Astronologische Grundbegriffe
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Astronologische Grundbegriffe
II. Astrologische Grundbegriffe Wer kennt heute noch all die Sternbilder, beobachtet ihre wechselnde Position und ist sich jenes ewig wiederkehrenden, regelmäßigen Reigens bewußt, der jede Nacht an unserem Himmel sichtbar wird? Was früheren Generationen einziges Mittel der Zeitberechnung war, Grundlage, um eine Ordnung in den Fluß des Lebens zu bringen, um die Gesetzmäßigkeit hinter der Vielfalt zu entdecken, ist heute den meisten bestenfalls Anlaß für romantische Gefühle. Alles weitere überläßt man den Spezialisten. In den Mythen der meisten Völker jedoch spielen die Sterne eine entscheidende Rolle; zu auffällig sind ihre Wanderun-gen fernab der erfahrbaren, irdischen Welt. Im symbolischen Denken der frühen Kulturen wurden die Lichtpunkte der Sterne durch Linien zu festen Figuren verbunden. Wesen, die der menschlichen Vorstellung entsprungen waren, wurden assoziativ an den Himmel projiziert und gaben diesen Figuren Gestalt. Sie erlaubten eine Orientierung, die niemals korrigiert werden mußte und bis heute das Grundgerüst der astronomischen Wissenschaft bildet. Diese Orientierung ermöglicht erst die Entdeckung jener regelmäßigen Bewegung, welche die Fixsterne um den zentralen Himmelspol ausführen. Und dies wiederum bildet die Voraussetzung, um jene Himmelskörper auszumachen, die sich dieser umfassenden Ordnung entziehen. Dies sind die Planeten, die ihre Position beständig ändern und die - als Dirigenten des Himmelsgeschehens erkannt alsbald mit Göttern identifi-ziert wurden. Dank der Erdrotation scheinen die Fixsterne wie die Sonne im Osten aufzugehen, um dann im Laufe der Nacht über den Himmel zu ziehen. Sie kreisen dabei um den in der Nähe des Polarsternes gelegenen Himmelspol. Aufgrund der Kreisbahn aber, welche die Erde um die Sonne herumführt, sind es, abgese-hen von den sogenannten Zirkumpolarsternen, je nach Jahreszeit andere Sternbilder, die über den Hori-zont emporkommen. Daneben gibt es eine kleine Anzahl weiterer Himmelskörper, die an dieser regelmäßigen Bewegung nicht teilhaben und sich zudem durch eine besondere Größe oder Leuchtkraft auszeichnen. Diese stellae errantes, wandernde Sterne, wie sie im Lateinischen genannt werden, bezeichnet man heute als Wandel-sterne oder Planeten. Vor der Erfindung des Fernrohres kannte man nur fünf dieser Wandelsterne; doch da man Sonne und Mond gleichfalls zu den Planeten rechnete, ergab sich die symbolträchtige Zahl Sieben. Sie ziehen für den Beobachter auf der Erde mit unterschiedlicher und zuweilen auch unregelmä-ßiger Geschwindigkeit gleichsam wie auf einer Straße entlang eines schräg über den Nachthimmel verlau-fenden Bandes, das man Zodiakus oder Tierkreis nennt. Ihre Bewegung verläuft gegen den Uhrzeigersinn von West nach Ost; sie ist also zu jener regelmäßigen der Fixsterne gegenläufig. Diese Planetenstraße hat ihre Ursache in der Gestalt unseres Sonnensystems, das wie ein flacher Teller oder eher wie ein sich zur Mitte verbreiternder Diskus geformt ist. Da weiterhin die Erdachse schräg zu der Ebene ihrer Umlaufbahn gelagert ist, sehen wir die übrigen Planeten einschließlich der Sonne auf jenem schräg über den Himmel verlaufenden Band, das in der Astronomie den Namen Ekliptik führt. Die erwähnte Unregelmäßigkeit in den Bewegungen rührt daher, daß wir uns auf einem sich gleichfalls bewegenden Beobachterstandort be-finden. Die Planeten auf ihren unterschiedlich großen Umlaufbahnen scheinen sich deswegen zuweilen zu überholen oder manchmal auch für eine Weile zurückzulaufen.1 Diese Himmelsbewegungen wurden in den frühen Kulturen mit einer Mühle verglichen, deren Achse durch den Polarstern führt, um den der Fixsternhimmel wie ein gigantischer Mühlstein kreist. Die Planeten würden dann Ameisen gleichen, die sich auf dem rotierenden Stein in gegenläufiger Richtung bewegen.2 Im zweiten Jahrhundert n. Chr. versuchte Hyginus, diese Bewegungsabläufe seinen Lesern auf andere Weise anschaulich zu machen; er sprach von einem Schiff, auf dem die Wandelsterne gleichsam wie Passagiere gegen die Fahrtrichtung vom Bug zum Heck gehen.3 Entlang der Ekliptik finden sich zwölf Sternbilder, die als Tierkreiszeichen jenes Band in zwölf gleiche Abschnitte zu 30 Grad einteilen. Die Position der Planeten kann von daher sehr exakt als Stellung im Tierkreis beschrieben werden. So kann sich beispielsweise Venus im 3. Grad des Widders befinden, Saturn hingegen im 25. Grad der Jungfrau und so fort. Doch gelten derartige Angaben natürlich nur für eine bestimmte geographische Breite, da sich mit dem topographischen Ort auch der Beobachtungswinkel verändert. Die Positionen bestimmt man mit Hilfe von Tabellen, den sogenannten Ephemeriden, in denen für einen bestimmten Ort und für eine bestimmte Uhrzeit die Stellungen der einzelnen Planeten hochgerechnet sind. Zur Erstellung eines Horoskopes sind diese Angaben auf den jeweiligen Breitengrad und den gewünschten Zeitpunkt umzurechnen. Für die astrologische Deutung der Sternbewegungen gibt es nun eine Reihe von Bezugssystemen, die in wesentlichen Teilen schon auf die babylonische Sternenkunde zurückgehen. Nachwievor ist der Tetrabiblos des Ptolemaios aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. die umfassenste Darstellung dieser verschiedenen Theorien.4 Den Ausgangspunkt bilden dabei verschiedene Bezüge, die zwischen dem Zodiakus und den Wandelsternen bestehen sollen. So werden einzelne Tierkreiszeichen als »Häuser« (domus oder domicilium) der Planeten angesehen, in denen sie besondere Macht haben. Jedem der fünf seinerzeit bekannten Wandelsterne sind zwei Zodiakalzeichen zugeordnet, jeweils ein »Tages-« und ein »Nachthaus«. Nur Sonne und Mond, denen als luminaria, als Lichtbringer, ohnehin eine Sonderrolle zukommt, besitzen nur ein Haus. Diesen Häusern prägt der Planet seinen Charakter auf, auch wenn er sich nicht dort aufhält.5 Verschiedentlich wird die Verteilung der Häuser damit begründet, daß es sich um jene Tierkreiszeichen handelt, in denen die Planeten bei der Erschaffung der Welt lokalisiert waren. Darüber hinaus erfährt jeder Planet an einem weiteren Punkt der Ekliptik seine Erhöhung (exaltatio), die seinen Einfluß erheblich verstärkt. 180 Grad entfernt, d. h. auf dem Tierkreis genau gegenüber, hat er aber dann seine Erniedrigung (deiectio), die seine Macht minimiert.6 Die Tierkreiszeichen gehen natürlich genauso wie die übrigen Sternbilder im Osten auf. Jener gerade über den Horizont kommende Punkt oder Grad eines Tierkreiszeichens ist der Aszendent, der sich aufgrund der täglichen Erdumdrehung alle vier Minuten ändert. In der Astrologie kommt ihm eine zentrale Rolle zu. Der Planet, dem das gerade aufgehende Zeichen zugeordnet ist, gilt als Horoskopbeherrscher, unabhängig davon, ob er sich dort befindet oder nicht. Ein Horoskop ist nun zunächst nichts anderes als die schematische Skizzierung einer beliebigen Gestirnskonstellation bezogen auf einen bestimmten Ort der Erde. Eingetragen werden dort der Aszendent und die Positionen der einzelnen Planeten. Mit der Bestimmung des Aszendenten erhält man zugleich die ebenfalls einflußreiche Himmelsmitte (medium caelt), den westlichen Horizont (occasus) und den tiefsten Punkt (immum caeli). Diese vier Hauptpunkte oder Ecken (cardines oder contra) spielen in der Horoskopie eine besondere Rolle. Auch die Stellung der Planeten oberhalb oder unterhalb des Horizontes ist für eine astrologische Ausdeutung von Belang. Als Hilfsmittel gibt es noch die Lehre von den zwölf Orten oder Häusern (locus)7, denen bestimmte Aspekte menschlicher Existenz wie Tod, Reichtum, Liebe, Ehren etc. zugeordnet sind. Hierfür teilt man ausgehend von dem Aszendenten das Horoskop links herum in zwölf gleiche Abschnitte von 3o Grad und erhält so die besagten Orte. Ausschlaggebend ist dann, in welchem dieser Orte oder Häuser welche Planeten stehen. Von besonderer Wichtigkeit sind jedoch das erste, vierte, siebte und zehnte Haus, da sie sich an den Eckpunkten (cardines) des Horoskopes befinden. Weiter ist für die Ausdeutung der Himmelskonstellationen die Lehre der Aspekte (adspectus, configurationes) von großer Wichtigkeit. Hiermit ist die Stellung der Planeten zueinander gemeint. Wenn sie sich im Horoskop gegenüber stehen und damit 180 Grad voneinander entfernt sind, spricht man von Opposition; dies ist ein extrem negativer Aspekt, der unüberbrückbare Gegensätze beziehungsweise frontale Bedrohung symbolisiert. Ein Winkel von 90 Grad wird als Quadrat bezeichnet, auch er gilt als negativ. Harmonische Aspekte, bei denen sich die Planeten gegenseitig verstärken, hingegen sind das Trigon bei 120 Grad sowie das Sextil bei 60 Grad. Treffen sich zwei Planeten in einem Zeichen, so handelt es sich, wenn sie nicht weiter als drei Grad voneinander entfernt sind, um eine Konjunktion, deren Bedeutung variiert, je nachdem, welche Planeten daran beteiligt sind. Den Wandelsternen wurde in der Antike, unabhängig von der konkreten Himmelskonstellation, eine Macht über gewisse Stunden des Tages zugesprochen. Und zwar wurde die Zählung bei der ersten Stunde mit dein erdfernsten Planeten Saturn begonnen, es folgte Jupiter, darauf Mars, Sol, Venus, Merkur und schließlich Luna, dann wieder Saturn und in dieser Weise unbegrenzt weiter. Da aber zugleich derjenige, dem die erste Stunde eines Tages zugeordnet war, den gesamten Tag beherrschte, ergab sich eine Abfolge von Wochentagsgöttern, die in der Reihung Luna, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn, Sol bis heute die Wochentage benennen.9 Es gibt nun noch eine Vielzahl weiterer Systeme, die alle zum Ziel haben, die Methoden der Horoskopausdeutung zu verfeinern. Ihre Darlegung würde ein eigenes Buch erfordern, das zudem seit der Antike schon mehrfach von sehr viel kompetenteren Autoren verfaßt wurde. Darüber hinaus stellt man sehr bald fest, daß diese Systeme keineswegs miteinander kompatibel sind und daß man sich deswegen entscheiden muß, welcher der zahlreichen Lehren man folgt. Der praktizierende Astrologe erhält auf diese Weise eine Fülle von verschiedenen Parametern, die im Prinzip beinahe jede Deutung ermöglichen. Erwähnt seien nur noch die Paranatellonten; das sind jene Sterne, die gemeinsam mit dem Aszendenten über dem Horizont aufgehen und denen verschiedentlich auch ein besonderer Einfluß zugeschrieben wurde. Daraus entwickelten sich auch die Dekane, Figuren, die jeweils 10 Grad eines Tierkreiszeichens beherrschen und die durch ihre prominente Darstellung im Palazzo Schifanoia zu Ferrara einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Die Planeten und der Aszendent bestimmen ein Horoskop; dies sind die entscheidenden Elemente der Astrologie. Will man astrologische Zusammenhänge bildlich darstellen, wird man auf die Planeten zurückgreifen müssen. Die Rolle der Planeten in einem Bildprogramm kann daher Aufschluß geben über seinen astrologischen Bedeutungsgehalt. So liegt die Beschränkung dieser Studie auf die Planetenbilder sozusagen in der Natur der Sache. Während es für die Sternbilder-Darstellung eine nie abgerissene Tradition gibt, die im Rahmen des computus, jener typisch mittelalterlichen Wissenschaft der Zeitberechnung steht, ist an dem Auftreten der Planetenbilder gerade die veränderte Haltung zur Himmelskunde abzulesen. Die Verbindung von Tierkreiszeichen und Monatsbildern hatte schon längst ihren festen Platz in den Kalendarien liturgischer Handschriften, als diese Veranschaulichung des Jahresablaufs sowohl in Frankreich wie in Italien in die skulpturalen Programme der Kirchenfassaden übertragen wurde.10 Hier stand vermutlich jenes neu entstandene kosmologische Interesse Pate, das darauf drängte, nicht nur die jenseitige Welt den Gläubigen vor Augen zu führen, sondern auch die kosmischen Gesetze, nach denen Gott das Universum funktionieren ließ und welche die menschliche Existenz bestimmten. Diese Ikonographie bildet jedoch keineswegs die Grundlage einer astrologischen Bilderwelt. Der sehr viel spezifischere Einfluß der Planeten erforderte genauere Wiedergaben der eigentlichen Himmelsregenten. Die Tierkreiszeichen wurden damit zu einem untergeordneten Element, das diese astrologischen Himmelsmächte ergänzend begleitete. Die Konzentration auf die Planetenbilder ermöglicht es demnach, die astrologischen Bildprogramme überhaupt als solche zu erkennen und ihrer Bedeutung gemäß zu behandeln. Anmerkungen zu Kapitel II 1 Dies führt zur Entstehung der berüchtigten Planetenschleifen. Gegenüber der Erde auf ihrer relativ sonnennahen Umlaufbahn scheinen weiter außen kreisende Planeten, da sie eine größere Strecke zurücklegen, zunächst zurückzufallen, um danach, wenn die Erde der Krümmung ihrer Bahn weiter folgt, wieder aufzuholen. Dazu Giese 1981, S. 39ff und insbesondere Abb. 2.9. 2 Dechend/Santillana 1994, S. 125 ff. 3 Hygnius, De Astronomia, IV, 13, S. 118. 4 Vgl. die gründliche Untersuchung von Bouché - Leclercq 1899 sowie den Überblick von Boll 1931. 5 So ergeben sich folgende Zuordnungen: Sonne - Löwe, Mond - Krebs, Merkur - Jungfrau und Zwillinge, Venus - Waage und Stier, Mars - Skorpion und Widder, Jupiter - Schütze und Fische, Saturn - Steinbock und Wassermann. 6 Bei der folgenden Liste bezieht sich die erste Angabe auf die Exaltatio, die zweite auf die Deiectio. Sonne - 19° Widder, 19° Waage; Mond - 3° Stier, 3° Skorpion; Merkur - 15° Jungfrau, 15° Fische; Venus - 27° Fische, 27° Jungfrau; Mars - 28° Steinbock, 28° Krebs; Jupiter - 15° Krebs, 15° Steinbock; Saturn - 21° Waage, 21° Widder. 7 Der Sprachgebrauch in der heutigen Astrologie ist verwirrend, da er den Begriff des Hauses für zwei verschiedene Dinge verwendet. Die lateinische Terminologie ist da sehr viel exakter. 8 Die Zuordnungen lassen sich knapp folgendermaßen zusammenfassen: 1.) Leben allgemein, 2.) Besitz, 3.) Geschwister, 4.) Eltern, 5.) Kinder, 6.) Gesundheit und Krankheit, 7.) Ehe und Partnerschaften, 8.) Tod, 9.) Reisen und Religion, 10.) Ehren, Charakter, Wohnort, 11.) Wohltaten und Freunde, 12.) Feinde. Ein mittelalterlicher Merkvers, der aus Firmicus Materuns destilliert ist, zählt die Orte gleichfalls auf: Vita lucrum frates genitor nati valetudo / Uxor mors pietas regnum benefactaque carcer. Vgl. Boll 1931, S. 62f, Bouché - Leclercq 1899, S. 280ff. Vgl. auch weiter unten Kap. XII. 9 Dies ist ein charakteristisches Element der in der Antike weit verbreiteten Laienastrologie, die mit sehr einfachen Parametern und ohne Himmelsbeobachtung auskommt. Dazu Boll 1931, S. 66f sowie Eriksson 1956, S. 22ff. 10 Siehe hierzu die interessanten Überlegungen von Cohen 1990, die von der Sagra di San Michele bei Turin ausgeht, sowie die Interpretation des Portals mit dem Lamm von S. Isidoro in Leon durch Moralejo Alvarez 1977. Vgl. auch die knappen Bemerkungen von Kerscher 1988 zu diesen Zusammenhängen. Für die Westportale von Chartres sind Verbindungen zum Schulbetrieb schon immer vermutet worden, Katzenellenbogen 1959, S. 15 ff.