PDF - Globetrotter

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PDF - Globetrotter
Beim Kreuzen mit einem Road Train gilt das Gesetz des Stärkeren
Cape Tribulation: Wo sich Regenwald und Küste begegnen
Aborigine-Mischlings-Mädchen in Mareeba
Milaa Milaa Falls auf dem Atherton Tableland, der Wasserscheide Australiens
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100 TAGE
DOWN UNDER
STATIONEN EINER AUSTR ALIEN-REISE
ENTL ANG DER OSTKÜSTE UND
DURCHS NÖRDLICHE OUTBACK BIS
INS ROTE HER Z DES KONTINENTS
Bilder und Text von Stefan Pfander
Die Unterwasserwelt des Great Barrier Reef, das Outback
mit seinem unvorstellbar weiten Horizont, eine einzigartige Tierwelt, aber ebenso der
lockere und auf «no worries»
eingependelte Lebensstil der
Aussies prägen unsere Vorstellungs- und Erwartungswelt von
Australien und verleihen dem
fünften Kontinent bis heute
die Aura eines Reiseziels, von
dem sich Traveller jeden Genres noch Entdeckungen, überraschende Erfahrungen und
gleichzeitig auch «sun and fun»
versprechen dürfen. Mit neuen
Bildern und taufrischen, aus der
Lust aufs Erleben geborenen
Eindrücken ist Fotograf Stefan
Pfander vor wenigen Wochen
von einer gut dreimonatigen
Reise aus «Down under» zurückgekehrt. Fürs Globetrotter-Magazin beschreibt er
Impressionen und Schauplätze
der beiden Reiseetappen entlang der Ostküste von Brisbane
nach Cooktown und von der
touristischen Boomtown Cairns
zum Uluru (Ayers Rock), dem
heiligen Berg der Aborigines.
Zu Fabelwesen erodierte und
flechtenbedeckte Granitkolosse: die Remarkable
Rocks auf Kangaroo Island,
südlich von Adelaide.
55
N
ach der seidenweichen
Landung in Brisbane,
Hauptstadt des «Sunshine State» Queensland,
kommt’s knüppelhart.
Erschöpft von der langen
Flugreise und dem fast zweistündigen Anstehen in der schier endlosen Warteschlange, stehe ich endlich am Schalter der
(Gr)Immigration. Strenge Auflagen und Kontrollen der Agrarbehörde sollen gewährleisten, dass
nicht irgendwelche Krankheitserreger in Lebensmitteln oder
in Reiseutensilien eingeschleppt
werden. Ein Sicherheitsbeamter
zirkuliert mit einem Hund, der
die Touristen beschnüffelt. Im
Gepäck habe ich getrocknete Bananen, vakuumverpackt, unterwegs in Bangkok erstanden.
«This food is not welcome
in Australia – very dangerous»,
sagt der Beamte barsch. Das hatte ich schon geahnt. «I feel like
one of these bananas», antworte
ich schachmatt und fühle mich
in diesem Moment nicht wie
ein hoch willkommener Tourist, sondern eher wie ein Sträfling vor dem Verhörrichter. Fast
scheint es, als wollte man sich
hier so authentisch wie möglich
alter Tage erinnern: Sir Thomas
Brisbane errichtete 1824 eine
britische Strafkolonie und begründete damit die heutige Millionenstadt Brisbane.
«Wir können diese Bananen
gegen Gebühr einlagern und bei
der Ausreise aus Australien wieder aushändigen, oder wir können sie auf unsere Kosten vernichten», informiert mich der
Beamte weiter. Ich entscheide
mich für die Vernichtung auf
Staatskosten, um dem nächsten Opfer seine Warterei nicht
unnötig zu verlängern. Jetzt
wird noch das Gepäck zerzaust.
Ah, ein Zelt – und daran Spuren von Gras und Erde! «Very
dangerous!» konstatiert mein
Gegenüber. Jetzt ist amtliches
Sprayen angesagt.
No worries! Gelassen genehmige ich mir einen Kaffee «flat
white» und stecke meinen Kopf
erstmals seit 20 Jahren wieder in
eine australische Zeitung. Dann
rufe ich jene Firma an, die auf
alte, zu Campern umfunktionierte, bunt bemalte Lieferwagen spezialisiert ist. Autos, die
zumeist 200 000 km auf dem
Zähler haben, dafür kostengünstig zu mieten sind. Per Zug geht’s
bequem direkt vom Flughafen
ins Zentrum. Nach wenigen
Gehminuten stehe ich am Schalter: «Good day!» Die Mitarbeite56
rin murmelt etwas zurück und
vergräbt ihr Gesicht in Papieren,
nimmt mich am ehesten wahr
durch den Schatten, den mein
Körper auf ihren Papierkram
wirft. Nach einer Weile fragt
sie, ob ich mein 22. Altersjahr
bereits zurückgelegt habe. Ich
überlege, ob sie scherzt, als sie
mir ohne aufzublicken die Frage
ein zweites Mal stellt. Ich strecke ihr meinen Führerausweis
von 1980 entgegen.
Immer mit der Ruhe: Schläfriger Koalabär im Daisy Hill Koala Park
Goldküste mit Haien, Koalas
und Wolkenkratzern
Stefan Pfanders Reiseetappen via Ostküste und Outback bis ins «Rote Zentrum»
Am berühmten Strand von Surfers Paradise, Gold Coast
Tropischer Dschungel in der Mossman Gorge
Dass Brisbane inzwischen zur
drittgrössten Stadt des Landes
herangewachsen ist, ist spürbar.
Der Motorway wird immer breiter – zwei, drei, vier Spuren in
beiden Richtungen. Der Verkehr
rollt Richtung Gold Coast, der
beliebtesten Ferienregion des
Landes. Von der Strasse geht ein
Druck aus. Von beschaulichem
Spazierfahren keine Spur.
Ach, du Schreck: Zu spät erkenne ich, dass ich die Spur hätte wechseln müssen. Das zwingt
mich, die nächste Ausfahrt zu
nehmen. Aber das erweist sich
als glückliche Fügung. Denn da
ist auch schon ein Schild mit
Hinweis auf den Daisy Hill Koala Park. Ich lege die wenigen
Kilometer dorthin zurück. Ein
schläfriges Koala in einer Astgabel im Besucherzentrum bietet einen niedlichen Anblick.
Draussen im Park schaue ich
ins Geäst der Eukalyptus-Bäume. Tatsächlich döst hoch oben
in einer Astgabel ein weiterer
«Teddybär» vor sich hin. Teleobjektiv montiert! Als wollte er
mir einen Gefallen tun, öffnet
der Koala genau jetzt seine kleinen runden Augen, lächelt mich
freundlich an und setzt sein
Schläfchen fort.
Weiter gehts der Gold Coast
entgegen – ein 40 Kilometer
langer, mit herrlichen Stränden
gesegneter Küstenstreifen. Als
ich spätabends im berühmten
Surfers Paradise eintreffe, parkiere ich direkt an der Beachfront und richte mich in meinem
kleinen rollenden Zuhause erst
mal ein. Zwischendurch wird es
laut: Aussies, die von den Pubs
mit Gegröle (Männer) und Gekreische (Frauen) ihren Feriensilos zuwanken.
In Surfers Paradise reihen
sich die Hochhäuser dicht an
dicht. Keine Büroburgen, nein,
Ferienappartments! Nicht vorbeisehen in diesem Konzentrat
menschlicher Termitenbauten
kann man an einem schlanken
Glaspalast namens «Q1» – das
höchste Wohngebäude der Welt:
Q1 hat 80 Stockwerke, ist stolze
322 Meter hoch und enthält 526
Wohnungen!
300 Sonnentage pro Jahr und
ein absolut ideales subtropisches
Klima lassen jährlich 3,5 Millionen Ferienmenschen an die
Gold Coast pilgern. Klar, dass
bei einem solchen Potential auch
grosse Vergnügungszentren wie
«Dreamworld», «Movie World»,
«Wet and Wild» und «Sea World»
zum Freizeitangebot gehören. Da
meine Reise eben erst begonnen
hat, denke ich noch nicht ans
Budget und statte letzterem Park
eine Visite ab, konzentriere mich
dabei auf die Becken mit den
Delphinen und Haien. Während
die Bottlenose-Delphine die Herzen von Erwachsenen und Kindern schmelzen lassen, ist man
sich seiner Gefühle gegenüber
den Haien, die am Unterwasserschaufenster lautlos vorbeidefilieren, weniger sicher, besonders
wenn sich der Moment bietet,
einem dieser Räuber kurz in den
Rachen zu blicken.
Mein Ziel ist Cairns. Die
Strecke von 1691 km muss ich
innerhalb von vier Tagen hinter
mich bringen, denn in Cairns
wartet ein Kreuzfahrt-Katamaran auf mich. Kilometerstand
meines Mietfahrzeuges: 249 978
km. Kurz nach Mittag, als der
Verkehr nicht abschwellen will,
steuere auch ich meinen mit
schrägen Gesichtern popig bemalten Kia ins Verkehrsgewühl.
Der Bruce Highway, die SüdNord-Hauptverbindung an der
Ostküste, verläuft nicht direkt
der buchtenreichen und von
Mangrovensümpfen durchzogenen Küstenlinie entlang,
sondern meistens 25–50 km
versetzt im flachen, bis zu 150
km breiten Landgürtel, dessen
westliche Begrenzung die Great
Dividing Range ist. Dieses ostaustralische Hochland erstreckt
sich über 3200 km entlang der
Pazifikküste. Dieses von Waldbeständen und Agrarzonen geprägte, einmal hügliger und
einmal gebirgiger ausgeformte
Hinterland bildet die kontinentale Wasserscheide und den
Übergang ins australische Outback, das «Rote Zentrum». Das
«Red Center», das je nach topographischen und klimatischen
Gegebenheiten aus riesigen Einöden, ausgetrockneten Salzseen,
aus endlosem Gras- und Busch-
land und im Norden vorwiegend
aus einer von Eukalyptusbeständen geprägten Savannenlandschaft besteht, macht rund drei
Viertel der gesamten Landmasse
des Kontinents aus.
Per Katamaran durchs
Grosse Barriere-Riff
Ich lasse die berühmte Sandinsel
Fraser Island rechts liegen – natürlich mit leiser Reue – und fahre weiter. Dem Dreamtime Cultural Center in Rockhampton,
geführt von Aborigines, hätte ich
gerne einen Besuch abgestattet.
Aber das hat heute geschlossen.
Ankunft in Mc Kay. Unversehrte
und industriell genutzte Natur
stehen auch hier in scharfem
Kontrast zueinander. Die Küstenebene, die nach Norden hin
schmaler wird, ist sehr fruchtbar und wird landwirtschaftlich
intensiv genutzt. Die Region von
Mc Kay mit ihren von weither
sichtbaren Zuckermühlen produziert rund einen Drittel des
australischen Zuckers, der von
hier aus nach Europa und Asien
verschifft wird. Eine knapp einstündige Fahrt führt mich landeinwärts in den Eungella National Park, der sich rühmt, eines
der grössten Schutzgebiete der
Wet Tropics zu bilden.
Von Shute Harbour aus verkehrt die Fähre an die Whitehaven Beach – und lockt Tagesausflügler in Scharen. Als
Naturliebhaber und RucksackTourist kann man sich hier auch
mit Wasser und Nahrungsmitteln
auf kleinen Inseln aussetzen lassen und für ein paar Tage ein Robinson-Leben führen. Diese Idee
ist für ein andermal vorgemerkt.
Ich suche das Büro von Air
Whitsunday auf und sichere
mir einen Platz für einen Fotografier-Flug übers grosse Barrier-Riff am Nachmittag. Die
Zeit überbrücke ich mit einem
Besuch von Vic Bishop’s Great
White Shark & Whale Expo in
Airlie Beach. Die Ausstellung
und die Filmvorführungen sind
vortrefflich dazu geeignet, das
Bild des Weissen Hais als blutrünstige Bestie zu zementieren.
Andererseits gibt es auch die
Tendenz, dass die Gefahr, die
von diesen Räubern der Meere
für den Menschen ausgeht, aus
Angst vor touristischen Einbussen verharmlost wird. Die Liste
der beim Schwimmen, Surfen
und Tauchen Verschollenen ist
lang.
Abenddämmerung
an der Gold Coast:
Blick vom Q1-Tower
in Surfers Paradise
nach Süden.
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Wildgänse im Hasties Swamp, Atherton Tableland
Ausblick vom Cook Look auf Lizard Island im Great Barrier Reef
Two Island: Meeresbiologe und Guide Paul zeigt uns eine Meeresschildkröte
Auf der Coral Princess II: Ankerung für einen Tauchgang am Ribbon Reef
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In Cairns bleiben mir nur ein
paar Stunden, um meine Sachen
für die vorgebuchte 4-tägige Katamaran-Kreuzfahrt zu packen.
Kurz vor Sonnenuntergang steuert Captain Micha das stilvolle
Schiff nordwärts. Wir 20 Passagiere werden auf dem Oberdeck
bei Sekt und einem anschliessenden Safety Briefing miteinander und mit der Crew bekannt
gemacht. Während des Seafood
Dinners ankert die «Coral Princess II» vor Double Island, um
danach über Nacht Cooktown
anzusteuern.
Wo heute Cooktown liegt,
landete Captain James Cook mit
seiner rund 90-köpfigen Besatzung im August 1770, nachdem
seine «Endeavour» auf ein Riff
aufgelaufen und schwer beschädigt worden war. Die Begegnung
zwischen den englischen Ankömmlingen und den eingeborenen Bewohnern der Bucht war
zunächst abtastender Art, ging
aber wegen gegenseitiger Missverständnisse in Misstrauen
und Feindseligkeit über. Doch
erst mit dem Goldrush setzten
rund 100 Jahre nach Cook auch
hier im Norden Australiens dramatisch wilde und gesetzlose
Zeiten ein. Die australische Urbevölkerung wurde regelrecht
überfahren.
Ankerketten rasseln. Wir erreichen Two Islands auf dem
Great Barrier Reef. Hier bietet
sich eine erste Gelegenheit zum
Schwimmen und Schnorcheln.
Die Truppe bevorzugt es aber,
sich Paul anzuschliessen und
die kleine Sandinsel zu Fuss
zu umrunden. Paul fischt Seegurken aus dem Wasser. Wenig
später hechtet unser «Trip director» nach einer Schildkröte und
präsentiert sie uns stolz. Weiterfahrt nach Lizard Island.
06:30 Uhr am nächsten Morgen: Paul führt mich und weitere
drei Gäste auf die höchste Erhebung der Insel, den Cooks Look
auf 359 Metern. Hier hielt Captain Cook Ausschau nach einer
Durchfahrt durchs Barrier Reef
ins offene Meer. Während des
Aufstiegs finden wir wilde Passionsfrüchte und lassen sie uns
schmecken. Später folgt Karens
Tauch-Einführungskurs.
Cairns – ein
Touristenparadies
Korallenwunder Great Barrier Reef:
Das Heart Reef vor den Whitsundays,
aus dem Flugzeug fotografiert.
Cairns ist nicht ein Ort, an dem
es in historischer Hinsicht viel
zu besichtigen gäbe. Es ist eine
weltoffene Boomtown, in der fast
jeder Dollar im Tourismus um59
gesetzt wird. Alle Besucher hier
verbindet ein gemeinsames Bedürfnis: Sie wollen geniessen, abschalten, erleben. Die Probleme
der Welt bleiben ausgeblendet.
Die Atmosphäre ist fröhlich, international, entspannt. Ein bunter Generationenmix bevölkert
die Esplanade. Sprachen aus aller
Welt dringen an mein Ohr. Südlich und nördlich von Cairns gibt
es so viele Traumstrände, dass
Cairns auf einen eigenen ganz
gut verzichten kann
An Samstagen wird die Szene belebt mit einem vielseitigen
kunsthandwerklichen
Markt.
Cairns ist eine Stadt – und doch
wie ein Dorf: Vom Internet-Cafe,
wo ich meine e-mails checke,
zu Sinbad’s Café, wo ich mir
meinen Frühstückskaffee genehmige, sind es zwei Gehminuten. Jono’s Blues Bar, wo Entertainer Terry mit seinem Sohn
Jake rockt und Frösche um die
Wette rennen lässt, ist gleich um
die Ecke. Bezüglich Reisebüros,
Backpackerunterkünfte
und
Restaurants mit gepflegter Küche hat man in Cairns die Qual
der Wahl. Abends füllen sich die
Bars und Musiklokale, aber auch
genüssliches Shopping ist dank
den Ständen im Night Market
& Food Court an der Esplanade
angesagt. Wer Vitamine braucht,
sieht sich in Rusty’s Market mit
seinem riesigen Gemüse- und
Früchteangebot um.
Der touristische Boom erklärt
sich durch die geographische
Lage von Cairns: Das Atherton
Tableland, wie hier die kontinentale Wasserscheide genannt
wird, reicht bis dicht an die Küste heran. Auch das Great Barrier
Reef, nicht zu Unrecht als achtes
Weltwunder bezeichnet, ist dem
Festland nirgendwo näher als
hier im Norden von Queensland.
Ein Ausflug aufs Barrier Reef gehört zum Pflichtprogramm eines
Australien-Besuches. Cairns oder
das etwas nördlicher gelegene
Port Douglas bieten sich als ideale
Ausgangspunkte für Ausflüge aufs
Riff an. Green Island, ein direkt
auf dem Riff gelegener Inselwinzling knappe 30 Kilometer nordöstlich von Cairns, ist ein beliebtes
Tagesausflugsziel mit herrlichen
Tauch- und Schnorchelrevieren
und makellosen Stränden.
Ein Muss – wenn es nach der
Werbung geht – ist eine Fahrt
mit der historischen Eisenbahn
von Cairns nach Kuranda. Dieses
34 Kilometer lange Pionierwerk
windet sich kurvenreich durch
tropischen Regenwald und führt
dabei über 40 Brücken und durch
60
Mark Culleton mit seinem Adler «Stella»
Outback-Landschaft mit Termitenburgen bei Undara
Pelikane an der Esplanade von Cairns
Eines der gefürchteten «Salties», Normanton River
In vielen «Flüssen», wie diesem
am Savannah Highway in der
Nähe von Croydon, gibt’s während
Monaten kein fliessendes Wasser.
15 Tunnel. Bei den berühmten
Barron Falls gibt’s einen Fotostopp. Allerdings: Auf die Postkartenansichten dieser Wasserfälle darf man sich nicht zu sehr
verlassen: Als ich die BarronFälle erreiche, gähnt vor meinen
Augen ein gewaltiger Felssockel,
über den harmlos ein bisschen
Wasser herunterstürzt.
Traumstrände und
Krokodile
Höchste Zeit, um weiterzukommen. Mein Ziel, Cape Tribulation, ist 150 km nordwärts. Ein
Katzensprung also. Ich benötige jedoch zwei Tage, denn die
Bilderbuchstrände entlang des
Wegs haben es mir und meiner Kamera angetan. Dass sie
relativ menschenleer sind, hat
seine Gründe. Denn im nördlichen Queensland hat das Baden im Meer seine Tücken. Die
berüchtigten «Salties», Salzwasser-Krokodile, leben in Flussläufen und -mündungen und
während der Sommermonate,
zwischen November und April,
sind vor den Küsten Nordaustraliens auch Quallen anzutreffen.
Eine Berührung mit den bis zu
drei Meter langen, unter Wasser
kaum sichtbaren Tentakeln der
Würfelqualle (Box Jelly Fish) ist
extrem schmerzhaft und kann
tödlich sein, sei es durch Herzstillstand oder Krämpfe, die das
Opfer ertrinken lassen. An den
Stränden sind entsprechende
Warnschilder platziert. Gefahrloses Baden ist während der
Sommermonate, die unserem
Winter entsprechen, nur an
Strandpartien möglich, die mit
«Stinger»-Netzen gesichert sind.
Der Tribulation Beach, Teil
des Daintree Nationalparks, ist
ein paradiesisches Stück Natur, die Krönung der Fahrt. Bei
einem Augenschein wird jedem
klar, weshalb diese Region von
der Unesco zum World Heritage
Park ernannt wurde. Tropischer
Urwald stösst hier direkt an den
naturbelassenen Sandstrand mit
vorgelagertem Riff. Touristen
sind keine zu sehen.
Ich miete einen Standplatz mit
Stromanschluss im Camper Park
von «PK’s Jungle Village», um
meinen Laptop wieder aufladen
zu können. Die Küche meiner mobilen Behausung habe ich bis auf
ein paar Mal Kaffeekochen noch
nie gebraucht. Campieren ist eine
grosse Leidenschaft der Aussies.
Als Fotograf fehlt mir einfach
die Zeit dazu. PK’s ist Treffpunkt
für Globetrotter, Studenten und
Junggebliebene. Täglich gibt’s
eine
Shuttle-Bus-Verbindung
zwischen Cairns und Cape Tribulation. Wohltuend: Übernachtungs und Verpflegungskosten
liegen hier deutlich unter dem
Preisniveau von Cairns.
Alle sind natürlich scharf darauf, eines der gefürchteten Salzwasserkrokodile vor die Linse
zu bekommen. Einige Besucher
haben ein Fernglas. Wir dringen
langsam in den Flusslauf des Cooper Creek vor, der sich bald schon
zu verästeln beginnt. «A croc»,
schreit aufgeregt eine Passagierin.
Alan folgt der ausgestreckten
Hand der Frau. Sein routiniertes
Auge erkennt sofort: Fehlalarm!
Es ist ein Baumstrunk.
Kurz darauf mache ich mich
bemerkbar. Mit meinem Teleobjektiv habe ich wieder so einen
schwimmenden Baumstamm gesichet. Aber dieser bewegt sich
im stehenden Wasser. Volltreffer! «We got one», freut sich auch
Alan, denn er weiss allzu gut,
dass Touristen nur dann wirklich happy sind, wenn sie eines
dieser Urzeittiere zu sehen bekommen. Es ist ein Männchen,
etwa fünf Meter lang. Krokodile
werden bis zu hundert Jahre alt,
klärt uns Alan auf. Und wenn
sie einmal ihr zeugungsfähiges
Alter erreicht haben, können sie
bis ans Lebensende für Nachwuchs sorgen. Wir entdecken
ein zweites Krokodil, diesmal
ein Weibchen, an seinem Nistplatz. Als sich das Boot der Stelle nähert, dreht es sich um und
grinst mich gefährlich an.
Natur-Know-how und Rock
Art der Aborigines
Obwohl ich nach meinem ursprünglichen Zeitplan jetzt auf
dem Weg Richtung «Red Center» sein sollte, kann ich nicht
widerstehen: Ich fahre nördlich
auf der Peninsula Development
Road. Das Cape York kann ich
mir abschminken. Aber ein klein
wenig möchte ich diesen nordöstlichen Zipfel Australiens, der
etwa die Grösse Deutschlands
hat, trotzdem «ankratzen». Ich
will noch ein paar Zusatztage in
und um Cooktown einschalten
und mir in Laura Felsmalereien
der Aborigines anschauen.
In Pam’s Place miete ich ein
Einzelzimmer und buche den
Ausflug «Rock Art». Preis 70
Dollar für Leute, die selber zum
Ausgangspunkt des 4-stündigen
Rundgangs fahren – sonst mehr.
Im Motelzimmer führe ich den
ganzen Abend mein Tagebuch
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nach und mache die Akkus meiner Kameras fit für die Exkursion. Den Kilometerzähler stelle
ich auf Null in der Hoffnung,
nach 39,9 Kilometern rechterhand tatsächlich ein Gittertor
vor mir zu haben. In einer Stunde sei die Distanz problemlos zu
bewältigen, hat mir Scott gesagt.
Ich verdopple die Zeit. Denn
meine Pneus sind so abgefahren,
dass sie wie Schwimmreifen aussehen. Und die Strasse ist holprig und ungeteert.
Willie Gordon ist pünktlich
zur Stelle. Er ist Aborigine und
gehört dem Stamm der Nugalwarra an. Mit seinem Geländefahrzeug fahren wir auf einer
sandigen Piste ein Stück weiter.
Eine australische Familie fährt
mit ihrem eigenen 4x4 hinter
uns her. Ein Märchenland von
lichtem Wald mit abgerundeten
Felsklötzen umgibt uns. Sofort
erkenne ich, dass in Willies
Weltbild Naturkenntnis und
Spiritualität untrennbar miteinander verbunden sind.
Gordon zeichnet mit seinem
Wanderstab drei grosse «S» in
den sandigen Boden. das erste
für «Spirit», das zweite für «Survival». Das dritte «S» modifiziert
er gleich zu einem Dollar-Zeichen, um danach demonstrativ
darauf zu stehen und zu sagen:
«This here is not a world of money. You need other skills to
survive in this environment.»
Dann händigt er allen einen
Wanderstab aus. Sein Gebrauch
verstärkt die Erschütterung des
Bodens. Schlangen reagieren auf
solche Vibrationen und ergreifen
normalerweise die Flucht.
Der Rundgang mit Willie ist
hoch interessant. Er erzählt,
wie von Zeit zu Zeit Feuer gelegt
werden muss, um Buschbrände
katastrophalen Ausmasses zu
verhindern und den eigenen Lebensraum zu erhalten. Er zeigt
uns Pflanzen, erklärt, was auf
Geniessbarkeit oder Giftigkeit
derselben hindeutet. Er deutet
auf Bäume, erzählt, welche das
Material für Speere, Grabstöcke oder Unterstände liefern. Er
weiss, mit welchen Steinen man
andere Steine bearbeiten kann.
Er erzählt während des Gehens
über dem Alltag seiner Vorfahren, über die Jagd und über die
traditionellen Aufgaben von
Frauen und Männern. Er zerreibt
Harz eines Eukalyptus in seinen
Händen, gibt ein bisschen Wasser dazu, demonstriert, wie man
damit blutende Wunden desinfiszieren und versiegeln oder
auch einfach die Haut schützen
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Die Erklärungen von Willie Gordon begeistern auch Kinder
Aborigines-Felsmalerei am Split Rock bei Laura
Farbenprächtig: Die Breakaways nördlich von Coober Pedy
Rüttelfahrt ist vorprogrammiert: Die Wellblech-Piste Richtung Kings Canyon
kann. Seine Vorfahren bewegten
sich ohne Kleidung durch den
Busch. Der Pflege der Haut fiel
da entscheidende Bedeutung zu.
Willie weist auf das Blätterwerk
eines Busches, in dem eigenartige,
spinnennetzartige Verwebungen
zu erkennen sind. Er öffnet ein
solches Knäuel, worauf ein Heer
von Ameisen herauskrabbelt. Der
Hinterteil der Ameisen besteht
aus einem auffälligen, grünen
rundlichen Gebilde. Willie nimmt
eine Handvoll Ameisen und zerreibt sie zwischen seinen Händen,
bevor sie ihn «beissen» können.
Dann tupft er mit einem Finger auf
die feuchte Hand und steckt ihn
sich in den Mund. Er blickt mich
an: «What are you waiting for?
Try»! «Schmeckt wie Zitrone»,
konstatiere ich. «Ja», sagt Willie,
«enthält viel Vitamin C und lässt
sich, richtig angewendet, auch als
Mittel gegen eine unerwünschte
Schwangerschaft einsetzen.»
Wenig später pressen wir uns
in einen Felsdurchgang und stehen vor Felsmalereien. «Diese
Zeichnungen», sagt Gordon, «erinnern uns daran, wer wir sind.
Durch das Aufsuchen und die
Auseinandersetzung mit diesen
heiligen und rituellen Plätzen erneuern sich unsere historischen
und spirituellen Verbindungen
mit dem Land.»
Die Informationen zu den
Rock Art Gallerien des SplitRock hole ich mir später im
«Quinkan and Regional Cultural
Centre» in Laura. Die Geschichte der Region und der Einfluss
der westlichen Ankömmlinge
auf das Leben der eingeborenen
Bevölkerung sind unpolemisch,
aber schonungslos ehrlich dargestellt. Es stockt einem der Atem.
Während des Goldrushs kam es
hier zu regelrechten Massakern
– als Folge des Widerstandes der
Eingeborenen gegen die rücksichtslose Invasion der Weissen.
Ganze Gemeinschaften, Frauen,
Männer, Kinder, wurden eliminiert. Als Folge ging auch viel
Wissen über die Bedeutung und
Hintergründe der Felsmalereien
verloren, die Kultur der Eingeborenen wurde zerstört oder fundamental geschwächt, dies umso
mehr, als die Eingeborenen keine Schriftsprache kennen und
ihr Wissen und ihre Legenden
von der Generation der Ältesten
mündlich zur nächsten Generation weitergeben. Gleichzeitig
wurde in Europa die Meinung
verbreitet, Australien sei ein leerer, unbewohnter Kontinent. Ein
klassisches Beispiel einer krassen Geschichtsfälschung.
Didgeridoo-Musik und
Road Trains im Outback
Nun gehts endlich Richtung
Northern Territory! Um mir
dort die Stunden des Alleinseins zu verkürzen, kaufe ich
mir ein Didgeridoo. Es ist stilvoll verziert und kostet knappe 400 Dollar. Der Klang eines
Didgeridoos löst in mir unmittelbar etwas aus, das ich stärker
mit Australien in Verbindung
bringe als jedes Bild. Der Klang
dieses Instruments ist so archaisch, dass ich ihn wie eine
Rückführung in eine andere
Zeit erlebe. Die Vorstellung, selber ein Didgeridoo unter dem
nächtlichen Himmel des Outbacks zu spielen, beflügelt mich.
Bob, der Verkäufer, hat mir die
wichtigsten
Übungsschritte
zum Erlernen der Zirkularatmung beigebracht und mich auf
verschiedenen
Instrumenten
üben lassen, ohne Druck auf
einen Kauf zu machen. Ich mag
die tiefen Klänge, doch ein Anfänger kriegt aus den «A»- und
«B»-Instrumenten oft keinen
Ton raus. Bob findet für mich
ein «C». «Sehr gutmütig», sagt
er, «dieses Didgeridoo wirst du
bald spielen können.»
Die Kunst der Atemtechnik
beim Didgeridoo-Spiel besteht
darin, durch die Nase Luft zu
holen und gleichzeitig die Restluft so aus den Backen ins Instrument zu blasen, dass während
des Einatmens der Ton nicht abbricht. Die Zirkularatmung ermöglicht einen durchgehenden,
ununterbrochenen Ton. Bob
macht mir Mut: «Jeden Tag eine
halbe Stunde Übung. Nach spätestens zehn Tagen klappts.»
Via Kuranda passiere ich
Mareeba, das mich bereits mit
tollen Reiseerinnerungen beschenkt hat: dem örtlichen Rodeo, einem Abstecher zu den
Mareeba Wetlands und einer
Visite der nahen Granite Gorge
mit ihren zahlreichen Wallabies. Dann geht es weiter nach
Atherton. Da statte ich den
«Cristal Caves» einen Besuch
ab, die auf den Tafeln wie eine
Attraktion ähnlich einem National Park ausgeschildert sind.
Niemand muss einem erklären, was das Outback ist. Man
spürt es. Der Boden verfärbt
sich. Das Braun weicht rötlichen
Tönen. Das Land wird trocken
und trockener. Und die Spuren
der Menschen beginnen sich zu
verlieren. Plötzlich tauchen sie
auf: Termitenhügel: Mal stehen
sie in grosser rundlicher Form
zwischen den Bäumen, mal ragen sie wie ein Heer von Zwergen im kniehohen Gras auf. Je
nachdem, wie tief die Termiten
ihre Gänge bohren, hat ihre Behausung eine andere Farbe: hellbraun, rostbraun, dunkelgrau.
Die australischen Eukalyptuswälder sind eine riesige Didgeridoo-Fabrik. Die Arbeit wird von
den Termiten übernommen. Der
Mensch kann nur ernten. Der
Termitenbau hat eine unterirdische Tunnelverbindung zum
Baum, dessen weiches Inneres
von den fleissigen Tierchen systematisch vom Wurzelstock bis
ins Geäst ausgehölt wird. Man
braucht bloss mit einem Stück
Holz die Bäume abzuklopfen,
und schon weiss man, obs hier
Didgeridoos zu «ernten» gibt.
Der Baum wird dann in Stücke
unterschiedlicher Länge zersägt
Das Outback ist auch, wenn
der Boden plötzlich zu vibrieren
beginnt: Die Road Trains setzen
Adrenalin frei, besonders, wenn
ich sie auf Streckenabschnitten
kreuzen muss, wo der Strassenbelag auf eine einzige Fahrspur
ausgefranst ist. Wieder nähert
sich meinem Auto so ein 140
Tonnen schweres und 60 Meter
langes Ungetüm. Ich verlangsame, weiche aus und überlasse
dem Strassenzug den ganzen asphaltierten Belag. Sonst riskiere
ich, dass mir nach dem Kreuzen
ein Steinhagel entgegenfliegt.
Durchs Fotografieren mehr
sehen und erleben
Wenn ich nicht am Steuer sitze,
durchstreife ich mit meiner Kamera das Gelände. Das kann
dann so aussehen, als würde ich
den Bildern hinterherjagen und
hätte fürs eigentliche Erleben gar
keine Zeit. Dieser Eindruck trügt
jedoch: Jede Handlung ist Teil
des Erlebens. Bilder reflektieren
erlebte, empfundene Momente.
Meine Welt ist ein Sandkasten,
in dem ich mich mit kindlicher
Neugier tummle. Dachte ich früher, geduldiges, stundenlanges
Warten erhöhe die Chance auf
ein einmaliges Bild, sehe ich das
heute völlig anders. Das ultimative Bild kann in jedem Moment,
zu jeder Tageszeit und bei jeden
Lichtverhältnissen entstehen.
Entscheidend ist nur, dass man
Impulse empfängt. Sehe ich eine
Chance, einen Menschen in ein
Bild zu integrieren, mache ich
Der Sonnenuntergang
verwandelt die Felsdome der «Kata Tjuta»
in ein Gemälde.
63
das. Wenn ich alleine bin, inszeniere ich mich manchmal selber.
Selbstdarstellung? Ich empfinde
es so: Der Mensch gehört zur Natur. Fotografie ist für mich reine
Hingabe zum Schönen, Faszinierenden, Verführerischen. Mein
Genusserlebnis kann total sein,
auch wenn ich eine Landschaft
oft schweigend aufnehme.
Es gibt Plätze, die ohne unverhältnismässigen technischen Aufwand kaum wirkungsvoll abzubilden sind. So ein Platz sind die
Undara Lava Tubes, zu denen uns
nun eine Rangerin des Undara
Volcanic National Parks führt. Die
Grösse der Lavatunnel übertrifft
alle meine Erwartungen. Die Lavaröhren, in denen einst die Lava
von einem nahen Krater ins umliegende Gelände floss, haben die
Grösse einer Flugzeughalle. Es
müssen in kürzester Zeit gigantische Mengen von Lava aus der
Erde gequollen sein.
Ein einheitliches Konzept ist
bei den australischen National
und Conservation Parks nicht
erkennbar. Einen Jahrespass, mit
dem man nach amerikanischem
Vorbild alle Parks besuchen
könnte, wäre mehr als wünschbar, gibt es aber nicht. In Undara,
vor wenigen Jahren noch Privat-
Vollmond bei Innot Hot
Springs – und in der Luft
ohrenbetäubendes Kreischen
der schwarzen Kakadus.
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besitz, können die Lava Tubes
nur im Rahmen einer geführten
Tour besichtigt werden, obwohl
die Plankenwege eigentlich zum
gefahrlosen Selbsterkunden bestens geeignet wären. Bei einem
Preis von 35 Dollar für eine knapp
zweistündige Führung beginnt
das Erleben das Naturerlebnis
gerade für reisende Familien zum
teuren Spass zu werden. «Nein,
wir lassen es sein», höre ich einen
Franzosen sagen, nachdem unsere Gruppe vom Rundgang zurück ist und neue Ankömmlinge
schon auf die nächste Tour warten. Die Kinder nehmen es ihrem
Vater nicht übel. Für sie sind die
Kängurus, die gleich beim Visitor
Center frei herumhüpfen, eh das
Hauptereignis.
Reise durch das «Nichts»
Auf der Burke Development
Road erreiche ich schliesslich
Cloncurry, biege dort westlich
auf den Barkley Highway ein,
der über Mt. Isa und Camooweal
ins Northern Territory führt und
bei Three Ways auf die NordSüd-Hauptverbindung, den Stuart Highway stösst.
Minenstädte künden sich im
Landschaftsbild meistens an. Sie
liegen dort, wo schräggestellte
Gebirgszüge für Kontraste zum
flachen oder leicht gewellten
Land sorgen. Mount Isa ist so ein
Ort. Eine mineralische Schatzkammer. In Mt. Isa werden gleich
vier Metalle in beträchtlichen
Mengen in einer einzigen Mine
gefördert: Blei, Kupfer, Silber,
Zink. Die Mine gehört zu den
weltweit grössten. Bei der Besucherinformation buche ich eine
Besichtigungstour unter Tag.
Bevor ich die Kreditkartenbelastung unterschreibe, stelle ich
die Routinefrage: «Fotografieren
ist sicher erlaubt.» Die Antwort
kommt kurz und bündig: «Nein,
keine Fotoapparate und Videokameras auf der Tour.»
«Muss ich diese Mine wirklich gesehen haben?» frage ich
mich. Um keinen Preis würde
sich ein reinblütiger Aborigine je
in einen Minenstollen begeben.
Dieses Aufkratzen, Anbohren
und Abtragen, Schmelzen und
Abtransportieren des Bodens
ist ihnen absolut fremd und mit
ihrem Welt- und Glaubensbild
unvereinbar. Ich zucke entschuldigend mit den Schultern,
weise die Frau an, die Zahlung
zu annullieren. Sie ist darüber
etwas erbost, reisst ein kurzes
Wortscharmützel vom Zaun.
Ich empfehle ihr, die Werbeprospekte der Minenbesichtigung
mit einer Information «No photography» zu versehen.
Später überblicke ich vom
City Lookout mit seinem internationalen Wegweiserpfahl die
Stadt: Mt. Isa hat rund 24’000
Einwohner, doch flächenmässig
ist es die grösste Stadt der Welt:
Der Verwaltungsbezirk Mt. Isa
erstreckt sich über 41000 Quadratkilometer und ist damit so
gross wie die Schweiz.
Dann die Strecke nach Camooweal bis Three Ways. Eine
Strecke, die mit ihrer Weite und
Leere die eigene Befindlichkeit
verstärkt. Stundenlang nichts als
das endlos scheinende Outback«Nichts». Ich bin glücklicherweise in einem biorhythmischen
Hoch. Diese Landschaft zu Musik von Pink Floyd an mir vorbeiziehen zu sehen, produziert
Hühnerhaut, versetzt mich in
einen rauschartigen Zustand.
Himmel und Erde sind in dieser Landschaft durch die scharfe
Linie am Horizont klar getrennt,
gehen aber auch eine Berührung ein, die direkter nicht sein
könnte. Gerade wenn ich alleine
reise, finde ich mich immer wie-
der in einer Art Dialog mit dem,
was mich umgibt. Und was mich
umgibt, ist durchaus nicht das
Nichts, auch wenn es vorwiegend
aus Leere zu bestehen scheint.
Die mich umgebende Natur
stellt immer wieder sonderbare
Dinge mit mir an. Je sparsamer
sie ist, desto mehr lässt sie mich
in verborgene Gefühls- oder Bewusstseinsbereiche vordringen.
Die Lehre der Leere.
Durchs Rote Zentrum zum
magischen Berg
Erlebnismosaik rund um Tennant
Creek: Besuch eines Minenstollens mit alter Maschinerie. Raymond Williams kann sich nichts
Spannenderes vorstellen als in
den Tiefen zu buddeln. Besuch im
Nyinka Nyunyu Cultural Center.
Die Leute freundlich, hilfsbereit,
das Gebotene beeindruckend.
Ein Ort, in dem sich Freundlichkeit noch lohnt. Dann ein Abstecher zu den Pebbles, interessante
Gesteinsformationen, Gesteinskobolde. Ein heiliger Platz, alles
eingezäunt – und Warnschilder,
die einem den Mumm nehmen,
über eine Abschrankung zu steigen. Die Aussies stört das wenig:
Hauptsache es hat Grillierstände.
Südlich von Tennant Creek
komme ich im ersten Morgenlicht, natürlich allein, an jenem
Ort direkt am Stuart Highway
an, den die Weissen «Devil’s Marbles», Teufelsmurmeln, nennen
– eine faszinierende Ansammlung
von Granitblöcken, die von Wind
und Wasser und durch den steten
Kälteschock von Tag und Nacht
zu Kugeln erodiert sind. Für die
Aborigines ist der Platz ein Heiligtum, sie deuten die Granitkugeln
mythisch als Eier der Regenbogenschlage, zentrales Geistwesen
aus der Traumzeit. Auch auf die
Touristen macht dieser Ort mächtig Eindruck, doch ist unsere Art
des Erlebens eher von Begeisterung geprägt als von Ehrfurcht.
Alice Springs, touristischer
Hub im Outback, hat das Pech,
dass ich bereits spüre, wie mich
der Uluru, einem riesigen Magneten gleich, nun unwiderstehlich anzieht. Einen Besuch
im Desert Park am Fusse der
Mc Donnell Ranges lasse ich
mir dennoch nicht entgehen;
das Nocturnal House mit seinen
nachtaktiven Wüstenbewohnern
ist einzigartig.
Ich verlasse den Stuart Highway und biege östlich auf den
Lasseter Highway ab. Bald taucht
der Mount Conner in der Ebene
auf. Dieses drei Kilometer lange,
Unterwegs im Outback: Reise durch eine kaum berührte Natur
faszinierende Relikt einer erodierten Bergkette sieht aus der
Ferne dem Uluru ähnlich, steht
aber touristisch stark im Schatten des «Originals».
Und dann der grosse Moment:
Jetzt ist «er» es wirklich! Westlich von Curtin Springs halte ich
an, steige auf eine Sanddüne, lasse
meinen Blick geniesserisch durch
die Landschaft schweifen. Welch
ein Anblick! Eine rotsandige, mit
Mulga-Sträuchen, Wüsteneichen
und Spinifex-Gras bewachsene
Landschaft umgibt mich. Und
am Horizont der Uluru, eines
der stärksten Landzeichen auf
unserem Planeten. Ich hole mein
Didgeridoo aus dem Auto. Gestern bei den Devils Marbles hat
die Zirkularatmung erstmals
richtig funktioniert. Heute gibt’s
ein kleines Hauskonzert für den
magischen Berg.
Uluru, heiliger Berg
Ungewohnte Perspektive: Die Ansicht des Uluru von Norden her
«The Brain»: eines der auffälligsten Erosionsmuster am heiligen Berg
Respekteinflössend sind die senkrechten Sandsteinwände im Kings Canyon
Vor zwanzig Jahren fuhr ich als
Rucksackreisender von Cairns
via Townsville zum damaligen
Ayers Rock. Meine Eindrücke
von einst sind immer noch stark
präsent. Ich erinnere mich, wie
ich einen mehrtägigen WanderPermit für die Olgas ergattern
konnte, trotz schon einsetzender
Restriktionen. Ich sehe noch vor
mir, wie sich ein Dingo zu mir
gesellte und mir Kekse stibitzte.
Ich erinnere mich, wie ich mich
in eisiger Nacht über ein Feuerchen beugte, das ich mit Holz
von einer abgestorbenen Wüsteneiche versorgte. Noch heute
kann ich den Genuss nachempfinden, als Tags darauf die Sonne meinen Körper durchwärmte. Ich erinnere mich, wie ich
die Nacht fotografierend beim
Ayers Rock unter dem sternenübersäten Himmel verbrachte.
Das war schon damals verboten.
Aber als Wanderer verschluckte mich die Landschaft einfach,
ich blieb unbemerkt. Ich erinnere mich auch, wie ich mit
meinen damals 25 Jahren den
Ayers Rock mit der innersten
Überzeugung erklomm, da oben
willkommen zu sein. Ich erinnere mich, dass mich mein Reisen
schon damals mit grosser Dankbarkeit erfüllte. So trete ich dem
Uluru nun näher.
Der Uluru ist die Spitze eines
uralten, vor Jahrmillionen durch
Erosion entstandenen und tief
in die Erde hineinreichenden
Sedimentblocks, der während
geologischen
Faltungsvorgängen in eine senkrechte Position
kam. Die roten Farben entstehen
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«Devil’s Marbles» – Stefan übt frühmorgens auf seinem Didgeridoo
Fliegende Hunde, nicht im Dschungel, sondern mitten in der Stadt Cairns!
Mount Conner:
3 Kilometer langes Relikt
einer erodierten Bergkette.
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durch Eisenoxydationen. Der
Uluru zerbröckelt nicht. Aber er
häutet sich wie eine Schlange. Als
Folge der heissen Tage und kalten
Nächte schiefert das Gestein ab.
348 m Höhe, 3,6 km Länge,
2,4 km Breite, 9,4 km Umfang
– der Uluru ist jedoch viel mehr
als eine rechnerische Grösse. Das
kann man spätestens dann spüren, wenn man selber vor ihm
steht. Sein Name gilt als unübersetzbar. Aber allein im Wortklang
drückt sich seine Wirkung aus:
Uluru, der Geheimnisvolle, der
Magier, der Respektfordernde.
Wie ein steinernes Chamäleon
verändert der Berg seine Farbe,
bis er, beschienen von der untergehenden Sonne, für Momente
in Flammen aufzugehen scheint.
Dieses rostrote Wesen aus Arkose-Sandstein entfaltet eine ungeheure Wirkung auf mich, lässt
mich im Innersten erzittern. Ich
verstehe, warum den Anangu
jede Ritze und Form, jede Höhle
und jedes Wasserloch heilig ist
und von ihnen mythisch gedeutet wird. Als heilige Stätte ist der
Uluru mit vielen Tabus belegt.
Besteigung oder Begegnung?
Die Besucherzahlen haben sich
inzwischen vervielfacht. Heute
pilgern jährlich fast eine halbe
Million Menschen zum heiligen
Berg, der seit 1995 offiziell wieder Uluru und nicht mehr Ayers
Rock heisst. Auch das Schwestergebirge Mount Olgas erhielt
wieder seinen ursprünglichen
Namen Kata Tjuta. Versorgungszentrum für die Reisenden ist
der Retortenort Yulara, dessen
Namen langsam der Bezeichnung Ayers Rock Resort weicht.
«It is requested that you respect the wishes of Anangu by
not climbing Uluru», steht auf
dem 3-Tage-Permit zum Besuch
des Nationalparks. Es ist ein
Dilemma: Da reisen Menschen
aus der ganzen Welt an, wollen
diesen Bergmonolith sehen und
halten es für die natürlichste Sache, ihn zu erklimmen, wie das
so viele vor ihnen getan haben.
Aus Angst, der Besucher- und
Geldstrom zum Uluru könnte
abreissen, geht die Nationalpark-Verwaltung einen Kompromiss ein und setzt das Tabu
der Besteigung, dem sich die
Anangu, die traditionellen Aborigines-Landbesitzer, selber ausnahmslos unterziehen, ausser
Kraft. «Besteigung nicht empfohlen, aber nicht verboten», so
lautet die Devise heute. Wer den
Wunsch der Anangu respek©Globetrotter Club, Bern
tiert, verzichtet freiwillig auf die
Besteigung. Die Touristen ihrerseits erwarten mit der Bezahlung
des Eintritts von 25 Dollar mehr
als die blosse Berechtigung, den
Berg nur ansehen zu dürfen. So
turnen sie weiterhin Tag für Tag
entlang der mit Ketten verbundenen Eisenpflöcke den steilen
Bergrücken hinauf.
Um mir die Chance nicht zu
vergeben, nebst weissen Administratoren auch eingeborene Menschen zu Gesicht zu bekommen,
nehme ich an einem Malkurs teil.
Man führt uns hinter einen Palisadenzaun. Tatsächlich sitzen
zwei alte Anangu-Frauen auf einer Bank. Wir scheinen Welten
voneinander entfernt. Doch da ist
eine Heiterkeit, die gleichzeitig
ein Gefühl der Nähe schafft. Bevor wir uns ans Malen machen,
erzählt eine der Frauen eine
Geschichte. Der junge Ranger
übersetzt. Während des Erzählens klopft sie mit einem kleinen
Zweig wie mit einem Taktstock
auf den Boden. «Das machen wir
immer, wenn wir Geschichten
erzählen», antwortet die Frau
auf die Frage einer Kursteilnehmerin. Dann die Anschlussfrage:
«Warum tun Sie das?» Die Frau
sagt: «Ich weiss es nicht.»
Die meiste Zeit im Uluru-Nationalpark verbringe ich allein.
Es ist ein Ort, von dem ich spüre, dass er den einzelnen Besucher tiefer berührt als wenn man
in Gesellschaft hier unterwegs
ist. Auf eine Besteigung des Uluru verzichte ich diesmal. Auf
diese Weise behalten die Erinnerungen an meine erste Begegnung mit dem Uluru ihren Wert.
Andererseits habe ich erst auf
dieser zweiten Reise begriffen:
Die wahre Bedeutung einer Begegnung mit diesem Felsmythos
liegt nicht in seiner Besteigung.
Für mich hat der Uluru seine Magie bewahrt und mich
seine spirituelle Dimension
noch stärker erkennen lassen,
trotz des massiven Besucherandrangs, trotz der restriktiven
Vorschriften. Der Uluru ist das
Religionsbuch einer der ältesten
Kulturen unserer Welt. Er ist
ein Kraftort. Ein Orakel. Eine
Pforte zur Welt der Spiritualität.
Ein Sesam, der sich nicht öffnet,
wenn man ihn anspricht, sondern wenn man ihm zuhört.
Ich hätte meine Reise nach
Australien auch unternommen,
wenn ich nur diesen einen Ort –
Uluru – hätte besuchen können.
Warum ich das so empfinde?
Ich weiss es nicht, es ist
mein Bauchgefühl.
HARSCHE REGELN FÜR BESUCHER AM HEILIGEN BERG ULURU
Die Hauptregel im Uluru National Park lautet: Man darf alles tun, was nicht
verboten ist. Im Visitor Center liegen die Parkvorschriften auf. Sie sind faktisch eine Verbotsliste mit Bussentarif. Ich studiere diesen Zettel genauer.
Die Wege dürfen nicht verlassen werden. Das ist bei einem Besucheraufkommen von heute fast einer halben Million Menschen jährlich absolut
nachvollziehbar. Die Wege sind links und rechts mit dünnen Seilen gesichert. Wer diese Abschrankungen übersteigt und dabei erwischt wird, ist
um 500 Dollar leichter. Gar kein Pardon kennen die Parkwächter, wenn
sie jemanden beim Ablichten eines mit einem Fotoverbot belegten heiligen Platzes ertappen: 5500 Dollar Busse! Die Fotoverbote, so schikanös
man sie empfinden kann, hängen damit zusammen, dass zu den vielen
rituellen Plätzen rund um den Uluru auch solche gehören, die spezifisch
nur von Frauen oder Männern der Anangu betreten werden dürfen. Auch
der direkte Augenkontakt mit solchen Stellen ist tabu. Mit dem Verbot sollen
die Eingeborenen davor geschützt werden, dass sie durch den Kontakt mit
veröffentlichten Bildern ein strenges Tabu ungewollt brechen.
Ich habe in Museen und Kulturzentren von Aborigines diverse Male Bilder
gesehen, die mit Stoff abgedeckt waren. Grund: Stirbt ein Aborigine, darf
er nach dem Glauben seiner Gemeinschaft auch auf Fotos nicht weiter
existieren.
Klar, dass die drastischen Bussen beim Fehlbaren totale Frustration auslösen
und Beschimpfungen nach sich ziehen können. Dies scheint wiederholt passiert zu sein. Jedenfalls wurde die Liste um zwei neue Verbots-Punkte erweitert, die ein allfälliges Aufbegehren im Keim ersticken sollen: Beleidigungen
und Einschüchterungen von Parkpersonal kosten ruinöse 13 200 Dollar,
und sollte jemand gar handgreiflich werden, schnellt der Bussentarif samt
Schmerzensgeld auf astronomische 46 200 Dollar hoch. Eigentlich könnte
man weinen ob solch rigoroser Vorschriften – und der heute verhangene
Himmel über mir tut es auch. Ein paar wenige Tropfen fallen. Dann wird mir
klar: Die Geister des Uluru haben wohl eher Tränen gelacht.
Fakt ist: Durch die zahlreichen Vorschriften beschränkt sich der Bewegungsraum von Touristen im Park auf einen Weg rund um den Uluru, einige Höhlen und die Besteigung des Felsbergs. Doch das sind immerhin gute zehn
Kilometer, auf denen es viel zu entdecken gibt.
Offensichtlich haben im Uluru-Nationalpark andere Zeiten Einzug gehalten.
Mein Campingfeuerchen, schon vor 20 Jahren illegal (aber lebensrettend),
würde mich nach dem heutigen Reglement 5500 Dollar kosten, zuzüglich
1100 Dollar für unerlaubtes Campieren. Kommt jemand auf die Idee, die
Asche eines Verstorbenen im Gelände zu verstreuen, werden 2200 Dollar
fällig. Massives Bussgeld hat auch zu gewärtigen, wer sich dem Wohnbereich der Anangu im Park unbefugterweise nähert. Ich erkundige mich
im offiziellen Visitor Center nach Möglichkeiten, Stammesmitgliedern der
Anangu zu begegnen. Der Mann wimmelt mich ab: «Buchen Sie eine Tour.»
Die traditionellen Landeigner werden von den weissen Parkwächtern nahezu hermetisch abgeschottet.
D I AV O R T R A G S - T O U R N E E « A U S T R A L I E N »
Aus seiner Entdeckungsreise hat Stefan Pfander die Diavortragsreportage «Australien – 100 Tage Down under» mit modernster BeamerTechnologie geschaffen. Vom 9. Januar bis 9. Februar 2006 erzählt
er in 15 Deutschschweizer Städten live von seinen Erlebnissen und
gibt Tipps für besseres Fotografieren. Orte, Termine, Infos und Reservationen: www.explora.ch
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