Nahversorgung im ländlichen Raum der Wesermarsch

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Nahversorgung im ländlichen Raum der Wesermarsch
Nahversorgung im ländlichen Raum der Wesermarsch
Bestandsaufnahme und Möglichkeiten der Nahversorgung
in ausgewählten ländlichen Bereichen der Wesermarsch
Vorgelegt von Moritz Feuerlein, Dipl.-Oec.
Abhandlung für das Regionalmanagement „Wesermarsch in Bewegung“
Februar 2014
Danksagung
Schon zu Beginn meines Fachpraktikums Mitte November 2013 stand für mich fest, dass ich während
meiner Zeit im Regionalmanagement „Wesermarsch in Bewegung“ etwas Nachhaltiges erreichen wollte.
Eine Aufgabe zu haben, die mich während meiner gesamten Zeit hier neben meinen anderen, täglichen
Arbeiten begleitet, aber auch zu einem der hiesigen Themengebiete passt. Ich habe mich dann für den
Schwerpunkt „ländliche Nahversorgung“ und dem Verfassen einer entsprechenden Abhandlung über das
Thema entschieden.
Bedanken möchte ich mich daher in erster Linie bei meiner Praktikumsbetreuerin Meike Lücke, die mir die
Freiheit gab, zum einen selbstständig zu arbeiten, aber auch bei Fragen immer Zeit für mich gehabt zu
haben.
Mein Dank gilt weiterhin auch den folgenden Personen: Mette Aksteiner aus dem Regionalmanagement,
dem Team der Wirtschaftsförderung Wesermarsch GmbH, Frau Heike Hommers vom Fachdienst Umwelt
im Landkreis Wesermarsch, den Mitgliederinnen und Mitgliedern der Kreisentwicklungsarbeitsgruppe
„Grundversorgung“ Martina Dunker, Sebastian Rann, Andreas Jung, Holger Meyer und Christa Roth, des
Weiteren bei Ines Mannagottera, der Fachdienstleiterin des Referats 91 vom Landkreis Wesermarsch und
abschließend bei Herrn Thomas Peters für seine Bereitschaft mir als Interviewpartner zur Verfügung zu
stehen.
Vielen Dank für die dauernde und umfangreiche Unterstützung, die anregenden Fachgespräche und für
die Einblicke in das Projekt- und Prozessmanagement einer Regionalentwicklung.
Brake, 26.02.2014
Moritz Feuerlein
Für persönliche Rückfragen zum Inhalt dieser Arbeit stehe ich gerne zur Verfügung:
Moritz Feuerlein
Harlingerstr. 13 B
26121 Oldenburg
Telefon: 0441/59445057
Mobil: 0170/5170128
Mail: moritz-feuerlein@gmx.de
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ............................................................................................... I
Abbildungsverzeichnis ...................................................................................... III
Tabellenverzeichnis .......................................................................................... IV
Einleitung ......................................................................................................... 1
1.
Der Einzelhandel ...................................................................................... 3
1.1
1.1.1
1.1.2
Begriffsdefinition „Nahversorgung“ und Einzelhandel“ ......................................... 3
Einzelhandel ............................................................................................. 3
Nahversorgung ......................................................................................... 3
1.2
1.2.1
1.2.2
1.2.3
1.2.4
1.2.5
1.2.6
1.2.7
1.2.8
1.2.9
Betriebsformen.......................................................................................... 3
Kiosk ...................................................................................................... 3
Dorfladen ................................................................................................. 4
Nahversorger ............................................................................................ 5
Supermarkt .............................................................................................. 6
Großer Supermarkt .................................................................................... 6
Discounter ............................................................................................... 6
SB-Warenhaus.......................................................................................... 7
Bio-Supermarkt, Hofladen ............................................................................ 8
Zusammenfassung Betriebsformen ................................................................ 9
1.3
Der Einzelhandel im Wandel......................................................................... 9
1.4
Der Einzelhandel als Wirtschaftsfaktor .......................................................... 10
2.
Demografischer Wandel, Nachfrage- und Konsumverhalten ......................... 13
2.1
Der demografische Wandel und sein Einfluss auf das zukünftige Einkommen ........ 13
2.2
Einkommensentwicklung ........................................................................... 15
2.3
Konsum- und Nachfrageentwicklung ............................................................ 16
3.
Die Situation im Landkreis Wesermarsch................................................... 21
3.1
Der Landkreis Wesermarsch stellt sich vor..................................................... 21
3.2
3.2.1
3.2.2
Demografischer Wandel ............................................................................ 23
Demografische Situation im Landkreis Wesermarsch ....................................... 23
Demografische Wandel der Gemeinden ........................................................ 25
3.3
Mögliche Folgen des demografischen Wandels............................................... 26
3.4
Wirtschaftliche Daten ................................................................................ 30
3.5
Aktuelle Einzelhandelssituation in der Wesermarsch ........................................ 31
4.
Konzeptarten ......................................................................................... 33
4.1
Multi-Channel-Konzept und Mobile-Commerce (mCommerce) ............................ 33
I
4.2
Standortanforderungen ............................................................................. 39
4.3
4.3.1
4.3.2
Mobiler LEH ........................................................................................... 39
Beispiel: HEIKO ...................................................................................... 42
Beispiel: Frischedienst Nordhorn ................................................................. 43
4.4
4.4.1
4.4.2
4.4.3
Der Dorfladen ......................................................................................... 44
Dorfladen Otersen und das Dorfladen-Netzwerk.............................................. 46
DORV-Konzept ....................................................................................... 48
De Lüttje Laden Neustadt/Ovelgönne ........................................................... 50
4.5
Nahversorgungskonzepte der großen Einzelhändler ........................................ 52
4.6
Möglichkeiten der Gemeinden und des Landkreises ......................................... 53
5.
Die Infragestellung der Homogenität des Raums......................................... 57
Persönliches Fazit ............................................................................................ 60
Glossar ............................................................................................................ V
Literaturverzeichnis .......................................................................................... IX
II
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Kiosktheke ......................................................................................................................... 4
Abbildung 2: Dorfladen Otersen .............................................................................................................. 5
Abbildung 3: Skizze aus dem IK-Konzept von markant .......................................................................... 5
Abbildung 4: Famila XXL Lageplan ......................................................................................................... 8
Abbildung 5: Anzahl LEH-Geschäft....................................................................................................... 10
Abbildung 6: Beschäftigte im deutschen Einzelhandel.......................................................................... 12
Abbildung 7: Bio-Lebensmittel-Umsatz in Deutschland ........................................................................ 19
Abbildung 8: Geografische Lage des Landkreis Wesermarsch ............................................................ 21
Abbildung 9: Der Landkreis Wesermarsch aufgeteilt in seine Gemeinden ........................................... 22
Abbildung 10: Übersicht der LEH Standorte im ländlichen Raum der Wesermarsch............................ 31
Abbildung 11: Real APP, Angebotsübersicht und Einkaufsliste ............................................................ 36
Abbildung 12: Real App, Marktfinder und Serviceangebot.................................................................... 37
Abbildung 13: Edeka APP..................................................................................................................... 37
Abbildung 14: Kleiner Verkaufswagen .................................................................................................. 40
Abbildung 15: Großer, begehbarer Verkaufswagen .............................................................................. 40
Abbildung 16: Liefergebiet HEIKO ........................................................................................................ 42
Abbildung 17: Lieferradius 70 km.......................................................................................................... 43
Abbildung 18: Lieferradius 150 km........................................................................................................ 43
Abbildung 19: Netzwerkpartner Dorfladen-Netzwerk ............................................................................ 47
Abbildung 20: 5-Säulenmodell des DORV-Konzeptes .......................................................................... 49
Abbildung 21: Außenfront vom „Lüttje Laden“ im „Neustädter Hof“ ...................................................... 51
Abbildung 22: Bürgerversammlung in Rodenkirchen, 03.02.2014 ........................................................ 54
III
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Top 10 Lebensmittelkonzerne Deutschland ......................................................................... 11
Tabelle 2: Bevölkerungsentwicklung Deutschland 2008-2030 .............................................................. 13
Tabelle 3: Konsumausgaben private Haushalte ................................................................................... 16
Tabelle 4: Bevölkerungsprognose Landkreis Wesermarsch ................................................................. 24
Tabelle 5: Bruttoinlandsprodukt Wesermarsch/IHK Oldenburg............................................................. 30
Tabelle 6: Arbeitslosenstatistik IHK Oldenburg ..................................................................................... 30
IV
Einleitung
Beginnen wir die Abhandlung mit einer kleinen Fantasiereise:
Stellen Sie sich vor, Sie möchten Ihren täglichen Lebensmitteleinkauf erledigen. Sie sind nicht mehr so
schnell mit dem Rollator, das kommt nun mal mit dem Alter. Ihr Auto haben Sie schon vor geraumer
Zeit an den Enkel weitergegeben, der braucht es ja viel nötiger. Leider fahren die Busse auf dem „platten Land“ nicht so häufig, wäre sowieso nicht sonderlich praktisch mit den Tüten und dem Rollator.
Also zu Fuß?
Stellen Sie sich vor, Sie sind den ganzen Tag an Ihrem Arbeitsplatz, viele Termine, Stress, hin und
her. Aber der Einkauf steht noch an. Dabei wären Sie so froh, wenn Sie nur noch nach Hause kommen
könnten, zu Ihren Liebsten, Ihrem Hund oder einfach nur auf die Couch. Aber Sie müssen, wie so viele
andere Arbeitnehmer, sich noch nach der Arbeit sowohl in den Berufsverkehr als auch in den vollen
Supermarkt stürzen. Sonst gibt es morgen kein Frühstück.
Stellen Sie sich vor, Ihr Partner ist bei der Arbeit und Sie sind mit den zwei kleinen Kindern zu Hause.
Es müssen noch die anliegenden häuslichen Aufgaben verrichtet und eingekauft werden. Dies gestaltet sich aber als nicht so einfach, da das Auto der Partner hat, der nicht vor Ort arbeitet. Also mit dem
Rad und dem Kinderanhänger los. Dass kaum Platz auf dem Gepäckträger ist, die Kinder im Supermarkt quengeln werden, weil ihnen langweilig ist, verdrängen Sie noch erfolgreich. Noch.
Und nun stellen Sie sich vor, die nächste Einkaufsmöglichkeit ist kilometerweit entfernt. Der kleine
Laden um die Ecke hat schon vor geraumer Zeit geschlossen. Verstehen Sie gar nicht, dabei haben
Sie so oft dort mal Ihre Milch gekauft. Oder die Tageszeitung. Aber auf einmal war er geschlossen.
Nun, wenn Sie im ländlichen Raum wohnen, dann müssen Sie sich solche Szenarien gar nicht vorstellen – Sie kennen sie vermutlich bereits. Von diesem Thema handelt die nun folgende Arbeit: Es geht
um die Frage, wie die Nahversorgung im ländlichen Raum, in diesem Fall der Wesermarsch, in der
Zukunft aufgestellt ist. Ziel soll es sein, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Versorgung wieder flächendeckend gestalten werden könnte und Alternativen zum Status quo zu benennen. Die Arbeit soll
als Hilfestellung dienen, sie wird keine ausgearbeiteten Finanzierungsmodelle oder „eins zu eins“ umsetzbare Lösungen präsentieren.
Die vorliegende Abhandlung gliedert sich wie folgt: Im ersten Kapitel wird der Wandel des Einzelhandels in Deutschland der letzten 50 Jahre beschrieben. Dabei werden die Fakten durch reine Zahlen
belegt sowie eine Differenzierung verschiedener Lebensmitteleinzelhandelsbetriebsarten vorgenommen.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem demografischen Wandel. Dieser hat u.a. großen Einfluss auf
das zukünftige Einkommen, auf das Nachfrage- und Konsumverhalten und auf die Anzahl von Kunden
und Arbeitnehmern.
1
Im dritten Kapitel wird der Landkreis Wesermarsch vorgestellt. Zudem wird die dortige demografische
Entwicklung behandelt und eine Bestandsaufnahme über vorhandene Lebensmittelgeschäfte aller Art
erstellt.
Im vierten Kapitel werden mögliche Ansätze zur Integrierung einer Grundversorgung in kleinen Ortschaften vorgestellt.
Das fünfte Kapitel befasst sich mit der Frage, ob es überhaupt möglich und sinnvoll ist, überall dort, wo
es anscheinend gewünscht ist, eine Grundversorgung anzubieten. Oder ob die Menschen nicht selber
dafür verantwortlich sind, wo sie wohnen und entsprechend einen infrastrukturellen Nachteil in Kauf
nehmen müssen.
Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem persönlichen Fazit.
Anmerkung: Der Einfachheit halber werden geschlechtsspezifische Begriffe nur in der männlichen
Version genannt. Dies soll keine Diskriminierung darstellen, sondern lediglich dem vereinfachten Lesen dienen. Natürlich sind immer beide Geschlechter gemeint. In einem anhängenden Glossar werden
zudem verschiedene genutzte Fachbegriffe erläutert.
2
1. Der Einzelhandel
Neben einer kurzen grundlegenden Erläuterung der Begrifflichkeiten „Nahversorgung“ und „Einzelhandel“ werden im Folgenden die aktuellen stationären Betriebsformen des Lebensmitteleinzelhandels
erläutert. Anschließend wird auf den Wandel des Einzelhandels der vergangenen 50 Jahre eingegangen.
1.1
Begriffsdefinition „Nahversorgung“ und Einzelhandel“
Diese Arbeit widmet sich der „Nahversorgung“ durch den „Einzelhandel“. Daher sollen diese beiden
Begriffe auch an dieser Stelle separat definiert werden.
1.1.1
Einzelhandel
Der Einzelhandel fungiert als Händler zwischen einem Produzenten und den Konsumenten als Endverbrauchern. Er bietet verschiedene Waren im Food- sowie Nonfood-Bereich an. Im Gegensatz dazu
bedient der Großhandel gewerbliche Kunden, so genannte Wiederverkäufer. Als Abgrenzung dabei
dient nicht die verkaufte Menge von Gütern, sondern vorrangig die Art des Kunden. In der vorliegenden Arbeit wird dabei auf den Lebensmitteleinzelhandel (im Folgenden auch kurz LEH) eingegangen.
1.1.2
Nahversorgung
Unter dem Begriff Nahversorgung versteht man allgemein „die orts- und zeitnahe Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs“1. Dabei gibt es keine in Stein gemeißelten Angaben,
die exakt die maximale Entfernung zwischen einem Haushalt und einem LEH-Geschäft bestimmen.
Die Literatur versteht unter dem Begriff „Nahversorgung“ die fußläufige Erreichbarkeit eines Geschäftes. Die fußläufige Erreichbarkeit wird dabei auf maximal 10 Gehminuten oder 500-1.000 Meter Luftlinie als Zielwert angegeben2. Schon hier wird deutlich, dass unter dem Begriff „Nahversorgung“ die
räumliche und zeitliche Distanz nur sehr schwammig formuliert wurde. Für mobilitätseingeschränkte
Personen können 1.000 Meter eine fast unüberwindbare Hürde darstellen.
1.2
Betriebsformen
Um einen Überblick über die verschiedenen gängigen und aktuellen Betriebsformen des stationären
LEH zu erhalten, werden diese nun folgend erläutert. Dabei ist zu beachten, dass es in der Literatur
verschiedene Ansichten in Bezug auf die Unterscheidung von Supermärkten gibt (hinsichtlich der Größe und Artikelanzahl). Die hier genannten Daten beziehen sich auf die Ergebnisse der Studie „Nahversorgung in ländlichen Räumen“ vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwickelung
(BMVBS) aus dem Jahr 2013, sowie auf eigene Erfahrungen. Etwaige Abweichungen zu anderen
Studien sind daher möglich.
1.2.1
Kiosk
Ein Kiosk zeichnet sich durch die geringe Größe seines Verkaufsraumes aus. Er hat ein sehr flaches
Sortiment und verkauft vorrangig Getränke, Süßwaren, Salzgebäck, Zeitschriften und Tabakwaren. Er
1
„Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS, S. 3
3
kann ein minimales Lebensmittelgrundsortiment und ein ebenso kleines Nonfood-Sortiment aufweisen.
Dies ist vom Standort und/oder der Jahreszeit abhängig (z.B. Grillsortiment im Sommer, Souvenirs in
Touristenregionen usw.). Ein Kiosk ist für die Grundversorgung alleine nicht geeignet, zumal er preislich oftmals über den restlichen Betriebsformen rangiert. Am Wochenende oder abends kann er als
Zusatzangebot zu anderen Geschäften fungieren, gerade wenn diese sich ausschließlich in angrenzenden Ortschaften befinden und zu den genannten Zeiten nicht mehr durch den öffentlichen Personennahverkehr (im weiteren Verlauf nur kurz ÖPNV) erreichbar sind.
Abbildung 1 zeigt eine typische Kiosktheke. In erster Linie sind Tabakwaren, Alkohol, Süßwaren und
Zeitschriften zu sehen. Im Hintergrund stehen zwei Kühlschränke mit dem vorhandenen Lebensmittelangebot.
Abb. 1 Typische Kiosktheke3
Der vorhandene Raum wird dabei so optimal und zweckdienlich wie möglich genutzt. Da ein Verkäufer
permanent anwesend ist bzw. sein sollte, ist der Servicegrad in den meisten Fällen sehr hoch.
1.2.2
Dorfladen
Ein Dorfladen zeichnet sich durch einen relativ kleinen Verkaufsraum aus, der zumeist zwischen 80120 m² rangiert. Er besitzt ein Basisangebot an Lebensmitteln, Nonfood I-Artikeln, Zeitschriften und
Tabakwaren (insgesamt ca. 1.500-2.500 Artikel). Es wird mit regionalen Anbietern (Bäcker, Metzger
usw.) zusammengearbeitet, evtl. sich sogar der Verkaufsraum geteilt. Ein Dorfladenkonzept zeichnet
sich oft durch die Integration weiterer Servicemöglichkeiten aus: Postannahme, Café, Sozialangebote,
Ortsvereinsangebote usw. So kann und soll ein Dorfladen auch als sozialer Treffpunkt dienen. Wichtig
ist ein sehr hoher Servicegrad der Beschäftigten (z.B. Kennen der Namen der Kunden). Voraussetzung für einen funktionierenden Dorfladen ist der Wille und die Bereitschaft seitens der örtlichen Bevölkerung mitzuhelfen, aber auch dort einzukaufen. Ein Dorfladen kann als Grundversorger genügen,
2
„Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2009 S. 3 oder „Qualifizierte Nahversorgung im Lebensmitteleinzelhandel“, HCU 2013,
S.14
3
http://www.wimed.de/grafiken/Bergmannsheil_Kiosk_007_kl.jpg, abgerufen am 15.12.2013
4
sofern er in ausreichendem Maße von den Kunden/Anwohnern angenommen wird. Abbildung 2 zeigt
die Front des „Dorfladen Otersen“.
Abb. 2 Dorfladen Otersen4
Deutlich ist zu erkennen, dass der Dorfladen in ein bestehendes, dem Ortsbild entsprechendes Gebäude integriert wurde. Ebenfalls ist links auf der Abbildung das dazugehörende Café zu sehen. Ausführlicher auf das Dorfladenkonzept wird in Kapitel 4 eingegangen.
1.2.3
Nahversorger
Ein Nahversorger ist ein kleiner, z.T. mittelgroßer Laden (bis 600 m²)5, der je nach Größe ein Lebensmittelsortiment zwischen Grundbedarf und Vollsortiment anbietet. Allerdings ist nur eine geringe Sortimentstiefe vorhanden. Zuzüglich werden frische Convenience-Produkte angeboten. Das Nonfood ISortiment ist je nach Ladengröße ausgeprägt. Ebenfalls einbezogen werden regionale Anbieter und es
besteht ein hoher Servicegrad.
Nahversorger sind zumeist inhabergeführt, allerdings häufig in Zusammenarbeit mit einem großen
Handelspartner. Dieser tritt neben den regionalen Erzeugern als einziger Lieferant auf und stellt anfangs auch die Ladeneinrichtung (gegen Gebühr). Markant, als Teil der Bünting-Gruppe, oder Edeka
bieten bspw. solche Konzepte an (siehe Kapitel 4). Nahversorger decken den Grundbedarf ausreichend ab. Abbildung 3 zeigt eine typische Skizze aus dem Konzept „Ihr Kaufmann IK“ von Markant.
Abb. 3 Skizze aus dem IK Konzept von Markant6
4
http://www.guenter-luehning.de/files/2010/12/Dorfladen-Otersen.jpg, abgerufen am 15.12.2013
5
http://www.nahversorgeroffensive.de/index.cfm?nvo_modul=konzepte, abgerufen am 15.12.2013
6
http://www.nahversorgeroffensive.de/db_assets/konzepte/downloads/IK_Folder1.pdf, abgerufen am 15.12.2013
5
Von vornherein wurde festgelegt, wo welche Artikel zu finden sind und wie viel laufender Meter Angebotsfläche vorhanden ist. Es gibt je nach Bedarf, abhängig von dem Kundeneinzugsgebiet, verschiedene, in ihrer Größe variierende, Konzepte.
1.2.4
Supermarkt
Ein Supermarkt ist durchschnittlich 400-2.500 m² groß. Dabei bietet er bis zu 10.500 Artikel an, wobei
Nonfood I-Artikel rund 20 % der Verkaufsfläche einnehmen. Nonfood II-Artikel werden häufig als
wechselnde Angebotsware feilgeboten. Frischebedienungstheken sind teilweise verfügbar, mindestens
sind aber Selbstbedienungs-Frischetheken vorhanden (Bedienungstheken werden vermehrt in SBTheken umgewandelt). Der Servicegrad ist mittelmäßig ausgeprägt, da nun immer weniger Verkaufspersonal pro m² Verkaufsfläche zur Verfügung steht. Dafür haben Supermärkte ausgedehnte Öffnungszeiten (teilweise 7-24 Uhr, in Großstädten unter bestimmten Auflagen auch 24 Stunden) und sie
bieten ein breites und tiefes Sortiment an.
Heutige Konzepte setzen aber ein direktes Einzugsgebiet von mindestens 5.000 Einwohnern voraus.
Supermärkte decken aufgrund der vorhandenen Sortimentstiefe und –breite den Grundbedarf vollkommen ab.
1.2.5
Großer Supermarkt
Ein großer Supermarkt ist bis zu 5.000 m² groß und besitzt zwischen 25.000 und 45.000 Artikeln. Dabei zeichnet er sich durch ein ausgesprochen breites und tiefes Lebensmittelsortiment aus dem mittleren Preissegment aus. Mittlerweile bieten Vollsortimenter wie Edeka, Real oder Rewe auch günstige
Eigenmarken an. Durchschnittlich 22 % der Verkaufsfläche nehmen Nonfood I-Artikel in Beschlag,
28 % der Fläche werden dabei für Nonfood II-Artikel genutzt. Frischebedientheken sind in Kombination
mit SB-Theken vorhanden. Der Servicegrad ist mittelmäßig ausgeprägt (aufgrund des Verhältnisses
Verkäufer zur Verkaufsfläche), aber auch hier punkten lange Öffnungszeiten und eine hohe Anzahl
kostenloser Parkmöglichkeiten. Dienstleistungen wie Finanzierungsmöglichkeiten, Technikservice oder
Lieferung von Elektrogroßgeräten sind oftmals im Angebotsspektrum vorhanden. Angesiedelt sind
solche Märkte als Agglomeration mit weiteren Einzelhandelsgeschäften unter einem Dach außerhalb
des Innenstadtbereichs. Als Beispiele seien die Real Märkte in Oldenburg genannt. Große Supermärkte gehen über die Deckung des Grundbedarfes weit hinaus.
1.2.6
Discounter
Discounter haben 400-1.200 m² Verkaufsfläche, dies hängt sehr stark von Konzept und Alter der Filialen ab. Sie bieten ein flaches, aber umschlagstarkes Sortiment an. Dabei schwankt die Artikelanzahl
sehr stark zwischen „Harddiscountern“ (wie Aldi, ca. 800 Artikel), die fast ausschließlich Eigenmarken
anbieten, „Softdiscountern“ (wie Lidl, ca. 1.700 Artikel), die auch Markenprodukte verkaufen, sowie
„Hybriddiscountern“ (wie Netto, ca. 3.000 Artikel), die sowohl Eigen- als auch eine hohe Anzahl von
Markenprodukten im Angebot haben. Rund 10 % des Umsatzes wird dabei von Nonfood I- und Nonfood II-Produkten erzielt, wobei Letztere sich auf Angebotswaren reduzieren. Charakteristisch sind die
schlichte Warenpräsentation (teils direkt von der Palette), ein geringer Servicegrad, sowie eine preis-
6
und werbeaggressive Verkaufsstrategie. Mittlerweile werden auch Zusatzangebote bereitgehalten, wie
z.B. Mobilfunktarife, Reisen oder Finanzierungen.
Derzeitig verlieren die Discounter leicht Marktanteile an die klassischen Vollsortimenter7. Dies liegt u.a.
daran, dass die Vollsortimenter seit einigen Jahren ebenfalls auf eigene Handelsmarken zu Discountpreisen setzen und die Konsumenten wieder vermehrt auf die Qualität der Waren und Filialen achten.
Der harte Kampf zwischen den beiden Marktführern Aldi und Lidl hat den Wettbewerb unter den Discountern ebenfalls verstärkt. Nachdem Aldi anscheinend ein Maximum an Filialen erreicht hat, wird
hier vorrangig in die bestehenden Märkte investiert (Aldi Nord)8. Ziel ist es, die Filialen optisch aufzuwerten, um den gestiegenen Anspruch der Kunden Rechnung zu tragen. Lidl hingegen baut sein Filialnetz weiterhin konstant aus9, wobei hier aber schon in gewissen Gegenden Kannibalismus-Effekte
auftreten (neue Filialen schöpfen Umsatz und Kunden den alten Filialen ab)10.
Momentan siedeln sich neue Discounter bisher nur in Regionen mit mindestens 3.000-5.000 Einwohnern im direkten Einzugsgebiet an. Allerdings gibt es Überlegungen, zukünftig aufgrund des zu erwartenden Bevölkerungswandels sich vorrangig nur noch in Lagen mit 20.000 Einwohnern und mehr neu
anzusiedeln11. Sie können den Grundbedarf ausreichend decken, Kunden müssen aber größtenteils
auf ein breites Markenangebot verzichten.
1.2.7
SB-Warenhaus
SelbstBedienungs-Warenhäuser bieten auf über 5.000 m² Verkaufsfläche mehr als 50.000 Artikel dem
Kunden an. Durchschnittlich 30 % der Waren setzen sich aus einem sehr breiten und sehr tiefen Lebensmittelsortiment aller gängigen Preisklassen zusammen. Des Weiteren wird ein ebenfalls sehr
breites und tiefes Nonfood I-Sortiment (ca. 15 %) angeboten. Rund 55 % der angebotenen Artikel
bestehen aus dem Nonfood II-Sortiment.
Die Warenpräsentation ist ansprechend gestaltet und nimmt im Verhältnis zu den kleineren Betriebsformen sehr viel Platz in Anspruch. SB-Warenhäuser besitzen auch weiterhin sehr große Bedienfrischetheken und bieten zzgl. eine umfangreiche Auswahl an SB-Frischetheken an. Der Servicegrad ist
aufgrund der Relation Verkaufsfläche zu Verkaufspersonal mittel, allerdings bedienen verstärkt Fachverkäufer mit einem entsprechend hohen Wissensgrad in den einzelnen Abteilungen (z.B. separate
Wein- oder Elektroabteilung).
Neben einem umfangreichen Dienstleistungsangebot (Finanzierung, Lieferung, Rücknahme alter Geräte usw.), langen Öffnungszeiten und einer sehr großen Anzahl kostenloser Parkplätze besitzen SBWarenhäuser häufig eine eigene ÖPNV Anbindung, da sie aufgrund ihrer Größe in den Randlagen
einer Stadt angesiedelt sein müssen. Zusatzangebote wie Kochshows, Produktpräsentationen oder
Kinderaktionen runden das Serviceangebot ab.
7
Einzelhandel“ axel springer media 2012, S. 4
8
Ebenda, S 5
9
Ebenda S. 6
10
„Discounter am Scheideweg“, Accenture, GFK 2008, S. 13
11
„Trends im Handel 2020“, EHI 2012, S. 17
7
SB-Warenhäuser stellen oft den Mittelpunkt einer großen Geschäftsagglomeration von verschiedenen
Fachhändlern und Speiselokalen/Cafés, entweder direkt im Gebäude integriert oder in der direkten
Umgebung, dar. Dies bedeutet für den Kunden, dass er eine sehr umfangreiche Auswahl an Einkaufsmöglichkeiten verschiedener Produkte hat. SB-Warenhäuser und die entsprechende Agglomeration gehen weit über den Grundbedarf hinaus und zielen auf ein Einkaufserlebnis für die ganze Familie
ab. Gerade an Wochenenden oder vor Feiertagen ziehen solche Geschäfte eine große Zahl von Konsumenten aus angrenzenden Regionen an. Als Beispiel für Oldenburg ist das Famila XXL Center in
Wechloy zu nennen. Wie in Abbildung 4 zu sehen, ist der eigentliche SB-Markt (Famila XXL) nur ein
Teil des Gesamtkonzeptes Famila XXL Centers.
Abb. 4 Famila XXL Center Lageplan, SB Warenhaus12
Neben den Oldenburgern kaufen hier auch viele Personen aus dem Umland ein, z.B. aus dem Ammerland oder der Wesermarsch13.
1.2.8
Bio-Supermarkt, Hofladen
Nicht separat in der Auflistung der Betriebsformen in der Studie des BMVBS sind die Bio-Händler oder
Hofläden. Da, wie später noch beschrieben wird, die Nachfrage nach nachhaltigen, Bio- und FairTrade-Produkten steigt, sollen auch diese Formen genannt werden.
Biokaufhäuser bieten auf Grundlage eines kleinen Supermarktes ein entsprechend großes Sortiment
ausschließlich an Bio- und Fair-Trade-Artikeln an. Es wird Wert darauf gelegt, dass viele Produkte aus
der Region und von dortigen Produzenten kommen. Wichtig sind die Transparenz (wo und von wem
welcher Artikel produziert wurde), der Service und der Wohlfühlfaktor in solchen Geschäften. Preislich
orientieren sie sich eher in höheren Lagen.
12 http://www.mediaathome.de/iconparc_static/content/uploads/ZacCenter/dealerSite/8542/gallery/25330/32203.jpg, abgerufen am
15.12.2013
13 Ohne dies mit genauen Daten belegen zu können reicht hier ein Blick auf die Kennzeichen der parkenden Autos auf dem Kundenparkplatz
vollkommen aus
8
Hofläden bieten Produkte aus nachhaltiger Produktion an (regional, artgerecht, ökologisch). Lieferanten sind eigene angeschlossene Höfe oder eine kleine Anzahl ausgesuchter Höfe in der Region. Das
Sortiment ist meist entweder auf tierische Produkte aus eigener Schlachtung, Getreideprodukte oder
Obst-/Gemüseprodukte beschränkt.
Aufgrund der verhältnismäßig geringen Sortimentsbreite und der hohen Preise ist davon auszugehen,
dass Bio-Supermärkte und Hofläden alleine nicht zur Grundversorgung ausreichen, sondern als Zusatzangebot wahrgenommen werden.
1.2.9
Zusammenfassung Betriebsformen
Es lässt sich sagen, dass die Discounter momentan die Marktlandschaft optisch prägen, allerdings
Marktanteile an Vollsortimenter abgeben. Dies liegt am sich ändernden Nachfrageverhalten der Konsumenten. Ebenfalls wieder verstärkt im Trend sind kleinere Filialkonzepte in Innenstadtlagen sowie
Bio- und Hofläden (auch im urbanen Raum).
In dieser Betrachtung außen vorgelassen sind Drogeriemärkte, da diese für das Grundthema Nahversorgung erst einmal als zweitrangig zu betrachten sind, außerdem sowohl die Discounter als auch die
klassischen Einzelhändler verstärkt Drogerieprodukte anbieten. Auch auf eine Sortimentsrichtung
spezialisierte Geschäfte (Bäckereien, Fleischereien usw.) werden nicht detailliert betrachtet. Diese
Betriebsformen können zukünftig im ländlichen Raum weiterhin als Zusatzangebot angesehen werden
oder verstärkt in neue Konzepte mit einfließen (müssen, betrachtet man den starken Rückgang solcher
traditionellen Läden14) und können nicht alleine zur Grundversorgung dienen.
1.3
Der Einzelhandel im Wandel
In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland stark
verändert. Shoppingzentren, die den Einkauf zum Erlebnis gestalten sollen, werden neu errichtet, in
den Einkaufszonen der Innenstädte (den so genannten „1A-Lagen“) siedeln sich immer mehr Filialkonzepte an. Im Gegensatz dazu verlieren kleine, nichtfilialisierte Traditionsläden immer mehr an Bedeutung und müssen aufgrund des herrschenden Verdrängungswettbewerbes oft aufgeben. Gab es in den
1970er Jahren noch über 160.000 Einzelhandelsgeschäfte in Westdeutschland, so existieren heute
nur noch lediglich rund 40.000 Geschäfte in ganz Deutschland15 (vergleiche Abbildung 5).
14 Bzgl. Bäckereien: http://www.fr-online.de/wirtschaft/kommentar-zum-baeckereisterben-baeckereien-muessen-qualitaet-
bieten,1472780,18149734.html, abgerufen am 06.12.2013
15 „Ländlicher Raum bald ohne Nahversorgung?“ S. 2
9
Abb. 5 Anzahl LEH Geschäfte16
So wurde alleine zwischen 1990 und 2010 ein Rückgang um rund 85 % von kleinen LEH-Geschäften
bis max. 400 m² Verkaufsfläche verzeichnet, gleichzeitig stieg die Anzahl der Discounter um über
210 %, die Anzahl von großen Supermärkten und SB-Warenhäuser um rund 200 %17.
Deutlich wird dies auch in der Betrachtung der Entwicklung der Verkaufsfläche im Einzelhandel: besaß
der Lebensmitteleinzelhandel 1990 ca. 21,5 Mio. m² Verkaufsfläche, sind es 2010 schon 33,9 Mio. m².
Der starke Zuwachs geht vor allem auf die großen Supermärkte/SB-Warenhäuser sowie auf die Discounter zurück18 (die Gesamtfläche des Einzelhandelns wuchs im gleichen Zeitraum von 79 Mio. m²
auf 120 Mio. m²)19.
Um im Konkurrenzkampf gegen die Discounter besser bestehen zu können, haben die klassischen
Supermärkte Maßnahmen ergriffen. Sie bieten eigene preisgünstige Handelsmarken an und versuchen verstärkt, wohnortnahe Angebote zu realisieren. Dies gilt insbesondere für das Wiedereinführen
von kleinen City-Konzepten. Diese weisen eine Verkaufsfläche von 500-1.000 m² auf und bieten vorrangig frische Lebensmittel an (und wenig Nonfood-Artikel). Beispiele hierfür sind Netto-City oder Rewe-City20.
1.4
Der Einzelhandel als Wirtschaftsfaktor
Die Bedeutung des Einzelhandels als Wirtschaftsfaktor in Deutschland wird bei der Betrachtung des
Umsatzes sowie der Zahl der Beschäftigten deutlich. Im Jahr 2012 betrug das Bruttoinlandsprodukt
2.660 Mrd. €21. Davon entfielen 428 Mrd. €22 auf den Einzelhandel (ohne Kfz, Tankstellen, Brennstoffe,
16 „Qualifizierte Nahversorgung im Lebensmitteleinzelhandel“, HCU 2013, S. 8
17 Vgl. Abb. 18
18 „Qualifizierte Nahversorgung im Lebensmitteleinzelhandel“, HCU 2013, S. 7, abgeleitet aus Abb. 1
19 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S. 19
20 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 12
21 Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen: Bruttoinlandsprodukt seit 1970
22 „Der deutsche Einzelhandel“, HDE 2013, S. 3
10
Apotheken) bzw. 157 Mrd. € auf den Lebensmitteleinzelhandel23. Der Einzelhandel ist der drittgrößte
Wirtschaftszweig in Deutschland (nach Industrie und Handwerk)24. Für das Jahr 2012 wird im Lebensmitteleinzelhandel eine Steigerung auf 159,5 Mrd. € Umsatz erwartet25, wobei dies vor allem auf steigende Lebensmittelpreise bei stagnierender bzw. eher rückläufigen Nachfragemenge zurückzuführen
ist26. Nahrungs- und Genussmittel verteuerten sich zwischen 2005 und 2011 um 14,3 %, hingegen
Elektroartikel im gleichen Zeitraum durchschnittlich um fast 40 % günstiger wurden27.
Lebensmittel besitzen eine sehr geringe Preiselastizität. Sie werden also auch trotz steigender Preise
weiterhin gekauft (man könnte verallgemeinert sagen „Die Menschen müssen essen“). Ob allerdings
eine steigende Mengennachfrage zukünftig zu erwarten sei, darf aufgrund von Prognosen bzgl. zukünftiger Konsumpräferenzen zumindest in Frage gestellt werden.
Nach wie vor sind die klassischen Vollsortimenter Edeka und Rewe die umsatzstärksten Lebensmittelhändler in Deutschland. Auf Platz drei und vier kommen die Discounter (bzw. Unternehmensgruppen,
die Discounter führen). Tabelle 1 listet zur Veranschaulichung die Top 10 der Lebensmittelkonzerne in
Deutschland auf.
Tabelle 1: Top 10 Lebensmittelkonzerne Deutschland28,
* in Mrd. Euro
Position
Lebensmittelhändler
Umsatz 2010*
2011*
1
Edeka
40,04
41,46
2
Rewe
26,92
25,10
3
Schwarz (u.a. Lidl)
22,75
23,24
4
Aldi
20,00
20,25
5
Metro
11,72
11,47
6
Bartels-Langness
(u.a. Famila Nordost)
2,50
2,64
7
Globus
2,19
2,25
8
Norma
2,23
2,25
9
Tengelmann
2,24
2,05
10
Bünting
(u.a. Famila Nordwest)
1,68
1,72
132,27
132,43
Gesamt
Rund drei Millionen Menschen sind im Einzelhandel beschäftigt, wobei zwei Millionen davon Vollzeitstellen besetzen und eine Millionen Personen einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen. Zukünftig
wird die Anzahl der Beschäftigten im Einzelhandel vermutlich ansteigen, wenn auch verstärkt im Be-
23 „Einzelhandel“, axel springer media 2012, S. 2
24 „Der deutsche Einzelhandel“, HDE 2013, S. 2
25 „Einzelhandel“, axel springer media 2012, S. 2, laut GFK Prognose
26 ebenda, S. 3
27 ebenda, S. 15
28 Tabelle eigene, Daten aus „Einzelhandel“ axel springer media 2012, S. 5
11
reich der geringfügig Beschäftigten (Abbildung 6). Aktuell sind 50 % der Arbeitnehmer im Einzelhandel
im Lebensmittelbereich tätig29.
Abb. 6, Beschäftigte im deutschen Einzelhandel30
Der LEH ist sehr wichtig für die regional ansässigen Lebensmittelproduzenten. Aufgrund der steigenden Nachfrage nach regionalen, nachhaltigen und ökologisch erzeugten Produkten wird die Zusammenarbeit zwischen den LEH-Ketten und den regionalen Anbietern (Landwirten, Brauereien, Bäckereien usw.) vermutlich weiter ausgebaut werden.
Anhand der dargelegten Zahlen und Fakten wird deutlich, wie wichtig der Einzelhandel in Deutschland
für die Binnenwirtschaft und der regionalen Wertschöpfungskette ist. In dieser nur rein zahlenbasierten
Aussage spielt der soziale Aspekt noch gar keine Rolle (abgesehen von der Funktion als Arbeitgeber).
Wie wichtig aber der soziale Faktor des Einzelhandels ist, wird in Kapitel 2 und 3 näher betrachtet.
29
„Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S. 16
30 ebenda, S. 16
12
2. Demografischer Wandel, Nachfrage- und Konsumverhalten
Aufbauend wird in diesem Kapitel mit dem demografischen Wandel (3.1) und dem daraus resultierenden zukünftigen Einkommen (3.2) begonnen. Darauf basiert das zukünftige Nachfrage- und Konsumverhalten (3.3).
2.1
Der demografische Wandel und sein Einfluss auf das zukünftige Einkommen
Die deutsche Gesellschaft altert stetig. Die Geburtenrate sinkt seit Jahren kontinuierlich und die Lebenserwartung steigt aufgrund des sich verbessernden Gesundheitswesens an. Dennoch sinkt die
Einwohnerzahl Deutschlands. Derzeitig leben 80,5 Millionen Bundesbürger in der Republik31. Nach
aktuellen Berechnungen geht man aber davon aus, dass sich die Einwohnerzahl im Jahr 2030 auf
knapp 77,4 Millionen Bürger reduzieren wird32 (Tendenz weiter abnehmend). Der Anteil der unter 20Jährigen sowie der 20- bis 65-Jährigen (erwerbsfähige Bundesbürger33) wird sinken, hingegen wird
entsprechend der Anteil der über 65-jährigen Bevölkerung stark wachsen (siehe Tabelle 2).
Tab. 2 Bevölkerungsentwicklung Deutschland 2008 – 203034
2008
2020
2030
82 Mio.
79,9 Mio.
77,3 Mio.
unter 20 Jahre (in %)
19
17
16,7
20 bis 65 Jahre (in %)
60,6
59,6
54,5
über 65 Jahre (in %)
20,4
23,3
28,8
Bevölkerungsstand (in Mio.)
Mittlerweile hat Deutschland die älteste Bevölkerung der EU und steht im weltweiten Ranking hinter
Japan auf Platz zwei35. Da die aktuelle Geburtenrate niedriger als die Sterblichkeitsrate ist (trotz der
steigenden Lebenserwartung), schrumpft nicht nur die Einwohnerzahl, auch der Anteil möglicher Konsumenten sinkt damit stetig. Dies wiederum führt u.a. zu einem weiterhin sich verschärfenden Wettbewerb im Handel.
Ebenfalls wird die Anzahl an erwerbstätigen Personen zurückgehen, von derzeitig rund 50 Millionen
Menschen auf 42 Millionen Menschen im Jahr 203036. Damit stehen dem Markt zukünftig weniger
Arbeitskräfte zur Verfügung.
Des Weiteren geht seit Jahren der Trend zu kleineren Haushalten hin. Man spricht allgemein hin von
einer „Versingelung“ der Gesellschaft (derzeitig leben 21,8 % der Bevölkerung alleine)37. Die Anzahl an
31 Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage des Zensus 2011, Statistisches Bundesamt
32 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S. 32
33 In diesem Fall wird von einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren ausgegangen
34 Tabelle eigene aus „Bevölkerung bis 2060“ Statistisches Bundesamt
35 http://www.welt.de/vermischtes/article122318193/Deutschland-hat-die-aelteste-Bevoelkerung-der-EU.html, abgerufen am 03.12.13
36 „Bevölkerung Deutschlands bis 2060“, Stat. Bundesamt 2008, S. 21
13
Ein- und Zweipersonenhaushalten, gerade in urbanen Gefilden, steigt. Mittlerweile leben 75 % der
Deutschen alleine oder zu zweit. Im Jahr 1991 waren dies noch 64 %, bis 2030 werden es voraussichtlich 81 % sein38.
Ebenfalls ist eine in den letzten Jahrzehnten stärker eingetretene Urbanisierung zu verzeichnen. Dies
bedeutet, dass eine Verstädterung vorliegt, die Menschen ziehen aus ländlichen Regionen in die
Stadt. Die Gründe dabei sind vielfältiger Natur. Sei es der Wunsch nach gesteigerten sozialen Kontakten, nach einer umfangreicheren Grundversorgung oder nach besseren Arbeitsperspektiven (gerade
im Dienstleistungssektor), um nur drei zu nennen. Dies wird auch in den demografischen Daten zur
Wesermarsch in Kapitel 3 deutlich erkennbar. Um schon einmal vorwegzugreifen: während die Wesermarsch in den kommenden 20 Jahren (natürlich auch aufgrund der anderen demografischen Gründe) kontinuierlich Einwohner verlieren wird, nimmt die Bevölkerung in den angrenzenden Städten
Bremen39 und Oldenburg40 zu. Dieser Trend ist jetzt bereits in den ländlichen Regionen im Osten
Deutschlands zu beobachten. Dort sind schon heute ganze Ortschaften wie ausgestorben. Städte wie
Hamburg, München oder Oldenburg wachsen hingegen trotz steigender Lebenshaltungskosten. Auch
weisen so genannte „Schrumpfungsregionen“ generell ein höheres Durchschnittsalter auf41.
Diese Ergebnisse führen dann besonders in sich ausdünnenden Regionen zu einer mangelnden Auslastung bzw. Rentabilität der vorhandenen sozialen oder gewinnorientierten Einrichtungen, was verstärkt Schließungen nach sich zieht. Dies führt zu einem weiter sinkenden Lebensniveau in der entsprechenden Region, so dass weitere Bevölkerungsteile abwandern. Sinkende Steuereinnahmen
implizieren einen geringeren finanziellen Spielraum für kommunale Fördermittel, um diesem Prozess
entgegenzuwirken42. Ein Teufelskreis, der für viele kleine Orte in Deutschland schon das Aus bedeutet
hat.
Ebenfalls im Kontext des demografischen Wandels steht der Zuwachs der Bevölkerungsgruppe mit
Migrationshintergrund. Diese Gruppe zählt sowohl deutsche Bürger mit Migrationshintergrund als auch
Bürger ohne die deutsche Staatsangehörigkeit. Derzeitig verfügen rund 20 % der Einwohner in
Deutschland über einen Migrationshintergrund. Diese Quote wird bis zum Jahr 2030 auf 25 % anwachsen43. Dies bedeutet, dass gerade der Lebensmitteleinzelhandel in Regionen (in erster Linie in
urbanen Regionen wie Hamburg, Bremen oder Berlin) mit einem hohen Anteil von Bürgern mit Migrationshintergrund, sich auf deren Bedürfnisse einstellen sollte. Da aber der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund im ländlichen Raum wie der Wesermarsch zumeist nur sehr gering ist, wird auf die
Einkommens-, Konsum- und Nachfragesituation dieser Bevölkerungsgruppe im Folgenden nicht detaillierter eingegangen.
37 „Die soziale Situation in Deutschland“, bpb 2013, S. 7
38 ebenda, S. 27
39 http://www.statistik.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen65.c.1853.de, abgerufen am 07.12.2013
40 http://www.oldenburg.de/fileadmin/oldenburg/Benutzer/PDF/40/402/0202-2012-Z-Internetx.pdf, abgerufen am 07.12.2013
41 „Der demografische Wandel. Eine Gefahr für die Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen?“, 2013, aus Maretzke, S. 7
42 ebenda, S. 11 f
43 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S. 39
14
2.2
Einkommensentwicklung
Aktuell wird von einem stagnierenden Realeinkommen in Deutschland ausgegangen. Zwar steigt die
Quote der Erwerbsbeteiligung unter den 20- bis 65-Jährigen an, aufgrund der Verringerung eben jener
Personengruppe, resultierend durch den demografischen Wandel, wird die Anzahl der Erwerbstätigen
vorerst nicht direkt steigen44. Bleiben die Wachstumsraten beim Kapitalstock und/oder technischen
Fortschritt ebenfalls konstant, wird von einem eher sinkenden, zumindest stagnierenden verfügbaren
Einkommen ausgegangen45. Wie erwähnt, ist ein dennoch erwarteter Umsatzzuwachs im LEH auf eine
allgemeine Preissteigerung zurückzuführen46.
Gleichzeitig ist nicht davon auszugehen, dass Steuern oder Sozialabgaben sinken werden, alleine der
Tatsache der alternden Bevölkerung geschuldet, was zu steigenden Transferzahlungen zu Lasten der
jüngeren Bevölkerung führt.
Ist über die Erwerbsarbeit kein Wachstumsimpuls bezogen auf die Nachfrage zu erwarten, gibt es bei
der steigenden Personengruppe der über 65-Jährigen durchaus Potential. Im Jahr 2008 hatten die
Seniorenhaushalte47 mit einem Nettogesamtvermögen von 162.000,- € rund 35.000,- € mehr zur Verfügung als ein durchschnittlicher Haushalt. Zudem ist nur ein sehr geringer Anteil der Senioren (2,5 %)
auf eine unterstützende Grundsicherung angewiesen48. Nun stellt sich die Frage, wie die Senioren das
vorhandene Vermögen verwenden werden. Sparen Sie ihr Vermögen (weiterhin) an, um es im steigendem Alter z.B. für ihre Gesundheit (inbegriffen Alten- und Pflegeheime) zu nutzen, um es zu vererben oder verwenden sie ihr Finanzpolster vorrangig für den Konsum? Derzeitig gibt es in der Wissenschaft jedoch keine handfesten Erkenntnisse darüber. Daher ist es schwer vorauszusagen, ob und
inwiefern sich das Erb- und Sparverhalten älterer Personen ändern wird. Allerdings kann man bei
einem Durchschnittsalter eines derzeitigen Erben von 55 Jahren und einer Ausschüttung von über
2.500 Mrd. € Erbschaftsvermögen noch in diesem Jahrzehnt davon ausgehen, dass sich das Vermögen älterer Personen auf konstant hohem Niveau halten wird49.
Die von dem verfügbaren Einkommen abhängige Sparquote in Deutschland liegt im Durchschnitt bei
11 % vom vorhandenen Einkommen, wobei zwischen den verschiedenen Altersgruppen große Differenzen hinsichtlich der eigenen Sparquote und dem Sparverhalten vorhanden sind. In jungen Jahren,
zum Start des Berufslebens, ist sie aufgrund des geringen Einkommens noch relativ niedrig. Die Sparquote steigt im fortschreitenden Alter und einem erwarteten steigenden Einkommen an und senkt sich
erst mit dem Rentenalter wieder ab. Zwar ist das Vertrauen der Sparer aufgrund der Finanzkrise in die
Bankenlandschaft merklich gesunken und ein konservatives Sparen aufgrund des momentanen niedrigen Zinsniveaus äußerst unattraktiv. Allerdings steigt seit Jahren die Notwendigkeit, für die private
Altersvorsorge finanzielle Mittel aus dem vorhandenen Einkommen zurückzulegen. Auch das so ge44 ebenda
45 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S. 40
46 „Trends im Handel 2020“, EHI 2012, S. 4
47 Unabhängig von der Diskussion Rente mit 65 oder später/früher und dem steigenden Erwerbstätigenalter wird hier die über 65-Jährigen
als Seniorengruppe tituliert
48 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S.40
49 ebenda, S. 41
15
nannte „Vorsichtssparen“ spielt gerade in der derzeitigen, weltweiten Finanzkrise eine stärkere Rolle50.
Daher wird zumindest für die kommenden 10 Jahre vorab keine nennenswerte Veränderung der Sparquote zu Gunsten des Konsums erwartet51.
Zusammenfassend ist es auch hier nur schwer möglich, abzuschätzen, wie sich die Entwicklung der
Einkommens- und Vermögenssituation älterer Personen langfristig fortführen wird52.
2.3
Konsum- und Nachfrageentwicklung
Aufgrund der gerade genannten Unsicherheiten ist es somit auch nicht möglich, verlässliche Aussagen
bezüglich der zukünftigen Konsum- und Nachfrageentwicklung zu treffen. Klar ist aber, dass das zukünftige Konsum- und Nachfrageverhalten der Menschen in Deutschland entscheidend für die Entwicklung des Einzelhandels sein wird und dass sich die Präferenzen der Konsumenten ändern.
Die privaten Konsumausgaben der Deutschen steigen seit Jahren an. Lagen sie 1991 noch bei 882
Mrd. €, betrugen sie 2011 aufgrund steigender Einkommen mit 1.487 Mrd. € bereits fast das Doppelte.
Im gleichen Zeitraum stieg das Bruttoinlandsprodukt von 1.534 Mrd. € auf 2.660 Mrd. €53. Allerdings
änderten sich die Ausgabenschwerpunkte (Konsumpräferenzen) in den letzten Jahren stark. Verbraucher geben nun vermehrt Konsumausgaben für den Bereich Wohnen (inkl. Gas, Strom, Wasser) und
für Gesundheit aus. Gleichzeitig sank der Konsumanteil für Nahrung stetig, wie Tabelle 3 aufzeigt.
Tab. 3 Konsumausgaben privater Haushalte54
1991
2011
Wohnen (inkl. Gas, Strom,
Wasser) (in %)
19,2
24,4
Gesundheit (in %)
2,7
4,8
Nahrung (in %)
17,7
14,7
Dies ist darauf zurückzuführen, dass aufgrund des hohen Einkommensniveaus eine Sättigung im Lebensmittelbereich vorherrscht. Neben einer geringen Preiselastizität besitzen Lebensmittel auch eine
nur geringe Einkommenselastizität. Da das Einkommen wie der Umsatz des LEH relativ stagniert, wird
dessen prozentualer Anteil an den Konsumausgaben auch in Zukunft wahrscheinlich weiter sinken.
Die steigenden Konsumausgaben für Wohnen und Gesundheit ist der Verkleinerung der Haushalte,
der Alterung der Gesellschaft sowie den steigenden Rohstoffpreisen zuzuschreiben55. Ein kleinerer
Haushalt gibt mehr verfügbares Einkommen pro m² Wohnfläche aus als ein entsprechend größerer
Haushalt, der somit mehr Einkommen für andere Konsumgüter zur Verfügung hat. Gleichzeitig steigen
50 „Herausforderungen des demografischen Wandels“, Sachverständigenrat 2011, S. 45
51 „Trends im Handel 2020“, EHI 2012, S. 11
52 „Herausforderungen des demografischen Wandels“, Sachverständigenrat 2011, S. 56
53 „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen 2012“, Statistisches Bundesamt
54 Tabelle eigene aus „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S.26
55 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S.42
16
die Mieten in Ballungszentren durch die Verknappung von Wohnraum an, so dass immer mehr Einkommen gebunden wird. Im ländlichen Raum hingegen könnten möglicherweise, je nach Region, die
Preise für den Wohnraum sinken, da die „Landflucht“ die Menschen in die Städte zieht. In diesem Fall
ist es u.a. die Aufgabe der Politik, Wohnen in ländlichen Räumen so attraktiv zu gestalten, dass man
die Menschen mit günstigen Wohnangeboten locken kann.
Die Alterung der Gesellschaft und die damit einhergehende erhöhte Nachfrage nach Gesundheits- und
Wellnessprodukten, erklären die steigenden Konsumausgaben in diesem Bereich56. Gleichzeitig sinkt
die Nachfrage dieser Bevölkerungsgruppe für andere Güter, beispielsweise aus den Bereichen Verkehr, Nachrichtenübermittlung oder Bekleidung57.
Aufgrund des aktuell hohen Einkommensniveaus in der Bundesrepublik verschieben sich die Konsumund Nachfragepräferenzen zukünftig auch weiterhin. Die Sektoren Kultur, Bildung, Unterhaltung und
Reisen werden für die Menschen dabei immer wichtiger58.
Des Weiteren ändert sich das Nachfrageverhalten auch aufgrund der zunehmende Nutzungsmöglichkeit des Internets mit seinem schier unendlichen Informationszufluss und der steigenden Vertrautheit
der zukünftigen älteren Generation mit internetfähigen Endgeräten. Möchte ein Konsument
schnellstmöglich im Geschäft detaillierte Produktinformationen haben, wird einfach der Produktcode an
der Ware mit seinem Smartphone oder Tablet gescannt. Hierüber erhält der Konsument Informationen
über die Herkunft des Produktes, Meinungen anderer Verbraucher und über die Preise sowie Angebote anderer Geschäfte. Nun kann der Konsument kurzfristig seine Kaufentscheidung darauf aufbauen.
Dies nennt man, abgeleitet von eCommerce, mCommerce (Mobile-Commerce)59. Daher ist es nicht
sonderlich verwunderlich, dass laut einer Umfrage des EHI Retail Institute immer mehr Nutzer das
Internet als Informationsquelle angeben, die ihren zukünftigen Einkauf beeinflussen wird (das Thema
mCommerce als Chance für den hiesigen Markt wird in Kapitel 4.1 erläutert). Gleichwohl bleibt gegenwärtig der stationäre Einzelhandel vorerst die zentrale Informationsquelle beim Einkauf. Ausnahme
bilden die Elektroartikel, hier greifen die Konsumenten bevorzugt auf Erfahrungs- und Testberichte aus
dem Internet zurück60. Die Nachfrage nach Lebensmitteln wird hingegen zukünftig gleichermaßen
weiterhin im stationären Geschäft bedient61. Gründe hierfür sind u.a. die hohe Verfügbarkeit an Einkaufsmöglichkeiten und die niedrigen Lebensmittelpreise in Deutschland im Vergleich zum europäischen Ausland oder die lange Lieferdauer, was vor allem für schnell verderbliche Artikel wie Tiefkühlprodukte von Nachteil ist. Nichtsdestotrotz, Händler, die ihre eigene Internetpräsenz nicht stetig ausbauen, werden in der Nachfragegunst der Konsumenten zurückfallen. Dabei geht es nicht einmal speziell ausschließlich um die Ausweitung bzw. Implementierung eines Onlineshops, sondern um die
verstärkte Nutzung bzw. Bereitstellung von verschiedenen Applikationen (APPs, siehe auch Kapitel
4.1), die z.B. Angebote in der fußläufigen Nähe anzeigen, weiterführende Nutzungsmöglichkeiten des
56 „Trends im Handel 2020“, EHI 2012, S. 11
57 „Herausforderungen des demografischen Wandels“, Sachverständigenrat 2011, S. 58
58 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S.42
59 „Trends im Handel 2020“, EHI 2012, S. 21
60 ebenda, S. 4
61 ebenda, S. 19
17
Produktes verraten (Rezeptideen eines Lebensmittelhändlers für seine angebotene Ware) oder Gutscheine anbieten.
Darüber hinaus werden die Verbraucher hybrider. Der soziale Status spielt, auch aufgrund der beschriebenen Elastizitäten, keine so entscheidende Rolle mehr bei den Menschen. Nicht mehr „entweder/oder“ sondern „sowohl/als auch“ Entscheidungen werden mittlerweile getroffen: Man kauft „sowohl“ in der Edelboutique „als auch“ im Discounter ein62. Wird dennoch verstärkt auf das Preisniveau
geachtet, so haben die klassischen Lebensmitteleinzelhändler in den letzten Jahren mit dem aufkommenden Anbieten von eigenen Handelsmarken Produkte zu Discountpreisen gepunktet. Sie „kopieren“ im gewissen Maße die vorherrschende aggressive Preispolitik der Discounter, locken so einkommensschwächerer Kunden in die Filialen und bauen eigene Marktanteile aus. Im Gegenzug bieten die
Discounter Waren aus vermeintlichen höheren Preissegmenten in Form von eigenen Produktlinien zu
dennoch günstigen Preisen an (z.B. „Aldi Gourmet“ oder „Lidl Deluxe“). Gleichzeitig haben die Marken
der Marktführer (bezogen auf Produzenten) sowie die „Mitte-Marken“, die die breite Masse ansprechen
sollen, Anteilseinbußen hinnehmen müssen63. Dennoch sind Personen mit steigendem Einkommen
eher bereit, längere Anfahrtswege für eine größere Auswahl und einer höheren Qualität von Produkten
in Kauf zu nehmen, also Personen mit einem sinkenden Einkommen. Diese nutzen wenn möglich
günstige Einkaufsmöglichkeiten im Nahbereich.
Der gestiegene Wunsch nach Individualität seitens des Konsumenten spielt ferner eine wichtige Rolle.
Man möchte sich von der Masse abheben. Dafür erwarteten die Käufer ein sich ständig weiterentwickelndes und wachsendes Angebotssortiment64. Jedes Jahr kommen daher zu den bestehenden eine
Millionen Verkaufsartikel rund 120.000 neue Artikel auf den Markt. Von denen etablieren sich ca.
10.000 Stück in den Regalen des Handels, „Ladenhüter“ werden gleichzeitig wieder dem Markt entzogen65.
Ein weiterer wichtiger Faktor für den Konsumenten wird vermehrt der soziale Aspekt sein (nicht zu
verwechseln mit dem Status). Aufgrund der sich verkleinernden Haushalte, der Versingelung und der
alternden Bevölkerung möchte der Konsument verstärkt nach Kontaktmöglichkeiten im Einzelhandel
suchen. Gerade ein Teil der zahlungskräftigen „Silver-Generation“66 (die 50+ Generation) versucht so
der Vereinsamung und Anonymisierung im Alltag zu entfliehen. Der Trend verstärkt sich obendrein
durch den Anstieg des Onlinehandels. So kommt das Hamburgische Welt Wirtschaftsinstitut HWWI zu
der Annahme „Der Wunsch der Verbraucher nach persönlichen Begegnungen und einem persönlichen
Service wird bei den restlichen, dann stationär getätigten Einkäufen zunehmen. Stärker denn je wird
die Qualität der persönlichen Kontakte beim Einkauf vieler Produkte darüber entscheiden, was und wie
viel zukünftig stationär verkauft wird“67. Auch für die junge und alte Generation (also den Verbrauchern
mit der tendenziell meisten Freizeit) wird der soziale Aspekt immer wichtiger: Junge Leute wünschen
62 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S.43
63 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 7
64
„Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009
65 „Der Handel als Wirtschaftsfaktor“, HDE 2013, S. 15
66 „Trends im Handel 2020“, EHI 2012, S. 13
67 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S.43
18
vermehrt ein breites Spektrum an Aktivitätsmöglichkeiten, so dass man das Einkaufen vor Ort noch mit
Sport oder Essengehen verbinden kann. Ältere Personen erwarten Sitzgelegenheiten für eine Pause,
Barrierefreiheit, Toiletten, Lesehilfen beim Einkaufen, aber auch Möglichkeiten, sich mit Gleichgesinnten zu treffen, zu unterhalten, oder mit dem Enkel ein Eis zu essen. Auch hier ist der Wunsch nach
sozialen Kontakten vorhanden68. Daher nimmt der soziale Aspekt in den später erläuterten DorfladenKonzepten eine so wichtige Rolle ein.
Gleichzeitig muss aber der Handel auch auf die Wünsche der freizeitarmen Bevölkerung eingehen: der
berufstätigen Singles, Doppelverdienern, Alleinerziehenden oder Familien mit Kindern durch wachsende Berufstätigkeit beider Elternteile. Für diese Gruppe ist es ungemein wichtig, bequem, effizient und
zeitsparend einzukaufen, ferner fragen diese Gruppen immer häufiger Convenience Produkte nach.
Da der Einkauf schnell und effizient von statten gehen soll, wird oftmals nah der Arbeitsstelle eingekauft. Zudem fährt man bevorzugt Standorte an, die verschiedene Angebote miteinander verbinden.
So entstehen Kopplungspotentiale, z.B. zwischen einem Supermarkt und einem Discounter oder zwischen einem LEH-Händler und einem Drogisten, aber auch hinsichtlich anderer, wahrzunehmender
Termine (Einkaufen und Arztbesuch)69. Gerade in Regionen, in der viele Auspendler wohnen (wie in
der Wesermarsch), kann dies zu hohen Kaufkraftverlusten führen. Möglichkeiten, dies zu verhindern,
werden in Kapitel 4 erläutert.
Was aber alle Gruppen verbindet, ist die stetige Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten, Bio- bzw.
Fair-Trade gehandelten Waren und regionalen Produkten. Der Umsatz in diesem Segment hat sich in
den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt (siehe Abbildung 7).
Abb. 7: Bio-Lebensmittel-Umsatz in Deutschland70
Gründe hierfür sind vielfältiger Natur. So spielt der verstärkt aufkommende Gedanke an die ökologische und ökonomische Verantwortung der Akteure (postwachstumsökonomischer Ansatz71), eine
Verbesserung der Unternehmensreputation oder bezogen auf die Nachhaltigkeit neue Gesetze und
68 „Einzelhandel im Wandel“, HWWI 2009, S. 44
69 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 10
70 Abb. Eigene aus „Der Handel als Wirtschaftsfaktor“, HDE 2013, S. 16
71 http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/postwachstumsoekonomie.html, abgerufen am 04.12.2013
19
Verordnungen eine Rolle72. So bieten mittlerweile alle gängigen LEH-Unternehmen (egal ob Discounter oder klassischer Vollsortimenter) eigene Bioproduktlinien an. Zudem eröffnen immer mehr auf Biound Fair-Trade Produkte spezialisierte Einzelhändler, auch regionale Hofläden sind sehr gefragt.
Die steigende PKW-Verfügbarkeit führt ebenfalls dazu, dass die Konsumenten in ihrer Wahl der Einkaufsstätte flexibler werden. Nutzen in den Städten verhältnismäßig mehr Menschen den ÖPNV zum
Einkaufen (aufgrund voller Straßen oder mangelnden Parkplatzangeboten), wird im ländlichen Raum
der PKW als bevorzugte Fortbewegungswahl zum Einkauf genutzt. In ländlichen Gemeinden haben
laut der Studie vom BMVBS nur knapp 11 % der über 18-Jährigen Personen keinen eigenen PKW,
zudem nutzen immer mehr der Über-80-Jährigen Personen ihren Wagen für den Einkauf73. Nichtsdestotrotz, führt diese hohe PKW-Verfügbarkeit bezogen auf das Konsum- und Nachfrageverhalten der
ländlichen Bevölkerung zu einer „Unempfindlichkeit […] gegenüber der Distanz zu den Einkaufsstätten“, dürfen aber eben nicht die mobilitätsschwachen Personen vergessen werden. Auch wenn diese
demnach derzeitig nur einen scheinbar geringen Anteil einnehmen, wird die Anzahl derer sich auch
aufgrund des demografischen Wandels steigen. Daher kann schon an dieser Stelle gesagt werden,
dass die in Kapitel 4 beschrieben Möglichkeiten als zukunftsbezogene Modelle angesehen werden
sollten.
72 „Trends im Handel 2020“, EHI 2012, S. 15
73 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 8
20
3. Die Situation im Landkreis Wesermarsch
Bezogen sich die in den vorangegangen Kapiteln genannten Zahlen und Fakten auf den gesamtdeutschen Raum, wird nun die Situation für den Landkreis Wesermarsch erörtert. Nach einer Vorstellung
des Landkreises Wesermarsch sowohl aus geografischer als auch aus administrativer Sicht (3.1) wird
auf den demografischen Wandel im Landkreis Wesermarsch (3.2), auf dessen mögliche Folgen fürs
das Gebiet (3.3) und auf aktuelle wirtschaftliche Kennzahlen eingegangen (3.4).
3.1
Der Landkreis Wesermarsch stellt sich vor
Der Landkreis Wesermarsch liegt im Nordwesten Niedersachsens und ist rund 822 km² groß. Der
Landkreis grenzt an die kreisfreien Städte Oldenburg und Delmenhorst, die Landkreise Ammerland,
Friesland, Cuxhaven, Oldenburg und Osterholz-Scharmbeck sowie an das Land Bremen (siehe Abbildung 8).
Abb. 8: Geografische Lage Landkreis Wesermarsch74
Eine Besonderheit stellt die geografische Lage dar: der Landkreis ist dreiseitig von Wasser umgeben.
Westlich grenzen die Gemeinden Butjadingen, Stadland und Jade an den Jadebusen, im Norden stößt
Butjadingen an die Nordsee und östlich bildet die Weser die natürliche Grenze (nur die Gemeinde
Ovelgönne liegt an keinem der drei Gewässer.
74 http://www.urlaub-wesermarsch.de/index.php/die-wesermarsch.html, abgerufen am 08.01.2014
21
Derzeit leben ca. 90.000 Einwohner im Landkreis Wesermarsch75. Kreisstadt und Verwaltungssitz ist
die Stadt Brake, aktueller Landrat ist Stand 2014 Thomas Brückmann (parteilos). Größte Stadt ist
Nordenham mit rund 26.400 Einwohnern, gefolgt von Brake (15.000 Einwohner) und Elsfleth (9.000
Einwohner)76. Unterteilt ist der Landkreis in die neun Kommunen Nordenham, Brake, Elsfleth, Jade,
Ovelgönne, Butjadingen, Lemwerder, Stadland und Berne (siehe auch Abbildung 9).
Abb.9: Der Landkreis Wesermarsch aufgeteilt in seine kommunalen Gebietskörperschaften77
Die hauptsächlichen Wirtschaftszweige stellen die Industrie und der Tourismus dar. Allerdings gibt es
hier starke Unterschiede zwischen den einzelnen Gebieten. Größere Unternehmen sind dabei in Nordenham (z.B. Premium Aerotec GmbH, Norddeutsche Seekabelwerke GmbH), Brake (J. Müller Breakbulk Terminal GmbH & Co. KG), Elsfleth (Omni-Pac GmbH Verpackungsmittel), Berne (Fr. Fassmer
GmbH & Co. KG) und Lemwerder (Abeking & Rasmussen Schiffs- und Yachtwerft Aktiengesellschaft)
angesiedelt. Da in vielen Gebieten wenig bis kaum größere Unternehmen vorhanden sind, wohnen in
der Wesermarsch sehr viele Auspendler78, was sich negativ auf die Kaufkraft auswirkt (siehe Kapitel
4.2).
75 „Zahlen & Fakten 2012“, IHK Oldenburg, S. 3
76 Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen, Tabelle K1020014
77 http://wiki-commons.genealogy.net/images/4/4b/Lage_
Orte_Kreis_Wesermarsch_Niedersachsen.png, abgerufen am 07.01.2014
78 Personen, die ihren Arbeitsplatz nicht in ihrer Wohngemeinde haben
22
Die vorrangig wichtigen Tourismusgebiete liegen dank der Angrenzung zum Jadebusen und zur Nordsee in der Gemeinde Butjadingen79. Gerade kleine Pensionen, Ferienhäuser und Campingplätze sind
häufig zu finden, zudem existiert in Tossens eine Center Parcs Ferienanlage. Außerdem gehört diese
Region zum Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer80. Daneben gibt es weitere touristisch interessante
Bereiche, wie diverse Radwanderwege, Melkhüser oder verschiedene Museen (vor allem aus dem
maritimen Bereich).
Der flächenmäßig größte Anteil der Wesermarsch wird hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt (82 %
der Fläche), wobei wiederum ein Großteil davon als Dauergrünland für Nutztiere belegt ist81. Auch
wenn die Wesermarsch daher eines der größten Grünlandgebiete Deutschlands und Europa ist, spiegelt sich dies in Bezug auf die Wirtschaftsleistungen kaum wieder (die Bruttowertschöpfung lag in
diesem Bereich im Jahr 2010 gerade einmal bei 1,8 %82).
Infrastrukturell ist die der Landkreis Wesermarsch durch die Bundesstraßen B 211 (Anbindung an
Oldenburg), B 212 (Nord-Süd-Richtung, zudem Anbindung via Wesertunnel an die Autobahn A 27)
und B 437 (Anbindung an die A 29) mit den angrenzenden Gebieten verbunden. Zudem besteht eine
regelmäßige Zugverbindung zwischen Nordenham-Brake-Elsfleth-Berne-Hude-Bremen und diverse
Fährverbindungen über die Weser Richtung Bremen/Bremerhaven bzw. saisonal den Jadebusen Richtung Wilhelmshaven. Eine durch die Wesermarsch verlaufende Autobahn ist momentan noch nicht
vorhanden, mit der A 20 aber in Planung83.
3.2
Demografischer Wandel
Nachdem in Kapitel 2 der demografische Wandel in Deutschland ausgiebig erläutert wurde, wird dieser
nun in Bezug auf den Landkreis Wesermarsch (3.2.1) bzw. auf seinen einzelnen Gemeinden (3.2.2)
betrachtet84. Darüber hinaus werden direkte Folgen des demografischen Wandels anhand von Beispielen aufgezeigt (3.3). Als Grundlage werden Daten sowohl vom Landesamt für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen (LSKN) als auch aus dem NIW-Demografie Test Niedersachsen
genutzt (im Folgenden NIW).
3.2.1
Demografische Situation im Landkreis Wesermarsch
Der Landkreis Wesermarsch ist und wird auch zukünftig vom Wandel der Zeit stark betroffen sein. Im
Jahr 2006 hatte der Landkreis noch rund 93.000 Einwohner85. Mitte 2013 ist die Anzahl dieser schon
auf ca. 88.950 Einwohner zurückgegangen, ein Minus von 4,5 %86. Bis zum Jahr 2031 prognostiziert
79 Bezogen auf die Verfügung und Auslastung der Bettenzahl, Zahlen der IHK Oldenburg
80 http://www.unesco.de/welterbe-wattenmeer.html
81 „Siellandschaft Wesermarsch – Regionales Entwicklungskonzept“ 2003, S. 22
82 „Zahlen & Fakten 2012“, IHK Oldenburg, S. 6
83 http://www.strassenbau.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=21139&article_id=78526&_psmand=135, abgerufen am
10.01.2014
84 Eine Anmerkung zu Beginn: Für die Darstellung der Daten der einzelnen Orte ab Punkt 4.2.2 wird auf Daten von dem Niedersächsischen
Institut für Wirtschaftsforschung zurückgegriffen (NIW). Deren zukünftigen Zahlen unterscheiden sich leicht von denen des LSKN. Da
die Prognosen aber konform gehen, werden diese minimalen Unterschiede in Kauf genommen.
85 „Siellandschaft Wesermarsch – Regionales Entwicklungskonzept“ 2003, S. 6
86 Statistisches Monatsheft 12/2013, Landesamt für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen, S. 691
23
das LSKN in seinen Daten einen Rückgang auf nur noch 80.459 Einwohner87. Dies entspricht ca. 109
Einwohnern je km². Tendenz weiter abnehmend. Zum Vergleich: die Stadt Oldenburg wächst laut
LSKN im gleichen Zeitraum um knapp 4,4 %88.
Der Vergleich der Bevölkerungsdaten der letzten Jahre, heruntergebrochen auf die einzelnen Altersgruppen, zeigt deutlich auf, dass der Anteil der 0- bis 15-Jährigen und 15- bis 45-Jährigen konstant
sinkt. Gleichzeitig wächst der Anteil der 45- bis 60-Jährigen und der über 60-Jährigen (siehe Tabelle
4).
Tabelle 4: Bevölkerungsprognose Landkreis Wesermarsch89
Art/Jahr
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2031
Bevölkerung
94.242
94.075
93.725
93.094
92.622
91.968
91.228
90.772
89.982
80.459
0-15 Jahre
16.313
15.891
15.426
14.887
14.457
13.979
13.516
13.035
12.603
10.106
15-45 Jahre
35.935
35.589
35.211
34.422
33.811
33.023
32.069
31.424
30.486
23.770
45-60 Jahre
18.014
18.336
18.937
19.426
19.895
20.304
20.721
21.035
21.343
13.747
Über 60 Jahre
23.980
24.259
24.151
24.309
24.459
24.662
24.922
25.278
25.550
32.836
Neben den in Kapitel 2 genannten Gründen (steigende Lebenserwartung, sinkende Geburtenrate)
spielt in diesem Fall auch der Einwohnerverlust aufgrund von Aussiedlung in andere kommunale Gebiete eine Rolle. Die Folgen dieses Rückgangs werden in Kapitel 3.3 betrachtet.
Eine wichtige Anmerkung zu den Zahlen: Bei Daten und Statistiken aus verschiedenen Quellen weichen die ermittelten Ergebnisse häufig voneinander ab. Auch die genannten Werte demografischer
Kennzahlen bilden da keine Ausnahme. Verschiedene Statistiken bringen verschiedene Ergebnisse
hervor, nur der Konsens ist in diesem Fall der gleiche: die Bevölkerungszahl verringert sich. Dennoch
sollen an dieser Stelle drei verschiedene Ergebnisse angesprochen sein. Nimmt man, wie oben erwähnt, den prognostizierten Wert des LSKN von 80.459 Einwohner im Jahr 2031, ergibt dies bezogen
auf die aktuellen Einwohnerzahlen laut der IHK ein Minus von 10,6 %. Addiert man die Werte der im
folgenden Punkt genannten Einwohnerzahl der einzelnen Gemeinden auf Basis der Zahlen vom NIW,
kommt man auf eine prognostizierte Einwohnerzahl für den Landkreis Wesermarsch im Jahr 2030 von
76.162 Einwohnern90. In Hinsicht auf die Einwohnerzahl von 2012 ist dies ein Minus von 15,4 %. Hingegen ermittelt die Bertelsmann-Stiftung in ihrem „Demographiebericht Kommune `Wesermarsch,
Landkreis´“ „nur“ ein Minus von 8,5 %91. Somit wird allzu deutlich, wie komplex es ist, zukünftige Daten
genau zu benennen. Nichtsdestotrotz werden als Grundlage der folgenden Kapitel die Ergebnisse des
NIW genutzt, auch wenn diese möglicherweise in Bezug auf andere Prognosen das „düsterste“ Bild
zeichnen. Grund dafür ist die einfache Verwendung der öffentlichen Daten.
87 Bevölkerungsprognose , Landesamt für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen
88 ebenda
89 Daten aus: “Zahlen und Fakten” 2004 – 2012, IHK Oldenburg, Bevölkerungsvorausberechnung LSKN für das Jahr 2031
90 NIW Demographietest Niedersachsen 2010, Addition der einzelnen Werte der neun Gemeinden und Städten des Landkreis
Wesermarsches
91 Demographiebericht Kommune `Wesermarsch, Landkreis´, Bertelsmann-Stiftung, erschienen auf www.kommune-heute.de
24
3.2.2
Demografische Wandel der Gemeinden
Der demografische Wandel innerhalb der einzelnen Gemeinden wird vermutlich sehr unterschiedlich
verlaufen. Einziger gemeinsamer Nenner: Jede Gemeinde wird Einwohner verlieren. Den stärksten
Verlust wird demnach die Gemeinde Butjadingen verzeichnen werden. Bis zum Jahr 2030, so hat das
NIW errechnet, wird die Einwohnerzahl von aktuell rund 6.200 auf dann noch knapp 4.800 Einwohner
zurückgehen – ein Minus von 22,5 %. Das flächenmäßig größte Gebiet in der Wesermarsch mit 129
km² wird weiter ausgedünnt. Derzeitig leben 48 Einwohner pro km², 2030 werden es nur noch 37 Menschen sein. Zudem ist ein konstanter Rückgang aller Altersklassen bis 65 Jahre zu erwarten. Lediglich
die Gruppe der 65-Jährigen-und-älter wird wachsen92.
Eine ähnliche Entwicklung steht der Gemeinde Stadland bevor. Von derzeitig 7.600 Einwohnern, verteilt auf einer Fläche von 113 km² (das entspricht 66 Einwohner pro km²), wird man bis zum Jahr 2030
auf ca. 6.000 Einwohner schrumpfen (53 Einwohner/km²). Ein Minus von 21 %, das sich ebenfalls in
fast allen Bevölkerungsgruppen bemerkbar machen wird. Auch hier wird ausschließlich die Gruppe der
65-Jährigen-und-älter wachsen93, genauso wie in der Gemeinde Ovelgönne. Hier schlägt der Einwohnerrückgang mit 16,5 % zu Buche, von aktuell 5.400 Einwohnern auf dann noch 4.500 Einwohner. Nur
noch knapp 37 Menschen pro km² werden dann im Jahr 2030 anzutreffen sein (aktuell sind es noch 44
Menschen/km²)94.
Weiterhin stehen der Gemeinde Berne aus demografischer Sicht schwere Zeiten bevor. Hier liegt das
prognostizierte Minus bei 18,4 %, in Zahlen bedeutet dies ein Rückgang von 6.800 Einwohnern auf
5.500 Einwohner (ergo von 80 Einwohner/km² auf 65 Einwohner/km²). Und auch in diesem Fall werden
ebenfalls alle Altersklassen stark betroffen sein, eben mit Ausnahme der 65-Jährigen-und-älter95.
Etwas gegen diesen Trend werden sich die Gemeinden Jade und Lemwerder allem Anschein nach
entwickeln. Zwar verlieren auch diese beiden Gemeinden Einwohner. Jade wird ein Minus von knapp
13 % erfahren (von 5.800 Einwohner auf 5.000), so dass noch rund 54 Menschen pro km² dort leben
werden96. Lemwerder hingegen verliert „nur“ 10 % und wird damit den geringsten Verlust aller Gemeinden verzeichnen können. Allerdings, und hier liegt die große Differenz zu den anderen Gemeinden, erwartet das NIW keinen generellen Rückgang aller „jüngeren“ Bevölkerungsklassen für Jade und
Lemwerder. Die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen wird in beiden Gemeinden der Prognose nach wachsen. In Jade zudem die Gruppe der 55-Jährigen-und-älter bzw. in Lemwerder die der 75-Jährigen-undälter. Lemwerder hat ebenfalls die höchste Einwohner-pro-km²-Dichte aller Gemeinden (aktuell 190
Einwohner/km²) und wird diese auch bis zum Jahr 2030 beibehalten (dann noch 172 Einwohner/km²)97.
Der Vollständigkeit halber: Elsfleth wird ca. 8 % seiner Bevölkerung verlieren, Brake schrumpft um ca.
13,7 % und Nordenham büßt aller Voraussicht nach knapp 14,3 % Einwohner ein.
92 NIW Demographietest Niedersachsen 2010, für Butjadingen
93 NIW Demographietest Niedersachsen, für Stadland
94 NIW Demographietest Niedersachsen 2010, für Ovelgönne
95 NIW Demographietest Niedersachsen, für Berne
96 NIW Demographietest Niedersachsen, für Jade
97 NIW Demographietest Niedersachsen, für Lemwerder
25
Die Gründe für diesen Wandel sind vielfältiger Natur. Natürlich spielen die allgemein gültigen Prämissen für den demografischen Wandel wie in ganz Deutschland eine gewichtige Rolle. Aber auch die
einzelnen Gegebenheiten der Gemeinden beeinflussen die Zahlen.
Butjadingen ist aus geografischer Sicht eine Halbinsel, das Wasser umschließt die Gemeinde dreiseitig. Dies mag aus Sicht des Tourismus eine angenehme Situation sein. Aufgrund der schlechten Anbindung an das Hinterland (keine Eisenbahn, schlechte ÖPNV-Situation, die B 212 verläuft nur ganz
im Osten) gibt es allerdings außer dem Tourismus aktuell nur wenig weitere nennenswerte wirtschaftliche Aspekte. Dem Einzelhandel fehlt es zudem aufgrund der geografischen Wasserlage an Kunden
aus angrenzenden Gebieten. Einzig die Landwirtschaft ist noch ausgeprägt vorhanden. Ähnlich ist die
Situation in der Gemeinde Stadland. Haupteinnahmequellen sind der Tourismus und die Landwirtschaft. Und auch hier ist die immer noch zweiseitige „Umwässerung“ hinderlich für einen ausgeprägten
Handel.
In Berne und Lemwerder sind dank der Weser im Bereich Schiffsbau verschiedene Unternehmen
angesiedelt. Jade und Ovelgönne sind landschaftlich stark geprägt und verfügen derzeitig noch über
ein ausbaufähiges touristisches oder wirtschaftliches Potential. Allerdings versucht die Gemeinde
Ovelgönne, sich die angespannte Wohnungssituation der Stadt Oldenburg und den daraus resultierenden hohen Kaufpreise für Grundstücke in Oldenburg und in den angrenzenden Gemeinden wie
Wardenburg oder Rastede zu nutze zu machen und versucht mit der Kampagne „Großenmeer hat
mehr“ den erwarteten Einwohnerschwund zu mindern98. Ebenfalls werden in den Gemeinden Berne
und Lemwerder einzelne Aktionen durchgeführt, um dem Einwohnerschwund entgegenzutreten. Allerdings sei an dieser Stelle kritisch anzumerken, dass es bisher kein übergreifendes Konzept für den
gesamten Landkreis gibt. Ob dies nun an einer mangelnden Kommunikation zwischen den einzelnen
Akteuren liegt, an mangelnden finanziellen Möglichkeiten oder Ideen, kann aber an dieser Stelle nicht
weiter untersucht werden.
3.3
Mögliche Folgen des demografischen Wandels
In diesem Abschnitt soll es um mögliche sichtbare und unsichtbare Folgen des demografischen Wandels im Landkreis Wesermarsch gehen. Mögliche Folgen, weil die hier angesprochenen Auswirkungen
teilweise auf eigenen Thesen beruhen und der gezeigte Abwärtstrend keinesfalls so eintreten muss.
Zudem muss angemerkt sein, dass die hier genannten Thesen und möglichen Folgen nur knapp aufgezeigt werden. Das Thema umfangreich zu analysieren würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Durch die gestiegene Mobilität der Bewohner, durch die geänderte Nachfrage der Konsumenten und
dem Trend, Einkaufsagglomerationen auf der grünen Wiese zu konzipieren hat sich die Einzelhandelssituation in der Wesermarsch in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Schon heute gibt es
viele kleine Ortschaften, die kein eigenes LEH-Geschäft mehr besitzen. Durch Verlust von Einwohnern
aufgrund der demografischen Folgen oder durch Wegzug, aber auch aufgrund der vorrangig auf
98 www.grossenmeer.de
26
Wachstum ausgelegten wirtschaftlichen Prämissen der LEH-Ketten, ist ein Geschäft vielerorts nach
gängigen Maßstäben nicht mehr lohnenswert.
Doch nicht nur in Bezug auf die LEH-Versorgung hat der ländliche Raum Einbußen hinnehmen müssen. Auch Arztpraxen, Apotheken, öffentliche Einrichtungen oder allgemein Einzelhändler wurden im
Laufe der Zeit vielerorts geschlossen, zusammengelegt oder aufgegeben. Dies gilt auch aufgrund der
weniger werden Kinder für die Kindergärten und Schulen. Die Wege zu diesen werden somit immer
aufwendiger und länger, gerade zu weiterführenden Schulen.
Außerdem ist das öffentliche Personennahverkehrsnetz immer weiter ausgedünnt worden. Zwar gibt
es in Bezug auf den ländlichen Raum verhältnismäßig gute Verbindungen von den drei Städten aus zu
den angrenzenden Oberzentren (genannt sei bspw. der Weser-Sprinter von und nach Oldenburg),
doch „auf dem Land“ selber ist die ÖPNV-Versorgung gerade in den Abendstunden, am Wochenende
oder in den Ferien mangelhaft. Häufig fahren nur noch auf Schulzeiten abgestimmte Busse auch kleinere Ortschaften an99. Es kann zwar argumentiert werden, dass dies generell aufgrund der hohen
PKW-Mobilität kein größeres Problem darstellen sollte. Aber wie in der Einleitung schon formuliert:
gerade mobilitätseingeschränkte Personen wie Schüler, ältere oder körperlich eingeschränkte Menschen und Personen ohne eigenen PKW haben somit kaum noch die Möglichkeit, mit dem Bus angrenzende Ortschaften zu erreichen. Auch die Bahn ist nur noch mit der Strecke Bremen-Nordenham
vertreten, es gibt keine direkte Verbindung nach Bremerhaven oder Oldenburg. Alle Regionen/Ortschaften, die nicht an der Bahnstrecke mit Haltepunkten versehen liegen bzw. vom Weser
Sprinter angesteuert werden, betrifft diese Problematik im Speziellen. Alternativen sind ehrenamtliche
Bürgerbusse, wie sie in Butjadingen auch schon genutzt werden. Dies sollte in spätere Überlegungen
für bspw. einen Dorfladen mit einbezogen werden. So könnte ein solcher Laden z.B. als Ausgangsund Endpunkt für einen Bürgerbus dienen.
Weiterhin sind die Internetleitungen bzw. Drahtlosverbindungen im ländlichen Raum noch nicht allerorts ausreichend ausgebaut. Nicht jeder Haushalt verfügt bisher über die Möglichkeit, Breitbandgeschwindigkeiten nutzen zu können. Oftmals stehen nur Leitungen bis maximal 2 Mbit/s zur Nutzung
parat. Das ist für die heutige Datenflut keine unbedingt umfangreiche Verfügbarkeit100. Was für Privatpersonen ärgerlich ist, kann für kleine Einzelhändler zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil führen, gerade in Bezug auf die im späteren Verlauf vorgestellte Möglichkeit der Multi-Channel-Nutzung
(4.1).
Hinzu kommen die schlechten Berufsaussichten in den ländlichen Regionen. Die Landwirtschaft wird
weitestgehend maschinell betrieben, größere Wirtschaftsunternehmen siedeln in erster Linie entlang
der Weser und durch die genannten schlechten ÖPNV-Anbindungen ist es nicht einfach, ohne eigenes
Auto in eines der angrenzenden Oberzentren zu pendeln, um dort zu arbeiten.
99 Verkehrsbetriebe Wesermarsch GmbH, Vergleich der Fahrpläne
100 Breitbandatlas vom Breitband Kompetenzzentrum Niedersachsen
27
Nicht zu vernachlässigen sei ebenfalls die soziale Komponente. Ist das vorhandene Freizeitangebot
ausreichend genug, um die Menschen binden zu können? Geht es über gängige Angebote von Sportoder Ortsvereinen hinaus? Auch das Nachtleben ist im ländlichen Raum eher wenig bis gar nicht ausgeprägt. Allenfalls einige alteingesessene Gaststätten bieten ab und zu Veranstaltungen für die jüngere Generation an (Zielgruppe sind meist die 16- bis 25-Jährigen). Größere Discotheken, Szeneclubs
oder Kinos – zumeist Fehlanzeige. Andererseits lädt die Wesermarsch mit ihrer ausgeprägten Naturund Küstenlandschaft, ihrem maritimen Flair, dem sehr umfangreichen Radwegenetz und weiteren,
kulturellen Angeboten (z.B. Bronzezeithaus, Melkhüser usw.) naturbewusste, erholungssuchende
Menschen zum Verweilen und Bleiben ein. Es muss sich aber die Frage gestellt werden, ob dies reichen wird, sich zukünftig positiv auf die Anzahl der wegziehenden Menschen auszuwirken. Die Daten
des demografischen Wandels sprechen bisher dagegen.
All dies können gerade für junge, ungebundene Menschen nachvollziehbare Gründe sein, aus der
Wesermarsch wegzuziehen und in Oldenburg, Bremen oder noch weiter weg „ihr Glück zu suchen“.
So ergab eine 2001 von dem PaYPIRD-Projekt durchgeführte Untersuchung in der Wesermarsch ein
eher negatives Stimmungsbild unter den befragten Personen101. Auch wenn die Studie aufgrund ihrer
geringen Befragungsrate (nur 34 junge Menschen wurden interviewt) keinen repräsentativen Charakter
besitzt, ist der aussagende Grundtenor dennoch nicht zu vernachlässigen. Zitate wie „Freizeitangebote? Hier ist nichts, was man groß machen kann“, „Hier im Ort werden schon die Einkaufsläden dicht
gemacht, genauso wie im Nachbarort“ oder „Es gibt zu wenig Arbeitsplätze hier im Landkreis Wesermarsch“ zeugen von einem tendenziell negativen Stimmungsbild102. Die jungen Menschen bemängeln
explizit das fehlende Freizeitangebot, die fehlende Anonymität („Hast du in einer Firma mal Mist gebaut, kriegst du in der ganzen Stadt keine Stelle mehr“103) und die mangelnde Mobilität. Gerade letzteres hindert viele daran, einen (besseren) Arbeitsplatz zu finden. Viele der Befragten besaßen keinen
Führerschein (obwohl nur einer unter 18 Jahre alt war), geschweige denn ein Auto. Mehr als die Hälfte
der Befragten kann sich aufgrund der genannten Gründe vorstellen, für eine bessere berufliche Perspektive aus der Wesermarsch wegzuziehen104.
Dies kann nun eine Kettenreaktion in Gang setzen, die sich als Teufelskreislauf manifestieren kann,
wird nicht aktiv dagegen durch die einzelnen Gemeinden bzw. dem Landkreis vorgegangen: durch den
Verlust von jungen Menschen verliert die Wesermarsch zum einen Arbeitsplatzpotential, aber auch
mögliche zukünftige Familien. Dies wiederum führt zu einer weiter sinkenden Geburtenrate, die weniger Kinder, weniger Jugendliche und somit wieder im Umkehrschluss weniger junge Menschen zur
Folge haben wird. Damit dreht sich die Spirale immer weiter abwärts. Somit verschiebt sich, wie auch
die Zahlen prognostizieren, das Altersgefüge immer weiter Richtung alternde Bevölkerung. Es werden
weniger Kindergärten oder Schulen gebraucht, was wiederrum weitere Schließungen und Zusammenlegungen nach sich ziehen würde. Gleichzeitig muss das soziale Angebot auf die wachsende Gruppe
101 Das PaYPIRD-Projekt war ein vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft durchgeführtes
Projekt, Beginn 1999, Finanziert von der EU. Befragt wurden 16- bis 25-jährige Menschen aus verschiedenen Gebieten zu Themen
wie der Attraktivität der Region, Arbeitsmarktchancen, Einbeziehung junger Menschen in lokale Entscheidungen usw.
Weiterführende Informationen hierzu findet man unter http://www.netzwerk-laendlicher-raum.de
102 „Benachteiligte Jugendliche-ein Stimmungsbild aus der Wesermarsch“, Leader Forum 2.2001, S. 24
103 ebenda, S. 25
28
der Älteren angepasst werden, ergo werden zwangsläufig noch weniger Anreize für die Jüngeren gesetzt zu bleiben. Die sinkenden Bevölkerungszahlen haben auf kommunaler Ebene geringere, verfügbare finanzielle Mittel zur Folge, womit noch weniger öffentliche Einrichtungen gefördert werden können, im schlimmsten Fall aufgrund von Einsparungen weitere Aufgaben nach sich ziehen würden.
Durch den Verlust von Einwohnern erhöht sich auch das Angebot an Wohnraum. Aufgrund des zu
erwartenden Missverhältnisses Angebot zu Nachfrage wird dies wahrscheinlich zu fallenden Kaufpreisen und Mieten führen, der Leerstand wird sich erhöhen. Schon jetzt stehen viele Häuser zum Verkauf. Leider gibt es aber auch teilweise sich selbst überlassene Häuser, die nach und nach verfallen
und die Ortsbilder beeinflussen. Dies stellt keine positive Außendarstellung der einzelnen Ortschaften
dar und ist keine Werbung für Menschen/Familien, die mit dem Gedanken spielen, in die Wesermarsch
zu siedeln.
Gleiches gilt für leerstehende Gewerbeimmobilien. Der Rückgang von Einwohnern führt auch unweigerlich zu einer sinkenden Nachfrage an Dienstleistungen, Handelswaren oder dem Handwerk. Betriebsaufgaben oder wenn noch möglich Betriebsumsiedlungen sind die Folge, das Angebot an öffentlichen Einrichtungen oder medizinischer Versorgung sinkt.
Wie man es dreht und wendet, ein erst einmal in Gang geratener Teufelskreislauf ist nur mit großen
Bemühungen aufzuhalten oder ihm zumindest entgegenzuwirken. In Ostdeutschland gibt es mittlerweile ganze Landstriche, die zum größten Teil entvölkert sind. Ideen, dem entgegen zu wirken, gibt es oft
zu genüge. Doch gerade mangelnde finanzielle Mittel oder politische Streitigkeiten können als Hinderungsgründe gelten. Möglichkeiten zur Mittelrekrutierung bestehen allerdings. Es gibt nationale und
europäische Fördermitteltöpfe, die für die ländliche Entwicklung bereitstehen und unbedingt genutzt
werden sollten. Allerdings muss genau abgestimmt sein, wo Geld investiert werden sollte. Schließlich
kann man argumentieren, dass jeder Mensch (oder zumindest die meisten) selber entscheiden darf,
wo er wohnt und somit entsprechende Entbehrungen im ländlichen Raum in Kauf nehmen muss (mehr
dazu in Kapitel 5).
Entscheidend wird das Zusammenspiel und die Kommunikation der Politik mit der ansässigen Wirtschaft und dem Jobcenter bezüglich der Arbeitsmarktchancen für junge und ältere Menschen sein. In
erster Linie müssen hierüber Anreize und Möglichkeiten geschaffen werden, Arbeitsplätze zu bewahren und soweit wie möglich neu zu schaffen, um die Menschen in der Region zu halten oder sogar
neue Anwohner von außerhalb zu gewinnen. Dies wäre aber nur der erste Schritt für eine nachhaltige
Zukunft. Die angesprochenen bemängelten Aspekte (Schließungen von öffentlichen Einrichtungen,
Grundversorgung usw.) müssen ebenfalls abgemildert und zukünftige soweit wie möglich verhindert
werden. Stimmt das Gesamtpaket aus Arbeit, Versorgung und Freizeitangebot, werden die Menschen
bleiben bzw. herziehen. Nur so wird man die prognostizierten Folgen des demografischen Wandels
abfedern können.
104 „Benachteiligte Jugendliche-ein Stimmungsbild aus der Wesermarsch“, Leader Forum 2.2001, S. 24 f
29
3.4
Wirtschaftliche Daten
Nachdem im vorherigen Punkt Thesen und Möglichkeiten untersucht wurden, stehen nun wieder Fakten im Mittelpunkt. Die folgenden Daten sollen die derzeitige wirtschaftliche Situation des Landkreises
widerspiegeln. Das Kapitel dient der groben Orientierung über die wirtschaftliche Situation des Handels in der Wesermarsch.
Rein zahlenbasiert stellt sich die wirtschaftliche Lage des Landkreises als augenscheinlich ausbaufähig dar. Das Bruttoinlandsprodukt (im Folgenden BIP) ist zwar in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, allerdings im Jahr 2011 eingebrochen. Anzumerken sei, dass damit nur das BIP des
Landkreises Wesermarsch im Gegensatz zu den anderen der IHK Oldenburg zugehörenden Gebieten
gefallen ist. Nichtsdestotrotz weist der Landkreis Wesermarsch das höchste BIP pro Kopf Volumen im
hiesigen IHK-Bezirk auf (vergleiche Tabelle 5).
Tabelle 5: Bruttoinlandsprodukt Wesermarsch/IHK Oldenburg
*In Mio. €
2011
2010
2009
2008
BIP Wesermarsch*
2.585 €
3.093 €
2.670 €
2.825 €
BIP IHK-Bezirk*
27.666 €
26.804 €
28.550 €
28.860 €
BIP/Kopf Wesermarsch*
68.966 €
82.704 €
71.109 €
77.336 €
BIP/Kopf IHK*
54.759 €
55.120 €
52.581 €
55.234 €
Das hohe BIP pro Kopf kann durch die hohe Wirtschaftsleistung der Industrie im Verhältnis zur geringen Einwohnerzahl gesehen werden. Im Gegensatz dazu weist der Landkreis Wesermarsch aber auch
mit Abstand die höchste Pro-Kopf-Verschuldung im Bezirk IHK Oldenburg auf. Setzt man die Kommunalschulden in das Verhältnis zu seinen Einwohnern, beträgt die Pro-Kopf-Verschuldung des Landkreis Wesermarsch 2.821 €. Der Schnitt im IHK-Bezirk liegt hingegen „nur“ bei 1.077 €.
Ebenfalls lag die Arbeitslosenquote im Jahr 2013 mit 7,4 % über dem Schnitt der IHK Oldenburg
(6,3 % für alle Gebiete105) bzw. dem niedersächsischen Schnitt (6,5 %106). Die fünf weiteren, dem IHKBezirk zugehörenden Landkreise weisen eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von 4,7 % auf. Nur
die kreisfreien Städte Oldenburg, Delmenhorst und Wilhelmshaven besaßen eine höhere Quote107
(vergleiche Tabelle 6).
105 IHK Oldenburg, Zahlenspiegel 1. Halbjahr 2013, Stand 30.06.2013
106 http://statistik.arbeitsagentur.de/nn_30650/SiteGlobals/Forms/ImageMapSchnelluebersichten/ZeitauswahlSchnelluebersicht-
Form.html?view=processForm&resourceId=210328&input_=&pageLocale=de&regionInd=03&year_month=201312&year_month.GRO
UP=1&search=Suchen, abgerufen am 15.01.2014
107 IHK Oldenburg, Zahlenspiegel 1. Halbjahr 2013, Stand 30.06.2013
30
Tabelle 6: Arbeitslosenstatistik IHK Oldenburg
Bezirk
Arbeitslosenzahl in %
LK Wesermarsch
7,4
LK Ammerland, Friesland, Oldenburg, Cloppenburg, Vechta zusammen im Durchschnitt
4,7
IHK-Bezirk Durchschnitt Gesamt
6,3
Stadt Oldenburg
8,1
Stadt Wilhelmshaven
12,4
Stadt Delmenhorst
10,5
Nimmt man die Umsatzzahlen als Maßgabe, wird deutlich, dass die Industrie der wichtigste Wirtschaftsfaktor in der Wesermarsch ist. Inklusive dem im Ausland erwirtschafteten Umsatz betrug dieser
gesamt für das Jahr 2011 rund 2,5 Mrd. €. Zum Vergleich dazu: Der Handel erzielte im selben Jahr
einen Umsatz von 454 Mio. € für Lieferungen und Leistungen108, worauf 180 Mio. € auf den Einzelhandel entfielen. Die Umsatzzahlen aus dem gesamten Handel schwankten in den vergangenen Jahren
zwischen 420 Mio. € im Jahr 2005 und 505 Mio. € im jahr 2008, seit dem Beginn der Wirtschaftskrise,
stehen sie konstant bei rund 454 Mio. € (Stand 2011). Leider teilt die IHK Oldenburg die Einzelhandelszahlen nicht weiter auf, so dass es keine separaten Zahlen für den Lebensmitteleinzelhandel gibt.
Aktuell arbeiten rund 10 % der knapp 26.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer in der Wesermarsch im Handel (Stand 2011). Auch diese Quote ist in den vergangenen 4 Jahren konstant
geblieben109. Allerdings differenzieren auch hier die Zahlen der IHK nicht zwischen dem LEH und dem
übrigen Einzelhandel.
3.5
Aktuelle Einzelhandelssituation in der Wesermarsch
Mittlerweile ist die Lebensmitteleinzelhandelssituation in den ländlichen Gebieten der Wesermarsch
sehr übersichtlich. Kombiniert man die erarbeiteten Daten der Studie „ZukunftNah“ der Universität
Hannover mit eigenen Recherchen, so bieten derzeitig nur noch etwas über 50 LEH-Geschäfte ihre
Waren an110. Rund die Hälfte dieser Läden befindet sich in Berne, Burhave, Jaderberg, Rodenkirchen,
Seefeld und Tossens, ergo in den größeren Ortschaften der Wesermarsch bzw. mit Burhave und Tossens in der touristisch stärksten Region. Eine Übersicht der Standorte bietet Abbildung 10.
108 Einzelhandel, Handelsvermittlung, Großhandel, Handel und Instandhaltung von Kfz
109 Seit dem Jahr 2008 gilt eine neue Berechnungsgrundlage, daher sind ältere Zahlen nicht vergleichbar
110 eigene Schätzung + Daten ZukunftNah, ohne Altenesch, Lemwerder, Elsfleth, Brake, Nordenham, Esensham, Abbehausen, Blexen
31
Abb. 10: Übersicht Standorte LEH im ländlichen Raum der Wesermarsch111
(Nordenham, Brake, Elsfleth, Lemwerder ausgenommen)
Dabei sind ca. 2/3 der Geschäfte nicht zur alleinigen Grundversorgung geeignet, da es sich um Bäcker, Fleischer, Kioske oder Hofläden handelt. Rund 1/3 der Geschäfte sind Nahversorger, Supermärkte oder Discounter. Vor allem die Marken „nah und gut“ sowie „nah und frisch“ sind sehr häufig
vertreten. Dies sind inhabergeführte Geschäfte, deren Konzept von Edeka bzw. Markant vertrieben
wird. Weiterführende Informationen werden unter Kapitel 4.5 aufgeführt. Große Supermärkte oder gar
SB-Märkte sind dagegen nicht vorhanden. Neben den Angeboten im ländlichen Raum stehen den
Bewohnern verschiedene Einkaufsmöglichkeiten in den Städten Brake, Elsfleth und Nordenham (und
den dazugehörigen Gemarkungen) zur Verfügung. Eine umfangreichere Auswahl, auch an verschiedenen, großen SB-Märkten, finden die Menschen in den angrenzenden Ober- und Mittelzentren Bremen, Bremerhaven und Oldenburg. Aufgrund der hohen Mobilität werden daher diese Ersatzmöglichkeiten wahrgenommen, so dass subjektiv oftmals keine Unzufriedenheit mit dem Nahversorgungsangebot wahrgenommen werden dürfte112.
111 Eigene Karte, erstellt mit dem Geoinformationssystem Terraweb 3.95
112 Abgeleitet aus den Befragungen der ländlichen Bevölkerung in „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 19
32
4. Konzeptarten
In diesem Kapitel werden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie ein Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft in kleinere Ortschaften erfolgreich integriert werden könnte. Diese Varianten werden allerdings nicht überall als Allheilmittel funktionieren, gerade wenn man auf die Standortfaktoren Rücksicht
nimmt. Daher muss auch die Frage erlaubt sein, ob es sich überall wirklich noch lohnt, etwas anzubieten (nicht nur bezogen auf ein LEH-Geschäft, allgemein auf die Infrastruktur), oder ob die Menschen
nicht selber dafür verantwortlich sind, wo sie wohnen und welche Entbehrungen sie dafür in Kauf
nehmen (Kapitel 5).
Die folgenden Konzepte, neue Wege in der Kundengewinnung und Umsatzgenerierung zu bestreiten,
sollen als Möglichkeiten verstanden werden. Ob eine Umsetzung für einen Standort in der Wesermarsch Sinn macht oder nicht, kann nicht von vornherein gesagt werden. Ziel soll es daher sein, aufzuzeigen, dass es Konzepte und Möglichkeiten gibt, wieder einen Nahversorger in Bedarfsgebieten zu
realisieren. Die folgende Auswahl beleuchtet dabei drei sehr gängige und bekannte Methoden. Allerdings muss zu Beginn angemerkt sein, dass an dieser Stelle nicht auf gesetzliche Bestimmungen oder
baurechtliche Aspekte Rücksicht genommen werden kann. Diese Punkte müssen im Falle einer Umsetzung mit entsprechenden Experten abgestimmt werden.
Unter Kapitel 4.1 werden die Begriffe „Multi Channel Konzept“ und Mobile-Commerce erläutert. Diese
können als Ideen und Möglichkeiten für bestehende und zukünftige Geschäfte gelten. Bevor dann
Standortkonzepte vorgestellt werden, sollen etwaige Anforderungen für diese beleuchtet werden. Als
Quelle hierfür dient die Studie des BMVBS (4.2). Kapitel 4.3 stellt den mobilen Lebensmittelhandel als
Alternative zum stationären Handel vor, während nachfolgend die Konzepte des Dorfladen-Netzwerkes
(4.4) und des DORV-Konzeptes (4.5) näher betrachtet werden. Die Variationen eine Nahversorgers
der beiden großen Handelsketten Edeka und Markant, werden in Kapitel 4.6 behandelt. Abschließend
wird auf die Frage eingegangen, welche Möglichkeiten die Kommunalpolitik und -verwaltung in der
Wesermarsch haben, die Nah- und Grundversorgung zu verbessern (4.7).
4.1
Multi-Channel-Konzept und Mobile-Commerce (mCommerce)
Unter dem Begriff „Multi-Channel“ versteht man die Verknüpfung von zwei Verkaufsvarianten: dem
stationären Handel und dem Onlinehandel. Dies könnte wie folgt aussehen: Stationäre Händler bieten
Onlineshops an, der Kunde kann im Internet bestellen und die Waren im Geschäft abholen oder sich
liefern lassen. Onlinehändler eröffnen stationäre Geschäfte, der Kunde kann dort einkaufen und gelieferte Produkte bei Unzufriedenheit im Geschäft wieder abgeben113. Dabei wird bei den „alteingesessenen“ Läden die wirtschaftliche Basis auch weiterhin der stationäre Handel sein, wenngleich die MultiChannel-Konzepte zunehmen114. Speziell im Bereich Lebensmittel wird dies zutreffen. Für diese Sparte
wird das Multi-Channel-Konzept zwar auch immer wichtiger115, allerdings wird hier der Bereich „MobileCommerce“ und seine verschiedenen Möglichkeiten eine bedeutendere Rolle einnehmen als der reine
Onlinehandel.
113 „Trends im Handel 2020“ KMPG 2012, S. 19
114 ebenda.
115 ebenda, S. 24
33
Der „Mobile-Commerce“ (im weiteren Verlauf nur mCommerce) ist als eine Weiterentwicklung des
elektronischen Handels (kurz eCommerce) unter der Verwendung von drahtlosen Kommunikationsgeräten wie Smartphones oder Tablets anzusehen. Es gilt nicht einfach nur ein Warenangebot online
zugänglich zu machen (bspw. über eine entsprechende Website, angelegt für einen Desktop-PC),
sondern eine auf die Möglichkeiten, aber auch Grenzen der mobilen Endgeräte speziell fundierte Lösung zu schaffen: Die Mobile-Applikationen, kurz APPs, sowie auf die Größe und Handhabung eines
mobilen Gerätes ausgerichtete Internetseiten. So ist es möglich, Warenangebote, Sonderangebote,
Aktionen, Bestellmöglichkeiten usw. auf Gerätegröße angepasst anzubieten. Beispiele für Anwendungsbereiche sind der mobile Handel, Such- und Informationsdienste, Mobile-Entertainment, MobileBanking oder Mobile-Ticketing. Angeboten werden die APPs dabei entweder von dem jeweiligen Mobilfunkanbieter oder mittlerweile verstärkt auch direkt von den handelnden Unternehmen selbst.
Der eCommerce-Bereich ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Wurden 1999 noch 1,25
Mrd. € umgesetzt, sind es 2013 schon 33,1 Mrd. € gewesen116, Tendenz weiter steigend. Ebenfalls
wächst der Anteil des mCommerce-Umsatzes daran stetig. Dieser wird in Deutschland für das Jahr
2012 vermutlich 6,2 % am eCommerce-Umsatz ausmachen, im Vergleich zum Jahr 2010 (1,5 %) stellt
dies eine deutliche Steigerung dar117. Insgesamt rund 6 % der Deutschen haben schon einmal direkt
via Smartphone oder Tablet ein Produkt erworben. In Europa nutzen nur die Briten die Möglichkeit des
mobilen Einkaufens mehr als die Deutschen (10 %)118. Im Lebensmittelbereich wird zudem ein starker
Anstieg hinsichtlich der Nutzung von mobilen Möglichkeiten zur Warenrecherche und/oder dem Warenkauf erwartet. 14 % der Verbraucher würden zukünftig laut einer Marktforschung bevorzugt mobile
Geräte zum Einkauf von Lebensmitteln nutzen. Zum Vergleich: nur 6 % bzw. 7 % würden mit ihrem
Handy bzw. Tablet Textilien sowie Elektronikartikel kaufen, also die beiden Warengruppen, die im Netz
am stärksten bestellt und nachgefragt werden119.
Derzeitig ist in Deutschland (noch) davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Käufer über ihre Notebooks oder Desktop-PCs Waren bestellen und auch zukünftig bestellen werden120. Gründe, die noch
gegen eine verstärkte Nutzung der mobilen Endgeräte sprechen, sind z.B. der zu kleine Bildschirm,
das zu langsame Öffnen der Websites aufgrund unzureichender Netzabdeckung, Unübersichtlichkeit
und mangelnde Vergleichbarkeit von Preisen und Optionen oder fehlende Informationen121. Dennoch,
auch wenn die Zahl der tatsächlich getätigten Einkaufe noch verhältnismäßig gering zu sein scheint,
nutzen rund ein Drittel der Deutschen ihr Smartphone für ihren Einkauf – und sei es nur zur Informationsgewinnung122. Mittlerweile gehen Experten davon aus, dass der mCommerce ein noch schnelleres
Wachstum generieren wird, als der „alte“ eCommerce123. Grund hierfür ist nicht nur die stark steigende
116 „Der deutsche Einzelhandel“, HDE 2013, S. 8
117 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/246206/umfrage/anteil-der-mobile-spendings-in-europa-nach-laendern/, abgerufen am
05.02.14
118 http://etailment.de/thema/studien/Wo-steht-der-Mobile-Commerce-in-Deutschland-1844, abgerufen am 05.02.14
119 „Trends im Handel 2020“ KMPG 2012, S. 24
120 ebenda
121 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/236122/umfrage/probleme-beim-mobile-commerce-aus-nutzersicht/, abgerufen am 05.02.14
122 http://www.fwpshop.org/ecommerce-ratgeber/mobile-commerce, abgerufen am 05.02.14
123 ebenda
34
Anzahl von Smartphones und Tablets. Auch die eben genannten Gründe, die aktuell eher gegen eine
weiter verbreitete Nutzung solcher Geräte für den Einkauf sprechen, werden nach und nach abgebaut.
Die Bildschirme der Geräte werden mittlerweile (wieder) größer, es gibt immer schnellere drahtlose
Datenverbindungen und die angebotenen Handys werden mittlerweile mit vollwertigen Internetbrowsern ausgeliefert, wodurch Services und Anwendungen immer optimierter nutzbar werden124.
Welche Vorteile ergeben sich nun für den Kunden als auch für den Händler? Und welche Nachteile gilt
es zu beachten?
Der Kunde kann spontan und ortsunabhängig Waren kaufen bzw. sich über Angebote informieren.
APPs bieten meist eine einfache Bedienung an, mittlerweile gilt zudem ein sehr hoher Standard für die
Sicherheit der personenbezogenen Daten (z.B. Bankdaten). APPs sind einfach und schnell zu installieren, manche Geräte bieten heutzutage schon voreingestellte Software an, wie Videosoftware zum
Abspielen kleiner Werbeclips. Auch ist die Nutzung von standortbezogenen Diensten wie GPS von den
modernen Geräten ohne weiteres nutzbar (z.B. zum Auffinden eines Geschäftes). Weiterhin ist die
Anschaffung eines mCommerce fähigen Endgerätes oftmals günstiger als die Anschaffung eines bisherigen Desktop-PCs oder Notebooks (zumindest in Verbindung mit Vertragsangeboten der Netzbetreiber).
Dennoch, auch wenn die Displays größer werden, bieten sie im Vergleich zum Desktop-PC oder Notebook wenig Platz. So kann die Eingabe von Nutzerdaten aufgrund der kleinen Felder ggf. umständlich
sein. Zudem ist die Übertragungsrate des drahtlosen Netzes besonders in ländlichen Räumen noch
nicht auf dem gleichen Niveau wie in Ballungszentren. Und es kann je nach Anbieter auch zu Sicherheitslücken kommen, dies ist aber generell ein Risiko des eCommerce.
Für den Kunden überwiegen in der Bilanz die Vorteile. Dagegen kämpfen Händleraktuell noch mit
Nachteilen. Möchte ein Händler entsprechende Mobile-Websites und APPs anbieten, muss dieser
Kapital für deren Programmierung investieren. Um eine APP bzw. mobile Internetseite so effizient wie
möglich nutzen können, Stichwort Usability (Benutzerfreundlichkeit, sowohl aus der Sicht der Kunden
als auch der Händler), müssen gewisse Anforderungen erfüllt werden, die ebenfalls anfänglich Kosten
verursachen. Unabdingbar sind dabei eine verständliche Navigation zu der Seite hin, ein entsprechend
schneller Seitenaufbau, eine einfache Suchfunktion bzw. Bedienung, eine attraktive Produktpräsentation sowie ein schneller Bestellvorgang. Ebenfalls als immer bedeutender angesehen wird die Anbindung an soziale Netzwerke, der Service und Support und der Kontrast der Seite (man muss bedenken,
dass mobile Geräte oft im Freien angewendet werden, wo Sonnenlicht „stören“ kann). Auch automatisch durchgeführte Zwischenspeicherungen sollten die APPs bzw. mobilen Seiten anbieten, denn trotz
guter Netzabdeckung kann es immer wieder zu Unterbrechungen kommen. Ist dann der bisher getätigte Bestellvorgang verloren, schreckt dies Kunden von einem erneuten Versuch oft zurück. Ebenfalls
sollte die Möglichkeit gegeben sein, den Händler bewerten zu können. So können Kunden schnell
erkennen, ob sich ein Einkauf bei diesem Händler empfiehlt, der Händler kann hingegen auf Kritik
umgehend reagieren. Ebenfalls ist eine automatische Weiterleitung von großem Nutzen: gibt der Nut-
124 http://www.fwpshop.org/ecommerce-ratgeber/mobile-commerce, abgerufen am 05.02.14
35
zer die gängige URL einer Seite ein, sollte er automatisch mit seinem Smartphone oder Tablet auf die
mobile Version der Website geleitet werden, da die „Standardseiten“ heutzutage zumeist noch für
einen Desktop-PC-Bildschirm ausgelegt sind.
Daraus folgend sind nur eingeschränkte Designvariationen vorhanden, der Aufbau von APPs ist oftmals standardisiert. Dies kann allerdings als Vorteil geltend gemacht werden, da Verbraucher mit der
Bedienung einer APP schneller vertraut sind. Zudem minimiert sich die Möglichkeit des Cross-Sellings
und der Händler muss für die Sicherheit der Daten garantieren können. Viele Händler bieten allerdings
erst einmal sowohl APPs als auch mobile Seiten an und implementieren erst bei einem definierten
Erfolg einen mobilen Shop125.
Ist eine entsprechende Investition getätigt worden, kann der Händler so eine schnelle und weite Verbreitung seines Angebotes und somit ein sehr großes Umsatz- bzw. Kundenpotential hinzugewinnen
und nutzen. Verbraucher können sich über ihr Smartphone mit dem Shop/Geschäft identifizieren, da
sie entsprechende Kundenkonten anlegen. Somit werden sie gebunden. Das Kundensegment kann
ausgebaut werden und über ein bisheriges Stammpotential hinausgehen. Außerdem haben am
mCommerce teilnehmenden Händlern Wettbewerbsvorteile gegenüber nicht daran teilnehmenden
Händlern.
Wie mögliche Designvariationen verschiedener, angebotener APPs aussehen können, sollen die Abbildungen 11–13 aufzeigen. Dabei handelt es sich um derzeitig genutzte Designs der großen Ketten
real und Edeka.
Abb. 11: REAL APP, Angebotsübersicht und Einkaufsliste126
Die APPs bieten diverse Nutzungsmöglichkeiten, über das Anzeigen von Angeboten, Bestellmöglichkeiten, der Marktsuche oder Serviceangebote, sowie das Führen von Einkaufslisten oder dem Bekanntgeben von im Markt stattfindenden Aktionen. Ebenfalls werden z.B. bei real kleine Videos bereitges-
125 „Trends im Handel 2020“ KMPG 2012, S. 22
126 http://www.mobilemarketingwelt.com/2010/02/05/mobiles-einkaufen-mit-der-real-app/, abgerufen am 05.02.14
36
tellt, in denen Gerichte vorgekocht werden. Schaut man sich diese an, bekommt man ebenfalls sofort
die dazugehörende Einkaufsliste präsentiert um die Zutaten umgehend kaufen zu können.
Abb. 12: REAL APP, Marktfinder und Serviceangebot127
Sie sind übersichtlich gehalten und vermitteln den Eindruck, dass alles Wichtige komprimiert dargestellt wird.
Abb. 13:, EDEKA APP128
Ebenfalls für Händler immer unabdingbarer, wird die Präsenz in sozialen Netzwerken. Dank dieser gilt
das Prinzip „Mund-Propaganda“ mehr denn je. Händler, denen eigenständige APPs oder mobile Websites anfänglich zu teuer sind, können sich vorerst hierüber kostengünstige Profile erschaffen und
Aktionen bekannt machen129.
127 http://www.mobilemarketingwelt.com/2010/02/05/mobiles-einkaufen-mit-der-real-app/, abgerufen am 05.02.14
128 http://www.apptesting.de/wp-content/uploads/2012/11/mediaTest-digital-Vergleichstest-Edeka-01-200x300.jpg, abgerufen am 05.02.14
129 ebenda, S. 38
37
Welche Optionen haben im Fall des mCommerce nun die LEH-Händler der Wesermarsch? Da viele
Geschäfte wie bereits erwähnt eignergeführt sind, haben die einzelnen Anbieter eine sehr gute Möglichkeit, eigene APPs oder mobile Webseiten unter der Wahrung wirtschaftlicher Vernunft einzurichten
und anzubieten. Ziel muss es sein, das vorhandene Kundenpotential so effektiv wie möglich auszuloten und auszunutzen. Vor allem Auspendler können durch Angebote innerhalb des mCommerce wieder in den heimischen Markt gelockt werden. Bietet ein Unternehmen entsprechende Varianten an, so
hat der Kunde nun die Möglichkeit, sich bequem über die Angebote zu informieren und, sofern dies
ebenfalls angeboten wird, zu bestellen.
Spannender ist allerdings für Lebensmittelgeschäfte die Frage: wie kommt der Kunde zur Ware bzw.
wie die kommt die Ware zum Kunden? Im Gegensatz zu Elektronikartikeln oder Zeitschriften ist es bei
Lebensmitteln aufwendiger, diese zu verschicken. Daher sollte diese Variante eher nicht in Betracht
gezogen werden. Der Händler hat andere Möglichkeiten: Zum einen könnte er bzw. ein Mitarbeiter für
den Kunden den entsprechend bestellten Warenkorb zusammenpacken und bereitstellen. Der Kunde
holt diesen dann in einem vereinbarten Zeitfenster persönlich ab („people to service“). Gezahlt wird
entweder bar oder vereinfacht und zeitsparend elektronisch (per Lastschrift, Kreditkarte oder über
einen Onlinebezahldienst wie Paypal). Für die letzteren beiden Angebote müssen die Händler allerdings Gebühren zahlen. Ob sie diese an den Kunden weitergeben, muss kalkuliert werden. Der Kunde
spart sich so den Zeitaufwand in dem Geschäft selbst und kann z.B. direkt nach der Arbeit auf dem
Heimweg bei dem Händler seine Bestellung „schnell herausholen“. Diese Variante wird auch unter
dem Begriff „drive-in“ genannt. Kennt man diese Geschäftsmodell meist von großen Fastfood-Ketten,
so hat als erstes LEH-Unternehmen real eigene „drive-in“-Geschäfte eröffnet. Dort können Kunden
allerdings ausschließlich vorher bestellen und dann ihre Waren ab zwei Stunden nach Bestellung abholen. Ein Einkauf direkt in den Filialen ist nicht möglich130. Rewe, Globus und Edeka haben zwischenzeitlich nachgezogen131. Für den ländlichen Raum wäre so ein Modell nicht direkt anzuraten. Hier ist
ein Mix-Modell angebracht: der Kunde bekommt sowohl die Möglichkeit „ganz normal“ im Geschäft
seinen Einkauf zu tätigen, als auch via APP, Website oder Fax seinen Einkauf zu bestellen, diesen von
den Verkäufern zusammenstellen zu lassen und dann abzuholen. Ob hingegen eine telefonische Bestellmöglichkeit (speziell für die ältere Kundschaft) angeboten werden sollte, müsste je nach bisherigem Kundenstamm überlegt werden. Die Telefonzeit ist in so einem Fall nicht zu unterschätzen. Umfragen zeigen, dass Verbraucher so eine Möglichkeit immer interessanter finden, gerade in Bezug auf
die Zeitersparnis132.
Zum anderen gäbe es die Möglichkeit, einen Lieferdienst anzubieten. Der Kunde bestellt seinen Warenkorb und bekommt diesen zu einem vorgegebenen oder vereinbarten Zeitfenster persönlich geliefert
(„service to people“). Die möglichen Zahlungsmethoden sind dabei identisch mit der ersten Variante.
Der Vorteil für den Kunden ist neben Zeitersparnis auch, dass er nicht persönlich das Haus verlassen
muss. Gerade für mobilitätseingeschränkte Personen ist dies von Vorteil. Um Kosten zu generieren,
130 http://www.real-drive.de/storeselection;jsessionid=6C4136F03DC168235347E460AF9D663A, abgerufen am 05.02.14
131 „Trends im Handel 2020“ KMPG 2012, S. 45
132 ebenda
38
sollte ein Lieferangebot mit einer geringen Lieferpauschale (gestaffelt nach Einkaufswert) vergütet
werden. Problematisch allerdings sind die etwaigen Anschaffungskosten für einen Lieferwagen. Dieser
muss evtl. über eine spezielle Ausstattung, wie z.B. eine Warenkühlung, verfügen. Ebenfalls ist so die
Möglichkeit des Cross-Sellings nicht gegeben. Ob sich das Lieferangebot für einen Händler lohnt,
muss punktuell kalkuliert werden. Gerade bzgl. der Lieferung von leicht verderblichen Waren, die eine
Kühlkette nicht verlassen dürfen, können hohe Investitionskosten für speziell ausgerüstete Lieferfahrzeuge ein Hinderungsgrund sein. Daher wird generell die Lieferung von Lebensmitteln in Deutschland
auch zukünftig ein Nischendasein fristen und sich eher auf die Lieferung von Spezialitäten fokussieren.
Flächendeckend kann man Lebensmittel auf der Händlerplattform Amazon bestellen, hier aber in erster Linie Trockenwaren wie Nudeln, Reis oder Tütenprodukte (zumeist auch nur als Großgebinde)133.
Den Tiefkühlbedarf decken Spezialisten wie Bofrost oder Heimfrost ab.
4.2
Standortanforderungen
Für den stationären Lebensmitteleinzelhandel ist der Standort maßgeblich entscheidend. Aufgrund der
getätigten Investitionskosten zur Eröffnung desselbigen sollte gewährleistet sein, dass dieser sich
zukünftig auch rentiert. Da man sich für einen sehr langen Zeitraum an seinen gewählten Standort
bindet (je nach Unternehmen kalkuliert man zwischen 15-25 Jahre134), wird in erster Linie das Einzugsgebiet als Prämisse für eine Ansiedlung genommen. Supermärkte und Discounter siedeln sich
daher (wie erwähnt) zumeist nur noch in Einzugsgebieten mit mindestens 5.000 Einwohner an. Kleine
Dorfläden, die von den Ketten konzeptionell betrieben werden, sollten demnach ebenfalls mindestens
ein Potential von 2.500-3.000 Einwohnern als Einzugsgebiet zur Verfügung stehen, um rentabel arbeiten zu können135. Dies gilt gerade in Randlagen großer Ballungszentren (wie hier Oldenburg oder Bremen) mit entsprechend hohen Einkaufsmöglichkeiten. Weitere Standortfaktoren, die von den Unternehmen vorausgesetzt werden, sind die mögliche Anzahl von Parkplätzen, die Kaufkraft, die zukünftige Bevölkerungsentwicklung (demografischer Wandel), die Verkehrsanbindung und die Nähe zum
Verbraucher. Der Trend geht daher zu weniger, aber geräumigeren Verkaufsstellen in Versorgungsagglomerationen in größeren Orten. Dieser Trend ist auch dem in Kapitel 2 beschriebenen sich ändernden Nachfrageverhalten geschuldet. Somit verschlechtert sich im ländlichen Raum die Versorgungslage der mobilitätsschwachen Personen immer weiter136.
Um diesem Trend entgegenzuwirken, um mobilitätsschwache Personen eine ausreichende Nahversorgung gewährleisten zu können und um kleine Ortschaften bzgl. der Nahversorgung im Allgemeinen
wieder attraktiver zu machen, sollen nun entsprechende Möglichkeiten beschrieben werden.
4.3
Mobiler LEH
Da die Lieferung von Lebensmitteln per Zusteller in Deutschland derzeitig und voraussichtlich auch
zukünftig für den Verbraucher uninteressant ist, gibt es in einigen Regionen vermehrt den mobilen
Lebensmittelhandel. Die Waren werden hierbei durch Verkaufswagen direkt zum Kunden gefahren.
133 „Trends im Handel 2020“ KMPG 2012, S. 44
134 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 16
135 ebenda, S. 17
136 ebenda, S. 18
39
Derzeit gibt es in Deutschland rund 1.800 rollende Verkaufsstellen, die ihre Waren mobil anbieten137.
Das Sortiment variiert dabei zwischen 300 und 2.500 Artikeln. Nicht mit eingerechnet ist dabei die Zahl
der spezialisierten Händler (z.B. auf Fisch, Brot oder Fleischwaren). Die Art der Verkaufswagen ist
ebenfalls unterschiedlich: entweder wird direkt aus dem Wagen heraus verkauft (vergleichbar mit einem Imbisswagen, siehe Abbildung 14), oder die Verkaufswagen können begehbare LKWs sein, inkl.
eigener Kühltheke (siehe Abbildung 15).
Abb. 14: Kleiner Verkaufswagen138
Abb. 15: Großer, begehbarer Verkaufswagen139
Zielgebiete sind die Räume, die mittlerweile kaum noch stationäre LEH-Geschäfte aufweisen. Neben
dem ländlichen Raum gilt dies aber auch immer verstärkter für Randgebiete in großen Städten.
Vorrangige Zielgruppe sind dabei Senioren und mobilitätseingeschränkte Personen. Daher versuchen
die mobilen Versorger, ihre Waren so nah wie möglich zu den Kunden zu bringen. Als Vorgabe können
137 http://web.ard.de/themenwoche_2011/?p=752, abgerufen am 06.02.14
138 http://web.ard.de/themenwoche_2011/?p=752, abgerufen am 06.02.14
139 ebenda
40
maximal 20 Meter vom Wohnort sein, optimal ohne eine Fahrbahn überqueren zu müssen140. Aber
auch alle anderen Kundengruppen werden angesprochen, in erster Linie allerdings, wenn es um Zusatzeinkäufe geht (man hat z.B. beim Einkauf im weit entfernten Supermarkt etwas vergessen). Für die
älteren und eingeschränkten Personen bedeuten die Verkaufsfahrer zudem in vielen Fällen große
Hilfen: Sei es beim Zusammensuchen der Artikel, beim Hineintragen schwerer Waren in den eigenen
Haushalt oder nur, um einen kleinen „Klönschnack“ zu halten. Die Fahrer ist sozusagen auch gleichzeitig Sozialarbeiter141.
Ein Großteil der mobilen Händler (ca. 350 Unternehmen) hat sich in dem „Fachverband Mobile Verkaufsstellen“ zusammengeschlossen142. Ziel des Verbandes ist es, bürokratische Hemmnisse abzubauen oder zu verhindern, den Erfahrungsaustausch zu forcieren und das Ansehen des mobilen Lebensmittelkaufmanns in der Öffentlichkeit zu stärken. Zudem werden Mitarbeiterschulungen angeboten
und der Verband unterstützt die Händler bei der Ermittlung neuer Marktmöglichkeiten. Die Mitgliedschaft in dem Fachverband ist dabei kostenlos143. Sollte es erwogen werden, zukünftig mobile Händler
in der Wesermarsch zu nutzen, sollte unbedingt die Zusammenarbeit mit dem „Fachverband Mobile
Verkaufsstellen“ gesucht werden.
Ein großer Vorteil der mobilen Händler ist, dass sie kurzfristig Routenänderungen bzw. –anpassungen
vornehmen können, um somit entsprechend schnell auf sich ändernde Kundenwünsche oder stationärer Geschaftsaufgaben/-eröffnungen und auf nicht rentable Routen eingehen können. Ein stationärer
Handel ist auf seinem fixen Standort angewiesen. Zudem herrscht oft eine enge Beziehung zu den
Kunden, die ein hohes Stammkundenpotential erschaffen kann.
Nachteil sind die je nach Größe des Händlers (in Bezug auf vorhandenen Verkaufswagen) geforderten
Preise der Waren. Einzelkämpfer müssen, vergleichbar mit einem Kiosk, zumeist ihre Produkte aufgrund mangelnder Verhandlungsstärke bei den Produzenten relativ teuer anbieten. Daher schließen
sich immer mehr mobile Händler zusammen, um ihre Verhandlungsmacht auszubauen. Große Unternehmen können somit ihre Waren zu vergleichbaren Preisen wie Dorfläden oder kleine Nahversorger
anbieten. Hohe Anschaffungskosten der Wagen sowie die Abhängigkeit von den Kunden sind ebenfalls Nachteile, die sie aber in ähnlicher Weise mit dem stationären Handel teilen. Insgesamt werden
die Zukunftsaussichten der Branche dennoch als positiv bewertet144.
Neben mobilen Lebensmittelverkaufswagen gibt es mittlerweile u.a. auch rollende Bankfilialen oder
Büchereien. Auch eine mobile Ärzteversorgung ist möglich, bisher gibt es z.B. Varianten in SchleswigHolstein145.
140 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 26
141 http://web.ard.de/themenwoche_2011/?p=752, abgerufen am 06.02.14
142 http://www.bvlh.net/fachverband_mobile-verkaufsst.html, abgerufen am 06.02.14
143 ebenda
144 http://web.ard.de/themenwoche_2011/?p=752, abgerufen am 06.02.14
145 http://www.aerzteblatt.de/archiv/134335/Mobile-Versorgung-Praxis-auf-Raedern, abgerufen am 06.02.14
41
Mobile Angebote sind vor allem in Ortschaften mit weniger als 1.000 Einwohner ohne eigenes Nahversorgungsunternehmen interessant. Auch könnten sie mit temporären Angeboten, wie Wochenmärkten,
zusammen auftreten und so Synergieeffekte erzielen146. Der Expertenbefragung der Studie vom
BMVBS nach, wird dem mobilen Handel das größte Potential zur Sicherung der Nahversorgung im
ländlichen Raum zugetraut, noch vor den stationären Varianten. Gerade durch den demografischen
Wandel wird von einem wachsenden Markt ausgegangen. Voraussetzung sei aber wie erwähnt eine
entsprechend große Flotte an Fahrzeugen, um wirtschaftlich vernünftig agieren zu können147.
4.3.1
Beispiel: HEIKO
Als eines der größeren Unternehmen in der mobilen Verkaufssparte gilt das Unternehmen „HEIKO –
rollende Supermärkte“ aus dem pfälzischen Neuendorf. Im Jahr 1950 wurde das Familienunternehmen
als Hühnerhof gegründet. Mittlerweile werden in über 65 Fahrzeugen Waren in mehr als 2.200 Ortschaften, Städten und Gemeinden länderübergreifend angeboten (siehe Abbildung 16).
Abb. 16: Liefergebiet HEIKO148
Dabei besitzen über 85 % der belieferten Ortschaften keinen eigenen Lebensmittelhandel mehr bzw.
die Geschäfte sind kaum bis gar nicht mit dem Bus oder der Bahn erreichbar. HEIKO hat 170 Mitarbeiter, bedient über 30.000 Kunden und erwirtschaftete für das Jahre 2011 rund 21,5 Mio. Umsatz. Ein
Großteil der Abnehmer sind Frauen, das Durchschnittsalter der Kunden beträgt rund 73 Jahre. Insgesamt 10 % der Kunden decken mit dem Einkauf bei HEIKO ihren Wochenbedarf, 90 % tätigen Ergänzungseinkäufe149. Da mindestens 100 Kunden am Tag notwendig sind, um wirtschaftlich erfolgreich zu
146 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 27
147 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS, S. 209f
148 http://www.heiko.info/
149 http://www.alr-thueringen.de/files/vortrag_steinkamp.pdf,
abgerufen am 06.02.14
42
agieren, müssen die Fahrer einen regelrechten „Spagat zwischen Service und zügigem Verkauf“ hinbekommen150. Man geht aber davon aus, dass sich schon ab einem Umsatz von 30 Euro pro Ortschaft
eine Anfahrt lohnen kann151. Ein Großteil der Waren kommt aus der Region, auch sind telefonische
Vorbestellungen möglich. Die Fahrer liefern zudem die Waren bei Bedarf direkt ins Haus. Weitere
Informationen finden sich unter http://www.heiko.info/.
4.3.2
Beispiel: Frischedienst Nordhorn
Das 2004 aus der Molkereigenossenschaft Nordhorn hervorgegangene Unternehmen beliefert vom
Standort Nordhorn aus mit rollenden Supermärkten in einem Radius von 70 km sowohl Endkunden
(siehe Abbildung 17), als auch Gewerbekunden in einem Radius von 150 km (siehe Abbildung 18)152.
Abb. 17: Lieferradius 70 km153
Abb. 18: Lieferradius 150 km154
150 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 27
151 ebenda
152 www.frischdienst-nordhorn.de/
43
Dabei verfügt das Unternehmen mit seinen 90 Mitarbeitern zum einen über 31 Frischemobile zur Belieferung der über 9.000 Endkunden, und zum anderen über 12 Kühltransporter für die Gewerbe- und
Großkunden (z.B. Krankenhäuser, Altenheime oder Schulen). Angeboten werden mehr als 2.000 Artikel aus dem Food- und Nonfood-Bereich. Regionale Produkte bilden dabei den Kern der angebotenen
Waren. Die Kunden können vorab telefonisch oder per Mail bestellen und haben auch die Möglichkeit,
dem Fahrer eine Einkaufsliste für die nächste Tour mitzugeben. Weitere Informationen finden sich
unter www.frischdienst-nordhorn.de/.
Sollte für den Landkreis Wesermarsch in Betracht gezogen werden, seine Grundversorgung örtlich
über den mobilen LEH zu decken, ist es ratsam, sich mit genannten Unternehmen in Verbindung zu
setzen, um so gegebenenfalls über diese seine Routen abdecken zu können. Vorteil wäre hier, dass
die Unternehmen über ausreichend Markterfahrung und aufgrund ihrer Größe über eine entsprechende Verhandlungsmacht verfügen, um ihre Waren zu vernünftigen Preisen anzubieten.
4.4
Der Dorfladen
Ist in einem Ort kein stationäres Geschäft zur Deckung des Grundbedarfes mehr angesiedelt, der
Wunsch nach Selbigen aber in der Bevölkerung vorhanden, kann die Möglichkeit ausgelotet werden,
einen Dorfladen zu errichten.
Vorweg, zu betonen ist, dass ein Dorfladen nur durch ein vorhandenes bürgerliches, wirtschaftliches
und kommunales Engagement realisiert werden kann und vor allem tragfähig sein muss. Die Bürger
sind gefragt, wenn es um die Besetzung von u.U. auch ehrenamtlichen Stellen innerhalb des Dorfladens geht. Unumgänglich ist aber der Wille und die Bereitschaft in dem ansässigen Dorfladen auch
einzukaufen, um dessen wirtschaftliche Grundlage zu sichern. Auch könnte mit Hilfe der Bürger ein
Genossenschaftsmodell entstehen. Die örtliche Wirtschaft ist ebenfalls mit in das Boot zu holen, wenn
es um den Bau/Umbau des Ladengebäudes eines solchen Projektes geht. Ansässige Baufirmen,
Elektriker, Monteure usw. sollten mit einbezogen werden, auch in Hinsicht auf mögliche ehrenamtliche
Arbeiten. Schließlich ist es ja auch in ihrem Interesse, Menschen im Ort zu halten. Die Kommune ist
gefragt, wenn es um die Bereitstellung z.B. von in Gemeindeeigentum befindlichen Grundstücken oder
Gebäuden und die Unterstützung bei der Beschaffung möglicher Fördermittel geht. Sie kann Beratungsleistungen einkaufen und durch verschiedene Maßnahmen die Bevölkerung mit einbinden und
bei dieser die nötige Akzeptanz schaffen155. Können kommunale Vertreter anfänglich ob der Kosten
eher skeptisch veranlagt sein, müssen sie von den Initiatoren solcher Ideen überzeugt werden.
Wichtig ist zudem die Integrierung von Dienstleistungsangeboten. Möglichkeiten diesbezüglich gibt es
genug: eine Post- bzw. Lottoannahmestelle, Bankautomaten, Vertretungen von Reisebüros, Krankenkassen oder den lokalen Energieversorgern, Tourist-Informationen, Sozialberatungen, Reinigungen
oder einem Partyserviceangebot. Diese Zusatzangebote sollen vorrangig Menschen in die Länden
153 ebenda
154 ebenda
155 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 33
44
locken, um somit das Hauptangebot, den Lebensmittelmarkt, zu fördern156. Wenn der nötige Platz
vorhanden ist und es finanziell umsetzbar ist, können ebenfalls Veranstaltungsräume integriert werden. Kooperationen mit nahversorgungsrelevanten Händlern (Bäcker, Fleischer, ansässige Landwirte)
sollten eingegangen werden, um regionale Produkte anzubieten. Für die übrige Warenversorgung ist
ein Großhändler mit günstigen Konditionen zu wählen.
Das Dorfladenmodell kann sowohl gewinnorientiert durch einen Kaufmann in Zusammenarbeit mit
Handelsketten (siehe auch Kapitel 4.5) als auch unter der Schirmherrschaft einer bürgerlichen Initiatoren-Gruppe oder in Form eines Vereins als Genossenschaftsmodell rein kostendeckend agieren.
Erstere haben allerdings oftmals Probleme bei der Kapitalbeschaffung, da ein gewinnorientierendes
Unternehmen im ländlichen Raum aus Sicht der Banken ein Risiko darstellt157. Bei Letzteren würde die
Gesellschaftseinlage eine Kreditaufnahme möglicherweise unnötig machen oder zumindest den Kreditbetrag reduzieren. In diesem Fall steht die Grundversorgung im Mittelpunkt. Die Kostendeckung ist
einfacher zu erreichen, da die Gewinnentnahme eines Eigners entfällt. Auch wird ein Risiko auf mehrere Schultern verteilt. Die Leitung des Ladens sollte hierbei entweder über die kalkulierten Mitarbeiterkosten honoriert werden, bestenfalls könnte aber auch eine ehrenamtliche Kraft für diese Aufgabe
gefunden werden. Die Personalkosten sollten maximal 20 % des Umsatzes verbrauchen, Angestellte
daher in erster Linie aus Teilzeit- und Aushilfskräften bestehen. Eine Mittagspause kann die Personalkosten weiter reduzieren und ist im ländlichen Raum allgemeinhin verbreitet158. Nicht zu vergessen ist
bei einem genossenschaftlichen Modell der psychologische Aspekt, da die Menschen einen viel direkteren Bezug zu dem Dorfladen haben, in dem sie Geld investiert haben und somit eher bereit sind, in
diesem einzukaufen. Somit soll eine höhere Kaufkraftabschöpfung im Ort erreicht werden, um damit
die Rentabilität zu gewährleisten159. Als problematisch hierbei wird angesehen, dass auf Dauer das
ehrenamtliche Engagement oder die Begeisterung für einen solchen Laden nachlassen könnte160.
Lebensqualität zu schaffen, Unterversorgung durch Eigeninitiative zu verhindern, einen Ortsmittelpunkt
zu schaffen, Einwohner (also Steuerzahler) zu halten – dies sind die Ziele, die mit Hilfe eines Dorfladens erreicht werden sollten und erreicht werden können. Aufgrund wahrscheinlich steigender Treibstoffpreise für PKWs und des demografischen Wandels wird einem Dorfladen ein durchaus ordentliches
Zukunftspotential bescheinigt161.
Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung eines solchen Projektes gibt es viele. Eine sehr gute Informationsquelle diesbezüglich ist das „Dorfladen-Netzwerk“ aus Otersen, Landkreis Vechta (mehr unter
4.3.1). Dieses steht mit Tipps und Ratschlägen Gründern und Visionären zur Seite. Auch ist über dieses Netzwerk der Ratgeber „Handbuch zur Sicherung der Nahversorgung“ gegen eine Schutzgebühr
erhältlich, in dem Schritt für Schritt die Vorgehensweise von der Idee bis zu der Eröffnung eines sol-
156 ebenda, S. 23f
157 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 30
158 ebenda, S. 32
159 ebenda, S. 26
160 ebenda
161 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS, S. 205
45
chen Ladens vorgestellt wird162. Ebenso das in Barmen/Jülich erarbeitete „DORV-Konzept“ zeugt von
einer erfolgreichen Umsetzung eines Dorfladens und wird ebenfalls mittlerweile in anderen Ortschaften
bundesweit umgesetzt (siehe 4.3.2). Handelsunternehmen wie Markant könnten zudem unterstützend
in Erscheinung treten163. Diese zielen allerdings in erster Linie auf wirtschaftliche Interessen ab. Mehr
dazu im nachfolgenden Kapitel 4.4.
Kommunale Wirtschaftsförderungen und Beratungsdienstleister können bei möglichen Fördergeldanträgen und Fördergeldfragen weiterhelfen. In der Wesermarsch ist hierbei das Regionalmanagement
„Wesermarsch in Bewegung“ aufgrund der hiesigen Leader-Region ein erster Ansprechpartner164. Alle
Fördergeldmöglichkeiten hier aufzulisten, würde dabei zu sehr ins Detail gehen. Informationen sollten
daher unbedingt von entsprechenden Fachleuten eingeholt werden, zumal sich Bestimmungen, Richtlinien und die Höhe der Fördermittel periodisch ändern und angepasst werden. Auch das Jobcenter ist
mit einzubeziehen, da dieses möglicherweise, gerade anfangs, einzustellende Arbeitskräfte finanziell
fördern könnte.
Allerdings kann ein Dorfladen auch scheitern. Ein Beispiel hierfür ist der erst im Juli 2008 eröffnete
Dorfladen in Böhlen, einem 600-Einwohner-Dorf in Thüringen. Dieser musste am 31.12.2013 seine
Pforten wieder schließen. Trotz anfänglicher sehr hoher Bereitschaft für das Projekt, erfolgreiche Bewilligung von Fördermitteln165 und viel Hoffnung wurden die Erwartungen nicht erfüllt. Laut Angaben
des dortigen Bürgermeisters haben 70 Dauer- und 40 Gelegenheitskunden nicht ausgereicht, um einen wirtschaftlich vernünftigen Betrieb zu ermöglichen. Die Gemeinde musste immer wieder einspringen, um offene Rechnungen auszugleichen. Daher hat der ansässige Gemeinderat die Reißleine gezogen und das Projekt aufgegeben166. Die Einwohner müssen nun wieder in das 3,5 km entfernte
Großenbreitenbach zum Einkaufen fahren. Allgemein wird als problematisch angesehen, dass das
Warenangebot der Dorfläden oftmals zu klein ausfällt. Die teils höheren Preise gegenüber Supermärkten und Discountern, die hohe Mobilität und die Abnehmende Bereitschaft der örtlichen Bevölkerung in
ihrem Dorfladen einzukaufen, könnten ebenfalls zu erheblichen, wirtschaftlichen Problemen führen167.
4.4.1
Dorfladen Otersen und das Dorfladen-Netzwerk
In dem 600-Einwohner-Dorf-Otersen schloss 2001 aus Altersgründen das letzte Lebensmittelgeschäft.
Da in dem direkten Einzugsgebiet gerade einmal rund 750 Einwohner lebten, war klar, dass keine
LEH-Kette sich hier zukünftig ansiedeln würde. Weil die Schließung des letzten Geschäfts abzusehen
war, schlossen sich Ende des Jahres 2000 rund 70 Gesellschafter zu der „Use lüttje Dörpsladen Gesellschaft des bürgerlichen Rechts mit Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftskapital“ (GbRmbH) zusammen. Zusammen konnten sie ein Eigenkapital in Höhe von über 100.000,DM zur Gründung aufbringen. Schon im April 2001 eröffnete der „Use lüttje Dörpladen“ an sieben
162 http://dorfladen-netzwerk.de/
163 http://www.nahversorgeroffensive.de/index.cfm?nvo_modul=nahversorger, abgerufen am 06.02.14
164 www.wesermarsch-in-bewegung.de
165 http://www.alr-thueringen.de/files/vortrag_bersen.pdf, abgerufen am 06.02.14
166 http://ilmenau.thueringer-allgemeine.de/web/lokal/politik/detail/-/specific/TA-Reporter-Dorfladen-in-Boehlen-muss-zum-Jahresende-
schliessen-48375613, abgerufen am 06.02.14
167 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS, S. 206f
46
Tagen in der Woche seine Türen. Da das Konzept zur Erhaltung der dörflichen Grundversorgung immer weiter entwickelt wurde, ist im Jahr 2004 das „Dorfladen-Netzwerk“ unter der Schirmherrschaft
des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff gegründet worden. Im Jahr
2008 erschien das Dorfladen-Handbuch, welches mittlerweile bundesweit nachgefragt wird. Nach 10
Jahren erfolgreichen Handelns konnte eine eigene Immobilie erworben werden, in der im April 2011
der „Dorfladen Otersen“ (nun auch unter diesem Namen) inklusive einem angrenzenden Café eröffnet
wurde168. Abbildung 2 unter Punkt 1.2.2 auf Seite 5 zeigt die Front des Dorfladens. Auf 180 m² Fläche
werden rund 2.700 Artikel angeboten. Viele davon stammen aus der Region. Die Qualität hat dabei
oberste Priorität. Zudem werden verschiedene Dienstleistungen, wie eine Paket- oder eine Lottoannahmestelle, bereitgestellt. Da der Dorfladen von den Einwohnern wie erhofft angenommen wird, ist
das wirtschaftliche Überleben gesichert. Preislich kann man zudem mit Supermärkten und Discountern
in der Region mithalten. Als Renditeziel wird die Steigerung von Lebensqualität für die Menschen in
der Region ausgegeben169.
Dass dies keine hohle Phrase ist, bezeugt der Erfolg des „Dorfladen-Netzwerkes“. Mittlerweile sind
mehr als 40 Dorfläden in dem “Dorfladen-Netzwerk“ eingetragenes Mitglied. Diese sind dabei über
ganz Deutschland verteilt. Dies steigert natürlich die Marktmacht vom „Dorfladen-Netzwerk“, so dass
man auch ein großes Geflecht von Lieferanten und Partnern aufweisen kann, wie die Abbildung 19
verdeutlicht.
Abb. 19: Netzwerkpartner Dorfladen-Netzwerk170
168 http://dorfladen-netzwerk.de/niedersachsen/otersen/
169 http://www.generationplus.de/themen/miteinander/unser-schoener-dorfladen.html, abgerufen am 06.02.14
170 http://dorfladen-netzwerk.de/lieferanten-partner/, abgerufen am 06.02.14
47
Von Bürgern, für Bürger. Weiterführende Informationen findet man auf der Website vom „DorfladenNetzwerk“ unter http://dorfladen-netzwerk.de.
4.4.2
DORV-Konzept
Vom Prinzip her ähnlich – von Bürgern, für Bürger – ist das „DORV-Konzept“. Dies ist ebenfalls eine
aus der Not heraus geborene Idee gewesen. Seinen Ursprung hat das Konzept in dem kleinen Örtchen Barmen/Jülich, zwischen Köln und Aachen liegend. In dem 1.300-Einwohner-Dorf schloss Anfang der 1990er Jahre das letzte Geschäft, mit der Sparkasse verschwand 2001 „die letzte Verbindung
zur Außenwelt“171. Doch statt zu resignieren haben sich Menschen gefunden, die sich mit dem Status
Quo nicht abfinden wollten. Ihnen war klar, dass ein kleiner Ort ohne eigene Nahversorgung auf mittlere Sicht aussterben wird, gerade auch in Hinblick auf den schon so viel zitierten demografischen Wandel. Das Ziel war klar: „Die Leute müssen lebenslang in Barmen bleiben können“172.
Der Initiator dieses Konzeptes war Heinz Frey. Zusammen mit von ihm gewonnen Mitstreitern erarbeitete man ein erstes Grobkonzept. Hierzu wurde Pressearbeit verrichtet, es sind Flyer an die örtliche
Bevölkerung und mögliche Partnerunternehmen verteilt und auf örtlichen Veranstaltungen für die Idee
geworben worden. Des Weiteren reiste man in andere Ortschaften der Republik, wo ähnliche Projekte
umgesetzt wurden, um weitere Denkanstöße zu bekommen. Die Idee eines kleinen, reinen Lebensmittelladens wurde dank dieser erhaltenen Inputs schnell um die Dienstleistungskomponente erweitert.
Nach zwei Jahren des Planens wurde Anfang 2003 der Verein „DORV – Dienstleistung und ortsnahe
Rundum-Versorgung“ gegründet. Als nächster Schritt musste das benötigte Startkapital in Höhe von
100.000,- € aufgetrieben werden. Da die Stadt Jülich und die Sparkasse frühzeitig abwinkten, beschloss man, die benötigten finanziellen Mittel aus der Bevölkerung zu akquirieren. Es wurden Geschäftsanteile in Höhe von durchschnittlich 230,- € je Anteil an die Barmener direkt ausgegeben, mit
5.000,- € beteiligte sich die Gemeinde173. So wurden 25.000,- € gesammelt. Weitere 25.000,- € bekam
man durch private Kredite zu einer geringen Verzinsung ebenfalls über einige örtliche Privatpersonen.
Die somit noch offenen 50.000,- € bekam man von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)174.
Als nächstes wurde das zukünftig anzubietende Produktportfolio bestimmt. Dieses wurde aus Lieferanten der näheren der Umgebung (Bäcker, Fleischer, Gemüsebauer) sowie einer GroßhändlerGemeinschaft, die sich auf die Belieferung von kleinen Geschäften spezialisiert hat, gewonnen. So
bekam man die Möglichkeit, nur die Waren und vor allem die Mengen abzunehmen, welche man wirklich benötigte. Auch konnten die „Dörvler“ ihre Verkaufspreise selbstbestimmend festlegen. Angefragten Großhändlern wie Edeka und Rewe war das Geschäft hingegen zu klein.
Zuletzt wurden die zukünftigen Mitarbeiter für die verschiedenen Tätigkeitsfelder angeworben. Wichtig
war hierbei, dass nur Leute eingestellt wurden, die wirkliches Interesse an der Vision, die hinter all
171 „Aus dem Nichts“, Brand Eins 06/2007, S. 155
172 ebenda
173 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS, S. 123
174 „Aus dem Nichts“, Brand Eins 06/2007, S. 161
48
dem stand, hatten. Sowohl die Geschäftsleiterin als auch bspw. die Fleischereifachverkäuferin kommen daher aus dem Ort selbst175. Im September 2004 eröffnete der DORV-Laden in Barmen.
Mittlerweile hat die Sparkasse einen Bankautomaten in dem DORV-Laden aufgestellt, für den sie Miete zahlt. Es können Kommunalformulare ausgefüllt werden, die von einer ortsansässigen Mitarbeiterin
mit auf das Amt in Jülich genommen werden. Auch gibt es die Möglichkeit, Zeitungsanzeigen aufzugeben (für diese die Zeitung eine Gebühr entrichtet) und ein Pflegedienst bietet seinen Dienst an, für den
er ebenfalls im Vertragsfall eine Provision zahlen muss. Mit diesen zusätzlichen Einnahmen erwirtschaftete der Laden zeitweise einen kleinen Gewinn, der zur Refinanzierung der aufgenommen Kredite sowie für eine Rücklagenbildung verwendet wurde176.
Heute bieten die Leute, die vor vielen Jahren eine Idee hatten, ihre Dienste als Berater für dieses Konzept selber an. Die Basis bildet dabei ein 5-Säulen-Modell, welches in Abhängigkeit des örtlichen Bedarfes verwirklicht wird. Diese sieht wie folgt aus177:
Abb. 20: 5-Säulenmodell des DORV-Konzeptes178
175 „Aus dem Nichts“, Brand Eins 06/2007, S. 161
176 ebenda
177 http://www.dorv.de/konzept---idee/5-saeulenmodell/index.html, abgerufen am 12.02.2014
178 ebenda
49
1. Säule: Grundversorgung – Verkauf von Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs.
2. Säule: Dienstleistungen – Verkauf oder Bereitstellung von öffentlichen, halböffentlichen und
privaten Dienstleistungen in einem besucher- und beratungsfreundlichen Bereich.
3. Säule: Soziales Leistungsangebot und medizinische Versorgung – Bereitstellung, Vermittlung
und Koordinierung sozialer Dienstleistungen und medizinischer Versorgung.
4. Säule: Kommunikation – DORV als Zentrum der Kommunikation und der Vernetzung im Ort.
5. Säule: Kultur – DORV als Veranstaltungsort für kulturelle Aktivitäten.
Möchte man in seinem Ort selber ein solches Zentrum nach Vorbild des DORV-Prinzips umsetzen,
stehen die Experten von der DORV-GmbH einem begleitend zur Seite. Die Beratung schließt eine
Basis- und weiterführend eine Bedarfsanalyse ein. Auch bei der Erstellung eines Businessplans, eines
Finanzierungskonzeptes, der Personalauswahl bzw. dem Betreiberkonzept oder der Einrichtungsplanung wird geholfen. Nach Eröffnung eines Ladens entsprechend den Grundsätzen des DORV-Prinzips
stehen die Experten ebenfalls auch weitergehend zur Verfügung.
Mittlerweile wird diese Idee deutschlandweit exportiert und ist anderswo auch schon umgesetzt worden. Insgesamt 11 Zentren sind seitdem eröffnet worden, wovon das DORV-Zentrum in Völlinghausen
im Jahr 2013 allerdings Insolvenz anmelden musste. Wie schon bei dem negativen Beispiel des Dorfladens Böhlen (vergleiche Kapitel 4.4) war auch hier die mangelnde Bereitschaft der örtlichen Bevölkerung in dem DORV-Laden einzukaufen, Ursache an der Insolvenz179. Während in Böhlen der Laden
allerdings gänzlich geschlossen wurde, versucht man in Völlinghausen den Dorfladen zu erhalten.
Ideen und Pläne diesbezüglich gibt es schon, aber ohne die tatsächliche (bisher nur auf dem Papier
vorhandene) Bereitschaft der Bürger wird dies nicht nachhaltig funktionieren180. Auch das erste Zentrum in Barmen schreibt mittlerweile, dem „Dorfladen-Netzwerk“ nach, anscheinend Verluste. Ob und
inwieweit aber die Zukunft davon betroffen ist, steht noch nicht fest181. Es wird an den Bewohnern
liegen, ob sie an ihrem DORV-Laden festhalten oder nicht. Weitere Informationen zu dem DORVKonzept findet man auf der Website www.dorv.de.
In der Studie „Nahversorgung im ländlichen Raum“ vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS) finden sich weitere Beispiele für durchgeführte Konzeptionen.
4.4.3
De Lüttje Laden Neustadt/Ovelgönne
Ein Beispiel für einen kleinen Dorfladen im Landkreis Wesermarsch, der durch die Initiative von ortsansässigen Gründern eröffnet wurde, findet sich mit dem „Lüttje Laden“ in Neustadt im Zentrum der
Gemeinde Ovelgönne (siehe Abbildung 21).
179 http://www.soester-anzeiger.de/lokales/moehnesee/dorv-laden-voellinghausen-insolvenz-angemeldet-3192354.html , abgerufen am
06.02.14
180 http://www.soester-anzeiger.de/lokales/moehnesee/dorv-laden-voellinghausen-soll-weiterleben-3305174.html , abgerufen am 06.02.14
181 http://dorfladen-netzwerk.de/2014/02/faktencheck-11-dorv-zentren-von-denen-alle-eine-schwarze-null-schreiben/#more-3644, abgerufen
am 06.02.14
50
Abb. 21: Außenfront vom „Lüttje Laden“ im „Neustädter Hof“182
Seitdem der ehemals ansässige Kiosk einige Jahre zuvor schloss, versorgte bis vor kurzem nur noch
ein ortsansässiger Bäcker die Anwohner im direkten Einzugsgebiet mit Backwaren. Ein Lebensmittelgeschäft erreichte man erst wieder im knapp 6 km entfernten Ovelgönne.
Der „Lüttje Laden“ ist in das Konzept zur Neueröffnung des „Neustädter Hofs“ integriert. Nachdem
2008 der letzte Gasthof im gleichen Gebäude schloss und es somit eine sehr lange Zeit nichts Vergleichbares in der Umgebung gab, schlossen sich mehrere Neustädter zusammen, um diesen Missstand aus eigener Kraft zu beheben. Das Projekt „Neustädter Hof“ wurde im Mai 2012 durch die Gründung der „Dorfgemeinschaftshaus Neustadt e.G.“ offiziell gestartet. Gesellschaftliches Ziel war es, mit
dem Wiederbeleben der Gaststätte, zukünftig wieder einen Dorfmittelpunkt sowie durch den „Lüttje
Laden“ wieder einen Grundversorger vor Ort zu besitzen. Der „Neustädter Hof“ beherbergt neben dem
„Lüttje Laden“ auch einen großer Saal, einen Clubraum sowie eine Kegelbahn. Veranstaltungen wie
Kohltouren, Feierlichkeiten jeder Art oder Vereinssitzungen können nun wieder im Zentrum von Neustadt abgehalten werden.
Das Startkapital für dieses Projekt in Höhe von 120.000,- € wurde zum einen über Genossenschaftsanteile und zum anderen über Fördergelder eingeholt. Genossenschaftsanteile für 100,- € je Anteil
zeichneten sowohl Mitbürger, als auch Firmen aus dem näheren Umland, die Gemeinde Ovelgönne
und die ansässige Bank. So konnte eine Bilanzsumme der Genossenschaft von rund 75.000,- € erreicht werden. Auch heute können weiterhin Genossenschaftsanteile erworben werden. Finanzielle
Fördermittel wurden den Gründern aus den Mitteln des Leader-Programms (22.500,- €) sowie aus den
Mitteln der Lokalen Aktionsgruppe „Wesermarsch in Bewegung“ (12.500,- €) zur Verfügung gestellt183.
Wirtschaftliches Ziel ist es, neben einer mindestens kostendeckenden Arbeit, in naher Zukunft auch
einen Gewinn zu erwirtschaften, um die Genossenschaftsanteile vergüten zu können.
182 Foto eigenes
183 http://www.bv-neustadt-roennelmoor.de/rettungsaktion/1-generalversammlung/index.html, abgerufen am 13.02.2014
51
Eröffnet wurde der „Neustädter Hof“ Ende 2013. Mittlerweile agiert der Hof sehr erfolgreich. Alle Veranstaltungswochenenden sind bis Mitte 2014 ausgebucht184. Ebenfalls zufrieden mit der Entwicklung
des „Lüttje Laden“ ist dessen Betreiber Thomas Peters. Herr Peters stand dem Verfasser dieser Arbeit
in einem Interview am 19.02.2014 persönlich zur Verfügung. Er wollte demnach von Beginn des Projektes an als Betreiber des kleinen Geschäftes fungieren, besaß er schon Erfahrungen im, aber auch
die Lust am Kioskbetrieb. Seit Eröffnung des „Lüttje Ladens“ am 13.10.2013 steht nun Herr Peters an
sieben Tagen in der Woche hinter der Kasse und versorgt seine Kunden mit den alltäglichen Lebensund Gebrauchsmitteln. Er selber hatte sich für seinen Aufgabenbereich Unterstützung und Beratung
von der Wirtschaftsförderung Wesermarsch und der IHK Oldenburg geholt, die ihm sehr hilfreich zur
Seite standen. Ebenfalls sehr zufrieden zeigt sich Herr Peters mit der Unterstützung aus der Bevölkerung. Nicht nur, dass so viele Menschen Anteile an der Genossenschaft gezeichnet hätten (fast 300
sind es mittlerweile), auch wird der Laden sehr gut angenommen. Da er keiner Lieferantenbindung
unterliegt, kann Herr Peters je nach Angebotslage der Großhändler (aber auch sonstigen Lebensmitteleinzelhändlern) seine Waren zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten. Ein sehr gutes Geschäft
macht er demnach mit dem Verkauf von Backwaren und selbst geschmierten Brötchen. Zudem verkauft er frische Lebensmittel wie Fleisch- und Wurstwaren von regionalen Produzenten, was ebenfalls
von den Konsumenten honoriert wird. Außerdem orientiert sich Herr Peters an den Wünschen seiner
Kunden und kann so sein Angebot immer kurzfristig anpassen oder auch mal Extrabestellungen bedienen. Er plant mit saisonalen Aktionen, bspw. im Frühjahr mit Grünkohlangeboten, im Sommer wird
hingegen verstärkt der verkauf von Eistüten und Grillgut forciert. Auch zielt Herr Peters mit seinem
Laden auf den Fahrradtourismus ab. Der „Lüttje Laden“ kann schon heute als Anlaufpunkt für eine
Pause dienen, da man die direkt angrenzenden Räumlichkeiten des Gasthofes zum Verweilen nutzen
kann. Entsprechende Erfrischungen und kleine Snacks werden angeboten. Seit Mitte Februar 2014
bietet Herr Peters in Zusammenarbeit mit der DHL eine Paketannahme an. Ebenfalls breite Unterstützung findet der Laden durch die örtliche Feuerwehr und den Bürgerverein, die hier ihre Utensilien für
eigene Veranstaltungen kaufen. Für solche Veranstaltungen, aber auch für mobilitätseingeschränkte
Personen, wird weiterhin ein Lieferservice angeboten. Weitere Informationen findet man unter
http://www.bv-neustadt-roennelmoor.de/ erhalten oder selber einmal vorbeischauen.
4.5
Nahversorgungskonzepte der großen Einzelhändler
Ebenfalls bieten verschiedene Nahversorger kleine Filialkonzepte an. Ob diese allerdings für Ortschaften und Dörfer mit Einwohnerzahlen von 1.500 und weniger auch zukünftig umgesetzt werden, ist nach
heutigem Stand zu bezweifeln. Dennoch sollte man die Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen,
sondern möglicherweise das Gespräch suchen. Man muss sich aber im Klaren sein, dass so ein Gespräch auch ernüchternd laufen kann. Dies liegt aber zumeist an der gänzlich anderen wirtschaftlichen
Denkweise der großen Unternehmen.
Mit Edeka und Markant sollen an dieser Stelle zwei Unternehmen genannt sein, die auch heute schon
unter verschiedenen Labels in der Wesermarsch vertreten sind. Edeka ist dabei größtenteils durch die
„Edeka - nah und gut“ Märkte im ländlichen Raum vertreten, die i.d.R. zwischen 400 und 600 m² groß
sind. Markant bietet sogar verschiedene Filiallösungen unter den Oberbegriff „Nahversorgeroffensi184 http://www.bv-neustadt-roennelmoor.de/rettungsaktion/geschaeftsmodell/index.html, abgerufen am 13.02.2014
52
ve“ an185. Man unterstützt dabei die Einzelhändler mit auf deren Bedürfnisse zugeschnittenen Konzepten und steht beratend zur Seite. Dies beruht auf einem Franchise-Modell. Die verschiedenen Geschäftsmodelle variieren dabei zwischen einer Verkaufsfläche von 70 – 2.000 m². Namentlich heißen
diese u.a. „Nah und Frisch“, IK – Ihr Kaufmann“ oder „Ihre Kette“. Die Unternehmen bieten dabei verschiedene Leistungen an. Dies geht über eine Gründungsberatung inkl. Standortwahl, über die Bereitstellung des Einrichtungsmobiliars, der Beratung der Sortimentszusammenstellung hin zu einer Filialübergreifenden Werbung186. Die Filialkonzepte werden dabei für Einzugsbereiche ab 1.000 Einwohner
angeboten. Wie aber schon genannt, setzt man zumeist ein Einzugsgebiet von mindestens 2.500
Einwohnern voraus. Allerdings finden diese Konzepte bei altersbedingtem Ausscheiden des bisherigen
Betreibers oftmals keinen Nachfolger, so dass z.B. Edeka sein „nah und gut“ Konzept langsam auslaufen lässt187.
4.6
Möglichkeiten der Gemeinden und des Landkreises
Kommunale Verwaltungen können direkt als Auftraggeber fungieren. Sei es, um Machbarkeitsstudien
in Arbeit zu geben oder als Auftraggeber für mobile bzw. stationäre Versorger zu dienen. Als Beispiel
ist der Randbezirk von Frankfurt/Main genannt: dort gibt es in verschiedenen Stadtteilen drei „SmartMärkte“. Dies sind Supermärkte, die von dem „Sozialwirtschaftlichen Werkstatt-Verein Frankfurt“ betrieben werden. Auftraggeber sind aber die Stadt Frankfurt, die Arbeitsagentur sowie das Jobcenter.
Man arbeitet mit dem Rewe-Konzern zusammen, der für die Ladeneinrichtung und Warenbelieferung
zuständig ist, so dass Preise auf normalem Supermarktniveau gewährleistet sind. Gleichzeitig dienen
diese Geschäfte auch als ortsnahe Treffpunkte für die Bevölkerung188. Auch die schon beschriebenen
rollenden Supermärkte der Firma HEIKO (Kapitel 4.3.1) sind von der Stadtverwaltung Köln damit beauftragt worden, unterversorgte Bezirke anzufahren, um deren Grundversorgung zu gewährleisten189.
Auch können Anreize und Möglichkeiten geschaffen werden, die zur Verbesserung einer flächendeckenden Grundversorgung führen. Dies geht über die Unterstützung im regelrechten Fördergelddschungel, über die kostengünstige Bereitstellung von gemeindeeigenen Flächen und Gebäuden, der
Hilfestellung bei bürokratischen Hürden bis hin zur Kontaktfindungsunterstützung190. Die Zusammenarbeit mit der ansässigen Wirtschaft sollte intensiviert werden, auch im Hinblick auf die Bereitstellung
von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für die Region. Kommunikation ist hier das Zauberwort. Dies ist
mehr als deutlich auf der Veranstaltung „Erfolgreich am Markt“ am 18.12.2013 in Nordenham im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit dem neuen Landrat Thomas Brückmann geworden. Als Ziel ist u.a.
festgehalten worden, die Kommunikation zwischen den einzelnen Akteuren (wie dem Landkreis, der
Handwerkskammer oder Industrie- und Handelskammer und den hiesigen Wirtschaftsunternehmen) zu
optimieren, um zukünftig schneller Möglichkeiten zu erkennen und effektiver handeln zu können.
185 http://www.nahversorgeroffensive.de/index.cfm?nvo_modul=konzepte , abgerufen am 06.02.14
186 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS 2013, S. 22
187 ebenda, S. 17
188 http://www.welt.de/regionales/frankfurt/article121537109/Versorgung-in-Gemeinden-soll-besser-werden.html, abgerufen am 13.02.2014
189 http://www.ksta.de/nippes/niederlaender-ufer-rollender-supermarkt-in-riehl,15187558,25887632.html , abgerufen am 14.02.2014
190 „Nahversorgung in ländlichen Räumen“, BMVBS, S. 39
53
Weiterhin sollte die Wesermarsch auch außerhalb ihrer Grenzen bekannter gemacht werden, sei es
durch Veranstaltungen der hiesigen Wirtschaftsförderung oder durch das Auftreten von entscheidenden Personen der lokalen Politik und Verwaltung auf bspw. regionalen und überregionalen Anlässen.
Attraktiv soll sich die Wesermarsch nach außen hin geben, sowohl für Unternehmen als auch für zuzugswillige Menschen. Die Gemeinden und der Landkreis sollten einen Rahmen schaffen, der die
prognostizierten Zahlen des demografischen Wandelns abschwächt. Auch um zukünftigen Nahversorgungskonzepten den Nährboden in Form von Konsumenten geben zu können.
Ein großer Schritt in die richtige Richtung sind die im Jahr 2013 vom Landkreis beschlossenen Arbeitsgruppen im Rahmen des „Kreisentwicklungskonzeptes“. In diesen Arbeitsgruppen sitzen Personen aus der Verwaltung, den Gemeinden, aber auch öffentlichen Einrichtungen zusammen.
Folgende Gruppen arbeiten derzeitig an verschiedenen Zielen, die zur Verbesserung des Status ihres
jeweiligen Themengebietes führen sollen:
1.
2.
3.
4.
5.
Arbeit und Wirtschaft
Bildung
Familienfreundliches Wohnen und Leben
Grundversorgung
Inklusion und Teilhabe
Dazu wurden während einer internen Blockveranstaltung für jeden Bereich aus der Kreispolitik verschiedene Ziele definiert, die die einzelnen Gruppen fortan hinsichtlich der Umsetzungsmöglichkeiten
ausarbeiten dürfen. Die Zielvorgaben der Arbeitsgruppe „Grundversorgung“, aufgrund dessen auch
diese Abhandlung entstanden ist, lauten dabei wie folgt:
-
Eine regelmäßige Anbindung der Kommunen an die Mittel- und Oberzentren soll erreicht werden.
Die Zubringerstruktur der Linie „Wesersprinter“ soll optimiert werden.
Die Tarifstruktur ist familienfreundlicher und sozialer zu gestalten.
Es soll ein zielgruppenorientiertes Angebot vorgehalten werden.
Die Verknüpfung von SPNV191 und ÖPNV soll optimiert werden.
Eine wohnortnahe ärztliche Grundversorgung soll sichergestellt werden.
Alternativmodelle sind zu definieren („mobiler Arzt“ o.ä.)
Eine wohnortnahe Apothekenversorgung (oder Alternativangebot) sei sicherzustellen.
Wohnortnahe Dienstleistungszenten sollen vorhanden sein: Post/Nahrungsmittel/Sonstiges
für den täglichen Bedarf.
Mittlerweile sind auch die Bürger direkt mit in die Thematik eingebunden worden. So fand am
03.02.2014 eine Bürgerversammlung in Rodenkirchen statt, auf der die interessierten Wesermärschler
eigene Vorschläge und Ideen zu den einzelnen Themengebieten mit einbringen sollten. Diese Verans-
191 Schienenpersonenverkehr
54
taltung ist mit über 160 Gästen sehr gut von den Bürgern angenommen worden. Jede Arbeitsgruppegruppe ist dort personell vertreten gewesen, um den Bürgern die formulierten Ziele zu erläutern und
bei offenen Fragen zur Seite zu stehen. Die Bürger hingegen waren dann dazu aufgefordert, ihre Vorschläge auf Karten zu schreiben und diese dann an aufgestellten Pinnwänden zu heften (siehe Abbildung 22). Alleine für die Projektgruppe „Grundversorgung“ kamen so über 70 Vorschläge, Ideen und
Anregungen zusammen.
Abb. 22: Bürgerversammlung Rodenkirchen, 03.02.2014192
Die beschriebenen Karten wurden anschließend von den einzelnen Projektgruppen eingesammelt und
fließen in deren Arbeit mit ein. Folgende Ideen und Forderungen der Bürger in Bezug auf die Grundversorgung193 wurden dabei sehr häufig genannt:
-
„Geschäfte für kurzfristigen Bedarf müssen zu Fuß erreichbar sein. Entsprechende Förderungsmöglichkeiten“
-
„Mobile Nahversorger entwickeln“/“Mobiler Einkaufswagen“
-
„Einbeziehung von regionalen Produzenten/Lebensmitteln“
„Stärkung der Hofläden“
-
„Lebensmittelladen im Ort. Frage klären, mit welchem Angebot er rentabel gestaltet werden
kann – die großen Läden ziehen Kaufkraft aus den kleinen Ortschaften ab“
-
„Gemeinden sind mitverantwortlich dafür, dass Grundversorgung in Dörfern erhalten bleibt.
Nicht dem LEH überlassen“
-
„Zurück zum Laden im Dorf! Förderung „Tante Emma““
„Genossenschaftsläden“
Ergebnis: Sowohl Dorfläden als auch mobile Händler unter der Berücksichtigung von lokalen Produzenten wurden mehrfach gewünscht. In persönlichen Gesprächen mit den Bürgern wurde der Miss192 Foto: eigenes
193 Diese Ergebnisse wurden vom Verfasser dieser Arbeit ausgewertet und fließen in die Arbeit der KEK-Gruppe mit ein. Die genannten
Vorschläge spiegeln ausschließlich die Meinung der Bürger wieder und müssen nicht mit denen des Autors übereinstimmen.
55
stand vielerorts auch noch einmal deutlich hervorgehoben. Bisher finden sich jedoch noch zu wenige
private Initiatoren, die in Eigenleistung Ideen umsetzen wollen.
Die kommunalen Verwaltungen können zu Firmen direkt Kontakt aufnehmen und auch als Auftragsgeber fungieren. So hat der Bürgermeisterkandidat von Ovelgönne, Dieter Kohlmann, auf die Frage, wie
er die Attraktivität der Gemeinde im Falle seiner Wahl steigern möchte, geantwortet: „Weite, schöne
Landschaft ist nicht alles. Eine gute Nahversorgung für die wichtigen Dinge des täglichen Lebens wie
Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte und Apotheke sind zu erhalten und gegebenenfalls wie in der Vergangenheit durch die Gemeinde unterstützend auszubauen“194. Ebenfalls stärker dem ländlichen Raum
zuwenden möchte sich der CDU-Landesverband Oldenburg in 2014. Auch hier sollen individuelle
Lösungen für die Verbesserung von Grundleistungen oder ÖPNV gefunden werden195. Finden sich nun
auch private Visionäre, könnte eine erfolgreiche Zusammenarbeit die Grundversorgung in manchen
Ortschaften zukünftig deutlich verbessern.
Wichtig ist allerdings, dass die Gemeinden im Fall von möglichen eigenen Projekten, sich untereinander absprechen. Es dürfen keine Kannibalismuseffekte auftreten (es darf nicht darauf abgezielt werden, einer anderen Gemeinde Potential abzuschöpfen), man muss zusammen und nicht in Konkurrenz zueinander arbeiten. Nur wenn alle Parteien an einem Strang ziehen, sowohl die Bürger, die
Politik und Verwaltung sowie die Wirtschaft, kann etwas erreicht werden. Die Wesermarsch hat diesbezüglich mehrjährige Erfahrung in der interkommunalen, sektorübergreifenden Zusammenarbeit
zwischen Bürgern und Verwaltung. Die 2001 gegründete Lokale Aktionsgruppe „Wesermarsch in Bewegung“ umfasst kommunale sowie Wirtschafts- und Sozialpartner aus der gesamten Wesermarsch,
die Projekte und Prozesse zur Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum unterstützen. Finanziert werden die Projekte, wie z.B. Schaffung von Dorftreffpunkten, über das LeaderFörderprogramm der Europäischen Union sowie teilweise über kommunale Eigenmittel. Das Denken
über administrative Grenzen hinweg zu Fragestellungen der Auswirkungen durch den demografischen
Wandel ist die Basis für zukünftige Synergieeffekte, speziell wenn es um interkommunale Lösungen
geht, die die Schrumpfungsproblematik in ohnehin schon bevölkerungsschwachen Gebieten des ländlichen Raumes angehen. Die Kommunen unterstützen diese Art der bürgernahen, partizipativen Zusammenarbeit u.a. mit der Vorhaltung eines Regionalmanagements, das als Koordinierungsstelle der
Lokalen Aktionsgruppe fungiert und kostenlose Beratungen zu Fördermöglichkeiten von Projektideen
bietet196.
194 http://www.nwzonline.de/wesermarsch/nahversorgung-weiter-ausbauen_a_10,4,2363173331.html , abgerufen am 06.02.14
195 http://www.nwzonline.de/nordenham/laendlicher-raum-im-mittelpunkt-laendlicher-raum-im-mittelpunkt_a_12,5,2715015685.html ,
abgerufen am 06.02.14
196 www.wesermarsch-in-bewegung.de
56
5. Die Infragestellung der Homogenität des Raums
Die Homogenität des Raums – was bedeutet diese Aussage? Sie bedeutet die Ausgewogenheit, die
Gleichheit des Raums, dass der ländliche Raum dem urbanen Raum angeglichen sei soll, er nicht auf
der Strecke bliebt. Jeder Bürger müsse ein Anrecht auf gleiche Lebensverhältnisse haben. Doch ist
dies heutzutage überhaupt noch möglich? Oder ist es eher unrealistisches Wunschdenken? Sei nicht
jeder Mensch selbst seines Glückes Schmied und trägt mit der Wahl seines Wohnortes die Verantwortung für seine Lebensverhältnisse? Auf diese Fragen soll nun das letzte Kapitel eingehen.
Zuweilen wird argumentiert, die Politik sei per Grundgesetz dazu verpflichtet, für eine „Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse“ zu sorgen. Zitiert wird dabei Artikel 72, Abs. 2 GG, der besagt: „(2)
Auf den Gebieten des Artikels 74 […] hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder
Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich
macht“197. Dies bedeutet aber erst einmal nur, dass dem Bund gegenüber den Ländern ein Gesetzgebungsrecht eingeräumt wird, sofern ein geplantes Gesetze zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse einer bundesgesetzlichen Regelung bedarf. Es schreibt nicht vor, tatsächlich gleichwertige
Lebensverhältnisse um jeden Preis zu realisieren. Zumal die Begrifflichkeit „gleichwertige Lebensverhältnisse“ einen gewissen Interpretationsspielraum übrig lässt198. Schon der ehemalige Ministerpräsident Brandenburgs, Matthias Platzeck, stellte 2004 fest, „…, dass nicht in allen Dörfern gleich gefördert werden kann“199. Auch der Bundepräsident a.D. Horst Köhler mahnte an, dass man „…weg vom
Subventionsstaat [müsse]“200. Natürlich sollte es Konsens sein, dass auch die ländlichen, einwohnerschwachen Regionen nicht vollkommen abfallen und endgültig ausbluten. Aber man kann auch nicht
per se Richtlinien festlegen, die z.B. besagen: „Für je 1.000 Anwohner im Einzugsgebiet muss ein
Schwimmbad, eine Schule und ein Krankenhaus vorliegen“. Zum einen ist dies natürlich überspitzt
dargestellt, zum anderen wird auch wieder der schwammige Begriff „Einzugsgebiet“ gewählt. Dennoch
zeigt es das Dilemma vielerorts deutlich auf: Viele Regionen haben selbst in einem sehr großen „Einzugsgebiet“ heute schon keine 1.000 Einwohner mehr. Und nimmt man die Daten des demografischen
Wandels zu Grunde, wird sich dieser Trend fortsetzen. Dies führt zu Schulschließungen, verwaisten
Bahnhöfen, Schrumpfung des ÖPNV, leerstehenden Geschäften und daraus resultierend Wohnhäusern. Dieses Szenario und seine Folgen (Stichwort: Teufelskreis) wurde ebenfalls schon an anderer
Stelle dieser Arbeit betrachtet (vergleiche Kapitel 2.1 und 3.3). Gerade deswegen ist für die öffentliche
Daseinsvorsorge (z.B. dem Rettungswesen, dem Gesundheits- oder Schulwesen) der Staat (heruntergebrochen auf die kommunalen Vertretungen) verantwortlich. Das Problem hierbei, der finanzielle
Aufwand hierfür wird immer immenser, gerade in Bezug auf immer weniger Nutzer der Infrastruktur.
Möglicherweise werden in Zukunft die Kosten nicht mehr tragbar sein. Stellt sich des Weiteren die
Frage, ob der Staat auch für die Versorgung mit den alltäglichen Waren „verantwortlich ist“? Wohl eher
nicht, stellt dies einen Eingriff in den Markt dar, der sich ja theoretisch bekanntlich selber regelt (Angebot und Nachfrage). Und die Nachfrage ist im ländlichen Raum schlicht oftmals nicht mehr in der Mas197 http://www.bundestag.de/bundestag/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_07.html , abgerufen am 06.02.14
198 http://www.bpb.de/apuz/29548/gleichwertig-ist-nicht-gleich?p=all , abgerufen am 06.02.14
199 ebenda
200 ebenda
57
se vorhanden, als das sich privatwirtschaftlich ein Geschäft rentiert. Nun wurden im vorangegangenen
Kapitel die Variationen eines lokalen Grundversorgers beleuchtet, und auch die kommunalen Verwaltungen besitzen die Möglichkeit, als Auftraggeber und Unterstützer für private Gründer zu fungieren.
Sie stehen aber nicht in der Pflicht dazu.
Wie soll also nun verfahren werden? Der ländliche Raum wird zukünftig weiter Einwohnereinbußen
hinnehmen. Dies gilt nicht nur für die Wesermarsch, sondern eigentlich für den gesamten ländlichen
Raum in den meisten Industriestaaten. Um dennoch „gute“ Lebensverhältnisse schaffen zu können,
müssen neue Wege eingeschlagen werden, das Bisherige in Frage gestellt und den neuen Gegebenheiten angepasst werden. „Das Weniger-werden erfordert […] Erneuerung und Modernisierung. Weniger ist anders“ schreibt Philipp Oswalt und listet auch Beispiele auf: klassen- oder generationsübergreifende Schulbildung um den schrumpfenden Schulen entgegenzuwirken. Neue Formen der Mobilität müssen geschaffen werden, Güter- und Personentransport verknüpft werden201. Einiges davon wird
heutzutage schon umgesetzt, im Bereich der Mobilität bspw. eingesetzte Bürgerbusse. Es darf aber
nicht das primäre Ziel sein, sich auf bestimmte, festgelegte Einwohnerzahlen, die erreicht werden
müssen, zu fixieren, um bisherige Maßnahmen rechtfertigen zu können. Vielmehr muss es die Aufgabe der Politik und Planung sein, auch trotz des demografischen Wandels gute Bedingungen für die
Menschen zu schaffen. Andere Länder wie Skandinavien oder Australien haben es vorgemacht202.
Oswalt mahnt dabei die Tabuisierung der Schrumpfung an, die in unserer auf Wachstum geprägten
Gesellschaft verankert ist. Nur wenige Politiker scheinen für offene, zukunftsbezogene Prozessmöglichkeiten der Schrumpfung bereit zu sein und beharren auf Ansiedlungs- und Wachstumsstrategien.
Dies sei man ja dem Wähler geschuldet203. Doch darf man nicht vergessen, in einer demokratischen
Gesellschaft wie der unseren hat jeder Mensch (ergo Wähler) die freie Wahl des Wohnortes. Und
wenn er in einer ländlichen Region wohnen möchte, muss er dann nicht auch auf gewissen Annehmlichkeiten verzichten? Muss er es dann nicht auch in Kauf nehmen, weitere Strecken für den Einkauf,
den Schulweg oder den Arztbesuch zurücklegen zu müssen? Die Antwort darauf könnte „Ja.“ sein.
Viele Menschen wollen oft nicht in einer Stadt wohnen, wollen die Ruhe, die Landschaft, die Natur
genießen, die im ländlichen Raum im Gegensatz zu den urbanen Gebieten noch vielfältig vorhanden
ist. Auch dies ist Lebensqualität. Aber es gibt auch diejenigen, die sich ein Leben in der Stadt nicht
leisten können. Dadurch, dass Städte wie Hamburg, Berlin, München, aber auch Oldenburg, wachsen,
steigt die Verknappung des Wohnraums, dies führt zu steigenden, teils schon astronomischen Mieten.
Das Leben dort ist für viele nicht mehr bezahlbar. Demnach könnte man meinen, der ländliche Raum
sollte davon profitieren. Bisher tat dies wenn überhaupt nur der Speckgürtel einer Stadt, nicht das
gesamte Hinterland. Ergo, nur weil ein Mensch sich die Stadt, und damit zumeist verbunden eine besser ausgebaute Daseinsvorsorge und Grundversorgung leisten kann, soll er deswegen schlechter
leben? Hier sollte die Antwort „Nein.“ lauten.
Soll sich nun der Staat aus (scheinbar) nicht mehr „rentablen Gebieten“ weiter zurückziehen und die
Menschen ihrem Schicksal überlassen? Auf keinen Fall. Dies würde nur den Weg für undemokratische
Organisationen ebenen. Dies ist leider in manchen, ostdeutschen Gebieten schon heute der Fall, wo
201
„Raumpioniere in ländlichen Regionen“, Faber, Oswalt, 2013, S. 7
202 ebenda
58
rechte Gruppierungen Jugendtreffs und Volksfeste anbieten und den Anwohnern suggerieren, der
Staat lasse sie im Stich204. Oswalt hingegen schlägt vor, „durch die Entwicklung intelligenter lokaler
Lösungen, durch die Aktivierung von sozialem Kapital und durch Synergien […] mit weit geringerem
finanziellen Aufwand hochwertige Leistungen zu garantieren und zugleich den sozialen Zusammenhalt
zu stärken“205. Staat und Bevölkerung müssen zusammenarbeiten. Der Staat stellt gewisse finanzielle
Ressourcen, die Bevölkerung das Humankapital, die Menschen. Beispiele hierfür gibt es auch heute
schon, allen voran die freiwilligen Feuerwehren. Diese Idee ist auch auf andere Bereiche übertragbar,
so auch auf die Grundversorgung, wie ja im vorherigen Kapitel erläutert wurde. Doch auch hier gilt, der
Mensch muss Interesse daran haben und Eigeninitiative zeigen. Der Staat hingegen muss Vorschriften
und Gesetze ändern, bürokratische Hemmschwellen abbauen um lokale, spezifische Lösungen erst zu
ermöglichen, z.B. im Bereich des gleichzeitigen Personen- und Gütertransportes oder bezogen auf
Vorschriften zur Gebäudenutzung. Gibt der Staat den Menschen mehr Ermessensspielraum, mehr
Handlungsmacht und –freiheit, könnte dies zu einer erhöhten Effizienz in der Daseins- und Grundversorgung führen. Die Leute vor Ort wissen zumeist am besten, was sie wo brauchen. Und dieser Prozess fördert die „demokratische Teilhabe der Bürger“206.
Natürlich wird mit diesem Ansatz die Homogenität des Raumes in Frage gestellt. Aber ist dies so
schlimm? Nein, wenn der Staat nicht rigide an vorhandenen Strukturen festhält, sondern den gerade
beschriebenen Weg der lokalen Lösung einschlägt. Natürlich ist all das nicht von Heute auf Morgen zu
verwirklichen. Wer aber wirklich etwas verändern möchte, der muss etwas riskieren. Und in diesem
Fall heißt das Risiko, den Menschen mehr Verantwortung zu geben. Gleichzeitig sollte auch die Tatsache im Hinterkopf bleiben, dass die Menschen selber dafür verantwortlich sind wo sie wohnen. Vielleicht ist es zu teuer, direkt in eine Stadt zu ziehen, aber auch im ländlichen Raum, gibt es Orte, die
besser versorgt sind als andere und die keine so hohen Mieten wie Hamburg, München oder Oldenburg aufweisen.
Gleichwertige Lebensverhältnisse für alle zu schaffen wird vermutlich nicht möglich sein, alleine schon
aufgrund der Tatsache, dass jeder Mensch eine eigene Meinung bezüglich seiner Verhältnisse haben
wird. Möglich ist es aber, die Lebensverhältnisse den örtlichen Gegebenheiten anzupassen und somit
zu verbessern.
203 „Raumpioniere in ländlichen Regionen“, Faber, Oswalt, 2013, S. 8
204 ebenda, S. 12
205 ebenda, S. 11
206 ebenda, S. 13
59
Persönliches Fazit
Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, Grundversorgungsangebote zu realisieren und die Lebensqualität eines Ortes somit zu erhöhen. Dies setzt allerdings viel bürgerschaftliches Engagement voraus, was nicht überall gleichermaßen gegeben ist. Jeder Mensch hat ja seine eigene Vorstellung von
Lebensqualität. Während es für den einen vollkommen in Ordnung ist, für seinen Einkauf in den nächsten Ort zu fahren, wünscht sich der nächste einen Supermarkt direkt vor Ort. Zudem möchte ich an
dieser Stelle anmerken, nachdem ich die Wesermarsch im Laufe meines Praktikums im Regionalmanagement „Wesermarsch in Bewegung“ erkundet habe: die Versorgung des Hinterlandes der Wesermarsch, also aller Gebiete, die nicht zu den Siedlungsschwerpunkten Brake, Elsfleth oder Nordenham
längs der Weser gehören, ist im Grunde gar nicht so schlecht wie vielleicht im ersten Moment angenommen. Zumindest, und das ist die absolute Voraussetzung, wenn der Mensch mobil ist. Nichtsdestotrotz gibt es auch schon heute hier und dort den Bedarf nach einem neuen Lebensmittelhändler
unweit der eigenen Haustür.
Als Beispiel sei Schwei in der Gemeinde Stadland genannt. Dort ist der letzte Nahversorger in Begriff
zu schließen. Gerade ein solcher Ort mit seinen knapp 1.600 Einwohnern sollte eigentlich prädestiniert
für eines der genannten Dorfladenkonzepte sein. Meiner Meinung nach kann Schwei als ein Modellort
in der Wesermarsch für einen Dorfladen in entsprechender Größe fungieren, sofern die in Kapitel 4.4
genannten Standortfaktoren und die örtliche Bereitschaft vorhanden sind. Aus einem persönlichen
Gespräch mit einer Anwohnerin weiß ich, dass es schon heute Überlegungen in diese Richtung gibt,
dass man nicht so lange warten möchte, bis es zu spät ist. Erstrebenswert aus meiner Sicht wäre hier
eine verstärkte Unterstützung seitens der Politik und Verwaltung.
Das dies funktionieren kann, beweist der „Lüttje Laden“ in Neustadt. Dieser macht auf mich einen sehr
guten Eindruck, vor allem sein Betreiber weiß mit seiner serviceorientierte Art und charmanten Persönlichkeit zu überzeugen. Auch wenn es sich hierbei nur um einen kleinen Dorfladen handelt, zeugt er
bisher davon, was möglich ist, wenn Gründer, Gemeinde und Bevölkerung an einem Strang ziehen,
um die Lebensqualität im ländlichen Raum zu verbessern und die bisher erwarteten Folgen des demografischen Wandels abzufedern. Es ist wünschenswert, dass der „Lüttje Laden“ auch in zukünftig weiterhin so gut von der örtlichen Bevölkerung angenommen wird.
Meinem Dafürhalten nach werden die Möglichkeiten der Nutzung verschiedener Onlinemedien (APPs,
eigene Websites, soziale Netzwerke usw.) auch für kleine Geschäfte in der Wesermarsch immer bedeutender. Vielleicht noch nicht heute, aber in naher Zukunft bestimmt. Hier dürfen die Händler den
Anschluss nicht verpassen. Ebenfalls ist aus meiner Sicht die rollende Variante der Grundversorgung
als sehr interessant zu bewerten. Allerdings ist für eine flächendeckende Versorgung mit mobilen Supermärkten aktuell das stationäre Versorgungsnetz der Wesermarsch meines Erachtens nach noch
ausreichend vorhanden. Diese Ansicht teilen aber nicht alle, wie die Ergebnisse der Bürgerbefragung
in Rodenkirchen bewiesen haben. Der Wunsch aus Teilen der Bevölkerung nach einer verbesserten
Nahversorgung, sowohl stationär als auch mobil, muss zukünftig weiterhin diskutiert und beachtet
werden. Dies geschieht mittlerweile bereits in der Arbeitsgruppe „Grundversorgung“ im Rahmen des
Kreisentwicklungskonzeptes.
60
Sollten Ideen, bspw. in Schwei, in die Richtung eines Dorfladens gehen, empfehle ich sowohl den
Kontakt zu den in Kapitel 4 genannten Pionieren auf diesem Gebiet, als auch zu dem Regionalmanagement „Wesermarsch in Bewegung“ aufzunehmen. Es gibt eine Menge Möglichkeiten, Fördermittel
und unterstützende Informationen zu erhalten, die nicht außer Acht gelassen werden sollten.
Ich wünsche mir, dass die vorliegende Arbeit Anstöße gibt, wie die Grundversorgung kleiner Ortschaften im ländlichen Raum auch heute schon flächendeckend gestaltet werden kann.
61
Glossar
Agglomeration
Unter einer Agglomeration versteht man im wirtschaftlichen Sinne die Ansammlung gleicher oder verschiedener Unternehmen auf engem Raum. Ziel ist es, Standortvorteile zu nutzen. Als Beispiel sind
Fußgängerzonen, Einkaufszentren oder Outlets zu nennen.
Bruttoinlandsprodukt
Gibt den Gesamtwert aller Güter an, die innerhalb eines Jahres in einer Volkswirtschaft produziert
wurden und dem Endverbrauch dienen. Es werden sowohl die Leistungen aller In- als auch Ausländer,
die in der Volkswirtschaft leben, eingerechnet.
Bruttowertschöpfung
Gibt den Gesamtwert aller Güter an, die innerhalb eines Jahres in einer Volkswirtschaft produziert
wurden, abzüglich des Werts der Vorleistungen. Es wird also nur der erzeugte Mehrwert ermittelt.
Convenience-Food
"Bequemes Essen", Teilfertige bzw. verzehrfertige Lebensmittel, die nur eine einfache und somit zeitsparende Vor- bzw. Zubereitung benötigen. Beispiel: Fertigsalate, belegte Sandwiches, SB-Ware.
Cross-Selling
Querverkauf – bedeutet: Den Verkauf von sich ergänzenden Produkten. Kauft ein Kunde z.B. Kerzen,
bietet man ihm auch noch ein Feuerzeug an.
Demografischer Wandel
Er beschreibt die Tendenz der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung bzgl. der Altersstruktur, dem
quantitativen Verhältnis zwischen Männern und Frauen, den Anteilen ausländischer Mitbürger bzw.
Inländern mit Migrationshintergrund, die Geburten- bzw. Sterberateentwicklung sowie die Zu- und
Abzüge vom bzw. in das Ausland.
Dienstleistungsangebot im Lebensmitteleinzelhandel
Beschreibt alle Angebote, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Hierzu zählen zum Beispiel Finanzierungen von Nonfood II Artikeln, Lieferungen, Handyvertragsangebote, Reisen usw.
eCommerce
Electronic-Commerce, elektronischer Handel. Beschreibt den gesamten Handelsverkehr auf Basis
elektronischer Abwicklung, bspw. durch das Internet.
Einzelhandel
Wird in Kapitel 2.1.1 erläutert.
Endverbraucher
Endverbraucher sind nichtgewerbliche Personen, die Güter für den Eigenbedarf und nicht zum gewerblichen Weiterverkauf erwerben.
Food-Sortiment
Das Food-Sortiment umfasst alle angebotenen Lebensmittel eines Lebensmitteleinzelhändlers.
Großhandel
Dem Großhandel zugehörige Unternehmen beschaffen Waren von verschiedenen Herstellern, fügen
diese zu einem Sortiment zusammen und verkaufen sie an gewerbliche Kunden weiter. Sie dienen
meist als Schnittstelle zwischen den Produzenten und dem Einzelhandel.
Grundbedarf/Grundversorgung
Bedeutet, die nötigen Angebote zum täglichen Leben sind fußläufig vorhanden. In diesem Fall, die
Versorgung im Bereich Food- und Nonfood mit den gängigen Waren, wobei die Produktbreite bedeutend ist. Im Allgemeinen zählen noch die zum täglichen Leben gehörenden Dienstleistungen dazu.
V
Harddiscounter
Ein Harddiscounter bietet in erster Linie eigene Handelsmarken zu günstigen Preisen an. Er zeichnet
sich durch eine geringe Sortimentstiefe bzw. –breite aus und bietet nur eine geringe Menge an Waren
an (ca. 800 – 1.000 Artikel). Als Beispiel gilt Aldi als Harddiscounter.
Hybriddiscounter
Hybriddiscounter bieten sowohl eigene Handelsmarken als auch Markenprodukte an. Dadurch ist die
Sortimentstiefe unter den Discountern am höchsten (insg. bis zu 3.500 Artikel). Als Beispiel sei Penny
genannt.
Kapitalstock
Gibt das jährliche Bruttoanlagevermögen einer Volkswirtschaft an. Diese umfassen die längerfristig in
einem Unternehmen eingesetzten Wirtschaftsgüter.
Kaufkraft
Gibt an, wie viel Einkommen ein privater Haushalt abzüglich aller regelmäßigen Zahlungsverpflichtungen (z.B. Miete) für den Konsum zur Verfügung hat. Sie kann monatlich oder jährlich angeben werden.
Konsum
Steht für den Kauf von Gütern des privaten Ge- und verbrauchst durch die Haushalte (Konsumenten).
Konsumgüter
Sind Waren und Güter, die für den privaten Ge- und Verbrauch hergestellt und vertrieben werden.
Konsumpräferenz
Eine Masse an Verbrauchern bevorzugt eine bestimmte Gruppe an Waren oder bevorzugen verschiedene Aspekte dieser Ware, die sie zum kauf selbiger animieren.
Ladenhüter
Waren, die eine geringe Umschlagshäufigkeit aufweisen, die sich schlecht verkaufen lassen und „den
Laden hüten“
Ländlicher Raum
Definiert einen Bereich, der nach dem deutschen Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)
in ländliche Kreise mit einer höheren oder geringeren Bevölkerungsdichte unterteilt wird. Er steht urbanen und Agglomerationsräumen gegenüber.
Lebensmitteleinzelhandel (LEH)
Besteht aus Handelsunternehmen, die vorrangig waren aus dem Lebensmittelbereich anbieten und an
den Endverbraucher vertreiben.
mCommerce
Mobile-Commerce. Bereich aus dem eCommerce, der den elektronischen Handel unter der Verwendung von drahtlosen Endgeräten (z.B. Smartphones oder Tablets) bedient.
Nachfrageverhalten
Die Nachfrage beschreibt die Menge eines Gutes, die bei einem bestimmten preis von den Konsumenten nachgefragt wird. Daraus kann man ein entsprechendes verhalten ableiten, beispielsweise: umso
höher der preis eines Gutes ist, desto niedriger ist die nachfrage nach selbigen.
Nahversorgung
Wird in Kapitel 1.1 erläutert.
VI
Nettogesamtvermögen
Das Nettogesamtvermögen eines privaten Haushalts setzt sich aus dem Sachvermögen (z.B. Häuser,
Schmuck, Grundstücke etc.), dem Geldvermögen sowie dem Beteiligungsvermögen (z.B. Aktien) zusammen.
Nonfood I
Hierunter werden alle Artikel des täglichen Bedarfes gerechnet, die keine Lebensmittel im weiteren
Sinn sind. Beispiele sind Drogerieartikel, Waschmittel, Pflegeprodukte oder Tiernahrung.
Nonfood II
Hierunter fallen alle weiteren, angebotenen Artikel, die nicht für den täglichen Bedarf vonnöten sind. Im
Falle der Lebensmittelhändler seien dies Kleidung, Bücher, die wechselnden Angebotssortimente.
ÖPNV
Öffentlicher Personennahverkehr. Bereitstellung von Bussen in einem definierten Gebiet. Für die Wesermarsch sind die „Verkehrsbetriebe Wesermarsch“ zuständig.
Preis-/Einkommenselastizität
Gibt die prozentuale Veränderung der Nachfrage eines Gutes an, wenn sich der Preis oder das Einkommen um ein Prozent nach oben oder nach unten entwickelt. Man errechnet die Elastizität, indem
man die prozentuale Preis/Einkommensänderung durch die prozentuale Nachfrageänderung teilt. Ist
das Ergebnis kleiner 1, handelt es sich um ein unelastisches Gut. Preis- und Einkommensänderungen
haben keinen großen Einfluss auf die Nachfrage, z.B. bei Medikamenten. Ist das Ergebnis größer 1,
handelt es sich um ein elastisches Gut. Preis- und Einkommensänderungen haben eine große Auswirkung auf die Nachfrage, z.B. bei Luxusautos.
Preissegment
Güter können nach verschiedenen Preisstufen kategorisiert werden. Z.B. Luxusartikel, die teuer sind,
sind einem höheren Preissegment zuzuordnen, Handelsmarken, die günstig sind, einem niedrigen.
Produktbreite (Sortimentsbreite)
Sagt aus, wie viele verschiedene Produkte angeboten werden.
Produkttiefe (Sortimentstiefe)
Sagt aus, wie groß die Auswahl unter den verschiedenen Produkten ist.
Produzent
Hersteller einer Ware.
Realeinkommen
Darunter wird die Gütermenge verstanden, die mit dem monetären Einkommen erworben werden
kann. Das Realeinkommen ist ein Indikator für die reale Kaufkraft des Geldes unter Berücksichtigung
der Inflation. Es ist insbesondere bei der Betrachtung von Einkommensveränderungen von Bedeutung,
da nominelle Erhöhungen bei gleichzeitiger Wertminderung des Geldes einen deutlich geringeren
realen Netto-Effekt haben.
Servicegrad
Soll hier bedeuten, wie viele Mitarbeiter dem Kunden als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und
wie gut diese sich mit dem angebotenen Sortiment auskennen.
Softdiscounter
Bieten in erster Linie eigene Handelsmarken, aber auch in begrenzter Anzahl Markenprodukte an. Die
Produktbreite ist vergleichbar mit den Harddiscountern, die Produkttiefe aber ausgefallener. Softdiscounter bieten ca. 1.700 Artikel an. Als Beispiel sei Lidl genannt.
VII
Sparquote
Drückt in Prozent den Anteil des Einkommens aus, der nicht für den Konsum oder der Tilgung von
fixen Kosten genutzt wird, sondern (zumeist) verzinst angelegt wird.
Urbanisierung
Verstädterung, kann allgemein durch das Wachstum von der städtischen Lebensweise bei gleichzeitigem Rückgang der ländlichen Lebensweise definiert werden.
Usability
Gebrauchstauglichkeit, bezeichnet nach EN ISO 9241-11 das Ausmaß, in dem ein Produkt, System
oder ein Dienst durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Anwendungskontext genutzt werden
kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen. Allgemein hin ist es mit
dem Begriff „Benutzerfreundlichkeit“ gleichzusetzen.
Vollsortimenter
Führen das volle Sortiment einer Branche. Sie bieten alle Arten von bspw. Lebensmitteln an und sind
nicht auf einige, wenige spezialisiert (wie Bäcker auf Backwaren oder Bioläden auf Bioprodukte)
VIII
Literaturverzeichnis
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Fachbücher:
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media@home
http://www.mediaathome.de/
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Mobile Marketing Welt
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http://www.wimed.de/
XI