Der Roman im Zeitalter der audiovisuellen und
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Der Roman im Zeitalter der audiovisuellen und
DOPPIA LAUREA – DOPPELDIPLOM FACOLTÀ DI LETTERE E FILOSOFIA CORSO DI LAUREA IN LINGUE E LETTERATURE STRANIERE ANNO ACCADEMICO – STUDIENJAHR 2001/2002 Neue Wege der Intermedialität der Literatur, der audiovisuellen und digitalen Medien am Beispiel des modernen Romans: DER ROMAN IM ZEITALTER DER AUDIOVISUELLEN UND DIGITALEN MEDIEN Laureanda: Rabensteiner Anna Maria Relatore: Prof. Fabrizio Cambi Controrelatore: Prof. Dr. Detlev Schöttker Meinem Vater, seinem wunderbaren Beruf, seiner Liebe zur deutschen Sprache und zur Literatur. Meiner Mutter, die mir das ABC des Lebens gelehrt hat ... und einiges mehr. Mir, die ich mir alles bin, da ich alles nur durch mich kenne! (J. W. v. Goethe) Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 3 von 189 Inhalt I Vorwort.........................................................................................................................6 II Der moderne Roman nach 1945..............................................................................11 II 1. Von zwei Richtungen der deutschen Literatur zum postmodernen Diskurs .........................................................................................................23 III II 2. Intertextualität als neues Stilmittel...........................................................25 II 3. Der Roman als multiperspektivisches Labyrinth ...................................27 Die technikgeschichtliche Umstellung: Von den beweglichen Lettern zu den beweglichen und digitalen Bildern..........................................................................30 III 1. Gutenberg im Medienzeitalter oder die schwarze Kunst im Zeitalter der audiovisuellen Medien ........................................................................30 IV III 2. Am Ende der Alphabetisierung ? .............................................................32 III 3. „Alte“ Medien mit neuer Rolle .................................................................32 Das neue Literarische Feld: Texte schaffen Bilder – Bildern schaffen Texte..............................................................................................37 IV 1. Bilder und Texte – Definitionsversuch und Wirkung............................37 IV 1. 1. Bilder: ..........................................................................................................37 IV 1. 2. Texte: ...........................................................................................................40 IV 1. 3. Kombination von Bild und Text ...............................................................42 IV 2. Funktionalität der Bilder............................................................................43 IV 3. Mediale Kommunikation im „optischen Zeitalter“ ................................44 IV 4. Text-Bild Medien .......................................................................................48 IV 5. Bild-Text Medien .......................................................................................49 IV 6. Das Videoclip Eine besondere Form der Bildmitteilung oder literarische Sonderform? ...........................................................................54 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner IV 7. V Seite 4 von 189 Internet als universales Kommunikationsgerät.......................................56 Der „neue“ Literaturbetrieb – die neue literarische Ereigniskultur: Literatur so attraktiv wie Film, Fernsehen oder Computerspiele, umweht von dem Hauch ehrwürdiger Kulturtechnik .......................................................................................59 V 1. Das „Zusammenlaufen“ der Medien........................................................61 V 2. Literatur und Film ......................................................................................63 V 3. „Myst“ und „Riven“ – Neue Wege der Literatur ...................................69 V 4. VI a) RIVEN – Die Struktur 70 b) RIVEN – eine „neu-alte“ Erzähldimension 71 c) RIVEN – Inhaltsarmut hinter Effekthascherei? 73 Aussichten ...................................................................................................75 Die Prägung der Literatur durch die Darstellungsformen und durch den intensiven Austausch der wahrnehmungsleitenden neuen Medien. ...................77 VI 1. Sprache und Kunst: eine wechselseitige Durchdringung......................77 VI 2. Die Pop-Kultur – Alltagsleben und Gewohnheiten werden zu Kunst .79 VI 3. Literatur vs. Bildermacht ...........................................................................82 VI 4. Digitalisierung als jüngste Entwicklung der neuen visuellen Kultur ...............................................................................85 VII Multimedia, Hypertext, Hyperfictions und die Idee des „global village“ ..........92 VII 1. Multimedia ..................................................................................................92 VII 2. Hypertexte und digitale Literatur .............................................................93 VII 2. 1. Zur Wirkung von Hypertexten..................................................................96 VII 3. Hyperfictions...............................................................................................98 VIII Die Literatur in technisch aufgerüsteten Zeiten ..................................................100 IX VIII 1. Autor und Leser........................................................................................100 VIII 2. Die Neubestimmung der Literatur..........................................................103 VIII 3. Reaktionsversuche ....................................................................................105 Der Roman im Zeitalter der audiovisuellen und digitalen Medien...................108 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner IX 1. Seite 5 von 189 Autor und Leser im Umgang mit dem neuem Medium 111 IX 1. 1. Der Autor: .................................................................................................113 IX 1. 2. Der Leser:..................................................................................................114 X TV und Medienwelt am Beispiel Norbert Krons Erstlingsroman „Autopilot“ 117 X 1. 1. Zum Inhalt:................................................................................................118 X 1. 2. Der Roman und die Medienwelt.............................................................119 X 1. 3. Das Setting und die Sprache in „Autopilot“ .........................................132 XI Josef Haslinger: „Das Vaterspiel“ – Virtuelle Konfrontation am Bildschirm.134 XI 1. Struktur und Inhalt ...................................................................................135 XI 2. Die Bedeutung des Computers in Rupert Kramers Leben..................136 XI 3. Vater(vernichtungs)spiel und Konfrontation Das Spiel als Konfrontationsersatz................................................................................143 XII Literatur in der Medienkonkurrenz Der deutsche Pop-Roman – Benjamin von Stucktad-Barre: „Blackbox“ .................................................................................149 XII 1. „Blackbox“: Inhalt und Struktur .............................................................150 XII 2. Die Geburt der „Blackbox“ aus dem Geist des TV und des Computers .................................................................................................152 XII 3. Medienobjekt und Entertainer: der Pop-Autor und die Selbstdarstellung.......................................................................................162 XIII Zwischen Realität und Virtualität - Norman Ohler: „Quotenmaschine“ ........165 XIII 1. Inhalt, Sprache und Struktur der „Quotenmaschine“ ...........................166 XIII 2. Eine neue Wirklichkeit: Cyberspace als neuer Erzählraum................170 XIV Schlußbemerkung ....................................................................................................176 XV Bibliographie............................................................................................................179 XVI Anhang ....................................................................................................................184 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner I Seite 6 von 189 Vorwort Der Filmsehende liest Erzählungen anders. Bertolt Brecht Der Roman soll ein Zeitbild sein, ein Bild seiner Zeit. Theodor Fontane Irgendwie lebt jeder Mensch sein Leben jenseits aller Mitteilungs- und Ausdrucksmöglichkeit. Ferdinand Ebner Schreiben mit dem Medium im Hinterkopf und dem „inneren Kamerablick“ folgend, sowie digitale Literatur als neue Tendenzen der deutschen Literaturszene. In der Vorstellung der Öffentlichkeit sind Romane dicke Bücher mit hohem Realitätsgehalt. Sie sollten bestenfalls unterhalten und spannend sein, dies macht sie in unserer modernen Konsumgesellschaft zu Bestsellern. Ihre Themen sollten daher zeitstimmig sein, also müssen Autoren, um sich und ihr Produkt besser zu vermarkten, ein solches Bewußtsein entwickeln. Trotzdem soll der Roman ein Spielzeug für den Leser sein. Die Worte des Autors sollen in ihnen Erinnerungen und vertraute Bilder erwecken, oder sie durch ein unbekanntes Neuland führen, nur dadurch kommt ein Buch „zum Leben“ und zum Gelesen werden. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Zentrum des Seite 7 von 189 Schöpferischen ist also das Erinnern und dessen Vergegenwärtigung. Augenblicke, die auftauchen und wahrhaft Ketten von Eindrücken beziehungsweise Assoziationen auslösen. Notwendige und willige Komplizin dieses Aktes ist die Phantasie, die des Autors und die des Lesers. Das Bild, an dem sich der Schreiber orientiert, erlangt durch sie Form und mittels Phantasie werden für den Leser die Räume und Eindrücke, durch die sich der Autor bewegt hat, gegenwärtig. Es ist das Gesammelte und Gespeicherte in der Erinnerung, das sich in einem latenten Zustand befindet, aber plötzlich durch Erinnerung und Phantasie im Text freigesetzt wird. Dieser lebt dann durch den Leser, im Leser, sowie durch dessen Kombinationsfähigkeit und Kombinationsbereitschaft. Er greift auf abrufbare Muster zurück, die er aus dem soziologischen, psychologischen Umfeld, aus Medienklischees, sogenannten Alltagserfahrung, schöpft. Ausgeschmückt wird das Ganze durch Verwendung der Alltagssprache und der aktuellen „Trendausdrücke“. Stöbert man in der Literatur und in der Film- bzw. Mediengeschichte, fällt einem auf, wie sehr bereits die Autoren der Jahrhundertwende von den damals neu aufkommenden Medien beeinflußt wurden und sie zum Teil auch massiv in ihren Werken einbauten. Diese Tendenz war und ist nicht aufzuhalten. Die elektronischen und vor allen die digitalen Medien haben sich in den letzten Jahren eigenständig beziehungsweise autonom gemacht, sie üben auf Autor und Leser eine bestimmte Macht aus und bestimmen den Alltag. Pop-Autoren, aber auch jene, die aus der „rein“ literarischen Tradition stammen1, haben ihre Schreibstrategien, Themen und selbst die graphische Gestaltung ihrer jüngsten Werke verändert, und diese sind nun, an bestimmten Passagen nur für „Insider“, 1 u. A. H. Kant, C. Hein, J. Haslinger Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 8 von 189 d.h. diejenigen, die sich mit Computertechnologie auskennen, oder die einen Umgang mit Computern und anderen Medien haben, voll verständlich. Andererseits verwerten die Autoren die neuartigen und vielseitigen Möglichkeiten der „neuen“ Medien und entwickeln eine neu Form der Literatur die unter dem Namen „Netzliteratur“ geführt wird. Diese Veränderung hat also die klassischen Rollen von Autor und Leser grundsätzlich verändert beziehungsweise neu definiert und zum Teil sogar aufgehoben. Durch die jüngste Form Literatur zu konzipieren und zwar durch Hypertext, sind zum ersten Mal Autor und Leser von der physischen Form des Buches befreit. Die Nichtlinearität und Diskontinuität, welche den Hypertext kennzeichnet, fördert eine völlig neue, assoziative oder rhizomatische Denkweise. Durch die Interaktion des geschriebenen Textes mit den elektronischen und digitalen Medien, und die Verstärkung des visuellen Elements, hat sich eine Mutation in der Wahrnehmung und Kommunikation ergeben. Absicht dieser Arbeit ist es, die Mutation von Texten und Literatur durch den Einfluß der „neuen“, audiovisuellen und digitalen Medien zu zeigen und zu analysieren. Ausgehend von der Krise des Romans seit der Jahrhundertwende (19. – 20. Jahrhundert), wird analysiert, wie die Verbindung von Text, Bild und Ton in einem einzigen Medium, sowie die Digitalisierung von Bildern und Texten, die Inhalte, die Schreibstrategien sowie das Schreibverhalten verschiedener zeitgenössischer Autoren beeinflußt haben und ihr kreatives Potential ausgeweitet und gefordert haben. Dabei wird auch die Rolle des Lesers beachtet, die ebenfalls eine Veränderung erfahren hat. Der Leser wird aktiv und es kommt die Frage auf, ob in der jüngsten Entwicklung von Texten ohne seinen Eingriff, das Kunstwerk überhaupt zu Stande kommen kann. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 9 von 189 Andererseits äußern Kritiker der jüngsten Entwicklung von Literatur – Netzliteratur – ihre Zweifel an der Qualität der Kunstwerke und behaupten, die technischen Spielereien dienten nur der Kaschierung inhaltlicher Leere. Schriftarten unterschiedlichster Art, um nur ein simples Beispiel der Potentialität des Mediums Computer zu nennen, können eine Aussage mit Bedeutung anreichern. Abschließend werden 4 Roman analysiert, die weder inhaltlich noch thematisch in direkter Verbindung stehen. Das was sie charakterisiert, ist die massive und prägende Präsenz verschiedener Medien, die dessen Inhalt bestimmen und tragen. Anhand dieser Analyse wird gezeigt, wie sehr die Entwicklung der audiovisuellen und digitalen Medien die Wahrnehmung und schriftliche Wiedergabe der Realität verändert hat. Bildern verschiedenster Art, filmische, elektronische, imaginäre, von Maschinen geschaffene, oder digital realisierte Welten, sind unwiderruflich zu Teilen unserer Existenz geworden. Daraus schöpfen die Schriftsteller (und Künstler) nun ihr Ideen und Werke. „Was soll der moderne Roman?“ Fontanes Frage wird nun wieder aktuell. Unter welchen Stoffen hat er zu wählen und wo sind die Grenzen dieses Gebiets? Schon immer war der Leser gefordert, denn er sollte sich oder einen Teil seines Selbst und seiner Zeit im dargestellten Zeitausschnitt, innerhalb eines Textes, wiederentdecken oder gar neu entdecken. Dies hat sich in der Nachmoderne zugunsten eines Synkretismus, einer Collagierung der Wirklichkeit, einer zweckbestimmten Vernunft, und eines kombinatorischen Denkens gewandelt, das unter dem Begriff „Intermedialität“ eine Definition gefunden hat. Ein verspieltes Denken ist das Resultat, welches aber sich in den meisten Fällen aber höchst unstabil und oft zusammenhanglos erwiesen hat. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 10 von 189 Können Autor und Leser eigentlich noch Großformen erkennen, oder begnügen sich beide mit einer losen Aneinanderreihung von Augenblicken, die sich nicht zu einem Ganzen bündeln lassen? Wahrscheinlich, der Hektik der Moderne zufolge, fehlt der Zeit- und der Interessenaufwand dieses Ganze überhaupt zu erfassen. Anstatt nach Totalität zu suchen, konzentrieren sich beide auf ganz andere Wahrnehmungsfelder und suchen nach Reizen, die sie noch nicht zur Gänze kennen. Die klassischen Romanbestandteile, wie die geschlossene Handlung, die individuellen Figuren, der typische Held und der Erzähler, verschleiern sich oder kommen ganz abhanden. Ob die Interaktion des geschriebenen Textes mit den audiovisuellen und digitalen Medien und die Verstärkung des visuellen Elements eine Mutation im Schreib- und Leseprozeß sowie im Verhältnis Autor und Leser bewirkt hat oder gar neue Formen (Genre) hervorgebracht hat, soll im Verlauf dieser Arbeit und anhand der Beispiele überprüft werden. Wichtige Auswahlkriterien innerhalb der deutschen Literaturszene waren, neben formalen Aspekten, wie Aktualität (letztes Update) und äußerer Erscheinung (Übersichtlichkeit, Ästhetik), die Resonanz der Werke und deren Autoren sowie die eigene Urteilskraft. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner II Seite 11 von 189 Der moderne Roman nach 1945 Haupttrend des modernen deutschen Romans nach 1945 und Leitthema ist das gesellschaftliche und soziale Engagement. Andere Themen, die ständig vorkommen und sich nicht nur innerhalb der literarischen Szene bemerkbar machen, ja nahezu einen roten Faden bilden, sind das Verschwinden des Helden, des Erzählers, der Handlung, sowie der Fiktionen. Es entsteht eine neue Subjektivität: Erinnerungen, Autobiographien, innere Authentizität. Besonderer Wert wird auf die Sprache gelegt, so daß von einem sprachbewußtem Erzählen die Rede sein kann. Dabei wird besonders auf genaue Wahrnehmung und exakte Sprachführung geachtet. Zusätzlich angewendete postmodernen Strategien lassen sich unter den Begriffen Pluralismus, Synkretismus und Intertextualität zusammenfassen. Der Erzähler der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg ist von einem tiefen Krisenbewußtsein geprägt. Die Wirklichkeit und somit die Welt, die als einziger Bezugspunkt fungieren sollte, ist nun, nach dem verheerenden Ereignis Weltkrieg, insgesamt fragwürdig geworden. Diese erweist sich nun erzählend nicht mehr als vermittelbar. Damit kommt ein latentes Problem, das schon zur Jahrhundertwende Hugo von Hofmannsthal im „Chandos-Brief“2, wo er die Unmöglichkeit der Beschreibung der Welt durch die Worte bzw. durch die Sprache, angedeutet hatte, zum Vorschein. Bei James Joyce kam diese Krise 2 Hofmannsthal, Hugo von: „Ein Brief“, in Hugo von Hofmannsthal Sämtliche Werke Kritische Ausgabe, Bd. XXXI, S. 45ff, Fischer, Frankfurt am Main, 1991. (1902 geschrieben) Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 12 von 189 Anfang der 1960er vollends ans Licht3, bis Doderer in den 50er Jahren schließlich von der Krise des Romans, als Krise unserer Wirklichkeit sprach. Dies schlägt sich auch auf den Leser nieder. Der Erzähler, der einst wie ein leitender Virgil diesen durch das Dickicht der Handlung geführt hatte, zieht sich nun zurück, die Personen schrumpfen in ihrer Persönlichkeit. Diese Rücknahme und Reduktion der menschlichen Eigenschaften, die sich bereits in Musils „Mann ohne Eigenschaften“ etc. andeutete, verstärkt die Zweifel an der persönlichen Identität und Individualität und relativiert somit die Integration mit der Umwelt. Einzelschicksale haben beträchtlich an Wichtigkeit und Interesse verloren, im selben Maße wie das Ich und die Welt auseinandergefallen sind. Im (aufkommenden) Zeitalter der technischen Medien und der allgemein technisierten Welt reagieren die Automation des Mechanischen und Materiellen; das gemütlich Funktionale und Praktische, die Anonymität der neuen Gesellschaft und die Entfremdung vom Mitmenschen, Arbeit, sowie von der Umwelt. In dieser Gesellschaft leben die Menschen voneinander getrennt, ständig auf der Suche nach Identität, ohne sich zu merken zu sein, daß sie frei von jeglichem Rollenbewußtsein dahinexistieren. Der zu einer anonymen, eigenschaftslosen, namen- und heldenlosen Masse degradierte Mensch ist dieser Welt ausgeliefert. Dies alles wirkt sich natürlich auf die sensiblen Seismographen Literatur und Kunst ein und schlägt sich in den Werken der oft umstrittenen Künstler als Ausdruck der modernen Bewußtseinslage nieder. Die Rolle des Helden wird fragwürdig, ebenso die Rolle des Erzählers, der mit der merkwürdigen Paradoxie des ‘nicht-mehrErzählen-Könnens’ konfrontiert ist. 3 siehe vor allem Joyce, James: „Ulysses“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1961. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 13 von 189 Der Held verschwindet nicht von der Roman- bzw. Bildfläche, er schrumpft aber vom einstigen Charakteristikum des vergangenen Romantypus4 zu einer skurril modifizierten Form, sowie in seinem konkreten und reellen Aktionsbereich. Die sinn- und wertetragende Hauptfigur, wie sie uns aus den „alten“ Romanen bekannt ist, existiert nicht mehr. Es gibt keine festumrissene Psychologie, keinen Raum personaler Verdichtung und keinen geschlossenen oder festgesetzten Lebenslauf, auch keine intakte Welt im Sinne Fontanes, Kellers oder Thomas Manns mehr. Der Held wird somit in einem bestimmten Sinne eliminiert, denn neben der reellen und konkreten Welt treten auch andere Makrokosmi auf, die Autor und Leser beeinflussen und skeptisch stimmen. Zu einer immer größeren Bedeutung und klar die Grenzen der Persönlichkeit überströmend, sowie die Trennwände der Einzelsubjekte durchbrechend, tritt das Unbewußte und Unterbewußte ans Licht. Die äußeren Einflußsphären sind dermaßen angewachsen, daß sie nicht mehr isolierbar oder zu umzäunen sind. Das Großkomplex der Gesellschaft ist undifferenzierbar geworden und das Ich, das einst als bergende Phiole fungierte, ist gesprengt oder kann den Inhalt nicht mehr fassen. Dadurch zerfließen diese Inhalte. Man ist nicht mehr in der Lage, an die Gestalten zu glauben, weder als Autor noch als Leser. Der Held sowie das Ich des Individuums kann das Gewicht der Geschichte nicht mehr tragen und gerät ins Wanken oder bricht, wie ein labiles Konstrukt, in sich zusammen. Er ist kein Agierender mehr, sondern ein Reagierender, der dem Geschehen und der Umwelt schutzlos ausgesetzt ist. 4 Der pikarische Held, der sich durch eine Schelmenwelt à la Grimmelshausen bewegt Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 14 von 189 Auch die Darstellung einer fiktionalen Welt, die universale Maßstäbe annimmt, ist fragwürdig geworden, denn auch der allwissende Autor ist fragwürdig geworden. Die Globalisierung erfolgt auf allen Bereichen und die Informationsmenge kann von einem Autor nicht mehr überblickt werden. Die Alternativen sind Berichte, Statistiken, Informationsmaterialien oder Erzählungen und Erfindungen5. Es werden andere Wirklichkeiten innerhalb der Werke und der Phantasie der Leser konstruiert. Die Kunst und somit auch die Literatur, die einst eine genuine Interpretationsform der menschlichen Welt war, kehrt sich von jeglicher Art universalistischen Erzählens ab. Der autarke Romanheld, sein Mythos und seine Autonomie, ebenso wie die harmonische Übereinkunft mit der Umwelt, sind abhanden gekommen. Daher muß der Romancier nach etwas Neuem und Zeitadäquatem suchen. Mit den Themen verändert sich zugleich die Rolle des Erzählers: der einst allwissende und allgegenwärtige „Gott“ wird zum begrenzten und ungewissen Berichterstatter, ein Mensch in Raum und Zeit. „Mit der Zeit kommen die Menschen immer noch am wenigsten zurecht. Den Raum haben sie sich leichter verfügbar gemacht, jedenfalls den ihnen zugemessen, den erdumschließenden. Zeit aber bleibt Teil des kosmischen Überschwangs. Mit ihr können die Irdischen nicht nach ihrem Belieben umspringen, können sie weder erobern noch zerstören und nicht zu dem Ihren zählen.“6 Diese Lage des neuen Romans ist die Konsequenz einer veränderten Bewußtseinslage. Der Roman, sowie sein Schöpfer, ist nicht mehr im Stande, 5 Also subjektive Kreation eines eigenen bekannten oder mehr vertrauten (fiktionalen) Universum. 6 Strauß, Botho: „Der junge Mann“, Deutscher Taschenbuch Verlag, München/Wien, 1997, S. 7. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 15 von 189 die Welt als Totalität wiederzugeben. In seinem Kopf entsteht nicht mehr ein fertiges Gebilde, wie es heute auch keine überschaubare und sinnerfüllende Weltsicht mehr gibt. Es ist dem Romancier, oder das was von ihm geblieben ist, nicht mehr möglich, eine fertige Interpretation der Welt zu geben. Er sollte nach der Tradition der Natur nachforschen, sich in sie vertiefen und deren Geheimnisse ans Licht oder zu Wort bringen. Nun, wo der zu untersuchende Gegenstand Welt nur mehr aus einer versachlichten Gegenstandswelt besteht, ist der Literat am Ende seiner Untersuchungen und tieferen Nachforschungen gelangt. Er kann sich nur noch in einen Wissenschaftler verwandeln, der das Objekt zur besseren Untersuchung seziert. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als eine Analyse dieser objektiven Gegenstandswelt zu unternehmen und bestenfalls daran sarkastische Kritik zu üben. Der Erzähler erlangt dabei eine neue, empirische Erzählhaltung. Jede Dichtungstheorie, normative Anweisung oder Dichtungskritik erweist sich als bruchstückhaft, beschränkt im Bezug auf die Erfahrungen des Literaten und gebunden an technische Details. Die Rolle des Erzählers, die Rolle des Helden, Realität oder Fiktion der Handlung, räumliche und zeitliche Dimension, Bewußtseinsebenen, unterbewußte sowie außenstehende Welten, die Rolle des Lesers und die Fiktionalität insgesamt, summieren sich als rein poetologische Überlegungen ohne irgendein System zu bilden. Versucht wird eine strukturelle Wirklichkeit zu schaffen, die in den begrenzten Rahmen der nicht mehr auf Universalität beruhenden Imagination der (Post)Moderne passen kann und neue Zeichen und Bilder vermittelt. Eine mimetische Wiedergabe der Außenwelt wäre bloße Täuschung, da sie weder zu einer Erkenntnis verhelfen, noch die Universalität reproduzieren würde, sondern nur eine Fassade. Es bedarf mehr um die totale Welt- und Selbstentfremdung darzustellen, und hier beginnt die neue Funktion des Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 16 von 189 Romans, oder das was Adorno den „Versuch, das Rätsel des äußeren Lebens zu dechiffrieren“ nennt. 7 Der Roman erzählte seit dem eigentlichen Aufkommen der Gattung im 16./17. Jahrhundert bis zu seiner Krise im 19. Jahrhundert, von individuellen Personen, ihren Taten und Abenteuern, ihrem Charakter und gegenständlichen Verhältnis des Menschen zur Welt. Das Zeitalter des Romans war gleichzeitig das Zeitalter des Individuums das schließlich im bürgerlichen Zeitalter kulminierte. Der anschließend aufkommende Kollektivismus, die Dominanz des abstrakten Weltbildes und die konsequente allgemeine Technisierung schmälerten die Aktualität und Bedeutung der tragenden Elemente des Romans. Es bleibt jedoch zu vermerken, daß sich dem Roman aber auch ganz neue Darstellungsschichten eröffneten. Nach der Jahrhundertwende gibt man den Versuch einer Beschreibung der mittlerweile unüberschaubar gewordenen Außenwelt, zugunsten eines Versuchs der Darstellung des Tiefenbewußtseins auf. Die Deckungsgleichheit von Sprache und Welt, die schon Hofmannsthal und Rilke angedeutet hatten, hat dieses Absteigen in den Untergrund der menschlichen Seele verursacht. Dies markiert ebenfalls den Zerfall des Zusammenhangs der sinnlichen Realität, der organischen Gegenständlichkeit, des romanhaften Ich und allen Endes des weltrepräsentierenden Individuums. An die Stelle des individuellen Begebnisses, der Erzählung der Schicksale von individuellen Personen und Symbol des allgemein Menschlichen, tritt ein mehrschichtiges und mehrstöckiges Kunstwerk, in dem das Geschehen auf mehreren Ebenen spielt. Die Gesamtausgabe des Werkes resultiert somit als 7 Adorno, Theodor W.: Form und Gehalt des zeitgenössischen Romans. In: Höllerer, Walter, Bender, Hans (Hrsg.): „Zur Problematik von Roman, Drama und Lyrik im 20. Jahrhundert“. 1. Jg.Akzente I, Zeitschrift für Dichtung, Carl Hanser Verlag, München,1954, S. 410 – 416. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 17 von 189 offener, ist nach einer Zusammenziehung verschiedener Geschehensschichten und Geschehenszügen konzipiert und zielt jetzt auf ein Suchen und Erforschen unbekannter und neuer Wirklichkeiten ab. Der Mensch steht aber nach wie vor im Mittelpunkt, seine Lebens- und Existenzformen haben sich jedoch enorm erweitert. Der moderne Roman registriert das Undurchschaubare und kommentiert die Zukunftslosigkeit. So wie die Gesellschaft kein einheitliches Wertesystem mehr besitzt, verzichtet auch er auf. Die einfache mimetische Wiedergabe, die dem Leser den Spiegel vor Augen hält, zeigt nun aber ein Konglomerat riesiger Komplexe, ein „Dickicht von Politik, Geschäft und Weiblichkeit“8, darüber hinaus auch Maschinen, Medien, und Abfall. Der Erzähler bleibt ein Mensch, der an seinem Schreibtisch sitzt, etwas aufschreibt, an Menschen, Bilder, an ein Thema oder eine Handlung denkt und somit an einen imaginären Schauplatz entführt und sich entführen läßt. Die Kunst und somit auch die Literatur, widersetzt sich, trotz aller Technisierung und Reduktion der Wirklichkeitsbezüge, jeder Art von Kanonisierung. Offensichtlich kann nicht mehr so erzählt werden wie im 19. Jahrhundert erzählt wurde, die Veränderungen der Jahrhundertwende schlugen sich in der Romanform nieder und setzten eine Reihe von Veränderungen in Gang. Das neue Wirklichkeitsbewußtsein und die neuen gesellschaftlichen Vorstellungen, die Hauptmerkmale dieser historischen Entwicklung, lösten eine Einschränkung der Handlung und den Wegfall des persönlichen Erzählers aus. Dies hat zu einer Tendenz der erhöhten Authentizität, zum unparteiischen, unpersönlichen, sachlichen, objektiven Erzählen geführt. Diese Technik des ‚Piont-of-view‘, die Verlagerung der Perspektive in das Bewußtsein der Romangestalt, die somit zu 8 Martin Walser, in Bienek, Horst: „Werkstattgespräche mit Schriftstellern“, Carl Hanser, München, 1962, S. 192 - 207. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 18 von 189 einem Medium wird, vermittelt dem Leser, von Standpunkt der Romanfigur, das Geschehen. Die Wirklichkeit wird durch die Optik des Mediums vermittelt, das (dennoch)jeden persönlichen oder privaten Charakter verloren hat. Die Gegenstände werden planlos und zufällig mit Hilfe einer optischen Linse, oder auf einem Bildschirm aufgenommen und dem Leser vermittelt oder aufgenötigt. Diese unbestechliche Kamera des entsubjektivierten Mediums ermöglicht dem Autor eine autoritäre Manipulation: er wählt aus, ordnet, strukturiert. Somit ergibt sich die Frage, ob der Roman allgemeine Zeitprobleme wiedergeben kann, oder nur die Innenschau des Autors und seine aktuellen Gemütszustände darstellt. Kann er Weltanschauungen zum Ausdruck bringen, Einfluß auf die Gesellschaft ausüben und auch noch ein Kunstwerk sein? Allgemeine Voraussetzung dafür ist ein kritisches und skeptisches Verhalten seitens der Leser und deren aktive Mitarbeit. Folglich wandelt sich auch die Rolle des Lesers, der sich nun nicht mehr bequem in unbekannte und neue Landschaften entführen läßt oder eine Illusion des Lebens erfährt. Er wird nun zum Denken angeregt. Von der Unterhaltung der Phantasie und bestenfalls „fruchtlosen“ Identifikation mit dem Helden zur bewußten Aufnahme des Stoffes und eventuelle Reaktion in der realen Welt. Der moderne Roman hat mit den Themen der Abenteuer- und Liebesromanen also nicht mehr viel gemeinsam. Der Gegenstand9 der Romane hat sich nicht geändert, bloß die Darstellungsform und damit das Verständnis des Gegenstandes hat sich geändert. Die Inhalte sind Tatbestände der Realität, Ausschnitte des Lebens und Bewußtseinsfragmente, geschildert aber durch veränderte Darstellungsmethoden. Die Aufmerksamkeit verlagert sich vom Subjekt zum Objekt. Dabei verselbständigt sich die Sprache, die zur objektiven 9 Liebe, Hass, Krieg und Frieden Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 19 von 189 Wirklichkeitsdarstellung tendiert. Man könnte in einem bestimmten Maße von einem neuen Realismus sprechen, der aber nicht mit der Renaissance des vergangenen Romantyps zu verwechseln ist. Er ist von der Technik her dem Film verwandt, der der Kunst neue Formen vorgezeichnet hat. Er ist gegenständlich und selbst Metaphern werden durch die Montage von Gegenständen und konkreten Vorgängen gebildet. Filmische sowie digitale Darstellung und Literatur wachsen also aufeinander zu und es kann folgende Wechselbeziehung festgestellt werden: während die Dialoge im Film aufgewertet werden10, behilft sich der Roman mit typisch filmischen Schnittechniken. Nun wird aus der Beobachtung (heraus) erzählt, so kommt verstärkt die Außenansicht der Personen zur Darstellung, weniger ihr Denken oder ihre Empfindungen. Die Zukunft des Erzählens liegt also in der „Symbiose zwischen Film und Literatur“11, dabei wird die Sprache das Instrument zur Dokumentation der Welt. Sie wird nicht mehr symbolisch, vielmehr wörtlich verwendet. Somit erfindet die Literatur nicht, sondern reproduziert Fakten, Zusammenhänge und Deutungen, die bereits vorhanden sind. Der Einfluß der informationsvermittelnden Medien, die um die Jahrhundertwende den Begriff ‚Massenmedien‘ erlangten, sowie der Werbung schlägt sich im Roman nieder und zeichnet ein neues Wirklichkeitsverhältnis ab. Die Welt liefert Sprachstoff und hinter, oder neben dem Werk versteckt oder spaltet sich nichts mehr ab. Dies bedeutet für den Leser eine völlig veränderte Situation. Während er vorher 10 In Joachim Paechs Werk „Literatur und Film“ spricht dieser sogar von einer Literarisierung des Films. 11 Baumgart, Reinhard: „Aussichten des Romans oder Hat Literatur Zukunft? Frankfurter Vorlesungen“, Luchterhand, Neuwied/Berlin, 1968. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 20 von 189 in eine fiktionale Welt entführt wurde, in der er sich geborgen fühlen konnte, so wird er heute mit einer verfremdeten Welt konfrontiert. Verfremdung durch eine zu detaillierte Darstellung jener Wirklichkeit, die ihm Sicherheit geben sollte. Der leichte Hauch von Illusion, die den klassischen Roman umgab, ist definitiv verloren. Durch diesen absoluten Wirklichkeitseffekt soll sich der Leser aber auch emanzipieren. Anstatt Fertigwelten werden ihm Muster mit Kombinationsfreiheit geboten, Möglichkeiten zum Verständnis jener Wirklichkeit, in der er effektiv lebt. Denn diese Realität ist wissenschaftlich aufgesplittert und erweist sich völlig abstrahiert. Sie läßt sich daher von der Literatur nicht mehr, wie es im 19. Jahrhundert üblich war, in einem Spiegel abbilden. Die symbolische Darstellung der Welt durch Einzelfiguren oder Einzelhandlungen, die zur Identifikation führen sollte, gehört endgültig der Vergangenheit an. Das literarische Bewußtsein von heute arbeitet, durch die Suche nach der Wahrheit, an der Erkenntnis von Wirklichkeit. Autor und Leser sind dabei beide zusammen beansprucht, denn der Schreibprozeß ist zugleich auch ein Prozeß des Lesens. Letzteres muß mit der gleichen Anstrengung und Bewußtheit geschehen wie der Akt des Schreibens und gefragt ist der kritische, aufgeklärte oder vielmehr entzauberte Leser. Die Werkzeuge, die dem Autor und dem Leser zur Verfügung stehen, sind soziale Indikatoren wie die Umgangssprache, die neuen Tendenzen und Trends, die das Alltagsleben begleiten und meist allgemein bekannt sind. Demnach ist ein ausschlaggebender Faktor des Erzählens, die Sprache. Die Welt ist zwar nicht mehr beschreibbar, sie ist aber zitierbar mittels Wiedergabe eben jener Umgangssprache, des Jargons, des Geredes oder der neuen Slangs. Der Ausschnitt aus dem Authentischen und die Detaildarstellung sind also nicht ganz verlorengegangen, sondern vielmehr zu einer sarkastischen Waffe Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 21 von 189 umgedeutet worden. Die dargestellten Realitäten werden bewußt negativ dargeboten, um die normenverfestigte Gesellschaft aufzurütteln. Die ursprüngliche Relation von Autor und Leser ist grundsätzlich intakt geblieben, sie ist jedoch schwieriger geworden. Die Intention des Autors hat sich in den letzten 200 Jahren nicht geändert: er vermittelt dem Leser ein aufgeschlossenes Wirklichkeitsverständnis und eine allgemeine Welterklärung. Diese muß aber neu bestimmt werden, denn nachdem sie idealistisch bestimmt, romantisch verfremdet oder verbürgerlicht wurde, rutschte sie später in die Absurdität und Paradoxie. Begreifliche konkrete Realität blieb zuletzt nicht mehr übrig. Der Autor wurde zum Sammler von Erfahrungen oder zum sich erinnernden Subjekt auf der Suche nach sich selbst oder nach Erkenntnis. Beides ungelöste Fragen, dabei aber bildet oder verändert sich das Bewußtsein und eben darin besteht die Hauptrolle der Literatur. Handke erwartet von der Literatur „ein Zerbrechen aller endgültig scheinenden Weltbilder [...]“, und weil er erkannt hat, [...] daß ich mich selber durch die Literatur ändern könne, daß ich durch die Literatur erst bewußter leben könne, bin ich auch überzeugt, durch meine Literatur andere ändern zu können [...]“12. Dies ist aber nur unter der Voraussetzung möglich, daß die Schreibmethode sich erneuert und sie ihr Potential aus der Gegenwart und den Eindrücken des Autors schöpft. So wird der Autor zu einem höchst sensiblen Sensor neuer Eindrücke und Weltdeutungen, die er aufdeckt und bestenfalls durchbricht. Handke beeinflußt mit seinen Werken grundlegend die deutschsprachige Literatur. Er setzt neue Themen und Stilmittel ein und läßt andere kulturellkommerzielle, belletristisch und massenmediale Ausdrucksformen, wie Film, 12 Handke, Peter: „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturmes“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1972. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 22 von 189 Kriminalroman, Fußball, Pop- und Rockkultur, alles, was die jüngeren Generationen interessiert, einfließen. Er benutzt diese als Montagematerial, Versatzstücke der veränderten Realität13 und bestätigte somit seine Aufmerksamkeit für Aktualität. Insgesamt aber erfolgt eine Auslese: das Feld der Beobachtungen hat sich zugunsten einer Präzision derselben und ihrer sprachlichen Wiedergabe verengt. Der Überschuß an realistischem Material wird der Unterhaltungsbranche überlassen. Dabei geht aber der illusionistische Weltbezug, aus dem früher die Romane geschaffen wurden, endgültig verloren. Gesamtsicht und Identität zerfallen und bestätigen das, was für das gesamte Jahrhundert symptomatisch ist. Was geblieben ist, ist die imaginäre Kraft der Bilder. Eben jenes innerliche, gesammelte und gespeicherte Erlebnismaterial, welches automatisch zum Vorschein kommt, sobald es seine passende Form gefunden hat. Einzelne Bilder in Form von Erlebnispartikeln, die zusammengesetzt einen Text ergeben. In diesem Prozeß wird der Leser auch neu entdeckt. Er soll in einem gewissen Maße, durch Rezeption, das (Kunst)Werk vollenden. Schon Roland Barthes forderte in den 1960er Jahren, die „Demontage der dominanten Position des Autors und die Anerkennung der wichtigen Rolle des Lesers“14. In Deutschland war es die „Konstanzer Schule“ um Robert Jauß, die dieser Idee nachging. Der Autor stellt lediglich einen Text mit einem gewissen Sinnpotential zur Verfügung, das sich erst durch die Rezeption durch den Leser entfalten kann. Kraft dieses Aktes wird der Leser seiner passiven Rolle enthoben. Diese Veränderung der Autorenrolle, sein Dominanzverlust, auch durch den Einfluß der neuen Medien und sein Angewiesensein auf den Leser wird dann 13 Liedertitel sowie –zitate werden in englischer Originalsprache in die Texte eingebaut 14 Barthes, Roland: „Die Lust zum Text“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 23 von 189 noch durch weitere, den Roman betreffenden Neuerungen, die später präzisiert werden, ergänzt. II 1. Von zwei Richtungen der deutschen Literatur zum postmodernen Diskurs Bis in die 80er Jahre gab es zwei Richtungen der deutschsprachigen Literatur. Diese Dualität verschliff sich im Laufe dieser Jahre und allmählich stand fest, daß sich das allgemeine politische Engagement verbraucht hatte. Die Literaturepoche, die 1934 mit dem Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller in Moskau begann, wo der sozialistische Realismus zum Programm erklärt und das Wort Individualismus zum Schimpfwort wurde, endete nun. Neue Ausdrucksformen und Erzählhaltungen, die aus der Sphäre der Postmoderne beeinflußt wurden, machten sich langsam Luft. Neue Trends der Literatur wurden bereits in den ’60er Jahren von Leslie Fiedler und Susan Sontag erkannt. Beide behaupteten, für den Roman beginne ein neues Zeitalter: Kunstwerk und Kunstgenießer sollten sich nun in einem Dialog treffen. Die Literatur sollte somit all ihre Grenzen nach allen Seiten offen halten. Wundersames und Wahrscheinliches, Wirklichkeit und Mystisches, Traum und Vision sollten sich vermischen und Teil des Textes werden. Somit wird der postmoderne Schriftsteller zu einem „Doppelagenten“15, der sowohl in der Realität der Technologie, wie auch in der Sphäre des Wundersamen zu 15 Fiedler, Leslie A: „Cross the border – close the gap!, in März Mammut. Märztexte hrsg. v. Jörg Schröder Herstein² 1984, S. 673 – 697. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 24 von 189 Hause ist. Dies war in Deutschland in den 80er Jahren ein unvergleichbares Phänomen: eine Literatur, die keiner Richtung, keinem Programm folgte, war im Begriffe zu entstehen. Schauen und Schreiben vereinigten sich und ließen eine neue Wirklichkeit, als Widerstand gegen die Monotonie des Alltags, entstehen. Der Alltag liefert die Kulisse für ein neues Theatrum Mundi, das nicht weiter ist, als „eine ständige, sagen wir wunderbare Wiederholung“ 16. Die Literatur stellt Material zur Verfügung, alles das, was sie je thematisiert hat, wird in einer unendlichen Kombinationsvarietät nun greifbar. Sprach-, Modellpluralismus, sowie verschiedene Verfahren sind ein Hinweis für Postmodernismus, können auch in einem einzigen Werk enthalten sein und eine interreferentielle Struktur bilden. Pluralismus ermöglicht Gleichzeitigkeit enzyklopädischen Wissens: Zeiten, Themen und Motive des Geschehens können synchron kombiniert werden. Somit wird das klassische Erzählprinzip, das auf zeitliche Sukzession basiert, verdrängt. Einerseits ermöglicht diese „neue“ Schreibtechnik unbegrenzte Möglichkeiten für Produktion und Rezeption, andererseits aber kann es beim Leser Verwirrung und Desorientierung verursachen. Dies beeinträchtigt auch die Erzählhaltung: die Erzählperspektive bezieht mehr Distanz, während das Ich seinen Standpunkt aufgibt. Diese Dekonstruktion markiert auch das Ende der Moderne, sie destruiert aber nicht, sie nimmt vielmehr auseinander, was vorher ein Ganzes war und mit dessen Versatzstücken, wird spielerisch eine neue Wirklichkeit aufgebaut. Die alten Erzählmittel werden somit reaktualisiert, der klassische Romanheld rückt wieder in die Mitte des Geschehens, erfährt vor allem eine Renaissance. 16 Eco, Umberto: „Il nome della rosa”, Gruppo Editoriale Fabbri – Bompiani, ,Milano, 1983. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 25 von 189 Der Radius hat sich aber noch zusätzlich erweitert und wir erfahren nun eine Totalvernetzung der Systeme. Die adornoschen „Sinn-Totalitäten“ scheinen erst jetzt zugunsten des „emanzipatorisch – ästhetischen Bewußtseins“17 überwunden worden zu sein. Man ist sich dabei dennoch dem Verlust der Werte sowie des Sinnes bewußt und geht mit Ironie, Satire und Parodie damit um. Diese Art von Roman spiegelt nicht die Wirklichkeit, sondern entwirft Gegenmodelle, die nach vielen Seiten hin offen sind. Fontanes Vorstellung von einem Roman als „Sinnbild seiner Zeit“ liegt weit zurück. Die Szene hat sich im Laufe eines Jahrhunderts völlig gewandelt. II 2. Intertextualität als neues Stilmittel Intertextualität bedeutet zweierlei: einmal ist es das Bezugssystem, das hinter dem Text verborgen steckt. Einzelne Textpartikel, die im Text nur zitiert werden. Zum anderen bedeutet Intertextualität die Überwindung des Mythos der Innovation und Einmaligkeit. Wieder zerfallen Begriffe nun aber jene der Originalität und der Genialität, somit kommt das Konzept des konzentrischen Individuums definitiv abhanden. Durch das Collagieren der einzelnen Textpartikel, die nichts weiter sind als Zitate, entsteht ein schwerdefinierbares Textgefilde mit einem unendlichen Bedeutungsfeld, das aber immer noch einer imaginären Totalität zustrebt. Hinter dieser ganzen Textpartikelentropie steckt 17 Adorno, Theodor W.: Noten zur Literatur. 3 Bde., Suhrkamp, Frankfurt, 1958. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 26 von 189 aber eine leitende Idee. Die Idee einer Unübersichtlichkeit, die jedoch kreativ genutzt wird und wiederum die Einbindung des Lesers in den produktiven Spiel- und Leseprozeß erfordert. Er soll selbst entscheiden, dabei aber immer noch geleitet von der geschickten, feinfühligen, sensiblen Hand des Spielleiters, des Autors eben, der ihm die Textbausteine in einem symbolischen Verweissystem eingeordnet liefert. Der Leser kann sich aussuchen, was auf ihn zutrifft. Es entsteht eine Art Komplizität zwischen ihm, dem Autor, und seinen Lesern, die willig auf seine Anregungen reagieren und ein eigenes Netzwerk von Informationen und Bildern errichten. Dazu bedarf es aber eines beträchtlichen Backgrounds und hängt von einer Fülle von kultureller, soziologischer und anthropologischer Faktoren ab, wobei er sich aber auf ein Spiel einläßt, daß er zu durchschauen versuchen muß. Ihre Reflektionen sind schließlich das Zugeständnis der schwer überschaubaren und nicht mehr in einem Werk darzustellenden Komplexität der Realität. Es kommen Zweifel am Erzählen auf, da die Situation, jemandem etwas zu erzählen, abhanden gekommen ist. Autor und Leser sehen sich mit einer Überhäufung von „[...] Zeichen, Sinnbildern und Symbolen, mit bizarren Visionen und mythologischen Anspielungen konfrontiert“18; „[...] ein im Traum verstecktes synkretistisches Spiel mit kulturellen Vorstellungsbilder aus verschiedensten Traditionszusammen-hängen“19. Es ist erstaunlich, was im Roman alles möglich geworden ist! Oft aber besteht das, was als Roman ausgegeben wird, aus einem Konglomerat heterogener Erzählversatzstücke. Oft wird mit 18 Reich-Ranicki, Marcel: „Der Roman ‘Der junge Mann’ des erfolgreichen Autors Botho Strauß“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 272, 01. 12. 1984. 19 Herwig, Henriette: RomantischerReflexionsRoman“ oder erzählerisches Labyrinth? Botho Strauß: ‘Der junge Mann’, in: „Strauß lesen“ Hrsg. Radix, Michael, München/Wien, 1987. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 27 von 189 umwandelbaren Ideen gespielt, wobei aber die intellektuelle Überfrachtung, der heute die meisten Menschen ausgesetzt sind, dem anschaulichen Erzählen im Weg steht. Bildhaft sollen schon vorhandene, symbolisch konstruierte Episoden eingefangen werden. Diese ergeben aber trotz ihrer arabesken Ausstattung wenig Sinn und führen kaum zu etwas Greifbarem. Die Welt besteht eben nur aus Zeichen und Zeichensysteme, die in einer unendlichen Fülle von Variablen miteinander vernetzt sind. Für die Literatur bedeutet das, daß sich Texte vorwiegend auf andere Texte oder (Trend) Medien beziehen. In solch einer Situation von totaler Intertextualität hat das Individuum keine Chance, sich zu behaupten. Dieses neue literarische Feld bedarf neuer Ausdrucksformen und der Roman dementsprechend neuer Erzählformen. Das hat eine Rebellion gegen alle Normen der Gesellschaft und des Romans zur Folge. Die neuen Stilmittel der Collage, Montage, Pluralismus und Synkretismus schaffen eine einmalige Intertextualität. Indem die Werke mit Bildern und Metaphern überhäuft werden, wird auch die Identitätssuche ad absurdum geführt. Automatisch verliert damit auch der Autor seine Subjektivität. II 3. Der Roman als multiperspektivisches Labyrinth Langsam, aber unaufhaltsam, werden durch die Globalisierung die Systeme der Welt miteinander vernetzt. Sie zu durchschauen wird immer schwieriger, auch für Insider. Dementsprechend lassen sich diese nicht mehr einfach erzählen. Ein herkömmlicher – klassischer – Roman ist diesem Labyrinth nicht mehr gewachsen. Die zunehmende Geschwindigkeit der Welt hat alles dynamisiert, Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 28 von 189 sogar die Phantasie und der Roman, wie alle kulturellen „Genußmittel“ müssen schritthalten, wenn sie „up to date“ bleiben wollen. Der Leser, der das Produkt „konsumiert“, ist einer größeren Anstrengung ausgesetzt als früher: er muß aus der Fülle von Bedeutungen, um die ein solcher Roman kreist, eine Form entdecken die aber immer variabel bleibt. Er wird sozusagen zum Architekten des Romanbaus. Schlußendlich geht es um das Bilden und Lesen einer eigenen Welt. Somit hat der Roman nur eine Zukunft, wenn die Phantasie eine Zukunft hat. Es geht also um die visuelle und sensuelle Aufnahme und Wiedergabe der Welt. Welcher Welt aber? Italo Calvino meint in seinen Harvard-Vorlesungen „[...] die Phantasie sei eine Art elektronische Maschine, die alle irgend möglichen Kombinationen durchprüft und diejenigen auswählt, die einen bestimmten Zweck entsprechen oder einfach die interessantesten, schönsten, amüsantesten sind. [...]“20. Das Lesen wird somit ein diskontinuierlicher und fragmentarischer Vorgang. Da sich im Lesevorgang die Aufmerksamkeit des Lesers in Aufmerksamkeitssegmente aufteilen läßt, welche aus bestimmte Wort- und Bildzusammensetzungen, Metaphern, oder sonderbaren Kombinationen, bestehen können, besteht der Kern des Werkes aus Elementarteilchen um die der gesamte Roman kreist. Die potentiell unendliche Vervielfachung der Möglichkeiten, bedeutet nicht den Verlust des Ichs des Schreibenden, oder dessen Suche nach Wahrheit. Jeder Mensch ist selbst „eine Kombination von Erfahrungen, Informationen, vergangene Studien beziehungsweise Lektüren und Phantasien“, dies macht aus dem Leben eines jeden eine Art „Enzyklopädie, ein Inventar von angeeignetem Wissen, das 20 Calvino, Italo: „Sechs Vorschläge für das nächste Millennium – Harvard Vorlesungen“, Carl Hanser verlag, München, 1991. (Calvino, Italo: Lezioni americane. Sei proposte per il prossimo millennio.) Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 29 von 189 durch neue Impulse, wie Spielkarten, neu gemischt und geordnet werden kann“21. Aber auch Bücher, da sie der Welt entstammen und selbst eine Welt eröffnen, sprechen auch von anderen Büchern und jede Geschichte erzählt eine meist längst schon längst erzählte Geschichte. 21 Ebd. 15 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner III Seite 30 von 189 Die technikgeschichtliche Umstellung: Von den beweglichen Lettern zu den beweglichen und digitalen Bildern III 1. Gutenberg im Medienzeitalter oder die schwarze Kunst im Zeitalter der audiovisuellen Medien Ein Buch ist ein technologisch ausgereiftes, in seiner Grundform jahrhundertealtes Produkt. „Die Gutenberg-Galaxis“ 22 , Titel eines Buchs, das der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan 1962 publizierte. In diesem geht McLuhan von der These aus, daß es über Jahrhunderte nur eine Möglichkeit gab, Informationen und Mitteilungen aufzuzeichnen, zu speichern und weiterzureichen, nämlich durch Zeichen auf Papier oder vergleichbarem Material. Heute jedoch befinden wir uns in einer anderen, vielschichtigeren „MedienGalaxis“. Denn wir können seit der Erfindung von Phono- und Photographie, sowie des jüngsten und heute bekanntesten Mediums, dem Computer und dem Internet, Ton- und Lichtschwingungen aufzeichnen und in Realzeit übertragen. Mit den allgemein verbreiteten audiovisuellen Medien wie Rundfunk und 22 McLuhan, Marshall: „Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters“ Econ Verlag, Düsseldorf/Wien, 1968. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 31 von 189 Fernsehen sowie dem Einsatz von Computertechnologie auf allen Ebenen, wird der Kosmos der Schrift und des Buches an den Rand gedrängt. Schreibtechniken zu beherrschen war, vor Gutenbergs Erfindung, ein exklusives und überaus teures Handwerk. Der Einsatz des Setzkastens und des Druckstocks hat dieses tradierte Kunsthandwerk demokratisiert, ohne es vorher beabsichtigt zu haben. Gutenbergs Ziel war vielmehr, besonders schöne Abschriften zu garantieren, also die schönsten Kopistenleistungen zu überbieten. Eine unscheinbare Erfindung mit gewaltigen Wirkungen, denn mit der Drucktechnologie ändert sich eben nicht nur die Weise, in der Schriften fixiert und vervielfältigt werden, sondern ein ganzer Kosmos: Unsere Weltbilder sind von der Idee des Buches und der Schrift geprägt. Dies entfaltet der Begriff Gutenberg-Galaxis, jedoch nur unter zwei Bedingungen. Die erste ist die Annahmen, daß alle Erwachsenen alphabetisiert sind, als zweite Voraussetzung muß das, was wir heute im Rückblick auf die Gutenberg-Galaxis Printmedien nennen, eine Monopolstellung für alle Aufgaben der Informationsspeicherung und -weitergabe haben. Beide Bedingungen werden nur für ein knappes Jahrhundert erfüllt und nur innerhalb eines eng begrenzten Raum. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 32 von 189 III 2. Am Ende der Alphabetisierung ? Der Zerfall der Monopolstellung der Schrift- und Buchkultur setzte etwa vor 100 Jahren ein. Die elektronischen (analogen und digitalen23) Medien und dessen Verbreitung, rückten Gutenbergs Erfindung etwas in den Schatten. Mit der Entwicklung von Rundfunk und Fernsehen zu Massenmedien und mit dem Siegeszug der Computerkommunikation ist die Gutenberg-Galaxis endgültig an ihr Ende gekommen. Die neue Galaxis, in die die moderne Konsumgesellschaft nahezu hineingeschleudert wird, erinnert aber, zumindest in einer wichtigen Hinsicht, an die Epoche vor Gutenberg. Wer am Leitmediensystem teilhaben will, muß heute nicht mehr alphabetisiert sein. Wer Radio hört und fernsieht, findet, trotz seines Mankos, einen verständlichen Zugang zu den Informationen seiner Zeit, ohne unbedingt der Kunst des Lesens mächtig zu sein. Das neue audiovisuelle System ist nämlich von audiovisueller Unmittelbarkeit und vermittelt nicht über abstrakte Zeichensymbole. III 3. „Alte“ Medien mit neuer Rolle Die These vom „Ende der Gutenberg-Galaxis“ bedeutet aber gewiß nicht, daß es in Zukunft keine Bücher und Printmedien mehr geben wird. Neue Medien 23 Analog: (math.) strukturell oder funktional übereinstimmend, durch dieselbe math. Beziehung beschreibbar, (EDV) einen Wert durch eine phys. Größe darstellend (z.B. durch eine elektrische Spannung), Ggs. digital. Digital: (tech.) (EDV) in Ziffern darstellend (Daten, Informationen), Ggs. analog Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 33 von 189 haben es noch nie geschafft, die „alten“ zu verdrängen oder zu ersetzen. Das Neue sorgt jedoch dafür, daß das Alte gänzlich neue Funktionen übernimmt. Die Printmedien unterliegen einer Ausdifferenzierung: für schnelle Informationen sind Radio- und TV-Meldungen sowie das Internet zuständig, für die Abstand nehmende, auch zeitlich verschobene Aufarbeitung der Information bleiben die Printmedien verantwortlich. Natürlich kann man auch Lyrik am Computermonitor lesen, trotzdem erscheint der Lesesessel mit dem Glas Wein in greifbarer Nähe der angemessenere Rahmen. Börsenkurse hingegen haben auf dem Bildschirm mehr zu suchen. Johannes Gensfleisch, Gutenberg wäre zur Jahrtausendwende 600 Jahre alt geworden. Das Institut für Buchwissenschaften der Gutenberg-Universität Mainz plant nun eine seiner Bibeln zu digitalisieren und sie ins Internet stellen, sie für jeden überall auf dieser Welt virtuell verfügbar zu machen. Die einst durch extra dafür gegossene Bleilettern entstandenen Buchstaben des heiligen Textes, werden nun in Bits and Bytes aufgelöst. Somit werden sie zu einem doppelten Symbol für den technischen Fortschritt: die Medienrevolution des 15. Jahrhunderts und die der gerade bestandenen Jahrtausendwende. Der Siegeszug des Buches, der bis heute, trotz Internet, anhält bestätigt die enorme Bedeutung dieses Mediums. Auch deshalb wurde Gutenberg von einem amerikanischen Autorenteam zum wichtigsten Mann des Jahrtausends gewählt und führenden Technologieexperten Deutschlands haben den Buchdruck, vor dem Computer, zur wichtigsten Erfindung der letzten 1.000 Jahre ernannt. Gutenbergs Druckpresse brachte die Macht der Ideen in alle Welt. Gutenbergs Zeit war die Epoche der Universitätsgründungen, des Humanismus und des Bildungshungers bei Adel und Bürgertum. Die hohen Kosten und der enorme Zeitaufwand des handschriftlichen Kopierens von Büchern stießen an eine Grenze. Durch seine Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 34 von 189 Erfindung konnte jeder beliebige Text, mit bedeutend geringeren Aufwand, zusammengesetzt werden. Die erste industrielle Massenfertigung der Weltgeschichte war geboren. Die letzte Revolution und die neueste Generation Gutenbergs „Kinder“ – über die Vereinfachung des Umgangs mit dem gutenbergschen Bleisatz durch die Einführung der Linotypes und schließlich deren Überwindung durch die Fotokomposition, sind die digitalen Druckverfahren. Es dauerte nur 50 Jahre bis der Buchdruck damals in ganz Europa Verbreitung fand. Heute ist auch das Internet ein wichtiges Lesemedium. Man zählt im Moment um die 180 Millionen Internetnutzer und die Zahl ist im ständigen Wachsen. Die „alte Kulturtechnik des Lesens“ scheint also nicht in Vergessenheit zu geraten. Es macht sich jedoch ein Topos, eine These breit, daß die Digitalisierung Anfang vom Ende der Schriftkultur sein soll. Das Fernsehen ist das Medium, das Bilder und Töne (gesprochene Sprache und Musik) vorrangig übermittelt, nicht aber der Computer. Er als Textverarbeitungshilfe omnipräsent und wer würde schon schreiben, ohne zu lesen oder geht davon aus, daß jemand das Geschriebene liest, was mit Hilfe des Textverarbeitungsprogramms geschrieben wird. Somit könnte man sogar behaupten der Computer sei der Retter jener „alten Kulturtechnik“. E-Mails ersetzen Telefongespräche, damit ist ein Bollwerk gegen den vermeintlichen Durchbruch von Mündlichkeit und Analphabetismus errichtet. Im Zeitalter des Internet und der e-books, die in den Medien eine so große Rolle spielen, bestätigt sich nun die These die, Marshall McLuhan24 bereits 1962 formulierte. Er sah Gutenberg als den Urheber der sogenannten „Ersten 24 „Die Gutenberg-Galaxis: the Making of the Typographic man“ Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 35 von 189 Medienrevolution“. Durch den Buchdruck erfolgte eine Umstellung von der mündlichen (oral-auditiven) Kultur des Mittelalters auf eine visuelle. Heute gilt Gutenberg als der Vorläufer der gegenwärtigen Medienrevolution und McLuhans These, bei der er eher assoziativ vorging, ist wieder aktuell und mit der Beschreibung des Medienwechsels von der Handschrift zum Druck integriert worden. Durch den Buchdruck wurde die (Hand-)Schrift „befreit“, dabei aber auch etwas verdrängt. Es sind erstaunliche Parallelen zwischen diesem historischen Medienwechsel und der „Einführung der elektronischen Medien in der Gegenwart“ zu erkennen. Inzwischen hat sich mit der computergestützten Kommunikations- und Informationstechnologie eine vierte Urszene eröffnet. Insbesondere das Internet repräsentiert eine neue Dimension in der Technisierung und Digitalisierung der Kommunikation, es führt aber in mancherlei Hinsicht auch zurück zu den Ursprüngen. Die Tendenz zu einer Re-Oralisierung der westlichen Kultur ist eines der auffälligsten Phänomen. Tatsächlich scheinen sich die Kommunikationsformen im Internet wie Chatten, Newsgroup-Diskussionen oder E-Mail ganz eindeutig an mündlichen Kommunikationssituationen zu orientieren. Zusätzlich ermöglicht das Multimedium Internet bidirektionale und multidirektionale Kommunikation. Der Computer also als Gerät, mit dem nicht nur die epochale Erfindung des Buchdrucks übertroffen scheint. Jeder scheint diese bloß schachtelgroße, jedoch perfekte Druckerwerkstatt mit größter Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit bedienen zu können. Heute, 550 Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, scheint damit jeder sein eigener Drucker geworden zu sein. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 36 von 189 Einzelmedien wie Internet, PC, E-Mail, Fax, Telefon, TV und Zeitung sind heute auf der Suche nach den ihnen spezifischen Funktionen. Die vielen verschiedenen Medien, die zum Teil stark untereinander konkurrieren, streben aber auch eine Koexistenz an, die die Gutenberg-Galaxis also nicht verdrängen sondern ausweiten und integrieren könnte. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner IV Seite 37 von 189 Das neue Literarische Feld: Texte schaffen Bilder – Bildern schaffen Texte IV 1. Bilder und Texte – Definitionsversuch und Wirkung IV 1. 1. Bilder: Bilder können Sachverhalte oder Gegenstände darstellen, zum Beispiel Menschen, Tiere, Landschaften oder jeweils ein Detail davon oder daraus, sogar dem menschlichen Auge Unsichtbares wie Ultraschall-, Röntgen- oder Satellitenbilder. Sie verhelfen Abstraktem eine reale Form anzunehmen (Ideen, Pläne oder Wünsche) oder Facetten, die das Feld des menschlichen Auges weit überschreiten. Bekommt man ein Bild vorgelegt, bei dem man das Abgebildete nicht genau identifizieren kann, spekuliert man oder verlangt nach Erklärungen. Bei dieser Spekulation wird bereits individuell angeeignetes und kulturspezifisches kollektives Wissen aktiviert. Dieses entstammt einer langen Tradition im Umgang mit Bildern und assoziativ wird an Bekanntes angeknüpft. Bilder sind Momentaufnahmen von Augenblicken, die im Normalfall nicht isolierbar sind. Sie sind Teile lang andauernder Wahrnehmung, vermitteln Vorstellungen und gelten meist als authentisch. Dies macht sie, wenn sie nicht manipuliert werden, zu Beweisstücken, die natürlich auch archiviert werden können. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 38 von 189 Da Bilder sich meist an der wahrnehmbaren Realität orientieren, sind sie wirklichkeitsnah und offen für jede Auswertung. Stellen sie Dinge parallel dar, die in der Realität nicht so vorhanden sind, erzielen sie synchrone Optik und Konvergenzen, sowie Divergenzen und Gegensätze besser und klaffender darstellen. Platon sprach ihnen in seiner „Ars poetica“ eine „magische Kraft“ zu, denn sie besitzen und drücken mehr Emotionales als Intellektuelles aus. Bilder sind auf ein Medium angewiesen um zu materialisieren. Nur so kann man sie visuell wahrnehmen und zwar auf zweifacher Weise: einmal die Wahrnehmung auf der Bildoberfläche und andererseits die Wahrnehmung dessen, was das Bild darstellt. Beim Wahrnehmungsvorgang wird die Aufmerksamkeit auf bestimmte Eingangsinformationen konzentriert. Es wird konstruktiv und synthetisch vorgegangen wobei in kürzester Zeit eine globale Orientierung vorgenommen wird, die eine weitere Auswertung steuert. Kognitive Schemata und alte Gedächtnisstrukturen werden aktiviert. Neben diesen allgemeingültigen Reaktionen, Erwartungen, Absichten und Erfahrungen, wirken in die Sichtweite auch Emotionen ein. Spontane Interessen, Motivationen, Abwehrmechanismen oder Reflexe treten in unterschiedlichsten Formen auf. Oft sind mehrere Identifikationen möglich25, sodaß bewußt offen bleibt, was der Künstler ausdrücken wollte. Natürlich ist aber auch eine rein subjektive Bildbetrachtung möglich. Im Verlauf der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, hat sich die Wahrnehmung von Bildern verändert. Zum einen weil sich die Bilder selbst verändert haben und zum anderen durch die Entwicklung der Kommunikationsmedien. Seit der Erfindung des Films hat sich sogar unsere 25 Vorwiegend bei künstlerischen Bildern ist dies der Fall. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 39 von 189 Wahrnehmungsgeschwindigkeit verändert26. Neben diesen Veränderungen in der Geschwindigkeit der Wahrnehmung, hat sich auch ein internationaler Einsatz möglich gemacht, da in den meisten Fällen keine Sprachgebundenheit vorliegt. Zeichen können zum Teil universell eingesetzt werden, denn sie sind mittlerweile in unterschiedlichen kulturellen Traditionen vorhanden. Verändert haben sich auch Konventionen, die kulturspezifischen Richtlinien, wie eine gewisse Abbildung wahrzunehmen ist. Deshalb eignen sich Bilder sehr gut als Signale um Aufmerksamkeit zu erregen. Das Feld auf dem dies, mit verschiedenen Techniken, angewendet wird, ist kaum zu überschauen: von Zeitungstexten bis zu Verkehrsschildern. Die optischen Informationen, die von ihnen ausgehen, sind aber selten eindeutig. Ohne Begleittext oder ein gewisses Grundwissen, liefern sie eine Fülle an verschieden auswertbaren Informationen. Nicht immer ist der Vermittler moderner Bilder daran interessiert, informierende Botschaften mitzuteilen. Er ist meistens eher daran interessiert, im Betrachter präkommunikative Wahrnehmungen, Reize und Reaktionen auszulösen27. Aus der sicht der modernen Massenmedien können ganze Themenkarrieren durch das Vorhandensein attraktiver, vor allem emotionaler Bilder gefördert werden. Es bleibt allerdings zu bedenken, daß der Reiz- und Aufmerksamkeitswert, also die Appellebene der Bilder, der Sprache weit überlegen ist, während sie auf der Ausdrucksebene nicht gleichwertig zu bewerten und auf der Darstellungsebene der Sprache sogar unterlegen sind. Das bedeutet, daß sie ohne sprachliche 26 Bilder bieten pro Zeiteinheit viel mehr Information, als Sprache, dementsprechend haben wir uns daran gewöhnt, drei Filmausschnitte in der Sekunde wahrzunehmen. Man operiert mit immer kürzeren Schnittfolgen und bietet immer schneller neue Bilder oder Bildsequenzen an. 27 zum Beispiel in Musikvideos Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 40 von 189 Unterstützung nicht die Präzision der Informationsvermittlung eines Textes erreichen. Im Falle einer Bildreihe ist der Betrachter dazu geneigt, Zusammenhänge zwischen den einzelnen Bildern herzustellen. Dabei entstehen in seinem Kopf Geschichten, die für einen anderen unkohärent oder zusammenhangslos erscheinen können. In jedem Einzelnen geht also vorwiegend eine subjektive und kulturbedingte Auffassung sowie Verwertung des täglichen Bildmaterials vor. Aus jedem dieser Bilder eröffnet sich ein völlig neues Feld. IV 1. 2. Texte: Texte sind grundlegende Bestandteile der Sprache. Der „normal“ gebildete Mensch spricht und schreibt in Texten. Sie sind eine Aneinanderreihung von Wörter und Sätzen die kohärent und sinnvoll aufeinander bezogen sein müssen. Der abgeschlossene Sinn erschließt sich erst im Text und bezieht sich auch auf eine bestimmte Umgebung für die er gedacht und produziert worden ist. Texte werden also nach bestimmten Mustern produziert und rezipiert, die der Mensch erlernt hat. Die Formen sind, je nach intendierter Wirkung (Informations- oder Emotionsvermittlung), variabel und werden nach der jeweiligen Botschaft entschlüsselt. Während bestimmte Texte Emotionen ausschließen, werden diese in anderen bewußt eingesetzt oder erwartet. Im literarischen Sektor haben sich Gattungen und Genres herausgebildet, die traditionell eingehalten werden, zum Beispiel bei Romanen, Erzählungen, Novellen, Gedichten oder Dramen. Gegen diese kann und wird immer häufiger Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 41 von 189 bewußt und absichtlich verstoßen, um neue künstlerische und poetische Qualität zu gewinnen. Dabei wird erwartet und zum Teil erhofft, daß der Leser dies erkennt oder erwartet. Im Normalfall ist eine dieser Funktionen dominant, es kann aber auch zu Mischformen kommen. Die Reizwirkung ist bei letzteren deutlich höher, da bedeutend mehr Kreativität in der Produktion und in der Rezeption notwendig ist. Durch die Erfindung der Schrift traten Sprache und Texte in ein neues Verhältnis zueinander. Da es sich um ein vorwiegend visuelles Medium handelt, eröffnete dieses eine neue historische Dimension, d. h. nun wurden abstrahierende, reflektierende und weitläufige analytische Vorgänge möglich. Durch den Buchdruck wurde die Visualisierung von Schrift beziehungsweise Text noch zusätzlich verstärkt. Der Buchdruck „befreite“ die Sprache von jeglichem persönlichen Ausdrucks und verwandelte sie in ein technisch einwandfreies Produkt. Der (hand)geschriebene Text ist keineswegs so linear wie es der gedruckte ist, er erweist sich vielfach mehrdimensional, assoziativ und erscheint in vielerlei Hinsicht als verflüssigt. Erst durch das Schreiben am Computer und die direkte Übermittlung von Text zur Druckmaschine, hat sich die kulturelle Situation etwas geändert. Durch ihn können gewisse Eigenarten und Charakteristika der geschriebenen Sprache, auch solche die aus der Oralität stammen, übernommen und im Text eingeführt werden. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner IV 1. 3. Seite 42 von 189 Kombination von Bild und Text Optische Informationen treten in den meisten Fällen in Begleitung sprachlicher Kommentare auf, die die Bildmitteilung ergänzen. Diese können die optischen Informationen mit verschiedener Intensität beeinflussen, legen aber meistens den gesamten Sinnkontext der Bilder nicht völlig frei. Die Kenntnis der Bedeutung ikonischer Bildformen wird vorausgesetzt, denn vor einer verbalen Interpretation soll vor allem das Bild in seinem repräsentativen Sinn verstanden werden. Nur so können symbolische Objektbezüge hergestellt werden. Alles das, was nach dieser ersten Erfassung geschieht, ist weder eine Dechiffrierung der Bildinhalte, noch deren Interpretation. Beides wird höchstens angedeutet oder es wird durch Text auf zentrale Teilaspekte aufmerksam gemacht. Der Übergang vom bildlichen in den sprachlichen Sinnkontext ist bloß ein Versuch eines Nachvollzugs. Das durch den Abbilder Vorgedachte versucht der Betrachter nachzuvollziehen, wobei andere, neue Reize im Rezeptions- und Denkprozeß auf ihn einwirken. Bilder konkurrieren nicht direkt mit Sprache. Beide weisen im symbolischen Bereich verschiedene Organisationsgrade und Strategien auf. Konkurrenz entsteht nur auf dem Gebiet der Virtualisierung des Sichtbaren. Nichtsdestotrotz ergänzen und erweitern beide Mitteilungsformen jeweils ihre spezifischen Eigenschaften. Bilder werden in einem visuellen Gedächtnisreal (ein visueller Erinnerungsinhalt) und gleichzeitig in einem verbalen Sinngehalt im Gedächtnis abgelegt. Diese werden bei Bedarf dann umkodiert und assoziativ abgerufen. Eine höhere Erinnerungswahrscheinlichkeit wird aber den Bildern zugesprochen, da visuelle Reize einen besseren Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 43 von 189 Zugang zum Gehirn besitzen28. Die Aufnahme und das Verständnis von Bildern folgt einer anderen Logik als jene der Sprache. Während viele visuelle Darstellungen klar , durchschaubar und logisch wirken, können sie, wenn man sie in Worte faßt, absurd, dümmlich oder unverständlich wirken29. IV 2. Funktionalität der Bilder Bilder veranschaulichen die Inhalte von Texten, haben also ihnen gegenüber eine darstellende Funktion. Die Abbildung wiederholt Elemente, die inhaltlich im Text vorzufinden sind, sie ist sozusagen redundant, wirkt dabei jedoch nicht belastend oder langweilig. Denn diese zweite Aufnahmemöglichkeit dient in einem gewissen Maße der Erläuterung des Textes. Zusätzlich kann durch Bilder eine Makrostruktur gebildet werden, die große Textmengen reduzieren, gliedern oder kohärent gestalten kann. Der Visualisierung kann also neben einer textverständnisverbessernden auch eine Ordnungsfunktion zugesprochen werden. Schwer verständliche Inhalte des Textes werden oft durch Analogien oder visuelle Metaphern veranschaulicht. Das Bild dient nicht nur als Illustration oder Dekoration, die Textaussage wird durch das Bild konkretisiert und mnemotechnisch umkodiert. Schlüsselkonzepte eines Textes treten klarer 28 wirken durch die Augen direkt ein und müssen vorerst nicht umkodiert oder verarbeitet (durch Interpretation von Sprache und Inhalt) interpretiert werden 29 Erotische Reize sind über Bilder deutlich besser zu kommunizieren als über Texte. Optische Täuschungen werden in der Werbung zum Teil bewußt eingesetzt um Kaufreiz zu bewirken und schließlich suchen die meisten Leser beziehungsweise Betrachter von Zeitschriften den Kontakt zu Bildern und erst dann zu den Texten. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 44 von 189 heraus, Hauptrelationen der Textinhalte werden schneller verfügbar. Dies führt zu einer wesentlichen Erleichterung und Erweiterung der Aspekte der Textverarbeitung. Texte und Bilder ergänzen sich gegenseitig und das eine kann dazu beitragen, das andere besser zu strukturieren. Inhalte werden wesentlich reduziert, d. h. Texte mit beachtlichen räumlichen Dimensionen werden visuell leichter zugänglich gemacht. Manche Texte sind heutzutage dermaßen unvorstellbar, nahezu abstrakt geworden, daß es einer Darstellung bedarf, um sie wieder zu konkretisieren. Das Verhältnis von Sprache und Bild hängt auch vom Einsatz in den jeweiligen Medien ab. Dabei fällt auf, daß je jünger das Medium ist, desto höher der allgemeine Anteil an Bildern ist und der Text stärker in den Hintergrund tritt, zum Teil sogar ersetzt wird. Text- und Bildgestaltung werden weitgehend emotionaler angesetzt. Werden Texte und Bilder sequentiell „angeboten“, so kann das im Medium jeweils zuerst erscheinende, im Leser/Betrachter/Benutzer eine bestimmte Einstellung suggerieren, die sich dann in der Verarbeitung des anderen beziehungsweise gesamten Materials auswirkt. Die Aufmerksamkeit kann bewußt auf bestimmte Aspekte des Dargebotenen gelenkt werden. Dadurch wird die Verarbeitungstiefe grundsätzlich beeinflußt und obliegt dem „deus ex machina“, dem „master of cerimonies“, dem Autor des Dargestellten. IV 3. Mediale Kommunikation im „optischen Zeitalter“ Die Mediale Kommunikation steht im Zeichen der „Bilderflut“ und ist demzufolge von den Text-Bild beziehungsweise Bild-Text Medien beherrscht. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 45 von 189 Diese haben sich seit der Jahrhundertwende (19. – 20. Jahrhundert) nach allen Seiten durchgesetzt30 und eine Leitfunktion übernommen. In ihnen wird neben dem Text eine, für Insider31 allgemein verständliche „Bildsprache“ eingesetzt (ein „visual Esperanto“). Bereits 1931 verkündete ein Artikel des „Paris Soir“, das „Bild sei in unserer Zeit König“. Wissen allein genügt nicht mehr, man will sehen. Wenn Inhalte sprachlich nicht mehr ausreichend und befriedigend weitergegeben werden, so werden sie durch Bilder oder Bildfolgen visualisiert. Das markiert den Übergang von einer schriftorientierten Kultur zu einer Kultur des Bildes und des audiovisuellen Diskurses. Sprachliche und visuelle Texte durchdringen sich. Die einzige Voraussetzung dazu ist nur, daß die Realität besser durch und in Bildern als in Worte ‘verdichtet’ werden kann. Medien durchdringen oder ergänzen sich auch gegenseitig. Aus einem Roman kann ein Film oder eine Vorlage entstehen, sogar Computerspiele oder ein eigens vorgesehener Soundtrack sind ebenfalls möglich. Umgekehrt kann aus einer Fernsehserie aber auch ein, aus der Vorlage reich bebildertes Buch entstehen. Text-Bild- beziehungsweise Bild-Text-Formen sind für die Kultur der vergangenen Jahrzehnte kennzeichnend. Plakate, Zeitungen und Zeitschriften, bebilderte Bücher, Bildbände Collagen und Filme kamen als Medienprodukte unter die Menschen. 30 31 der sogenannte „pictural turn“ d. h. jene die im ständigen Kontakt mit Medien und dem ständigen Kontakt der Medien ausgeliefert sind. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 46 von 189 Was charakterisiert nun die Kulturszene unserer Zeit? Zweifellos ist ein Kontinuum zu erkennen. Man hat die visuelle Sensibilität verwerte und sie ausgeweitet. Eigenschaften wie Simulation, Interfaces, Immaterialität Simultaneität, Flüchtigkeit, Beschleunigung, Steigerung der Komplexität, Auflösung der zeitlich-räumlichen Dimension, Auflösung von Einheit und Kontinuität des gewohnten Wahrnehmungsraumes sind die Fortsetzung dieser Entwicklung. Durch die extreme Förderung der Dominanz des Bildes besteht aber auch die Gefahr, daß nach einem Leseverlust der Sprachverlust oder gar die Sprachlosigkeit Wissenschaftsdisziplinen32 einsetzt. werden pädagogisch- didaktisch immer mehr eingesetzt und dementsprechend auch gefordert. Es wächst somit eine stark visuell orientierte Generation heran, die aber mit „Nebenwirkungen“ wie Sprachentwicklungs- und Lesestörungen, mangelnde Textverständnis sowie im Extremfall Analphabetismus konfrontiert wird33. Ob dies ausschließlich dem verstärkten Einsatz des Bildmaterials und der visuellen Informationsvermittlung zuzuschreiben ist, soll hier nicht untersucht werden. Sicherlich aber hat die stark bildorientierte Entwicklung mit dazu beigetragen, daß eine gewisse Lese- und Verständnisfaulheit vor allem unter 32 wie „imagin science“ oder „Visualistik“ beziehungsweise eine „Visual Education“ und Visual Literaricy“ 33 In Deutschland stieg in der letzten Jahrzehnten die Zahl der Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen um etwa 600%. Eine relativ hohe Anzahl der Besucher der Hauptschule (8. Klasse) weisen eingeschränkte Schreib- und Lesefähigkeiten auf. Dies hat zur Folge, daß auch eine relativ hohe Anzahl der erwachsenen Deutschen nicht in der Lage sind, inhaltlich einen Text gänzlich zu verstehen. Zusätzlich ist es erschreckend, daß es in Deutschland mehr als drei Millionen Analphabeten gibt. (Pisastudie) Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 47 von 189 den jüngeren Generationen eingetreten ist. Bilder und visuelles Material bieten schnell konsumierbares Wissen und bequeme Aneignung von Informationen. Bilder werden wegen ihres hohen Unterhaltungswertes geschätzt. Zusätzlich bedarf die Aufnahme und der Genuß geringer Anstrengungen. Sie werden daher auch oft unterschätzt oder passiv erlebt. Man geht nicht mit Sorgfalt in ihrer Wahl um, konsumiert sie in Massen ohne sie anzuzweifeln. Dadurch verbreitet sich eine gewisse Oberflächlichkeit, man erlangt immer seltener eine kritische Bildkompetenz und kann zu „piktoralen Analphabeten34“ werden. Menschen tragen Bilder in sich, erinnern sich in Bildern, träumen in ihnen. Die Kombination dieser ist grenzenlos und obliegt keinen Konventionen, die ein geschlossenes System von abstrakten Regeln bilden. Sie sind also die müheloseste geistige Sprache, denn jede Beschreibung in Worten, oder unbewegtes Bild verlangt eine Anstrengung des Gedächtnisses, bevor ein Abbild im Kopf entsteht. Vorgefertigte Bilder (Fotographien, auf der Leinwand oder am Computer) erledigen den ganzen Vorgang des Betrachtens, Beschreibens, Berichterstattung und sogar des Vorstellens. Ohne mehr Mühe aufzuwenden als wach zu bleiben, wird also das Ergebnis, das normalerweise die Vorstellungskraft übernehmen sollte, von den technischen und/oder den elektronischen und digitalen Medien erstellt und fertig serviert. 34 Straßner, Erich: „Text-Bild-Kommunikation – Tübingen, 2002, S. 16. Bild-Text-Kommunikation“, Niemeyer, Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 48 von 189 IV 4. Text-Bild Medien Das Bild übte lange Zeit die Funktion des Informationsmittlers, vor allem für Analphabeten, aus, wobei es überwiegend politische und religiöse Inhalte vermittelte. Der Wand- und Buchmalerei waren aber, vor Erfindung des Drucks, enge Grenzen gesetzt. Erst Gutenbergs Erfindung ermöglichte eine schnelle Verbreitung der Inhalte durch Bücher, Zeitungen und Flugblätter. Bilder verstärkten die gedruckten Aussagen und trugen zu einer Erweiterung des Blicks bei. Durch diese Entwicklung kam es zu einer Revolution der Wahrnehmung, denn das Druckerzeugnis ermöglichte eine Organisation des Wahrnehmungsaktes. Durch die Verbindung von Druck und Fotographie begann das Zeitalter der visuellen Massenmedien. Zusätzlich veränderte das Bild, durch die Überwindung räumlicher und zeitlicher Grenzen, die Wirklichkeitserfahrung des modernen Menschen. Die Fotographie verklärte zunehmend die Objekte, die sie abbildete und ästhetisierte sie sogar. Sogar Bilder des Elends wurden durch sie zu Gegenständen des Genusses. Die Verkopplung von Abbildung und treffender, prägnanter Unterschrift hat eine wesentlich höhere Wirkung als so mancher Leitartikel. Auch die Schnelligkeit, mit der ein Leser ein Bild erfaßt, bevorteilt es gegenüber dem Text, da bei letzterem jedes Wort erarbeitet werden muß. Die suggestive Kraft des Bildes hingegen dringt schlagartig ins Bewußtsein und ermöglicht einen hohen Identifikationsgrad, die Eindrücke bleiben nachhaltiger im Gedächtnis haften. Von zusätzlichen Informationskanälen wie Bild und Graphik unterstützt, präsentieren Text-Bild Medien den Lesern, die immer weniger Zeit für Lektüre aufbringen, auf immer mehr Raum immer mehr Informationen. Daher wurde Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 49 von 189 eine Strategie entwickelt wie das Textdesign, um selektive Lektüre und Kanalisierung von Informationsfluß zu unterstützen. IV 5. Bild-Text Medien Das Bedürfnis der visuellen Anschauung stieg stetig seit der Jahrhundertwende und trug nicht nur zum Aufschwung der illustrierten Presse bei, sondern auch zu dem des Films35. Medien dieser Art wenden sich meist direkt an die Sphäre der Gefühle, damit eine rationale Umsetzung der Bildinhalte sich als nicht mehr notwendig erweist. Zu Anfang war der Stummfilm ein reines Bildmedium. Durch schriftliche Erläuterungen, später durch die Dialoge, wurden die gezeigten Handlungen motiviert, begründet, ergänzt oder vertieft. Diese charakterisieren die handelnden Personen und verwandeln sie in Typen. In manchen Fällen verhilft Sprache, dort wo der reine Bildzusammenhang nicht ausreicht, der gestalterischen Dimension. Sie kann sich aber auch vom Bildgeschehen abheben und eigene deklamatorische Funktionen übernehmen. Der Dialog muß aber Eindeutigkeit besitzen, damit die Handlung für den Zuschauer verständlich bleibt. Es gilt jedoch zu beachten, daß der Filmdialog ein konzentrierter Dialog ist. Wo verbale Aussagen von besonderer Bedeutung sind, wenn etwas ausgedrückt werden muß, das mit Bild, Bildfolgen oder Aneinanderreihungen von Bildern alleine nicht auszudrücken ist, wird er eingesetzt. Übertreibungen 35 Beides begann zur Zeit der Weimarer Republik. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner kennzeichnen Seite 50 von 189 Gebrauchsfilme und Trivialität, sparsame Dialogführung hingegen ist ein Hinweis für Qualität und Ästhetik. Der Film ist dennoch primär ein Bild-Medium, für das die Bildsprache und Bildkomposition bestimmend bleiben. Die Wortsprache bleibt mit dem Ton ein rein konstitutives Element und ist wichtiger als die, im Drehbuch meist vorgegebene Dialoggestaltung.. Aus der zum Teil erwarteten stimulierenden Funktion, die die Aufmerksamkeit der Zuseher sichert, wird auch diese hohe Wertschätzung des (bewegten) Bildes abgeleitet. Dadurch erlangt es eine Leitfunktion, denn bei der Aufnahme, Verarbeitung und Rezeption dominieren der Bildinhalt und Bildmitteilung klar über die Wortsprache. Für den Film ist das Zusammenspiel von Wort und Bild und ihr gegenseitiges Ergänzen und Unterstützen, von äußerster Wichtigkeit. Die Bildlichkeit alleine würde nur ein rohes Gerüst bieten. Beide Ebenen verzahnen sich ineinander und bewirken den Fortgang der Handlung. Nur diesen Zusammenspiel legt die Komplexität und Vielschichtigkeit der Struktur ans Licht. Jede bildlich gelieferte Information ist grundsätzlich verschiedenen Auswertungen offen, die teilweise auch von den Erwartungsstrukturen, den Denkschemata, dem angeeignetem Wissen und Wertvorstellungen des Betrachters abhängen. Die Interpretation des zu Sehenden aber wird durch einen beigelegten oder rezitierten Text oft eingeschränkt. Er steuert die Auffassung des Bildes, dessen Informations- und Wertaufnahme. Theaterdialoge und Roman- oder Novellendialoge sind für die literarische Gattung, in der sie eingebettet sind, vorgesehen und nach einer bestimmten Eigenart und mit einer Eigengesetzlichkeit konzipiert. Werden diese in einen Film eingegliedert, werden sie „unselbständig“ da sie in Abhängigkeit der Bildebene geraten. Sie müssen sich im neuen Medium erst emanzipieren. Das Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 51 von 189 beinhaltet aber das Risiko, daß dieser – der Dialog – sich als falsches künstlerisches Mittel erweist und zu einem Fremdkörper wird. Das Geschehen entfaltet sich in den herkömmlichen literarischen Werken meist in Form abstrakter Gedankenreihen. Diese regen das optische Phantasiespektrum des Lesers oder Zuschauers an, der das Gelesene durch individuelle Assoziationen, in einem Akt schöpferischer Ergänzung, ausschmückt. Während also im Roman die Gespräche Erzählfigur und Erzähler gleichzeitig charakterisieren, so kommt dies im Transformationsprozeß abhanden. Die Dialoge werden vom Erzähler gelöst und erzielen eine andere Charakterisierung der Gestalten. Der kommunikative Status des Sprechens ist in jedem Medium unterschiedlich. In den visuellen Medien erzählt meistens das Bild über weite Strecken alleine. Das Dialogwort hat lediglich eine ergänzende, verdeutlichende oder dem Bild gegenüber bekräftigende, oft auch redundante Funktion, die sogar widersprüchlich wirken kann. Bildsymbolik und –metaphorik unterscheiden sich also klar von der Wort/Sprachsymbolik und –metaphorik. Die direkte Übernahme würde in vielen Fällen zu einer lächerliche Bildkolportage werden und hyperbolischabsurd wirken. Der Leser oder Zuschauer nimmt in der Regel die Informationen oder die ästhetischen beziehungsweise emotionalen Werte zielgerichtet auf. Dies geschieht dank einer auswählenden, organisierenden und bedeutungs- zuweisenden Aktivität. Das ermöglicht ihm bei jeder gelieferten (bildlichen) Information verschiedene Auswertung, die sich jeweils an einer bestimmten Erwartungsstruktur, an ein gespeichertes Denkschema, dem angeeigneten Wissen und Wertstruktur orientieren. Ein beigelegter Text steuert und schränkt Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 52 von 189 die Assoziationskette und die selektiven Prozesse, sowie jede individuelle Interpretation des Gesehenen ein. Text und Bild als audiovisuelle und mediale Einheit simulieren nur die Vielfalt der Zuordnungen und verschiedenen Auffassungsschichten und täuschen ein maximales Ausdruckspotential vor, das nur in den seltensten Fällen voll genutzt wird und zum Ausdruck kommt. Mit der Verbreitung der Fernbedienung Ende der siebziger Jahre, verbreitete sich ein neuer „mediengebundener“ Trend: zwischen den verschiedensten Programmen zu „zappen“. Dies machte aus dem bunten Fernsehangebot eine Collage, eine subjektive Montage verschiedenster audiovisueller Elemente. Der Bilderfluß wurde dadurch nahezu ununterbrochen und bestätigte schon damals das, was heute Tatsache ist: daß heute die Bildelemente eine weit stärkere Betrachtung finden als die sprachlichen. Somit wurde das Fernsehen zum primären Bildmedium. Da die visuelle Wahrnehmung bildlicher Variation sein unentbehrlicher Ausgangspunkt ist, wird diesen auch der größte Raum zugeteilt. Die Welt, die uns heute von den Medien dargeboten wird ist größtenteils eine bebilderte und zum Teil vertonte. Sprache schafft zusätzliche, kulturbedingte Textwelten, die sich mit der Seh-, Hör- und Sinneswelt eng verknüpfen und teilweise überlagern. Sie hat eine Brückenfunktion erhalten und verknüpft diese sonst unter sich verschiedenen und getrennten Welten. Durch eine besonders sorgfältige Formulierung, eine Kongruenz zwischen Text, Bild, Geräusch und Begleitmusik, entsteht eine Einheit, die dann durch ein dementsprechendes Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 53 von 189 Medium36 dem Zuschauer/Leser/Hörer, kurz dem Benutzer oder User, die Orientierung in der realen Welt erleichtern sollte. Leider beeinträchtigt dieser nahezu exzessive Einsatz der Medien die Phantasie. Dort wo die Sprache die Phantasie anregen sollte und durch sie eine eigene Bilderflut auslösen könnte, bieten Bildmedien vorgegebene Darstellungen, die die Vorstellungskraft nicht nur sättigt oder gar übersättigt sondern im radikalsten Fall sogar lähmt. Die Phantasie wird vom Rezipienten nicht mehr gefordert. Zwar führen die vermittelten Bilder durch Assoziation zu weiteren Bildern, die aber weder in Sprache umgesetzt, noch Texten zugeordnet werden können. Die Orientierung und Wahrnehmung beschränkt sich auf die vom Medium vorgegebene Seh- und Hörwelt. Das gebotene Fertigbild erspart also die Mühe der Selbstbewältigung. Durch diese „Als-Ob-Welt“ hat jeder Konsument den Eindruck des Dabeiseins, sowohl in der Nah- als auch in der Fernwelt. Sein Denken und Sprechen, die Eigensprache, werden ersetzt und der Dauerkonsum führt unweigerlich zur Sprachlosigkeit oder zu einer automatisierten Übernahme des Medienjargons. Die Sprache wird auf die Medien abgestimmt und die Aussage gibt dem jeweiligen Produkt oder der Situation eine Identität. 36 Der Computer und die notwendige Ausstattung scheint hier das ideale Medium zu sein, da man mit den notwendigen Kenntnissen sogar fähig ist, virtuelle Welten und Simulationen zu programmieren und auszuführen. Computergesteuertes Schlachtfeld, oder Sprachkurse mit einem virtuellen Lehrer und OnlineExperten. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 54 von 189 IV 6. Das Videoclip Eine besondere Form der Bildmitteilung oder literarische Sonderform? Diese besondere mediale Form entstand gegen Ende der siebziger Jahre. Das Videoclip oder umgangssprachlich auch Musikvideo genannt, ist eine Form, die streng an einen Song gebunden ist und diesen in einer kurzen Sequenz visuell umsetzt37. Dargestellt wird vorwiegend eine „Performance“, die abgefilmte oder nachgestellte musikalische Aufführung (bzw. Darstellung) des Songs – bebilderte Musik(geschichten). Das Schema ähnelt einem Kurzfilm, der aus allen filmischen Genres schöpfen kann38. Das narrative visuelle Element knüpft an Traumbilder der medienerzogenen Konsumenten an, die dadurch mit Zeitund Ortssprüngen bereits gut vertraut gemacht wurden. In diesem Prozeß kommt der Songtext am kürzesten, denn Bild- und Tonwahrnehmung bleibt dominierend. Das sprachliche Element wird zu einem Nebenprodukt degradiert. Es gibt jedoch auch Mischformen, bei denen traumhafte Bilder narrative Sequenzen bilden. Die Musikvideos haben sich ihre eigenen Mythen und Symbole erstellt und die handelnden Personen wurden die Personifizierung dieser „neuen“, oder verklärten, mythischen Figuren. Die Performance, die Darstellung, steht bei der kurzen Einblendezeit im Mittelpunkt, wobei die Ausrichtung der Bilder von äußerster Wichtigkeit ist. Diese soll nämlich Identifikationsmuster erzeugen, Form und Inhalt sollen sich 37 Etwa 3 bis 5 Minuten. 38 Zum Beispiel Horror-, Gangster- oder Comedy-Szenen. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 55 von 189 an Codes und Trends orientieren39 und sind ohne deren Kenntnis kaum zu entschlüsseln. In den meisten Songs sind Elemente enthalten, die sich leicht mit visuellen Assoziationen kombinieren lassen und in denen die Musik selbst eine eigene Art der visuellen Umsetzung verlangt. Dies schafft im gewissen Maße eine Form der Konvention, die ein System von (musikalischen) Bedeutungen in der Darstellung und im Dargestellten freilegt. Unter den verschiedenen visuellen Umsetzungen ist die Bühnenadaption die am leichtesten nachvollziehbare. Raum und Zeit sind bei ihr im Einklang, somit erscheint das Geschehen dem Betrachter „natürlich“. Auf visueller Ebene können Clips, ähnlich wie der Film, ohne weiteres eine Geschichte erzählen. Zwar werden sie mehrfach von Kulturkritikern als Abfallbeziehungsweise Recycling-Produkte beschimpft, da ihrer Meinung nach bei diesen postmoderne Kunst und Kultur hemmungslos und inkongruent vermischt werden. Sie wirken wie ein Programm, das rund um die Uhr läuft, eine Endlostapete aneinandergeklebter Bilder mit Hintergrundgeräusch, in denen die Einzelheiten hinter dem Gesamten nicht mehr erkennbar oder erinnerbar sind. Weiter wird ihre Wirkung auf die anderen visuellen Darstellungsformen (zum Beispiel der Spielfilm) angeprangert. Der Fluß der Erzählung und die Filmpoesie werden nämlich durch die erhöhte Schnittgeschwindigkeit zerstört. Andere hingegen bezeichnen diese Vermischung von Musik- und Filmperformance als avancierte künstlerische Ausdrucksform und eigene Kunstgattung. Unter den verschiedenen technischen und künstlerischen Experimenten des 20. Jahrhunderts bildet sie ihrer Meinung nach den Kulminationspunkt, da ihre Vermischung akustischer und optischer Reize ein 39 Diese stammen meist aus der jugendlichen Subkultur und aus bestimmten jugendlichen Bezugsgruppen. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 56 von 189 synästhetisches Gebilde an Eindrücken schafft. Videoclips verbinden hohe Kunst und (triviale) Massenkultur. Die TV-Kanäle, die ausschließlich diese besonderen Formen ausstrahlen, könnten somit sogar als Museen postmoderner Kunst, mit sinnlichem, multidimensionalem und multimedialem Eventcharakter, bezeichnet werden. IV 7. Internet als universales Kommunikationsgerät Die Möglichkeit der weltweite Vernetzung der Geräte ist seit 1993 möglich. Dies machte das Internet zum universalen Kommunikationsmittel schlechthin. Durch das World Wide Web (www) können simultan Schrift, Bild und Ton vermittelt werden, Informationen sind überall, zeitgleich, kostengünstig verbreitet und zugänglich. Noch dominiert der schriftliche Text, der in der vernetzten Struktur des Internet im Organisationssystem des Hypertext umgesetzt ist. Auch die Dienste, die das Internet bietet40, werden immer mehr in das auf Visualität ausgerichtete Medium integriert. Neue Stichworte wie „Interaktivität“ und „Modularität“ erweitern nicht nur den Wortschatz, sie tragen auch konkret zur Ergänzung und Entlastung des Haupttextes bei. Dies geschieht dank anderen Textsorten41 oder Graphiken, Bilder, Statistiken etc. Texte können also durch Töne, Standbilder, Graphiken, Videos und Animationen angereichert und die zu vermittelnden Informationen so besser vertieft werden. Offensichtlich ist für dieses jüngste Medium die Bildintensität größer als die Textintensität. Bildgestaltung am Bildschirm wirkt emotionaler 40 E-Mail, Newsgroups, Multi User Dungeon (MUD), Internet Relay Chat (IRC) 41 im Fall von Berichten durch Kommentar oder Interview Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 57 von 189 als Textgestaltung, das Bild vermag den Text in manchen Fällen sogar zu ersetzen. Somit integriert man aber auch ein „älteres“ Medium in ein „neueres“: die Hypertextstruktur. Dies erfordert von den Benutzern ein gleichzeitiges Denken in den Modalitäten verschiedener Medien. Dies bedeutet eine zunehmende Verschränkung gestalterischer Aktivitäten, da Layout und Textdesign mit den nötigen Navigationshilfen ausgestattet werden müssen. Wiederum wird die Bildinformation eine entscheidende Rolle gegenüber der Textinformation spielen, da ihr insgesamt eine größere Beachtung geschenkt wird. Literatur nach diesen Mustern zu gestalten erweist sich als problematisch. Das Risiko besteht darin, daß sie neben der Nivellierung der Inhalten, auch ihrer „Würde“ verliert und zur reinen Spielerei verkommt. Das Internet ist (noch) nicht mit den Elementen ästhetischer Qualität ausgestattet, die den Buchdruck ausmachen. Bei der Integration von Bildern in den literarischen Text wird das selbe Resultat erreicht wie im Buchdruck. Die typographischen Gestaltungsmöglichkeiten42 sind zwar auf das, was im Buchdruck möglich ist, eingegrenzt, jedoch nur in seltenen Fällen kann der Leser die gesamte Seite auf dem Bildschirm wahrnehmen. Um dieses Manko zu kompensieren, bietet der Computer die Möglichkeit computergesteuerter Bilder. Dies ermöglicht ein erleichtertes und wählerisches Anwählen von Bildern die sich auf den Text beziehen, wobei die Reihenfolge willkürlich springend sein kann. Der Anwender entwirft seinen eigenen Parcours, der, von Fixpunkten ausgehend, ermöglicht, Texte oder Bilder anzuwählen. Dabei ist man ständig gezwungen, Zugentscheidungen zu treffen um weiterzukommen. Dies erinnert an die 42 Initialen, Textrahmen, farbige Hintergründe, variierende Schrifttypen und –großen, sowie Einzüge Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 58 von 189 Grundform eines Puzzles bei denen aber die „Spieler“ die einzelnen Teile auswählen und zusammensetzten. Beschränkt sich die Aufgabe des Lesers im traditionellen Text auf das Verstehen des gesamten Textes oder einzelner, in sich geschlossener Teile daraus (Kapitel zum Beispiel), verändert sich diese im nichtlinearen Text grundsätzlich. Er ist im zweiten Fall gezwungen, sich mit dem vom Autor intendierten Textinhalt auseinanderzusetzen, wobei er aber persönliche Auswahlentscheidungen treffen kann. Er kann ähnlich wie ein Regisseur die Kameraposition bestimmen und selbst die Schlüsselstellen43, die bestimmen, wie die Geschichte weitergehen soll, festlegen. Es wird ihm mehr Freiheit gewährt und die Bevormundung, der jeder Leser in einem traditionellen Medium ausgesetzt ist, zerfällt zumeist in dieser neuartigen Weise, sich einen subjektiv ‘zugeschneiderten’ beziehungsweise ‘auf Maß geklickten‘ Text zu schaffen. 43 die sogenannten Plot Points Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner V Seite 59 von 189 Der „neue“ Literaturbetrieb – die neue literarische Ereigniskultur: Literatur so attraktiv wie Film, Fernsehen oder Computerspiele, umweht von dem Hauch ehrwürdiger Kulturtechnik Seit die elektronischen Medien aktives Teil und Hauptausdrucksmittel unserer Kultur geworden sind, hat die Kommerzialisierung eine neue Dimension erreicht. Zu den herkömmlichen Bildmedien, wie Film und Fernsehen stoßen nun Computerfirmen vor. Die Unterhaltungsindustrie arbeitet auf eine digitale Konvergenz der Medien und auf eine totale Vernetzung der Haushalte hin. Digitalisierung aller bisherigen künstlerischen Ausdrucksmittel und kulturellen Lebensformen wird nahezu als Bedrohung gesehen, da sie unter anderem eine Frage evoziert: jene nach der Qualität der neuen Kreationen. Denn wenn diese totale Konvergenz der Medien Wirklichkeit wird und völlig neue (elektronische) „Produkte“ weltweit zirkulieren, werden die verschiedenen Länder zu reinen Informationssatelliten. Die Tendenz wird jene der amerikanischen Konzepte der Massenkultur und Globalisierung der Medien in kultureller wie wirtschaftlicher Hinsicht. Das bestätigt, daß in einer Zeit weltweiter Rezession, die letzte Wachstumsbranche die Medienwirtschaft ist. Die Autoren treten in den Hintergrund, denn Waren wie Film und Buch werden als Industrieprodukte vorgeplant. Man arbeitet multimedial und in Produktionsteams aufeinander zu. Die Kunst und die Literatur wandeln ins Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 60 von 189 multimediale Marketing um. Sie konzentriert sich vorwiegend auf ästhetische Spielereien, die einem eigenen, noch nicht definierten Formenbestand folgen. Weder ein Kanon, noch der passende Wortschatz, noch Kriterien zur Beurteilung sind für diese neue Ausdrucksform erarbeitet worden. Haben also Kunst und Kultur eine Chance zum ästhetisch, technologisch und wirtschaftlichem „Überleben“? Tatsache ist, daß die sich daraus ergebende Spaltung44 die „klassische“ Literatur von den großen gesellschaftlichen Ansprüchen entlastet und ihr so ermöglicht, ihre wahren Qualitäten besser zu entfalten. Literatur im klassischen Sinne scheint funktionslos geworden zu sein und als „schöner Überfluß45“ aufgefaßt. Sie konzentriert sich vorwiegend auf ästhetische Spielereien, die einem eigenen, noch nicht definierten Formenbestand folgen. Weder ein Kanon, noch der passende Wortschatz, noch Kriterien zur Beurteilung sind für diese neue Ausdrucksform erarbeitet worden. Haben also Kunst und Kultur eine Chance zum ästhetisch, technologisch und wirtschaftlichem „Überleben“? Tatsache ist, daß die sich daraus ergebende Spaltung46 die „klassische“ Literatur von den großen gesellschaftlichen Ansprüchen entlastet und ihr so ermöglicht, ihre wahren Qualitäten besser zu entfalten. Wie die Druckpresse zu Gutenbergs Zeiten ist die sprunghafte Entwicklung von Bildmedien47 ein radikaler Einschnitt für den Kultur- und Literaturbetrieb. Die Inhalte werden durch vormediale Präparierung auf ein elektronisch versendbares Format gebracht. Lebensformen und Ausdruckswerte, wesentliche 44 45 Auf die Spaltung in der zeitgenössischen Literatur wird in Kapitel VIII 1. näher eingegangen. Winkles, Hubert: „Leselust und Bildermacht – Literatur, Fernsehen und Neue Medien“, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1997, S. 24. 46 Auf die Spaltung in der zeitgenössischen Literatur wird in Kapitel VIII 1. näher eingegangen. 47 Fernseh-, Kino-, Computer- und Netztechnologie Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 61 von 189 Bestandteile des Kulturbetriebes werden in Showszenarien verwandelt oder darauf vorbereitet. Dieser Vorgang, der auf reines und modisches Entertainment zielt, steht nicht im Widerspruch zu Kultur, es ist nur eine Reduktion letzterer. Da durch Digitalisierung und mediale Reproduktion das Ereignis seinen spezifischen Platz in Raum, Zeit und sozialem Gefüge verliert, wird Kultur zu einer abstrakten Informationsmasse. Diese Abstraktion soll das Entertainment wieder konkretisieren und bestimmten Eigenschaften zuordnen. Durch die digitale Bearbeitung der Wirklichkeit wird auch die (gesellschaftliche) Wahrnehmung verändert. Der Erlebnismarkt wird nun medial vorgeprägt und erlangt einen gewissen Standard der zur Orientierung verhelfen soll. V 1. Das „Zusammenlaufen“ der Medien Die Art und Weise der menschliche Kommunikation hat sich in den letzten 10 Jahren grundlegend geändert. Massenmedien und Individualkommunikation unterliegen einer wahren digitalen Revolution. Das Gespenst einer total vernetzten Zukunft steckt dahinter, wobei sich die Meinungen diesbezüglich aber spalten. Zum einen befürchtete man, zu Beginn dieser Umstellung, das Sterben der Printmedien, zum anderen kritisierte man scharf die Kommerzialisierung der Medienkultur. Unterhaltungsfuturologen hingegen stellen bereits ein Ende der Entwicklung der neuen Medien und das Hinarbeiten zu einem Einheitsmedium, in dem alle bisherigen Medien zum Cyberspace verschmelzen sollten, fest. Verbindung von Telefon, Computer und Fernsehen bzw. Teleputer, Multimedia, Interaktivität und Konvergenz werden zu Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 62 von 189 wichtigen Stichworten und gehören zu den Bausteinen einer zukünftigen, volldigitalisierten Informationsgesellschaft. Vorformen dieser Vision ist bereits das Supernetz „Internet“ und dessen Kommerzialisierung durch die Medienkonzerne, die somit auch die Kontrolle über diesen neuen Markt gewinnen wollen. Die Auseinandersetzung um die digitalen Technologien und das Ringen um die Vorherrschaft im Informationsund Unterhaltungsbusiness sind dabei eng miteinander verschmolzen. TV, Rundfunk, Zeitung, Zeitschrift, Buch, Kabel und Film werden zu unterschiedlichen digitalen Kombinationen umgruppiert und marktfähig beziehungsweise marktgängig gemacht. Dieses multimediale Konglomerat interaktiver Komponenten, wird dann zielgruppenspezifisch auf den Markt gebracht. Die Frage, die sich nicht nur unter Ökonomen, sondern vor allem Autoren, Künstler und Journalisten beschäftigt, ist wer in Zukunft Zugang zu den Medien haben wird. Wird sich eine neue Klassenstruktur entwickeln und zwar jene der Informationsreichen und Informationsarmen? Werden in Zukunft die Meinungsfreiheit und die kulturelle Vielfalt wieder gefährdet sein? Denn bei weltweiten Unternehmungen überschreiten die Medienkonzerne die Grenzen zwischen ihnen, zwischen Produktion und Distribution sowie zwischen Nationen. Daher werden in Zukunft auch supranationale Medienbehörden eintreten, mit der Aufgabe, internationale Kommunikationsbeziehungen zu regeln. Dies bedeutet natürlich auch Einschränkung. Die laufenden gesellschaftlichen Diskussionen über dieses Thema ebenso wie eine weitsichtige Politik sollten auf diesen Wandel und den möglichen Gefahren hin sensibilisiert werden. Von ihnen hängt nämlich ab, ob dieses neue Informationsnetz allen zugänglich sein wird und die Arbeit sowie Freizeit mit Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 63 von 189 einer hilfreichen und qualitativen Vielfalt an Wissen und Kultur bereichern wird, oder ob die Gesellschaft durch dieses „digitale Korsett“48 nur elektronisch gesteuert und rund um die Uhr kontrolliert sein wird. V 2. Literatur und Film Literaturbeflissene behaupten das literarische Erzeugnis verkaufe sich durch eine Verfilmung, an ein triviales Massenmedium. Man geht soweit, daß man dieser Liaison den Ruf der Prostitution nachsagt. Unter den beiden Gattungen ist aber keine vorrangig. Die Qualität der Inhalte und deren mediale Ausprägung bestimmen das Niveau. In der Medienwirtschaft jedoch, ist nicht die kulturelle Qualität , sondern der Verkaufswert ausschlaggebend. Es bleibt fraglich, ob dieses Verhältnis neue Möglichkeiten intermedialer Produktionen eröffnen wird. Obwohl die klassische Literaturverfilmung die Hochzeit zwischen dem erfolgreichen literarischen Werk und seiner filmischen Umsetzung ist, wurde damit gleichzeitig der Ruf des neueren Mediums durch jenes Vorurteil geschädigt, das den eigenständigen Kunstcharakter des Films in Frage stellt. Das mittelmäßige Rezeptionsniveau des Fernsehens hat auch das Kino in den Sog des austauschbaren Konsumguts einer Unterhaltungsbranche, die jeglichen künstlerischen Anspruch von vornherein ausschließt, gezogen. Das europäische Autorenkino dagegen hat Großartiges geleistet. Die Kreativität von Regisseuren wie Fassbinder, Kluge, Herzog oder Wenders hat sich in einer 48 Hämmerling, Hans Jörg: „Electronic Superhighway – Die totale Konvergenz der Medien“ in: Brinkemper, Peter V./Dadelsen, Bernhard von /Seng, Thomas (Hrsg.): „World Media Park – Globale Kulturvermarktung heute“ Aufbau Taschenbuch, Berlin, 1994, S. 87. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 64 von 189 visuellen Literatur des Films Luft gemacht. Somit erhob sich das Kino, indem es literarisch wurde, über das Vorurteil des simplifizierenden Massenprodukts. Neben diesen Aufstieg in die Sphäre der Kunst bleibt aber, ähnlich wie die billige Trivialliteratur, das Abfallprodukt als populistische Massenware auf dem Markt präsent und sehr gefragt. Die Strategie des Medienmarktes zielt auf Massenproduktionen, die beide Ausdrucksformen zulassen. So entsteht die Kombination Buch/Film beziehungsweise Film oder TV-Serie/Buch und gewinnt langsam die Oberhand. Die frühere Unabhängigkeit von Buch und Film hat sich mittlerweile in einen „Medienverbund“ gewandelt und ist derart aufgehoben, daß das Buch, von je her schwächeres Medium, oft nur noch Nebenartikel eines meistens gigantischen Werbe- und Verkaufsfeldzugs des Gesamtproduktes in allen Medien, wird. Das Buch sui Generis kann weder den enormen visuellen und akustischen Eindrücken standhalten, noch diese aufarbeiten. Es kann sich aber Schnitt- und Montagetechniken bedienen, die schon der Nouveau Roman oder Autoren wie Arno Schmidt, Robert Musil oder Alfred Döblin in die Literatur eingeführt haben, bedienen. Werke dieser hochliterarischen Qualität lassen sich aber nicht durch das neuere audiovisuelle Medium einebnen, da der Akzent bei diesen Werken auf dem Sprachgebrauch liegt, der im neueren Medium eben nicht eine Hauptrolle spielt. Die Sprache jener Bücher ist nur für eine gebildete Leserelite verständlich und dies erschwert auch die Umsetzung in die andersartige Struktur und Technik des Films. Bildliche Darstellung innerer Monologe oder eine Verknüpfung kompliziertester psychologischer Geflechte und Gedankengänge durch Montage- und Schnittechnik, würde der literarischen Substanz nicht gerecht werden. Zwar haben es Filmemacher wie Rainer Werner Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 65 von 189 Fassbinder49 oder Volker Schlöndorff50 geschafft, Weltliteratur in Filme umzusetzen (z. T. auch mit Hilfe der Autoren selbst), haben aber bei weitem nicht jene Wirkung erzielt, die einst die literarischen Werke geschaffen hatten. Die erzählerischen Zwischentöne wie auch die schematische psychologische Entwicklung der Figuren, die im Literarischen wunderbar zum Ausdruck kommen, gehen größtenteils unter. Sie werden zugunsten einer dynamischen Handlungsstraffung und einer gezielten Auslese von Textteilen, die zu Dialogen oder ‘off-voice’ verarbeitet werden, ausgetauscht. Dies ist der strukturbedingte Grundwiedersatz, der zwischen den beiden Medien besteht: die Erfassung und das Wahrnehmen von Bildern durch das innere Auge wird von der Darstellung durch ein elektronisches oder digitales Medium verdrängt. Nun vollzieht sich diese Aktion in völlig unterschiedlichen Medien, wie Sprache beziehungsweise Ton, dem Visuellen, in einer unterschiedlichen Syntax von Wort und Bild. Literatur geht also in andere Medienfelder über. Nämlich in jene, die in Hinsicht auf eine Verfilmbarkeit geschrieben wird, wobei das Drehbuch enorm an Wichtigkeit gewinnt, bis hin zum rein deskriptiven und nacherzählenden „Buch zum Film“. Allgemein liegt der Eindruck vor, als erschöpfe sich das Verhältnis von Buch und Film in der schlichten Literaturverfilmung oder filmorientierten Bestsellern. Die Verflechtung filmischer und literarischer Kultur ist jedoch viel enger. Aus diesem besonderen Verhältnis ist immerhin eine eigenständiges Buchgenre hervorgegangen: das Drehbuch. Zwar erscheint es als extrem fragmentarisch und schwer verständlich, das beruht jedoch auf der Tatsache, daß es meist von mehreren Händen geschrieben ist und ständigen Änderungen 49 „Effi Briest“, 1972/74 50 „Der junge Törleß“, 1965/66, „Die Blechtrommel“ 1979 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 66 von 189 unterliegt. Es entsteht ein endloses Ideenbuch, Bilder und Bildsequenzen, die aus Worten bestehen oder eine exakte Buchführung der Genesis des Films. Die Anfänge des Films, als noch das tägliche Leben abgelichtet wurde, sahen noch keine Drehbücher vor, es wurde mit der Kamera improvisiert. Die ersten schriftlichen Formen die entstanden, wurden direkt von den Szenarien der Varieté-Nummern übernommen, da diese auch meist direkt gefilmt wurden. Bei diesen (Film)Szenerien handelt es sich noch nicht um „Literatur“, die auch unabhängig für andere Kunstformen verwendet werden konnte. Das Szenarium sah nur eine Liste der Charaktere vor, eine Angabe zu den Spielorten und die zeitliche Abfolge der Aktionen. Erst um 1910/14 lieferte der „Schriftsteller“ oder der Regisseur Texte, die der Tätigkeit des Schriftstellers sehr nahe kamen. Daher entwickelten sich die ersten Filmschriftsteller in den Kreisen der Filmregisseure, letztere waren und sind zugleich die besten (Film-/Drehbuch-) Autoren. Aus dem Szenarium wurde eine reine Drehvorlage, die die Filmemacher am besten selbst herstellen konnten, da sie am genauesten wußten, was sie für ihre Arbeit benötigten. Gleichzeitig entstand auch ein Konflikt zwischen Schriftstellern als Drehbuchautoren und ihren Vorstellungen als reine Literaturproduzenten. Die meisten Autoren konzipierten Filme in Form von Novellen oder Romanen. Diese drei Formen (Drehbuch, Novelle und Roman) sind aber, auch vom schriftstellerischen Standpunkt aus betrachtet, grundlegend verschieden, jede Form unterliegt anderen Gesetzmäßigkeiten. Der Filmautor geht von der Wirksamkeit des photographischen Bildes aus, da die Wirkung bewegter Bilder vorwiegend vom statischen Bild ausgeht. Daher muß ein guter Filmschriftsteller jedem Bild die selbe Aufmerksamkeit und Sorgfalt widmen, wie es ein guter Autor mit Worten und Begriffen tut. Diesem Konflikt zufolge wollten nur mehr Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 67 von 189 wenige Schriftsteller für den Film schreiben, dadurch verlor die (literarische) Qualität der Drehvorlagen enorm an Substanz und die Filme wurden dementsprechend schlechter. Das Drehbuch aber bleibt seiner Idee nach weder ein rein literarisches Werk noch eine Szenenanhäufung oder Sammlung von Materialien und Eindrücken. Es liefert nur einen Grundriß und stellt Vorstellungsräume der Gruppe zur Verfügung, die dann im Film die konkrete Realisation durchführt. Auf ein solches Verfahren kann und will sich kaum ein Autor einlassen. Er konzipiert nämlich sein Werk als ein individuell angefertigtes Kunstwerk, das nicht unbedingt mit den Gesetzmäßigkeiten der Filmproduktion übereinstimmen muß. Die Regisseure bedienen sich meist eines Textes, ohne ihn endgültig zu zerstören, greifen jedoch massiv in ihn ein. Beim Drehbuch handelt es sich also um die schriftlich-konkrete Niederlegung eines Konzeptes, sowie in etwa die Art und Weise wie es auf der Leinwand erscheinen soll. Das Grundkonzept kann aber immer wieder revidiert werden. Drehbücher und noch konkreter das meist während der Dreharbeiten angefertigte ‘story-board’51, sind also eine Form angewandter Literatur (und Kunst) und sich wandelnder Literatur, – eine Art ‘literature in progress’ – in der sich erzählerische, dramatische und technische Elemente treffen und vereinen und ein visuelles Ergebnis erzielen. Daher kann das Drehbuch als „dramatische Anleitung zur kreativen Übersetzung von sprachlichen Konzepten in Bild, Ton 51 Ein Buch oder Skizzenheft, in dem von einem Zeichner bestimmte, aussagekräftige Augenblicke skizziert werden. Später werden diese Zeichnungen in einem Computer gespeichert. Diese dienen als Grundlage für ein making of und sind ein wichtiger Bestandteil der Dokumentation des Films. Sie sagen weit mehr aus als einfache Szenenfotographie, da sie oft die Momenteindrücke der Schauspieler durch die Hand des Zeichners besser aufnehmen. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 68 von 189 und Montage“52 bezeichnet werden. Um diese Konzepte in eindrucksvolle Bilder umzuwandeln, bedarf es einer präventiven Lektüre und Interpretation. Daher sind Film und Literatur unauflösbar miteinander verbunden. Produktion und Rezeption sind von vorherigen Sinneseindrücke, die nur bei der Lektüre aufkommen, abhängig. Sogar Fernsehmacher sind der Ansicht, das Drehbuch sei Ausdruck der Unersetzbarkeit von Schrift und Lesekult hinsichtlich der Rezeptionsseite. Sie sind zur Erkenntnis gekommen, daß regelmäßige Leser, Bilder und somit audiovisuelle Produkte (Filme) intensiver und bewußter wahrnehmen als gelegentliche oder Nichtleser. Filme sollen nicht nur wie jegliches andere Zeichensystem aufgenommen werden, sondern bewußt gelesen und kritisch entziffert werden. Durch gehobenere Qualität wird die Rezeption des Films auch zu einer ästhetischen Herausforderung für den Zuseher. Der Rückgriff auf gedruckte Texte ist zusätzlich ein hervorragendes Mittel, um die Grenzen des Films zu durchbrechen. Durch die „Vertextung“ der Bilder oder deren Zusammenfassung werden aus ästhetischer Perspektive Mängel deutlich sichtbar. Zusätzlich stehen dem Zuschauer eine literarisch vermittelte Filmkultur, die aus Fachkritik, Lexika, Filmführer besteht, als Hilfsmittel zur Verfügung. Allgemein aber kann eine Verfilmung nur insofern „sichtbare“ Literatur werden, wenn der Filmcharakter, der einem Buch ohne weiteres zugrunde 52 Hoffmann, Hilmar: „Der Buch Film-Hit – Das neue Verhältnis von Literatur und Film“, in: Brinkemper, Peter V./Dadelsen, Bernhard von /Seng, Thomas (Hrsg.): „World Media Park – Globale Kulturvermarktung heute“ Aufbau Taschenbuch, Berlin, 1994, S. 108ff. (NB. ausgearbeitete Fassung des Artikels: Hoffmann, Hilmar: „Ersetzen Bilder Bücher? Anmerkungen zum Verhältnis von Buchkultur und Filmkunst“, in: Süddeutsche Zeitung, 13. / 14. Juli 1992, Nr. 135. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 69 von 189 liegen kann, nicht verdrängt wird. Oft wird in der Erfolgsplanung eines BuchFilm Hits sogar von Anfang an eng vernetzt aufeinander zugearbeitet. Wo soll dann aber die kritische Literatur zu dieser Produktion ansetzen, wenn der Triumph des einen Mediums das andere nahezu überflüssig machen sollte? Bestenfalls an der produktiven Differenz der Medien, denn solange die beiden Medien gezwungen sind, auf ein identisches Einheitsprodukt hinzuarbeiten, wird die künstlerische Kreativität gehemmt sein. Nur wenn diese uneingeschränkte Gleichberechtigung von Film und Buch überwunden wird, wird die kreative Konkurrenz dieser Künste sinnvoll. Wettstreit soll zu Ineinanderwirken umgepolt werden und eine dementsprechende Stärkung der Buch- und Lesekultur, die letztendlich auch im Interesse einer kreativen Filmund Medienproduktion liegt, sollte so auch eine gehobenere (Publikums)Rezeption bewirken. V 3. „Myst“ und „Riven“ – Neue Wege der Literatur Vorbemerkung: „Myst“ und „Riven“ nehmen innerhalb der Computerspiele eine Sonderstellung ein. In „Myst“, die erste Form dieser Spiele 53, gibt es fünf Welten zu erforschen und es fordert logisches Denken und jede Menge an Kombinationsgabe. Es gehört in die Kategorie „Adventurespiele“, was bedeutet, daß man nicht irgendwann sterben kann. Vielmehr sollte man sich Zeit lassen, die Rätsel zu lösen, und sich von der surrealistischen Welt von Myst erfassen lassen. Es gibt 53 „Myst“ wurde 1993 von der Gruppe Cyan entwickelt. „Riven“ (The Sequel to Myst) wurde 1997 als Nachfolger von „Myst“ entwickelt. Das aktuellste Spiel dieser Serie ist „Exile“. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 70 von 189 darin fünf komplett verschiedene aber zusammenhängende Welten zum Erforschen. Die über 2500 realistisch wirkende Bilder werden in einer Art Diashow oder durch Animationen und Videosequenzen gezeigt. Darüber hinaus gibt es weder Zeitlimits, noch Kämpfen, Schießen oder Sterben. Neu muß innovativ sein. Dies ist die neue Forderung an die aktuelle Literaturszene. Neu und innovativ, alle neuen Möglichkeiten des digitalen Mediums nutzend, lautet die aktuelle Devise. Leider gibt es im Netz keine Texte, die diese Aufforderung zur Gänze erfüllen. Wendet man sich vom Internet jedoch ab und betrachtet die digitalen Möglichkeiten an sich, fällt es auf, daß ihre optimale Nutzung am ehesten in Computerspielen, als bei der Erstellung herkömmlichen Texten erreicht wird. Es werden hier nun zwei Beispiele dieser neuen Nutzungsart angeführt und das Spiel „Riven“ näher beschrieben. a) RIVEN – Die Struktur Die Handlung setzt sich in „Riven“ aus unzähligen Erzählsträngen zusammen. Der große Unterschied zu einem herkömmlichen literarischen Text ist aber, daß es der Entscheidung des Lesers/Anwenders, obliegt, diese beliebig zu kombinieren. „Riven“ ist also soviel wie ein multimedialer Hypertext. Jede Entscheidung, die der Leser trifft, dient als Link zu einem anderen Erzählstrang. Es sind also Einzelentscheidungen des Lesers/Anwenders, die die Handlung bestimmen. Die Grundstruktur erscheint zunächst einfach und einen linearen Verlauf vermuten läßt, denn Anfang und Ende sind festgelegt. Nach kurzer Zeit aber wird diese lineare Struktur gänzlich durchbrochen und der Leser beginnt sich in Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 71 von 189 einer beliebigen und willkürlichen Reihenfolge für diverse Handlungsoptionen zu entscheiden. Das Ende, das anfangs eindeutig scheint, steht, durch die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten, auch nicht mehr so fest wie es auf den ersten Blick schien. Man kann beim Durchwandern von „Riven“ durchaus in Sackgassen geraten. Nur der Rahmen ist vorgegeben, wie man sich aber den Weg durch diese virtuelle Welt bahnt, ist jedem Leser selbst überlassen. Dabei muß der Leser/Anwender sich mit einer Reihe von Schwierigkeiten auseinandersetzen: einerseits wird er mit technischen Schwierigkeiten (Tore müssen zum Beispiel durch unterschiedlicher Mechanismen geöffnet werden) konfrontiert, andererseits muß der Leser, um weiterzugelangen, unverständliche Zeichen und Rätsel lösen. Ein gewisser vorgegebener Pfad scheint also doch gezeichnet zu sein, trotzdem wird durch die Entscheidungsfreiheit der jeweiligen Leser/Anwender die Linearität durchbrochen. Er kann sich seine individuelle Geschichte innerhalb dieses Rahmens selbst zusammenstellen. b) RIVEN – eine „neu-alte“ Erzähldimension Gleich zu Beginn präsentieren sich dem Leser54 ein Erzähler, ein Buch und ein Video im Buch, durch die er in die Welt von „Riven“ eintreten und sich bewegen kann. Seine Aufgabe ist bereits das Ende des „Romans“: „Riven“ vor dem bösen Herrscher zu retten. Der Erzähler läßt uns Rivens Schicksal erahnen, tritt dann in den Hintergrund und läßt den Leser selbst die Geschichte erleben und gestalten. Mit beinahe allen Sinnen tastet er sich durch diese Welt und steht einer Reihe 54 der mehr ein Benutzer oder User oder ein Spieler geworden ist Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 72 von 189 unterschiedlicher Formen von „Text“ gegenüber, die er visuell aber auch akustisch wahrnehmen kann. Zunächst erscheint der Text als einfache visuelle Komponente, im „klassischen“ Sinn also, denn dem Leser wird die Geschichte in Buchform überreicht. Neben diesen „normalen“ Büchern, kommen auch „lebende“ vor. Diese liefern , durch vertonte Videosequenzen zusätzliche Informationen zur Geschichte. Die meisten visuellen Informationen gewinnt man durch die szenische Gestaltung, die aus einzelnen teils statischen, teils beweglichen Bildern besteht, ein. Diese statischen Bilder, durch die sich der Leser bewegt, erinnern an einen bilderbuchhaftes Umblättern, fast wie ein Daumenkinoeffekt. Sobald man sich in der „Riven“-Welt besser orientieren kann, und sich dementsprechend schneller durchklickt, verschmelzen die einzelnen Bilder zu Filmsequenzen. Die bewegten Bilder hingegen sind Animationen in denen einzelne Teile der statischen Szenen beweglich werden. Zum Teil handelt es sich bei den Animationen um reine Multimediaeffekte, die sowohl die dreidimensionale Illusion verstärken, als auch notwendige Bestandteile der Handlung sind. Die akustischen Komponenten sind Sprache, Musik und verschiedene Geräusche. Am Anfang und am Ende teilt die Sprache auf leicht verständliche Weise reine Informationen mit und erfüllt somit eine informelle Funktion wie ein normaler lesbarer Text. Die Sprache und die Schrift der Bewohner von „Riven“ hingegen, ist unverständlich erscheint seltsam und verleiht dieser Welt eine geheimnisvolle Atmosphäre. Vereinzelte Geräusche haben aber, neben der stimmungsbildenden Funktion, auch einen informativen Gehalt und verhelfen auch zur Lösung diverser Rätsel. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Durch Seite 73 von 189 Kombination bekannter Erzähldimensionen55 und multimedialer Elemente56, die zusammen ein Gesamtbild ergeben, das mit mehreren Sinnen erfaßt werden kann, entsteht die innovative Erzählform von „Riven“. Voraussetzung ist aber, daß die sämtlichen Darstellungsformen gleichberechtigt gewertet werden. Ein Teil der Geschichte wird durch passiven Informationsgewinn bekannt57, der Hauptteil der Handlung entsteht aber durch die Aktivität des Lesers selbst. Er muß ständig Entscheidungen treffen, jeweils neue, unterschiedlicher Erzählstränge schaffen. Er steigt in die Rolle des Erzählers ein und wird selbst zum Schöpfer der Handlung. c) RIVEN – Inhaltsarmut hinter Effekthascherei? „Riven“ besteht aus einer bestimmten Anzahl von Gebäuden, die den Leser/User durch beeindruckende symbolträchtige Bilder, deren eigentliche Bedeutung zu Beginn noch nicht erkennbar ist, in den Bann zieht. Je länger man sich durch diese Welt bewegt, desto deutlicher erkennt man, daß diese Form des Erzählens mehrere Sinne einbezieht und manchmal über mehrere Umwege immer wieder zur Geschichte zurückführt. Diese Geschichte jedoch kann man nur erahnen. 55 Text und Sprache 56 Video und Sound 57 Bruchstücke der Handlung erfährt der Leser/Anwender durch den Erzähler, durch Videosequenzen oder Geräusche Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 74 von 189 Oft sprechen die Bilder für sich selbst. Und nur, wenn man sich in das Dickicht der Insel – und damit das Dickicht der Story/Geschichte – hineinwagt, eröffnet sich der tiefere Sinn der Motive. „Riven“ erzählt also nicht nur durch bloße Texte. Zahlreiche audiovisuelle Effekte erzeugen nicht nur bloße Illusion. Sie erschaffen regelrecht ein ganzheitliches Bild einer fiktiven Welt, besser als ein herkömmlicher Text. Trotzdem bleibt das Buch in beiden Spielen Dreh- und Angelpunkt. Beide beginnen mit einem Buch durch das man in die jeweilige Welt eintreten kann, das Zentrum der Hauptinsel von „Myst“ ist nicht von ungefähr eine Bibliothek. Bücher spielen an allen Schlüsselstellen die entscheidende Rolle und nur mit ihrer Hilfe wird der böse Herrscher bezwungen werden. Das Buch ist nicht rein zufällig ein notwendiges und symbolhaftes „Requisit“. Es wird auf vielseitigen und Ebenen mit diesem Symbol gespielt: einerseits gibt es Bücher, die mit „gewöhnlichem“ Text ausgestattet sind und eine rein informative Funktion erfüllen58, andere Bücher wiederum führen in fremde Welten, nicht nur gedanklich, sondern tatsächlich, sie dienen also als Verbindung zwischen den Welten. Zusätzlich kommen noch eine dritte Art Bücher vor, die sogenannten „Gefängnisbücher“. In ihnen kann man Menschen gefangen halten und selbst gefangen werden. Außerdem besteht die Macht mancher Personen darin, durch Schreiben, Welten zu erschaffen und so das Schicksal ihrer Bewohner zu steuern. Summiert man diese Eigenschaften, läßt sich feststellen, daß es sich um die klassischen Eigenschaften des Mediums Buch handelt: es informiert, es versetzt den Leser in fremde Welten beziehungsweise erschafft neue und kann ihn 58 zum Beispiel Tagebücher, die einen detaillierten Einblick in die Geschichte der Insel geben Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 75 von 189 gefangen nehmen. Diese angeblich völlig andere und neue Literaturform baut auf die vielseitige Macht des „guten alten Buches“. Die positive Wirkung dieser neuen Art der Literatur ist, daß das Verhältnis zwischen Text und Bild wieder aufgefrischt worden ist. Das Verhältnis ist sogar erweitert worden, denn man nimmt nicht nur die Buchstaben auf dem Papier wahr, man kann sich in ihnen, wie in der Geschichte selbst, virtuell bewegen. Man kann sie hören, sehen, beeinflussen oder sich einfach selbständig fortbewegen. Die komplexe Bilderwelt von „Myst“ und „Riven“, wird ohne weiteres intellektuellen Ansprüchen gerecht, denn ohne Interpretation können die komplexen Metaphern nicht voll wahrgenommen werden. Dies macht aus ihnen weit mehr als nur Spiele. Zwar greifen beide auf klassische „Gut-Böse-Strukturen“ zurück, kreieren aber, mit Hilfe multimedialer Effekte, eine neuartige und eigenständige Welt. Da sie alle Sinne bis auf Tast- und Geschmacks- und Geruchssinn des Menschen gleichzeitig ansprechen und anregen, treten sie der Realität viel näher als herkömmliche Texte. Letztere sind nicht fähig dermaßen plastische und illusionsverstärkende Bilder entstehen zu lassen . V 4. Aussichten Da es sich bei den beschriebenen Spielen eindeutig um eine neue Form von Literatur handelt, ist es sicherlich von Interesse zu beobachten, ob und inwieweit andere Projekte an diese anknüpfen werden. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Das Seite 76 von 189 anfängliche Kulturerscheinungen Mißtrauen wird nun, gegenüber mit der digitaler Steigerung Kunstder und technischen Möglichkeiten und des Wissens über dieses neue Terrain, langsam überwunden. Diese steigende Akzeptanz könnte das „sinnliche Erzählen“ zu einer Konstante innerhalb des Literaturbetriebes etablieren. Damit würde das digitale Buch zu einem eigenständigen Medium, mit eigenständigem Charakter und ganz eigenen Bewertungskriterien59. Das spleenhafte Erleben einer Geschichte könnte durch die neuen Technologien eine Renaissance erleben und das postmoderne Konzept der Selbstreflexion und des Offenlegens des fiktionalen Status der Literatur, definitiv ablösen oder gar eine Antithese dazu bilden. Eine andere Möglichkeit Geschichtenerzählen in wäre, größerer das fast Runde, in Vergessenheit durch ein geratene gemeinsames „Hindurchklicken“ (virtueller) Erzählungen zu ersetzen. 59 Die Notwendigkeit eigenständiger Bewertungskriterien ist eines der wichtigsten, aber auch am wenigsten behandelten Themen. Da man sich noch in der experimentellen Phase befindet (sowohl Autoren wie auch Leser), sind die vorhandenen Möglichkeiten weder erforscht sind noch ausgetestet, wie man verschiedene Mittel literarisch und künstlerisch einsetzen kann. Daher liegen zur Zeit noch keine konkreten Kriterien oder Richtlinien vor. Die neuen Strukturen erschweren eine wissenschaftliche Auseinandersetzung über das Werk. Zum einen gibt es noch kein spezifisches Vokabular, das der Interpretation und Analyse der Werke gerecht würde. So muß auf die gewohnte Terminologie der traditionellen Literaturkritik zurückgegriffen werden, die aber schnell an ihre Grenzen stößt. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner VI Seite 77 von 189 Die Prägung der Literatur durch die Darstellungsformen und durch den intensiven Austausch der wahrnehmungsleitenden neuen Medien. VI 1. Sprache und Kunst: eine wechselseitige Durchdringung Der qualitativ neue, interaktive Prozeß, der im 20. Jahrhundert einsetzte und Sprache, Bild, Konkrete Literatur, Visuelle Poesie sowie die bildenden Künste betraf, beeinflußte, prägte und veränderte vorwiegend die „avantgardistischen“ Ausdrucksformen der Künste. Mit den Bewegungen des Kubismus, Futurismus, Dadaismus und Surrealismus setzte eine wechselseitige Durchdringung von Literatur und bildender Kunst ein. Literatur wurde bildhaft gestaltbar – Poesie zum Ansehen – und die Kunst begann sich Elemente aus dem sprachlichem Bereich anzueignen60. Langsam verschwand der Unterschied von Sprachdesign in Werbung und Public Relation zu einer Sprachgestaltung auch in der Literatur. Indem Sprache das Kunstwerk integrierte und selbst in ihm vorkam, wurde sie „lingualisiert“ und somit zum Medium. Sie geht also einher mit dem 60 Die Kubisten „collagierten“ als erste einzelne Buchstaben, Wortfragmente sowie Worte in ihre Bilder und Textfragmente beziehungsweise ganze Texteblöcke in ihren Zeichnungen und Leinwänden. Dieser Technik bedienten sich dann beinahe alle avantgardistische Bewegungen. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 78 von 189 Kunstwerk und komplementär zum Dargestellten, ist aber gleichzeitig Teil davon, kann es in manchen Fällen sogar als Arte Faktum aufheben. Die Absicht war, durch die Integration von sprachlichen Elementen in Bildern jene näher an die Realität heranzuführen und ihre Zweidimensionalität beziehungsweise die der Bildfläche durch eingemalte und collagierte Versatzstücke zu betonen. Dasselbe geschah auch mit der graphischen Qualität der Buchstaben und Texte selbst. Zusätzlich verhalfen sie dem Kunstwerk zu einer Ambivalenz seiner Aussage, indem sie dem Bildmaterial eine neue, nicht sichtbare Aussagekraft verstärkt zuwiesen. Der nächste Schritt, der in den fünfziger und sechziger Jahren unternommen wurde, war jener der Auseinandersetzung mit der Sprache als Material. Versucht wurde eine Interaktion oder gar Fusion von Kunst und Literatursystem: Schrifttexte wurden zu Bildern und Bilder zu Schrifttexten61. Aktionen, Performances, Videos, Multimediashow involvieren die Sprache sowohl phonetisch als auch optisch in die Kunst. Ausgehend von Foto-TextMontagen, die seit der ersten Jahrhunderthälfte agitatorisch eingesetzt wurden, antworten die jungen Generationen der Nachkriegszeit kritisch mit dem Mitteln des literarischen Zitats, der Werbung, der Comics, etc. auf die Befangenheiten sowie Unbehaglichkeiten ihrer Zeit und ihrer noch zu bewältigenden Vergangenheit. Die Spannweite in der sich diese jungen Künstler ein neu definiertes Bewußtsein des Verhältnisses zwischen Sprache und Bild 61 Ideogramme, Konstellationen, Palindrome, Typogramme, Piktogramme oder Raumgedichte wurden zu gängigen Formen. Namhafter Autorenkünstler war wohl Eugen Gromminger, der mit seinen Konstellationen eine durch Text und Fläche untrennbare und nicht linear zu lesende Einheit schuf. Der Text läßt sich von einer optischen Dimension nicht in eine akustische bringen. Jeder einzelne Begriff oder Buchstabe reklamiert und behauptet provokativ seine Eigenständigkeit und seinen ästhetischen Eigenwert. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 79 von 189 verschafften, entpuppt sich in aggressiv politischen Stellungsnahmen, parallel dazu die Irrealität und Absurdität einer Comic-Kultur, im Einsatz banalster sprachlicher Standards konfrontiert mit Hinterfragung von heroischer Metaphern und die poetisch-existentielle (und immer noch verzauberte) Erfassung und Auffassung des Lebens. VI 2. Die Pop-Kultur – Alltagsleben und Gewohnheiten werden zu Kunst Nachdem sich der Roman mit historischen oder allenfalls als „seriös“ eingeschätzte Themen, auseinandergesetzt hat, kehrt 1990 die Gegenwart in die deutsche Literaturszene zurück. Klassische Erzählmuster sind kein Orientierungspunkt für die neue Generation der sogenannten Pop-Literaten. Moritz Basler bezeichnet sie als neue lustvolle Archivisten und dank ihnen „macht die deutsche Literatur seit einigen Jahren so richtig Spaß“62.Nachdem es die Nachkriegsliteratur fertig gebracht hat, ihre Autoren dazu zu bringen, ihre Gegenwart und Umgebung zu ignorieren oder sie abwertend einzuschätzen63, wollte nun diese neue heranwachsende Generation junger Literaten, diese Versäumnisse nachholen. Sie begannen ungehemmt und an Sammlerwut erinnernd, wie man sie in der Literatur der vergangenen Jahrzehnten kaum kannte, Gegenwartskultur in positivistischer Weise in ihren Werken zu bergen. 62 „Haas, Wolf oder Das Erzählen – Die neuen Archivisten“, in: Baßler, Moriz: „Der deutsche Pop-Roman, Die neuen Archivisten“, beck’sche Reihe, Beck, München, 2002, S. 184. 63 Die Vergangenheit bot erschreckend viel facettenreiches Material, daß u. a. literarisch noch verarbeitet werden mußte. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 80 von 189 Die Ansätze dieser Tendenz stammten aus dem angelsächsischen Bereich, aber während diese dort als winziger Punkt auf der kulturellen Landkarte galten, sind sie von der deutschen Literaturszene aus betrachtet eben neue deutsche Literatur, ohne dies eigentlich zu wollen. Sie eröffnen vielmehr einen literarisches Thesaurus auf die Waren- und Medienwelt des 21. Jahrhunderts. Dieses enorme und beliebig ausweitbare Archiv will nicht nur ein Kompendium von Trends oder eine Sammlung generationsspezifischer nostalgischer Erinnerungs- und Verständigungsliteratur sein, sondern will den Konsens, der (Gegenwarts) Literatur sein und sich in dieser als eigenständiges Genre etablieren. In unserer Kulturgeschichte wird die Frage, ob Pop-Literaten in die Literatur aufgenommen werden können sicherlich noch einige Debatten auf hochrangigem Niveau mit sich bringen. Der augenscheinlichste Unterschied zur Literatur, wie man sie bis dato kannte – eine Literatur der ersten Worte, die „die Sprache als unkorrumpiertes Werkzeug primärer authentischer Kunst und Welterfahrung ins Feld führt64“ – liegt eben in der Sprache. Der „neue Archivismus“ geht davon aus, daß die Gegenwartskultur unserer Sprache und folglich jeder möglichen Literatur, immer schon medialen und diskursiven Mustern entsprach oder zumindest von diesen geprägt war. Daher sind die Pop-Literaten von der Notwendigkeit überzeugt, mit eben jenem Material, das diese Sprache liefert, mit dem des Immer-Schon-Gesagten, operieren zu müssen. Die Kunst dabei ist, im Netz des sprachlich Vorgeformten nicht im Trivialen abzugleiten. Vorgänger in der Literatur gibt es: als Beispiel für die deutsche Literatur seien nur Arthur Schnitzlers „Reigen“ (1900), oder Ödon von Horvàths Werk „Geschichten aus 64 „Haas, Wolf oder Das Erzählen – Die neuen Archivisten“, in: Baßler, Moriz: „Der deutsche Pop-Roman, Die neuen Archivisten“, beck’sche Reihe, Beck, München, 2002, S. 184. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 81 von 189 dem Wiener Wald“ (1931) angeführt. Seine Figuren lösen sich nie aus dem Wiener Jargon und seinen Klischees. Die neuen Archivisten hingegen orientieren sich an der zeitgenössischen Medien- und Markenkultur, jedoch nicht an der marktförmigen Erzählliteratur, sondern hauptsächlich an der PopMusik. Autoren wie Matthias Polityicki, Thomas Brussig, Benjamin von Stuckrad-Barre oder Rainald Goetz lehnen sich in ihren höchst unterschiedlichen Verfahren keineswegs an die in den achtziger Jahren noch gefeierten Neuen Erzähltechniken, die aus traditionell realistischen und narrativen Verfahren der angelsächsischen Bestsellerliteratur stammen. Thomas Brussig zum Beispiel, bedient sich souverän der medial vorgeformten Erzählmuster65 und führt dabei deren Realismus und deren Strukturen ad absurdum66. Dem narrativem Muster der Bestsellerliteratur, steht auch die reine Archivierung gegenüber, wobei sich im Verfahren der Katalogisierung und Listenbildung diese als nutzvolle „Werkzeuge“ erweisen. Der Markenname fungiert in diesem Prinzip als Chiffre. Es geht hierbei um Import und Verarbeitung bereits existierender und in den Enzyklopädien bereits vorhandener Termini, Redeweisen und Vorstellungskonglomerate in der Literatur. Dies macht die Lektüre akribisch und setzt beim Autor vor allem aber beim Leser einen Sinn für Sprachspiele, Fügungsbrüche kulturelle Paradigmen und Dialogizität voraus. Nichtsdestotrotz aber erreicht und begeistert diese zum Teil höchst komplizierte Textur der katalogischen Literatur ein erstaunlich 65 Der Ich-Erzähler des 1998 erschienen Romans „Helden wie wir“ bedient sich eines Diktiergerätes um seine Lebensgeschichte offenzulegen. 66 Die übertrieben vielen Happy Ends oder Klaus Ultzschts Schwanz öffnet die Mauer, daher blüht ihm nun im Westen eine erfolgreiche Zukunft als Pornodarsteller. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 82 von 189 großes Lesepublikum. Es handelt sich um ein junges Publikum, das sich in einer Umgebung bewegt, die von Markt und Medien sprachlich und „habitatmäßig“ beherrscht und korrumpiert wird. Das Erzählen läßt sich aber bei aller Medienkonkurrenz nicht verbannen, es mutiert lediglich. Im Fall der Pop-Literatur hat es sich von den Zwängen der Nachkriegsliteratur befreit und lebt nun diese Freiheit fruchtbar in den narrativen Strukturen des popkulturellen Archivismus aus. VI 3. Literatur vs. Bildermacht Literatur ist eine autonome Kunst, die die Herausforderung der Massenmedien nie abgeschlagen hat. Mit dem Aufkommen der audiovisuellen Medien schien es, daß diese die Literatur und die Bücherkultur verdrängen könnten. Das visuelle Element , das Vor-Augen-Stellen, ist dem „Normalverbraucher“ nämlich zugänglicher. Dies brachte eine Konkurrenz ans Licht, die das Ende der Schriftkultur befürchten ließ. (Fren)Sehen statt (Buch)Lesen oder anthropologisch betrachtet Urworte contra Urkultur der Bilder. Es ist zu beobachten, daß sie völlig hinter dem zurücktritt, was Kino oder Fernsehapparat vor Augen stellt oder das, was am Kiosk käuflich ist. Darüber hinaus ist aber auch zu bemerken, daß von Seiten der Intelligenzija anfänglich eine systematische Abkapselung vom technisch-methodischen Umgang und Einsatz der neuen audiovisuellen Medien erfolgte, die erst in den letzten Jahren zum Teil überwunden wurde. Dementsprechend stieg die Produktion und Konsumption von Literatur in allen Medien an, im und mit dem Buch, ebenso wie im und mit dem Kino, Fernsehen, Video und Computer. Buchtexte können Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 83 von 189 also, sei es literarisch wie auch filmisch wirken. In manchen Fällen ergänzt sogar der Film den gedruckten Text. Obwohl Texte ergänzend gelesen aber auch gesehen werden können, hat sich in den letzten Jahren die Perspektive zugunsten des Films gewendet. Die Filme jedoch, wie jedes erzählende elektronische oder digitale Medium, haben eben dieses „Erzählen“ vom „älteren“ Literarischen Medium übernommen. Die „Literarisierung des Films67“, die etwa um 1908/1910 begann, setzt die Fähigkeit des Films voraus, mit filmischen Mitteln literarisch Erzähltes wiederzugeben. Beziehungen zwischen den Medien werden somit ermöglicht, bedingt durch die jeweiligen Eigenschaften beider Ausdrucksformen. Es entstand eine Wechselwirkung, die dem Film nicht nur den Zugang zur Institution Kunst und Literatur verschaffte, sondern auch noch den Zugriff auf ein unerschöpfliches Reservoir an Geschichten68 erlaubte und schließlich die Möglichkeit, die eigene Erzählfähigkeit am Vorbild der Literatur ständig weiterzuentwickeln. Diese Beziehung aber ist nie einseitig gewesen: Leser, die mit der filmischen Darstellungsweise vertraut sind, haben in den Romanen des 19. Jahrhunderts69 „filmische Schreibweisen“ entdeckt. Autoren, die auch ins Kino gegangen waren, fingen an, ihre filmischen Wahrnehmungen in ihre literarische Schreibweise einfließen zu lassen und in manchen Fällen auch direkt für den Film zu schreiben. Unter dem Eindruck des Films, des Kinos und der Fülle dieser neuen Eindrücke wird eine neue Schreibweise und Literatur geschaffen. Drehbücher können unabhängig von ihrer „Aufführung“ gelesen werden, bilden ein eigenes literarisches Genre und liefern, im avantgardistischen Sinne, einen 67 Paech, Joachim: „Literatur und Film“, Metzler, Stuttgart, Weimar, 1997, S. 25ff. 68 aus der mündlichen, geschriebenen und gedruckten Tradition. 69 bei Autoren wie Flaubert, Zola, oder Fontane Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Beitrag zur Seite 84 von 189 neuen Literatur. Diese Entwicklung bestätigt, daß die audiovisuellen Medien ein dominanter Bestandteil der Lebensrealität und Kultur unseres Jahrhunderts sind, obwohl beide Formen zu Beginn unterschiedlich und zum Teil widersprüchlich aufeinander reagiert haben. Der Film hat sich durch die Opposition gegenüber der etablierten, institutionalisierten Literatur und Kunst vorerst von literarischen Einflüssen freigehalten. Die literarische Avantgarde des Expressionismus, Surrealismus, etc. hat sich hingegen bewußt „filmisch“ gegeben. Absicht war es, dem traditionellen Begriff von Literatur eine literarische Praxis entgegenzusetzen, die es zustande brachte, die Eindrücke der neuen urbanen, dynamischen Moderne und ihrer Lebensformen Ausdruck zu geben. Es ist aber zu vermerken, daß dabei der avantgardistische Stummfilm der Malerei näher trat als der Literatur, die eher dem „populären“ Genre näher stand. Mit der Entwicklung des Tonfilms ergab sich eine neue Situation. Dieser konnte und kann sich kaum der realistischen, erzählerischen Literatur fernhalten und eigene filmische Ausdrucksmöglichkeiten behaupten. Dadurch wurde die Adaptation literarischer Vorlagen zum Normalfall und es erfolgte eine Art „literarische Lektüre“ im und des Films. Damit aber eine Beziehung zwischen Literatur und Film zustande kommen konnte, mußte das neuere Medium in der Lage sein, zu erzählen, Filme mußten also zu narrativen Werken werden. Um dies zu verwirklichen, mußten die dargestellten und erzählten Themen den kulturellen Bedürfnissen der Bürger entgegenkommen. Die narrative Struktur der Filme mußte jetzt mehr auf die bürgerlichen Erzähltraditionen abgestimmt werden. Dazu fungierten berühmte Theaterstücke, Romane und Gedichte als Grundlage beziehungsweise Vorlage. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 85 von 189 VI 4. Digitalisierung als jüngste Entwicklung der neuen visuellen Kultur Die Entwicklung der „neuen“ Medien, bis hin zur digitalen Revolution, die immer noch Gesellschaft und Individuum emotional sehr stark anspricht, scheint die Diskussionen der Kulturszene in den letzten Jahren zu dominieren. Dabei stehen die Auswirkungen dieser elektronisch/digitalen Zukunft im Vordergrund. Die markanteste dieser Auswirkungen ist sicherlich in der Globalisierung und Dezentralisierung der Kultur identifiziert worden. Gutenberg war es durch seine Erfindung gelungen, die Kultur zu demokratisieren, zusätzlich brachte die daraus resultierende Entwicklung des in Serie gedruckten Buches ein modernes Staatsbewußtsein hervor. Die Digitalisierung hingegen ermöglicht heute weltweite Kommunikation, die eine Auflösung jener Nation verursacht. Räumliche Beschränkungen spielen nämlich im weltweiten digitalen Netz keine Rolle mehr und jeglicher Gedankenaustausch setzt sich über Raum und Zeit hinweg. Das nationale Bewußtsein, das einst vom gedruckten Buch vermittelt wurde, hat sich nun in eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen gleicher Interessen oder ähnlicher Geisteshaltungen, unabhängig von jeglicher Staatsbürgerschaft. Somit kann man zum Schluß kommen, daß das elektronisch/digitalisierte Zeitalter eine Befreiung von alten Zwängen darstellt, da es radikaldemokratische soziale Grenzen sprengt. Diese Entwicklung, die vorwiegend auf sozial anthropologischer Ebene beobachtbar ist, macht aber vor kulturellen Strukturen keineswegs Halt. Die physische Beschaffenheit der abgedruckten Texte, die im Medium Buch als Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 86 von 189 greifbarer, fester Gegenstand vermittelt wurden und Autorität sowie Stabilität vermittelte, verliert ihre führende Rolle. Sie wandelt sich binnen kürzester Zeit von einer hierarchisch vorgegebenen Struktur oder Gliederung, zu einem flexiblen, ohne klar definiertem Anfang und Ende, Textgefüge mit dem Namen Hypertext um. Diese Struktur soll man sich, laut Negroponte, wie ein komplexes Molekülmodell vorstellen, bei dem einzelne Text- beziehungsweise Informationsblöcke zwar miteinander verbunden sind, ohne aber einer vorgegebenen Ordnung folgen zu müssen. Diese sind willkürlich zusammenstellbar und stehen im klaren Kontrast zur geordneten Struktur und den feststehenden Textgefügen des Buches70. Neben dem Verlust der Einheit, die das Medium Buch mit seinem fest vorgegebenen Anfang und Ende vermittelte, scheint auch die Rückkehr zum Visuellen eine der tiefgreifendsten Veränderungen zu sein. Die Beschaffenheit des Bildschirmes als Darstellungsmedium all dessen, was der Computer technisch und virtuell zu realisieren im Stande ist, regt zu einer immer häufigeren Verwendung visueller Zeichen und Elemente an. Bilder sind nunmehr unverzichtbare und fest integrierte Bestandteile von Texten. Ihre Aufgaben beschränken sich nicht mehr in der bloßen Erläuterung von Worten oder Zusammenhängen, Bilder sind vielmehr Bestandteile des Textes, mit ihm verwoben und mit einer eigenen semiotischen Valenz bestückt. Zeitgenössische Autoren verwenden verstärkt bildliche Zeichen zur kulturellen Kommunikation wie es schon im Mittelalter in der Ikonographie 71 der Fall gewesen war. Die Bilderflut der Gegenwart kann aber nicht mit der Visualität 70 Negroponte, Nicholas: „Being Digital“, Bertelsmann, München³, 1995. 71 Erforschung und Deutung der Bildgegenstände der alten und mittelalterlichen, der christlichen, aber auch der profanen Kunst. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 87 von 189 des Mittelalters verglichen werden. Letztere diente vorwiegend dazu, der analphabetisierten und ungebildeten Masse religiöse Lehren und Doktrinen durch visuelle Darstellungen näherzubringen. Heute fügen Autoren collagenhafte Bilder und Skizzen in ihre Werke ein, dabei sprengen sie die traditionelle Textstruktur und erhöhen somit den Rezeptionswert des Geschaffenen. Die Wiederkehr der bildlichen Kommunikation ermöglicht einen neuen, kreativeren Umgang mit dem Text. Die Hinwendung zum Visuellen kann aber auch zu einer Schwächung des abstrakten Denkvermögens führen. Verschiedene Sachverhalte oral oder schriftlich mitzuteilen, vermag ein Mensch dank der Fähigkeit, sie klar strukturieren und abstrahieren zu können. Wenn diese durch den Einsatz elektronischer und digitaler Geräte ersetzt wird, kann es sogar zu einem Verlust der Abstraktionsfähigkeit kommen. Gesellschaftlich betrachtet scheint es fast, daß das Schriftmonopol in Zukunft wiederum einer Elite vorbehalten bleiben wird und die Masse der Menschen die Schriftsprache zugunsten einer computergenerierten und –gesteuerten Bilderbeziehungsweise Zeichensprache aufgeben wird. Als jüngste dieser Entwicklungen kann das Wechselspiel von Wort, Bild, bewegtem Bild und Ton gelten. Die Kombination dieser Elemente ist das, was digitale Literatur der klassischen Buchliteratur voraus hat. Der Computer mit seiner enormen Speicherfähigkeit und Geschwindigkeit im Durchführen verschiedenster Rechenoperationen, ermöglicht eine konkret durchführbare mediale Fusion72. Zwar bedroht diese tiefgreifende mediale Wandlung vom geschriebenen Wort in bits und bytes, der Wandel des Textes in elektrische 72 Bearbeitet er Bilder, dann übernimmt der Computer die Funktion des Fernsehgerätes, verarbeitet er Töne, wird er zu einem CD-Player oder Radiogerät und bei der Verarbeitung der Texten wird er zu einem Satzautomaten. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 88 von 189 Impulse, das Fortbestehen eben dieser Wörter und somit der Literatur , ist aber nicht im Stande diese „auszulöschen“. Das was die aktuellen Produktionen der digitalen Literatur bieten, hängt in stärkerem Maße vom Design der Bilder, Töne, Animationen ab, als von der Ebene des Textes, dieser wird aber nie definitiv verdrängt werden. Er wird nur Bestandteil eines komplexen Ganzen, das aus verschiedenen einfachen anderen Medien besteht. Das Schema ähnelt dem eines „Chinese Box“ wobei das eine Medium eine Weiterentwicklung des anderen ist. Das Telefon, Grammophon und der Rundfunk sind nichts weiter als die Erweiterung des Medium Stimme, so wie der Film, das Fernsehen und die letzte uns bekannte Entwicklung, die Computeranimation, die Erweiterung unserer Wahrnehmungsfähigkeit von Augenblicken ist, die einst durch die Photographie auf Papier gedruckten Bildern festgehalten wurde. Dieser Parcours verlief natürlich in Etappen, die aber immer schneller erreicht wurden. Dabei bleibt zu beachten, daß die Schrift, die im 15. Jahrhundert durch den Buckdruck erneuert, perfektioniert und standardisiert wurde und nun durch Computertechnologie eine neue Eigenständigkeit beziehungsweise „Personalisierung73“ erfahren hat, nie ihre Hegemonialstellung hat einbüßen müssen. Nur durch die Entwicklung der Telegraphie, des Telephons und des Phonographen Mitte des 19. Jahrhunderts und später der Photographie und des (Stumm-)Films, wurde ihre Rolle etwas relativiert. Diese Medien boten nämlich die Möglichkeit, Stimmen, Klänge und Bilder zu speichern und über größere Strecken nahezu zeitgleich zu übermitteln. Erst die Computertechnologie, die es ermöglicht, fast grenzenlos Informationen zu speichern, sie zu verarbeiten und 73 Dank der verschiedenen Textverarbeitungsprogramme kann jeder beliebige Schreiber seinem Text (der natürlich nicht nur aus Schrift alleine besteht) seinen individuellen Charakter verleihen. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 89 von 189 dessen Vernetzung – das Internet – ihre weltweite, lichtschnelle Übertragung erlaubt, vollendet vorerst die mediale Revolution. Nun stellt sich an dieser Stelle die Frage, wie die Künste und die Kunstwissenschaft auf all diese Entwicklungen reagieren. Auch Werke der traditionellen Künste wie Malerei/Graphik, Bildhauerei, Architektur, Musik und Literatur, haben immer schon Informationen durch Farben, Formen, Bilder, Töne, Klänge sowie Worte und Texte vermittelt, verarbeitet und gespeichert. Zusätzlich liefern sie auch Modelle zur Nachahmung oder zum besseren Verständnis sowie Kritik der Realität. Sie entwerfen fiktive Makro- und Mikrokosmi, und konstruieren neue Formen. Wirken all diese Kunstformen und Medien gemeinsam, indem die eine(n) die Wirkung der anderen ergänzt(en), unterstützt(en) oder erweitert(/erweitern), bezeichnet man dies als Trans- oder Intermedialität. Dies ist ein Phänomen, das natürlich auch im Bereich der traditionellen Künste vorkommt. Man denke nur an die Rolle des Erzählers und die verschiedenen „Formen“, die dieser annehmen kann. Mit seiner Hilfe werden nicht nur fiktive Welten erschaffen, sondern um diese Fiktion überhaupt vermitteln zu können, benötigt man ein Manuskript, ein Buch oder eine regelmäßig erscheinende Zeitung. Man kann also nicht nur erkennen, daß sich Kunst- und Medientechnik nicht ausschließlich bei medialen Kunstformen überschneiden, sondern auch, daß diese schon bei den traditionellen Künsten Anwendung fanden. Es hat sich nur der mediale Status und der Umfang der Anwendung gesteigert, der zu einem „medialen Mehrwert des Textes74“ geführt hat. 74 Faßler, Manfred, Halbach Wulf, R. (Hrsg.): „Geschichte der Medien“, Fink Verlag, München, 1998. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 90 von 189 Ohne Zweifel, hat der Computer, nach dem Telefon, dem Grammophon, dem Rundfunk und dem Film (Kino/TV) unsere Schriftkultur radikal verändert. Nach der ersten beiden großen (Medien)Revolutionen, die von der Schrift und später von der Entwicklung des Buchdruckes ausgingen, kann man nun von einer dritten „Medienrevolution“ sprechen. Diese technische Innovation hat aber auch hinsichtlich der Literatur und Kunst ein Janusgesicht. Neben den vielen positiven Aspekten, besteht die Rückseite darin, daß oft eine erzwungene und forcierte Animation den Text und dessen Lektüre erstickt, bis das filmische Element die Überhand gewinnt. Die Rezeption beschränkt sich dann ausschließlich auf die Bildbetrachtung, wobei nicht die Worte, sondern das Event die ästhetische Wahrnehmung ausmachen. Medien sind nicht nur Träger gesellschaftlicher Kommunikation, sondern prägen Denk- und Verhaltensweisen. Der Buchdruck hat das Buch als Medium nicht erfunden, er hat nur dessen Möglichkeiten erweitert. Das selbe gilt für die neuen, audiovisuellen Medien. Seit der Verbreitung des Fernsehens und des Computers (seit den achtziger Jahren) fanden Bücher, die sich mit diesen neuen Medien beschäftigten, eine breite Leserschaft. Allmählich wurde klar, daß durch den Einfluß der elektronischen Bilder die menschliche Wahrnehmung und die Gesellschaft grundlegend verändert wurde. Teils wurde diese Veränderung positiv und die reproduzierbaren Bilder als Erweiterung der dokumentarischen und künstlerischen Darstellungsformen gewertet, teils verwies man auf die negativen Wirkungen der elektronischen Bilder auf die Denk- und Verhaltensweisen bis hin zum Wirklichkeitsersatz oder Wirklichkeitsverfälschung. Trotzdem bietet das Medium Computer neue Möglichkeiten für die Literatur. Schon Horaz erkannte in seiner „Ars poetica“ daß der Geist durch das Ohr Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 91 von 189 langsamer erregt wird, als durch das Auge. De facto sagt ein Bild mehr aus als tausend Worte, denn das Bild zielt direkt an die Affekte. Sie besitzen eine höhere und direktere Appellfunktion als Worte. Neben den wichtigen Ausdrucks- und Darstellungsfunktionen muß man auch anführen, daß das visuelle Gedächtnis, weit dauerhafter als das Textgedächtnis ist. Eindeutiges Beispiel dafür ist die Metaphorik der Poesie, die abstrakte Begriffe in sprachliche Bilder kleidet um deren Verständnis zu erleichtern und dauerhafter zu machen. Es ist also kontraproduktiv Bilder und Texte gegeneinander auszuspielen, da eine Koexistenz beider, auf allen Ebenen, weit mehr bringt, als eine Konkurrenz. Diese würde beide Ausdrucksformen hemmen. Horaz stellte mit seinem Konzept des „ut pictura poesis 75“ eine tiefe Korrespondenz zwischen Wort und Bild fest. In dieser Korrespondenz sah schon Lessing die Basis für die Multimedialität76. Später behauptete Daibler, in der Multimedialität läge das mächtigste Instrument der Literatur in ihrer jüngsten Form der Digitalisierung, kurz die digitale Literatur77. 75 Ut pictura poesis - wie ein Bild sei das Gedicht 76 Lessings, Gotthold Ephraim „Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie“, in ders: Werke, Göpfert, Herbert G. (Hrsg.), 8 Bd. München 1996, Bd. 6, S. 7 – 187. 77 Jürgen Daibler: „Als Bilder rechnen lernten (Multimedialität)“, in: Simanovski, Roberto: „Literatur.digital Formen und Wege einer neuen Literatur“, dtv, München, 2002, S. 103ff. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner VII Seite 92 von 189 Multimedia, Hypertext, Hyperfictions und die Idee des „global village“ VII 1. Multimedia Multimedia der Zauberbegriff des Jahres 1995 (ff). Der Medienmarkt boomt und schreit nach Internet, Digital Fernsehen, Interaktivität und Virtual Reality (virtuelle Realität, Cyberspace). Statt Verwurzelung ist der Menschen heute durch technische Ausstattung, die Fernsehen, Telefon/Fax, Videogerät, Kabel TV, PC, Handy, Internet, DVD und Pay TV verkabelt und vernetzt. Langsam hat sich die Idee eines „Globalen Dorfes“ („global village“), einer kollektiven „Teleexistenz“ breitgemacht. Eine „schöne neue Welt“ (Aldous Huxley), in der man multimedial verbunden, vernetzt und immer und überall erreichbar sowie gegenwärtig ist Das Medium Buch ist in den Hintergrund getreten beziehungsweise neu definiert und das tägliche Zeitbudget, das ihm gewidmet wird, hat sich zugunsten der „neueren“ Medien geändert und reduziert. Internet bietet knappe, leicht zugängliche und schnelle Informationen und noch mehr zur Unterhaltung. Trotzdem und ausschlaggebend ist, daß Fernseh- und Multimedialwelt ein neues Lesen und Schreiben verlangen: sie fordern einerseits mehrere Informationsstränge gleichzeitig, andererseits werden Bilder und Töne gleichzeitig wahrgenommen und verstanden. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 93 von 189 Die Basis ist nicht mehr die Schrift im traditionellen Sinne (Text – „textum“ – Gewebe, Gefüge), sondern eine elektronische Kulturtechnik. Im Mittelalter begann man Texte mit Symbolen zu illustrieren und zu erweitern. Diese bildeten eine Einheit und es resultierte daraus ein visueller Text. Nun wo Informationen meist mehrsträngig sind (digitale Nachschlagewerke), ist das Bedürfnis nach Multimedia sehr groß. VII 2. Hypertexte und digitale Literatur Hypertext ist eine Textform, deren Elemente durch Hyperlinks verbunden sind. Üblicherweise bewegt sich der Leser per Mausklick in der aus mehreren Ebenen und Teilen bestehenden Textstruktur. Gegenüber einem linearen, im Buchdruck herkömmlichen Text ermöglicht Hypertext eine komplexe Anordnung von Textsegmenten, deren Verknüpfung frei definiert werden kann. Die Verbindung der Textsegmente (dies können auch Bilder, Animationen oder Töne sein) von Hyperlinks ermöglicht dem Autor die Setzung von Textanschlüssen, die sehr vielfältig genutzt werden kann. Ein Gesamttext wird durch die Verknüpfung einzelner Texte erweitert. Diese sind zunächst nicht sichtbar, wenn nicht durch optische Merkmale gekennzeichnet werden, sogenannte Icons oder Links. Es handelt sich also um ein unsichtbares Netzwerk und Textgewebe, das sich aus digitalen Daten zusammensetzt. Die Texte sind somit weltweit und in „real time“ vernetzt und abrufbar und nicht nur das: der Anwender/User kann zu jeder Zeit interaktiv auf sie einwirken und sie verändern – soweit es die vom Autor genutzte Software zuläßt. Es eröffnen sich völlig neue Dimensionen der Gesamttexte, die die Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 94 von 189 bisherigen Möglichkeiten der Kulturtechnik und des Fernsehens übertreffen. Durch die Technik des „linking“ Zutritt zu Quellentexten, Hintergrundberichten, Daten (über Entstehung der Artikel und deren Verfasser oder anderer, verschiedenster Art). Beim Vorgang des „linking“ werden Texte mit anderen Texten verwoben (verkettet), dadurch heben sich die Grenzen zwischen ihnen auf, die Genre und Modi verschmelzen mit/ineinander und es entsteht daraus ein sogenannter Hyper(link)text. Diese Art von Text besitzt keine eindeutige Form mehr, sondern hat sich in eine hybride Form angeeignet. Das Wort „hybrid“ trifft auf diese besondere Art von Text in all seinen Bedeutungsvielfalt zu: der Text kann durch die immense Quantität und oft fragliche Qualität der Informationen als „sich selbst überschätzend und vermessen“ erscheinen, außerdem ist er von zweierlei (oder mehr) Herkunft und letztendlich ist er ja durch „Kreuzung“ entstanden. Parallel haben die neuen technischen Möglichkeiten die Aufgaben für Inhalt und Gestaltung eines Textes verändert: die Arbeit, die früher mehrere Personen ausführten, wird nun von einer oder nur wenigen Personen erledigt. Für den Konsumenten ist nun eine gezielte Auslese möglich und eine schnellere Kommunikation mit dem Verfasser der Texte (Kommunikation durch E-Mail oder Diskussionsforen). Simultaneität, Spontaneität und Interaktivität also, aber auch ständig steigender Druck nach Aktualität der, aufgrund der ständigen Vermittlung von enormen Informationsmengen, eine sterile Übernahme dieser verursacht. In der Flut von Bildern und Informationen, die nunmehr als „Hintergrundrauschen“ unser Alltagsleben begleiten und die wir unbewußt und ohne sie zu hinterfragen aufnehmen, wird vor allem auf das visuelle Element geachtet und gezielt hingearbeitet. Da dieses Element das erste ist, das Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 95 von 189 wahrgenommen wird, soll es anziehen und fesseln. Dadurch erhöht sich aber auch die Manipulationsgefahr. Während die verbale Sprache auf Konventionen, festgelegte Zeichen und Regeln, die ihr eindeutigen Charakter verleihen, beruht, sind Bilder offen und mehrfach deutbar. Sobald sie mit einer bestimmten Bedeutung verknüpft werden, erfolgt eine Standardisierung und Kommunikation: Symbole, Piktogramme, verhelfen zu einer besseren Orientierung in der Computerwelt, Ikonen oder „icons“. Man kann längst nicht mehr nur von klassischen Massenmedien sprechen. Allmählich hat sich, von Computerdesign(ern) und –programmen ausgehend, eine neue Sprache, Terminologie, sowie ein neues Zeichensystem entwickelt, um auch die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine zu ermöglichen. Das Individuum hat sich mit den Medien verändert: von einer einheitlichen und „stabilen“ Figur (gedruckte Text) zu einer fragmentierten, instabilen aber zugleich flexiblen und hybriden78 Identität (Hypertexte). Dieser Kommunikationswandel hat den Alltag ebenso wie die Umgebung verändert und neue Identitäten, neue Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickelt. Diese technische Innovation hat nicht nur die Struktur der Medientexte verändert, sondern auch die Art, die Realität aufzufassen, ein literarisches Werk aufzubauen oder zu konzipieren: Ikonisierung, Visualisierung und Virtualisierung, Interfaces, Animation und Sound/Ton(-effekte) sind die neuen Elemente, die neben den „traditionellen“ einen Roman u. a. gestalten und einen bestimmten Ton und eine bestimmte Form verleihen, neben den konkret thematischen Anspielungen und den Inhalten. 78 Hybrid: (hybride Form - Mischform) 1. sich selbst überschätzend, eingebildet, vermessen 2. von zweierlei Herkunft, gemischt, zusammengesetzt 3. (biol.) durch Kreuzung entstanden Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Es erfolgt Seite 96 von 189 also, über die Medien und ihre Sprache, eine „mediensystembedingte“ Entwicklung neuer Arten und Sparten der Kunst, Unterhaltung, Journalismus, Wissenschaft und setzt eine „medialized society“ voraus, die mit der Kombination und der Verschmelzung von Fernsehen, Computer, Audiovision und Datenverarbeitung umgehen (lernen) muß. Wissenschaftler haben diese Entwicklung als „die 3. Medienrevolution79“ bezeichnet. Das Rezeptions- und Kommunikationsverhalten der (Medien-) Konsumenten verändert sich. Dies kann bis zum Extremfall der medialen Konstruktion einer eigenen Wirklichkeit oder sogar zu einem Identitätswechsel führen. Neben dieser gesellschaftsverändernden Wirkung bieten die neuen Medien und die damit verknüpften Technologien die Möglichkeit der Darstellung komplexer Informationen in einer Vielfalt (und in der für dessen Vermittlung die beste) an Manifestationsformen sowie deren Speicherung und Integration in ein multimediales System. VII 2. 1. Zur Wirkung von Hypertexten Diese besondere Art von Text bewirkt eine Wechselwirkung bzw. ein Zusammenspiel von Text und Bild. Da der Blick zuerst auf das Bild fällt, wird sehr sorgsam daran gearbeitet, denn es soll nicht nur anziehen beziehungsweise verlocken, und somit die emotionale Komponente der Leser /Anwender und 79 nach der Entwic klung von Schrift und Druckpresse Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 97 von 189 aller Interessierten ansprechen, sondern auch eine (Interpretations-) Hilfe für den Text selbst und dessen Verständnis darstellen. Bilder sollen die Textlektüre unterstützen jedoch nicht nur ein kontemplatives Betrachten verursachen. Im Idealfall sollten sie zur Anwendung anregen bzw. unterstützen. Der Hypertext ist sogar imstande die Grenzen zwischen Spiel und Recherche / Lesen / Studium beinahe aufzuheben. Die Verbindung von Wort zu Bild und Bild zu Wort kann ein Assoziationsspiel auslösen, bei dem nahezu unbewußt (visuelle) Informationen festgehalten werden – Identifikation wie es bei der Werbung geschieht oder durch Nutzung des Overheadprojektors. Dies ist also nicht Neues, denn Bilder sprachen schon immer eine ‘schweigende Sprache’. Zum Beispiel wurden Bilder zur Unterstützung von Textlektüre schon in der Frühgeschichte der Schrift verwendet. Dieser Gebrauch nahm dann auch mit dem Zuwachs der Informationsmenge zu. Beispiel dafür sind die Textbilder aus dem 12. Jahrhundert. Diese Miniaturen sollten einerseits dekorativ, andererseits aber veranschaulichend wirken. Je näher man an die Gegenwart rückt, um so reger wurde von diesem Phänomen Gebrauch gemacht. Mit den neuen medialen Techniken wurden Bild-Text-Konglomerate bedeutender und man kann heute behaupten, die Medien seien nicht mehr schriftzentriert. Am Beispiel des Stummfilms zu ist dieses Phänomen gut zu beobachten: im Stummfilm wurde vieles, u.a. nicht durch Mimik und Gestik eindeutig darstellbare, Übergänge und Szenen oder Musik und Ton/Geräusche, anhand von Textvorlagen mitgeteilt. Es ist bereits möglich Inkompatibles dank eines Bild-Text-Gefüges zu kombinieren, sowie große und vielfältige Informationsmengen auf möglichst Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 98 von 189 übersichtlicher und schneller Weise zugänglich zu machen. Dabei spielen typographische Elemente eine wichtige Rolle. Der Nutzer ist bei der Lektüre von Hypertexten stärker gefordert als bei einer herkömmlichen Lektüre. Während bei Medien (Printmedien, Fernsehen und Rundfunk) durch Zappen ein ähnlicher Vorgang wie das linking vorgenommen werden kann, behandeln diese aber nur jeweils ein Thema oder mehrere, die aber untereinander klar unterscheidbar sind. Die Grenzen sind in diesem Falle deutlich markiert. Bei den Hypertexten und im Internet sind diese Grenzen der „alten Medien“ bloß „Übergangslinks“. Durch die besondere Art der Beteiligung des Lesers/Anwenders wird dieser zum Basteln und Konstruieren ermuntert und somit zentrifugal ins Geschehen hineingezogen. VII 3. Hyperfictions80 Die technischen Voraussetzungen der Hyperfictions ermöglichen es, eine Korrespondenz zwischen Wort und Bild konkret sowie im weiten Umfang herzustellen und zu nutzen. Es war die Emblematik des Barocks, in der es erstmals gelang, diese Korrespondenzen in der Verschmelzung von Wort Bild, darzustellen. Durch Inscribtio 81 und Subscribtio 82 wird das Rätsel des 80 Hyperfiction ist ein Kunstwort das aus den englischen Begriffen hypertext und fiction besteht; es ist eine digitale Sammlung von Textsegmenten, auf deren Grundlage... 81 82 „Überschrift“, auch „Lemma“ genannt, die sich über der Abbildung befindet Befindet sich unter dem Bild, erklärt das Dargestellte, erklärt es und zieht daraus eine Lebensweisheit oder eine Verhaltensregel. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 99 von 189 Dargestellten durch das Medium Sprache gelöst. Man kann daraus schließen, daß dem Bilde ein rätselhafter, enigmatischer Charakter innewohnt, der nur durch eine Deutung, die unweigerlich über Worte geschehen muß, gelöst werden kann. Das Bild bedeutet also immer mehr, als es auf erstem Blick zeigt. Aus dieser Doppelfunktion hat die Literaturform des 21. Jahrhunderts (die digitale Literatur) gelernt, einen logischen Bezug, eine Abfolge, einen Sinnzusammenhang und eine lineare Struktur in der Korrespondenz Wort-Bild herzustellen und darüber hinaus diese Korrespondenz innerhalb des Hypertextes durch andere, neue Bilder auszuweiten. Es entstehen neue Text – Bild Beziehungen, wobei das Wort das sagbar macht, was das Bild enthält und im Idealfall auch noch vieles mehr. Es demonstriert, daß unser Sehen nicht nach einer festgelegten Reihenfolge des Wissens passiert. Andererseits sollte das Bild auch das darstellen, was in Worten nicht auszudrücken ist. Aus dieser Wechselbeziehung kann man den Mehrwert an Informationen, den die Multimedialität ermöglicht, und den digitale Literatur gegenüber der klassischen Buchliteratur aufweist, erkennen. Das semantische Feld, das ein Text dem Leser eröffnet weitet sich durch eine Visualisierung des Beitrages enorm aus. Diesem Toben und dem Dauerfeuer der Bild – Text – Informationen ausgesetzt, kann der Leser/Betrachter aber auch nur einen Bruchteil bewußt davon aufnehmen und verarbeiten, der Rest wird unbewußt wahrgenommen und einfach in seinem Inneren irrlichter lassen. Gut gemachte Literatur kann jedoch ein enormes Sinnpotential aktivieren83, und die digitale Literatur besitzt die besten Voraussetzungen dazu, da sie mehrere Sinneskanäle gleichzeitig und intensiv anspricht und integriert. 83 darüber waren Romantiker wie Eichendorff, Novalis (alias Friedrich von Hardenberg) u. a. einig Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner VIII Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 100 von 189 Die Literatur in technisch aufgerüsteten Zeiten VIII 1. Autor und Leser Sowohl die Tätigkeit des Schriftstellers als auch die des Lesers hat sich in den letzten Jahren sehr geändert. Beide müssen sich einer Kultur anpassen, die den neuen, unzähligen Informationen und der Flüchtigkeit der Aktualität unterworfen ist. Der Schriftsteller ist gezwungen, sich mit dem Tempo der Reizauslöser und deren rapiden Mutationsfähigkeit anzupassen und diese in seinen Werken wiederzugeben. Der Leser seinerseits muß mit diesen vertraut sein um sie wahrzunehmen und die volle (Text-) Verständnis zu gewinnen84. Einige Autoren können sich immer noch nicht mit der technikgeschichtlichen Umstellung auf die beweglichen beziehungsweise digitalen Bilder und den neuen Trends anfreunden. Sie plädieren für eine erneute Philologisierung, verharren in ihrem Konservativismus und verachten die mediengesteuerte Erlebnisgesellschaft. Der Literaturbetrieb paßt sich dennoch unaufhaltsam an, verliert aber dadurch sein Profil und auch an Attraktivität. Dies ist schwer zu erkennen, denn auch 84 Literatur für Insider, d. h. nur wer mit den neuen Trends und Medienentwicklungen standhält, kann auch die Inhalte jener Romane verstehen, die diese auch als zentrales Thema haben. Wer zum Beispiel noch nie den Bildschirmschonereffekt Starfieldsimulation im Betriebsystem Windows gesehen hat, dem bleibt der Kommentar einer Figur aus Haslingers Roman „Das Vaterspiel“ ein Rätsel. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 101 von 189 der Unterhaltungsroman bleibt immer noch per Definition Literatur85. Die neue Ereigniskultur (von der schon in Kapitel IV die Rede war) zielt auf eine Literatur, die so unterhaltsam wirkt wie das Fernsehen oder Kino, trotzdem aber den Hauch alter Kultur nicht eingebüßt hat. Aus diesen zwei Tendenzen hat sich eine Spaltung entwickelt. Diejenige Literatur, die von konservativen Autoren produziert wird, hat sich zu einem bloßen Gedankenaustausch der Gebildeten über Bildung entwickelt. Andererseits jedoch hat die Bildung begonnen, sich von der Buchsphäre zu lösen und jegliche Versuche, sie erneut einer neobürgerlichen Elite zuzuschreiben, erweisen sich als vergebens. Die meisten Debatten über Literatur haben die Unterhaltsamkeit der Literatur als Kernproblem und wie diese ein breites Publikum erreichen kann. Dabei wird diese seichter und subtiler, denn hinter Erfolgen wie jene eines Thomas Brussig, Robert Schneider oder Josef Haslinger86 sieht man eine „neue“, gut verkäufliche Gattung des deutschen Romans aufkommen. Diese interne Spaltung der Literatur ist ohne Zweifel als Wirkung auf die Medienentwicklung zurückzuführen. Die Konfrontation mit den neuen Medien läßt das „ältere“ Medium Literatur alt und überflüssig aussehen. Deshalb muß Literatur in elektronisch aufgerüsteten Zeiten sich den Neuen Tendenzen und den Marktbedingungen anpassen, selbst wenn sie sich einfacher Mittel zur Erzählung bedient. Diese Mittel sind durch den intensiven Austausch mit den wahrnehmungsleitenden Darstellungsformen anderer Medien geprägt. Daher erzählt Literatur heute, unter anderem, oft wie das Fernsehen oder der 85 86 Belletristik oder Trivialliteratur Brussig mit „Helden wie wir“ oder „Sonnenallee“, Schneider mit „Schlafes Bruder“ und Haslinger mit „Opernball“ Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 102 von 189 Computer und das Internet, sie macht sich also die „neuere“ Technik, bewußt zum Bestandteil ihres Schaffens. Die neuen, weltwandelnden Medien haben auch die Grundfesten der Autoren ins Schwanken gebracht. Die Herausforderung mit ihnen hat unter den Älteren und „Konservativen“ eine tiefe Unsicherheit ausgelöst. Oft wird der „neue Weltraum, den die neuen Medien schaffen, bewußt gemieden. Je schneller und umfassender die technische Entwicklung des Weltraumes um sich greift, desto stärker wird diese von jenen Autoren ignoriert. Es entwickelt sich eine literarische Nischenkultur, die sich ausschließlich mit den historischen Leistungen des eigenen Mediums „Buch“ auseinandersetzt. Aber um sie herum, und jedermann ist sich dessen bewußt, hat mit der Verbindung von Fernsehen, Video, Telefon und Computer ein neues, polytechnisches Zeitalter begonnen. Auch scheint es, daß der Elitekunst und ihrer Exponenten die Debatten über historische und politische Ereignisse überlassen werden87. Trotz der repräsentativen Funktion, die sich daraus schließen läßt, bleibt das Bild der Literatur im Vergleich zu den moderneren Kommunikationssystemen im Dunklen. 87 Man denke nur an die vielen literarischen Werke und die politischen Eingriffe und Stellungsnahmen der (deutschen) Schriftsteller in den Jahren vor und nach der deutschen Wiedervereinigung. Christa Wolfs Reden und ihre Erzählung „Was bleibt“ (1990), Wolf Biermanns Büchner-Preisrede über die Stasiverstrickungen der DDR-Intellektuellen (1991), Günter Grass’ Roman „Einweites Feld“ (1995) oder die viel umstrittene Stellungnahme Peter Handkes „Gerechtigkeit für Serbien“ (1996). Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 103 von 189 VIII 2. Die Neubestimmung der Literatur Das Fernsehen und allgemein die elektronischen Medien haben sich nicht mehr in einer von Literatur durchdrungenen Welt zu positionieren, umgekehrt aber muß sich die Literatur mit einer von den neuen Medien weit okkupierten Welt auseinandersetzen. Das mögliche Verhältnis, das sich zwischen Literatur und „neuen“ Medien allmählich aufbaut, beinhaltet sowohl eine klare Gegenüberstellung von „alten“ und „neuen“ Medien, als auch eine mögliche und konkrete Übertragung verschiedener Formen zu wechselseitigen Beeinflussungen oder zu Kooperationen. Eine formale und funktionelle Neubestimmung der Literatur, die sich an der Medienkonkurrenz orientiert, ist also notwendig, da sich die Schwerpunkte klar verschoben haben. Trotzdem signalisieren die Statistiken des Buchhandels und der Leseforschung keine alarmierende Veränderung im Kauf- und Leseverhalten. Es besteht zwar eine Konkurrenz, die aber eine friedliche Koexistenz nicht verhindert. Bei dieser Analyse aber wurden weder die Mutationen der Literatur durch das veränderte Medienumfeld noch jene des Lesens berücksichtigt. Eine Gleichberechtigung der Medien wird angestrebt, eine Gleichberechtigung scheint aber undenkbar. Die jüngeren Medien haben nicht nur eine breitere Anhängerschaft, sie haben einen entscheidenden Einfluß auf die Prägung des „Benutzer“ – Verhaltens, also auch seine Wahrnehmung der Welt und seiner selbst, prägen aber auch zwangsläufig die Gestalt der Literatur selbst. Letztere verliert dadurch entscheidend an Wichtigkeit und Substanz, gerät in eine äußerst prekäre Lage und wird zur bloßen Schablone für andere Kommunikationsformen degradiert. Dies ist ihre einzige Möglichkeit, um aktiv Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 104 von 189 mitwirken zu können: die Aufgabe ihrer Hoheitsrolle und die daran gebundene Randposition des Abseits stehenden Betrachters. Betrachtet man diesen Prozeß aber pessimistisch, so läßt sich sogar behaupten, herkömmliche Literatur88 habe ihre Existenzberechtigung verloren und werde angesichts der offenen, interaktiven und äußerst demokratischen89 Medien obsolet. Trotzdem muß die „Neue“ Literatur an die „klassische“ Form anknüpfen, da diese ein Depot an Erinnerungen ist, die zu einer historischen Erkenntnis verhelfen. Zusätzlich besitzt Literatur die Fähigkeit, mit Mitteln, die ihr eigen sind, Welterfahrung als Medienerfahrung zu thematisieren. Dabei greift sie zu neuen Strategien. Sie entnimmt Mythen der Spielfilme, Diskurse aus Talkshows und bezieht sich auf elektronisch generierte Bilder, entstellt und ordnet diese für ihr Publikum neu. Durch diese Tätigkeit, bei der die Literatur gezielt auf die Werkzeuge und Techniken der „neuen“ Medien zurückgreift, bewirkt sie einen Riß im enormen Netzwerk, daß die Welt der Kultur zu umgeben scheint, sowie der Suggestionsfunktion besagter Medien. „Die Welt ist erfüllt von Zeichen und Stimmen, lückenlos und zweifelsfrei, eine medientechnisch induzierte Totalität, das Reich eines neuen Geschlechts in jedem , auch im sexuellen Sinn, das Geschlecht der Medienmutanten, fraglos und kritikfrei, verschaltet statt bezeichnend, ohne Jenseits und Als-ob, ohne moralisches Gesetz und regulative Idee, gott- und sinn- und ichlos sicher in den Schwingungen einer Welt auf Sendung.“90 88 Literatur deren Konzeption auf einen Autor/Urheber zurückgeht und die ihre Subjektivität in ihm voll auslebt 89 90 demokratisch im Sinne von allen zugängliche Medien Winkles, Hubert: „Leselust und Bildermacht – Literatur, Fernsehen und Neue Medien“, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1997, S. 100-101. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 105 von 189 Dieser Unterwerfung und Abhängigkeit, unter der die Konsumgesellschaft leidet, kann die Kunst aus ihrer Außenseiterposition entgegenwirken, indem sie die Imagination wieder erweckt und den Trancezustand, in dem sich das Publikum befindet, löst. Die Mittel die sie dazu benutzt, entstammen aber jenen Mythen, die die „neuen“ Medien geschaffen haben. Dabei wirkt sie auch der Kurzlebigkeit und Instabilität entgegen91. Andererseits kann sie aber auch den aufmerksamen und selbstkritischen Leser über seinen Profilverlust und die immer stärker werdende Überanpassung an die modernen und „bequemen92“ Medien. VIII 3. Reaktionsversuche Die zeitgenössische Literatur weist, auch ihrer Spaltung wegen, zwei Reaktionsweisen auf diese neue mediale Situation auf. Einmal der Bezug auf Urtexte, die aber von alten Dogmen befreit werden, da „veraltete“ mythologische Stoffe nicht für das breite Publikum taugen93. Der Autor muß auf die Technik der Adaptation zurückgreifen und die Stoffe medial-tauglich machen. Dabei vermischt er mehrere Genres und bildet ein Modell das auf einen alten, neu fundierten Mythos basiert. Im Erzählakt dann, vollzieht sich die 91 Viele literarische Werke verhelfen sich bei ihren Flashbacks die Atmosphäre besagter Zeit anhand konkreter Beispiele herzustellen (in Haslingers „Vaterspiel“ zum Beispiel anhand eines Song) 92 Was unter bequeme Medien zu verstehen ist, wurde bereits im Kapitel V 4. verwiesen. 93 Man denke nur an die „Muttergottes Figur Christa Wolfs „Medea“ Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 106 von 189 Aufhebung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Erst beim Lesen merkt man, daß zahlreiche Motive, auch jene des aktuellen Diskurses, in das Erzählnetz eingewoben sind. Die zweite Reaktion geht in eine völlig andere Richtung. Es erfolgt eine „Unterwerfung“ dem lustvollen Prozeß des medialen Substanzverlustes. Die Welt verschwindet in der allgemeinen Gegenwärtigkeit und Oberflächlichkeit der „neuen“ Medien und die Literatur riskiert den völligen Selbstverlust. Beides sind heftige Gesten, bei denen der Kontrast zwischen Popliteratur und Hermeneutik fortgesetzt wird. Man kann aber Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Genres feststellen, sowie immer wiederholte Versuche, miteinander in Berührung zu kommen. Die Vermischung oder die Penetration fremder Kommunikationskörper, um ein altes poetische Kraftzentrum oder credo peticum94 zu reaktivieren. In den letzten Jahren wurden etliche Versuche unternommen, den prekären Status der Literatur und des Autors, aufzuwerten. Dabei griff man auf spielerische Mittel zurück, da diese den Anwendungsformen der „neuen“, erfolgreicheren Medien eher verwandt schienen. Diese Versucher reichen von der Einsendung von (Computer)Disketten mit graphisch durchgestylten (auch animierten) Texten95, bis hin zu fernschriftliche Simultandichtung mehrerer Poeten per Computer96. 94 Dichterisches Bekenntnis 95 Eine Art elektronische Reprise der Handschrift 96 Die letzte dieser Entwicklungen ist das Appell eines Autors, der seine Leser animiert ihm verwandelbares, schriftliches „Material“ zuzusenden. Hermann Mensing hat im Literatur-Cafe (http://www.literaturcafe.de) eine neue Aktion gestartet: Man kann ihm einen Satz zusenden, und Mensing macht daraus im Handumdrehen eine kleine Geschichte, die man dann im Literatur-Cafe lesen kann (www.literaturcafe.de/satzfuersatz) Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 107 von 189 Es kann verrückt klingen, aber eine Chance für die Literatur, wieder ein breites Publikum, das alle zurückzugewinnen, Altersstufen liegt entweder anspricht, und in Fusion der ihr altes mit Echo modernen kommunikativen Praktiken oder darin, diese direkt zum Hauptthema zu machen. Das heißt, daß sich Literatur selbst, da sich ihre Anwendbarkeit auf den individuellen Akt des Lesens beschränkt, nicht eindeutig zu diesen kommunikativen Praktiken zählt. Sie vermittelt Wissen, die Aneignung dieses Wissens aber beruht auf eine Arbeits- und Recherchetätigkeit der Dichter. Durch die Erprobung beider Extreme, des substanzverlierenden, schnellen, zerstreuten und der Äußerlichkeit zugewendeten Pop-Genre und der gründlicher arbeitenden, teils enigmatischen und altehrwürdig-sakralen alten Kunstgattungen, behauptet sich die Literatur als Unikum in einer MedienUmwelt. Literatur ist aber nicht einfach das andere zur technisch-telematischen Kommunikation. Man kann sie nicht nur retrospektiv, wie ein Vorgängermedium, erfassen. Sie findet ganz unabhängig von der Anzahl ihrer Leser beziehungsweise „Nutzer“ statt und zwar überall. Sie reflektiert die Wirkung und, im Falle der Pop-Literatur, auch die strukturellen Muster der anderen Medien. Bücher lesen scheint aber trotz allem, eine antiquierte Kulturtechnik geworden zu sein, wobei es die einfachste Methode wäre, sich eines breiten Wissens zu bemächtigen97. 97 Man dafür weder Strom, Bildschirm, Steckdose, Kabel, Funk, oder Leinwand benötigt ist der Akt auch überall und unabhängig von allem (bis auf Alphabetisierung , Sprachkenntnis und Licht) ausführbar. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner IX Seite 108 von 189 Der Roman im Zeitalter der audiovisuellen und digitalen Medien Im folgenden Abschnitt soll anhand konkreter Beispiele erläutert werden, wie sehr und in welcher Form, beziehungsweise in welchen Formen, die audiovisuellen und digitalen Medien sowie die Medienwelt im Allgemeinen sich in der neuesten deutschen Literatur förmlich „eingenistet“ hat. In den „klassischen Romanen“, jene die eine linear strukturierte Geschichte erzählen, sowie ein lineares Schrift- und Sprachbild vorweisen, wird man mit einer Vielzahl von nicht sichtbaren Bildern konfrontiert. Diese vergegenwärtigen sich uns durch mehr oder weniger präzise Beschreibungen oder, seit es durch ein technisch-chemisches Verfahren möglich ist Bilder beziehungsweise Augenblicke festzuhalten (Photographie, Videokamera), durch direkte Erfahrung. Man kann also davon ausgehen, daß zeitgenössische Romane großteils aus Bildern bestehen und eine Suprematie des visuellen Elements gegenüber dem verbal/schriftlichen vorliegt. Dies war schon immer der Fall, denn Autoren haben immer schon in und mit Bildern erzählt. Der Unterschied liegt nur darin, daß es nun, seit wir, dank der Medien, einer Bilderflut (und die dazugehörigen Geräusche) ausgesetzt sind, diese für uns nun sichtbar und (be)greifbar sind. Vor dem Aufkommen der Photographie, später der audiovisuellen Medien und ihrer letzten Entwicklung, dem Computer in all seinen Variationen und Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 109 von 189 Kommunikationsformen98, war es vorwiegend die Phantasie und die Vorstellungsfähigkeit der Autoren und die der Leser, die Bilder entstehen ließ. Oft waren diese freie Erfindungen oder Ergebnis von Studien99 oder Reiseberichten. Seit dem Aufkommen der Photographie und all ihren späteren Derivate, sind uns mehr oder weniger naturgerechte visuelle Informationen, auch aus der Distanz, leicht zugänglich. Orte und Dinge, die der Autor beschreibt sind irgendwie schon einmal in uns eingeflossen, andernfalls kann dies leicht nachgeholt werden. Sogar die Beschreibung von imaginären Welten kann durch die Computertechnologie nachgeholt werden, indem durch sie eine „Virtual Reality“ – virtuelle Realität – nachgebildet werden. Nachdem das Kino sich Themen und Impulse aus der geschriebenen Tradition (Literatur) geholt hat, hat sich der Spieß sozusagen umgekehrt und die Literatur schöpft und profitiert nun von diesen Medien. Sie baut sie als Bestandteile oder Protagonisten ein, und geht davon aus, daß diese allerseits bekannt sind. Andernfalls sind Textpassagen den unwissenden Lesern, unzugänglich. 98 Grob kann man im Internet vier Kommunikationsformen unterscheiden: E-Mail, elektronische Diskussionsforen, Internet Relay Chats und Multiple User Dungeons (MUD) 99 Man denke nur an Joseph von Einchendorff, der in seinen Werken Orte und Landschaften beschreibt ohne diese jemals gesehen zu haben. Zu seiner Zeit gab es natürlich nicht Photographien und die einzigen Abbildungen dieser Orte waren nur durch Malerei oder Radierungen zugänglich. Auch diese beiden Techniken liefern de facto das Bild, aber es handelt sich um ein rein subjektives Bild, das von den momentanen Sinneseindrücken des Künstlers abhängt, dem Winkel, den er gewählt hat, seiner eigenen Sehfähigkeit und einer Fülle von anderen individuellen Faktoren. Diese betreffen natürlich auch den späteren Photographen beziehungsweise Kameramann, das Bild aber ist naturgerechter, die Proportionen stimmen, und es ist ein real existierender Augenblick, den man auf einer Photographie wahrnehmen kann. Darüber hinaus sind viele Bilder die seit der Jahrhundertwende zirkulieren weltbekannt und der Masse der Menschen in vielen verschiedenen Formen zugänglich. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 110 von 189 Ende der 60 Jahre forderte Roland Barthes ein Umdenken in der Texttheorie, welches das klassische Verhältnis Text-Autor-Leser in Frage stellte und eine Neudefinition dieser Rollen. Er stellt den Autor als dominierende Instanz in Frage. Der Leser ist laut Barthes nicht bloß ein Konsument des vollendeten Textes, sondern nimmt aktiv am Entstehungsprozeß des Textes teil. Nur durch die Konsumierung des Textes, das Lesen also, erlangt dieser eine Aussage und eine Botschaft kann freigesetzt werden. In der Individualität des Leseaktes stellt ein jeder Leser eigene Verknüpfungen her, die sehr unterschiedlich ausfallen können, da es selten gemeinsame Leseerfahrungen gibt. Seine Theorie bestätigt sich nicht nur in den von mir zitierten Werken, sondern läßt sich vorzüglich auf Hypertexte übertragen100. Die neueste Entwicklung der Literatur hat im Internet stattgefunden und wird als Netzliteratur bezeichnet. Noch laufen Diskussionen darüber, ob es sich überhaupt um Literatur handelt und um eine exakte Definition. Allenfalls handelt es sich um eine neue Art des Schreibens sowie des Lesens und eines eigenständigen Interpretationsansatz. Netzliteratur ist eine literarisch-kreative Umsetzung hypertextueller Strukturen, die unterschiedlichste Ausführungen aufweist. Diese Ausführungen betreffen Autor und Leser, da beide den Text gestalten. Der Autor indem er die Textbrocken schafft und der Leser indem er diese per individuelle Assoziation oder Eindruck zusammenstellt. Es besteht natürlich auch die Gefahr, daß sich der Leser in diesem Textgeflecht nicht mehr zurecht findet. Er muß aber auch die Bereitschaft haben, aktiv am Erzählverlauf teilzuhaben oder zumindest spielerisch mit dem neuen Medium zu experimentieren. 100 Hauntzinger, Nina: „Vom Buch zum Internet? Eine Analyse der Auswirkungen hypertextueller Strukturen auf Text und Literatur“, Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft, Bd. 18, Röring Universitätsverlag, St. Ingbert, 1999. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 111 von 189 IX 1. Autor und Leser im Umgang mit dem neuem Medium Literarische Texte im Netz unterscheiden sich stark von traditionellen Texten. Diese besonderen Eigenschaften, die diese Texte aufweisen wirken sich auf die Rollen von Autor und Leser stark aus. Texte konstituieren sich als schriftliche Formen verschiedener Ausdrücke und sind Träger einer Aussage, die meist vom Schreiber bestimmt wird. Diese kann aber von den verschiedenen Lesern durch Assoziationen andere Bedeutungen zugewiesen bekommen. Vergleicht man in dieser Hinsicht einen gedruckten Text und einen elektronischen Hypertext, ist das auffälligste Merkmal in der Form und Beschaffenheit des Textes. Der Leser eines traditionellen Buches geht mit einem abgeschlossenen Werk, in Form von abgedruckten Schriftzeichen auf Papier, um. Die organisierte Form des Buches, die einen Anfang und ein Ende vorsieht, ist dem Leser geheuer und dieser hält sich auch normalerweise daran. Er beginnt normalerweise auf der ersten Seite zu lesen an und folgt der vom Autor vorgesehenen Ordnung und Argumentationskette bis zum Schluß. Er kann zwar Passagen überspringen oder die Reihenfolge der Kapitel verändern, der Text aber bleibt als abgeschlossene Einheit, mit einem linearen Verlauf des Textes einheitlich vorhanden. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 112 von 189 Hypertexte aber sieht eine andere Art des Lesens vor. Dem Vorwort hyper101 entsprechend, handelt es sich bei Hypertexte um ein riesiges Textpotential bestehend aus einzelnen Textfragmenten, die erst durch den Leser „aktiviert“ werden. Dieser wählt einen Texteinstieg und kann sich über Links unter den verschiedenen Textsegmente frei bewegen. Die hierarchische Ordnung die sich bei gedruckten Texten durch genaue Gliederung und Anordnung der Textabschnitte ergibt, wird in Hypertexten klar durchbrochen. Die Struktur ist extrem flexibel und wird vom jeweiligen Leser assoziativ bestimmt. Es handelt sich dabei um eine offene Struktur, da weder Anfang noch Ende feststehen. Es fehlt die Eindeutigkeit die sich aus der faktischen Abgeschlossenheit (inhaltlich kann der Text ja Fragen offen lassen, aber die letzte Seite signiert das Ende) ergibt. Allerdings liegt bei einem gedruckten Text in der Regel eine einmalige Version vor, während im Hypertexten beim Lesen jedes mal eine neue Version entsteht. Neben dieser fehlenden Linearität und Offenheit zeichnet sich der Hypertext auch durch Integration von Bildern, Graphiken und Ton aus. Dies sind Eigenschaften, die weit über den Möglichkeiten eines herkömmlichen Textes hinausgehen. Diese Kombination fällt unter den Namen von Hypermedia und Bilder und Graphiken sind ein elementarer Bestandteil von Hypertexten. Diese werden nicht nur in den Text eingefügt um diesen zu unterstützen oder zu verdeutlichen, sondern wirken als eigenständige Kommunikationsformen neben dem Text oder im Zusammenwirken mit diesem. Nach jahrhundertlanger 101 hyper: Steigerung des Zustandes, Übertreibung, eine über dem Normalzustand hinausragende Entwicklung, Daher sind laut Krahberger* Hypertexte Textwucherungen, Rhizome, Konglomerate * Krahberger, Franz: „Hypertexte, Hyperraum, Kulturentwicklung“ Electronic Journal Literatur Primaer, http://thing.at/ejournal. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 113 von 189 Vorherrschaft des Zeichens (seit der Erfindung des Buchdrucks), wird nun dem Bild definitiv jene Rolle zurückgegeben, die es seit der mittelalterlichen Schriftkultur erlangt hatte. Die untergeordnete Rolle der Bilder gegenüber des standardisierten, gedruckten Textes ist überwunden worden und dem Bild ein neuer Stellenwert zugewiesen. Diese Entwicklung markiert also eine Rückkehr und eine Aufwertung des Visuellen. Diese Rückkehr aber betrifft nicht nur die elektronischen Texte. Bald hat sich bestätigt, daß sich dieses Phänomen, vielleicht eingeleitet von der Computertechnik, die verstärkt mit visuellen Elementen arbeitet, auch in anderen Medien und auf die Benutzer/Konsumenten selbst niedergeschlagen hat. IX 1. 1. Hypertexte Der Autor: haben eindeutig ein Umdenken in der traditionellen texttheoretischen Konzeption von Texten verursacht. Die strukturellen Entwicklungen, die sich daraus ergeben haben, haben auch massive Auswirkungen auf Autoren als Hersteller von Texten ergeben. Die Stellung der Autoren wurde durch die Einführung des Buchdrucks und des modernen Literaturbetriebs sehr gestärkt. Durch die Einführung der Urheberrechte wurde der Autor zum Besitzer seiner Texte. Der Hypertext verändert dieses Bild des idealen Autor, der in aller Abgeschiedenheit seinen Text kreiert. Durch den Hypertext wird nämlich diesem ein Stück seiner Dominanz genommen und diese dem Leser übertragen. Indem dieser den Textverlauf selbst bestimmt, nimmt er an der Realisierung des Werkes bei. Der Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 114 von 189 Autor stellt „nur“ ein Textpotential zur Verfügung, aus dem jeder einzelne Leser seinen individuellen Text erstellt. Ein Autor eines gedruckten Werkes hat die Form, die sein Buch annehmen wird, genau vor Augen, während Autoren der Netzliteratur diese Gewißheit nicht haben. Die neuartige Schreibweise ist mit der früheren linearen nicht vergleichbar. Die „alten“ Vorstellungen reichen nicht mehr aus und es muß eine Bereitschaft vorliegen, neue Wege zu erforschen und das zum Teil auch technische Potential, welches Hypertexte vorsehen voll künstlerisch umzusetzen. Experimentieren wird zum Leitbegriff, um jedoch kreativ und kompetent im Umgang mit elektronisch hergestellten Texten zu sein, ist eine Doppelqualifikation notwendig. Einerseits sind technische Kenntnisse absolut notwendig, andererseits ist eine bestimmte literarische Begabung unweigerliche Voraussetzung, um sinnvolle und qualitativ anspruchsvolle Texte herzustellen und sie mit Text- und Bildelementen sowie Graphiken sinnvoll auszustatten. Letztendlich müssen Netzliteraturautoren auch etwas Rücksicht auf den Leser nehmen, indem sie seine Desorientierung durch Orientierungshilfen einschränken. Sie müssen aber gleichzeitig berücksichtigen, daß der Leser nun eine aktivere Position besetzt. IX 1. 2. Der Leser: Wie schon mehrmals angedeutet, zwingt die neueste Entwicklung Texte zu konzipieren, den Leser aktiver als bei einem üblichen abgedruckten Text mitzugestalten. Daher bezeichnet man den Leser von Netzliteratur, der aktiv am Werk teilnimmt und es mitgestaltet, auch Nutzer. Er nutzt das Textpotential, das Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 115 von 189 vom Autor zur Verfügung gestellt wird, wie Rohmaterialien und formt daraus eine einmalige Version eines Textes. Der Erzählstrang variiert bei jedem neuen Zugang und kann durch andere, auch fremde Texte erweitert werden. Also schafft auch der Künstler, sein (unvollendetes) Werk in Hinsicht auf ein Publikum, das auch bereit ist, es zu nutzen. Während dieser Prozeß beim Lesen eines Buches mental abläuft, geht man beim lesen von Hypertexte aktiv an den Text heran und realisiert ihn konkret in „Zusammenarbeit“ mit dem Autor. Netzliteraten wenden sich also an ein Publikum, das aber mit der Struktur des Hypertextes vertraut ist und weiß, wie mit nichtlinearen Texten umzugehen. Es muß also die Bereitschaft seitens des Lesers bestehen, aktiv in den Lesevorgang einzusteigen und aus den hypermedialen Zeichen eine Struktur zu bilden. Die Leser müssen sich am Bildschirm zurechtfinden und die Fähigkeit haben, mehrere Informationen gleichzeitig aufzunehmen. Es ergibt sich von selbst, daß er dazu auch die nötigen Fähigkeiten und technische Ausstattung besitzen muß102. Was Leser und Autor aber verbindet ist nicht der Text selbst, sondern die Art und Weise wie beide an ihn herangehen und zwar spielerisch, indem man mit dem neuen Medium zunächst experimentiert. Es besteht eine andere Erwartungshaltung bezüglich der Visualität und das Design der Texte. Elektronische „Texte“ beinhalten Farben, Bilder, Graphiken und Ton, Elemente, die den kreativen Spielraum enorm erweitern. Auch der Lesekreis ist bedeutend größer da theoretisch jeder Text weltweit genutzt werden kann. Meistens werden diese Texte in englischer Sprache 102 Unter technischen Voraussetzungen sind der Computer gemeint, der mit den nötigen Programmen ausgestattet sein muß. Natürlich ist auch ein technisches Wissen seitens des Benutzers notwendig. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 116 von 189 verfaßt oder die Texte enthalten viele Fremdwörter. Sie sind jedenfalls für ein globales bestenfalls multilinguistisches Publikum gedacht, das mit Computertechnologie vertraut und daran interessiert ist. Dieses Publikum unterscheidet sich von jenem das seine Lektüren aus Buchläden und Bibliotheken holt, vor allem was das literarischen Hintergrundwissen betrifft. Netzliteraten sollten also hinsichtlich ihrer Leser, primär auf die Besonderheiten des Lesens am Bildschirm achten indem sie die spezifischen Eigenschaften der Texte im Internet, nutzen. Nur wenn man lernt das neue Medium und die gebotenen Programme so zu nutzen, daß es für ein großes Publikum leicht zugänglich und selbst nutzbar wird, kann einen neue Form Literatur entstehen und die nötige Achtung erlangen. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner X Seite 117 von 189 TV und Medienwelt am Beispiel Norbert Krons Erstlingsroman „Autopilot“ Norbert Krons literarisches Debüt „Autopilot“ bringt vieles Wissenswertes über das Fernsehen sowie über die Mentalität und den Lebensstil der Fernsehmacher ans Licht. Er schildert mit Genauigkeit die Abläufe in Redaktion, Technik und Studio und macht dies nicht ohne Witz und etwas Sarkasmus. Darüber hinaus berichtet Kron über eine Branche, die zu unserer Alltäglichkeit zählt und die uns alle, volens nolens anregt und insgeheim interessiert. Er konzentriert sich auf den organisatorisch und technisch hochgerüsteten Dienstleistungssektor, der direkt an Imagebildung und Lebensentwürfen mitarbeitet wie eben das Fernsehen. Norbert Kron, geboren 1965 in München, Fernsehjournalist, Erzähler und Essayist, ein Kind der Mediengeneration, verschachtelt hier zwei aktuelle Großthemen: natürliche Reproduktion und ihre medizinischen Surrogate mit der Surrogatwelt der TV-Kommunikation und ihrer glatten Oberfläche, die das wirkliche Leben keineswegs wiedergibt sondern abweist. Fortpflanzung in vitro und Scheinexistenzen. Michael Lindbergs Tätigkeit und die des Fernsehens im Allgemeinen, besteht darin, einen Ersatz für Echtes zu finden. Im realen Leben, so wie in Michael Lindbergs Leben und seiner mißglückten Zeugungsgeschichte, gibt es aber keinen Ersatz. Das TV-Mentalität aber hat seine Vorstellungen soweit verzerrt, daß er vom Gegenteil überzeugt ist. Trotzdem ist er sich bewußt, daß es sich dabei um eine weitere Wunschvorstellung handelt. Seine Enttäuschung ist so tief, daß er die Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 118 von 189 Oberfläche durchbrechen will. Denn nachdem er sein gesamtes Leben danach richtet der Scheinwelt Fernsehen beizukommen, realisiert er, daß diese exakt das Gegenbild zur Erzeugung von seinen Talk-Formaten ist und nur Bildersucht erzeugt. X 1. 1. Zum Inhalt: Michael Lindberg, Mittdreißiger und Mehrfachmillionär, hat alles, kann alles, produziert erfolgreiche Fernsehshows und außer den Einschaltquoten scheint es , als bereite ihm kein anderes Problem schlaflose Nächte. Er ist erfolgreich, scheint die volle Kontrolle über sein Leben zu haben und wird alles bewältigen, was die Zukunft ihm möglicherweise an Krisen bereiten will. Wenn inneren Sektorengrenzen fein säuberlich nachgezogen werden müssen, ein Konzept ausgearbeitet werden soll, Strategien entworfen und Techniken umgesetzt werden können, dann ist er in seinem Element. Ganz unerwartet aber bricht die perfekte Lebensinszenierung des Regisseurs einer perfekten virtuellen Welt zusammen. Ihm präsentiert sich ein nicht vorgesehener, unerwarteter Faktor, der in seinem Selbstbild einen Riß verursacht. Das perfekte Standardleben eines erfolgreichen Mitte Dreißiger, das eine schöne Villa, eine liebenswürdige und treue Lebensgefährtin, zwei Kinder und Labrador vorsieht, kann sich nicht verwirklichen, da „Michi“ Lindberg keine Kinder zeugen kann. Zunächst geht er ganz cool mit dieser Mitteilung um, als sei da eben nur das private Unternehmensziel zu ändern. Zunächst versucht er den Schaden mit persönlichem „Coaching“, Festlegung von „Targets“ beziehungsweise Zielsetzungen und ähnlichem psychologischen Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 119 von 189 Managerzielsetzungen zu begrenzen. Aber bald stellt sich heraus, daß es nicht bloß um eine Umpolung der Zukunft handelt, wenn er nämlich mit dem Elementaren konfrontiert wird, dann verursacht ihm genau dieses Elementare Probleme, denen er nicht standhalten kann. Diese Erkenntnis stürzt ihn in eine tiefe Krise. Michael, Meister der Lebensplanung, der Mann der in der Fiktion lebt, verliert Schritt für Schritt die Kontrolle, die Grenzen der Wirklichkeit verfließen, er schlittert unaufhaltsam in einen apathischen Trancezustand und schaltet auf Autopilot. Er kann sich gerade noch einfangen, wenn alles schon zu spät scheint. Sein Plan besteht darin, die fiktive Bilderwelt, die er konzipiert hat und aus der sein gesamtes Leben besteht, durch eine Gewalttat zu durchbrechen und sie in Wirklichkeit zu verwandeln. Die Tat um ihrer selbst Willen scheint ihm die einzige Möglichkeit aus seiner Krise herauszufinden. X 1. 2. Der Roman und die Medienwelt Die Entwicklung und rapide Verbreitung der Kommunikationsmedien hat die Kunst und die Literatur nicht unberührt gelassen. Diese haben sich in verschiedene Werke förmlich „eingenistet“ und die literarische Darstellungsweisen verändert. Verfahren wie Simulation- und Reihungstechnik beziehungsweise Montage sind zu unverzichtbaren Beschreibungstechniken geworden und habe wesentlich zur Entwicklung der literarischen Moderne beigetragen. Auch die Geräte selbst aber wurden zu tragende Elemente innerhalb der Werke. Man beschränkte sich aber keineswegs auf eine bloße Beschreibung bis in die Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 120 von 189 kleinsten (auch nicht sichtbaren) Details 103 dieser. Medien nahmen in einem literarischen Werk einen besonderen Platz ein, haben somit an Eigenwert gewonnen und sich in literaturprägende Instanzen verwandelt. Nun soll am Beispiel Norbert Krons Roman, nachgewiesen werden, wie das künstlich geschaffene Mikrokosmos eines TV-Formats, das Leben eines Menschen prägen, nahezu nötigen kann, und dessen Versuch daraus auszubrechen. Kron beschreibt uns jene Realität, mit der er als Fernsehjournalist bestens vertraut ist. Kenntnisreich führt er uns in die Medienwelt Berlin ein und präsentiert uns die bunte Palette unterschiedlicher Typen des Mediengeschäfts. Michael, ein charismatischer und von keinen Zweifeln geplagter MedienMensch, der die Welt im nietzscheanischen Sinne als reines Phänomen begreift, das frei zu interpretieren und so auch zu verändern ist; den anpassungsfähigen, „karrieregeilen“, und kaltblütigen Hagen, die talentierte Filmpuppe Cindy, die aber durch die „Kinderfalle“ in ihrer Karriere gehemmt wird und der chaosstiftende aber einfallsreiche Tello werden uns fast wie Kadertypen präsentiert, so wie uns schematisch die Ausstrahlung der Talkshow „Cindy’s Coupé“ beschrieben wird. Weiters präsentiert uns Kron, mit dem Aufkommen eines neuen Formats, auch einen Programmdirektor eines Privatsenders, samt devoten Assistentin, auf nahezu naturalistische Weise. Letztendlich beschreibt er uns sogar die Kreation ex novo eines medien- und talkshowgerechten Moderators. Sogar Michael Lindbergs Leben seit seiner Kindheit wird durch zahlreiche filmtypische Flashbacks dem Leser ausgebreitet. 103 wie zum Beispiel in T. Manns „Zauberberg“ im Kapitel „Fülle des Wohllautes“ mit dem Grammophon geschieht Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 121 von 189 Der gesamte Roman orientiert sich an strikten Regeln. Reproduktions- und Mediengespräche werden illustriert, die Figuren und Szenen plastisch herausgearbeitet und alles ordnet sich dem Plot unter. Die wirkliche Spannung jedoch entsteht aus einem „Umschlag“, eine thematische Hülle, die „Michis“ Krise umgibt beziehungsweise begleitet. Denn neben der Geschichte dieses besonderen Lebensausschnitts, existiert eine zweite, die man wie ein ständiges Untergrundrauschen oder eine Störung wahrnimmt und der auch der Protagonist selbst ausgesetzt ist. Sie eröffnet und beendet den Roman, ohne kommentiert zu werden. Es handelt sich um eine Fernsehübertragung nach einem Flugzeugabsturz ins Meer, bei der durch den Bildschirme naturgemäß nichts zu sehen ist. Etwas an der Meldung ist anders, denn „alles, was für die Nachricht entscheidend wäre, fehlt“104. Es werden weder Gründe für den Unfall, noch Tonbandprotokolle und, vor allem, keine Wrack- und Leichenbilder. Nur Archivaufnahmen einer aufsteigenden MD-11 aus einem Werbefilm werden eingeblendet. Im Grunde ist das die eigentliche, mediale Katastrophe: das Fehlen von Bildern in einer auf sensationelle Bilder fixierten Welt. Lindberg aber starrt wie gebannt auf den mit nichtssagenden Bildern gefüllten Bildschirm, als kenne er kaum einen Unterschied zu seiner sich auflösenden Braustablette. Es scheint als flössen die Bilder reaktionslos an ihm vorbei, da es sich um aussaglose Bilder handelt. „Du sitzt beim Abendessen und schaust die Nachrichten, wie jeden Tag, wenn du von der Arbeit nach Hause kommst. Obwohl dir das Bild, das sie zeigen, bekannt vorkommen, vermagst du nicht zu sagen, was es darstellt – als sei 104 Kron, Norbert: „Autopilot“, Hanser, München, 2002,S. 8. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 122 von 189 seine Struktur zertrümmert oder vom hundertfachen Ansehen verblaßt. [...]105“ Die Informationen, die durch Kameravermittlung ständig weltweit in jeden Haushalt oder öffentlichen Ort einfließen, haben nicht nur den Wahrnehmungssinn des menschlichen Auges verändert. Dieser Ansturm von Bildern hat sogar eine Entlastung von aller physischen Realität verursacht. Obwohl es sich um wahrheitsgetreue Bilder und Informationen handelt, ist der Zuschauer an diese dermaßen gewöhnt, daß er sie den Illusionierungen, Perspektivierungen der filmisch-fiktiven Darstellung gleichstellt. Gelangweilt „verblassen“ sie vor seinen Augen. „Dann hörst du die Zahl, deren triumphierender Klang sich in das Bild schneidet wie eine Gravur. [...] Zwei Komma acht Millionen Franken. Es ist, als ob die Zahlen dem Bild eine neue Klarheit verliehen.106“ Der Zuschauer steht den Bildern als Beobachter gegenüber, die Kamera hat die Wahrnehmungsaufgaben des Auges übernommen, darüber hinaus wird die Wahrnehmung funktionsspezifisch bestimmt, um die Wirkung zu steigern oder das Interesse aufrecht zu erhalten. Erst eine Zahl, so vage sie auch sein mag, verleiht den Bildern einen gewissen „Knalleffekt“ und gibt den Opfern ihre Menschlichkeit zurück. Das beweist, daß in medial geprägten Gesellschaften die Wahrnehmung in unverstellter Form nicht mehr vorhanden ist. Eine gewisse Unschuld im Sehen, 105 Ebd. S. 191 106 Ebd. S. 191 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 123 von 189 ist mit der Unmittelbarkeit verlorengegangen. Lindberg nimmt die Bilder wahr, sie wirken aber erst zu einem späteren Zeitpunkt und in verzerrter Weise auf ihn ein. Nicht die Zahlen regen sein „Gewissen“ an sondern ein Kunstwerk. Es ist seine Art sich der Verbilderung der Welt entgegenzusetzen, auch wenn er selbst daran massiv beteiligt ist. Auf sein schakalenhaftes Gewissen wirken die Zahlen nicht ein, sondern das zur Ikone gewordene auratische und reflexive Kunstwerk. „Sehen Sie, da ist etwas, das mich in letzter Zeit begleitet, ja geradezu verfolgt. Etwas, dem ich keinerlei Betrachtung geschenkt habe, weil es so fern schien, daß ich es ignorierte. [...] ein Ereignis, das mich nicht einmal groß berührt hat. Aber gleichzeitig ist es mir im Grunde nie aus dem Kopf gegangen: Wohin ich auch ging, es hing die ganze Zeit wie ein Schatten über mir, so beiläufig wie unvermeidlich. [...] Wie gehe ich um mit den Toten hinter den Bildern? Mit all den Namenlosen, [...] Aber ausgerechnet dieses Gemälde, das Bild eines Bildes, ist das einzige, was wir nach dem Unglück zu sehen bekommen haben – obwohl es nicht mehr existiert. [...] Scheint es (das Gemälde) nicht letztendlich eine Art Pfand all der gesichtslosen Opfer zu sein? Ist es nicht, als wären sie hinter diesem Bild verschwunden, das wir nun statt ihrer behalten? 107“ Lindberg ist der vom Fernsehen vermittelten Bilderflut ausgesetzt, begreift aber gleichzeitig, daß er damit kaum umgehen kann. Langsam wird ihm klar, daß diese sein gesamtes Leben kontrollieren und prägen. Das Individuum verschwindet hinter ihnen, er denkt, handelt und reproduziert sich sogar in 107 Ebd. S. 236 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 124 von 189 Bildern. Sogar die Beziehung zu seiner bildschönen Freundin Bea und sein Liebesleben: „Ich konnte mir regelrecht zusehen, wie ich mich jetzt wieder ihrem Oberkörper zuwandte und mir gleichzeitig die Hose vom Leib strampelte [...] Es waren diese Automatismen, die in jeder längeren Beziehung so verhaßt sind wie unvermeidlich – immer hatten sich ja im Lauf der Monate und Jahre diese Mechanismen herausgestellt, hatten sich auf diese genau abgezirkelten Lustzonen gezeigt, wie Fenster zum Anklicken: Wenn du mit dem Zeigefingerpfeil daraufgingst öffnete sich ein bestimmtes Lustprogramm.108“ Liebe in den Zeiten der Computerspiele. Der Liebesakt selbst läuft ab, wie ein Streifen. „Michi“ beobachtet sich dabei als wären die Aktionen, die er vollzieht, einzelne, selbst inszenierte Lebenssegmente. „[...] ich war der Vollstrecker, der ihren sich drehbuchhaft windenden Leib rammte [...] ich schaute zu, wie es uns beide davonriß [...]109“ Er ist der Bilderwelt die ihn umgibt und die er teilweise selbst geschaffen hat, ausgeliefert aber das was sich in seiner Beziehung erst andeutet, entwickelt sich spätestens nach der Kreation des neuen Formats in Michaels Imagination zu einer konkreten Idee. Sein „Autopiloten“-Leben, brauch einen Einschnitt, wie es der, bis zu diesem Zeitpunkt nur unbewußt wahrgenommene Flugzeugabsturz war. Sobald die 108 Ebd. S. 76 109 Ebd. S. 78 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 125 von 189 unbewußt wahrgenommenen Bilder in ihm hochkommen, wird Lindbergseiner, durch die Medien geschaffenen Existenz bewußt. Aus Anpassung, Gewohnheit oder Desinteresse wird diese nicht überwunden, aber er, der Meister im Idealbilder schaffen, entwickelt eine plötzliche Aversion gegenüber dieser Form von Lebensführung und der ganzen medialisierten Gesellschaft. Nachdem der diesen Maßstäben entsprechend sein Leben aufzubauen und sich bemüht hat, „es“ richtig zu machen, in die richtigen (Berliner) Kneipen zu gehen, die richtigen Designermarken zu kaufen, die richtige Musik zu hören (Abba nur im Vollrausch), und auch beim Sex die richtigen Handgriffe zu tätigen, will er alles durch einen gut konstruierten Anschlag auf seine jüngste Kreation, beenden. Als Mensch ist Michael „[...] gewohnt, mit [m]einer Person wie mit einem ganz besonderen Material umzugehen110“, immer auf der Suche nach einer Möglichkeit, der eigenen virtuellen Existenz zu entrinnen, seine (eigene) Show noch mehr in Richtung ‘Reality’ zuzuspitzen. Also, entwickelt er dieses mal für sich selbst ein neues Format, da sich das alte leergelaufen hat. Das was der medial konstruierte Mensch benötigt ist eine Tat. Unfähig der Zeugung von Nachkommen, und unzufrieden seiner jüngsten Kreation, richtet sich seine ganze Energie gegen diese. Er will seinem Leben einen ästhetischen Wert geben in der Art und Weise, die ihm am nahsten steht. Nach zwei gescheiterten Versuchen kommt er auf die Idee der Selbstinszenierung. Kron zeigt uns seinen Protagonisten schwankend zwischen Wahn und Wirklichkeit und beim Versuch, Realität und virtuelle Welten in einer Art kriminellem Finale wieder fruchtbar zu verbinden. Die Idee, die sich in einem ständigen Brainstorming-Prozeß langsam Luft macht, hält er dieses Mal schriftlich fest, als ob er allem die Macht der Worte 110 Ebd. S. 15 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 126 von 189 entgegensetzen müßte. Denn die Schrift hält die Mündlichkeit sowie die Imagination bildhaft fest und das Auge erzeugt im Inneren den Klang der Worte. Dadurch erlangt die Schrift eine Sinnlichkeit. Kohärent mit seinem Wesen greift er nicht zum Papier, sondern speichert alles auf seinem Laptop und tarnt es in Form einer Diskette. „Als ich wieder im Hotel war, ging ich aufs Zimmer und setzte mich mit dem Notebook an die Kommode. Ich fing an zu schreiben, ich reihte einen Satz an den anderen, daraufloshämmernd versuchte ich der Tat auf die Spur zu kommen. Ich mußte das Vorhaben irgendwie umreißen, ihm die Form eines echten Plans geben – aber es bereitete mir große Schwierigkeiten, die richtige Sprache zu finden. Das Ganze mußte letzte Entschlossenheit und absolute Wahrhaftigkeit verkörpern. Ich hatte nicht die geringste Übung in solchen Dingen, stellte schon bei der Wahl der Zeitform fest, wie diese die Wirkung des Ganzen beeinflußte. Ich schrieb und schrieb, kopierte Absätze, löschte Passagen, stellte sie um, fing von vorne an. Je nachdem, wie ich die Tat schilderte, veränderte sich die Tat selbst – weil der Impuls, der in ihr verborgen war, ein anderer wurde. Der Rhythmus der Sätze bestimmte darüber, wer der Täter war, der in ihnen Rechenschaft ablegte. Als ich nach anderthalb Stunden eine erste Skizze fertiggestellt hatte, speicherte ich den Text auf Diskette.“111 So wie beim Flugzeugabsturz Picassos Bild eines malenden Malers stellvertretend für alle Opfer aufgefaßt wird, produziert er eine Diskette 111 Ebd. S. 216 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 127 von 189 stellvertretend für die Tat. So wie diese liegt also begraben in einem Meer von binären Zahlen112. Alles wird digital bis ins Detail festgehalten: der Tatentschluß, die Planung und die Ausführung. Durch Verschieben113 von gesamten Schriftblöcken, kann er das Bild oder den Text „sezionieren“ das heißt auseinandernehmen und in einen völlig neuen Kontext bringen. Dieser Vorgang läßt natürlich auch eine völlig neue Interpretation zu. Der Text und dessen Interpretationsprozeß wird somit umgedacht und der Umgang damit wird spielerisch, setzt aber neben literalen auch pikturale und intermediale Kompetenzen voraus. Es erfolgt, neben der schriftlichen, eine bildnerische Gestaltung: die Schrift wird zu einem „Bild“. Er verfaßt nicht nur den Text, sondern inszeniert ihn. Das räumlich-zeitliche Erscheinungsbild – der Text in digitaler Umgebung – bietet somit neue Möglichkeiten des Umganges mit der Präsentation. Analoge 114 Texte sind fixiert, digitale115 zeigen hingegen räumliche und zeitliche dynamische Verhaltensweisen und Reaktionen der (interagierenden) Anwender. Die Diskette ist die inhaltliche Voraussetzung der Tat, so wie es das Drehbuch jene der Audiovision ist. Metaphorisch kehrt Lindberg zum Medium Buch zurück, da er die Tat erst zu Papier bringt und erst dann vor laufender Kamera. 112 In der Technik der Digitalisierung verbinden sich Zahl und Buchstabe, Numerik mit Nicht- Numerik. Bei den Schriftzeichen, die auf dem Bildschirm allen in Form von Worten zugänglich sind, handelt es sich eigentlich um kodifizierte Zahlen, die in ihrer Urform kaum entzifferbar sind. Digitale Hieroglyphen die nur ein Rechner umkodieren kann. 113 Copy and paste - Funktionen 114 analog: (math.) strukturell oder funktional übereinstimmend, durch dieselbe math. Beziehung beschreibbar, (EDV) einen Wert durch eine phys. Größe darstellend (z.B. durch eine elektrische Spannung), Ggs. digital (1) 115 digital 1. (tech.) (EDV) in Ziffern darstellend (Daten, Informationen), Ggs. analog (3) Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 128 von 189 Er druckt sein Projekt aus, dadurch verleiht er ihm eine Form, konkretisiert es und verleiht ihm einen festen Charakter. „[...] Ich klickte auf den Drucker-Button, und mit jeder Zeile, die schwarz auf weiß aus dem Deskjet herauskam, nahm mein Projekt Wirklichkeit an. Ich werde das Dunkel verlassen, von dem aus ich die Figuren meiner Shows entworfen habe,, und das Licht der Welt erblicken. Ich werde hinter den Bildern hervortreten, aus dem toten Punkt der Projektion, und selbst zur Projektion werden, eine Figur auf dem Schirm. Ich bin es, den ich neu hervorbringen werde, indem ich vor laufenden Kameras die Tat begehe.[...]“116 Nachdem beruflich alles gelungen ist, das neue Format an kommt und privat alles kaputt ist; Samenzellen und Beziehung, entscheidet sich Lindberg für ein Attentat auf das Fernsehen vor laufender Kamera. Nur mit einer Gewalttat kann er Standardisierungen und Serialisierungen des Sehens durchbrechen und sich „selbst auf die Welt bringen“. Unfähig Nachkommen zu zeugen, hat sich Lindberg „medial fortgepflanzt“, stellt aber nur seine Sterilität auch auf professionellem Gebiet fest. In Parallelmontage zur Auswertung seines Befunds117, schildert er die Pilotaufnahme seiner Show „Talk der Täter“ und muß enttäuscht zugeben, daß er nicht nur unfähig ist, sich physisch zu reproduzieren: „Es war mir auch nicht möglich, ein anderes, sichtbares Zeugnis von meiner Person zu hinterlassen.“ 116 Ebd. S. 223 - 224 117 Ebd. S. 175 - 188 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 129 von 189 Er ist mit seinem Geschöpf nicht zufrieden. Der „Einblick in die Abgründe seiner Gäste und dem geheimen Antrieb hinter ihren Taten“ bleibt aus. „Nichts von der radikalen Intimität“, auf die Lindberg aus gewesen war stellte sich ein. „Alles wirkte gespielt, wie in einem amerikanischen Film, aus dem die anstößigen Szenen herausgeschnitten sind. [...] [...] Meine ganze besessene Projektion der letzten Wochen und Monate war auf mich zurückgeworfen. [...] In vitro veritas, eine Welt hinter Glas, in der selbst das Intimste auf sich bezogen blieb. [...]“ Er muß also selbst eingreifen um die Antwort auf seine mediale Existenz zu erlangen. „Es ging ja nicht darum, zu sich selbst zu kommen – eine höhere Bezugsebene des Seins herzustellen [...] Menschsein heißt, medial sein wollen: Darin liegt die Essenz der conditio humana, nicht in einem wie auch immer interpretierten Fortpflanzungstrieb. Kinder sind Medien. Unter allen Medien sind sie dasjenige, das jedem Menschen auf die einfachste Weise zugänglich ist und ihn am unmittelbarsten repräsentiert. [...] da lag es, das kalte, geschwungene Eisen, das meine Antwort auf die Seinsfragen herbeiführen würde: das Medium, mit dem ich mich selbst auf die Welt bringen würde. Ich werde aus dem Dunkel der Kulisse treten, die Pistole ziehen und sie dem Mann von hinten unters Kinn stoßen. Mit dem Rücken zur Wand werden wir auf der Bühne stehen, zwei aneinandergedrängte Körper, von Fernsehkameras umstellt. Die Waffe wird im Licht blitzen und die Todesdrohung verkörpern, wenn ich vor aller Augen ins Reich der Bilder eingehe.“118 118 Ebd. S. 247 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 130 von 189 So läuft der überangepaßte Macher-Mann auf einer geraden Spur ins große weiße Nichts, der Ministerpräsident sitzt im Studio, Lindberg tritt erregt auf die Studiobühne. Er läßt aber der Show einen Vorsprung und personifiziert sie indem er dies macht119. Was ihn dann aber in letzter Sekunde bannt, ist eine geheimnisvolle Kraft am Rande des Lichtkegels, der die Öffentlichkeit bedeutet, und er zieht sich wieder zurück. Die Tat bleibt aus und bestätigt seine Sterilität. Doch nicht nur zum Vater, sondern auch zum Verbrecher fehlt ihm das „Projektil“. Michael Lindberg ist ein Pilot, dem es am Ende an der Kraft mangelt, die Grenze zu überschreiten. Seine Maschine stoppt, „Abbruch der Operation“. Er wird nicht zum Mann, [...] der die Bilder zum Sprechen bringt [...]. Er wird nicht das „[...] Bild sein, das einen Namen trägt. Ein Name, der ein Bild ist.“120 Das Bild, das er durch den Einsatz seines Körpers zum sprechen bringen wollte, schweigt. Der Plan gelingt aus einem banaler Grund nicht: er war schlecht und oberflächlich durchdacht. Denn um seine Kreation zu zerstören, muß Lindberg in sie eingreifen. Er wollte nämlich als Prominentenkidnapper in die Mediengeschichte eingehen. Er wollte einen Kunstgriff in diese Show-Welt setzen, die alles ins Kunstlicht der Öffentlichkeit zerrt und die er selbst perfid ausgeheckt hat. Somit wäre er, wenn auch radikal, ein Teil von ihr geblieben und sich keineswegs davon befreit. 119 „[...] ich ließ der Show einen Vorsprung, der sie in Sicherheit wiegte.“ [...] – In diesem Zusammenhang betrachtet er sie als Kreation und Partnerin, die zusammen mit ihm oder durch ihn etwas zeugen soll. 120 Ebd. S. 253 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 131 von 189 Alle Elemente scheinen integriert zu sein (wie beim Fernsehen als primäres Konsummittel audiovisueller Produkte): Kunstcharakter des Mediums, sowie Code und Kurzschlußtechniken, hervorgerufen durch die Bild- Textelemente. Inszenierung der Realität und Dauerkonsum, wobei Kron auf Reizflut, leichte Ablenkung, Ermüdung, Entspannung, Problemverdrängung und Kulissenwechsel als konstitutive Elemente sehr achtet. Ausgeschmückt wird alles durch eine (künstlich) eingebaute Ästhetik, die allen Forderungen der Wahrnehmungspsychologie entspricht. Prägnante Figuren (Typen, Stereotypen, Ankerpersonal oder Klischees), dynamische Elemente (Musik-, Bild- oder Collageelemente), Wiedererkennungseffekt (Leitmotive), Einschübe die überraschend oder affektiv wirken können (Humor, Trauer, Mitleid), Spannung, Risiko und Aktion, Abweichungen in das Exotische sowie anregend Erotische Momente, werden zu rhetorische Mittel der Sprache und des Bildes. Sie bewirken Redundanz und ritualisieren die Wahrnehmung in den Lesern, die zu Experten und Kenner (elektrifizierter und digitaler) Bilderwelten geworden sind. Dies kann soweit führen, daß sie diese in einem weiteren Schritt, mit der realen Welt verwechseln. Die reale Welt wird ihnen zu komplex um sie „naturgemäß“ aufzunehmen. Sie begnügen sich daher mit dem gemütlichen annähernd weltweitem telepräsenten Wissen, das die Realität als optische Wirklichkeit vortäuscht. Umgekehrt werden Alltag und Alltäglichkeit in einer erstaunlichen Dichte gezeigt, die sie zu Serienangeboten gemacht hat. Kron zeigt uns, wie Leute leben, die nach dem Motto sich „smilend phatte Funpillen“ einschmeißen und deren größte Sorge ist, am Arbeitsplatz angemessen „handelbar“121 zu sein. Solche Leute gibt es ja, wir begegnen ihnen alle Tage, und wenn wir bis jetzt 121 Ebd. S. 154 - 164 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 132 von 189 geglaubt haben, sie als Klone abbuchen und vernachlässigen zu können, so erfahren wir nun durch Kron, daß sie offenbar tatsächlich über so etwas wie ein Innenleben verfügen. Es hat sich nahezu eine Alltags-Scheinwelt gebildet. Darsteller personalisieren und personifizieren sich, das heißt sie werden Teile des Alltags und erfüllen Rollenklischees. Ihre Verhaltensweisen, Aktionen und Reaktionen werden in kürzester Zeit vorhersehbar, die Problem- und Konfliktbildung erfolgt hingegen vorwiegend unter individualistischer Sichtweise wobei der Akzent auf Expressivität und Emotionalität des Geschehens gesetzt wird. X 1. 3. Das Setting und die Sprache in „Autopilot“ Norbert Kron führt uns auf ebenso überzeugende wie fesselnde Weise in die Welt der medialen Oberflächen. Es ist sehr viel Theorie in die Schrift geflossen. Kron benutzt eine medizinisch und medientechnisch einwandfreie Sprache, es gelingt ihm sogar, die beiden Ebenen zu verschmelzen. Mit erstaunlicher Leichtigkeit und mit eine gut konstruierten Parallelmontage gelingt es ihm zu erklären wie die Repro-Medizin dazu dient, die Medienwelt zu erklären und das mediale Zeichen zum Garanten für daß die Zukunft der Gattung Mensch zu machen. „Verführerisch, auch sprachlich verführerisch ist das Buch nicht.“122 Trotzdem geht Kron mit Begriffen aus der Medienbranche gekonnt um. Er führt uns in den sprachlichen Alltag der Fernsehwelt ein, formuliert es aber so geschickt, daß auch ein Leihe sich darunter noch etwas vorstellen kann. 122 Krause, Tilman: „Homo Faber beim Fernsehen – Norbert Krons milieugesättigte Romanparabel auf den neuen Machbarkeitswahn“, in: „Welt“, 15. 06. 2002. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 133 von 189 Trotzdem geht er von der Tatsache aus, daß seine Leser bestimmte Kommandos aus der Filmbranche und von Umgang mit Computern her kennen und sich konkret darunter etwas vorstellen können. Graphisch Er führt all diese Begriffen und Aktionen kursiv im Text ein, wie seine kursiv gesetzten Merkzettel für das Selbstmonitoring auf seinem Badezimmerspiegel. Ein Zufall oder will der Autor den Eindruck vermittelt, als konzipiere sich der Protagonist als Teil der Medien-Maschine, als „ ein Techniker der menschlichen Reproduktion“, der mit Helikopter view durch den schönen Schein der Medienwelt navigiert und sie wie ein „big brother“123 kontrolliert. Durch das Verfahren der Parallelmontage und die zahlreichen Flashbacks entsteht eine abstrakte Anordnung. Alles wirkt gespielt und Lindberg der Mann hinter dem Schaltpult, der alle Faden zieht oder bereits vorhandene Aufnahmen betrachtet. Es ist aber Aufgabe der Literatur, angesichts der Übermacht medialer Realitäten, eine Sprache zu konstruieren, mit der sich das Menschliche wieder erzählen und verstehen läßt. 123 George Orwell „1984“ (1949) Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner XI Seite 134 von 189 Josef Haslinger: „Das Vaterspiel“ – Virtuelle Konfrontation am Bildschirm „Das Vaterspiel“ (2000), der zweite Roman des 1955 im niederösterreichischen Zwettl geborenen Autors Josef Haslinger, ist nicht gerade ein würdiger Nachfolger von „Opernball“ (1995). Der Roman ist von der Kritik 124 lediglich in der Luft zerrissen worden. Haslinger wurde seine Inkompetenz in Sachen Technologie vorgeworfen. Da es sich um eine realitätsnahe und durchaus mögliche Geschichte handelt, ist ein derartiger Vorwurf tragbar. Metaphorisch betrachtet, ist aber das Interesse, das der Protagonist für die digitale Technologie entwickelt höchst interessant, trotz Haslingers sehr oberflächliche Beschreibung. Nicht die Art und Weise wie das Medium und seine Funktionen beschrieben werden, sondern dessen Einbettung im Leben des Protagonisten und die Rolle die es darin einnimmt, spielen in dieser Analyse eine wichtige Rolle. 124 Neumann, Kurt: Erzählprotokolle aus Taugenichtswelten - Josef Dokumentarfiktion des Niedergangs von Weltanschauung, http://www.u-lit.de/rezension/rezensionstart.html; Liehr, Tom, http://www.literaturwelt.de/buch/t_haslinger_josef_vaterspiel_diad.html Haslingers Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 135 von 189 XI 1. Struktur und Inhalt Es ist die Geschichte von drei Generationen; der Zeitraum erstreckt sich fast durch das gesamte 20. Jahrhundert, vom konservativen Dorfschullehrer über den SPÖ Politiker bis zum apolitischen Computerfreak. Schicksal dreier Familien, das einer jüdischen, die bei den Massakern der Nazis in Litauen vernichtet wird, das der Familie der Täter, die sich nach Amerika retten kann, und jener von Ruperts, „Ratz“ genannt, sozialdemokratischer Familie, die sich im Wien der neunziger Jahre erbärmlich auflöst. Haslinger gelingt es diese anscheinend unzusammenhängenden Schicksale zu verbinden. Der Leser wird gleich in medias res geschleudert, die eigentliche Geschichte wird aber sogleich zugunsten eines aufwendigen erzählerischen Montagespiels, unterbrochen. Kurz vor Weihnachten bekommt Rupert, der Protagonist und zugleich der Erzähler, den Anruf einer alten Freundin, die jetzt in New York lebt und ihn bittet, sofort zu ihr zu kommen, da sie seine Hilfe beim Umbau eines Hauses benötigt. Das klingt rätselhaft, wirkt aber auch verlockend. Rupert sagt zu und bricht unverzüglich auf. Die Autorfahrt ähnelt einem apokalyptischen Bild, das Rupert hinter sich läßt. Ein dichtes Schneegestöber nimmt ihm jede Sicht und ohne Orientierung tastet er sich voran, verzweifelt, beinahe ohne Hoffnung, das Ziel zu erreichen. Die Schilderung der Fahrt zum Flughafen durchzieht den Roman wie ein roter Faden. Am Anfang jedes der vier großen Kapitel schieben sich Rückblenden und Erinnerungen ein, die Haslinger zu einer komplexen Montage zusammenführt. Erzählt werden diese von Rupert selbst. Er ist mit seinen 35 Jahren das was man einen Taugenichts nennt. Er haßt seinen Vater abgrundtief, ohne plausible Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 136 von 189 Motivation. Der Vater ist ein etwas korrupter Machertyp, der sich von der Mutter scheiden läßt und wenig Zeit für seine Kinder hat. Ruperts Haß aber geht soweit, daß er jahrelang an einem „Vatervernichtungsspiel“ arbeitet und dies schließlich vermarktet. In einer Anordnung komischer und teilweise grotesker Szenen und Elemente klärt Haslinger alte Zusammenhängen auf. Dabei mischt er herkömmliche literarische Genres und bedient sich filmischer Montagetechniken. Er zitiert nüchtern datierte Protokolle von Zeugenvernehmungen und verleiht dadurch diesen Teilen Wahrheitscharakter. In den anderen Teilen läßt er Rupert als IchErzähler mit liebevoller Bosheit von der tragikomischen Familiengeschichte, deren Ausfaltung und Deformierung, berichten. Obwohl er dadurch das Ganze in eine bestimmte Nähe zu einer TV-Familienserien, oder zu einem Unterhaltungsthrillers rückt, bleibt die Struktur dem dokumentarischen Erzählen streng verpflichtet. XI 2. Die Bedeutung des Computers in Rupert Kramers Leben Jede Generation hat ihre Mythen, Modeerscheinungen und Dramen. Unter diesem Aspekt wurde Haslingers Roman kaum betrachtet. In der Schilderung des Schicksals dreier Generationen, muß Haslinger darauf zurückgreifen, um dem Leser die nötigen Eindrücke mitzuteilen und ihn mit den verschiedenen vorkommenden Figuren vertraut zu machen. Er will mit diesem Verfahren keinerlei Rechtfertigung für die verschiedenen Taten ablegen. Er beschränkt Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 137 von 189 sich auf nüchterne Berichterstattung und durch den Ich-Erzähler „Ratz“ auf sarkastische, boshafte und zum Teil kindische Kommentare. Rupert ist der Enkel eines ehemaligen politischen Dachau-Häftlings, sein Vater ist ein österreichischer Sozialdemokrat, der es, nach revolutionär- anarchistischer Jugend, bis zum Verkehrsminister bringt. Diese beiden Generationen hatte eine Ideologie und eine Motivation125, was ist aber mit Rupert? Er ist mit der ideologischen Leere seine Generation konfrontiert, steht ihr aber keineswegs kritisch gegenüber. In langen Rückblenden, die nahtlos in den Erzählfluß eingebaut sind, berichtet er von seiner Kindheit und Jugend, weiht uns in Familiengeheimnisse ein. Während die Schwester mit meist sinnlosen Provokationen auf die familiäre Situation antwortet, ist Rupert zu keinerlei konkreter Aktion fähig. Kohärent zu bestimmten Trends seiner Generation ist er mit leichten Drogen vertraut und interessiert sich für Computer. „[...] Tatsache ist, meine Kinder interessieren sich für völlig andere Dinge als ich in ihrem Alter. [...] Helmut [Ruperts früherer Name den er aus Haß zu seinem Vater nach der Scheidung ändert], so fuhr mein Vater fort, liegt mir seit Wochen mit seinem Computer in den Ohren. Er will unbedingt einen Computer haben. [...] Sag selbst, warum es unbedingt ein Computer sein muß? Na ja, sagte ich. Ich meine, da kann man irrsinnig tolle Sachen machen. Nicht nur schreiben und Rechnen, auch spiele und so. [...] 125 Antifaschismus seitens des Großvaters und aktive Teilnahme des Vaters an der 68er Bewegung. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 138 von 189 [...] Der Sohn vom Sektionschef [...] der Bub jedenfalls ist ein Computernarr. Der Kreuzer sagt, egal wann er heimkommt, sein Bub sitzt garantiert vorm Computer.“126 Nur diese Beschäftigung scheint ihn, aus seinem apathischen Zustand zu holen und nur indem er sich mit dem Rechner auseinandersetzt erscheint er aktiv und unermüdlich. „Über Jahre war meine Haupttätigkeit für die anderen nicht sichtbar gewesen. [...] [...] Er [Ruperts Vater] warf mir vor, ich würde den ganzen Tag nur mit dem Computer spielen. er hatte nicht ganz Unrecht. Es gab kaum ein Computerspiel, das ich nicht kannte. Ich beobachtete die graphischen Effekte. Wenn sie mit gefielen, versuchte ich die Files zu knacken und ihr digitales Innenleben bloßzulegen. Das war nicht leicht , denn sie suchten ihre Eingeweide genauso zu schützen, wie Lebewesen es tun. Zur Entspannung schlachtete ich meinen Vater.“127 Er verbringt Nächtelang vor dem Computer, erforscht dessen virtuelle Intimität und meidet jegliche individuelle Handlung. Der Konflikt, den er sein ganzes Leben lang plant, bleibt abstrakt, beziehungsweise virtuell. Man könnte es damit begründen, daß einer individuellen Handlung eine Reaktion folgt, die ihm nur schaden würde. Die einzigen Debatten, auf die Rupert mit seinem Vater verbal einläßt, betreffen das Geld, das der Vater ihm bis ins fünfunddreißigste Lebensjahr zusteckt. Er agiert getrieben von Haß und Selbsthaß, dabei 126 Haslinger, Josef: „Das Vaterspiel“, Fischer, Frankfurt am Main, 2000, S. 141. 127 Ebd. S. 9-10. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 139 von 189 vollbringt er eine kreative Höchstleistung. Der Vater soll mitsamt seinem wiederholten Taugenichts-Verdikt durch die avanciertesten Mittel der Videoanimation zerstört werden. Anstatt seine mörderischen Impulse und kreative Energie in diskussionstaugliches Material umzupolen, lebt er diese am Bildschirm virtuell aus. Der Computer erleichtert unter vielen Aspekten das Leben. In Ruperts Fall erleichtert diese Maschine nicht nur sein Leben, sondern gibt diesem einen Sinn. Immer wenn er in vor einer auswegslosen Situation steht, oder mit der peinlichen Frage nach seiner Beschäftigung konfrontiert wird, ist dieser sein Rettungsanker. „[...] Ich bin gesund, sagte ich. Es ist nur diese schwere Arbeit, ich bin das nicht gewohnt. Vielleicht haben sie eine andere Beschäftigung als Patientenschleppen. Ich sitze sonst die ganze Zeit nur vor dem Computer. Vor dem Computer, wiederholte er, und ich sagte, ja, ich bin ein Computerspezialist.“128 Der Rechner nimmt sein gesamtes Leben ein, es ist auch das einzige, das ihn in Kontakt mit Personen und mit der Umwelt bringt. Es ist eine omnipräsente Einheit in seinem Leben, aber auch im Leben der meisten Personen mit denen er in Kontakt tretet. Niemand aber hat die Konstanz, die Neugier und Hartnäckigkeit, die Rupert aufbringt, um die Potentialität dieser Maschine zu nutzen. „Arbeit ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck für das, was ich am Computer tat. Es war eine Abfolge von Zerstörungen und Reparaturen. Die 128 Ebd. S. 355. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 140 von 189 Computerspiele waren in ihrem Ablauf damals viel leichter durchschaubar als heute. Sie hatten noch keine versteckten Files. Ihr Innenleben war relativ leicht bloßzulegen. Und nichts tat ich lieber als das. Meine eingriffe endeten meist damit, daß das System blockiert war. Die meiste Zeit verwendete ich darauf, ein von mir selbst zerstörtes System wieder in Gang zu bringen. Das war vielleicht nicht gerade das, was man sich unter produktiver Arbeit vorstellt. Aber ich war so fasziniert davon, daß ich jede Nacht durchhielt, bis es hell wurde. Ich lernet dabei, was möglich war und was nicht.“ Mit allen Personen mit denen er in Kontakt tritt, bringt er den Computer mit ins Spiel. Von der Institutssekretärin der Uni, über seine Studienkollegen, bis hin zu einem Chinesischen Geschäftsmann, der der Liebhaber seiner Schwester ist, allen bietet er entweder Hilfe oder seine virtuelle Kreation an. Im Umgang mit anderen Medien, hat er diesen immer im Hinterkopf. So filtert er zum Beispiel den Ball aus einem Fußballspiel, oder knackt die chiffrierten TV-Sendungen, in der vagen Hoffnung, diese irgendwann zu vermarkten, und hört Radio sowie CDs über das Internet. Sogar die Umwelt erscheint ihm eine Simulation: „In der Windschutzscheibe lief ein Bildschirmschoner, Starfield Simulation, mit zweihundert Sternen, der Höchstanzahl, die man einstellen konnte. Sie rasselten aus dem Dunkel des Alls auf mich zu. [...] [...] Wie Meteoriten rasten die Schneeflocken auf das Auto zu, oder wie kleine Zerstörer. Die Panzer hatten fliegen gelernt. Das All hatte es darauf angelegt, ein einsam durch die Nacht schwebendes Raumschiff zu durchsieben, es mit Abertausenden von Flugobjekten zu bombardieren. Die fetten, weißen Geschosse stießen in dichten Formationen herab und nahmen Kurs auf mein Cockpit.“129 129 Ebd. S. 9, 19 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 141 von 189 Was ein einfacher Schneesturm ist, nimmt er als ‘Virtual Reality’ war. Die Flocken werden zu Raumschiffen und das Warnlicht des Aufräumgerät zum Mutterschiff der „kleinen Zerstörer“. Er sucht in der Dunkelheit Korrespondenzen und die findet er im einzigen Ding, das er perfekt handhabt und das seine Umgebung prägt. Er erlebt die Welt durch einen Bildschirm, oder durch den „Filter“ seiner ‘Knuspertüten.’ Rupert weiß also mit Computern und seinen vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten geschickt und kreativ umzugehen, ist sich dessen bewußt und selbstsicher, daß in dieser Branche sein Erfolg steckt, ist aber unfähig einen Kontakt zu der Außenwelt zu finden. „[...] ich war schon einmal in New York gewesen, um meine Videoanimation zu verkaufen, allerdings ohne Erfolg. Damals war mein Produkt noch nicht ausgereift. Und vielleicht war auch ich es noch nicht. Jedenfalls war ich die Sache falsch angegangen. Ich hatte keine Ahnung, von den Verkaufspraktiken in der Softwarebranche.“130 Zur Vermarktung und zur Chance auf eigenen Füßen zu stehen, anstatt mit seinem „Alten die einzige Sprache zu sprechen“131, die beide verstehen, fehlt ihm die nötige Unternehmungslust. Dort wo der Computer an seine Grenzen stößt und der Nutzer sich ‘aktivieren’ sollte, bleibt Rupert inaktiv. „Im italienischen Fernsehen wurde ein Fußballspiel ohne Ball gezeigt. Man hatte den Ball herausgefiltert. [...] 130 Ebd. S. 24-25 131 Ebd. S. 25 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 142 von 189 [...] Ich hatte in diesem Augenblick, scharf wie unter einem Brennglas, das Desaster meiner gesamten Existenz vor mir. Da arbeite ich jahrelang an einer Sache, habe die Idee, entwickle sie weiter, verbringe Nacht für Nacht damit, bis ein zum Herzeigen reifes Produkt entsteht – aber dann sind meine Energien plötzlich dahin, ich drehe mir eine Knuspertüte nach der anderen und lasse das Ergebnis meiner Mühen auf der Festplatte vergammeln.“132 Tatsächlich ist ihm das Schicksal gnädig und in New York gerät er zufällig an einen Unternehmer, der zwar kaum das Medium benutzt, jedoch dessen Potentialität erkannt hat und voll ausnutzt. „[...] Vergiß die Softwarefirmen. Online-Gaming heißt die Devise. Die Leute probieren für wenig Geld ein Spiel online aus, und sie kommen gerne darauf zurück, wenn es ihnen gefällt. Letztlich geben sie auf diese Weise für ein spiel mehr Geld aus, als wenn sie die CD gekauft hätten. Aber dafür haben sie nicht den ganzen Schrott herumliegen. Das leuchtet ein, sagte ich. Ich bin hier offenbar an einen Spezialisten geraten. [...] [...] Online-Shopping. Bei mir kannst du fast alles kaufen, obwohl ich nichts herstelle.“ Die Kombination zwischen Macher und Vermittler, verhilft Rupert zu seinem größten Erfolg. Nur mit der Ins-Netz-Stellung seiner Kreation, scheint es, verhilft ihm zu Autonomie, auch vor dem Computer als „Ersatzvater“ und „Mörder“ zugleich. Mit diesem geschäftlichen Erfolg, löst er sich von dieser Sphäre, und überläßt jegliche Beschäftigung damit, den Usern seines Spiels. Er 132 Ebd. S. 425 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 143 von 189 eröffnet sein „Vaterproblem“ der Öffentlichkeit und erkennt, daß aus ödipalen Konflikten sich immer schon Geschäfte haben machen lassen, da der Kulturbetrieb auch davon lebe133. Er erkennt auch die Sinnlosigkeit der Ausfechtung dieses Konfliktes und angesichts des großen Verdienstes, das ihm endlich Unabhängigkeit verschafft, löst er sich von der virtuellen Welt in der er agiert. Solange er abhängig vom Geld des verhaßten Vaters war, konnte er diesen Konflikt nicht verbal austragen, da es ihm nur hätte schaden können. Die virtuelle Realität, die er sich selbst zusammenbastelt, ist daher eine ideale, ungefährliche und schlußendlich profitreiche Alternative. XI 3. Vater(vernichtungs)spiel und Konfrontation Das Spiel als Konfrontationsersatz Der Begriff ‘Vaterspiel’ bezieht sich nicht nur auf das virtuelle Vernichtungsspiel, das „Ratz“ entwickelt. Er beleuchtet viele Facetten des Romans, was sich jedoch wie ein roter Faden durch den gesamten Text, wie durch das Leben Ruperts zieht, ist das Spiel. Was dieses charakterisiert, ist äußerst subtil angewandte Gewalt, die sich am ende als durchaus wirksam erweist. Ruperts Weltentwurf hat jegliche Unschuld und Hoffnung verloren, da die Entwicklung zum Besseren, die Idee eines Fortschritts der Menschen verspielt bleiben. 133 Zu beachten wie der Amerikanische Vermarkter des Spiels, es „The newest from Vienna, the city of Sigmund Freud [...] a thrilling experience. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 144 von 189 „Schau ich habe dir das oft genug erklärt. Ich würde dir nichts Gutes tun damit. Weißt du, ich würde dir jetzt nichts Gutes tun, wenn ich dich länger am Leben ließe. Korrupte Schweine wie du müssen früher oder später geschlachtet werden.“ Er rammt ihm ein Messer in den Bauch.“134 Was zu Beginn dieses Romans einem blutrünstigen Familiendrama gleicht, ereignet sich nur virtuell auf dem Bildschirm des Computers. Eine Figur wird in dem Spiel in verschiedenen Prozeduren zu Tode gequält, die Spieler können das Bild einer beliebigen Person einscannen und so diese virtuell umbringen. Die Entstehung geht auf den Zusammenbruch der Ehe der Eltern zurück, wobei dies ein minimaler Auslöser ist. Tatsache ist, daß Rupert sich nie auf verbale Debatten mit dem Vater eingelassen hat. Schicht um Schicht lagert sich seine anfängliche Aversion, die im Moment der Scheidung zu Haß wird. Anstatt aber konkret die Seite seiner Mutter zu ergreifen, lebt er seinen Haß virtuell aus. „Er sagte: deine Mutter, schon allein dafür haßte ich ihn.[...] [...] Von da an bekam meine Arbeit am Computer eine neue Note. Ich erfand Vatervernichtungsspiele. Am Anfang waren es einfache Clip-Art- Animationen, die sich aber im Laufe der Jahre zu einem Videospiel mit dem eingescannten Foto meines Vaters entwickelten, erdenklichen Arten von Torturen aussetzen konnte.“135 134 Ebd. S.10 135 Ebd. S. 286 das ich allen nur Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 145 von 189 Aber obwohl das von Rupert Kramer entwickelte „Vatervernichtungsspiel“ ziemlich brutal ist, wirkt es angesichts der tieferen Schichten dieses Familienkonflikts und seiner gesellschaftspolitischen Dimensionen am Ende beinahe harmlos komisch. Immerhin handelt es sich um ein Spiel, das anfänglich niemandem schadet. Nur die Veröffentlichung, verbirgt in der ludischen Komponente ein wirksames Mittel, um einen ganz bestimmten Vater auf der subtilsten aller Arten zu töten. Dieser Komponente ist sich Rupert aber nicht bewußt. Alles in allem ist er sich immer bewußt, daß der Haß den, er gegen seinen Vater hegt, zum Teil unbegründet und ein weiterer Trend seiner Generation ist. Er erstickt jeden möglichen Kontakt mit ihm im Keim ab, läßt sich auf keinen Konflikt ein, nutzt aber skrupellos seine Stellung und Autorität. Er spielt mit ihm nicht nur am Bildschirm sondern allgemein, und wo die Realität nicht reicht, erschaffte er eine virtuelle Umgebung, wo er, immer von Neuem, seinen eingebildeten Haß ohne Konsequenzen ausleben kann. „Für meinen Vater hatte ich mir schon Hunderte Todesarten ausgedacht. Die mit dem Messer war eine vergleichsweise harmlose, ein beruhigender Gedanke zwischendurch. [...] [...] Ich zog ihm den Hals in die Länge, schnürte ihm die Taille ab, kickte ihm den Schädel vom Rumpf. Das ging alles viel zu schnell. Ich brauchte etwas Ausführlicheres. Im Wohnzimmer hatte mein Vater eine gut zwei Meter hohe Skulptur stehen. Es war eine überdimensionale Ausführung der Zitruspresse von Philippe Starck. Ich setzte meinen Vater darauf und preßte ihn genüßlich aus. [...] Den übrig gebliebenen Hautlappen meines Vaters putzte ich mit einem Scheuermittel. Dann fettete ich ihn mit seiner teuren Hautcreme [...] von oben bis untern ein und besprühte ich mit Herrenparfum. Ich frisierte ihm die Haare und legte ihn vor das widerliche französische Bett mit integrierte Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 146 von 189 Hi-Fi-Anlage, das er seit kurzem mit der Schnepfe teilte. [...] Ich schrieb Freundschaft Genosse unter das Bild und betrachtete in Ruhe mein Werk.“136 Das was er zu hassen scheint ist der Lebensstandart den der Vater als Neureicher angenommen hat. Dieser hat als erfolgreicher Politiker die Ideale der Arbeiterbewegung verraten und gehört nun zum Establishment, das die innere Leere mit Designer-Möbeln und schicken Autos, auch vor sich selber, zu verbergen versucht. Ratz mißbilligt zwar alles, nutzt es aber auch schamlos aus. Er kann aber, aus welchem Grund auch immer, die Verlogenheit nicht akzeptieren. Er will sich nicht mit seinem Vater, einen „unnötigen Restexemplar von Menschen“137, gleichstellen. Er verschafft sich also durch den Computer und seine Fähigkeiten, die Möglichkeit, seine Emotionen und ödipalen Phantasien virtuell auszuleben. Es steckt sogar eine gewisse ästhetische Komponente in seinem Vorgehen. „Bei diesem Spiel gehe es keineswegs um Massenmord, sondern um einen gepflegten, phantasievollen Mord an einer Einzelperson, die man abgrundtief hasse. Man könne die Software so einstellen, daß diese Person sich auf hartnäckige Weise der Vernichtung entziehe oder plötzlich wiederaufstehe.[...] Ich nenne es so, weil es von der Idee her auf meinen Vater zugeschnitten war. Man kann es aber auf alle Personen anwenden, man muß nur die entsprechenden Daten und Bilder eingeben. Die Mordwerkzeuge stelle ich bereit.“138 136 Ebd. S. 10, 14-15 137 Ebd. S. 15 138 Ebd. S. 470-471 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 147 von 189 Er stellt, mit fremder Hilfe aber, das Videospiel ins Internet, wo jeder einen simulierten, begehbaren Mord an dem Vater, konsumieren kann. Er macht dies aus finanziellen Gründen, aber auch weil er selbst nicht mit der Konfrontation am Bildschirm fertig wird. Da es sich um eine Spiel-Vernichtung handelt, trifft er immer wieder auf einen Vater der, bei jeder neuen Partie lebendig ist, ihn wieder herausfordert und schlußendlich, trotz des Mordes, Sieger im Kontrast ist. Mit dem Erscheinen dieses Vatermordspiels auf der Oberfläche der Simulationsmaschine, offenbart sich Ruperts Vater, der vom ComputerFanatismus des Sohn angesteckt wird, die Fehleinschätzung der Sohnesliebe. Diese zeigt sich als eingebildet und nur zum Teil unbegründeter Haß schlägt ihm entgegen. Die Veröffentlichung des „Vaterspiels“ wird zum realen Auslöser des Selbstmordes des vom Glück des Wirtschaftsjongleurs und der Parteigunst verlassenen Ex-Ministers. Ob der Vater wirklich das „Vaterspiel“ im Internet entdeckt hat, bleibt ein Geheimnis, alles deutet aber darauf hin, da Rupert in seinem ehemaligen Zimmer gleich einen Laptop entdeckt. Die weltweite Vernetzung hat auch seinen Vater eingeholt und den über Jahren privat ausgefochtenen Kontrast zwischen ihm und seinen Sohn bloßgelegt sowie allen zugänglich gemacht. Rupert erkennt erst durch seine letzte, in finanzieller Hinsicht goldrichtige Aktion, sein hilfsloses Verhalten. Das von einem Mann, der vor dem Leben versagt hat und zugleich sein "Vatervernichtungsspiel" unter dem harmlos klingenden Namen "Vaterspiel" im Internet als eine Art Entschädigung verkauft. Obwohl die Schilderung kein richtiges Ende erfährt, erahnt der Leser, Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 148 von 189 daß Rupert, durch den Selbstmord seines Vaters, sich das erste mal schuldig fühlt und deshalb dem Spiel ein Ende setzen will. Der Anti-Held Rupert erfüllt im „Vaterspiel“ seine Berichtspflicht in lakonischer Selbstdistanz. Als Ich-Erzähler ist er auf der Suche nach sich selbst, er versucht sich mittels eines imaginierten Systems von Erinnerung, SichWiederfinden und Erfindens, sich aufzubauen. Dabei schließt er die reale Welt aus und erfährt die Wirklichkeit erst wieder im Kreis des Bewußtseins. Seine Traum von Vollkommenheit kann nur noch in der idealistischen Welterfahrung des digitalen Systems, das einen autopoietischen Raum bietet, realisiert werden. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner XII Seite 149 von 189 Literatur in der Medienkonkurrenz Der deutsche Pop-Roman – Benjamin von StucktadBarre: „Blackbox“ Die Welt in der wir leben und uns bewegen ist eindeutig eine mediale Welt. Der größte Teil der Kommunikation und Informationsgewinnung erfolgt durch die elektronisch-digitalen oder audiovisuellen Medien. Autoren sind davon natürlich nicht ausgenommen, daher wirkt ihr Werkzeug , die Sprache, öfters als medial vorgeformt. Sie lesen Zeitungen und Zeitschriften, besuchen Kinos, sehen fern, absorbieren den Jargon und die Darstellungstechnik. All diese Eindrücke fließen in ihren Werken ein und prägen dessen Stil, Sprache und Form. Pop-Autoren bewegen sich bewußt in diesem Netz des sprachlich Vorgeformten. Ihre Kunst liegt dabei darin, nie ins Triviale abzugleiten. Sie legen vielmehr das schon erlebte und schon absorbierte Konglomerat das uns täglich die Medien servieren, bloß und aus dem sie Material für ihre Werke schöpfen. Was den Romantikern der aufgehende Mond und den Expressionisten die hochtourige Maschine waren, sind der Popliteratur die Talkshow Sendungen, Computerprogramme und –spiele, oder Regalbestände der Shopping-Malls. Kultur wurde seit der Antike als „Pflege, Verehrung, Vergleich und Spiel“ bezeichnet, heute ist sie die „Einheit dieser vier Momente“.139 Die Pop-Literatur vereint diese Eigenschaften in Sammlung, Selbstinszenierung der Autoren oder 139 Baecker, Dirk: „Wozu Kultur“?, Kadmos, Berlin, 2000, S. 84. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Verehrung Seite 150 von 189 von Ikonen oder Repräsentanten der Medienlandschaft140, Paradigmatisierung und Relativierung und Pointen als spielerisches Element. Ihre Romane werden zu Archiven oder Enzyklopädie ihrer Generation, propagieren aber diesen Diskurs nicht gänzlich. Sie tendieren eher zu einer sarkastischen Kritik am „Trend-Kram“. Mit anderen Worten, ihre Werke nähern sich sehr einer Parodie. Die Ironie ist für diese jungen Schriftsteller unverzichtbar, sie haben dieses Mittel verinnerlicht, aber trotzdem können sie sich von ihren Texten nicht ganz lösen. Ihre Bewegung speist sich von ihren Texten und lebt von medialer Selbstinszenierung. Trotzdem entsteht aus der gezielten aber auch polemischen Mediennutzung und –arbeit Kultur, die unter den Namen Pop-Kultur geführt wird. Wie die Medienwelt und die Benutzung der neuen neuen deutschen (Pop)Autoren als immenser Thesaurus dient, soll nun am Beispiel des im Jahre 2000 erschienen Romans „Blackbox“ dargestellt werden. XII 1. „Blackbox“: Inhalt und Struktur In seiner „Blackbox“ präsentiert Benjamin von Stuckrad-Barre acht Tragödien unterschiedlichster Art und sucht nach möglichen Absturzursachen. Jemand wird verlassen und bekommt ein üppiges Schweigegeld, begibt sich damit auf Weltreise und strandet völlig am Ende. In einer Containersiedlung werden eine Gerichtsverhandlung, die Blattproduktion einer Illustrierten und das Fernsehprogramm nachgestellt wobei der Leser nicht genau weiß bis wohin die 140 Rockgruppen, Schauspieler, Werbeartikel, oder ausgeprägter Narzisismus. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 151 von 189 Fiktion reicht. Eine Schauspielerin, ein Rockmusiker, ein Existenzgründer, ein Straßenhändler und ein Fremdenführer erklären sich, ihr Leben und mehr. Ein Gästeeinkäufer für Talkshows vergißt auf der Suche nach echten Geschichte die eigene. Eine eßgestörte Person weigert sich, zum Arzt zu gehen, denn sie braucht keine Erklärungen. Eine Gruppe Nachtgestalten bewegt sich entlang des Betäubungsmittelgesetz durch das sogenannte wilde Leben und landet nur allein im Bett. Ein Mann wagt einen Neuanfang, der keiner ist. Es handelt sich hier größtenteils um Kurzgeschichten, die in einem lockeren, Lifestyle-Magazin ähnlichen Parlando verfaßt sind. Es handelt sich dabei um verschiedene Textformen wie Erzählungen, Märchen, Gedichte, Dialoge und ein Dramolett. Gemeinsam ist allen Texten die Konfrontation des oder der ProtagonistInnen eines sicher geglaubten Ordnungssystems mit plötzlich auftauchenden Störungen, mit Problemen, die sich als ‘Systemfehler’ entpuppen. Die (System)Abstürze werden klar nachgezeichnet und die Ergebnisse geben nicht nur den Hinterbliebenen Aufschluß über die Ursachen, sondern beweisen auch, wie dünn der Boden ist, auf dem wir stehen. Alle sind sich der Gefahren und der Ursachen ihrer Probleme bewußt, verzichten aber auf externe Hilfe, da sie auch wissen, daß diese sich in den meisten Fällen als zwecklos erweist. Parallel zu den erzählenden Stücken, bietet Stuckrad-Barre auch Marginalien in Form eines Daumenkinos. Blättert man das Buch schnell von hinten durch, sieht man ein Flugzeug abstürzen. Blättert man lesend nach vorne, sieht man nach der Reihe die Protagonisten abstürzen. Das Motto des 1975 in Berlin lebenden Autors: „Runter kommen sie alle, my art will go on.“ Der Autor zielt auf ein junges, werbewirksames Zielpublikum, das an seinem Werk dranbleibt, da es an manchen Stellen einfach zu ausschweifend und sogar Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 152 von 189 langweilig wirkt. Dreißig Prozent des Buches, zum Beispiel, bestehen aus einem realsatirisch gemeinten Boulevard-Stück, in dem der Popautor, hier selbst eine Figur im Roman, den Medienhype um seine vermeintliche Beziehung mit der TV-„Comedy-Queen“ Anke Engelke karikiert. Abgesehen davon, daß man die Comedy-Queen und die Gerichtsshow um Richterin Barbara Salesch kennen muß, um diesen Teil zu genießen, wirkt es, nach einigen Seiten, nicht mehr witzig. Die ergiebigste stilistische Ressource dieser Texte sind unerwartete Vergleiche aus der Produktwelt. „Man kommt an den Strand, um sich auszuruhen, und dieses Ausruhen ist anstrengender als ein beim Isostar gewonnener Actionurlaub mit zwei sportbegeisterten Irren aus jedem Bundesland.141“ Trotzdem wird die Banalität des öffentlichen Geredes und die Tropismen des Medienalltags durch eine eins zu eins Abbildung entlarvt. Aus purem Floskel gelingt es Stuckrad-Barre zum Teil gute Prosa zu machen. XII 2. Die Geburt der „Blackbox“ aus dem Geist des TV und des Computers „Blackbox“ ist weder eine einfache Sammlung von Erzählungen noch ein Roman im klassischen Sinne. Was man in den Händen hält hat zwar die Form eines Buches, und vereint alle Elemente, die einen Roman ausmachen. Der Unterschied liegt darin wie diese Elemente angebracht sind. 141 Stuckrad-Barre, Benjamin von: „Blackbox“, Kiepenheuer &Witsch, Köln, 2000, S. 324. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 153 von 189 Das erste der 17 Stücke wirkt einführend in die Struktur des Buches. Es handelt sich um eine experimentierende Collage aus Cyber-Vokabular, das eine vage und zersplitterte seelische Befindlichkeit einer gesichtslosen Personengruppe beschreibt. Das Betriebsystem, das zum Zeitpunkt der Niederschrift von „Blackbox“ aktuell war, nämlich Windows 98, wird zum Fenster der Seele. Es handelt sich hierbei um eine originelle und innovative Form. Abb. 1 Der größte formale Mehrwert liegt Abb. 2 bei diesem Popautor an der Produktoberfläche. Er kopiert die systematische Ordnung, die er in einem gut strukturierten Computerverzeichnis findet und überträgt sie graphisch und organisatorisch auf sein Werk, zunächst in Form von Index142. Diese graphische und organisatorische Vorgehensweise zieht sich aber über das ganze Buch hindurch und weist in jeweils markierten Unterverzeichnissen die 142 Siehe Abb. 1 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 154 von 189 gerade „laufenden“ Kapitel an143, wie der daumenkinomatographische Absturz des Flugzeugs. Immer wieder spielt der Autor mit den Begriffen aus der allgemein digitalen Umgebung, die nur den Computernutzern bekannt ist. Das Layout ist auf den Zeitgeist getrimmt und den wird Texten durch trendy Icons eine moderne Benutzeroberfläche verliehen. Mit Ausnahme des ersten Textes, der aus einer Mischung zwischen Computerbefehlen und freien Gedanken ist, besteht der Rest des Buches aus mehr oder weniger konventionellem Erzählstoff, der sich aber durch Titel wie „strg s“, „soundfiles“ oder „dialogfelder“ trotzdem von klassischen Texten abgrenzt. Im Allgemeinen scheint es, daß der Computer mit all seinen Systemen, Befehlen und Programmen das leitende Medium dieses Werkes ist. Zwar werden die Medienlandschaft und die nachmittäglichen Talkshows im witzigen aber einfach zu langem ‘Verzeichnis’ „speichern unter: krankenakte dankeanke“ in toto wiedergegeben aber auch dieser Text präsentiert sich uns wie eine Interface. Dem Autor gelingt es aber, die Thematik eines satirisch längst ausgeschöpften Themas von einer ganz neuen Seite anzupacken. Denn was Stuckrad-Barre auszeichnet, ist seine gute Beobachtungsgabe und aus der Alltagsituation und dem Wiedererkennungseffekt, mit dem hintergründigen Humor herauszuerzählen. Er besitzt die Fähigkeit, dem unerträglichen und in allen erdenklichen Schichten vorkommenden Worthülsen-Alltag und Alltagsthemen nachzuspüren und diese auffliegen zu lassen. 143 Siehe Abb. 2 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 155 von 189 Er führt in den, als literarische Charakterstudien angelegten Texten einen nach dem anderen Typen vor, die der westlichen Welt bestens bekannt sind. Eine „verquaste Schauspielerin, den existenzgründenden Kotzbrocken, den alternden Showbiz-Star“144. Jeder erfährt in der „Blackbox“ seinen eigenen bedrückenden Auftritt. Der Autor läßt sie ihre Leier aufsagen, als handle es sich dabei um eine Tonband- oder Kameraaufnahme: „Ich halte auch gar nichts davon, sich die lebenswichtigen Vitamine und Spurenelemente durch Pillen zuzuführen – wer sich gesund ernährt, ballaststoffreich und viele frische Zutaten verwendet, der braucht keine Pillen. Ich halte mehr von natürlichen Heilmethoden; in der industrialisierten Welt ist ein Körper selbst bei gesunder Lebensweise dermaßen vielen Schadstoffen schutzlos ausgeliefert, daß regelmäßige Entgiftung notwendig ist. [...] [...] Zum Thema Workout sage ich nur: Ich habe noch nie ein Fitneßstudio von innen gesehen. Meine beiden Kinder sind das beste Workout – die durch den Tag zu kriegen, das fordert einer Mutter so viel Bewegung ab, da müßte ich Stunden im Studio schwitzen, um all die Muskeln zu trainieren. Und so habe ich noch Balsam für die Seele dazu, denn was ist schöner als das strahlende Gesicht eines Kindes? Doch wohl nicht der Anblick schwitzender Mitsportler.145 (die verquaste Schauspielerin) Mit derartigen Kommentaren zerrt Stuckrad-Barre die Verlogenheit auch vor sich selber der, im bunten Treiben der Medinewelt aufgewachsenen Typen ans 144 Giaramita, Nina: „Scheitern als Chance - Im Zweifelsfall ist die Blackbox die letzte Hoffnung auf der Suche nach Ursachen für Abstürze“, in: literaturkritik.de, Nr. 11, 2000. 145 Ebd. S. 201, 202. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 156 von 189 Licht und zeigt damit, wie großartig doof ein Großteil der Menschheit ist. Nicht immer muß Literatur Erbauungsliteratur sein, obwohl durch dieses Bloßlegen ein Wiederaufbau in den verunsicherten „normalen“ Menschen geschehen kann. In der Collage „speichern unter: krankenakte dankeanke“ unternimmt StuckradBarre eine scharfe, teilweise bissige, teilweise witzig, aber zu überzogene Medienkritik und -schelte. Übertreibung ist zwar ein Mittel der Satire, nicht aber eine exzessive Textquantität. Der Autor übertreibt nicht nur in seinen Hyperbeln, die für Insider äußerst amüsant sind, sondern auch in der Textmasse. Diese lastet auf dem Leser, der gelangweilt weiterblättert, als drücke er auf der Fernbedienung des Fernsehers, nach einem besseren und interessanteren Programm. Vor allem ist aber die Story, die Stuckrad-Barre schildert beziehungsweise schriftlich und durch Collage inszeniert, von einer inhaltlich äußerst kurzen Halbwertszeit. Die vermeintliche Affäre des Autors mit der Comedyqueen Anke Engelke, deren mediale Aufbereitung das Thema dieses Textes ist, ist längst Schnee von Vorgestern. Frau Engelke war, als „Blackbox“ erschien, inzwischen ja schon mit VIVA-Moderator Nils Ruf liiert. Und selbst das war bereits bald wieder Geschichte. Mediensatire über bekannte Persönlichkeiten ist also doch weniger etwas für die Literatur als für die tagesaktuelle Fernsehshow146. Interessant bleibt die Form dieser Erzählung. Ort des „Prozesses“, dem beide Protagonisten unterzogen werden, ist natürlich ein Gerichtssaal. Kohärent zur Welt der beide entstammen kann dies nur der Gerichtssaal einer weiteren bekannten und seit jüngstem prämierten Gerichtsshow sein. So wird ihr Richter beziehungsweise ihre Richterin keine andere sein als Richterin Barbara Salesch. 146 wie beispielsweise die Harald-Schmidt-Show, für die Stuckrad-Barre ja bekanntermaßen früher auch als Gagschreiber gearbeitet hat Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 157 von 189 Das Geschehen beginnt mit einer doppelseitigen Collage, die aus verschiedenen Artikeln bekannter Klatschzeitungen besteht147. Was sie miteinander verbindet ist das Thema, die vermeintliche Affäre vom Autor und der Comedyqueen. Alles spielt sich in drei Räumen ab, die vom „big brother“Auge, der Regiekammer“ geleitet und kontrolliert werden. Nach Comicähnlichen Anfangszitaten und einer Skizze der Räume, durch die der Leser beim Leseprozeß geführt wird, beginnt die Schilderung. Er überwindet die standardisierte Form der Buchseite, in der Bilder nur insofern eine Rolle spielen, als sie visuell verdeutlichen, was ein Text als Information schriftlich wiedergibt. Der bereits angedeutete Ausbruch des Visuellen führte dazu, daß Buchautoren mit Symbolen und bildlichen Darstellungen arbeiten, und diese collagenhaft in ihre Texte einbauen. In einem klassischen Text sollten Schriftzeichen so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich ziehen, damit der Leser sich rein auf den Inhalt der Worte konzentrieren kann. In diesem besenderen Text, wird die übliche Form des Buches, an die die Leser gewohnt sind, überwunden. Stuckrad-Barre spielt mit dieser Erwartungshaltung seiner Leser, und impliziert somit bereits eine Deutung. Jeder Raum ist mit einem Ikon versehen, das als Leseorientierung dienen soll148. 147 Siehe Abb. 3 148 Siehe Abb. 4 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 158 von 189 Abb. 3 Abb. 4 Diese Art von Orientierung ist notwendig, da dieses Stück verschiedene Geschehnisse, die an verschiedene Orten stattfinden sollten, parallel montiert. Nur durch die einleitende Skizze erfährt der Leser sogleich, daß es sich um die Nachstellung einer TV-Sendung handelt. Ausgehend von einem simplen und nichtsaussagenden unscharfen Foto, konstruiert der Autor eine facettenreiche Geschichte. Er benutzt die selbe Vorgehensweiße der Showmedien und erschließt dem Leser die Leere, die hinter diesen steckt. Die Skizze, die dieses Stück eröffnet, wiederspiegelt auch drei Sparten des Showbuisness, unter der Aufsicht einer Regiekammer. Jedes dieser Momente wird mit einem Ikon aus dem Fontthesaurus des WindowsBetriebsystems signalisiert. Ob Stuckrad-Barre dies mit Absicht gemacht hat, oder ob er beim Schreiben einfach mit verschiedenen Programmoptionen gespielt hat und dies dann als gute Idee befand, wird wohl (s)ein Geheimnis bleiben. Tatsache ist, daß er diese phantasievoll eingefügt und den jeweiligen Abschnitt visuell markiert. Dadurch sind die diversen Passagen auch leicht zu überspringen Da sie von Ikon markiert und unterbrochen sind, kann man mit ihnen umgehen, als benutze man die Fernsteuerung, sobald Werbung dazwischen eingeblendet wird. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 159 von 189 In „speichern unter: krankenakte dankeanke“ liefert Stuckrad-Barre vor allem aber eine firmierende Posse, die zur angeblichen Belustigung oder auch zur Denkmalsetzung seiner selbst ab. Überhaupt läßt Benjamin von Stuckrad-Barre, auch angesichts seiner Medienversessenheit, seine Figuren immer wieder um sich selber kreisen. Es fallen vor allem auch ein paar witzige und getroffene Wortspiele in „ strg s“ ins Auge. Zum Beispiel mokiert sich Stuckrad-Barre darin, über das Wort Diätpraline, eine Wortkopplung, die ihm absurd vorkommt. Es gelingt ihm das Trendthema Ernährung in einen digitalfiktiven Kontext zu bringen und vergleicht die Freßsucht seines kafkaesken Protagonisten „S“ mit einer Endlosschleife eines defekten Computerprogramms. Die Steuerungstaste eines Computers ermöglicht es, in Kombination mit den anderen Tasten, die verschiedensten Befehle und Funktionen auszuführen. In einem analogen Verfahren kombiniert der Autor das Schlüsselwort beziehungsweise Buchstaben „S“ mit allen möglichen anderen Wörtern. Es entstehen dabei interessante und auch zufällige oder ungewollte Alliterationen, genau wie wenn man versehentlich statt der Umschalttaste die „Strg“-Taste mit Buchstaben kombiniert und dabei neue Funktionen entdeckt. Drückt man „strg S“ wird der Befehl „Speichern“ ausgeführt, genau das, was S in der modernen Konsumgesellschaft zum Opfer fällt. Er speichert alle möglichen Informationen zum Thema Ernährung und obendrein noch die Nahrung selbst. In „standarddokument“ nimmt er erneut die Medienlandschaft aufs Korn. Diesmal die nachmittäglichen Talkshows. Ein satirisch längst ausgeschöpftes Thema, denkt man, aber dem Autor gelingt es, die Thematik von einer ganz neuen Seite anzupacken. Zudem überzeugt der Text mit einem überraschenden Schluß, einer guten Pointe. Das reale Leben eines Talkshow Gästevermittlers Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 160 von 189 vermischt sich während eines Telefonats mit seiner Talkshow selbst. Dabei fällt bei einem schnellen Lesen die Trennung zwischen realem Leben und Show gar nicht auf. „Der Redaktionsleiter guckt Fernsehen beim Telefonieren übers Fernsehen, so läuft das beim Fernsehen. Im Fernsehen wird gerade geschrien, er dreht lauter und bittet seinen Zulieferer, das Gerät ebenfalls anzustellen, sich mal gerade die Konkurrenz anzusehen, DAS sei Fernsehen, so würde es gemacht, herrlich sei das. [...] er schaut sich diese Talkshows freiwillig nicht an. Manuela guckt sie ganz gerne, seine Mutter auch. [...] Die normalen Gäste, auf die ihr Sohn so stolz ist, findet sie auf jeden Fall auch eher langweilig. Dann kann ich auch mit dem Nachbar reden, sagt sie. Eben, sagt er dann. Ja, aber wieso, sagt dann die Mutter. Und Manuela will umschalten. Jetzt hört er sie schreien. Sie schreien nicht oft, eigentlich nie. Jetzt aber sehr laut. – Kein Wunder, daß er keinen mehr hochkriegt, höchstens einmal die Woche für n paar Minuten, dein laues Söhnchen! Wenn du rumläufst wie ne Putze, ist das kein Wunder, guck dich doch mal im Spiegel an, verboten sieht das aus, das würd mir als Mann auch nicht gefallen! Als Mann? Könntest du das noch mal sagen? MANN? Daß ich nicht lache Ein Muttersöhnchen ist er, mehr nicht! Lebt mit 31 noch zu Hause, also, würd mich nicht wundern, wenn er in Wahrheit schwul ist, dein Sohn! Du hinterhältige Drecksnutte! Du willst doch nur sein Geld und mein Haus! Du halbtote, geizige Stinkeoma! [...] Der Redaktionsleiter ist begeistert.[...] Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 161 von 189 Er hörts. Hört den Redaktionsleiter im Telefon enthusiastisch jubeln und im Fernseher seine Mutter und seine Freundin schreien.“149 Der Übergang von der Schilderung einer Alltagssituation zur Auseinandersetzung ist von Stuckrad-Barre so fließend und nahtlos konstruiert, als geschähe es live zeitgleich im Wohnzimmer des Protagonisten. Die Talkshows und das Medienbusiness und dessen aufgesetzte Gewohnheiten („Es ist Samstag..) bestimmen die Rhythmen der Familien und haben sich sogar in das Familienleben eingenistet. Sie bestimmen so sehr den Alltag, wobei sie ihn eigentlich nur wiederspiegeln sollten, daß auch der literarische Kulturbetrieb an ihnen nicht unberührt vorbeikommt. Die letzte Geschichte, „neustart“ ist wohl die klassischste Erzählung dieses Buches, erneut ein Alltagsthema. Junger Mann kommt in eine neue Stadt und zieht dort in eine Zweier-WG, zusammen mit einer Frau. Mit äußerst guter Beobachtungsgabe und dem hintergründigen Humor aus der Alltagsituation und dem Wiedererkennungseffekt heraus, erzählt Stuckrad-Barre uns eine nie langweilende Geschichte. 149 Ebd. S. 246 – 248 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 162 von 189 XII 3. Medienobjekt und Entertainer: der Pop-Autor und die Selbstdarstellung „Let me entertain you!“ Benjamin von Stuckrad-Barre Die Pop Tradition150 bricht das klassische Autorenkonzept. Der Schriftsteller ist kein „Märtyrer“ mehr, sondern verfolgt eine gezielte Erfolgsstrategie anstatt Ruhm. Er kommuniziert nicht über die Medien sondern geht in sie hinein oder tritt mit ihnen in Wechselbeziehung. Die Literatur wird von ihnen nicht mehr hochkulturell empfunden, sondern wie Rockmusik rezipiert sowie schnell, leicht und mit Genuß konsumiert. Trotzdem distanzieren sich aber Pop-Autoren in ihren Auftritten von anderen Medienstars. Sie ahmen zwar deren Muster nach und operieren zum teil massive Selbstdarstellung, präsentieren aber ein eigenes, innovatives und interessantes, neues literarisches Genre. Das was in den sechziger Jahren eine subkulturelle Minorität war, die schockierte und provozierte, wandelte sich ab den siebziger Jahren in kommerzielle Pop-Kultur. Es war keine subversive Gegenströmung mehr und neutralisierte die Schockgeste. Dabei verlor sie auch ihren subkulturellen Status. Die Literatur der Pop-Autoren ist keine gesellschaftliche Protestbewegung, Pop-Autoren ist mehr ein Beobachter, der aus seinen Beobachtungen heraus agiert und entlarvt. Wie schon erwähnt haben aber ihre Texte ein relativ kurzes Verfallsdatum, da der Wandel der Neuigkeiten äußerst rasant vor sich geht. Es erfolgt also eine Annäherung des Schriftstellers an das Stardasein in der Medienwelt. Die visuelle Präsentation von Künstlern der Dandykultur, die auch durch die 150 Pop bedeutet eigentlich volkstümlich, heißt aber auch soviel wie knallendes Geräusch Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 163 von 189 Photographie in den sechziger Jahre verfestigt wurde, wandelte in den letzten Jahrzehnten in die audiovisuellen Medien. Es ist nunmehr eine ständige Präsenz der Star-Autoren in den neuen Medien (TV und Internet) zu registrieren. Es geht aber um die eigenen Schlagzeilen, um den Wirbel, den man im Verlauf eines Popliteraten-Daseins so entfacht, um das Nichts also. Benjamin von Stuckrad-Barre hält nichts von der „Gebetsstubenatmosphäre ‘normaler’ literarischer Lesungen“. Er betreibt lieber Entertainment, zappelt als selbst ernannte „literarische Ein-Mann-Boygroup“151. Er bringt zusammen, was nicht zusammenpaßt und erzeugt so Provokationen. Neu ist dieses Verfahren aber nicht. Und die Ansprüche des Autors liegen hoch: Erzählungen, Märchen, Gedicht, gar Dramolett wollen seine Prosatexte sein. Sie bleiben aber oberflächenverhaftete Protokolle. Anderes können seine Texte eigentlich auch gar nicht sein, denn die „Blackbox“, der Flugschreiber, produziert im eigentlichen Sinne nicht. Stuckrad-Barre vollbringt das Kunststück, den Produzenten-Autor ins Negative zu wenden und legt sich selbst bloß. Dabei kommt ihm die Darstellung der medialen Realität zupaß. Wie schon erwähnt folgt das Inhaltsverzeichnis der Datenverzeichnis-Struktur des Computers, oder bedient sich des TV Jargons. Er verschont niemanden, alle bekommen sie ihr Fett ab. Die Medien natürlich, die Studenten, Schüler und Lehrer, und genau diese Aktualitätsbezogenheit erklärt den Erfolg. Jeder findet sich wieder und erkennt den Nachbarn beziehungsweise den Moderator der neuesten Talkshow. Irgendwie schade, daß das Verfallsdatum aber schon bei Drucklegung meistens überschritten ist. Was amüsant beginnt, endet ermüdend, etwa die Gerichtsverhandlung des Popautors 151 www.nordwest.net, Kultur, 16.4.2001. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 164 von 189 und DankeAnkes vor dem Pult von Barbara Salesch, verteidigt von Ally McBeal. Er ist das Medium seiner eigenen Texte. Haben aber die neuen Medien und in „Blackbox insbesondere das Medium Computer, innerhalb des Schreibvorganges die Überhand über Stuckrad-Barre gewonnen oder hat er einfach eine Automatische Zusammenfassung der bereits bespeicherten Texte dem Speichergerät abverlangt, wie ihm von diversen Kritikern vorgeworfen wurde?152 Im Zweifelsfall ist die Blackbox die letzte Hoffnung auf der Suche nach Ursachen für Abstürze. Was hat versagt oder wer die Blackbox merkt sich alles, zeichnet Gespräche genauso wie Kursänderungen und sämtliche technischen Daten auf. Sie ist so stabil, daß sie den Absturz zumeist übersteht. Man muß sie nur finden. Stuckrad-Barre hat so eine Blackbox kreiert und das was er wiedergibt, sind die Gedanken verschiedener Menschentypen, die zusammen ein amüsantes, schockierendes, zum Teil hyperwahres Bild der modernen Mediengesellschaft wiedergeben. Gala, BamS und Spiegel, Tagesthemen und H.O.T. bestimmen die mediale Inszenierung seiner Texte. Themen: Reality Soaps, Dauerwerbesendungen, Spintluder, Rockliteratur, Stadt und Flughäfen. Doch auch eine gewisse Skepsis macht sich breit. Was sollen die vorgetragenen Medienfetzen noch mit Literatur gemeinsam haben? Offensichtlich haben sich die Zeiten geändert, selbst die Germanistik(studentInnen) erkennt das, und Stuckrad Barre meistert in seinen Werken und Event-Lesungen den Spalt zwischen Literatur und Pop immer wieder mit Bravour. 152 Maus, Stephan: „Aus der Raucherecke“, Neue Zürcher Zeitung, 02.09.2000. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner XIII Seite 165 von 189 Zwischen Realität und Virtualität Norman Ohler: „Quotenmaschine“ Das Internetangebot mit literarischen Inhalten, das in den letzten Jahren entstanden und schwer literaturwissenschaftlichen zu und überschauendes germanistischen ist, wird von Fachliteratur der kaum berücksichtigt. Dabei wird im Internet mittlerweile das ganze Spektrum an Schöner Literatur abgedeckt; Informationen über Schöne Literatur und Primärtexte. Neu und dem Medium spezifisch ist die avantgardistische Netzliteratur in ihren verschiedenen Spielarten. Inwieweit unterscheidet sich aber traditionelle lineare Literatur, die uns in Buchform präsentiert wird, von Darstellungs- und Rezeptionsmodus der Hyperfiction-Literatur? Hyperfiction zeichnet sich gegenüber dem Buch durch „informationellen Mehrwert“153 aus. In ihm können Text-, Bild- und Tonmedien auf unterschiedliche Weise multimedial interagieren. Texte kennzeichnen sich durch nicht-lineare, hypertextuelle Organisation und Präsentation der verschiedenen Informationseinheiten. Dem Leser stehen folglich mehrere Pfade der Lektüre offen. Dies macht aus dem Rezipienten, der mit seinen Wahloptionen interaktiv mitwirkt, den Vollender des Kunstwerks. Auf die Literatur154 übertragen bedeutet dies, daß der ästhetische Reiz bei der 153 Daibler, Jürgen: „Als Bilder rechnen lernten“ in: Simanovski, Roberto: „Literatur.digital Formen und Wege einer neuen Literatur“, dtv, München, 2002, S. 103 – 110. Auf diesen Begriff des Mehrwertes wurde schon in VI 4. und VII 3. verwiesen 154 Literatur die als Hypertext im Internet erscheint Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 166 von 189 Lektüre eines Hypertextes in der Aufdeckung dessen verdeckter Referenzen besteht. Der Rezipient bewegt sich schnüffelnd wie ein Spürhund, durch das Netzwerk. Sein Erfolg hängt von der Qualität der Informationen und der Kompetenzen über die der Nutzer verfügt, ab. Jedem seine ‘Quote’, jeder muß seinen Beitrag zur Vollendung des Werkes leisten, der Schreiber und der Leser. Nach diesem Motto baut Norman Ohler sein 1995 erschienenen Debütroman „Die Quotenmaschine“ auf. XIII 1. Inhalt, Sprache und Struktur der „Quotenmaschine“ Der 1995/1996 erschienene Roman des 32 jährigen Autors Norman Ohler, kann als das deutsche Pendant zu William Gibsons „Neuromancer“ (1984) bezeichnet werden. Mit seinem Roman prägte dieser den Begriff des Cyberspace. Dieses Konzept ging bald auf die Medienwissenschaft über, um den virtuellen Raum der digitalen Daten- und Bilderwelten zu bezeichnen. Anstelle der Wirklichkeit oder der reproduzierbaren Realität (TV-, ComputerWelt), ist eine künstlich geschaffene Welt getreten. Es erfolgt eine exakte Verdoppelung des Realen und kann im Extremfall den Wiederspruch zwischen dem Realen und dem Immaginären auslöschen. Man findet sich in einer ästhetischen Halluzination der Realität wieder. Reales und Imaginäres verschmelzen und bilden eine gemeinsame operationale Totalität. Nach diesem Prinzip hat Norman Ohler seinen Debütroman konstruiert. Ohler erzählt die hyperreale Geschichte Rays, der aus dem Zentrum Manhattans flieht und als stummer Detektiv Maxx Rutenberg Licht über die Geschehnisse des eigenen Ichs zu bringen versucht. Gleich zu Beginn des Textes erfährt man Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 167 von 189 von Rays ungewöhnlicher Geburt – eine Höchstleistung moderner Medizin. Der erwachsene Ray tötet später in Brooklyn jenen, der ihn „aus dem Tode zusammengeschraubt“155 hat. Er kann sich weder mit seinem Leben noch mit dem begangenen Mord abfinden. Auf der anderen Seite des Hudson, ermittelt der stumme Detektiv Maxx Rutenberg in diesem Mordfall, aber Maxx ist Ray. Mörder und Ermittler in einer Person vereint, streifen durch New York und im Internet, um der eigenen Identität auf die Spur zu kommen. Es entwickelt sich ein paradoxes Katz und ‘Mouse’ Spiel, das, ohne ein sicheres Ende, auf Maxx’ Computer schriftlich festgehalten wird. Ohler heißt seine Leser „Willkommen zu:“ Die Quotenmaschine. „Willkommen zu“: Manhattan156. Ohlers ‘Quotenmaschinisten’ flottieren die frei durch die Stadt, mit Drogen vollgepumpt, in sexueller Ekstase oder sonstwie auf der Flucht vor der Geschichte und den eigenen Biographien. Durch die unendliche Erweiterung ihrer Grenzen, kommt es zu einem Verlust der Realität. Nach der Eroberung des Planeten, folgt jene des Weltraumes und des menschlichen Körpers. Alles läuft darauf hinaus, den menschlichen Raum zu entrealisieren und einer hyperrealen Simulation zu überlassen. Das Ziel bleibt die Allsichtigkeit (wie in einem Panoramabild) – die Eroberung der Welt als integrales Bild, deshalb sind mehrere Identitäten erforderlich. Umgekehrt aber läßt Ohler die Rechner mehr als nur Maschinen erscheinen, er teilt ihnen einen Namen zu und personifiziert sie indem er sie mit Menschen dialogieren läßt. Maxx geht mit seinem Computer Kippler und mit seinem Mountain Bike 155 Ohler, Norman: „Die Quotenmaschine“, Rohwolt, Hamburg, 1998, S. 54. 156 Mit dem Wort „Willkommen“ beginnt jedes Kapitel des gedruckten Romans, als beträte man jedes Mal eine neue Kammer, in der man zu neuen Erkenntnissen kommt. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 168 von 189 FettKatz um, wie mit einem Gesprächspartner. Er stellt dem Computer Fragen, respektiert sein Innenleben und die Arbeit die er verrichtet. Er tritt mit ihm in eine Art Symbiose die seine Stummheit aufhebt, da die Dialoge die er führt, auf anderen Ebenen stattfinden. [...] ein Detektivbüro[...], das von einem Stummen ins Leben gerufen worden war – aber diese Tatsache hatte Paul nicht im Mindesten gestört, da er sich für jene Art von Kommunikation sowieso nicht interessierte. [...] per Modem und Internet Daten austauschen können: Das war die Form von Kommunikation, für die er sich interessiert – und in deren Bann Maxx allmählich geriet.“157 Seine Symbiose mit der digitalen Maschine geht soweit, daß sich die Rollen fast vertauschen. „Ohne die Augen zu öffnen, aktivierte Maxx seine Hände [..] dann: den Anschaltknopf seines Computers finden. Kitten hatte er sie getauft [...]. Bewegliche Buchstaben ließ Maxx über den strahlenden Schirm gleiten, produzierte einen verletzbaren Text, der als anfälliger Fluß von Elektrizität existierte.“158 Der Leser ist sich nie ganz bewußt wer spricht, da die Grenze zwischen Mensch und Maschine sehr vage ist. Ohler läßt die verschiedenen audiovisuellen Medien nicht nur auf eigenartige Weise interagieren sondern verschmelzt sie sprachlich sogar untereinander und mit ihren Nutzern. 157 Ebd. S. 30 - 31 158 Ebd. S. 28 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 169 von 189 Der Autor sucht in seinen Dialogen und Beschreibungen die Annäherung an den besonderen Duktus der Computersprache. Der Text ist impulsiv und schnell verfaßt und oft mit spezifischen Begriffen aus dem damals ‘modernen’ Computerjargon versehen. Die Interpunktion und die Satzstellung sind eigenartig, bewirken Geschwindigkeit und Verwirrung. Oft resultiert dieser eigenartige Umgang mit der Sprache unklar für jene, die noch nie mit MS-DOS Befehlen in Kontakt getreten sind. Die erhöhte Aufnahme- und Assoziationsgeschwindigkeit, die Ohler seinen Lesern abverlangt, findet er erforderlich, da in der Online Version das Modem rauscht und der Gebührenzähler tickt. Mit dieser bizarren Schreibweise aber ist es ihm in seinem Roman gelungen, erstmals eine dem neuen Medium adäquaten Sprache zu schaffen. Die gesamte Struktur des Werkes, unabhängig davon, daß es in zweifacher Form dem Leser zur Verfügung steht, ist vom Medium Computer bedingt. Ständig vermischen sich Elemente klassischen Erzählstils und Cyberkultur. Ein allwissender Erzähler führt uns durch eine Welt, die aus Bildern besteht, die wir aus der Science Fiktion oder aus Videospielen kennen. Die Beschreibungen liegen irrealen Bildern näher als jenen, die man in der Natur existieren und wahrnehmen kann. Aktiviert sich die Phantasie des Lesers, um diesen eine Form zu geben, so muß dieser mit den Grundsätzen der Computertechnologie vertraut sein. Obwohl virtuelle Realität und Computeranimation Abkömmlinge dieser Literatur sind, steht jedoch an der Basis immer noch das Prinzip des Geschichtenerzählens. Jede der vorkommenden Figuren erzählt oder notiert eine Geschichte um jene Realität zurückzugewinnen, der er in der künstlichen Welt die er bewohnt beraubt wurde. Die Geschichte ist das Modell, nach dem Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 170 von 189 dann ein imaginärer Raum, der sich um die Achse des Nutzers159 dreht, erstellt und animiert wird. Ohler unternimmt den umgekehrten Weg indem er von der Virtualität zur Realität durch den Akt des Schreibens zurückfindet. Es geht eigentlich um nichts weiter als eine Illusion, die sich aber von der Ebene der Phantasie in die Ebene des errechneten und visuellen Raumes der „neuen“ Medien und Computers verwandelt hat und „sichtbar“ gemacht wird. Die nichtmimetische Literatur, die er schafft soll als Simulation funktionieren, die eine Nacherfahrung von Realität ermöglicht. Die Überschneidung der Kommunikationsebenen mit Textfragmente ständig erzeugt dem wechselnden neue Bezug Sinnkonstellationen, der die einzelnen auf ein hypnotisches „Rauschen“ der Textbedeutungen zielen. XIII 2. Eine neue Wirklichkeit: Cyberspace als neuer Erzählraum Ohler gelingt mit seinem Werk ein weiterer, historischer Schritt: der Eintritt in das digitale Bild. Dadurch gelangt man per Definition im Cyberspace und in der Virtual Reality. Digitalgenerierte Bilder, die einem reell erscheinen und die sich immer um die Achse des Nutzers drehen, umgeben beziehungsweise umschließen jene die sich dort wiederfinden. Die alltägliche Umwelt hat sich strukturell gewandelt und auch der Kontakt mit und zu der Außenwelt. Cyberspace wird zum Lebensraum. 159 Der Leser ist in diesem besonderen Werk kein einfacher Leser sondern ein Nutzer, der aktiv das Werk mitgestaltet indem er die Lesepfade selbst wählt und gen Gang der Geschichte selbst bestimmt. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 171 von 189 „[...] es trat: Cyberspace in Maxx Rutenbergs Leben: der kühle, relativ freie, da unablässig sich wandelnde Sauberraum der Computernetze. Eine ständig wachsende, Millionen umfassende Kommune, in der Maxx Möglichkeiten entdeckte, neu/anders zu leben, mit unsichtbaren Menschen vom Bildschirm aus ohne Kontrolle von außen Informationen auszutauschen – digitale Welten zu entwickeln, deren BewohnerInnen sich Charaktere entwerfen, die mehr mit einem selbst zu tun haben als die jahrzehntelang geformte sogenannte: eigene Persönlichlkeit.“160 Während die Identität und die menschlichen Eigenschaften des Individuums in Frage gestellt werden, erobern die Maschinen immer mehr lebendige Bedeutung. In ihnen zirkulieren Daten, Zeichen und Bilder, die diesem Leben Form geben. Die Welt, in der Ohler uns einführt, ist eine „Telepolis“161 die sich überall und nirgendwo befindet. Die „virtuelle Kommune namens ZOO YORK“162. Dies ist ein alter Menschheitstraum, das was Magie, Religion, Politik und Drogen immer wieder versprochen haben aber nie zu realisieren wußten: die Aufhebung und die Befreiung vom physischen-materiellen Körper und Raum, um sich in anderen möglichen Welten wiederzufinden und dort wirklich sein. Bisher verhalf dazu die Phantasie, heute wird diese Welt vom Computer 160 Ebd. S. 31 161 Der Begriff der Telepolis geht auf Florian Rötzer zurück. Es handelt sich um eine virtuelle Stadt, eine Fernstadt, die man online erreicht. Ohler transportiert das rein die Informationen betreffende Konzept in die Fiktion und verwandelt New York und den menschlichen Körper in einen solchen „Raum“. Rötzer, Florian „Die Telepolis. Urbanität im digitalen Zeitalter“, Bollmann, Köln, 1995. 162 Ebd. S. 31 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 172 von 189 errechnet. Es geht aber soweit, daß sogar Menschen errechnet werden, daher kann man Informationen über sie, nur in den Rechnern finden. Ohler paßt also das Konzept der Telepolis an den ‘Gegenstand’ Mensch an. Dazu schafft er „Lebensnetz“, eine Organisation, die Organe im Menschen austauscht, als wären es Versatzstücke. Hier tritt Ray ins Spiel, der aus solchen Stücken besteht und sobald er sich dessen bewußt wird, will er zu den Hintergründen kommen. Er beschließt also jenen Teil auszutauschen, das seine virtuelle Identität konstituiert und verwandelt sich in den digital kommunizierenden Maxx, der schreibend und surfend Rays beziehungsweise sein eigenes Leben rekonstruiert und erforscht. Der Erzählraum ist rein digital. Alle Vorgänge werden entweder gespeichert, aufgenommen oder ins weltweite Netz geschickt, erst dann formen sie eine Geschichte. „Ray schaute sich zweifelnd an, sagte: Ich hab eine Frau kennengelernt, die sieht mich als Geschichte, dabei will ich Person sein, und alles, was ihr dazu einfällt, ist: Du mußt dichter werden. Moment! Unterbrach ihn Agatha. Noch mal langsam. Du meinst also, du hast eine Frau getroffen, die dir sagt, du kannst erst Person sein, wenn du deine Geschichte kennst?! Wunderbar. Hoffentlich ist das alles auf Band. Ray blinkte in die Überwachungskamera, die über der Tür installiert war: Ein weiterer Moment meines Schicksals, der dokumentiert wird. Oder wird das rausgeschnitten?! Maxx betrachtete die Dateien auf Kittens Monitor. Die müssen raus! Raus und unter die Menschen. Der Augenblick der plötzlichen hervorbrechenden Geburt einer Entscheidung: Der stumme Detektiv beschließt, die Entstehung seiner Ray-Geschichte öffentlich zu machen. Beschließt, die Kapitel in den Sauberraum zu werfen, Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 173 von 189 die Kontrolle über sie abzugeben, um: Vielleicht mehr zu schaffen, vielleicht eine gemeinsame Geschichte. Er entscheidet, seine Aufzeichnungen als fließenden Text durchs Internetkursieren zu lassen, wo sie von Menschen, die bei einem digitalen Gang durchs Netz über sie stolpern, verändert werden, zerstückelt – oder in Ruhe gelassen: Vielleicht. Binnen kurzer Zeit würden von den Millionen von Internet-Benutzern zahllose zufällig auf die Kapitel stoßen, und so können unzählige Versionen daraus entstehen. Der Text würde reifen, verschiedene Perspektiven aufnehmen, sich an Leserinnen/Leser/Zeit angleichen, sich dabei von Maxx, dem Autoren, befreien: [...] Maxx war überzeugt: Um eine Geschichte zu konstruieren, die vital war, beweglich, flexibel, also [...] durfte er nicht mehr versuchen, alles selbst zu schaffen.“163 Das Programm des Romans steckt im Titel „Die Quotenmaschine“ und ist Ohlers Kunstformel für das Vorhaben seines Protagonisten. Unter dem Begriff ‘Quote’ kann vielerlei gemeint sein, wie zum Beispiel, was einem vom eigenen und das Leben anderer zusteht und da es sich um Menschengeschichten handelt, die von einer Maschine gesteuert und bis ins kleinste Detail gespeichert werden, ist die Quotenmaschine jene, die entscheidet wieviel einem gestattet ist, über sich selbst zu erfahren und auf welcher Ebene. Durch Publikation eigener, autobiografischer Texte im Netz und es zur Produktion von Fortsetzungen oder Reaktionen Daraus resultiert ein Hypertext, in dessen verzweigte Struktur Ray sein Selbst aufgibt und aus dieser Anonymität ein identitätsstiftender Prozeß initiiert werden soll. Der/die Andere im Cyberspace werden zum Spiegel mit einer gebrochenen Oberfläche. Nicht ein Bild zurückgibt, sondern eine ganze ‘Welt’ möglicher Perspektiven, von einer einzelnen Person eröffnet. 163 Ebd. S. 20, 51 – 52 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 174 von 189 „Währenddessen entstehen immer mehr Texte, rauschen und raschen durch die Leitungen. Die Geschichte kümmert sich nicht darum, daß der Detektiv Ruhe zum Atmen haben will. Sie schraubt sich in immer komplexere Höhen, weit und weiter vom Grund weg, und dort oben ist kein Sauerstoff, da ist: totale Freiheit und mehr, da ist alles außer Greifweite, da befreit sich die Geschichte von einem Rahmen nach dem anderen, ist nicht mehr zu bremsen, nicht mehr zu steuern, sie rast in Entropie, um irgendwann selbst in den nötigen Lärm des Fötusurbanrauschens einzugehen: zu nichtgreifbarer 164 narrativer Energie zu werden.“ Dies ist ein besonders ambitioniertes Projekt von Ohler. Im Buch wird die Suche nach der Wahrheit als Suche nach der wahren eigenen Geschichte zugleich zur Suche nach der richtigen Art, (noch) Geschichten zu erzählen. Der Roman weist eine enorme Komplexität von Schichten auf, die aber die verschiedenen Geschichten nicht verschluckt, sondern durch deren sukzessive Freilegung enthüllt. Dadurch versteht Ray sich selbst, und auch der Leser das Buch besser, je unübersichtlicher es sich darstellt. Zwar ist die Linearität der Erzählung ein verinnerlichter menschlicher Wahrnehmungsmodus geworden und der Verzicht darauf könnte zugleich ein Verzicht auf die Erzählgabe sein. Dies ist aber bei Norman Ohler keineswegs der Fall, denn er appelliert an die assoziative Denkweise, die den Menschen eigen ist und verfaßt nach diesem Prinzip sein Werk. Er stellt damit allerdings besondere Anforderungen an Interpreten und Interpretation, denn durch den hier vollzogenen Bruch mit der Linearität, werden nicht nur eine Reihe unterschiedlicher Lesarten ermöglicht. Es wird zusätzlich auch der kreative Umgang der Leser/Navigatoren mit dem 164 Ebd. S. 285 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 175 von 189 Text gefordert165. Der Leser muß sich zwar in der gedruckten sowie in der Online Version die einzelne Teile „zusammenkleistern“, wird aber vom Autor und der eigenen Vorstellungskraft immer durch verschiedene Orientierungspunkte, durch das Werk geführt. Der Text trat als elektronisch publizierter Text in konventioneller (Fließtext, linearer Text) oder avantgardistischer (Hypertext, multimediale Literatur) Form auf. Er kursierte ab 1995 weltweit als erster Online-Roman im Netz. Der Leser konnte anhand von Links aktiv am Geschehen teilnehmen und wird somit zentrifugal in die Geschichte miteinbezogen. Ohler gelingt es, in der OnlineVersion seines Werkes, real existierende Menschen miteinzubeziehen und an der Geschichte mitwirken zu lassen. Ohlers Projekt war die Kreation eines Endlos-Textes, das aber an der geschlossenen Form des Buches notwendig scheitern mußte. Da die geschlossene Form ein zumindest formelles Ende erfordert. Das Buch von Norman Ohler ist aber nicht wie andere Romane, die ein Ende und einen Anfang haben und zwischendrin eine Geschichte erzählen. Wie schon erwähnt stellte Norman Ohler sein Debüt „Die Quotenmaschine“ im Internet aus. Durch die Verknüpfung des Textes mit Querverweisen wie aus dem Lexikon wird dieser dann nicht mehr vom Anfang zum Ende gelesen, sondern von Mosaikstein zu Mosaikstein, von der persönlichen Neugier geleitet. Somit hat er für die deutsche (Netz)Literatur eine neue Form der Interaktion geschaffen. 165 ein bei Literatur im WWW häufig eingesetztes „Mittel“ Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner XIV Seite 176 von 189 Schlußbemerkung Ziel dieser Arbeit war es, den Einfluß der audiovisuellen und digitalen Medien auf den neuen Roman zu untersuchen. Ausgehend von der allgemeinen Krise, die seit der Jahrhundertwende (19. – 20. Jahrhundert) einsetzte, wurden die verschiedenen Mutationen und Entwicklungen der Literatur sowie der Relationen zwischen letzterer und den verschiedenen Medien herausgearbeitet. Darüber hinaus wurde auch auf die veränderten Rollen von Autor und Leser eingegangen. Es wurde die Vermutung aufgestellt, daß die Rolle des Autors sich geändert hat. Es werden von ihm neue Fähigkeiten abverlangt, die manchmal über die des einfachen Schreibaktes hinausragen. Für die Rolle des Lesers wurde hingegen angenommen, seine Position hätte sich, gegenüber Text und Autor, gestärkt. Nur seine aktive Mitarbeit am Text, kommt das Werk zu seiner vollen Realisation. Die Ergebnisse sollen nun in Kurzem zusammengefaßt werden. Um die Bedeutung der neuen Medien für den Kulturbetrieb herauszuarbeiten, wurde von den Veränderungen, denen die Literatur, seit der Jahrhundertwende (19. – 20. Jahrhundert), ausgesetzt wurde kurz herauszuarbeiten. Dabei treten vielerlei Faktoren mit ins Spiel, wie zum Beispiel, die technikgeschichtliche Umstellung des Buchdrucks im Zeitalter der digitalen Medien, bis hin zu den letzten digitalen Entwicklungen auf dem literarischen Feld. Es wurde eine Parallele zwischen der Revolution des Buchdrucks und der Revolution der Digitalisierung gezogen. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 177 von 189 Es wurden allgemeine Grundlagen zur Funktionalität der neuen Medien und zu Hypertexten gelegt. Außer der Definition von Begriffen wurden Anwendungsmöglichkeiten näher beschrieben und wie diese mit literarischen Texten zusammenwirken können. Ich mich auf vier Werke beschränkt, die inhaltlich untereinander keineswegs in Verbindung zu bringen sind. Allen vier ist aber gemeinsam, daß sie von den neuen Medien grundlegend beeinflußt sind und diese darin eine wichtigen, sogar tragende Rolle spielen. Es wurde eine Neubestimmung der Literatur in technisch aufgerüsteten Zeiten festgestellt und Reaktionen auf diese Veränderung aufgezeigt. Jedes dieser Werke und der Autor sowie die Leser selbst sind auf unterschiedliche Weise von den neuem Medien und Technologien geprägt. Inhalt, Form und Themenbereiche, sowie Struktur und Sprache haben eine neue Richtung, die der modernen medienbedingten Welt gerechter ist, eingeschlagen. Es haben sich dabei spannende Experimentfelder für innovative Künstler eröffnet. Es entstehen dabei neue Kunstformen und neue intermediale Relationen, die in der jüngsten Entwicklung der Literatur, der Netzliteratur, zum Ausdruck der neuen Informationsgesellschaft werden können. Die damit verbundenen Auswirkungen auf Literatur und auf die Denkprozesse oder Rezeptionsweisen können enorm sein. Der Leser muß sich zu diesen Werken mit dem nötigen Hintergrundwissen ‘Zugang verschaffen’, sonst bleiben ihm die meisten Texte unzugänglich und nichtsaussagend. Dieser Herausforderung wollen sich auch viele Literaturwissenschaften nicht stellen, da auch zu diesem neuen Feld noch weniger Sekundär- als Primärliteratur und das dazugehörige Vokabular, existiert. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 178 von 189 Ein Blick in die Mediengeschichte zeigt, daß ein neues Medium ein älteres vollständig verdrängt hat. Es entsteht vielmehr eine Art Wechselbeziehung oder Verlagerung der Interessen statt. Dasselbe kann man für die Literatur behaupten, die auf soziale, geschichtliche und technische Umstellungen immer schon sehr sensibel reagiert hat. Das was dabei entsteht, ist eine Verlagerung der Themenbereiche, ein Stilwandel und eine Anpassung an die Bedürfnisse der modernen Informationsgesellschaft. Abschließend kann man behaupten, daß es in den literarischen Entwicklung, radikale Umstellungen und Revolutionen gegeben hat und immer wieder gibt, wie sie in der Geschichte der Menschheit immer wieder vorkommen. Die Effekte dieser sind breit und umfassend, deshalb wird das neue Potential, daß die Entwicklungen des literarischen Feldes mit sich bringen, erst in Zukunft voll auswertbar sein. Trento, Dresden, Vintl, 2002 Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner XV Seite 179 von 189 Bibliographie Primärliteratur: § Haslinger, Josef: Das Vaterspiel, Fischer, Frankfurt am Main, 2000. § Kron, Norbert: Autopilot, Hanser, München, 2002. § Ohler, Norman: Die Quotenmaschine, Rohwolt, Hamburg, 1998. § Stuckrad-Barre, Benjamin von: Blackbox, Kiepenheuer &Witsch, Köln, 2000. Sekundärliteratur: § Adorno, Theodor W.: Form und Gehalt des zeitgenössischen Romans, in: Höllerer, Walter, Bender, Hans (Hrsg.): „Zur Problematik von Roman, Drama und Lyrik im 20. Jahrhundert“. 1. 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Nachschlagewerke: § Brockhaus - Die Enzyklopädie: in 24 Bänden. 20., neu bearbeitete Auflage. Leipzig, Mannheim: F.A. Brockhaus 1996-99. Unsere OnlineAusgabe enthält aktualisierte Artikel aus der Brockhaus-Redaktion. § Kompakt Brockhaus Multimedial, CD-Rom, Bibliographische Istitut & F.A. Brockhaus AG, Mannheim, 1996. Es wurden folgende Internetseiten konsultiert: § http://berlinerzimmer.de § http://www.42erautoren.de/neu/frameset.htm § http://www.biblint.de/sitemap.html § http://www.blob.rai.it/notesapp/blob/homeblob.nsf Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 183 von 189 § http://www.carpe.com § http://www.computerlexikon.com/ § http://www.hainholz.de/wortlaut/stuckra1.htm § http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/inhalt/on /8997/1.html&words=Intermedialit%E4t%20Literatur § http://www.inst.at/trans/rosenauer.htm § http://www.kunstdirekt.net/Symbole/start.htm § http://www.langenscheidt.aol.de/ § http://www.lili.unibielefeld.de/~lili_lab/home/forschung/projekte/tide/inter.htm § http://www.literatur-fast-pur.de/toms_rezis.html § http://www.literaturkritik.de § http://www.literaturwelt.de/buch/t_haslinger_josef_vaterspiel_diad.html § http://www.nzz.ch/ § http://www.p0es1s.com/ § http://www.stuckradbarre.de/ § http://www.texteratur.de/index2.htm § http://www.tom-liehr.de/ § http://www.u-lit.de/rezension/blackbox.html § http://www.u-lit.de/rezension/rezensionstart.html § http://www.welt.de/daten/1996/05/07/0507ku102081.htx?search=Ohler&s earchHILI=1 § http://www.welt.de/daten/2000/08/26/0826lw187487.htx § http://www.wildpark.com/quotenmaschine/online/dan.htm § http://www.wortlaut.de § http://www.xipolis.net/ Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner XVI Seite 184 von 189 Anhang Begriffserklärung: 2 Aufbau des barocken Emblems 2 Bit: [Abk. von engl. binary digit „Binärstelle“] das, Technik: kleinste Informationseinheit im binären Zahlensystem, Maßeinheit für den Informationsgehalt 2 Byte: Technik: zusammengehörige Folge von 8 Bits, kleinste adressierbare Einheit 2 Cyberspace/Virtual Reality: der; -,-s aus ‘cybernetics’ (Kybernetik) und ‘space’ (Raum) gebildetes Wort: computererzeugte künstlich-virtuelle Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 185 von 189 Welt, die mit geeigneter Ausrüstung dreidimensional erlebt wird und dem Betrachter beziehungsweise Anwender reell erscheint (zum Beispiel bei Computerspielen, Flugsimulatoren etc.). Mit diesem Begriff (Cybernetic Space) wird eine vom Computer erschaffene, künstliche Welt bezeichnet, die vom Benutzer mit einem Computer besucht werden kann. 2 Emblematik Ein Emblem ist dreiteilig aufgebaut. Es besteht aus einem Bild oder pictura166. Über diesem Bild befindet sich normalerweise eine Überschrift (Inscriptio), die entweder eine dem Bilde abgeleitete Devise angibt, oder ein Postulat als Kommentar und Überlegung zum Bild angibt. Unter dem Bild findet man die Subscriptio, die das Dargestellte erklärt und daraus eine Lebensweisheit oder eine Verhaltensregel ableitet. Darstellungen emblematischer Picturae stellten immer rätselhafte, geheimnisvolle Zeichen dar, die nur durch die Deutung durch Worte verständlich wurden. 166 auch Icon, Imago oder Symbolon genannt Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner 2 Seite 186 von 189 Hyperlink: die Verweise in einem Hypertext oder in Hypermedia auf andere Textstellen, Medien oder Dokumente werden als "Hyperlinks" oder kurz "Links" ("Verbindungen") bezeichnet. 2 Hypertext: mit Hypertext bezeichnet man die elektronische Version der gedruckten Seite, die inhaltlich und gestalterisch dem Medium Computer entspricht. Dokumente, die viele Verweise zu anderen Dateien enthalten kann, ein „querverweisender Text“ also 2 Icon: ein "icon" (Ursprung: Ikone) ist ein kleines Symbol, mit dem unter grafischen Benutzeroberflächen wie Windows Programme gestartet oder Befehle erteilt werden können. Ikon: das; -s,-s 1. stilisierte Abbildung eines Gegenstandes 2. (EDV) verschiedene Funktionen und Peripheriegeräte bezeichnende Symbole bei Betriebssystemen mit grafischer Benutzeroberfläche 2 Ikonographie: (griech. eikonographia – „Abbildung“, „Darstellung“) Verbildlichung der Welt und einer schriftlichen Quelle. Im Mittelalter zur Verdeutlichung der Texte. Wissenschaft der Bestimmung antiker Portraitdarstellung in der Kunstwissenschaft. Seit dem 19. Jahrhundert die zunächst deskriptive Erfassung und Klassifizierung der religiösen, mythologischen Darstellung, bald erweitert zur Erforschung der Bildinhalte im Gegensatz zur Form- und Stilgeschichte. 2 Interface ein Interface ist jegliche Art von Oberfläche (z.B. von Programmen zur Bedienung derselben). Interne Querverweise in einem Text ermöglichen es, ohne den gesamten Text lesen zu müssen, schnell zu weiteren Informationen zu verzweigen und wieder zum Ausgangspunkt zurück zu gelangen. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner 2 Seite 187 von 189 Link: ist die oft gebrauchte Kurzform für Hyperlink Mit diesem Begriff (Cybernetic Space) wird eine vom Computer erschaffene, künstliche Welt bezeichnet, die vom Benutzer mit einem Computer besucht werden kann. 2 MS-DOS: Abkürzung für Microsoft Disk Operating System, weitverbreitetes Betriebssystem für „IBM-kompatible“ Personalcomputer. 2 Zapping: planloses und meist zufälliges Schalten zwischen verschiedenen Sendern 2 E-Mail: kurz für electronic mail, über ein Netz von Computer zu Computer geschickte Nachricht Als „E-Mail“ („elektronische Post“) werden ganz allgemein adressierte Nachrichten bezeichnet, die auf elektronischem Wege über lokale oder globale Netzwerke erschickt werden. Neben Texten können auch beliebige andere Dateien - Bilder, Grafiken, Video- oder Sounddateien, Programme usw. - verschickt werden. Wesentlicher Vorteil einer E-Mail gegenüber der normalen Post (oft als „snail mail“, „Schneckenpost“ verspottet), ist ihre Geschwindigkeit: Innerhalb weniger Sekunden oder Minuten kann eine Nachricht von Europa nach Amerika oder Asien gelangen. 2 elektronische Diskussionsforen: spontan gegründete Diskussionsforen, bei denen Nutzer unabhängig von Zeit und Raum gemeinsam über ausgewählte Themen international Meinungen austauschen. Eine Besonderheit sind moderierte Diskussionsforen, bei denen die Nachrichten nicht direkt an die Liste, sondern zuerst an einen Moderator geschickt werden. Dieser wählt dann die Beiträge aus, die inhaltlich dem Diskussionsforum angemessen sind. Störende Nachrichten werden in Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Anna Rabensteiner Seite 188 von 189 einem zensurähnlichem Akt herausgefiltert, damit der Fokus der Diskussion bestehen bleibt. Diskussionsforen ermöglichen es, Individuen, ihre Meinung oder Nachricht auf einfache Art und Weise an ein größeres Publikum zu kommunizieren. Das Publikum hat bewußt das Diskussionsforum gewählt und ist am Thema interessiert. Dies unterscheidet elektronische Diskussionsforen von traditionellen Medien. 2 Internet Relay Chats: erinnern stark an direkte zwischen menschliche Kommunikation, da die Telnehmer zeitgleich miteinander verbunden sind und sofort auf Botschaften reagieren können. Dabei ist nur die räumliche Begrenzung aufgehoben, da die Teilnehmer immer zur gleichen Zeit anwesend und miteinander verbunden sein müssen. Trotzdem entwickelt sich ein intimeres Verhältnis zwischen den Teilnehmern, wie auch ein bestimmter Code aus Zeichen, Symbole und Kürzel. Auch die Anonymität kann aber bewahrt bleiben und nur eine elektronische Persönlichkeit gezeigt werden. 2 Multiple User Dungeons (MUD): Das schaffen einer elektronischen Persönlichkeit ist das Prinzip auf das sie MUDs bauen. Es handelt sich hierbei um Rollenspiele, bei denen die Spieler selbst Phantasiegeschöpfe kreieren und mit diesen im sozialen Gefüge der MUDs mit anderen Teilnehmern schriftlich interagieren. Diese Welt entsteht in der Phantasie des Spielers. Mud-Spieler besitzen einen überdurchschnittlichen hohem Bildungsgrad. Im Gegensatz zu Computerspielen stellen MUDs künstliche Welten dar, die über ein dauerhaftes soziales Gefüge verfügen, in dem gesellschaftliche Phänomene wie Gewalt oder intime Beziehungen sich unter den Spielern manifestieren. Università degli Studi di Trento Doppia Laurea Anno Accademico 2001/2002 Anna Rabensteiner Technische Universität Dresden Doppeldiplom Studienjahr 2001/2002 Seite 189 von 189 Im Extremfall entsteht bei MUDs, durch die Imagination der Spieler und hervorgerufen durch die Computerreize der Virual Reality, eine Bewußtseinsveränderung. Das Handeln wird durch schriftliche Befehle ersetzt und die Grenze zwischen realer Umgebung und Virtual Reality verschwimmt immer mehr.