letztlich führte der Grundsatz „no cure no pay“ zu Verzögerungen bei der Bergung oder gar zu großen Umweltschäden, wenn sich das Bergungsunternehmen verweigerte. Comfort“. Dabei gilt: Je mehr Behälter auf einem Schiff Platz finden, desto geringer sind die Transportkosten pro Container. Aus Rentabilitätserwägungen heraus sind Schiffe mit einem Ladevolumen von mehr als 20.000 TEU bereits in Planung, sodass sich der Schadenschwerpunkt weiter in Richtung Ladung verschieben wird. Bergungskosten nur schwer kalkulierbar Neben der Ladung sind die wachsenden Kosten für Bergung und Wrackbeseitigung von Bedeutung. Gemäß einer Analyse der International Salvage Union haben sie sich zwischen 2005 und 2012 verfünffacht, obwohl die Zahl der Havarien rückläufig war. Hierzu beigetragen hat das veränderte politische und gesellschaftliche Umfeld: Lokale Behörden und Regierungen bestehen zunehmend darauf, dass die Wrack beseitigung möglichst schonend für das Ökosystem erfolgt. Sie tragen damit dem gestiegenen Umwelt bewusstsein in der Bevölkerung und der verstärkten Aufmerksamkeit in den Medien Rechnung. Vor diesem Hintergrund stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Versicherungswirtschaft den damit einher gehenden Anstieg der Bergungskosten noch tragen kann und muss. Aus technischer Sicht lässt sich nahezu jedes Schiffswrack bergen. Doch sollte man die Wirtschaftlichkeit der Bergungsoperation nicht aus den Augen verlieren. Ein entscheidender Grund für die Kostenzunahme sind die enormen Dimensionen moderner Schiffe. Daher wurde „no cure no pay“ durch wichtige Regelungen ergänzt. So erhält das Bergungsunternehmen nach Art. 14 der International Convention on Salvage von 1989 selbst bei Erfolglosigkeit eine Entlohnung auf Basis einer „fair rate for equipment and personal“, wenn dadurch Gefahren von Umweltschäden abgewendet wurden. Zudem gibt es die Möglichkeit einer standardvertraglichen Regelung (Special Compen sation P&I Clause/SCOPIC), bei der die Bergungsfirma anhand vorab festgelegter Tarife entlohnt wird. Diese Berechenbarkeit macht SCOPIC heute zu einem beliebten Vertrag. Die Bergung eines Kolosses von mehreren Hundert Metern Länge erfordert einen immensen technischen Aufwand, wie das Beispiel des Kreuzfahrtschiffs „Costa Concordia“ gezeigt hat. Dort haben die Wrackbeseitigungskosten die Marke von einer Milliarde Dollar überschritten, mehr als das Schiff ursprünglich gekostet hat. Auch wenn die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind, dürfte der Aufwand für die Bergung oder gar Wrackbeseitigung eines Containerschiffs der Größe einer „MSC Oscar“, die mit 395 Metern noch einmal 100 Meter länger ist als die „Costa Concordia“, erheblich und kaum kalkulierbar sein (siehe auch „Kostspielige Wracks“, Schadenspiegel 1/2014). Ein spezielles Problem bei havarierten Containerschiffen stellt die Rettung tausender Container dar. Sie haben sich meist verschoben und liegen instabil auf und unter Deck, sodass sie sich oft nur mittels Helikopter und unter Zeitdruck in Sicherheit bringen lassen. Bei der Havarie der „MOL Comfort“ blieb es bei bloßen Bergungsversuchen, da das Schiff nach kurzer Zeit versank. Die Haftungsfragen bei einem Containerschiffs unglück sind komplex, und auch bei der „MOL Comfort“ noch nicht vollends geklärt. Grundsätzlich kommen die Kaskoversicherer (Hull) für den Schiffsschaden und die Bergung auf, die Ladungsversicherer für die Ware (Cargo). Die P&I-Deckung (Protection and Indemnity) tritt für Haftpflichtansprüche gegenüber dem Eigner der „MOL Comfort“ ein. Hierunter fallen insbesondere Umweltschäden und gegebenenfalls die Kosten einer Wrackbeseitigung. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 33 MARINE Haftungsbeschränkung des Reeders Die Möglichkeit eines Reeders, seine Haftung zu beschränken, existiert bereits seit dem 17. Jahr‑ hundert. Während in der freien Wirtschaft weit‑ gehend das Prinzip der unbeschränkten Haftung herrscht, kann ein Schiffseigner gemäß dem Londoner Haftungsbeschränkungsübereinkommen von 1976 ein Höchstmaß festlegen. Es berechnet sich nach der Tonnage eines Schiffs. Diese Beschränkung greift nur bei grobem Verschulden nicht. Ansonsten bezieht sie sich auf alle Ansprüche, die aus Schiffsunglücken resultieren und in Art. 2 des Abkommens näher definiert sind. Nachdem der Schiffseigner eine Haftungslimitierung beantragt, wird ein Haftungsfonds errichtet, aus dem sich alle Gläubiger ausschließlich befriedigen müssen. Weil das Schiff auf offener See gesunken ist, wurden keine Ansprüche wegen möglicher Umweltverschmutzung oder Forderungen nach Bergung der Wrackteile gestellt. Eine Havarie in Küsten- oder Hafennähe hätte dagegen erhebliche Haftpflichtansprüche zur Folge gehabt. So sind bei der Bergung des Containerschiffs „Rena“, das im Oktober 2011 vor Neuseeland auf ein Riff lief, Wrackbeseitigungskosten von knapp 250 Millionen US-Dollar angefallen, und das, obwohl die „Rena“ nicht einmal halb so groß wie die „MOL Comfort“ war (siehe auch Schadenspiegel 1/2012). Der Schiffseigner der „MOL Comfort“ hat einen Monat nach der Havarie seine Haftung weltweit auf 40 Millionen US-Dollar limitiert, indem er in Japan einen Fonds in dieser Höhe nach den Vorschriften des Londoner Übereinkommens über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen aufgelegt hat (siehe Kasten oben). Dieser Betrag wird bei Weitem nicht ausreichen, Forderungen von fast einer halben Milliarde Dollar (einschließlich Ladung) zu befriedigen. Letztendlich stehen so vor allem die Ladungsversicherer in der Haftung. 34 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Schiffseigner verklagt Werft Im Januar 2014 reichte der Eigner der „MOL Comfort“ überdies Klage in Tokio gegen die Werft Mitsubishi Heavy Industries (MHI) ein, die das Schiff gebaut hat. Ladungsbeteiligte traten der Klage im Nachgang bei. Die Kläger werfen der Firma vor, die „MOL Comfort“ fehlerhaft konstruiert und ihre Warn- und Hinweispflichten verletzt zu haben. Ein Jahr vor dem Unglück habe MHI bereits ähnliche Schäden/Verformungen bei mindestens einem Schwesterschiff festgestellt, diese Beobachtung aber nicht an den Eigner der „MOL Comfort“ weitergegeben. Andernfalls hätte er seine Flotte inspiziert und gegebenenfalls Nachbesserungen vorgenommen. Die unterbliebenen Hinweise seien daher ein „breach of duty of care“ gegenüber dem Eigner der „MOL Comfort“, heißt es in der Klageschrift. Ein ähnlicher Fall ereignete sich 1997 bei dem Containerschiff „MSC Carla“, das auf der Fahrt von Le Havre nach Boston auf hoher See auseinanderbrach. Während der eine Schiffsteil gerettet werden konnte, versank der andere mit 1.000 Containern an Bord in schwerer See. In diesem Fall verklagte der Schiffseigner die Werft Hyundai Corp. vor dem Southern District Court in New York wegen „defect manufacturing“. Im Unterschied zur „MOL Comfort“ war die „MSC Carla“ allerdings nachträglich verlängert worden. Das Gericht verurteilte Hyundai 2004 dazu, für die Schäden aufzukommen. MARINE Beispiele von auseinandergebrochenen Schiffen mit Vergleich der Schiffsraummaße (BRT) 12.12.1999 19.666 BRT „Erika“, Öltanker, schwere Ölverschmutzung vor der Küste Frankreichs 24.11.1997 55.241 BRT „MSC Carla“, Containerschiff, Verlust von ca. 1.000 Containern im Nordatlantik 19.11.2002 42.820 BRT „Prestige“, Öltanker, schwere Ölverschmutzung vor der Küste Frankreichs und Spaniens Versicherungen in der Pflicht Mit einem der bislang größten Schäden in der Containerschifffahrt ist der „MOL Comfort“ ein Eintrag in die maritimen Geschichtsbücher sicher. Es wird nicht der letzte sein: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass kein Schiffstyp von Havarien dieser Art ausgenommen ist (siehe Beitrag Seite 38: „Dem Schwachpunkt auf der Spur“). Obwohl die „MOL Comfort“ ein für heutige Verhältnisse eher kleines Containerschiff war, verursachte sie mit knapp 500 Millionen US-Dollar einen Großschaden, den die Versicherer tragen müssen. Das ist umso bemerkenswerter, als keine übermäßigen Kosten für Bergung oder Umweltverschmutzung anfielen. Hätte sich der Untergang an anderer Stelle ereignet – vor einer Küste oder gar in einer Hafen einfahrt –, wäre dieser Kostenposten erheblich höher ausgefallen. Wäre ein modernes Containerschiff wie die „MSC Oscar“ havariert, kämen zu den unkalku lierbaren Bergungskosten die Entschädigung für bis zu 20.000 Container hinzu. 18.1.2007 53.409 BRT „MSC Napoli“, Containerschiff, Ölverschmutzung und Containerverlust im Ärmelkanal 17.6.2013 86.692 BRT „MOL Comfort“, Containerschiff, Verlust von ca. 4.000 Containern im arabischen Meer 5.10.2011 38.788 BRT „Rena“, Containerschiff, erhebliche Umweltverschmutzung vor der Küste Neuseelands Angesichts der wachsenden Bergungskosten und des Trends hin zu immer größeren Schiffen muss die Versicherungswirtschaft die weitere Entwicklung genau verfolgen. Munich Re bringt ihr Wissen und ihre Expertise über Risiken und mögliche Szenarien in den entsprechenden Fachgremien ein, um die Versicherbarkeit derartiger Ereignisse auch künftig zu gewährleisten. Dazu gehört die adäquate Struktur von (Rück-)Versicherungsprogrammen genauso wie das mögliche Zusammenspiel der P&I-Versicherer mit den staatlichen Behörden bei Großhavarien mit aufwendigen Bergungsaktivitäten. >> Weiterführende Informationen finden Sie im am 30. September 2014 veröffentlichten Untersuchungs‑ bericht unter www.classnk.or.jp UNSER EXPERTE: Alexander Kababgi ist seit 15 Jahren als Schadenjurist im Schadenmanagement bei Munich Re tätig und zuständig für die Bearbeitung von Marineschäden weltweit. akababgi@munichre.com Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 35 MARINE Warum Schiffe auseinanderbrechen Viele Kräfte beeinflussen die Stabilität von Schiffen. Schiffbaulich betrifft das die Größe, die Masse und die Form des Schiffsrumpfes, die Ladung, das Wetter sowie die dynamischen Kräfte, die auf das Schiff wirken. An allen Ecken, Kanten und Rundungen eines Schiffs wird ständig und ununterbrochen gezerrt. Ein Schiff muss das aushalten, tut es das nicht, kann dies zu schwerwiegenden Unfällen führen. Entwicklung der Containerschiffklassen Class: Ladekapazität in TEU: Post-Panamax (abgebildetes Schiff) 1988–2000 4.000–5.000 Umgebautes Frachtschiff 500 1956–1970 Post-PanamaxPlus 2000–2005 5.000–8.000 Umgebauter Tanker 1956–1970 800 NewPanamax 2006–2013 8.000–14.000 Containerschiff 1970–1980 1.000–2.500 Triple-E-Klasse 2014 18.000 Panamax 1980–1988 3.000–4.000 Ultra Large Container Ship 2015 > 16.000 Verformung des Rumpfes bei schwerem Seegang bis zu drei Meter 10 m Wulstbug 36 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Dynamische Kräfte wirken auf den Schiffskörper Abweichung von der Mittelstellung Niedrig 1. Hogging Längsaufbuchtung des Schiffsrumpfes nach oben infolge schweren Seegangs oder größerer Beladung an Bug und Heck 2. Sagging Längseinbuchtung des Schiffsrumpfes nach unten infolge schweren Seegangs oder größerer Beladung in der Schiffsmitte 3. Torsion Verwindung des Schiffsrumpfes infolge schräg auf das Schiff auftreffender Wellen oder größerer Beladung an gegenüberliegenden Seiten 4. Transversale Scherung Zusammendrücken des Schiffsrumpfes in der Breite infolge seitlichen Auftreffens von Wellen 5. Längsscherung Zusammendrücken des Schiffsrumpfes in der Länge infolge frontalen Auftreffens von Wellen Hoch Navigations- und Kommunikationsgeräte Brücke Containerstützen Doppelwandiger Rumpf mit Treibstoff oder Ballastwassertanks Schwachstellen und mögliche Schäden Schwachstelle: Große Öffnung zum Laden von Containern, nur durch Luken verschlossen Schott Doppelter Boden mit Treibstoffoder Ballastwassertanks Möglicher Schaden: Ausbeulung an den 20 Millimeter starken Außenhautplatten am Boden durch dauerhafte Belastung des Rumpfes Möglicher Schaden: Rumpfbruch infolge geschwächter Außenhautplatten am Boden Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 37 MARINE Dem Schwachpunkt auf der Spur Schiffe brechen häufiger auseinander als gedacht, und die Ursachen‑ forschung gestaltet sich schwierig. Meist treffen mehrere Faktoren zusammen, die den Schiffsrumpf über seine Belastungsgrenzen hinaus beanspruchen. von Markus Wähler Die „MOL Comfort“ ist nur eines der Schiffe, die in den vergangenen 15 Jahren einen katastrophalen Strukturschaden erlitten haben. Der in Europa wohl bekannteste Fall ist der Tanker „Erika“, der im Dezember 1999 vor der bretonischen Küste mit einer Ladung Schweröl auseinanderbrach. Im November 2002 geriet der Öltanker „Prestige“ vor der spanischen Atlantikküste in Seenot und brach ebenfalls in zwei Teile. Im Januar 2007 riss beim Containerfrachter „MSC Napoli“ auf der Fahrt im Ärmelkanal die Bordwand ein, das Schiff wurde daraufhin kontrolliert auf Grund gesetzt. Außerhalb Europas sorgten Ende 2011 das Containerschiff „Rena“ vor Neuseeland und im August 2013 der Schüttgutfrachter „MV Smart“ an der Ostküste Südafrikas für Schlagzeilen. So unterschiedlich die Ursachen auch sein mögen, die Fälle haben eines gemeinsam: Die Schiffe havarierten meist im Sturm und bei relativ hohem Seegang. Dabei gerät die Schiffskonstruktion unter enorme Belastungen. Schiffskörper sind flexibel Kommerzielle Schiffe werden heute fast ausschließlich aus Stahl gebaut, Holz hat im Handelsschiffbau schon lange ausgedient. Andere Materialien wie Aluminium oder faserverstärkte Kunststoffe (zum Einsatz kommen Glas-, Kohlenstoff- oder Carbonfasern – GFK/KFK/CFK) sind zwar möglich, aber um ein Vielfaches teurer. Sie werden, wenn überhaupt, fast ausschließlich im Yachtbau eingesetzt. Obwohl Stahl ein hochfester Werkstoff mit einer sehr hohen Steifigkeit ist, lässt er sich unter Belastung verformen. Dabei gilt: Je länger das Schiff, desto stärker biegt sich der Rumpf. Bei ruhigem Wetter ist das für das Auge kaum wahrnehmbar. 38 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Kommen äußere Einflüsse wie Sturm und hohe Wellen hinzu, verformt sich der Schiffskörper aber entsprechend stärker, und zwar sowohl entlang der Querachse als auch entlang der Längsachse aufgrund von Torsionskräften. Ungleichmäßiges Beladen kann ebenfalls zu einer Verformung des Schiffskörpers führen, was sich bis zu einem gewissen Grad durch entsprechendes Ballastwasser-Management verringern lässt. Hierfür wird Wasser in spezielle Tanks im Schiffskörper gepumpt, um die unterschiedliche Kräfteverteilung so gut wie möglich auszugleichen. Bei Scherkräften, die bei Wind und Wellengang schräg auf den Schiffskörper wirken, muss diese Methode naturgemäß versagen. Umso wichtiger, dass die Schiffsstruktur den Belastungen standhält. Entscheidend dafür ist zum einen die Beschaffenheit und Zusammensetzung des Stahls, zum anderen die verbaute Menge. Kommt zu viel Stahl zum Einsatz, steigt das Eigengewicht des Schiffs, wird zu wenig verbaut, können sich Probleme mit der Festigkeit ergeben – eine schwierige Gratwanderung. Zudem darf der langfristige Einfluss der Korrosion nicht vernachlässigt werden. Salz und Wasser reagieren aggressiv mit Stahl, was dazu führt, dass die Schiffshülle im Lauf der Zeit an Dicke und damit an Stabilität verliert. Das richtige Verstauen der Ladung ist eine Kunst Die Einflüsse auf den Schiffskörper durch die Ladung lassen sich theoretisch gut in den Griff bekommen. Die einfachste Lösung ist eine homogene Beladung, sodass Biegemomente gar nicht erst entstehen. Allerdings sind optimale Bedingungen in der Praxis so gut wie nie anzutreffen. So kommt es, dass ein Schiff häufig in der Mitte, am Bug oder am Heck schwerer beladen ist. Die daraus resultierenden Belastungs zustände, die man in der Schifffahrt als Hogging bzw. Sagging bezeichnet (siehe Abbildung Seite 36/37), lassen sich durch Ballastwasser verringern oder sogar ganz ausgleichen. MARINE Feststellen kann man die ungleiche Beladung, indem man vor dem Auslaufen anhand der Tiefgangsmarken am Vor-, Mitt- und Achterschiff prüft, wie das Schiff im Wasser liegt. Das Ablesen gehört zur Routine des Ladungsoffiziers und des Kapitäns. Zusammen mit den Ladungsinformationen kann dann das Ballastwassermanagement entsprechend gegensteuern, um Schlagseite zu verhindern. Die Beladungsplanung erfolgt in der Regel nicht an Bord, sondern wird an Land vom Charterer oder vom beauftragten Planungsbüro vorgenommen. Bei einem Tanker oder Schüttgutfrachter fällt das relativ leicht. Sie haben oftmals lediglich eine bestimmte Ladung an Bord und laufen nur wenige Häfen zum Be- und Entladen an. Containerschiffe hingegen sind wahre „Krämerläden“ und bringen unterschiedlichste Güter an eine Reihe von Anlaufhäfen. Container dürfen allerdings nicht beliebig an Bord verteilt werden. Werden etwa leere Behälter im Laderaum gestapelt, die vollen Boxen dagegen an Deck, so kann die Schwerpunktverlagerung nach oben schnell die Stabilität beeinträchtigen. Ein so beladenes Schiff könnte noch an der Pier eine Eskimorolle vollführen. Lassen sich leere Container noch recht einfach identifizieren, stellen die häufig falsch deklarierten Gewichte ein ernsteres Problem dar. Geht man davon aus, dass bei 20 bis 25 Prozent der Container an Bord eines Schiffs das angegebene Gewicht vom tatsächlichen nur um eine Tonne abweicht, so kann sich das auf mehrere Hundert Tonnen summieren. Bei einem Schiff wie der „MOL Comfort“, die auf eine Kapazität von gut 8.000 Standardcontainern (TEU) ausgelegt war, wären unter dieser Annahme bis zu 2.000 Tonnen mehr oder weniger an Ladung an Bord. Im günstigsten Fall gleicht sich diese Differenz aus, eine exakte Beladungsrechnung ist in diesem theoretischen Fall aber unmöglich. Es gleicht einem „Tetris“-Spiel, die Con‑ tainer so auf dem Schiff zu stapeln, dass sie mit wenig Aufwand und in kurzer Zeit an ihrem Bestimmungsort entladen werden können. Die Gewichtsproblematik wäre relativ einfach in den Griff zu bekommen. Die Containerbrücken in vielen Häfen sind heute in der Lage, die Boxen während des Ladens mit einer eingebauten Waage zu wiegen. Allerdings müssten die so gewonnenen Informationen auch weiterverarbeitet werden, sowohl an Bord als auch im jeweiligen Planungsbüro des Schiffs. Eine Initiative im Bereich der Gewichtsverifikation wäre nicht nur wünschenswert, sondern unbedingt notwendig, um die Sicherheit im Schiffsverkehr zu erhöhen. Angesichts der Vielzahl von möglichen Kräften, die auf ein Schiff einwirken, kommt dem konstruktiven Design eine entscheidende Rolle zu. Die optimale Kombination aus Steifigkeit und Elastizität des Stahls sorgt für eine bestmögliche Balance des Schiffskörpers im Wasser. Auch wenn Schiffbauingenieure auf jahrzehntelange Erkenntnisse aus dem Stahlbau zurückgreifen können, stellt die Neukons truktion immer größerer Schiffe eine Herausforderung dar. Um Gewicht und Material einzusparen, kommen hier hochfeste Stahllegierungen und spezielle Verstrebungen zum Einsatz, sodass Schiffe eigentlich nicht auseinanderbrechen dürften. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 39 MARINE Die Realität indes sieht anders aus. Bei der „MOL Comfort“ wird man letztendlich die genaue Ursache für das Auseinanderbrechen nicht mehr feststellen können. Die Schiffsteile liegen rund 4.000 Meter tief auf dem Grund des Indischen Ozeans. Auf den Schwesterschiffen, die man in der Folge des Unglücks untersucht hat, konnte man leichte Verformungen am Schiffskörper ungefähr in dem Bereich feststellen, in dem die „MOL Comfort“ gebrochen war. Dort haben sich Beulen in der Bodenplatte gebildet, und man hat sich für eine Verstärkung des Bereichs bei allen baugleichen Schiffen entschieden. Darüber hinaus wird die Beschaffenheit des neu entwickelten Stahls untersucht, um festzustellen, ob dessen che mische Zusammensetzung Auswirkungen auf das Unglück hatte. Ein einzelner Grund als Schadenursache dürfte allerdings auch hier auszuschließen sein. Das Verständnis, wie die unterschiedlichen Faktoren zusammenwirken, ist der Schlüssel, um Schiffs unglücke wie das der „MOL Comfort“ künftig zu verhindern. UNSER EXPERTE: Markus Wähler ist seit 2013 Marine Consultant bei Munich Re. Er ist Inhaber des großen Kapitänspatents und war jahrelang als Risiko- und Sicherheitsmanager auf einer Werft tätig. mwaehler@munichre.com 40 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 REZENSION Mass Torts in Europe – Cases and Reflections von Ina Ebert, Munich Re „Mass Torts“ sind ein Phänomen, das lange Zeit vor allem mit dem US-Recht in Verbindung gebracht wurde. In den vergangenen Jahren kam es aber auch in Europa zu Klagen von Hunderten oder Tausenden von Geschädigten, die ähnliche Ansprüche gegen den gleichen Beklagten geltend machten. Auf solche Verfahren waren die traditionellen europäischen Rechts systeme nicht eingerichtet. Die Studie des Wiener European Centre of Tort and Insurance Law (Ectil) zeigt, wie und mit welchem Erfolg die verschie denen europäischen Rechtsordnungen versuchen, dieser neuen Herausforderung gerecht zu werden. Um gleichermaßen Theorie und Praxis zu erfassen, verfolgt die Studie dabei zwei Ansätze: Einerseits werden abstrakt die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen und deren Weiterentwicklungen dargestellt: Welche Mechanismen wurden eingeführt, um Ansprüche zu aggregieren und den Gerichten die Bewältigung der Massenverfahren zu erleichtern? Wie wird festgelegt, welches nationale Recht anwendbar ist und welche Gerichte zuständig sind ? Zum anderen veranschaulichen neun Fallstudien von Praktikern aus verschiedenen europäischen Rechtsordnungen, wie dieses „law-in-the-books“ gelebt wird. Die Bandbreite der behandelten Fälle reicht dabei von der Entschädigung der Opfer von Massenunfällen (Eschede, „Costa Concordia“) bis zu ersten Erfahrungen mit Class Actions (gegen italienische Banken) und Musterverfahren von Aktionären (Deutsche Telekom). Die Beispiele zeigen, mit welchen Mass-Torts-Szenarien man sich längst auch in Europa befassen muss. Die Reformen in Europa gehen weiter: 2013 hat die EU ihren Mitgliedst aaten die Einführung von Entschädigungsmechanismen bei Mass Torts („Collective Redress“) empfohlen, 2014 haben Frankreich und Belgien Class Actions ein geführt. Wer wissen will, welche Konsequenzen sich daraus für die europäischen Märkte ergeben könnten, bekommt durch die Ectil-Studie einen guten Überblick über die bisherigen Erfahrungen mit Mass Torts in Europa. Willem H van Boom/ Gerhard Wagner (eds): „Mass Torts in Europe – Cases and Reflections”, De Gruyter, 2014 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 41 JEWELLERS’ BLOCK Mit der Axt zum Juwelier In jüngster Zeit häufen sich spektakuläre Juwelendiebstähle. Selbst vor brachialer Gewalt am helllichten Tag schrecken die Täter nicht zurück, und auch dicke Stahlbetonwände erweisen sich nicht als große Hürde. Die Schäden gehen in die Millionen. Mit Äxten und Hämmern verschafften sich Banden wie die „Pink Panthers“ Zugang zu wertvollem Schmuck. 42 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 JEWELLERS’ BLOCK von Eckhard Schäper Während im Londoner Diamantenviertel Hatton Garden Anfang April 2015 österliche Ruhe herrschte, ging es unter der Erde mit schwerem Gerät zur Sache. Einbrecher waren vermutlich am Karfreitag in den Tresorraum einer dort ansässigen Depotfirma eingedrungen. Nachdem sie einen Aufzugsschacht in den Keller hinuntergeklettert waren, durchbohrten sie über Stunden mit einem wassergekühlten Hochleis tungsbohrer eine zwei Meter dicke Stahlbetonwand. Danach brachen sie ungestört 72 Safes auf und ver schwanden mit der Beute. Was die Diebe genau erbeutet haben, ist noch nicht bekannt, doch dürfte der Schaden im Bereich von vielen Millionen Pfund liegen. Unter anderem werden die Schließfächer von örtlichen Diamantenhändlern und Juwelieren genutzt, die ihre wertvollen Stücke dort für die Feiertage deponiert hatten. Rätselhaft bleibt, warum die Londoner Polizei, die kurz nach Mit ternacht am Karfreitag von einer Sicherheitsfirma einen Alarm erhalten hatte, nicht reagiert hat. Der Einbruch wurde erst bemerkt, als die Safefirma am Dienstag wieder öffnete. Die „Pink Panthers“ sind die derzeit am meisten gefürchteten Diebe Nicht minder spektakulär, wenn auch auf ganz andere Art, geht die gefürchtete Juwelendiebbande „Pink Panthers“ vor. Laut Interpol verübte sie in den vergan genen Jahren 340 Raubüberfälle in 35 Ländern. Die Gruppe, die äußerst professionell agiert, verursachte seit 1999 einen Schaden von mehr als 330 Millionen Euro. Die Taten laufen meist nach ähnlichem Muster ab: Entweder betreten die Diebe als potenzielle Käu fer in Gruppen von zwei bis fünf Personen ein Juwe liergeschäft, oder sie verschaffen sich am helllichten Tag mit Gewalt Zugang zu den Geschäftsräumen. Während einige aus der Gruppe die Angestellten bedrohen, zertrümmern andere mit Äxten oder Häm mern die Vitrinen, reißen so viel Schmuck an sich, wie sie zu fassen bekommen, und stürmen nach kürzester Zeit wieder aus dem Laden. Die Fluchtwege sind genau einstudiert, auch die Entfernung zur nächsten Polizeistation ist in den Plänen berücksichtigt. Trotz regelmäßiger Ermittlungserfolge, bei denen in erster Linie die „Runner“, die ausführenden Mitglieder, gefasst werden, stehen die Ermittler vor dem Pro blem, die Hintermänner und Hehler zu fassen, die das Diebesgut zu Geld machen. Ob die „Pink Panthers“-Bande auch hinter dem größ ten Juwelenraub aller Zeiten 2013 in Cannes steckt, herrscht Unklarheit. Fakt ist, dass Juwelendiebstähle unterschiedlichster Art Konjunktur haben, wie die folgende Aufstellung (ohne Anspruch auf Vollständig keit) zeigt. Mangelhafte Sicherheitskonzepte, ein nachlässiger Umgang mit wertvollem Schmuck oder unvorsichtige Mitarbeiter machen es den Dieben häu fig leicht. Februar 2013: Diamantenraub am Flughafen Brüssel Eine Gruppe von acht bewaffneten Männer erbeutete am 18. Februar 2013 bei einem Überfall auf ein Frachtflugzeug am Flughafen von Brüssel mehrere Behälter mit Diamanten. Die minutiös geplante Aktion begann kurz vor 20 Uhr. Als Polizisten verklei dete Räuber durchbrachen mit zwei Autos den Zaun des Flughafengeländes und drangen bis zum Rollfeld vor. Dort bedrohten sie die Angestellten einer Sicher heitsfirma, die gerade die Behälter mit den Diaman ten zum Weitertransport in ein Flugzeug verluden. Nach wenigen Minuten waren die Täter mit der Beute im Wert von etwa 37 Millionen Euro in der Dunkelheit verschwunden. Fast drei Monate später gelang es der Polizei, in Belgien, Frankreich und in der Schweiz insgesamt 31 Verdächtige festzunehmen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Brüssel wurden in der Schweiz Teile der Beute sichergestellt. In Brüssel seien zudem größere Geldsummen sowie Luxusautos beschlag nahmt worden. Das Sicherheitskonzept von Werttransporten ist regelmäßig zu überprüfen, auch für vermeintlich sichere Plätze wie das Rollfeld eines Flugplatzes, das nicht für die Öffentlichkeit zugängig ist. Möglicher weise war zu wenig Sicherheitspersonal vor Ort. Mai 2013: Juwelendiebstahl in Cannes Während der Filmfestspiele in der südfranzösischen Stadt brachen Unbekannte am 17. Mai 2013 in ein Hotelzimmer ein, das eine Angestellte der Schweizer Schmuckfirma Chopard bewohnte. Der Schmuck im Wert von mehr als einer Million Euro befand sich im Zimmersafe. Offensichtlich ungestört konnten der oder die Täter den Safe aus der Verankerung lösen und mitnehmen. Bis heute ist nicht geklärt, wie der Coup trotz des riesigen Sicherheitsaufwands gelin gen konnte. Der Diebstahl hätte verhindert werden können, wenn die Chopard-Mitarbeiterin die Grundregel beachtet hätte, wertvolle Gegenstände nicht im Zimmersafe zu deponieren. Wesentlich sicherer ist der Hotelsafe, der besser geschützt ist. Juli 2013: Raubüberfall in Cannes Ein weiterer Diebstahl ereignete sich in Cannes am Vormittag des 28. Juli 2013, als gegen 11.30 Uhr ein dunkel gekleideter Mann das Luxushotel „Carlton“ betrat. Zielstrebig ging er in den Seitenflügel des Hotels, wo die „Extraordinary Diamonds“, eine Ver kaufsausstellung des Juweliers Lev Leviev, aufgebaut war. Über eine normalerweise verriegelte Terrassen tür gelangte der Mann ungehindert in die Ausstel lung, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als der Schmuck von einem Safe in die gepanzerten Vitrinen gelegt werden sollte. Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 43 JEWELLERS’ BLOCK Der Täter bedrohte das dort anwesende Personal und die Sicherheitsleute mit einer Pistole und raubte unter anderem Ringe, Schmuckanhänger und mit Diamanten besetzte Ohrringe im Wert von 103 Millio nen Euro. Laut Ermittlern handelt es sich bei 34 Pre ziosen um Ausnahmestücke im Wert von jeweils mehreren Millionen Dollar. Nur sie waren versichert. Andere Stücke mit einem Wert zwischen 20.000 und 40.000 Euro waren dagegen nicht versichert. Der Raubüberfall stellte den bis dahin größten Juwelen diebstahl in den Schatten: Bei einem Einbruch im Diamantenzentrum von Antwerpen entkamen die Täter im Februar 2003 mit einer Beute von rund 100 Millionen Euro. In Cannes erwies sich als höchst problematisch, dass die Verantwortlichen kein spezielles Sicherungskon zept entwickelt hatten. Für eine Ausstellung mit Wer ten im dreistelligen Millionenbetrag, die außerhalb der gesicherten Geschäftsräume stattfindet, ist ein ausgeklügeltes Konzept unabdingbar. Es sollte mit Experten der Versicherung, der örtlichen Polizei und der zuständigen Sicherheitsfirma abgestimmt sein und unterschiedliche Schutzvorrichtungen umfassen. Dazu gehören Überwachungskameras, Sicherheits vitrinen mit zeitverzögerten Schlössern, mechanisch geschützte Zugangstüren, Meldeanlagen für Ein bruch und Überfälle und eventuell sogar ein Nebel gerät. Ein wirksames Sicherungskonzept erstreckt sich zudem über alle Phasen einer Ausstellung – von der Anlieferung bis zum Rücktransport – und wird von geschulten Sicherheitsmitarbeitern begleitet. September 2013: Juwelenraub in Paris In den Morgenstunden des 9. September 2013 steuer ten vier Räuber einen Geländewagen in die Auslage eines Pariser Juweliers nahe der Place Vendôme. Nachdem sie Schmuck und Uhren im Wert von rund zwei Millionen Euro aus den zerstörten Schaufens tern an sich gerissen hatten, setzten sie den Wagen zur Spurenbeseitigung in Brand und flohen in einem anderen bereitgestellten Fahrzeug. Auch hier fehlte ein mit dem Versicherer abgestimm tes Sicherheitskonzept: –Nachts sollten keine wertvollen Schmuckstücke in den Schaufenstern ausliegen, sondern in den Treso ren der Geschäfte (> Nachtauslage). –Wertvolle Stücke sollten durch billige Duplikate ersetzt werden. –Bei einigen Juwelieren werden nachts die Auslagen der Schaufenster durch Rollladen verdeckt. 44 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 Täter beim Überfall auf das Juwelier geschäft Kern auf der Königsallee in Düsseldorf am 23. April 2005 –Juwelierschaufenster sollten durch spezielle ein bruchhemmende Verglasungen gesichert werden, die einen widerstandsfähigen Polycarbonat-Kern aufweisen. –Schaufenster von Juweliergeschäften sollten durch Poller oder Blumenkübel mechanisch so geschützt werden, dass Angriffe mit Geländewagen oder anderen Fahrzeugen nicht möglich sind. Oktober 2013: Juwelenraub in Hongkong Am 11. Oktober 2013 gegen 11.30 Uhr betraten zwei mit Helmen, Westen und Mundschutz als Bauarbeiter maskierte Männer einen Juwelierladen im Hongkon ger Stadtviertel Süd-Kowloon. Einer der Täter über goss Mitarbeiter des Juweliers mit einer brennbaren Flüssigkeit. Danach begann er, mittels Brechstange eine Vitrine aufzuhebeln. Der andere Täter zückte eine Pistole und forderte die Angestellten auf, eine weitere Vitrine mit Schmuckstücken zu öffnen. Nach kaum einer Minute verließen die Täter das Geschäft mit einer Beute von ca. 1,3 Millionen Euro (in Zei tungsberichten ist von 10 Mio. Hongkong-Dollar – ent sprechend 960.000 Euro – die Rede). Der Polizei zufolge war der Raub gut geplant, da sich die Täter zielstrebig die beiden Vitrinen mit den wertvollsten Stücken ausgesucht hatten. Hier wies das Sicherheitskonzept des Juweliers erhebliche Lücken auf. So ist es zweckmäßig, wäh rend der Öffnungszeiten einen uniformierten Wach mann vor bzw. in dem Geschäft zu postieren, um zumindest Gelegenheitstäter abzuschrecken. Beson ders wertvolle Stücke gehören zudem in einen spe ziellen Wertschutzschrank und nicht in die Vitrinen. Die Stücke werden interessierten Kunden nur nach Absprache und in einem gesonderten Raum gezeigt. JEWELLERS’ BLOCK Oktober 2013: Einbruch bei einem Juwelier in Tel Aviv –Mittelsmänner übernehmen die Beute unmittelbar nach der Tat. An einem Wochenende im Oktober 2013 erbeuteten drei maskierte Männer in Tel Aviv Schmuck im Wert von 500.000 US-Dollar aus einem Juwelierladen im ersten Stock eines mehrstöckigen Geschäftshauses. Die Täter brachen zunächst in ein benachbartes, kaum gesichertes Büro ein, schlugen von dort ein Loch in die Verbindungswand und erreichten so ihr Ziel. Im Juweliergeschäft angekommen, hebelten sie in aller Ruhe Vitrinen und einen Wertschutzschrank auf. Zwar wurden die Männer von den versteckten Videokameras gefilmt. Doch löste die Einbruchmel deanlage keinen Alarm aus, da die Übertragung zuvor sabotiert worden war. Auch eine Störmeldung, die normalerweise bei einer unterbrochenen Leitung erfolgt, hat der Wachdienst nach eigenen Aussagen nicht bemerkt. Ein Gutachter wurde mit der Über prüfung der Einbruchmeldeanlage und der Übertra gungseinrichtung beauftragt. –Die Täter schlagen häufig kurz nach Ladenöffnung, gegen Mittag oder kurz vor Ladenschluss zu. Auch in diesem Fall gab es höchstwahrscheinlich Mängel im Sicherheitskonzept. Zudem fehlte ein Wach mann. Auch waren die Vitrinen nicht aus Sicher heitsglas mit Polycabornat-Kern. Das Sicherungskonzept weist auf den ersten Blick keine Lücken auf, möglicherweise ist die Schwach stelle das Wachunternehmen. Alarme sollten nur auf zertifizierte Wachunternehmen aufgeschaltet wer den. Februar 2014: Überfall auf ein Juweliergeschäft in München Fünf vermummte Männer verübten am 12. Februar 2014 gegen 11 Uhr einen blitzartigen Überfall auf den Juwelier Chopard in der Münchner Maximilianstraße. Einer von ihnen zertrümmerte mit einer Axt die Ein gangstür, die für gewöhnlich verschlossen ist und erst auf ein Läuten von einem Wachmann geöffnet wird. Die Täter stürmten in den Laden, zerschlugen Vitri nen, griffen sich Uhren und Schmuck und stoben nach kaum einer Minute in unterschiedliche Richtun gen davon. Die Angestellten, die sich zum Zeitpunkt des Überfalls im Laden befanden, blieben unverletzt. Es wurden Uhren und Schmuck im Wert von rund 200.000 Euro erbeutet. Vier der fünf Täter konnten unmittelbar nach der Tat von der Polizei festgenom men werden. Dezember 2014: Raubüberfall auf das Berliner Kaufhaus KaDeWe Im Weihnachtstrubel erbeuteten Täter Uhren und Schmuck in Millionenhöhe. Mehrere maskierte Män ner betraten das KaDeWe kurz nach Öffnung am Samstagmorgen über einen Seiteneingang des Kauf hauses. Nachdem sie den Wachmann mit Reizgas außer Gefecht gesetzt hatten, zertrümmerten sie die Vitrinen aus Sicherheitsglas (Polycarbonat) und flüchteten wenige Minuten später mit wertvollen Uhren und Schmuck. Fazit Nur durchdachte und dem Risiko angepasste Siche rungskonzepte können Einbrüche und Fälle von Dieb stahl verhindern. Alle Beteiligten wie Versicherer, Versicherungsnehmer, Polizei, private Wachdienste sowie die Leitstellen, bei denen die Alarme eingehen, müssen mit den Konzepten vertraut sein. Auch die regelmäßige Aktualisierung der Konzepte ist notwen dig. Nur so können Pannen wie diese vermieden wer den: Nach dem spektakulären Raub in London im April 2015 wurde die Polizei wohl bereits am Karfrei tag über einen Alarm in der Depotfirma informiert, der Anruf hatte aber lediglich die Dringlichkeitsstufe „Kein Eingreifen notwendig“ erhalten. Nach der Rekonstruktion des Tathergangs lassen sich Parallelen zu anderen Raubüberfällen erkennen: –Die Täter stammten aus Osteuropa. Sie wurden ein zig für diesen Überfall ins Land gebracht und sollten danach sofort wieder ausreisen. Aus diesem Grund sind die Täter nicht immer vermummt, da sie nicht damit rechnen müssen, erkannt zu werden. –Um nicht identifiziert zu werden, tragen die Täter keine Ausweisdokumente bei sich. –Die Taten werden schnell, gezielt und mit brachialer Gewalt ausgeführt. UNSER EXPERTE: Eckhard Schäper ist Brand schutzingenieur und Experte für Einbruch/Diebstahl im Bereich Corporate Claims Munich Re. eschaeper@munichre.com Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 45 ENGINEERING Pipelinebau mit Hindernissen Der Bau einer Ölpipeline durch die Anden-Region konnte nur mit erheblicher Verzögerung fertiggestellt werden. Ein Vulkanausbruch, aber auch der Widerstand der betroffenen Bevölkerung waren die Gründe hierfür. von Klaus Wenselowski Bei dem Projekt handelt es sich um den Bau einer etwa 500 Kilometer lange Pipeline von einem ecua dorianischen Ölzentrum an den Pazifik. Sie trans portiert seit ihrer Fertigstellung täglich rund einige Hunderttausend Barrel Rohöl über die Anden zu einem Hafen am Pazifik. Der größte Teil der Strecke verläuft unterirdisch. Bereits seit 30 Jahren besteht weitgehend parallel zur neuen Pipeline eine Erdölleitung, die durch äußere Einwirkungen immer wieder leckgeschlagen ist und Gewässer sowie Böden verseucht hat. Auch deshalb hatte sich aufseiten der Bevölkerung und der Gemeindeverwaltung Widerstand gegen das neue Projekt formiert. Der Projektumfang besteht aus einem Rohöl-Lager terminal, vier Pumpstationen über die Anden, zwei Druckreduzierungsanlagen und einem neuen Lagersowie See-Export-Terminal. Die Pipeline läuft durch ein Gebiet starker seismischer und vulkanischer Aktivität mit sechs aktiven Vulkanen, in dem regelmä ßig starke Erdbeben und Erdrutsche auftreten. Noch während des Baus der Pipeline brach der Vul kan Reventador in den östlichen ecuadorianischen Anden aus, der zu den aktivsten im Land gehört. Nach Angaben des geophysikalischen Instituts in Quito war es eine der stärksten Eruptionen, die in den vergangenen 100 Jahren in dem Land aufgezeichnet wurden. Die Trasse der neu zu bauenden Pipeline Luftaufnahme eines Ausbruchs des Vulkans Reventador 46 Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 ENGINEERING führte unglücklicherweise nur wenige Kilometer süd lich am Fuß des Vulkans vorbei. Hunderte Arbeiter mussten sofort in Sicherheit gebracht werden, da her abfallende Gesteins- und Lavabrocken das Baulager gefährdeten. Auch wenn sich der Ausbruch lediglich über knapp drei Wochen hinzog, kam es in den Folge monaten immer wieder zu Erdrutschen und Laharen (eine Art Schlammlawine), die das Projekt belasteten. Heiße Lava und vulkanische Gesteinsbrocken beschädigten die neue Pipeline auf einer Länge von etwa 650 Metern. Rohre wurden deformiert oder aus der Halterungen gerissen und kamen in einigen Fällen erst unmittelbar vor der existierenden Pipeline zum Stillstand. Weitere Zerstörungen richteten die mit hoher Geschwindigkeit und Temperaturen von einigen Hundert Grad Celsius fließenden pyroklasti schen Ströme an. Die Glutlawinen bahnten sich ihren Weg durch die an den Vulkan grenzenden Täler, begruben Teile der im Bau befindlichen Pipeline sowie der wichtigsten Fernstraße unter sich, bevor sie in einem nahe gelegenen Flusstal zum Stillstand kamen. Eine detaillierte Analyse der Schäden ergab folgendes Bild: −−geringere Deformationen an ungefähr 20 Teilen, −−starke Deformationen an zwei Leitungsteilen, −−schwere Beschädigung eines Leitungsteils, −−Hitzeschäden an der Beschichtung von ungefähr zwölf Teilen, −−unzulässige Oberflächenhärte nach Wärme‑ belastung an der Oberfläche. −−Unterbrechung ohne Sachschäden wegen verschie dener Streiks und Aktionen hinsichtlich eines „Inter essenausgleichs“. Insgesamt machten die Versicherten zunächst eine Verzögerung von 221 Tagen geltend. Nach Abzug für Funktionsprüfung, der nicht gedeckten Unterbre chung wegen der Zivilklage und weiteren abzugsfähi gen Tagen reduzierte der Versicherer die Forderung auf nur mehr 124 Tage. Dies führte immerhin noch zu einer Gesamtforderung für Delay in Startup von etwa 80 Millionen US-Dollar. Der Sachverständige prüfte alle Forderungen und stufte lediglich 36 Tage als entschädigungspflichtig ein. Nach längeren Diskussionen einigten sich die Par teien auf einen Gesamtausgleich von 50 Prozent. Fazit Der Schaden zeigt die große Bedeutung von Erdbe bendeckungen bei Baupolicen. Im vorliegenden Fall hatten die Gutachter die schwierige Aufgabe, die ungedeckten Ereignisse aus dem Gesamtverlust des Versicherten aufwendig herauszurechnen. Dadurch kam es zusätzlich zu langwierigen Diskussionen, die bei Delay-in-Startup-Policen öfter auftreten. Der beauftragte Schadengutachter kalkulierte einen Sachschaden von ca. 10 Millionen US-Dollar. Die Versicherungspolice des Projekts bestand aus drei verschiedenen Deckungen: −−CARu „All Risk“, −−Cargo, −−Delay in Startup. Mehrere Unterbrechungen im Zuge des Vulkanaus bruchs, aber auch wegen diverser Streiks führten dazu, dass das Projekt erst gut sieben Monate später als geplant fertiggestellt werden konnte. Die Versi cherungsnehmer nannten folgende Hauptereignisse für die Verzögerung: −−sechs Tage Unterbrechung mit Sachschaden infolge des Vulkanausbruchs und nachfolgender Lahare, −−1,5 Monate Unterbrechung ohne Sachschäden wegen Widerstands der lokalen Gemeindeverwal tung, −−fünf Tage Unterbrechung ohne Sachschäden wegen einer Zivilklage einer Privatperson, −−ein Monat Unterbrechung ohne Sachschäden wegen Streiks, UNSER EXPERTE: Klaus Wenselowski ist Maschinen bauingenieur. Er leitet das Property Claims Management Team in der Global Clients/North America Division in München. kwenselowski@munichre.com Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 47 KOLUMNE Naturkatastrophen Aus Schäden lernen, Schäden zu begrenzen Tobias Büttner, Head of Corporate Claims bei Munich Re tbuettner@munichre.com Die Folgen von Hurrikan Katrina bleiben auch nach zehn Jahren für die Versicherungswirtschaft einer der teuersten Schadenkomplexe aller Zeiten. Der Rückblick auf ein Ereignis dieser Dimension wirft immer auch die Frage auf, was sich daraus für künftige ähnliche Szena rien lernen lässt: Welche Maß nahmen zur Schadenbegrenzung haben sich bewährt? Und welche Rolle kommt dabei der Versiche rungswirtschaft zu? Im Nachgang zu Katrina wurde vor allem versucht, durch verbesserte Bauvorschriften in den am stärksten von Überschwemmungen gefähr deten US-Staaten Vorsorge für ähn liche Schadenereignisse zu treffen. Dabei zeigt sich zum einen die Bedeutung eines engen Zusammen spiels von staatlicher und privater Vorsorge. Zum anderen werden aber auch die Schwierigkeiten deutlich, die sich aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher Zuständigkeiten ergeben können. Hinzu kommt, dass nicht selten fehlende Ausweichmög lichkeiten und beschränkte finan zielle Ressourcen der Beteiligten die konsequente Umsetzung regulato rischer Vorgaben maßgeblich beein trächtigen. 48 Insgesamt hat sich bei Hurrikanen in den vergangenen Jahren in den USA aber gezeigt, wie sehr ein erhöhtes Risikobewusstsein aller Beteiligten dazu beitragen kann, Schäden zu begrenzen. So dürften etwa die früh zeitigen Warnungen und umfassen den Evakuierungsmaßnahmen bei Hurrikan Sandy 2012 das Schaden ausmaß spürbar gesenkt haben. Ein weiteres Beispiel für den Erfolg frühzeitiger und konsequenter Vor sorgemaßnahmen liefern die Zyklone Odisha und Hudhud in Indien: Odisha forderte 1999 noch 10.000 Menschenleben. Im Vorfeld von Hud hud wurde 2014 die Gefahrenzone schnell und großflächig evakuiert. Obwohl beide Zyklone sehr ähnlich verliefen, waren daher nach Hudhud lediglich 84 Todesopfer zu beklagen. Wie effektiv und daher sinnvoll Schadenprävention ist, lässt sich auch in Europa aufzeigen. Zwar belief sich sowohl nach der Elbeflut von 2002 als auch beim Hochwasser in Deutschland 2013 der versicherte Schaden auf jeweils rund zwei Mil liarden Euro. Dies beruht jedoch dar auf, dass Versicherungsdichte und Wertekonzentration in der betroffe nen Region zwischenzeitlich zuge nommen hatten. Der wirtschaftliche Gesamtschaden hingegen halbierte sich annähernd von mehr als 11,5 Mil liarden auf knapp sechs Milliarden Euro. Das ist zum Teil dem Ausbau und der besseren Instandhaltung der Deiche zu verdanken. Daneben spiel ten aber auch präventive Maßnah men der Hauseigentümer und Unter nehmen eine zentrale Rolle. So wirkten sich zum Beispiel die Verla gerung von Heizungsanlagen in Munich Re Topics Schadenspiegel 1/2015 höhere Stockwerke oder die bessere Abdichtung von Gebäuden schaden mindernd aus. Allerdings zeigte sich auch hier, wie wichtig eine enge Kooperation aller beteiligten staatli chen und privaten Akteure ist, damit der Schaden insgesamt begrenzt wird und nicht lediglich eine Umver teilung der Schadenlast erfolgt. Der Beitrag der Versicherungswirt schaft zu dieser Entwicklung geht dabei weit über die finanzielle Risiko verlagerung hinaus. Sie stärkt durch frühzeitige Aufklärung über Risiken das Bewusstsein für mögliche Gefahren und zeigt Optionen zur Prävention auf. Darüber hinaus las sen sich durch die Prämiengestal tung Anreize zur Schadenverhütung oder zumindest zur Schadenbegren zung schaffen. © 2015 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München Telefon: +49 89 38 91-0 Telefax: +49 89 39 90 56 www.munichre.com Verantwortlich für den Inhalt Christine Angerer Dr. Tobias Büttner Dr. Paolo Bussolera Prof. Dr. Ina Ebert Dr. Achim Enzian Prof. Dr. Peter Höppe Dr. Stefan Klein Dr. Andre Knörchen Dr. Eberhard Witthoff Redaktion Corinna Moormann, Group Communications (Anschrift wie oben) Telefon: +49 89 38 91-47 29 Telefax: +49 89 38 91-7 47 29 schadenspiegel@munichre.com Anmerkung der Redaktion In Veröffentlichungen von Munich Re verwenden wir in der Regel aus Gründen des Leseflusses die männliche Form von Personenbezeichnungen. Damit sind grundsätzlich – sofern inhaltlich zutreffend – Frauen und Männer gemeint. 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