PDF - Globetrotter
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Beim Kreuzen mit einem Road Train gilt das Gesetz des Stärkeren Cape Tribulation: Wo sich Regenwald und Küste begegnen Aborigine-Mischlings-Mädchen in Mareeba Milaa Milaa Falls auf dem Atherton Tableland, der Wasserscheide Australiens 54 100 TAGE DOWN UNDER STATIONEN EINER AUSTR ALIEN-REISE ENTL ANG DER OSTKÜSTE UND DURCHS NÖRDLICHE OUTBACK BIS INS ROTE HER Z DES KONTINENTS Bilder und Text von Stefan Pfander Die Unterwasserwelt des Great Barrier Reef, das Outback mit seinem unvorstellbar weiten Horizont, eine einzigartige Tierwelt, aber ebenso der lockere und auf «no worries» eingependelte Lebensstil der Aussies prägen unsere Vorstellungs- und Erwartungswelt von Australien und verleihen dem fünften Kontinent bis heute die Aura eines Reiseziels, von dem sich Traveller jeden Genres noch Entdeckungen, überraschende Erfahrungen und gleichzeitig auch «sun and fun» versprechen dürfen. Mit neuen Bildern und taufrischen, aus der Lust aufs Erleben geborenen Eindrücken ist Fotograf Stefan Pfander vor wenigen Wochen von einer gut dreimonatigen Reise aus «Down under» zurückgekehrt. Fürs Globetrotter-Magazin beschreibt er Impressionen und Schauplätze der beiden Reiseetappen entlang der Ostküste von Brisbane nach Cooktown und von der touristischen Boomtown Cairns zum Uluru (Ayers Rock), dem heiligen Berg der Aborigines. Zu Fabelwesen erodierte und flechtenbedeckte Granitkolosse: die Remarkable Rocks auf Kangaroo Island, südlich von Adelaide. 55 N ach der seidenweichen Landung in Brisbane, Hauptstadt des «Sunshine State» Queensland, kommt’s knüppelhart. Erschöpft von der langen Flugreise und dem fast zweistündigen Anstehen in der schier endlosen Warteschlange, stehe ich endlich am Schalter der (Gr)Immigration. Strenge Auflagen und Kontrollen der Agrarbehörde sollen gewährleisten, dass nicht irgendwelche Krankheitserreger in Lebensmitteln oder in Reiseutensilien eingeschleppt werden. Ein Sicherheitsbeamter zirkuliert mit einem Hund, der die Touristen beschnüffelt. Im Gepäck habe ich getrocknete Bananen, vakuumverpackt, unterwegs in Bangkok erstanden. «This food is not welcome in Australia – very dangerous», sagt der Beamte barsch. Das hatte ich schon geahnt. «I feel like one of these bananas», antworte ich schachmatt und fühle mich in diesem Moment nicht wie ein hoch willkommener Tourist, sondern eher wie ein Sträfling vor dem Verhörrichter. Fast scheint es, als wollte man sich hier so authentisch wie möglich alter Tage erinnern: Sir Thomas Brisbane errichtete 1824 eine britische Strafkolonie und begründete damit die heutige Millionenstadt Brisbane. «Wir können diese Bananen gegen Gebühr einlagern und bei der Ausreise aus Australien wieder aushändigen, oder wir können sie auf unsere Kosten vernichten», informiert mich der Beamte weiter. Ich entscheide mich für die Vernichtung auf Staatskosten, um dem nächsten Opfer seine Warterei nicht unnötig zu verlängern. Jetzt wird noch das Gepäck zerzaust. Ah, ein Zelt – und daran Spuren von Gras und Erde! «Very dangerous!» konstatiert mein Gegenüber. Jetzt ist amtliches Sprayen angesagt. No worries! Gelassen genehmige ich mir einen Kaffee «flat white» und stecke meinen Kopf erstmals seit 20 Jahren wieder in eine australische Zeitung. Dann rufe ich jene Firma an, die auf alte, zu Campern umfunktionierte, bunt bemalte Lieferwagen spezialisiert ist. Autos, die zumeist 200 000 km auf dem Zähler haben, dafür kostengünstig zu mieten sind. Per Zug geht’s bequem direkt vom Flughafen ins Zentrum. Nach wenigen Gehminuten stehe ich am Schalter: «Good day!» Die Mitarbeite56 rin murmelt etwas zurück und vergräbt ihr Gesicht in Papieren, nimmt mich am ehesten wahr durch den Schatten, den mein Körper auf ihren Papierkram wirft. Nach einer Weile fragt sie, ob ich mein 22. Altersjahr bereits zurückgelegt habe. Ich überlege, ob sie scherzt, als sie mir ohne aufzublicken die Frage ein zweites Mal stellt. Ich strecke ihr meinen Führerausweis von 1980 entgegen. Immer mit der Ruhe: Schläfriger Koalabär im Daisy Hill Koala Park Goldküste mit Haien, Koalas und Wolkenkratzern Stefan Pfanders Reiseetappen via Ostküste und Outback bis ins «Rote Zentrum» Am berühmten Strand von Surfers Paradise, Gold Coast Tropischer Dschungel in der Mossman Gorge Dass Brisbane inzwischen zur drittgrössten Stadt des Landes herangewachsen ist, ist spürbar. Der Motorway wird immer breiter – zwei, drei, vier Spuren in beiden Richtungen. Der Verkehr rollt Richtung Gold Coast, der beliebtesten Ferienregion des Landes. Von der Strasse geht ein Druck aus. Von beschaulichem Spazierfahren keine Spur. Ach, du Schreck: Zu spät erkenne ich, dass ich die Spur hätte wechseln müssen. Das zwingt mich, die nächste Ausfahrt zu nehmen. Aber das erweist sich als glückliche Fügung. Denn da ist auch schon ein Schild mit Hinweis auf den Daisy Hill Koala Park. Ich lege die wenigen Kilometer dorthin zurück. Ein schläfriges Koala in einer Astgabel im Besucherzentrum bietet einen niedlichen Anblick. Draussen im Park schaue ich ins Geäst der Eukalyptus-Bäume. Tatsächlich döst hoch oben in einer Astgabel ein weiterer «Teddybär» vor sich hin. Teleobjektiv montiert! Als wollte er mir einen Gefallen tun, öffnet der Koala genau jetzt seine kleinen runden Augen, lächelt mich freundlich an und setzt sein Schläfchen fort. Weiter gehts der Gold Coast entgegen – ein 40 Kilometer langer, mit herrlichen Stränden gesegneter Küstenstreifen. Als ich spätabends im berühmten Surfers Paradise eintreffe, parkiere ich direkt an der Beachfront und richte mich in meinem kleinen rollenden Zuhause erst mal ein. Zwischendurch wird es laut: Aussies, die von den Pubs mit Gegröle (Männer) und Gekreische (Frauen) ihren Feriensilos zuwanken. In Surfers Paradise reihen sich die Hochhäuser dicht an dicht. Keine Büroburgen, nein, Ferienappartments! Nicht vorbeisehen in diesem Konzentrat menschlicher Termitenbauten kann man an einem schlanken Glaspalast namens «Q1» – das höchste Wohngebäude der Welt: Q1 hat 80 Stockwerke, ist stolze 322 Meter hoch und enthält 526 Wohnungen! 300 Sonnentage pro Jahr und ein absolut ideales subtropisches Klima lassen jährlich 3,5 Millionen Ferienmenschen an die Gold Coast pilgern. Klar, dass bei einem solchen Potential auch grosse Vergnügungszentren wie «Dreamworld», «Movie World», «Wet and Wild» und «Sea World» zum Freizeitangebot gehören. Da meine Reise eben erst begonnen hat, denke ich noch nicht ans Budget und statte letzterem Park eine Visite ab, konzentriere mich dabei auf die Becken mit den Delphinen und Haien. Während die Bottlenose-Delphine die Herzen von Erwachsenen und Kindern schmelzen lassen, ist man sich seiner Gefühle gegenüber den Haien, die am Unterwasserschaufenster lautlos vorbeidefilieren, weniger sicher, besonders wenn sich der Moment bietet, einem dieser Räuber kurz in den Rachen zu blicken. Mein Ziel ist Cairns. Die Strecke von 1691 km muss ich innerhalb von vier Tagen hinter mich bringen, denn in Cairns wartet ein Kreuzfahrt-Katamaran auf mich. Kilometerstand meines Mietfahrzeuges: 249 978 km. Kurz nach Mittag, als der Verkehr nicht abschwellen will, steuere auch ich meinen mit schrägen Gesichtern popig bemalten Kia ins Verkehrsgewühl. Der Bruce Highway, die SüdNord-Hauptverbindung an der Ostküste, verläuft nicht direkt der buchtenreichen und von Mangrovensümpfen durchzogenen Küstenlinie entlang, sondern meistens 25–50 km versetzt im flachen, bis zu 150 km breiten Landgürtel, dessen westliche Begrenzung die Great Dividing Range ist. Dieses ostaustralische Hochland erstreckt sich über 3200 km entlang der Pazifikküste. Dieses von Waldbeständen und Agrarzonen geprägte, einmal hügliger und einmal gebirgiger ausgeformte Hinterland bildet die kontinentale Wasserscheide und den Übergang ins australische Outback, das «Rote Zentrum». Das «Red Center», das je nach topographischen und klimatischen Gegebenheiten aus riesigen Einöden, ausgetrockneten Salzseen, aus endlosem Gras- und Busch- land und im Norden vorwiegend aus einer von Eukalyptusbeständen geprägten Savannenlandschaft besteht, macht rund drei Viertel der gesamten Landmasse des Kontinents aus. Per Katamaran durchs Grosse Barriere-Riff Ich lasse die berühmte Sandinsel Fraser Island rechts liegen – natürlich mit leiser Reue – und fahre weiter. Dem Dreamtime Cultural Center in Rockhampton, geführt von Aborigines, hätte ich gerne einen Besuch abgestattet. Aber das hat heute geschlossen. Ankunft in Mc Kay. Unversehrte und industriell genutzte Natur stehen auch hier in scharfem Kontrast zueinander. Die Küstenebene, die nach Norden hin schmaler wird, ist sehr fruchtbar und wird landwirtschaftlich intensiv genutzt. Die Region von Mc Kay mit ihren von weither sichtbaren Zuckermühlen produziert rund einen Drittel des australischen Zuckers, der von hier aus nach Europa und Asien verschifft wird. Eine knapp einstündige Fahrt führt mich landeinwärts in den Eungella National Park, der sich rühmt, eines der grössten Schutzgebiete der Wet Tropics zu bilden. Von Shute Harbour aus verkehrt die Fähre an die Whitehaven Beach – und lockt Tagesausflügler in Scharen. Als Naturliebhaber und RucksackTourist kann man sich hier auch mit Wasser und Nahrungsmitteln auf kleinen Inseln aussetzen lassen und für ein paar Tage ein Robinson-Leben führen. Diese Idee ist für ein andermal vorgemerkt. Ich suche das Büro von Air Whitsunday auf und sichere mir einen Platz für einen Fotografier-Flug übers grosse Barrier-Riff am Nachmittag. Die Zeit überbrücke ich mit einem Besuch von Vic Bishop’s Great White Shark & Whale Expo in Airlie Beach. Die Ausstellung und die Filmvorführungen sind vortrefflich dazu geeignet, das Bild des Weissen Hais als blutrünstige Bestie zu zementieren. Andererseits gibt es auch die Tendenz, dass die Gefahr, die von diesen Räubern der Meere für den Menschen ausgeht, aus Angst vor touristischen Einbussen verharmlost wird. Die Liste der beim Schwimmen, Surfen und Tauchen Verschollenen ist lang. Abenddämmerung an der Gold Coast: Blick vom Q1-Tower in Surfers Paradise nach Süden. 57 Wildgänse im Hasties Swamp, Atherton Tableland Ausblick vom Cook Look auf Lizard Island im Great Barrier Reef Two Island: Meeresbiologe und Guide Paul zeigt uns eine Meeresschildkröte Auf der Coral Princess II: Ankerung für einen Tauchgang am Ribbon Reef 58 In Cairns bleiben mir nur ein paar Stunden, um meine Sachen für die vorgebuchte 4-tägige Katamaran-Kreuzfahrt zu packen. Kurz vor Sonnenuntergang steuert Captain Micha das stilvolle Schiff nordwärts. Wir 20 Passagiere werden auf dem Oberdeck bei Sekt und einem anschliessenden Safety Briefing miteinander und mit der Crew bekannt gemacht. Während des Seafood Dinners ankert die «Coral Princess II» vor Double Island, um danach über Nacht Cooktown anzusteuern. Wo heute Cooktown liegt, landete Captain James Cook mit seiner rund 90-köpfigen Besatzung im August 1770, nachdem seine «Endeavour» auf ein Riff aufgelaufen und schwer beschädigt worden war. Die Begegnung zwischen den englischen Ankömmlingen und den eingeborenen Bewohnern der Bucht war zunächst abtastender Art, ging aber wegen gegenseitiger Missverständnisse in Misstrauen und Feindseligkeit über. Doch erst mit dem Goldrush setzten rund 100 Jahre nach Cook auch hier im Norden Australiens dramatisch wilde und gesetzlose Zeiten ein. Die australische Urbevölkerung wurde regelrecht überfahren. Ankerketten rasseln. Wir erreichen Two Islands auf dem Great Barrier Reef. Hier bietet sich eine erste Gelegenheit zum Schwimmen und Schnorcheln. Die Truppe bevorzugt es aber, sich Paul anzuschliessen und die kleine Sandinsel zu Fuss zu umrunden. Paul fischt Seegurken aus dem Wasser. Wenig später hechtet unser «Trip director» nach einer Schildkröte und präsentiert sie uns stolz. Weiterfahrt nach Lizard Island. 06:30 Uhr am nächsten Morgen: Paul führt mich und weitere drei Gäste auf die höchste Erhebung der Insel, den Cooks Look auf 359 Metern. Hier hielt Captain Cook Ausschau nach einer Durchfahrt durchs Barrier Reef ins offene Meer. Während des Aufstiegs finden wir wilde Passionsfrüchte und lassen sie uns schmecken. Später folgt Karens Tauch-Einführungskurs. Cairns – ein Touristenparadies Korallenwunder Great Barrier Reef: Das Heart Reef vor den Whitsundays, aus dem Flugzeug fotografiert. Cairns ist nicht ein Ort, an dem es in historischer Hinsicht viel zu besichtigen gäbe. Es ist eine weltoffene Boomtown, in der fast jeder Dollar im Tourismus um59 gesetzt wird. Alle Besucher hier verbindet ein gemeinsames Bedürfnis: Sie wollen geniessen, abschalten, erleben. Die Probleme der Welt bleiben ausgeblendet. Die Atmosphäre ist fröhlich, international, entspannt. Ein bunter Generationenmix bevölkert die Esplanade. Sprachen aus aller Welt dringen an mein Ohr. Südlich und nördlich von Cairns gibt es so viele Traumstrände, dass Cairns auf einen eigenen ganz gut verzichten kann An Samstagen wird die Szene belebt mit einem vielseitigen kunsthandwerklichen Markt. Cairns ist eine Stadt – und doch wie ein Dorf: Vom Internet-Cafe, wo ich meine e-mails checke, zu Sinbad’s Café, wo ich mir meinen Frühstückskaffee genehmige, sind es zwei Gehminuten. Jono’s Blues Bar, wo Entertainer Terry mit seinem Sohn Jake rockt und Frösche um die Wette rennen lässt, ist gleich um die Ecke. Bezüglich Reisebüros, Backpackerunterkünfte und Restaurants mit gepflegter Küche hat man in Cairns die Qual der Wahl. Abends füllen sich die Bars und Musiklokale, aber auch genüssliches Shopping ist dank den Ständen im Night Market & Food Court an der Esplanade angesagt. Wer Vitamine braucht, sieht sich in Rusty’s Market mit seinem riesigen Gemüse- und Früchteangebot um. Der touristische Boom erklärt sich durch die geographische Lage von Cairns: Das Atherton Tableland, wie hier die kontinentale Wasserscheide genannt wird, reicht bis dicht an die Küste heran. Auch das Great Barrier Reef, nicht zu Unrecht als achtes Weltwunder bezeichnet, ist dem Festland nirgendwo näher als hier im Norden von Queensland. Ein Ausflug aufs Barrier Reef gehört zum Pflichtprogramm eines Australien-Besuches. Cairns oder das etwas nördlicher gelegene Port Douglas bieten sich als ideale Ausgangspunkte für Ausflüge aufs Riff an. Green Island, ein direkt auf dem Riff gelegener Inselwinzling knappe 30 Kilometer nordöstlich von Cairns, ist ein beliebtes Tagesausflugsziel mit herrlichen Tauch- und Schnorchelrevieren und makellosen Stränden. Ein Muss – wenn es nach der Werbung geht – ist eine Fahrt mit der historischen Eisenbahn von Cairns nach Kuranda. Dieses 34 Kilometer lange Pionierwerk windet sich kurvenreich durch tropischen Regenwald und führt dabei über 40 Brücken und durch 60 Mark Culleton mit seinem Adler «Stella» Outback-Landschaft mit Termitenburgen bei Undara Pelikane an der Esplanade von Cairns Eines der gefürchteten «Salties», Normanton River In vielen «Flüssen», wie diesem am Savannah Highway in der Nähe von Croydon, gibt’s während Monaten kein fliessendes Wasser. 15 Tunnel. Bei den berühmten Barron Falls gibt’s einen Fotostopp. Allerdings: Auf die Postkartenansichten dieser Wasserfälle darf man sich nicht zu sehr verlassen: Als ich die BarronFälle erreiche, gähnt vor meinen Augen ein gewaltiger Felssockel, über den harmlos ein bisschen Wasser herunterstürzt. Traumstrände und Krokodile Höchste Zeit, um weiterzukommen. Mein Ziel, Cape Tribulation, ist 150 km nordwärts. Ein Katzensprung also. Ich benötige jedoch zwei Tage, denn die Bilderbuchstrände entlang des Wegs haben es mir und meiner Kamera angetan. Dass sie relativ menschenleer sind, hat seine Gründe. Denn im nördlichen Queensland hat das Baden im Meer seine Tücken. Die berüchtigten «Salties», Salzwasser-Krokodile, leben in Flussläufen und -mündungen und während der Sommermonate, zwischen November und April, sind vor den Küsten Nordaustraliens auch Quallen anzutreffen. Eine Berührung mit den bis zu drei Meter langen, unter Wasser kaum sichtbaren Tentakeln der Würfelqualle (Box Jelly Fish) ist extrem schmerzhaft und kann tödlich sein, sei es durch Herzstillstand oder Krämpfe, die das Opfer ertrinken lassen. An den Stränden sind entsprechende Warnschilder platziert. Gefahrloses Baden ist während der Sommermonate, die unserem Winter entsprechen, nur an Strandpartien möglich, die mit «Stinger»-Netzen gesichert sind. Der Tribulation Beach, Teil des Daintree Nationalparks, ist ein paradiesisches Stück Natur, die Krönung der Fahrt. Bei einem Augenschein wird jedem klar, weshalb diese Region von der Unesco zum World Heritage Park ernannt wurde. Tropischer Urwald stösst hier direkt an den naturbelassenen Sandstrand mit vorgelagertem Riff. Touristen sind keine zu sehen. Ich miete einen Standplatz mit Stromanschluss im Camper Park von «PK’s Jungle Village», um meinen Laptop wieder aufladen zu können. Die Küche meiner mobilen Behausung habe ich bis auf ein paar Mal Kaffeekochen noch nie gebraucht. Campieren ist eine grosse Leidenschaft der Aussies. Als Fotograf fehlt mir einfach die Zeit dazu. PK’s ist Treffpunkt für Globetrotter, Studenten und Junggebliebene. Täglich gibt’s eine Shuttle-Bus-Verbindung zwischen Cairns und Cape Tribulation. Wohltuend: Übernachtungs und Verpflegungskosten liegen hier deutlich unter dem Preisniveau von Cairns. Alle sind natürlich scharf darauf, eines der gefürchteten Salzwasserkrokodile vor die Linse zu bekommen. Einige Besucher haben ein Fernglas. Wir dringen langsam in den Flusslauf des Cooper Creek vor, der sich bald schon zu verästeln beginnt. «A croc», schreit aufgeregt eine Passagierin. Alan folgt der ausgestreckten Hand der Frau. Sein routiniertes Auge erkennt sofort: Fehlalarm! Es ist ein Baumstrunk. Kurz darauf mache ich mich bemerkbar. Mit meinem Teleobjektiv habe ich wieder so einen schwimmenden Baumstamm gesichet. Aber dieser bewegt sich im stehenden Wasser. Volltreffer! «We got one», freut sich auch Alan, denn er weiss allzu gut, dass Touristen nur dann wirklich happy sind, wenn sie eines dieser Urzeittiere zu sehen bekommen. Es ist ein Männchen, etwa fünf Meter lang. Krokodile werden bis zu hundert Jahre alt, klärt uns Alan auf. Und wenn sie einmal ihr zeugungsfähiges Alter erreicht haben, können sie bis ans Lebensende für Nachwuchs sorgen. Wir entdecken ein zweites Krokodil, diesmal ein Weibchen, an seinem Nistplatz. Als sich das Boot der Stelle nähert, dreht es sich um und grinst mich gefährlich an. Natur-Know-how und Rock Art der Aborigines Obwohl ich nach meinem ursprünglichen Zeitplan jetzt auf dem Weg Richtung «Red Center» sein sollte, kann ich nicht widerstehen: Ich fahre nördlich auf der Peninsula Development Road. Das Cape York kann ich mir abschminken. Aber ein klein wenig möchte ich diesen nordöstlichen Zipfel Australiens, der etwa die Grösse Deutschlands hat, trotzdem «ankratzen». Ich will noch ein paar Zusatztage in und um Cooktown einschalten und mir in Laura Felsmalereien der Aborigines anschauen. In Pam’s Place miete ich ein Einzelzimmer und buche den Ausflug «Rock Art». Preis 70 Dollar für Leute, die selber zum Ausgangspunkt des 4-stündigen Rundgangs fahren – sonst mehr. Im Motelzimmer führe ich den ganzen Abend mein Tagebuch 61 nach und mache die Akkus meiner Kameras fit für die Exkursion. Den Kilometerzähler stelle ich auf Null in der Hoffnung, nach 39,9 Kilometern rechterhand tatsächlich ein Gittertor vor mir zu haben. In einer Stunde sei die Distanz problemlos zu bewältigen, hat mir Scott gesagt. Ich verdopple die Zeit. Denn meine Pneus sind so abgefahren, dass sie wie Schwimmreifen aussehen. Und die Strasse ist holprig und ungeteert. Willie Gordon ist pünktlich zur Stelle. Er ist Aborigine und gehört dem Stamm der Nugalwarra an. Mit seinem Geländefahrzeug fahren wir auf einer sandigen Piste ein Stück weiter. Eine australische Familie fährt mit ihrem eigenen 4x4 hinter uns her. Ein Märchenland von lichtem Wald mit abgerundeten Felsklötzen umgibt uns. Sofort erkenne ich, dass in Willies Weltbild Naturkenntnis und Spiritualität untrennbar miteinander verbunden sind. Gordon zeichnet mit seinem Wanderstab drei grosse «S» in den sandigen Boden. das erste für «Spirit», das zweite für «Survival». Das dritte «S» modifiziert er gleich zu einem Dollar-Zeichen, um danach demonstrativ darauf zu stehen und zu sagen: «This here is not a world of money. You need other skills to survive in this environment.» Dann händigt er allen einen Wanderstab aus. Sein Gebrauch verstärkt die Erschütterung des Bodens. Schlangen reagieren auf solche Vibrationen und ergreifen normalerweise die Flucht. Der Rundgang mit Willie ist hoch interessant. Er erzählt, wie von Zeit zu Zeit Feuer gelegt werden muss, um Buschbrände katastrophalen Ausmasses zu verhindern und den eigenen Lebensraum zu erhalten. Er zeigt uns Pflanzen, erklärt, was auf Geniessbarkeit oder Giftigkeit derselben hindeutet. Er deutet auf Bäume, erzählt, welche das Material für Speere, Grabstöcke oder Unterstände liefern. Er weiss, mit welchen Steinen man andere Steine bearbeiten kann. Er erzählt während des Gehens über dem Alltag seiner Vorfahren, über die Jagd und über die traditionellen Aufgaben von Frauen und Männern. Er zerreibt Harz eines Eukalyptus in seinen Händen, gibt ein bisschen Wasser dazu, demonstriert, wie man damit blutende Wunden desinfiszieren und versiegeln oder auch einfach die Haut schützen 62 Die Erklärungen von Willie Gordon begeistern auch Kinder Aborigines-Felsmalerei am Split Rock bei Laura Farbenprächtig: Die Breakaways nördlich von Coober Pedy Rüttelfahrt ist vorprogrammiert: Die Wellblech-Piste Richtung Kings Canyon kann. Seine Vorfahren bewegten sich ohne Kleidung durch den Busch. Der Pflege der Haut fiel da entscheidende Bedeutung zu. Willie weist auf das Blätterwerk eines Busches, in dem eigenartige, spinnennetzartige Verwebungen zu erkennen sind. Er öffnet ein solches Knäuel, worauf ein Heer von Ameisen herauskrabbelt. Der Hinterteil der Ameisen besteht aus einem auffälligen, grünen rundlichen Gebilde. Willie nimmt eine Handvoll Ameisen und zerreibt sie zwischen seinen Händen, bevor sie ihn «beissen» können. Dann tupft er mit einem Finger auf die feuchte Hand und steckt ihn sich in den Mund. Er blickt mich an: «What are you waiting for? Try»! «Schmeckt wie Zitrone», konstatiere ich. «Ja», sagt Willie, «enthält viel Vitamin C und lässt sich, richtig angewendet, auch als Mittel gegen eine unerwünschte Schwangerschaft einsetzen.» Wenig später pressen wir uns in einen Felsdurchgang und stehen vor Felsmalereien. «Diese Zeichnungen», sagt Gordon, «erinnern uns daran, wer wir sind. Durch das Aufsuchen und die Auseinandersetzung mit diesen heiligen und rituellen Plätzen erneuern sich unsere historischen und spirituellen Verbindungen mit dem Land.» Die Informationen zu den Rock Art Gallerien des SplitRock hole ich mir später im «Quinkan and Regional Cultural Centre» in Laura. Die Geschichte der Region und der Einfluss der westlichen Ankömmlinge auf das Leben der eingeborenen Bevölkerung sind unpolemisch, aber schonungslos ehrlich dargestellt. Es stockt einem der Atem. Während des Goldrushs kam es hier zu regelrechten Massakern – als Folge des Widerstandes der Eingeborenen gegen die rücksichtslose Invasion der Weissen. Ganze Gemeinschaften, Frauen, Männer, Kinder, wurden eliminiert. Als Folge ging auch viel Wissen über die Bedeutung und Hintergründe der Felsmalereien verloren, die Kultur der Eingeborenen wurde zerstört oder fundamental geschwächt, dies umso mehr, als die Eingeborenen keine Schriftsprache kennen und ihr Wissen und ihre Legenden von der Generation der Ältesten mündlich zur nächsten Generation weitergeben. Gleichzeitig wurde in Europa die Meinung verbreitet, Australien sei ein leerer, unbewohnter Kontinent. Ein klassisches Beispiel einer krassen Geschichtsfälschung. Didgeridoo-Musik und Road Trains im Outback Nun gehts endlich Richtung Northern Territory! Um mir dort die Stunden des Alleinseins zu verkürzen, kaufe ich mir ein Didgeridoo. Es ist stilvoll verziert und kostet knappe 400 Dollar. Der Klang eines Didgeridoos löst in mir unmittelbar etwas aus, das ich stärker mit Australien in Verbindung bringe als jedes Bild. Der Klang dieses Instruments ist so archaisch, dass ich ihn wie eine Rückführung in eine andere Zeit erlebe. Die Vorstellung, selber ein Didgeridoo unter dem nächtlichen Himmel des Outbacks zu spielen, beflügelt mich. Bob, der Verkäufer, hat mir die wichtigsten Übungsschritte zum Erlernen der Zirkularatmung beigebracht und mich auf verschiedenen Instrumenten üben lassen, ohne Druck auf einen Kauf zu machen. Ich mag die tiefen Klänge, doch ein Anfänger kriegt aus den «A»- und «B»-Instrumenten oft keinen Ton raus. Bob findet für mich ein «C». «Sehr gutmütig», sagt er, «dieses Didgeridoo wirst du bald spielen können.» Die Kunst der Atemtechnik beim Didgeridoo-Spiel besteht darin, durch die Nase Luft zu holen und gleichzeitig die Restluft so aus den Backen ins Instrument zu blasen, dass während des Einatmens der Ton nicht abbricht. Die Zirkularatmung ermöglicht einen durchgehenden, ununterbrochenen Ton. Bob macht mir Mut: «Jeden Tag eine halbe Stunde Übung. Nach spätestens zehn Tagen klappts.» Via Kuranda passiere ich Mareeba, das mich bereits mit tollen Reiseerinnerungen beschenkt hat: dem örtlichen Rodeo, einem Abstecher zu den Mareeba Wetlands und einer Visite der nahen Granite Gorge mit ihren zahlreichen Wallabies. Dann geht es weiter nach Atherton. Da statte ich den «Cristal Caves» einen Besuch ab, die auf den Tafeln wie eine Attraktion ähnlich einem National Park ausgeschildert sind. Niemand muss einem erklären, was das Outback ist. Man spürt es. Der Boden verfärbt sich. Das Braun weicht rötlichen Tönen. Das Land wird trocken und trockener. Und die Spuren der Menschen beginnen sich zu verlieren. Plötzlich tauchen sie auf: Termitenhügel: Mal stehen sie in grosser rundlicher Form zwischen den Bäumen, mal ragen sie wie ein Heer von Zwergen im kniehohen Gras auf. Je nachdem, wie tief die Termiten ihre Gänge bohren, hat ihre Behausung eine andere Farbe: hellbraun, rostbraun, dunkelgrau. Die australischen Eukalyptuswälder sind eine riesige Didgeridoo-Fabrik. Die Arbeit wird von den Termiten übernommen. Der Mensch kann nur ernten. Der Termitenbau hat eine unterirdische Tunnelverbindung zum Baum, dessen weiches Inneres von den fleissigen Tierchen systematisch vom Wurzelstock bis ins Geäst ausgehölt wird. Man braucht bloss mit einem Stück Holz die Bäume abzuklopfen, und schon weiss man, obs hier Didgeridoos zu «ernten» gibt. Der Baum wird dann in Stücke unterschiedlicher Länge zersägt Das Outback ist auch, wenn der Boden plötzlich zu vibrieren beginnt: Die Road Trains setzen Adrenalin frei, besonders, wenn ich sie auf Streckenabschnitten kreuzen muss, wo der Strassenbelag auf eine einzige Fahrspur ausgefranst ist. Wieder nähert sich meinem Auto so ein 140 Tonnen schweres und 60 Meter langes Ungetüm. Ich verlangsame, weiche aus und überlasse dem Strassenzug den ganzen asphaltierten Belag. Sonst riskiere ich, dass mir nach dem Kreuzen ein Steinhagel entgegenfliegt. Durchs Fotografieren mehr sehen und erleben Wenn ich nicht am Steuer sitze, durchstreife ich mit meiner Kamera das Gelände. Das kann dann so aussehen, als würde ich den Bildern hinterherjagen und hätte fürs eigentliche Erleben gar keine Zeit. Dieser Eindruck trügt jedoch: Jede Handlung ist Teil des Erlebens. Bilder reflektieren erlebte, empfundene Momente. Meine Welt ist ein Sandkasten, in dem ich mich mit kindlicher Neugier tummle. Dachte ich früher, geduldiges, stundenlanges Warten erhöhe die Chance auf ein einmaliges Bild, sehe ich das heute völlig anders. Das ultimative Bild kann in jedem Moment, zu jeder Tageszeit und bei jeden Lichtverhältnissen entstehen. Entscheidend ist nur, dass man Impulse empfängt. Sehe ich eine Chance, einen Menschen in ein Bild zu integrieren, mache ich Der Sonnenuntergang verwandelt die Felsdome der «Kata Tjuta» in ein Gemälde. 63 das. Wenn ich alleine bin, inszeniere ich mich manchmal selber. Selbstdarstellung? Ich empfinde es so: Der Mensch gehört zur Natur. Fotografie ist für mich reine Hingabe zum Schönen, Faszinierenden, Verführerischen. Mein Genusserlebnis kann total sein, auch wenn ich eine Landschaft oft schweigend aufnehme. Es gibt Plätze, die ohne unverhältnismässigen technischen Aufwand kaum wirkungsvoll abzubilden sind. So ein Platz sind die Undara Lava Tubes, zu denen uns nun eine Rangerin des Undara Volcanic National Parks führt. Die Grösse der Lavatunnel übertrifft alle meine Erwartungen. Die Lavaröhren, in denen einst die Lava von einem nahen Krater ins umliegende Gelände floss, haben die Grösse einer Flugzeughalle. Es müssen in kürzester Zeit gigantische Mengen von Lava aus der Erde gequollen sein. Ein einheitliches Konzept ist bei den australischen National und Conservation Parks nicht erkennbar. Einen Jahrespass, mit dem man nach amerikanischem Vorbild alle Parks besuchen könnte, wäre mehr als wünschbar, gibt es aber nicht. In Undara, vor wenigen Jahren noch Privat- Vollmond bei Innot Hot Springs – und in der Luft ohrenbetäubendes Kreischen der schwarzen Kakadus. 64 besitz, können die Lava Tubes nur im Rahmen einer geführten Tour besichtigt werden, obwohl die Plankenwege eigentlich zum gefahrlosen Selbsterkunden bestens geeignet wären. Bei einem Preis von 35 Dollar für eine knapp zweistündige Führung beginnt das Erleben das Naturerlebnis gerade für reisende Familien zum teuren Spass zu werden. «Nein, wir lassen es sein», höre ich einen Franzosen sagen, nachdem unsere Gruppe vom Rundgang zurück ist und neue Ankömmlinge schon auf die nächste Tour warten. Die Kinder nehmen es ihrem Vater nicht übel. Für sie sind die Kängurus, die gleich beim Visitor Center frei herumhüpfen, eh das Hauptereignis. Reise durch das «Nichts» Auf der Burke Development Road erreiche ich schliesslich Cloncurry, biege dort westlich auf den Barkley Highway ein, der über Mt. Isa und Camooweal ins Northern Territory führt und bei Three Ways auf die NordSüd-Hauptverbindung, den Stuart Highway stösst. Minenstädte künden sich im Landschaftsbild meistens an. Sie liegen dort, wo schräggestellte Gebirgszüge für Kontraste zum flachen oder leicht gewellten Land sorgen. Mount Isa ist so ein Ort. Eine mineralische Schatzkammer. In Mt. Isa werden gleich vier Metalle in beträchtlichen Mengen in einer einzigen Mine gefördert: Blei, Kupfer, Silber, Zink. Die Mine gehört zu den weltweit grössten. Bei der Besucherinformation buche ich eine Besichtigungstour unter Tag. Bevor ich die Kreditkartenbelastung unterschreibe, stelle ich die Routinefrage: «Fotografieren ist sicher erlaubt.» Die Antwort kommt kurz und bündig: «Nein, keine Fotoapparate und Videokameras auf der Tour.» «Muss ich diese Mine wirklich gesehen haben?» frage ich mich. Um keinen Preis würde sich ein reinblütiger Aborigine je in einen Minenstollen begeben. Dieses Aufkratzen, Anbohren und Abtragen, Schmelzen und Abtransportieren des Bodens ist ihnen absolut fremd und mit ihrem Welt- und Glaubensbild unvereinbar. Ich zucke entschuldigend mit den Schultern, weise die Frau an, die Zahlung zu annullieren. Sie ist darüber etwas erbost, reisst ein kurzes Wortscharmützel vom Zaun. Ich empfehle ihr, die Werbeprospekte der Minenbesichtigung mit einer Information «No photography» zu versehen. Später überblicke ich vom City Lookout mit seinem internationalen Wegweiserpfahl die Stadt: Mt. Isa hat rund 24’000 Einwohner, doch flächenmässig ist es die grösste Stadt der Welt: Der Verwaltungsbezirk Mt. Isa erstreckt sich über 41000 Quadratkilometer und ist damit so gross wie die Schweiz. Dann die Strecke nach Camooweal bis Three Ways. Eine Strecke, die mit ihrer Weite und Leere die eigene Befindlichkeit verstärkt. Stundenlang nichts als das endlos scheinende Outback«Nichts». Ich bin glücklicherweise in einem biorhythmischen Hoch. Diese Landschaft zu Musik von Pink Floyd an mir vorbeiziehen zu sehen, produziert Hühnerhaut, versetzt mich in einen rauschartigen Zustand. Himmel und Erde sind in dieser Landschaft durch die scharfe Linie am Horizont klar getrennt, gehen aber auch eine Berührung ein, die direkter nicht sein könnte. Gerade wenn ich alleine reise, finde ich mich immer wie- der in einer Art Dialog mit dem, was mich umgibt. Und was mich umgibt, ist durchaus nicht das Nichts, auch wenn es vorwiegend aus Leere zu bestehen scheint. Die mich umgebende Natur stellt immer wieder sonderbare Dinge mit mir an. Je sparsamer sie ist, desto mehr lässt sie mich in verborgene Gefühls- oder Bewusstseinsbereiche vordringen. Die Lehre der Leere. Durchs Rote Zentrum zum magischen Berg Erlebnismosaik rund um Tennant Creek: Besuch eines Minenstollens mit alter Maschinerie. Raymond Williams kann sich nichts Spannenderes vorstellen als in den Tiefen zu buddeln. Besuch im Nyinka Nyunyu Cultural Center. Die Leute freundlich, hilfsbereit, das Gebotene beeindruckend. Ein Ort, in dem sich Freundlichkeit noch lohnt. Dann ein Abstecher zu den Pebbles, interessante Gesteinsformationen, Gesteinskobolde. Ein heiliger Platz, alles eingezäunt – und Warnschilder, die einem den Mumm nehmen, über eine Abschrankung zu steigen. Die Aussies stört das wenig: Hauptsache es hat Grillierstände. Südlich von Tennant Creek komme ich im ersten Morgenlicht, natürlich allein, an jenem Ort direkt am Stuart Highway an, den die Weissen «Devil’s Marbles», Teufelsmurmeln, nennen – eine faszinierende Ansammlung von Granitblöcken, die von Wind und Wasser und durch den steten Kälteschock von Tag und Nacht zu Kugeln erodiert sind. Für die Aborigines ist der Platz ein Heiligtum, sie deuten die Granitkugeln mythisch als Eier der Regenbogenschlage, zentrales Geistwesen aus der Traumzeit. Auch auf die Touristen macht dieser Ort mächtig Eindruck, doch ist unsere Art des Erlebens eher von Begeisterung geprägt als von Ehrfurcht. Alice Springs, touristischer Hub im Outback, hat das Pech, dass ich bereits spüre, wie mich der Uluru, einem riesigen Magneten gleich, nun unwiderstehlich anzieht. Einen Besuch im Desert Park am Fusse der Mc Donnell Ranges lasse ich mir dennoch nicht entgehen; das Nocturnal House mit seinen nachtaktiven Wüstenbewohnern ist einzigartig. Ich verlasse den Stuart Highway und biege östlich auf den Lasseter Highway ab. Bald taucht der Mount Conner in der Ebene auf. Dieses drei Kilometer lange, Unterwegs im Outback: Reise durch eine kaum berührte Natur faszinierende Relikt einer erodierten Bergkette sieht aus der Ferne dem Uluru ähnlich, steht aber touristisch stark im Schatten des «Originals». Und dann der grosse Moment: Jetzt ist «er» es wirklich! Westlich von Curtin Springs halte ich an, steige auf eine Sanddüne, lasse meinen Blick geniesserisch durch die Landschaft schweifen. Welch ein Anblick! Eine rotsandige, mit Mulga-Sträuchen, Wüsteneichen und Spinifex-Gras bewachsene Landschaft umgibt mich. Und am Horizont der Uluru, eines der stärksten Landzeichen auf unserem Planeten. Ich hole mein Didgeridoo aus dem Auto. Gestern bei den Devils Marbles hat die Zirkularatmung erstmals richtig funktioniert. Heute gibt’s ein kleines Hauskonzert für den magischen Berg. Uluru, heiliger Berg Ungewohnte Perspektive: Die Ansicht des Uluru von Norden her «The Brain»: eines der auffälligsten Erosionsmuster am heiligen Berg Respekteinflössend sind die senkrechten Sandsteinwände im Kings Canyon Vor zwanzig Jahren fuhr ich als Rucksackreisender von Cairns via Townsville zum damaligen Ayers Rock. Meine Eindrücke von einst sind immer noch stark präsent. Ich erinnere mich, wie ich einen mehrtägigen WanderPermit für die Olgas ergattern konnte, trotz schon einsetzender Restriktionen. Ich sehe noch vor mir, wie sich ein Dingo zu mir gesellte und mir Kekse stibitzte. Ich erinnere mich, wie ich mich in eisiger Nacht über ein Feuerchen beugte, das ich mit Holz von einer abgestorbenen Wüsteneiche versorgte. Noch heute kann ich den Genuss nachempfinden, als Tags darauf die Sonne meinen Körper durchwärmte. Ich erinnere mich, wie ich die Nacht fotografierend beim Ayers Rock unter dem sternenübersäten Himmel verbrachte. Das war schon damals verboten. Aber als Wanderer verschluckte mich die Landschaft einfach, ich blieb unbemerkt. Ich erinnere mich auch, wie ich mit meinen damals 25 Jahren den Ayers Rock mit der innersten Überzeugung erklomm, da oben willkommen zu sein. Ich erinnere mich, dass mich mein Reisen schon damals mit grosser Dankbarkeit erfüllte. So trete ich dem Uluru nun näher. Der Uluru ist die Spitze eines uralten, vor Jahrmillionen durch Erosion entstandenen und tief in die Erde hineinreichenden Sedimentblocks, der während geologischen Faltungsvorgängen in eine senkrechte Position kam. Die roten Farben entstehen 65 «Devil’s Marbles» – Stefan übt frühmorgens auf seinem Didgeridoo Fliegende Hunde, nicht im Dschungel, sondern mitten in der Stadt Cairns! Mount Conner: 3 Kilometer langes Relikt einer erodierten Bergkette. 66 durch Eisenoxydationen. Der Uluru zerbröckelt nicht. Aber er häutet sich wie eine Schlange. Als Folge der heissen Tage und kalten Nächte schiefert das Gestein ab. 348 m Höhe, 3,6 km Länge, 2,4 km Breite, 9,4 km Umfang – der Uluru ist jedoch viel mehr als eine rechnerische Grösse. Das kann man spätestens dann spüren, wenn man selber vor ihm steht. Sein Name gilt als unübersetzbar. Aber allein im Wortklang drückt sich seine Wirkung aus: Uluru, der Geheimnisvolle, der Magier, der Respektfordernde. Wie ein steinernes Chamäleon verändert der Berg seine Farbe, bis er, beschienen von der untergehenden Sonne, für Momente in Flammen aufzugehen scheint. Dieses rostrote Wesen aus Arkose-Sandstein entfaltet eine ungeheure Wirkung auf mich, lässt mich im Innersten erzittern. Ich verstehe, warum den Anangu jede Ritze und Form, jede Höhle und jedes Wasserloch heilig ist und von ihnen mythisch gedeutet wird. Als heilige Stätte ist der Uluru mit vielen Tabus belegt. Besteigung oder Begegnung? Die Besucherzahlen haben sich inzwischen vervielfacht. Heute pilgern jährlich fast eine halbe Million Menschen zum heiligen Berg, der seit 1995 offiziell wieder Uluru und nicht mehr Ayers Rock heisst. Auch das Schwestergebirge Mount Olgas erhielt wieder seinen ursprünglichen Namen Kata Tjuta. Versorgungszentrum für die Reisenden ist der Retortenort Yulara, dessen Namen langsam der Bezeichnung Ayers Rock Resort weicht. «It is requested that you respect the wishes of Anangu by not climbing Uluru», steht auf dem 3-Tage-Permit zum Besuch des Nationalparks. Es ist ein Dilemma: Da reisen Menschen aus der ganzen Welt an, wollen diesen Bergmonolith sehen und halten es für die natürlichste Sache, ihn zu erklimmen, wie das so viele vor ihnen getan haben. Aus Angst, der Besucher- und Geldstrom zum Uluru könnte abreissen, geht die Nationalpark-Verwaltung einen Kompromiss ein und setzt das Tabu der Besteigung, dem sich die Anangu, die traditionellen Aborigines-Landbesitzer, selber ausnahmslos unterziehen, ausser Kraft. «Besteigung nicht empfohlen, aber nicht verboten», so lautet die Devise heute. Wer den Wunsch der Anangu respek©Globetrotter Club, Bern tiert, verzichtet freiwillig auf die Besteigung. Die Touristen ihrerseits erwarten mit der Bezahlung des Eintritts von 25 Dollar mehr als die blosse Berechtigung, den Berg nur ansehen zu dürfen. So turnen sie weiterhin Tag für Tag entlang der mit Ketten verbundenen Eisenpflöcke den steilen Bergrücken hinauf. Um mir die Chance nicht zu vergeben, nebst weissen Administratoren auch eingeborene Menschen zu Gesicht zu bekommen, nehme ich an einem Malkurs teil. Man führt uns hinter einen Palisadenzaun. Tatsächlich sitzen zwei alte Anangu-Frauen auf einer Bank. Wir scheinen Welten voneinander entfernt. Doch da ist eine Heiterkeit, die gleichzeitig ein Gefühl der Nähe schafft. Bevor wir uns ans Malen machen, erzählt eine der Frauen eine Geschichte. Der junge Ranger übersetzt. Während des Erzählens klopft sie mit einem kleinen Zweig wie mit einem Taktstock auf den Boden. «Das machen wir immer, wenn wir Geschichten erzählen», antwortet die Frau auf die Frage einer Kursteilnehmerin. Dann die Anschlussfrage: «Warum tun Sie das?» Die Frau sagt: «Ich weiss es nicht.» Die meiste Zeit im Uluru-Nationalpark verbringe ich allein. Es ist ein Ort, von dem ich spüre, dass er den einzelnen Besucher tiefer berührt als wenn man in Gesellschaft hier unterwegs ist. Auf eine Besteigung des Uluru verzichte ich diesmal. Auf diese Weise behalten die Erinnerungen an meine erste Begegnung mit dem Uluru ihren Wert. Andererseits habe ich erst auf dieser zweiten Reise begriffen: Die wahre Bedeutung einer Begegnung mit diesem Felsmythos liegt nicht in seiner Besteigung. Für mich hat der Uluru seine Magie bewahrt und mich seine spirituelle Dimension noch stärker erkennen lassen, trotz des massiven Besucherandrangs, trotz der restriktiven Vorschriften. Der Uluru ist das Religionsbuch einer der ältesten Kulturen unserer Welt. Er ist ein Kraftort. Ein Orakel. Eine Pforte zur Welt der Spiritualität. Ein Sesam, der sich nicht öffnet, wenn man ihn anspricht, sondern wenn man ihm zuhört. Ich hätte meine Reise nach Australien auch unternommen, wenn ich nur diesen einen Ort – Uluru – hätte besuchen können. Warum ich das so empfinde? Ich weiss es nicht, es ist mein Bauchgefühl. HARSCHE REGELN FÜR BESUCHER AM HEILIGEN BERG ULURU Die Hauptregel im Uluru National Park lautet: Man darf alles tun, was nicht verboten ist. Im Visitor Center liegen die Parkvorschriften auf. Sie sind faktisch eine Verbotsliste mit Bussentarif. Ich studiere diesen Zettel genauer. Die Wege dürfen nicht verlassen werden. Das ist bei einem Besucheraufkommen von heute fast einer halben Million Menschen jährlich absolut nachvollziehbar. Die Wege sind links und rechts mit dünnen Seilen gesichert. Wer diese Abschrankungen übersteigt und dabei erwischt wird, ist um 500 Dollar leichter. Gar kein Pardon kennen die Parkwächter, wenn sie jemanden beim Ablichten eines mit einem Fotoverbot belegten heiligen Platzes ertappen: 5500 Dollar Busse! Die Fotoverbote, so schikanös man sie empfinden kann, hängen damit zusammen, dass zu den vielen rituellen Plätzen rund um den Uluru auch solche gehören, die spezifisch nur von Frauen oder Männern der Anangu betreten werden dürfen. Auch der direkte Augenkontakt mit solchen Stellen ist tabu. Mit dem Verbot sollen die Eingeborenen davor geschützt werden, dass sie durch den Kontakt mit veröffentlichten Bildern ein strenges Tabu ungewollt brechen. Ich habe in Museen und Kulturzentren von Aborigines diverse Male Bilder gesehen, die mit Stoff abgedeckt waren. Grund: Stirbt ein Aborigine, darf er nach dem Glauben seiner Gemeinschaft auch auf Fotos nicht weiter existieren. Klar, dass die drastischen Bussen beim Fehlbaren totale Frustration auslösen und Beschimpfungen nach sich ziehen können. Dies scheint wiederholt passiert zu sein. Jedenfalls wurde die Liste um zwei neue Verbots-Punkte erweitert, die ein allfälliges Aufbegehren im Keim ersticken sollen: Beleidigungen und Einschüchterungen von Parkpersonal kosten ruinöse 13 200 Dollar, und sollte jemand gar handgreiflich werden, schnellt der Bussentarif samt Schmerzensgeld auf astronomische 46 200 Dollar hoch. Eigentlich könnte man weinen ob solch rigoroser Vorschriften – und der heute verhangene Himmel über mir tut es auch. Ein paar wenige Tropfen fallen. Dann wird mir klar: Die Geister des Uluru haben wohl eher Tränen gelacht. Fakt ist: Durch die zahlreichen Vorschriften beschränkt sich der Bewegungsraum von Touristen im Park auf einen Weg rund um den Uluru, einige Höhlen und die Besteigung des Felsbergs. Doch das sind immerhin gute zehn Kilometer, auf denen es viel zu entdecken gibt. Offensichtlich haben im Uluru-Nationalpark andere Zeiten Einzug gehalten. Mein Campingfeuerchen, schon vor 20 Jahren illegal (aber lebensrettend), würde mich nach dem heutigen Reglement 5500 Dollar kosten, zuzüglich 1100 Dollar für unerlaubtes Campieren. Kommt jemand auf die Idee, die Asche eines Verstorbenen im Gelände zu verstreuen, werden 2200 Dollar fällig. Massives Bussgeld hat auch zu gewärtigen, wer sich dem Wohnbereich der Anangu im Park unbefugterweise nähert. Ich erkundige mich im offiziellen Visitor Center nach Möglichkeiten, Stammesmitgliedern der Anangu zu begegnen. Der Mann wimmelt mich ab: «Buchen Sie eine Tour.» Die traditionellen Landeigner werden von den weissen Parkwächtern nahezu hermetisch abgeschottet. D I AV O R T R A G S - T O U R N E E « A U S T R A L I E N » Aus seiner Entdeckungsreise hat Stefan Pfander die Diavortragsreportage «Australien – 100 Tage Down under» mit modernster BeamerTechnologie geschaffen. Vom 9. Januar bis 9. Februar 2006 erzählt er in 15 Deutschschweizer Städten live von seinen Erlebnissen und gibt Tipps für besseres Fotografieren. Orte, Termine, Infos und Reservationen: www.explora.ch 67