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JAN WE ILE R ME IN L E BE N A L S ME NSCH FOLG E 4 56 Neujahrswünsche W enn ich mir etwas fürs neue Jahr wünschen darf, dann bitte: andere Nachrichten. Die Nachrichten von 2015 haben mir nicht so gut gefallen, wenn ich das als Konsument einmal kritisch anmerken darf. Und ich finde auch, dass ältere Nachrichtenlagen im vergangenen Jahr nicht mehr besonders gut gepflegt wurden. Was ist zum Beispiel mit Fukushima? Ist das alles wieder heile? Und was machen eigentlich die Griechen so? Man hört gar nichts mehr. Bis vor einem guten Jahr bildeten sie noch die Quelle für eine ständige Flut von mehr oder weniger bedrohlichen Nachrichten. Ständig las und hörte man die Begriffe „Tsiprias“, „Schäuble“, „Grexit“, sowie den ulkigen Titel „Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem“ und den Strebersatz: „Die sollen erst mal ihre Hausaufgaben machen.“ Spricht niemand mehr von. Entweder, die Griechen haben inzwischen ihre Hausaufgaben erledigt, oder sie sind sitzengeblieben und niemand hat es bemerkt. Jedenfalls hört man von der Eurokrise so wenig, dass man sich offenbar wegen des Euros gar keine Sorgen mehr machen muss. In diesem Zusammenhang tauchte auch öfter der„EU-Ratspräsident Donald Tusk“ auf. Den mag ich irgendwie. Wegen seines Namens, der auf zauberhafte Weise in verschiedenen Generationen sehr unterschiedliche Assoziationen weckt. In den fünfziger Jahren Geborene denken bei Donald Tusk an Entenhausen. Wer in den Sechzigern auf die Welt kam, dem fällt bei „Tusk“ sofort die Band Fleetwood Mac ein. Und meine Tochter - in den Neunziger Jahren geboren - erzählte mir von einem recht neuen Horrorfilm namens „Tusk“, in dem ein Irrer versucht, einen Journalisten zu einem Walross umzuoperieren. Das klingt nach einer absurden Idee, ist jedoch im deutschen Lokaljournalismus angeblich schon öfter gelungen. Man denke nur an den stellvertretenden Chefredakteur des Grevenbroicher Tagblatts, Horst Schlämmer. Ist ja auch egal. Jedenfalls: Die Griechen und der Euro. Gestern noch eine akute Bedrohung ist der Euro momentan bloß noch eine Währung und Griechenland lediglich eine Art Stempelstelle auf dem Weg der Flüchtlinge nach Norden. Das Flüchtlingsthema und seine politischen Folgen haben im abgelaufenen Jahr rein nachrichtentechnisch alles überschattet. Die mehr oder weniger bedrohlichen News wurden dabei nicht mehr in Syrien, sondern gleich in Deutschland produziert und in die ganze Welt geschickt. Mehr als 1600 Delikte mit rechtsextremem Hintergrund wurden 2015 registriert. Die Behörden waren so mit dem Zählen beschäftigt, dass sie mit der Strafverfolgung von Brandanschlägen gar nicht mehr hinterherkamen. Wenn man solche Zahlen hört, kann einem schon bange um die Heimat werden. Bisher fand ich immer, meine Heimat sei dort, wo meine Sprache gesprochen werde. Aber seit einiger Zeit habe ich da meine Zweifel, weil in meiner Sprache so wahnsinnig viel dummes und gefährliches Zeug geredet wird. Das war immer schon so, aber früher hat man wenigstens über die Dummheit gelacht. Jetzt liest man ungläubig die Zeitung, in der die Pegida-Aktivistin Festerling mit Sätzen zitiert wird, die man keinem zivilisierten Europäer zutrauen würde. Nur einen Satz von ihr wiederhole ich gerne: „Heimatverteidigung darf, nein muss auch konkret stattfinden.“ Richtig. Stimmt. Wir sollten unsere Sprache, unsere Kultur und unsere Heimat unbedingt in Schutz nehmen. Und zwar vor Figuren wie dieser Frau. Wir können dazu beitragen, indem wir uns Nachrichten aus anderen Weltgegenden zuwenden, von denen praktisch nie berichtet wird, die aber interessanter sind als das Geplapper dieser Pegida-Nullen. Was ist zum Beispiel in Bolivien los? Oder in Indonesien? Oder in Kanada? Bei der momentanen Nachrichtenlage könnte man meinen, diese Länder existierten gar nicht, obwohl dort bestimmt viel geschieht. Kanada ist sehr interessant. Dort leben englischsprechende Nordamerikaner, bloß eben unbewaffnet und krankenversichert. Manche sprechen sogar französisch. Die Fläche des vorwiegend französischsprachigen Gebietes Quebec ist fast genau doppelt so groß wie Frankreich. Das nur mal so, um Interesse zu wecken. Und im neuen Jahr möchte ich dann bitte auch wieder mehr Nachrichten aus Griechenland. Die Eurokrise fehlt mir wirklich. • 4. JANUAR 2016