sport - MedIALINe.de

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sport - MedIALINe.de
www.focus.de
7000 EURO WAS TAUGT DAS BILLIG-AUTO VON VW?
Nr. 24/14 07. Juni 2014
KLITSCHKO
Warum ich in
der Ukraine
bis zum Ende
kämpfe
FITTER
SCHLANKER
STÄRKER
Das perfekte Training:
weniger anstrengen
– mehr abnehmen!
+
FETT
V ER BR EN N EN
M USK ELN
AU FB AU EN
WM-PLANER 2014
JO-JO-EFFEK T
V ER HI NDER N
ALLE TEAMS
ALLE SPIELE
UNSERE
CHANCEN
Nur 15
Minuten
am Tag!
SPORT
Am Ball
Der ehemalige Niederbayern-Auswahlspieler
Herbert Hainer, 59,
vor einem überdimensional großen
WM-Ball in der AdidasKonzernzentrale in
Herzogenaurach
118
FOCUS 24/2014
„Die größte Kampagne
unserer Geschichte“
Adidas-Chef Herbert Hainer spricht über die Materialschlacht bei der WM,
martialische TV-Spots und Abendessen mit Bayern-Trainer Pep Guardiola.
Darüber hinaus erklärt er, warum er stets allein Fußball schaut und lieber über
Konterfußball als über Konzernstrategien spricht
Herr Hainer, am Donnerstag
startet die Fußball-WM in
Brasilien. Wie schauen Sie die
Spiele an? Mit Trikot, Bier und
Chips vor dem Fernseher?
Ich schaue am liebsten allein,
weil ich es nicht so mag, wenn
beim Fußballschauen permanent
geredet wird und dann auch noch
jemand fragt, warum das jetzt
gerade Abseits war.
Ihre Frau darf aber mitschauen?
Foto: Wolf Heider-Sawall für FOCUS-Magazin
Natürlich. Sie kennt mich ja
lange genug und weiß, dass ich
beim Fußballschauen immer sehr
konzentriert bin. Bei den ersten
Spielen hat sie aber erst mal Ruhe
vor mir. Ich fliege in der ersten
WM-Woche nach Brasilien, dann
noch einmal zu den Halbfinals
und zum Endspiel.
„Obwohl andere über die Jahre versucht haben, im Fußball-Geschäft
erfolgreich zu sein, ist Adidas seit
jeher einen Schritt voraus“, schreiben Sie auf Ihrer Fußball-Homepage.
Wird es 2014 auch so sein?
Davon gehe ich fest aus. Das
Turnier ist unsere große Bühne,
um unsere Marke und unsere
Produkte der ganzen Welt vorzustellen. In Sachen Umsatz, Innovationskraft und Markensichtbarkeit sind und werden wir die
klare Nummer eins im Fußball
bleiben. Mehr noch: Wir werden
durch die WM unsere FührungsFOCUS 24/2014
Herr
der drei
Streifen
Herbert
Hainer, 59
Seit 2001 ist der
Betriebswirt
der Capitano bei
Adidas. Den
Unternehmenswert hat er
seither verfünffacht, den
Gewinn bis auf
das Krisenjahr
2009 jedes Jahr
zweistellig
gesteigert. Im
WM-Jahr
2014 will der
Ex-Stürmer des
FC Ottering den
Rekord von zwei
Milliarden Euro
im Fußball-Geschäft knacken.
position ausbauen. Das belegen
die Zahlen des ersten Quartals.
In den ersten drei Monaten des
laufenden Jahres steigerten wir
die Fußball-Erlöse um 27 Prozent.
Wenn das Eröffnungsspiel angepfiffen wird, wie viel des Umsatzes
haben Sie dann schon fest verbucht?
Gut 90 Prozent. Alles, was dann
noch kommt, ist die Kirsche auf
der Sahne, also Zusatzgeschäft.
Seit wenigen Tagen läuft Ihre
Schuh-Kampagne „Battle Pack“.
In dem Spot tragen Kämpfer
Kriegsbemalung, reiten mit
Schwertern auf wilden Pferden. Im
Hintergrund ertönt eine Stimme:
„Jage. Oder du wirst gejagt. Entwickle dich weiter. Oder stirb.“
Warum immer so martialisch?
Weil es den Geschmack der
jungen Leute trifft. Wir geben die
Clips vorher immer in die Marktforschung und sehen dann relativ
schnell, was gefällt und was nicht.
Ihr Dauer-Konkurrent hat seine
Kampagne „Risk everything“
schon vor Wochen gelauncht.
Mit Erfolg. Derzeit hat Nike die
Nase vorn. „Insgesamt hat Nike
bei Web-2.0-Medien doppelt so
viele Fans wie Adidas“, schreibt
der Marktforscher Repucom.
Sie dürfen nicht vergessen: Das
sind auch Profis. Dass Nike noch
vor uns ist, liegt aber vor allem an
zwei Dingen: Erstens haben sie
früher Werbung geschaltet. Zweitens haben sie in Amerika eine
bessere Marktposition als wir.
Sie haben auf dem weltgrößten
Sportartikelmarkt mehr Konsumenten und dementsprechend
mehr Clicks. Wir geben aber seit
dem Champions-League-Finale
jetzt richtig Gas! Die mit Abstand
größte Werbekampagne in der
Adidas-Geschichte zahlt sich
schon jetzt aus.
Was kostet Sie so eine WM?
Einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Hinzu kommen die
Ausgaben an den Weltfußballverband Fifa.
Unter dem Strich also gut
150 Millionen Euro.
Da unsere Wettbewerber sicherlich auch den FOCUS lesen, kann
ich Ihnen hierzu leider nichts
sagen.
Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe?
Im Fußball sind es die 14- bis
19-Jährigen, die auf ihren Smartphones und Tablets fast immer
online sind. Dadurch können wir
mit ihnen jeden Tag sieben Tage
die Woche kommunizieren. Das
machen wir auch während der
WM. Wir richten in Rio eigens
einen Newsroom ein. Dort werden 70 Adidas-Mitarbeiter rund
um das Turnier berichten. Alles,
was auf und neben dem Platz passiert, werden wir den Internet119
Bei Ihrem „Route 2015“-Ziel
planen Sie einen Umsatz von
17 Milliarden Euro und eine Marge
von elf Prozent. Nun sind Sie
von diesem ehrgeizigen Ziel
selbst etwas abgerückt. Stehen
Sie jetzt noch dazu oder nicht?
Nutzern präsentieren – natürlich
aus unserer Sicht und mit unseren
Inhalten. Die User wissen dann:
Adidas hält mich rund um das
weltweit wichtigste Sportereignis
auf dem Laufenden.
Und auch mit ständig neuen
Schuhen. Früher gab es zwei Kickstiefel: den „World Cup“ und den
„Copa Mundial“. Heute bieten Sie
„Adizeros“, „Predators“ oder „Nitrocharges“ an. Vor 20 Jahren hatten
Sie 50 verschiedene Schuhe im
Angebot, heute über 500. Warum?
Weil wir alle Konsumschichten
bedienen wollen. Die Nachfrage
nach innovativen Produkten ist
riesig, und wir kommen der gern
nach. Sonst würden wir es ja auch
nicht machen.
Greenpeace ist von Ihren neuen
Produkten eher weniger begeistert. Sie hat den „Predator“Fußballschuh und „Brazuca“-Ball
auf giftige Chemikalien getestet
und hohe Werte festgestellt.
Ich halte das für reine Panikmache. Alle Werte liegen deutlich unter den Grenzwerten, die
gesetzlich vorgeschrieben sind.
Greenpeace erklärt selbst, dass
die Produkte überhaupt nicht
gesundheitsschädigend sind. Sie
nutzen meines Erachtens nur
unseren guten Namen, um in die
Medien zu kommen. Besser wäre
es, wenn sie sich mit uns mal an
einen Tisch setzen würden, um
konstruktiv nach Verbesserungen
zu suchen.
Die Chemikalien würden dennoch
in der Umwelt und Nahrungskette
der Herstellungsländer landen. Der
Chemie-Experte Manfred Santen
von Greenpeace droht: „Es ist Zeit
für eine rote Karte für Adidas - die
Firma muss jetzt handeln.“
Noch einmal: Wir halten alle
Grenzwerte ein und haben deshalb ein gutes Gewissen. Ebenso
haben wir uns in Sachen Bezahlung und Arbeitsbedingungen
nichts vorzuwerfen. Meine 65 Kollegen, die sich das ganze Jahr nur
um Soziales und Umwelt kümmern, leisten wirklich hervorragende Arbeit.
Die Arbeitsbedingungen nützen
Organisationen für Kritik auf der
120
„Ich bin überzeugt davon,
dass Uli sich
nach der
Abbüßung
seiner Strafe
wieder für den
FC Bayern
einsetzen
wird“
Herbert Hainer
über die mögliche
Rückkehr des ExBayern-Präsidenten
Uli Hoeneßa
Hauptversammlung. Dieses Jahr
hat ein Fondsmanager für Aufsehen
gesorgt. „Wir haben kein Vertrauen
mehr“, sagte Union-Banker Ingo
Speich. Für ihn sei es unverständlich, warum der Vertrag mit Ihnen
verlängert wurde. Schließlich sei
Adidas eine „Riesenbaustelle“.
Wie sehr nagt so etwas an Ihnen?
Natürlich ärgert mich das sehr.
Wenn ich aber erst mal eine Nacht
drüber geschlafen habe, ist es
meist schon besser, weil dann die
Ratio wieder durchkommt.
Ärgern muss es Sie trotzdem.
Seit 2001 sind Sie Adidas-Chef,
haben bis auf 2009 jedes Jahr den
Gewinn zweistellig gesteigert . . .
. . . und den Unternehmenswert
verfünffacht. Es klang bei diesem
Redebeitrag bei unserer Hauptversammlung ja fast so, als ginge es
dem Unternehmen schlecht. Das
Gegenteil ist der Fall. Wir sind
schuldenfrei, äußerst profitabel
und haben eine Eigenkapitalquote
von fast 50 Prozent. Darüber hinaus
war 2013 das erfolgreichste Jahr
der Unternehmensgeschichte mit
einem Rekordgewinn von fast 840
Millionen Euro. Was mich beruhigt: Hier handelt es sich um eine
Einzelmeinung. Vorstand und Aufsichtsrat bekamen von den Aktionären 96 Prozent Zustimmung, und
unser Aktienkurs stieg am Tag der
Versammlung um zwei Prozent.
Wir werden wie im Fußball
bis zur letzten Minute kämpfen.
Unter dem Strich könnte es aber
vielleicht doch etwas mehr Zeit
in Anspruch nehmen, als wir
gedacht haben. Ich bin mir sicher:
Operativ werden wir fast alle Ziele erreichen. Ob wir jedoch unsere
Vorgaben in Sachen Umsatz und
Marge erreichen werden, kann
ich noch nicht sagen. Das liegt
im Wesentlichen an der Entwicklung der Währungen, die derzeit
leider gegen uns arbeiten. Unsere Produkte verkaufen sich großartig. Wenn uns der starke Euro
aber weiterhin belastet, kann ich
ja schlecht meine Manager dafür
verantwortlich machen.
Verantwortlich sind Sie als
Investor und Aufsichtsratschef
beim FC Bayern. Wollen Sie
das Kontrollgremium nach
dem Rücktritt von Uli Hoeneß
langfristig führen?
Der Aufsichtsrat wird im September eine neue Zusammensetzung erhalten. So soll beispielsweise auch der neue Anteilseigner
Allianz einen Posten erhalten. Bei
der Gelegenheit beraten wir auch
über den Aufsichtsratsvorsitz.
Würden Sie weitermachen wollen?
Wie gesagt, wir beraten das intern im September.
Sie könnten es ja kommissarisch
weitermachen, bis Uli Hoeneß
zurückkommt?
Ich bin überzeugt davon, dass
Uli sich nach der Abbüßung seiner Strafe wieder für den FC Bayern München einsetzen wird. Er
selbst beschreibt den Verein ja
„als ein Teil von mir, als ein Kind
von mir“. Aber für Spekulationen,
wann und in welcher Form Uli
zurückkommt, ist es nun wirklich
zu früh.
Hoeneß war nicht nur „Abteilung
Attacke“, er war auch ein Aushängeschild der Liga. Wird er dem
deutschen Fußball fehlen?
FOCUS 24/2014
Ja, weil er immer ein kritischer
Geist war und dadurch unheimlich viel angestoßen hat.
Und wer ist sein Nachfolger?
BVB-Chef Hans-Joachim Watzke
könnte die Lücke füllen.
Das macht doch schon jetzt
Karl-Heinz Rummenigge. Er ist
nicht nur Vorstand der FC Bayern München AG, sondern auch
Präsident der ECA, also der Interessenvertretung der größten
und wichtigsten europäischen
Fußballvereine. Erst beim Champions-League-Finale in Lissabon
habe ich zum Beispiel mit Andrea
Agnelli gesprochen, dem Fiat-Vorstand und Präsident von Juventus Turin. Seine Bewunderung für
Karl-Heinz Rummenigge ist sehr
groß. Rummenigge vertritt den
Verein unheimlich gut, sowohl
national wie auch international.
F otos: Wolf Heider-Sawall für FOCUS-Magazin, MIS/imago
Viele Menschen kennen Sie aus
dem Fernsehen, als Sitznachbar
von Uli Hoeneß. Wer sitzt in der
nächsten Saison neben Ihnen,
wenn Hoeneß im Gefängnis sitzt?
Das weiß ich noch gar nicht.
Die Sitzverteilung macht – soweit
ich weiß – Finanzvorstand JanChristian Dreesen.
Vielleicht Rummenigge? Hoeneß hat
mal über ihn gesagt, dass er sich auf
der Tribüne wie „Rumpelstilzchen“
aufführen würde. Das würden Sie bei
Ihrer Frau zu Hause nicht dulden.
Karl-Heinz Rummenigge ist ein
erfolgreicher Manager und ein
absoluter Fußballexperte. Sobald
der Ball in der Allianz Arena aber
läuft, packt ihn auch die Begeisterung, und er kommentiert das
FOCUS 24/2014
ganze Spiel. Fast 90 Minuten am
Stück, so wie ein Fernseh- oder
Radiokommentator.
Auf diesen Genuss mussten Sie
im vergangenen Jahr zeitweise
verzichten. Sie sind auf Glatteis
ausgerutscht und haben sich
die Kniescheibe gebrochen.
Können Sie als Adidas-Chef
wieder vorneweg schreiten?
„Alles oder nichts“
heißt die größte
Werbekampagne
in der Adidas-Geschichte. Bei der WM
laufen Dani Alves,
Mesut Özil,
Lionel Messi, Luis
Suárez und Oscar
dos Santos Emboaba
Júnior mit AdidasKickstiefeln auf
Ich marschiere wie eh und je
voraus. Nein, im Ernst: In der
Unfallklinik Tübingen haben sie
mich wieder perfekt hingekriegt.
Ich kann wieder alles machen:
joggen, bergsteigen, Ski fahren.
Wissenschaftler sprechen von
einer „Fußballerisierung der
Gesellschaft“. Noch nie war
dieses Spiel so präsent wie
heute. Warum ist das so?
Ottmar Hitzfeld, der Ex-Trainer
von Borussia Dortmund, hat mal
erzählt, dass er Fotos zugeschickt
bekommen hätte, auf denen
schwarz-gelbe BVB-Altäre zu sehen
waren. Auf diesen standen Bilder
von ihm und seinen Spielern.
Für die Leute sind das Reliquien.
Das geht mir zu weit. Fußball
ist Sport und keine Ersatzreligion.
Hat man Sie vor 13 Jahren zum
Vorstandschef berufen, nur weil
Sie Fußball-Sachverstand haben?
„Herbert Hainer ist ein herausragender Manager und Stratege“,
heißt es auf der Adidas-Homepage.
Aber mehr als alles andere steche
Ihre Leidenschaft für Fußball
heraus. „Wenn Herbert Hainer über
Fußball spricht, merkt man ihm
sofort an, dass er das Spiel liebt.“
Treten Sie auch wieder gegen den
Ball? Früher haben Sie mal in der
Niederbayern-Auswahl gekickt.
Ich werde jetzt 60, da muss ich
mir nicht mehr auf die Knochen
hauen lassen. Wenn ich allerdings gefragt werde, ob ich nicht
doch bei einem Benefiz-Spiel oder
einem internen Turnier mitspielen
möchte, ziehe ich mir ab und zu
doch wieder die Fußballschuhe an.
Sie müssen ja nur den Fernseher anschalten: Sieben Tage die
Woche kommt Fußball. Darüber
hinaus ist die Bundesliga eine
der attraktivsten Ligen der Welt
geworden. Vor 15, 20 Jahren sind
die Klinsmanns und Kohlers ins
Ausland gegangen, heute spielen die Robbens und Ribérys in
der Bundesliga. Zudem hat sich
das Fußballpublikum durch die
neuen Stadien radikal verändert.
Heute sind viel mehr Frauen und
Familien in den Stadien. In Dortmund oder auf Schalke geht das
noch weiter. Der eigene Verein ist
dort für viele so etwas wie eine
Ersatzfamilie.
VIDEO
Seite scannen
mit FOCUS
ACTIVE APP
„Verlieren ist beschissen“, so der
Sportler und Stratege
Herbert Hainer
Treffen in der
3-Streifen-Zentrale
Herzogenaurach:
Herbert Hainer,
Kapitän des 50 000
Mann starken
Adidas-Teams, und
FOCUS-Redakteur
Andreas Haslauer
Liebe zum Sport gehört bei Adidas zur Grundeinstellung. Ich war
neulich mit Pep Guardiola essen.
Mit dem Bayern-Coach habe ich
den ganzen Abend lang fast nur
über Fußball gesprochen. Pep
hat mir genau erklärt, warum er
in dem und dem Spiel nicht auf
diesen, sondern auf jenen Spieler
setzt. Dabei hat er Gläser, Besteck,
Servietten sowie Salz- und Pfefferstreuer benutzt, um mir Spielsysteme, Vierer-Abwehrreihen und
Rauten im Mittelfeld zu illustrieren. Ich gebe zu: Das macht mir
nach einem anstrengenden Tag
im Büro mehr Spaß, als über EbitMargen zu sprechen.
n
INTERVIEW: ANDREAS HASLAUER
121
Ein großer Nerv-Faktor für Fußballfans während der WM
in Brasilien: verzögerte Fernsehbilder dank moderner Technik
I
n der Frühzeit des Fernsehens waren Sendungen
wirklich live. Bei der Show
„Der goldene Schuß“ richteten Zuschauer per Telefon eine
Armbrust aus und ließen diese
dann abfeuern. Später wurde der
„SAT.1 Superball“ von zu Hause aus gelenkt, auf „Links“- und
„Rechts“-Befehle hin wich der
Computerball Hindernissen aus.
122
Geschicklichkeitsspiele dieser Art
sind heute nicht mehr möglich.
Die digitale Übertragungstechnik
steht dem im Weg. Jeder Verarbeitungsschritt dauert eben ein paar
Millisekunden. Das Fernsehbild
braucht im Digitalzeitalter länger, um beim Zuschauer anzukommen. Live ist nicht mehr live.
Spätestens im kollektiven Fußballrausch bei der Weltmeister-
31,1
Millionen
Fernsehzuschauer
sahen bei der
WM 2010 das
Halbfinal-Spiel
Deutschland
gegen Spanien.
FOCUS 24/2014
Foto: Focke Strangmann/ddp images
Wenn die anderen
schon jubeln . . .
schaft in Brasilien erzeugt dies
Frust und Zorn. Ganz Deutschland
sieht zwar gleichzeitig fern. Doch
während auf dem Bildschirm der
einen die Flanke noch in den
Strafraum segelt, bejubeln die
anderen schon das Tor. Die Freudenschreie entwickeln sich zu
einer akustischen La-Ola-Welle,
dirigiert von der Übertragungstechnik. Je nachdem, ob die Signale über Satellit (DVB-S), Kabel
(DVB-C), Antenne (DVB-T) oder
Internet (IPTV) auf die Bildschirme kommen, setzt das Gebrüll
früher oder eben auch deutlich
später ein.
Der weite Weg von Brasilien
nach Deutschland ist dabei das
geringste Problem. In Lichtgeschwindigkeit unterquert das
Fernsehsignal im Glasfaserkabel
den Atlantik. Die interkontinentale Reise dauert ungefähr eine
Sekunde.
MEDIEN
Die entscheidenden Sekunden bis zum Tor
BRASILIEN
Sendezentrum
DEUTSCHLAND
ÜberseeGlasfaserkabel
Sendeanstalt
Satellit
Kabelfernsehen
terrestrisch (DVB-T)
Könnte die
Bilder auch
zügiger
weitergeben
Liegt bei
der Geschwindigkeit
vorn
Internet/IPTV
Theoretisch
schnell, wird
künstlich
verlangsamt
Für ein LiveErlebnis am
wenigsten
geeignet
Damit die
Funkwellen
synchron sind,
wird das Signal
ausgebremst.
Die Daten
sammeln sich
erst in einem
Puffer, gehen
dann weiter.
Zeitverzögerung
3,5–5,2 s
Quelle: SWR
2,8–4,2 s
Das Umsortieren der Daten
auf dem
Transponder
braucht Zeit.
Fast wie live dabei
Deutschland-Fans
feiern die Nationalmannschaft beim
Public Viewing in
Hamburg während
der Fußbal-Weltmeisterschaft 2010
FOCUS 24/2014
Von Baden-Baden beziehungsweise Mainz aus verschicken
ARD oder ZDF das Signal in zwei
Varianten: in normaler Auflösung
(SD, Standard Definition) und in
hochauflösender HD-Qualität
(High Definition). Beim Ersten
müssen Zuschauer länger auf
das scharfe Bild warten. Das SDSignal braucht via Satellit 2,8
Sekunden, als HD dauert es 4,2
Sekunden. Das ZDF hingegen
gibt der Brillanz den Vortritt.
Die Mainzer favorisieren die
HD-Technik, das SD-Signal folgt
einen Moment später.
Dramatischer für den Fußballfan ist, auf welchem Weg das Bild
nun in seinen Fernseher gelangt.
Für den Empfang per Schüssel
schießen die Signale 36 000 Kilometer zum Satelliten hoch und
wieder zurück. Auf denTransponder im All sollen so viele Programme wie möglich passen. Der Platz
Die Kabelnetzbetreiber
komprimieren
die Signale von
ARD und ZDF.
6s
30–80 s
Langsam, langsamer, am langsamsten
Die digitale Technik verzögert die Übertragung
der Fernsehbilder. Je nachdem, welchen
Verbreitungsweg das Signal nimmt, kann das
Ereignis mehr als eine Minute später auf dem
Bildschirm zu sehen sein.
wird deshalb mehrmals in der
Sekunde dynamisch auf die Sender aufgeteilt. Das Stapeln von
Bits und Bytes kostet aber Zeit,
zwischen 2,8 und 4,2 Sekunden.
Kabelnetzbetreiber holen die
Signale entweder bei den TVAnstalten verzögerungsfrei per
Glasfaser ab oder nutzen Satellitendaten. Weil ARD und ZDF
für die Einspeisung nicht zahlen wollen, komprimieren Kabel
Deutschland & Co. nochmals zeitaufwendig. Das nimmt bis zu 5,2
Sekunden in Anspruch.
Das Antennensignal (DVB-T)
strahlen etliche Sendeanlagen auf
derselben Frequenz aus. Theoretisch würde dieser terrestrische
Übertragungsweg das Rennen
machen. Damit die Funkwellen
synchron sind, wird das Signal
künstlich ausgebremst, circa
sechs Sekunden. Eine klarer Fall
von Spielverzögerung.
In die Nachspielzeit versetzt fühlen sich die Nutzer der modernsten
Technik, des Internet-Fernsehens.
Die Telekom etwa überträgt das
IPTV-Signal in Paketen. Diese
laufen beim Empfänger erst in
einen Puffer und werden dann neu
geordnet. Verzögerungszeit: rund
30 Sekunden. Streaming-Dienste
wie Zattoo puffern die Signale
mehrfach. Besonders langsam ist
der Anbieter Magine. Das Programm kommt dort ungefähr 80
Sekunden später an. Für Fußballgenuss in besiedelten Gebieten ist
dies nur bei schalldicht schließenden Fenstern zu empfehlen.
Schneller informiert ist der
Radiohörer. Analog auf UKW
wird der Spielstand am aktuellsten vermeldet. Das neue digitale
System DAB+ verzögert bereits
schon wieder.
■
S. HOFMEIR / S. WITTLICH
123
www.focus.de
FUSSBALL-WM TV-TECHNIK FÜR UNTERWEGS
Nr. 25/14 16. Juni 2014
NACHRUF
Hubert Burda
über Frank
Schirrmacher
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SPORT
Böser Bube mit
großem Herz
E
s ist schön, dass mich die
Leute in Ghana verehren“, sagt Kevin-Prince
Boateng. „Jeder Mensch
braucht einen Helden – und jetzt
bin ich eben einer.“ Nein – Understatement ist nicht so sein Ding.
Boateng legt seine tätowierten
Arme lässig auf die Sofalehne.
Auch am Hals hat er sich stechen
lassen – hier prangt eine Krone,
die die Königlichen von Real Madrid symbolisieren soll. Von diesem Verein träumt er seit seiner
Kindheit. Aber Boateng spielt auf
Schalke und nicht in Madrid. Und
die Tattoo-Krone wirkt an seinem
muskulösen Körper wie ein in die
Haut geritzter Ausdruck bizarrer
Selbstüberschätzung.
„Die Menschen in Ghana wissen, dass sie mich brauchen“, sagt
der 27-Jährige weiter, „schließlich
wollen sie mit mir Weltmeister
werden.“ Weltmeister? Er lächelt
nicht. Das sollte kein Spaß sein.
„In Ghana beten alle, dass wir
den Titel holen.“ Boateng trägt
bei unserem Gespräch ein Shirt
130
mit der Aufschrift „Jesus is back“.
Meint er sich damit etwa selbst?
Die Fans in Afrika verehren
Kevin-Prince Boateng tatsächlich als „Fußball-Messias“. Ende
2011 hatte er überraschend seinen Rücktritt aus der ghanaischen
Ghanas Hoffnung
Mittelfeldregisseur
Kevin-Prince Boateng
soll das afrikanische
Land zum Sieg gegen
Deutschland führen
Nationalmannschaft erklärt, weil
er sich auf den AC Mailand konzentrieren wollte. Jetzt, als Spieler
von Schalke 04, kehrte Boateng in
die Landesauswahl zurück. Und
mit ihm die Hoffnung . . .
Am Samstag trifft er mit Ghana im WM-Vorrundenspiel auf
Deutschland und seinen Bruder
Jérôme, der heute beim FC Bayern spielt und sich Triple-Sieger
nennen darf. Es ist mehr als ein
Fußballspiel – es ist ein Aufeinandertreffen zweier Welten. Auf der
einen Seite der ruhige Jérôme, der
die Karriereleiter über den Hamburger SV und Manchester City
steil und zielstrebig emporkletterte. Auf der anderen Seite der
extrovertierte Kevin-Prince, der
polarisiert und provoziert.
Wer die beiden Boatengs verstehen will, muss ihre Familiengeschichte kennen. Einen Monat
bevor Kevin-Prince 1987 in Berlin
zur Welt kommt, lassen sich sein
ghanaischer Vater Prince und
seine deutsche Mutter Christine
scheiden. Viele Jahre dauert
FOCUS 25/2014
F otos: Thomas Schweigert/13 Photo, Team2 Sportphoto/ullstein bild
Showdown am Samstag: Kevin-Prince Boateng trifft mit Ghana auf
Bruder Jérôme im Deutschland-Trikot. Mit unserer Nationalmannschaft
hat der einstige Berliner Ghetto-Rüpel noch eine Rechnung offen
Inniges
Verhältnis
Kevin-Prince (l.)
und Jérôme Boateng,
Schalkes Mittelfeldmann und Bayerns
Abwehr-Ass, treten bei
der WM in Brasilien
gegeneinander an 131
Ball führte, stießen Patria-Fans
brüllende Affenlaute aus. Nach
einem Dribbling in der 26. Minute
blieb er stehen, nahm den Ball in
die Hand und drosch die Kugel
auf die Tribüne. Danach zog er
sich das Trikot über den Kopf und
stapfte wutentbrannt vom Platz.
Seine Kollegen folgten. Alle zehn
Mann. Boateng hatte ein Zeichen
gegen den Fremdenhass gesetzt.
Bald darauf durfte der Ex-Ghetto-Haudrauf aus Berlin-Wedding
eine Rede vor den Vereinten Nationen in Genf halten. Man müsse
Rassismus endlich ausrotten wie
die Malaria, sagte er.
Wer Boateng in diesen Tagen
trifft, lernt beide Charaktere kennen: den Menschenfreund und
den Fußball-Proleten. „Seit meiner
Geburt stehe ich im Mittelpunkt“,
erzählt der selbstbewusste Kicker.
Der neue Boateng weiß um
seine Verantwortung und Vorbildfunktion. Er staune immer,
Familien-Mensch
Mit seiner Verlobten
Melissa Satta und
Sohn Maddox Prince
lebt Boateng in
Düsseldorf. Er hat die
Villa von Michael
Ballack übernommen
Proleten-Prince
Teure Uhren und
schrille Klamotten
gehören zu Boatengs
Facebook-Alltag.
Seinen Körper hält er
immer in Schuss
wie „glücklich die Menschen in
Ghana sind, die haben nichts und
lachen trotzdem, während auf der
Königsallee in Düsseldorf alle mit
hängenden Köpfen rumlaufen“.
Deshalb wird er nun in der
Stadt Sunyani, aus der sein Vater
Prince Boateng stammt, mit seiner Verlobten Melissa Satta eine
Schule bauen. In seiner Freizeit
verschlingt Boateng neuerdings
Klassiker von William Shakespeare – auf Englisch.
Kommt das Gespräch allerdings
auf die deutsche Nationalmannschaft, schlüpft Kevin-Prince
wieder ganz in die Rolle des Provokateurs. Er hat nach wie vor
nicht verdaut, dass er 2009 nicht
für den EM-Kader der deutschen
U-21-Nationalmannschaft nominiert wurde. „In der deutschen
Mannschaft gibt es keine Typen
wie früher Effenberg oder Ballack“, keift er. Fürchten müsse
Ghana keinen Deutschen. Die
offene Rechnung will Boateng
nun begleichen.
Während der WM-Auslosung
saß er im Schalker Bus neben
Jermaine Jones, dem Nationalspieler der USA, auch ein Gegner
Deutschlands. Beide scherzten,
wie schön es doch wäre, wenn
nicht die Deutschen und Portugal
weiterkämen. „Wir haben gute
Chancen“, sagt Boateng.
Sollte Ghana siegen, wird man
wohl den Protz-Boateng zu sehen
bekommen. In den rechten Oberarm hat er sich die Worte „The
world is yours“ („Die Welt liegt dir
zu Füßen“) ritzen lassen.
■
FRANK LEHMKUHL
Fotos: ddp images, Instagram/ddp images (5)
es, bis der Vater Kevin regelmäßig besuchen darf. Auch danach
kümmert sich der Papa mehr um
den jüngeren Sohn Jérôme. Dieser wächst darüber hinaus bei
seiner Mutter Martina im bürgerlichen Wilmersdorf auf, Kevin
bei Mutter Christine im rauen
Wedding.
Bis vor wenigen Jahren war
der ältere Boateng-Bruder mit
dieser Vita der Skandalsportler
schlechthin, ein rüder Kerl, der
seine Aggressionen nicht kontrollieren und sein Potenzial viel
zu selten entfalten konnte. Als
junger Fußballer bei Hertha BSC
sorgte er meist abseits des Platzes
für Aufsehen. Nach einer Sauftour trat er zusammen mit HerthaKumpel Patrick Ebert Autospiegel
ab – beide mussten 56 000 Euro
zahlen. Später dann, in England,
machte er mit Frustkäufen eines
Allzugutverdieners auf sich aufmerksam. Innerhalb einer Woche
erstand er einen Lamborghini,
einen Jeep und einen Cadillac.
Das ist der alte Boateng.
Nun, nach Auslandsengagements bei Tottenham, Portsmouth
und Milan, trägt der Kraftprotz
auch deshalb so viel Verantwortung in Ghanas Mittelfeldzentrale, weil er nicht mehr nur als
Rüpel, sondern zudem als gereifter Fußballer und Mensch gilt.
Boateng hat einen spektakulären
Wandel hinter sich. Und die Wandlung hat ein Datum: 3. Januar
2013.
An jenem Wintertag spielte
das 1,86 Meter große Powerpaket noch für Mailand und gegen
Pro Patria. Sobald Boateng den
132
FOCUS 25/2014
www.focus.de
Nr. 26/14 23. Juni 2014
VON DER LEYEN DIE ANTI-KRIEGS-MINISTERIN
BERLIN
Das Geheimnis der
coolen Metropole
Westerwelle
Sein schwerer
Kampf gegen
Leukämie
Plus: Die große FOCUS-Liste
Deutschlands
Top-Ärzte
Neue Hoffnung bei
Bessere Therapien ● Neue Medikamente
Jeder Zweite kann geheilt werden
SPORT
Plötzlich
ganz Kroos
Mittelfeldregisseur Toni Kroos ist Deutschlands stiller Star. Er hat keine
Tattoos, keine Allüren und seinen Vertrag in München noch nicht
verlängert. Kommt er bei der WM groß raus, wird es teuer für die Bayern
B
130
Endet Kroos’ Zeit
bei den Bayern?
Vertragslaufzeiten der besten Spieler
des FC Bayern München
Vertragslaufzeiten
der besten Spieler
Quelle:
Recherche
des
FCeigene
Bayern
München
bis ...
bis
.. .
2015
2015
2016
2016
Tauziehen um einen
neuen Vertrag
Bayern-Chef KarlHeinz Rummenigge
und Toni Kroos haben
sich bisher noch
nicht auf einen
neuen Vertrag
einigen können
2017
2017
Die deutsche Nummer 18 ist kein
Witzbold wie Poldi, kein Intellektueller wie Hummels und kein
Anführer wie Schweinsteiger.
Er ist nicht einmal ein Müller,
der mit unorthodoxer Dribbelei
und frecher Schnauze die Massen bedient. Das Image des von
Trainer Löw als „Zwischenspieler“ – eine Position zwischen
2018
2018
2019
2019
Toni Kroos
Toni Kroos
Bastian
Schweinsteiger
Bastian
Schweinsteiger
Mario Götze
Arjen Robben
Mario
Götze
Javi Martinez
Arjen
Robben
Javi Martinez
Thiago Alcántara
Thiago
Philipp Alcántara
Lahm
Philipp Lahm
Manuel Neuer
ThomasNeuer
Müller
Manuel
Robert Lewandowski
Thomas
Müller
Robert Lewandowski
Die Verträge mit Lewandowski,
Müller & Co. datieren bis 2019 –
einzig der Vertrag mit Toni Kroos
läuft im kommenden Sommer aus
FOCUS 26/2014
Fotos: Moritz Müller/imago; Sven Simon/dpa
ei der Frage der brasilianischen Journalistin
lacht Toni Kroos kurz
auf. „Sind Sie gern der
Kellner für die Stürmer?“ In seiner Karriere hat der 24-jährige
Mittelfeldregisseur der deutschen Nationalmannschaft Fragen wie diese immer wieder
beantworten müssen. Er schaut
auf die Uhr, als überlege er, ob
es Zeit ist, aufzustehen und die
Pressekonferenz in Santo André
einfach zu verlassen. Kroos antwortet dann aber doch – kurz und
bündig: „Ich setze gern meine
Mitspieler in Szene und freue
mich, wenn sie gut aussehen.“
Doch bei der nächsten Frage, die mehr noch eine Infragestellung ist, wird es selbst dem
ewig verkannten Wunderkind zu
bunt. „Wie kommt es, dass Sie
nie in großen Spielen glänzen?“
Schmallippig antwortet Kroos, der
Münchner Champions-LeagueSieger 2013: „Dann haben Sie
noch nie ein großes Spiel von mir
gesehen, in dem ich dabei war!“
Fußball-Chirurg
Toni Kroos, 24
Die Pässe des Mittelfeldstrategen sind so scharf wie
das Skalpell eines Chirurgen.
Die Passquote von Kroos
lag im Spiel gegen Portugal
bei sensationellen
98 Prozent. Ein Top-Wert
bei der WM in Brasilien
131
132
Nachwuchs-Knipser
Toni ist nach einem
Turniersieg seines
Jugendvereins Hansa
Rostock mächtig
stolz. In der Hand
hält Kroos junior, der
bei den Bayern als
jüngster BundesligaDebütant auflief,
seine Urkunde
Traute Zweisamkeit
zwischen Toni Kroos
und Freundin Jessica
im ausverkauften
Audi Dome, der Halle
der Bayern-Basketballer. Kroos besucht
die Korbwerfer
ebenso oft wie Bastian Schweinsteiger
10. Das heißt: „Toni ist auf der
8er-Position ein grandioser Verbindungsmann zwischen Offensive und Defensive. Im deutschen
Team ist er einer der Spieler mit
der höchsten Ballsicherheit und
besten Passgenauigkeit.“ Egal,
ob fünf oder 50 Meter – fast millimetergenau landen Kroos’ Pässe
auf den Füßen seiner Mitspieler.
„Darüber hinaus sind seine Fernschüsse aus der Distanz gegen
tief stehende Mannschaften ein
probates Mittel“, so Wormuth.
Vielleicht ist es die Bescheidenheit, mit der sich Kroos in der
Öffentlichkeit selbst die Wirkung
nimmt. Klammheimlich hat er
inzwischen 46 Länderspiele auf
dem Konto und gehört damit zu
den Dauerrennern in Jogis Truppe. Vier Jahre spielt er inzwischen regelmäßig im Dress mit
dem Adler. Aber kaum einer hat
es gemerkt. Der durchschnittlich
gebaute Toni würde nicht mal in
einer großstädtischen Fußgängerzone auffallen. Er ist eben
alles andere als ein Lautsprecher.
Er trägt keine Brillis im Ohr wie
Jérôme Boateng, keine überdimensionalen Kopfhörer mit
HipHop-Musik wie Mario Götze.
Toni mag es sachter und bevorzugt Softrock von Herbert Grönemeyer („Flugzeuge im Bauch“)
oder Pur („Funkelperlenaugen“).
Beim Warmlaufen in Brasilien
läuft Kroos nicht vorn und nicht
hinten, sondern in der Mitte des
Teams. Er ist so etwas wie der
Archetypus des Mannschaftsspielers.
Zur Art des Toni Kroos passt,
dass er nicht über sich selbst
reden will. „Ich bewerte mich
nicht. Wenn der Bundestrainer
mich für unverzichtbar hält, dann
ist das schön für mich.“ Titulierungen wie „Taktgeber“ findet
er überzogen. „Hauptsache, ich
spiele im Zentrum!“ Das Lob
besorgen ohnehin andere. „Fußballerisch ist das, was er spielt,
eine Delikatesse“, schwärmt
Triple-Sieger Jupp Heynckes.
Deutschlands oberster FußballLehrer Wormuth ergänzt: „Toni
hatte schon immer einen sehr
guten Instinkt und eine geniale
Übersicht.“ Am Ball könne er einfach alles: dribbeln, Haken schlagen, blitzsaubere Pässe spielen und Standards ausführen,
also Eckbälle und Freistöße.
Auf der Pressekonferenz will
Jeremie, der beim Spiel gegen
Portugal als Einlaufkind von
Per Mertesacker auf den Rasen
geführt wurde, wissen, ob der
„Herr Kroos“ auch so aufgeregt
gewesen sei. Die Antwort ist ein
echter Toni: „Ich war nicht ganz
so nervös, weil ich schon das eine
oder andere Mal in ein Stadion
eingelaufen bin.“
■
A. HASLAUER / A. WOLFSGRUBER
FOCUS 26/2014
Fotos: Rauchensteiner; privat
Angriff und Abwehr – bezeichneten Kroos liegt irgendwo im
Niemandsland. Er wirkt mitunter
scheu, reserviert, distanziert. Das
mag sympathisch sein, sorgt aber
zugleich dafür, dass er eher auffällt, wenn er schlecht spielt, als
wenn er dem Spiel seinen Stempel aufdrückt. Kroos hat unglaubliche Qualitäten, ruft diese aber
viel zu selten ab.
Selbst Bayern-Chef Karl-Heinz
Rummenigge scheint nicht so recht
zu wissen, was er an ihm hat. Mit
Lahm und Müller hat er noch
schnell vor der WM verlängert, nur
mit Kroos nicht. Kroos will angeblich mehr – statt vier nun acht Millionen Euro im Jahr. Dann würde
er in etwa so viel wie FCB-Kollege
Thomas Müller verdienen.
Für Rummenigge könnte die
WM daher teuer werden. Gleich
im ersten Spiel gegen Portugal
zeigte Kroos eine Weltklasseleistung. 98 Prozent seiner Pässe kamen an – ein absoluter
Top-Wert für einen Mittelfeldstrategen, der gern auch ins
Risiko geht: Sechs seiner 81 Pässe schlug Kroos über 30 Meter
weit. Der Bayern-Spieler, der
2015 ablösefrei wechseln kann,
hat deshalb beim Vertragspoker
nach dem Turnier im Vergleich zu
Rummenigge die besseren Karten. Kroos weiß: Die Top-Vereine
buhlen mächtig um den 24-Jährigen mit dem feinen Füßchen.
Angeblich bietet der FC Chelsea London 8,5 Millionen. Kroos’
Marktwert liegt bei 40 Millionen Euro – ebenso wie jener von
Schweinsteiger, der bei den Bayern gut zehn Millionen verdient.
Der Marktwert des Mannes
aus Mecklenburg-Vorpommern
ist in den letzten Monaten mit
der Verpflichtung des von Bayern-Trainer Pep Guardiola – dem
Verfechter des Kurzpass-Spiels –
deutlich gestiegen. „Meine Art,
Fußball zu spielen, kommt mit
ihm noch einmal besser zu Geltung“, sagt Kroos. Unterstützung
bekommt er von Frank Wormuth,
dem Chefausbilder des DFB.
Kroos bewege sich vorbildlich
zwischen den Positionen 6 und
„Unterschätzt Klinsmann nicht“
Beide Ausgangslagen sind
psychologisch anspruchsvoll und
können eine negative Einstellung
für das nächste Spiel produzieren. Ein Psychologe ist aber nicht
zwingend gefragt, denn der Bundestrainer und die Spieler haben
im Umgang mit überschwänglicher Freude oder tiefem Frust
selbst Erfahrung und können die
Situation gut einschätzen.
Deutschlands Mental-Coach HansDieter Hermann über euphorische
Kicker, niedergeschlagene Bankdrücker und das Spiel gegen die USA
Diese Charakterisierung ist
Ihre! Aber ja, jeder bringt sich
super ein, und die gelungene
Mischung der verschiedenen Persönlichkeiten ist auch Grundlage
dafür, dass das Team sein Potenzial abrufen kann. Allerdings
besteht hier natürlich eine starke
Wechselwirkung mit guten Spielergebnissen.
Joachim Löw hat für die Weltmeisterschaft 2014 die Losung ausgegeben: „Ein guter Anfang braucht
Begeisterung, ein gutes Ende Disziplin.“ Wie gefällt einem Psychologen
dieser Motivationsspruch?
Haben Sie von jedem Fußballer ein
psychologisches Profil im Schrank?
Gut! Da ist doch wirklich viel
dran. Auch wenn das Wort „Disziplin“ spontan zunächst wenig
motivierend wirkt. Tatsache ist,
dass konsequente Gedanken und
deren Umsetzung mit Blick auf
das Ziel letztlich entscheidend
sind. Genau das drückt dieser
Satz aus.
Sind brütende Hitze und Zeitverschiebung psychologische Themen?
Sie könnten es werden. Aber
die Spieler haben diese Bedingungen innerlich akzeptiert. Sie
wissen, dass sie zu einer WM in
Brasilien dazugehören und keine
Ausreden sein dürfen.
23 junge Leute leben fünf WMWochen auf engem Raum. Gibt es
den Hüttenkoller wirklich, oder
ist so etwas Küchenpsychologie?
Ich habe Hüttenkoller bei der
Nationalmannschaft noch nicht
erlebt. Dafür gibt es viele Gründe. Trainingslager und Mannschaftsquartiere werden von den
Trainern und Oliver Bierhoff so
geplant und vorbereitet, dass
auch Freiraum und Abwechslung neben dem Training gegeben sind. Der noch wichtigere
Faktor ist jedoch, dass unsere
134
Der 36-jährige Miro Klose ist
eher ein ruhiger Typ, Thomas
Müller ist spaßig, Philipp Lahm
moderierend und der 22-jährige
Erik Durm frisch und frech. Hat
das Team die perfekte mentale
Mischung, um Großes zu leisten?
Seelenkundler
Der 54-jährige
Diplom-Psychologe
aus dem Schwabenland arbeitet seit
2004 für die DFBNationalmannschaft
Pool-Gespräch
DFB-Mann Hermann
und FOCUS-Redakteur Axel Wolfsgruber
im DFB-Hotel „Campo
Bahia“ des brasilianischen Fischerdörfchens Santo André
Spieler einerseits kommunikativ
und spontan sind, sodass sie sich
in der Gruppe leicht zusammenfinden, zum Beispiel für andere
Sportarten oder beim Kartenspielen, andererseits sich aber auch
problemlos selbst beschäftigen
können. Außerdem: Wenn sich
die Spieler als Team verstehen,
entsteht kein Hüttenkoller.
Nein. Aber bei den vielen Länderspielen hatten wir seit der EM
2012 genug Zeit, um die neuen
Spieler etwa im Bereich Stressresistenz und Teamgeist kennen zu
lernen. Diese Erfahrung ist wichtig, denn in einem WM-Turnier
bewegen sie sich im mentalen
Grenzbereich. Joachim Löw ist
es darüber hinaus sehr wichtig,
dass sich alle Spieler im Kader
der Mannschaft zugehörig fühlen,
nicht nur die elf bis 14 Spieler, die
das letzte Spiel gemacht haben.
Denn jeder muss jederzeit sofort
voll einsatzfähig sein.
Deutschland spielt in dieser Woche
gegen die USA mit Jürgen Klinsmann
als Trainer. Sie kennen ihn sehr
gut aus der gemeinsamen Zeit
während des Sommermärchens
2006 in Deutschland. Wie wird
er sein Team heißmachen?
Die Motivation ist eine von Jürgen Klinsmanns großen Stärken.
Sicher wird er in der Kabine – wie
schon 2006 bei uns – sehr klug
alle psychologischen Register ziehen und das Team emotional kitzeln. Wer ihn aber auf das Heißmachen reduziert, unterschätzt
ihn gewaltig.
■
INTERVIEW: AXEL WOLFSGRUBER
FOCUS 26/2014
Foto: Andreas Gebert/dpa
Wann ist ein Psychologe im Fußball
mehr gefragt: nach schmachvollen Niederlagen oder nach
Kantersiegen wie gegen Portugal?
D
er tödliche Pass kommt
von Wesley Sneijder.
Den beiden spanischen
Innenverteidigern Piqué
und Puyol geht das viel zu schnell.
Arjen Robben, der Stürmer der
holländischen Elftal, läuft allein
auf Spanien-Keeper Iker Casillas
zu – und vergibt die 100-ProzentChance. Kläglich. Der Welttorhüter kann den Ball mit der Fußspitze gerade noch abwehren.
Am Ende siegen die Spanier mit
einem dreckigen 1 : 0. Fassungslos
kniet Robben auf dem Rasen in
Johannesburg, die Hände über
dem Kopf zusammengeschlagen, die Augen vor Schreck wie
bei einem Unfallopfer weit aufgerissen.
Noch heute träumt der Flügelflitzer von diesem Unfall im WMFinale 2010, der immer noch „wie
ein Film abläuft“, sagt er. Immer
und immer wieder. Ebenso wie
der Streifen vom zweiten Albtraum, dem verlorenen Champions-League-Finale mit den Bayern 2012. Die Fans luden ihre Wut
auf den egoistischen Turbo auf
der Außenbahn ab. „Ego-Shooter“, „Aleinikow“ und die „IchAG“ waren noch die harmloseren Überschriften. Ein Magazin
schrieb: „Für ihn ist der Mannschaftskollege der erste Gegner,
den er ausschalten muss.“
Vier Jahre später überschlagen sich die SchlagHup
zeilen mit Lob. Im ersHolland Hup!
ten WM-Spiel schießt
Arjen Robben –
Robben Spanien fast
der bisher
allein aus dem Stadion.
beste Spieler
Er erzielt beim 5 : 1 zwei
bei der WM
Tore, ist bester Mann
auf dem Platz. Die spanische „El País“ schreibt über
Robbens One-Man-Show: „Der
Kollaps war für Spanien total, ein
Inferno. Ein Kataklysmus nach
allen Regeln. In einer chaotischen
zweiten Halbzeit wurde Spanien vom holländischen Laster
im Schlamm abgeladen.“ Kein
Wunder, dass Spitzenclubs wie
Der holländische Hochgeschwindigkeits-Dribbler Arjen Robben
Manchester United & Co. den
Super-Dribbler verpflichten wolist der Superstar der WM – nicht Neymar, Messi oder Ronaldo.
len. 50 Millionen Euro will ManU
Alle Top-Vereine buhlen nun um den Flügelflitzer des FC Bayern
für den Bayern-Spieler überwei-
Der weltbeste
Dickschädel
136
FOCUS 26/2014
Fotos: VI Images/imago; Kyodo/dpa
sen. Robben interessiert aber nur
die WM. „Dafür lebe ich“, so sein
knapper Kommentar.
Und das recht erfolgreich.
Im vergangenen Jahr schoss
der 30-Jährige die Bayern zum
Champions-League-Sieger, 2014
entschied er das Pokalfinale fast
allein gegen Borussia Dortmund.
„Seit meinem Tor im Finale von
London 2013 fühle ich mich
befreit“, sagt er, „und wenn ich
gegen Teams wie Spanien spielen
darf, kriege ich Gänsehaut.“
Vor seinem Treffer zum 5 : 1 gegen Spanien schaltete der Hochgeschwindigkeits-Dribbler auf 37
Stundenkilometer. Damit ließ der
„Turbolader“ und „Teilchenbeschleuniger“ (FAZ) den Weltklasse-Verteidiger Sergio Ramos wie
einen Kicker aus der C-Jugend
stehen. Laut offizieller Fifa-Statistik gab es in der 84-jährigen WMHistorie keinen Fußballer, der je
schneller über den Rasen sprintete. Zum Vergleich: 100-MeterWeltrekordler Usain Bolt kam
bei seinem Olympiasieg in London auf 43 km/h Höchstgeschwindigkeit – ohne Ball am Fuß und
auf einer Rennbahn. „Arjen ist
auf einem Level mit Weltklassespielern wie Messi, Neymar und
Ronaldo“, sagt Bayern-Sportvorstand Matthias Sammer.
Brutale Revanche
Robben tanzt erst
die spanischen
Verteidiger, dann Iker
Casillas zum 5 : 1 aus.
Eine Genugtuung:
Robben scheiterte
beim verlorenen WMFinale 2010 mehrmals am iberischen
Keeper
Turbolader
Arjen Robben, 30
Der Flügelflitzer aus
Groningen wurde in
vier Ländern Meister,
gewann 2013 mit
dem FC Bayern die
Champions League.
Der Edeltechniker ist
laut Star-Trainer José
Mourinho der weltbeste „Eins-gegeneins-Spieler“. Er habe
ungeheures Tempo,
Überblick und könne
wie kein anderer den
finalen Pass spielen.
In seiner Heimat hat der Dauerrenner Dauerglück ausgelöst,
vor allem im „Robben-Café“,
einer – natürlich – orange leuchtenden Kneipe im 10 000-SeelenÖrtchen Bedum nahe Groningen.
Hier schauen sich seine Landsleute die Laufduelle ihres Nationalhelden an. Wer Robben richtig
kennen lernen will, muss den Ort
wie FOCUS besucht haben.
In der Togtemaarschool begegnet man Robben sofort. Über
eine ganze Wand im Eingangsbereich der Grundschule verteilt,
hängen Trikots der Clubs, für die
der Superstar gespielt hat. Die
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Leibchen vom FC Groningen, PSV
Eindhoven, Chelsea, Madrid und
München hat er persönlich vorbeigebracht. „Arjen ist oft hier“,
sagt sein Ex-Lehrer Wim Heemstra und denkt gern an einen Jungen, der immer gewinnen wollte. Egal, ob im Schach, Tennis
oder Fußball. Verlor er, drehte er
durch. „Mein Charakter hat mich
weit gebracht. Ich wollte immer
der Beste, der Gescheiteste, der
Schnellste sein“, sagt Robben.
Diese Eigenschaften haben ihn
viel erreichen lassen. Robben:
„Ich finde es nicht schlimm, viel
von sich zu verlangen.“
138
Die Hochgeschwindigkeits-Dribbler
Die schnellsten Fußballspieler der Welt Angaben in km/h
Arjen Robben
Niederlande
Antonio Valencia
Ecuador
Gareth Bale
Wales
Aaron Lennon
England
Cristiano Ronaldo
Portugal
Theo Walcott
England
Lionel Messi
Argentinien
Wayne Rooney
England
Den Weltrekord
als der international
schnellste Kicker
stellte Robben bei
der WM in Brasilien
mit 37 km/h auf
Familienglück
auf der Wiesn
Bayern-Spieler Arjen
Robben mit Frau
Bernadien und den
Kindern vor der „Käfer
Wies’n Schänke“ auf
dem Münchner
Oktoberfest 2013
37,0
35,1
34,7
33,8
33,6
32,7
32,5
31,2
„Er war auf dem Platz immer
schon sehr eigensinnig, und es
interessierte ihn auch nicht, was
andere dazu sagten“, so sein ExTrainer Jan van Dijk. Robben hat
immer nur ein Ziel: an der rechten Außenbahn mit dem Ball entlangsprinten, nach innen ziehen,
schießen, jubeln. Geht der Plan
mal nicht auf, dringt der Schwalbenkönig in den Strafraum und
lässt sich fallen. „Arjen macht
eben alles, um zu gewinnen“,
rechtfertigt sich Ex-Mannschaftskollege Visser für seinen Kumpel.
Auf fiese Tricks ist Robben aber
nicht mehr angewiesen. Seit er
eine längere Zeit ohne Blessuren
durchspielen kann, kann er sich
ganz auf sein Potenzial verlassen.
Früher galt Robben als „Mann
aus Glas“, als ein Fußballer, der
die Verletzungen wie ein Magnet anzieht. Robben brach sich
zwei Mittelfußknochen, hatte
einen Bänderriss, einen Muskelriss, eine weiche Leiste, mehrere
Knieoperationen. Jetzt aber rast er
dank Bayern-Doc Hans-Wilhelm
Müller-Wohlfahrt und seines niederländischen Wunderheilers Hub
Westhovens schmerzfrei durch die
Stadien. „Je älter ich werde, desto
fitter bin ich – und deshalb wird
die WM auch nicht mein letztes
großes Turnier sein“, verspricht er.
In Brasilien profitiert er von
einer völlig neuen niederländischen Fußball-Philosophie. Statt
in einer 4-3-3-Formation laufen
die Oranje-Kicker nun in einem
kompakteren 5-3-2 auf. Robben
muss sich nicht mehr um die lästige Defensivarbeit kümmern, er
kann sich ganz auf seine Sturmläufe konzentrieren. Vorn bildet
er mit Mittelfeld-Knirps Wesley
Sneijder und Super-Knipser Robin
van Persie ein „goldenes Dreieck“.
„Wenn wir als Mannschaft
funktionieren, können wir drei
den Unterschied ausmachen“,
sagt Robben, der bisher beste
Spieler des Turniers in Brasilien.
Und wenn nicht, macht er ihn
halt allein aus.
■
ANDREAS HASLAUER /
FRANK LEHMKUHL / SIEB OOSTINDIE
FOCUS 26/2014
Fotos: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images; Berthold Stadler/ddp images
Holländische Glückseligkeit Die drei Niederländer Mark van
Bommel (Kapitän), Coach Louis van Gaal und Arjen Robben
feiern die 22. Meisterschaft des FC Bayern bei Hertha BSC Berlin
Quelle:Fifa
Bedum sieht aus, als hätte ein
Maler ein niederländisches Klischee-Ölbildchen in die Landschaft gepinselt: überall Grachten, Windmühlen, Fahrradfahrer.
Robbens Eltern haben dieses
Idyll nie verlassen. Sein Vater
Hans arbeitet nebenher als sein
Manager und hauptberuflich als
Gymnastiklehrer. Mutter Marjo
hat einen Job im Postamt.
Als ihr Sohn klein war, bugsierte er Tennisbälle durch den
heimischen Garten und eignete
sich damit schnell seine grandiose
Technik an. Hans Robben meldete
den Zwerg beim VV Bedum an,
wo dieser sich immer schon am
Mittelkreis den Ball schnappte,
alle Kontrahenten einfach überrannte und die Kugel mit dem
linken Fuß ins Netz drosch –
100-mal in der Saison.
Luit Zwaneveld, Scout vom FC
Groningen, entdeckte das Riesentalent und holte es in die gut zehn
Kilometer entfernte Universitätsstadt. „Stolz muss ich auf diesen
Fang allerdings nicht sein, denn
selbst meine Omi hätte gemerkt,
dass Arjen ein Riesenkicker werden würde“, sagt Zwaneveld.
Irgendwann saß Leo Beenhakker
im Wohnzimmer der Robbens,
Sportdirektor von Ajax Amsterdam und niederländische Trainerlegende. „Hallo, Mädel, hast du
für mich eine Tasse Kaffee?“, fragte Beenhakker Marjo Robben mit
der Arroganz eines Großkotzes.
Als er dann noch einen Vertrag
auf den Tisch legte, auf dem der
Vorname des jungen Fußballers
falsch geschrieben war, entschieden die Robbens, dass das Supertalent nie für Ajax spielen wird.
Als 18-Jähriger ging Arjen Robben zum Ajax-Konkurrenten PSV
Eindhoven.
„Er tat wirklich alles, um sich
jeden Tag weiterzuentwickeln“,
erzählt sein einstiger Groninger
Teamkollege Hans Visser. Nach
den Trainingseinheiten blieben
Visser und Robben gemeinsam
auf dem Platz, übten Freistöße und
trainierten noch stundenlang weiter. Robbens Ziel: besser werden,
besser werden als alle anderen.
www.focus.de
Nr. 27/14 30. Juni 2014
GÜNTER GRASS ÜBER NAZIS UND HEUCHLER
MERCEDES
Neue Luxus-Offensive:
S-Klasse mit sechs Türen
BESTER FREUND
Wie ein Hund das Leben
glücklicher, chaotischer
und gesünder macht
Ratgeber
Welche Hunderasse
passt zu mir?
Hilfe
Die besten
Erziehungstipps von
Martin Rütter
TerrorNetzwerk
in Deutschland
Linksradikaler Bombenleger
kämpft jetzt für Islamisten
SPORT
Berufsverbot für den Beißer
Luis Suárez beißt Giorgio Chiellini in die
Schulter. Die Fifa sperrt den SkandalStürmer aus Uruguay daraufhin für
neun Pflichtspiele – und vier Monate.
Zur neuen Saison darf der LiverpoolKnipser weder am Training teilnehmen
noch ein Spiel im Stadion verfolgen
122
FOCUS 27/2014
Kratzen, beißen,
spucken!
Bei der WM drehen
manche Spieler
komplett durch. Hans
van Breukelen, Hollands
Wüterich im Tor,
schreibt in FOCUS über
die größten Ausraster.
Auch seine eigenen . . .
Von
Hans van Breukelen
Fotos: Moritz Müller/imago, PLANET PHOTOS, dpa (2), ullstein bild,
Bongarts/Getty Images
D
er Typ ist doch krank!
Auf dem Platz kann
man ja wirklich vieles machen. Man kann
polarisieren, den Gegner provozieren, ihn sogar zur Weißglut
treiben. Den Gegenspieler aber
beißen, das geht nun echt nicht.
Uruguays Skandal-Stürmer Luis
Suárez, der in der Vorrunde Italiens Verteidiger Giorgio Chiellini
in die Schulter biss, hat nicht nur
sich einen Bärendienst erwiesen.
Nein, er hat seinem ganzen Land
einen riesigen Imageschaden
zugefügt – zumal der Uru-Star
nach 2010 bei Ajax Amsterdam
und 2013 bei Liverpool schon zum
dritten Mal zuschnappte. Unter
einem Tor-Krokodil verstehe ich
nun wirklich etwas anderes. Im
Ernst: Suárez, der Wiederholungstäter, muss unbedingt in
ärztliche Behandlung – oder am
besten gleich zum Psychiater.
FOCUS 27/2014
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19
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den Stinke
im Stadion
Zidane
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2006 Marc
kopfstoßt
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Materazzi
der
Manier nie
ine
3 Zined
1
Ekelhaft
Es ist wohl die
ekligste Szene der
WM-Geschichte.
Der Niederländer
Frank Rijkaard
bespuckt 1990 Rudi
Völler. Rijkaards
lapidare Begründung:
„Ich hatte persönliche
Probleme.“
2
nE
4 Stefa
Brutal
Toni Schumacher
rennt 1982 Patrick
Battiston über den
Haufen. Diagnose:
Gehirnerschütterung,
Wirbelbruch. Die
französischen Zeitungen beschimpfen
Schumacher als
„Mini-Hitler“.
3
Unfassbar
Marco Materazzi soll
Zinedine Zidane „Sohn
einer TerroristenHure“ genannt haben.
Daraufhin dreht
der französische
Edeltechniker durch,
rammt den ItalienVerteidiger mit einem
Kopfstoß nieder.
4
Dumm
Die Reaktion von
Stefan Effenberg auf
die „Effe raus!“-Rufe
kam 1994 prompt:
Er zeigte den Fans
den Stinkefinger.
Schnell war auch die
Entscheidung des
DFB. Sie schickten ihn
sofort nach Hause.
123
Raufbold
im Kasten
Ich muss aber zugeben: Als Torwart der niederländischen Nationalmannschaft habe ich auch das
ein oder andere Mal die Grenze
überschritten, nie jedoch eine rote
Karte bekommen. Verletzt habe
ich ohnehin niemanden, schließlich wusste ich, dass Millionen
von Kindern und Jugendlichen
vor dem Fernseher sitzen.
Die Selbstbeherrschung habe
ich trotzdem gegen Deutschland
mal verloren. Als unser Abwehrspieler Adri van Tiggelen den
Deutschen Lothar Matthäus foulte,
war ich mit dem Freistoß – sagen
wir es diplomatisch – nicht ganz
so einverstanden. Ich habe mich
über Matthäus gebeugt und ihn
angeschrien: „Ich hoffe, dass du
focking sterbst!“ Übersetzt heißt
das in etwa: „Ich hoffe, dass du
wie ein Viech elendig verreckst!“
Das war dann weniger diplomatisch. Nicht viel besser war aber
Ronald Koeman. Ronald wischte
sich nach dem Spiel den Hintern
mit dem Trikot des deutschen Mittelfeldspielers Olaf Thon ab. Auf
die Aktion bin ich natürlich nicht
stolz. Ich schäme mich sogar dafür
bis heute.
124
Die Sache mit Lothar habe ich
schnell aus der Welt geschafft. Wir
haben uns auf einer Sportartikelmesse in München getroffen, und
ich habe mich bei ihm entschuldigt. Er hat die Entschuldigung
wie ein richtiger Sportsmann auch
sofort angenommen. Bei dem
Treffen habe ich ihm allerdings
klipp und klar gesagt: „Lothar,
in einem Interview hast du vor
Kurzem erzählt, dass ich dich mit
einer Kriegsaussage provoziert
hätte. Tu mir bitte einen Gefallen und behaupte das nie wieder.
Du weißt, dass das Bullshit ist und
kein Wort davon stimmt!“
Zu meinem damaligen Kontrollverlust muss ich zwei Dinge
sagen: Erstens war ich auf dem
Rasen immer ein völlig anderer
Mensch. Sobald ich mein orangefarbenes Trikot mit den drei Löwen
anzog, wollte ich immer nur eines:
gewinnen, gewinnen, gewinnen!
Um alles in der Welt. Dafür habe
ich wirklich nichts ausgelassen.
Zweitens war das WM-Achtelfinalspiel 1990 gegen Deutschland eine Ausnahmesituation.
Wir Holländer litten immer noch
unter der WM-Niederlage von
Hans van
Breukelen, 57
Der niederländische
Torwart war in der
legendären Raufbold-Generation
mit Koeman & Co.
Ronald Koeman
wischte sich mit dem
Deutschland-Trikot
von Olaf Thon den
Hintern ab, Frank
Rijkaard bespuckte
Mittelstürmer Rudi
Völler bei der WM
1990 in Italien.
Der Wüstling war
aber auch ein klasse
Torwart, hielt im
Finale 1988 einen
Elfmeter und wurde
Europameister.
1974 gegen die Deutschen, waren
noch nie Weltmeister geworden.
Hinzu kam, dass wir in unserem
Heimatland als die sogenannte
„Patat-Generation“ galten: kein
Rückgrat, keine Mentalität, keine
Willensstärke. Wir galten also nur
als die Typen, die an der PommesBude herumhingen. Johan Cruyff
und die ganze goldene Generation der 70er-Jahre nannten uns
despektierlich immer wieder
nur „Patat-Generation“. Deswegen hatten wir ja alle gegen die
Deutschen die Messer gewetzt.
Wir wollten es Cruyff & Co.
zeigen! Im Nachhinein waren
wir dann wohl doch ein wenig
übermotiviert.
Heute kann ich über meinen
Ausraster aber auch schmunzeln.
Ich kann mich noch gut erinnern,
dass ich mit meinem Deutschlehrer über die Matthäus-Geschichte
damals sprach. Er sagte: „Hans,
es tut mir leid, dass ich dir in der
Schule in Deutsch eine Zwei gegeben habe. Es hätte ,stirbst‘ und
nicht ,sterbst‘ heißen müssen.“
Man darf bei der (berechtigten) Kritik an dem Stinkefinger
von Effenberg oder dem BrutaloKopfstoß von Zidane eines aber
nicht vergessen: Im Gegensatz
zu den Spielen der Hobbysportler
verfolgen Milliarden Menschen
ein WM-Spiel, wir stehen also
ständig unter Beobachtung. Der
Druck ist unmenschlich. Ich habe
ja nie für mich gespielt, sondern
für meine Familie und 17 Millionen Landsleute. Wenn wir also
auf das grüne Schlachtfeld laufen,
sind wir bis zum Hals mit Adrenalin vollgepumpt. Eine Ausrede
für die Ausraster darf es trotzdem
nicht sein. Wenn ich im Anschluss
an ein Spiel die Bilder von mir im
Fernsehen gesehen habe, dachte
ich immer: Wer ist der Irre im Tor?
So dürfte es auch allen anderen
gehen, die auf dem Platz durchgedreht sind. Die Schlaumeier
sagen immer: Ein Profi darf nie die
Selbstbeherrschung verlieren. Ich
antworte dann: „Geh doch mal
raus zu den 80 000 Leuten im Stadion und bleib ganz ruhig, wenn
dein Land gerade untergeht.“ ■
FOCUS 27/2014
Foto: VI Images/Getty Images
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„Ich hoffe,
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V
WM-Überraschung:
Viva la Revolución?
Neue Machtverhältnisse im Weltfußball. Noch nie erreichten so
viele Teams aus Lateinamerika das Achtelfinale. Die Gründe
L
ukas Podolski streckt in
den Katakomben von
Recife die Brust raus,
fixiert den FOCUS-Reporter und haut nach dem 1 : 0 der
Deutschen gegen die amerikanischen Klinsmänner eine Kampfansage raus: „Spielerisch haben wir
es voll drauf. Deswegen machen
mir die südamerikanischen Mannschaften überhaupt keine Sorgen“, so der kraftstrotzende Poldi.
Deutschlands Gute-Laune-Kicker
auf der linken Außenbahn hat mit
den kernigen Worten die Jagd
auf den WM-Pokal nun endgültig
eröffnet. Bislang überzeugten auf
dem grünen Schlachtfeld vor allem
die Kampfmaschinen und Dribbelkünstler aus Lateinamerika.
126
Mexikanischer
Jubelkönig
Mexikos Trainer
Miguel Herrera –
wegen seiner
Körpergröße von
1,68 Metern „die
Laus“ genannt –
gerät nach jedem
Treffer seines
Teams in Ekstase
Sieben von neun Teams haben
das Achtelfinale erreicht – noch
nie qualifizierten sich so viele lateinamerikanische Länder
für die K.-o.-Phase. Das gelang
weder den Asiaten noch den Afrikanern. Selbst Außenseiter wie
Costa Rica schafften nun die Vorrunde ohne Niederlage.
„Wir überzeugen einfach mit
Einsatz, Kameradschaft, Taktik
und Laufbereitschaft“, sagt Júnior Díaz, Abwehrspieler bei Costa
Rica und beim Fußball-Bundesligisten Mainz 05. „Bei uns weiß
jeder Spieler: Wir können jeden
schlagen!“
Verwundert darüber, dass Uruguay, Chile & Co. einen bezaubernden Fußball spielen, ist
Díaz nicht. „Der Rest der Welt
hat einfach nicht aufgepasst“,
so der selbstbewusste Verteidiger. Eigentlich dürfte nach den
beeindruckenden Qualifikationsspielen der Kolumbianer, Mexikaner und Argentinier „niemand
überrascht sein“.
Unterdessen mussten nach der
Gruppenphase sieben von 13
europäischen Teams die Koffer
packen. Darunter WeltmeisFOCUS 27/2014
Fotos: Dennis Grombkowsk/FIFA/Getty Images, Eddie Keogh/Reuters
Kollektiver Glückstaumel Die Kolumbianer zelebrieren ihren Torjubel mit Tanzeinlagen
Sport-News
Mit Vollgas auf
zwei 8000er
128
Die südamerikanischen
Mannschaften kommen
mit dem
BrasilienKlima
besser
zurecht“
Bundestrainer
Joachim Löw
fußball – auch weil sie durch eine
knüppelharte Qualifikation mussten. „Die Quali ist bei uns wie
Krieg“, stöhnt Brasiliens Ex-Star
Kaká. Zehn Teams kämpfen in
einer Gruppe um vier WM-Plätze.
Dass die Stars der Amerikaner
ihre europäischen Gegner bestens kennen, liegt an ihrer Ausbildung in den Nachwuchsschulen
Barcelonas, Mailands oder Londons. Hinterher bleiben die Jungs
gleich in Europa. Chiles Superdribbler Alexis Sánchez beim FC
Barcelona, Kolumbiens James
Rodríguez bei Monaco.
Kann Deutschland die Dominanz brechen? Die Statistik macht
wenig Mut. Noch nie hat ein
europäisches Team bei den sechs
Weltturnieren in Süd- und Mittelamerika triumphiert. Weltmeister
Olaf Thon glaubt dennoch, dass
es Löws Truppe jetzt gelingen
kann: „Die deutsche Mannschaft
kann den Titel holen.“ Deutschland verfüge über die Ausdauer,
die Technik, die mentale Stärke
und die Erfahrung.
Das fehlt den Lateinamerikanern. Die Brasilianer gewannen
zuletzt 2002 den WM-Titel, Argentinien 1986, Uruguay 1950.
■
A. HASLAUER / F. LEHMKUHL /
Böhm „Neue Dimension
des Speedbergsteigens“
lin-Junkie Böhm zwölf bis 14
Stunden. „Damit stoßen wir in
eine neue Dimension des
Speedbergsteigens vor“, sagt
Böhm. Am 20. August startet
er Richtung Himalaja. Sein
Ziel: der 8013 Meter hohe
Shisha Pangma, der „Platz der
Heiligen“, und der Cho Oyu, die
„Göttin in Türkis“, stolze 8201
Meter. Böhm scheint selbst
diese Ultra-Herausforderung
nicht zu reichen. Mit dem Rad
fährt er die 170 Kilometer lange Schotterpiste von einem
Achttausender zum anderen.
Das Training ist derzeit ganz
auf den Höllen-Trip ausgerichtet: 10 000 Höhenmeter
macht der zweifache Familienvater und Chef von 350
Dynafit-Angestellten. Jede
Woche, versteht sich.
has
A. WOLFSGRUBER
FOCUS 27/2014
Fotos: Alex Livesey/FIFA/Getty Images, Michael Meisl
ter Spanien, Ex-Campione Italien, England und Portugal, immerhin Vierter der Fifa-Weltrangliste.
Die Frage ist nun: Ist das nur ein
Strohfeuer der Amerika-Combos
im brütend heißen Brasilien? Oder
spielen die Teams aus Uruguay,
Chile & Co. einen nachhaltig
guten Fußball?
„Die Mannschaften kommen
offenbar mit den klimatischen
Bedingungen besser zurecht als
europäische“, begründet Bundestrainer Joachim Löw den Höhenflug der Südamerikaner. Tatsächlich ist eine Luftfeuchte von über
80 Prozent mit Temperaturen von
über 30 Grad Celsius die Regel.
„Die Bedingungen sind hart, da
kann man normalerweise nicht
die ganze Zeit rauf- und runterrennen“, weiß Pierre Littbarski,
Weltmeister 1990. „Viele Südamerikaner können es dennoch, weil
sie auch die Extraportion Leidenschaft mitbringen, die manchem
Europäer fehlt.“Auf diese Weise
avancierte der Chilene Marcelo
Díaz zum Top-Läufer des Turniers – er spulte bis Freitag rund
37 Kilometer ab.
Die Power in den Beinen ist aber
nur ein Teil der Wahrheit. Viele
lateinamerikanische Teams sind
taktisch voll auf der Höhe, spielen einen überfallartigen Konter-
Es müllert wieder
Bayern-Stürmer
Thomas Müller (2. v.
rechts) ist mit bislang vier Toren der
Garant für deutsche
Erfolge. Hier feiert er
sein 1 : 0 gegen die
USA mit Kroos, Klose
und Höwedes
Der Extrembergsteiger
Benedikt Böhm, der ohne
Zwischenstopps auf die
höchsten Berge dieser Welt
rennt und mit Skiern abfährt,
fühlt sich mit der Besteigung
eines Achttausenders unterfordert. Deswegen will der
Buchautor („Im Angesicht des
Manaslu. Speedbergsteigen
in der Todeszone“) gleich zwei
Achttausender erklimmen –
in sieben Tagen! „Normale“
Bergsteiger brauchen eine
ganze Woche dafür, Adrena-
www.focus.de
Nr. 28/14 07. Juli 2014
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Vollstreckender Verteidiger
Mats Hummels, 25
Seine Job-Beschreibung als Aufräumer in
der Abwehr lautet: Tore verhindern. Das
hat der Innenverteidiger im Viertelfinale
gegen Frankreich auch gemacht. Und
vorn hat noch eines geschossen
108
FOCUS 28/2014
Die
Reifeprüfung
Im WM-Halbfinale gegen Brasilien muss die deutsche Elf zeigen, dass sie
wirklich erwachsen geworden ist. Und ihr abgezocktes Spiel auch System hat
Foto: Mike Hewitt/FIFA via Getty Images
A
cht aufregende Jahre
haben sie gebraucht,
um erwachsen zu werden. Jetzt fehlen nur
noch zwei Spiele bis zur Legende. Im Fußball spricht man gern
von einer Goldenen Generation,
wenn sich eine solche Menge an
Ausnahmetalenten zum Kicken
versammelt. Sie heißen Schweinsteiger, Podolski, Mertesacker,
Klose und Lahm, und bisher
war es ihr Fluch, am Ende doch
immer ohne Pokal heimfliegen zu
müssen. Brasilien 2014 – das ist
nun die ultimative Reifeprüfung
für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft.
Im Spiel gegen Frankreich
lehnte sich Jogi Löw auf seiner
Trainerbank dermaßen gelassen
zurück, dass man dachte, er würde sich jeden Moment noch eine
Marlboro light anzünden. Tiefenentspannt. Er saß da wie ein Vater,
der seinen Kindern beim Größerwerden zusieht. Und das ist auch
die Geschichte dieser DFB-Elf:
Am Anfang war alles federleicht,
so wie damals beim deutschen
Sommermärchen 2006, dann ein
bisschen Rock ’n’ Roll wie 2010 in
Südafrika. Und jetzt ist alles etwas
zäher, sperriger, nervenaufreibender – dafür aber auch souveräner.
Routiniert.
„Wir haben im Vergleich zu
2010 eine bessere Mannschaft“,
sagt Stürmer Thomas Müller zu
FOCUS. In Südafrika faszinierte das Team die ganze Welt mit
spektakulärem Konter-Fußball.
Wild und fast anarchisch. Alle
Mann stürmten nach vorn, koste es, was es wolle. Es kostete
eine Menge Gegentore und das
Aus gegen Weltmeister Spanien.
„Heute können wir ein Spiel von
hinten heraus aufziehen. Damals
fehlte uns noch die spielerische
Klasse. Mittlerweile sind wir sogar
eine ganz andere Mannschaft,
spielen viel souveräner und abgeklärter“, so Müller. Und genau
deshalb steht sie auch am Dienstag im Halbfinale gegen Brasilien.
Die nackten Zahlen belegen,
dass die Kritik ungerechtfertigt
ist. 115 der 137 Tore seit der WM
2010 fielen aus dem Spiel heraus
und nicht nach Standardsituationen – das sind 84 Prozent aller
Treffer. Ein Rekordwert in der globalen Fußballwelt. Und der Nachweis, dass Fußballästhetik und
Erfolg einander nicht ausschließen. Seit Joachim Löws Amtsantritt 2006 gewann die deutsche
Mannschaft 68 Prozent ihrer Spiele. So eine Erfolgsquote gab es in
der 113-jährigen DFB-Geschichte
unter keinem Bundestrainer. Seit
2002 steht die Nationalelf zum
vierten Mal hintereinander im
Halbfinale. Eine weltweit einzigartige Bilanz.
Frank Wormuth ist Deutschlands oberster Fußball-Lehrer
beim DFB. Er sagt: „Die Menschen und auch die Medien sollten eines nicht vergessen: Fußball
ist kein Wunschkonzert!“
Rennpferde und
Dirigenten
Touchmap Thomas Müller
Spiel: Frankreich – Deutschland
Müller, das Lungenwunder
Individualspieler Thomas Müller
rennt – und winkt so lange nach Bällen – bis der Schiedsrichter abpfeift
Touchmap Bastian
Schweinsteiger
Spiel: Frankreich – Deutschland
Schweini, der Strippenzieher
Er ist seit Jahren der Denker und
Lenker der deutschen Nationalmannschaft: Bastian Schweinsteiger
Quelle: Opta Sports
109
110
Hier geht es lang! Die Marschrichtung von Bundstrainer Joachim
Löw gegen Frankreich war richtig: erst den Ball sicher halten,
dann zuschlagen. Einzig die Chancenverwertung war dürftig
Schlüsselspieler
Speed-Dribbler
Touchmap Arien Robben
Spiel: Niederlande – Mexiko
Arjen Robben, den Blitz
auf der rechten Außenbahn, zieht es wie beim
FC Bayern auch auf die
linke Seite. Ihn zu stoppen ist schwer: In Brasilien stellte der Niederländer mit 37 km/h
einen WM-Rekord auf
One-Man-Show
Touchmap Neymar
Spiel: Brasilien – Chile
Das Spiel der Brasilianer
hing bislang am Geschick
von Neymar. Deshalb
ist der Ausfall des
Superstars wegen
eines im Spiel gegen
Kolumbien erlittenen
Wirbelbruchs für Brasilien eine Katastrophe.
Quelle: Opta Sports
dem Zettel. Allerdings gelang
nur bei jeder siebten Chance
auch der Treffer. „Wir müssen
unsere Effizienz verbessern“, fordert der ehemalige DFB-Knipser
Bierhoff. „Seit 2010 setzen wir
auf den Spaßfaktor. Das ist eine
Generation, die noch mal querlegt und den anderen das Tor
machen lässt.“ Stürmer Müller
relativiert das Bild der verpassten
Gelegenheiten: „Wenn du viele
Torchancen hast, hast du auch
viele Möglichkeiten, welche zu
vergeben.“ Dem stimmt DFBMann Wormuth zu. „Allerdings
wäre es für uns Zuschauer doch
weniger nervenaufreibend, wenn
die Mannschaft den Sack früher
zumachen würde.“
Thomas Strunz, der 1996 bei der
EM den letzten Titel für Deutschland holte, ist aber immer noch
nicht von Löws Truppe überzeugt.
„Eigentlich bin ich von der Mannschaft enttäuscht. Sie konnte
mich bisher weder taktisch noch
spielerisch überzeugen“, nörgelt
Strunz. Die Mannschaft spiele viel
zu langsam, viel zu statisch. Bei
der WM 2010 war das noch ganz
anders. Strunz sagt: „Das war
grandioser Vollgas-Fußball. In
Brasilien hatte man den Eindruck,
dass die Spieler gar nicht offensiv
spielen und denken sollen.“
Die Mannschaft ist allmählich genervt von der Kritik aus
der über 9000 Kilometer entfernten Heimat. „Ich will nicht
Weltmeister werden und sagen:
,Sorry, dass wir das Finale nur mit
einem Tor Unterschied gewonnen haben‘“, grantelt Müller.
Der Titel – nur der zählt. „In
unserer Kabine hängt immer ein
Trikot, auf dem alle noch lebenden Weltmeister aus Deutschland
unterschrieben haben. Das haben
wir dort zur Motivation aufgehängt“, verrät André Schürrle.
Wenn sie am Dienstag gewinnen, hatte Podolski doch Recht.
Der sagte vor Wochen, dass die
Zeit kommen wird, in der die Gegner sagen: „Wow, seht her, die
Deutschen, die sind da!“
■
A. HASLAUER / A. WOLFSGRUBER
FOCUS 28/2014
Foto: Matthias Schrader/dpa
Man kann nicht immer Kantersiege wie bei der WM 2010 gegen
England und Argentinien erwarten. Dafür sind die Gegner mittlerweile viel zu gut, sowohl taktisch
als auch spielerisch. Löws Ziel ist
ja auch, den Ball in den eigenen
Reihen zu halten und den Gegner
auszuspielen. Und zur Kritik, dass
das Team nicht gut spielen würde,
sagt Wormuth: „Die Spanier hatten bei der EM 2012 genau ein
gutes Spiel: Das war das Finale.
Ansonsten haben sie sich durch
das Turnier gemogelt.“
Zudem verweist Deutschlands
oberster Taktikfuchs auf die
Verletzungssorgen: Gündogan
und Reus konnten erst gar nicht
nach Brasilien mitfliegen – Klose,
Schweinsteiger und Khedira
kamen ohne Spielpraxis an und
haben sich erst jetzt gegen Frankreich ins Turnier gespielt. Für ihn
ist Deutschland reif für den Titel.
Auch Arsène Wenger, Trainer
der Arsenal-Spieler Özil, Podolski
und Mertesacker, glaubt wegen
der vielen deutschen Schlüsselspieler an einen Alemanha-Erfolg
in Brasilien. „Ein Müller, ein Özil
oder auch ein Götze können alleine ein Spiel entscheiden.“ So viele Individualkünstler hat keine
Mannschaft. Die Argentinier? Von
Messi abhängig, die Brasilianer
von Neymar.
„Das Team ist sich der eigenen Stärke bewusst“, sagt DFBManager Oliver Bierhoff. Zu ihren
großen Pluspunkten zählt neben
der Abgezocktheit vor allem
die kämpferische Haltung. „Von
Spiel zu Spiel hat Deutschland
den Kampf mehr angenommen“,
meint Ex-Nationalspieler Jens
Nowotny. „Vor allem Schweinsteiger hat Maßstäbe für die Kollegen gesetzt“, lobt Ex-Abwehrmann Nowotny den deutschen
Mittel-Feldherrn.
Die Deutschen erspielen sich
eine ungewöhnliche Menge an
Torchancen. Mehr als ein Dutzend besitzt das Team in jedem
Spiel. Gegen Algerien zählten die
Statistiker 29 Schüsse, von denen
22 auf das Tor flogen. Gegen die
USA standen 13 Torschüsse auf
Per der Große
Per Mertesacker, 29
Der 1,98 Meter große
Verteidiger von Arsenal
London, der in England
nur „BFG“ (Big Fucking
German) genannt wird,
schnauzte nach dem
Algerien-Spiel einen
Reporter an: „Wat wolln
Se? Glauben Sie, unter
den letzten 16 ist eine
Karnevalstruppe? Ich
leg mich jetzt erst mal
drei Tage in die Eistonne.“
VIDEO
Seite scannen
mit FOCUS
ACTIVE APP
Per Mertesacker im
ZDF-Interview
112
FOCUS 28/2014
„Wir wollen gar keinen
Hurra-Fußball spielen!“
Deutschlands Abwehrchef Per Mertesacker spricht nicht gern mit Reportern. Das haben
Millionen im TV gesehen. Im FOCUS-Interview war er ganz friedlich. Und erstaunlich redselig
Herr Mertesacker, das Viertelfinale
gegen Frankreich erlebten sie als Ersatzmann. Wie schrecklich war das?
Ich habe es in der Nacht vor
dem Spiel erfahren. Die Nacht war
nicht einfach für mich. Alle haben
eine Berechtigung zu spielen, und
jeder wird gebraucht. Jetzt habe
ich erlebt, wie sensationell die
Bank mitfiebert und unterstützt.
Hat mich verblüfft, wie gut die
allgemeine Stimmung im Hintergrund ist. Wie jeder für jeden da
ist. Man wird Weltmeister nicht
nur auf dem Platz, sondern auch
auf der Bank. Die wahre Stärke
eines Team liegt auch darin, anderen etwas zu gönnen und selbst
zurückzustecken.
Die Szene, wie Sie nach dem Spiel
zuvor ZDF-Mann Boris Büchler
anblafften, ist jetzt schon legendär.
Fotos: Joe Giddens/dpa, facebook
Auf Facebook habe ich ja schon
geschrieben, dass Emotionen einfach zum Fußball gehören, auch direkt nach dem Spiel. Mehr gibt es
zu diesem Thema eigentlich nicht
zu sagen. Lassen Sie uns lieber
über das nächste Spiel sprechen.
Das ist am Dienstag in Belo Horizonte gegen Gastgeber Brasilien. Dort
werden Sie vor 60 000 begeisterten Zuschauern auflaufen.
Ursprünglich kommen Sie aus dem
beschaulichen 15 000-EinwohnerStädtchen Pattensen. Fühlt sich die
WM-Atmosphäre trotz vieler ProfiJahre immer noch unglaublich an?
Vor so vielen Menschen spielen
zu dürfen ist wirklich der Wahnsinn. Ein absolutes Privileg. Ich
rufe mir oft in Erinnerung, dass
das eine wunderschöne Sache ist,
die ich ausüben darf, und dass ich
FOCUS 28/2014
30 Grad Celsius und gut 70 Prozent Luftfeuchtigkeit sind ein
Albtraum. Vorteil Brasilien?
es geschafft habe, mit viel Arbeit
und Einsatz bei meiner dritten
Weltmeisterschaft mitzuspielen.
2010 war die WM in Südafrika
von Vollgas- und Konter-Fußball
geprägt. Wie bewerten Sie das
Niveau der WM 2014?
Ich finde die Mentalität der
Teams beeindruckend. Alle Mannschaften agieren kämpferisch
und läuferisch auf extrem hohem
Level. Gerade die südamerikanischen Teams haben positiv
überrascht. Wer bei dieser Weltmeisterschaft seinen Stiefel nur
runterspielen wollte, war schnell
aus dem Turnier raus. Wir haben
versucht, uns von der südamerikanischen Mentalität eine Scheibe abzuschneiden.
Mentalität ist das eine, das andere
sind die klimatischen Bedingungen.
In der Eistonne
stecken Per Mertesacker (r.) und
Kollege Benedikt
Höwedes, um die
Muskeln zu regenerieren. Die Überschrift
zu Mertesackers
Facebook-Eintrag:
„Deutsche Eiche“
Südamerikaner gehen mit dem
Klima einfach so um, wie sie es
von Geburt an gewohnt sind. Sie
rennen mit Spiel- und Lebensfreude drauflos und besitzen eine große Aggressivität. Sie können auch
zum Ende noch mal zulegen. Und
da müssen wir auf der Hut sein.
Gleichzeitig haben wir eine ganz
eigene Spielidee: viel Ballbesitz,
hohe Spielkontrolle und kreatives Spiel in die Spitze. Wir wollen
gar keinen Hurra-Fußball spielen!
Unsere Spielweise ist die Balance.
Ist es schwerer, einen Rückstand im
brütend heißen Brasilien aufzuholen
als in Europa? Beim 2 : 2 gegen Ghana
in der Vorrunde lief die deutsche
Elf zeitweise einem 1 : 2 hinterher.
Ghana war wirklich ein guter
Test. In solchen Situationen geht
es nur mit Geduld. Aber wir sind
ja damals noch mal zurückgekommen. Aber es ist richtig: Wer
in Rückstand gerät, hat es bei
der Weltmeisterschaft in Brasilien sehr schwer, wieder ins Spiel
zu kommen. Der Führungstreffer
ist dort mehr als anderswo der
Schlüssel zum Erfolg.
Worin sehen Sie den größten Unterschied zur WM 2010 in Südafrika?
In Südafrika hat es nachts extrem abgekühlt. Hier ist das Klima erdrückend. In Brasilien ist es
definitiv körperlich noch anstrengender als vor vier Jahren.
Sie gelten als extrem fairer Spieler.
Müssen Sie bei dieser WM nicht
etwas ruppiger gegen diese abgezockten Stürmer vorgehen?
113
Eine rote Karte bekommt man
schneller, als man denkt. Die Stürmer werden immer flinker und
wuseliger. Da kann es rasch passieren, dass man zur Notbremse
greifen muss und beim nächsten
Spiel zuschaut. Einen wie den
nach der Gruppenphase suspendierten Uruguayer Luis Suárez
kannst du nicht ein ganzes Spiel
lang kontrollieren. Solche Spieler
riechen die guten Situationen und
spielen ekelig. Sie sind nicht berechenbar. Wenn man glaubt, man
könnte seine Bewegungen vorausahnen, dann ändert er meist
schon die Richtung. In direkte
Zweikämpfe zu gehen bringt oft
ebenso wenig. Für den Kopf ist es
daher besser, dass wir uns gegenseitig das Gefühl geben, in der
Abwehr füreinander da zu sein.
Stürmer wie
Luis Suárez
aus Uruguay
riechen die
guten Situationen und
spielen
ekelig“
Mertesacker über
wuselige Stürmer
vom anderen etwas abschauen.
Aber es stimmt: Verteidiger sind
eher verantwortungsbewusst. Wir
haben dieses Pflichtgefühl seit der
Jugend gelernt. Wir sind letzter
Mann. Ich darf keinen Gegner im
Rücken weglaufen lassen. Mir war
aber immer wichtig, auch neben
dem Platz ruhig, mir selbst treu
und bodenständig zu bleiben.
Bei der WM 2018 in Russland
sind Sie fast 34 Jahre alt. Das ist
vielleicht Ihre letzte Chance auf
einen WM-Titel. Wie wichtig wäre
für Sie jetzt der Finalerfolg?
Klar ist unser Ziel, Weltmeister
zu werden. Dieses Ziel braucht
Ihre jungen Kollegen twittern,
was das Zeug hält, haben Millionen
von Followers. Sie selbst sind
kein großer Freund von Selfies.
Ab und zu knipse ich auch welche, weil viele Fans das Gefühl
haben wollen, ganz dicht an ihren
Stars zu sein. Ich verschließe
mich da nicht, aber mache solche Fotos nur direkt nach einem
Spiel, wenn wir uns über einen
Sieg freuen. Für die Fans ist das
schön. Andererseits bleibt bei mir
Privates tabu. Vor allem meine
Familie lasse ich raus. Die junge
Generation von Nationalspielern
geht damit spielerischer um.
Hat sich die Arbeit eines Verteidigers in den vergangenen Jahren bei
der Nationalmannschaft geändert?
Grundsätzlich werden früher
wie heute die gleichen Dinge trainiert. Es kommt mal etwas Neues
im System, aber die Bälle einfach
raushauen war damals wie heute verpönt. Wir haben jetzt einen
neuen Videoanalysten, einen neuen Analytiker und mehr Statistiken
über den Gegner. Die Trainingsarbeit hat sich nicht wesentlich verändert. Neue Spieler im Team und
neue Gegner verändern das Spiel
auf dem Platz da schon mehr.
Besitzen Verteidiger eigentlich
einen besonderen Charakter?
In unserem Team sind unterschiedliche Typen. Jeder kann sich
114
man als Spieler, um sich nach
einer langen Saison noch mal zu
motivieren. Ich bin brutal stolz,
zum dritten Mal hintereinander
ins Halbfinale gekommen zu
sein. Diesmal wollen wir natürlich gewinnen. Wenn wir diesen Teamgeist, diesen Kampf als
Mannschaft wiederholen, haben
wir eine sehr gute Chance auf das
Finale. Aber wenn meine sportliche Karriere beendet ist, richte ich den Blick eher auf meine
kleine Familie und brauche keine
Lobhudeleien, weil ich Weltmeister bin. Ich bin als Mensch auch
glücklich, wenn ich keinen WMTitel hole. Ich versuche deshalb,
einigermaßen ohne Verletzungen
meine Karriere zu beenden, damit
ich mit meinen Söhnen im Garten
noch Fußball spielen kann. Ich
will mich später umso intensiver
um die Kinder kümmern.
Haben Sie als langjähriger
Nationalspieler bei Bundestrainer
Joachim Löw ein Mitspracherecht bei Taktik und Aufstellung?
Angenehmes
Gespräch
Andere Reporter werden angeblafft, unser
Mann wird in den
Arm genommen. Per
Mertesacker (r.) und
FOCUS-Redakteur
Axel Wolfsgruber
Kurz hinter
dem Kaiser
Gegen Frankreich war
Mertesacker nur
Ersatz – sonst hätte
er nach Länderspielen
mit Franz Beckenbauer gleichgezogen
Rekord-Nationalspieler
Name
Spiele
Lothar Matthäus
150
Miroslav Klose
135
Lukas Podolski
116
Philipp Lahm
111
Jürgen Klinsmann
108
Bastian Schweinsteiger
106
Jürgen Kohler
105
Franz Beckenbauer
103
Per Mertesacker
102
Joachim Streich
102
Thomas Häßler
101
Hans-Jürgen Dörner
100
Ulf Kirsten
100
Michael Ballack
98
Wir sind im ständigen Austausch. Jeder Spieler hat eigene
Ideen und Sichtweisen – die müssen wir miteinander verbinden.
Erst reden wir Spieler untereinander, dann mit dem Trainer. Wichtig ist, dass sich jeder dabei wohlfühlt und mitmacht. Für diese Art
der Kommunikation braucht es
Vertrauen – und das haben wir.
Bekommen Sie von der Stimmung
in Deutschland mit den Hunderttausenden von Leuten beim Public
Viewing überhaupt etwas mit?
Wir sehen Bilder von begeisterten Anhängern. Aber wenn man
nicht dort ist, ist es schwer, das
richtig zu fühlen. Hier in Brasilien
bekommen wir mehr mit. Noch
jubeln uns hier auf den Busfahrten und am Flughafen die Einheimischen zu. Bislang sind alle sehr
freundlich. Sie kommen aus den
Häusern und winken. Den Menschen gefällt anscheinend, wie
wir auftreten und Fußball spielen. Ich bin mal gespannt, wie das
aber sein wird, wenn wir im Halbfinale gegen Brasilien spielen. ■
INTERVIEW: AXEL WOLFSGRUBER
Quelle: Deutscher Fußball-Bund (DFB)
FOCUS 28/2014
Fußball könnte so schön sein – wenn nur dieser Verbalabfall der
TV-Kommentatoren nicht wäre. Dieses konstant überdrehte Geplärre
Gebt uns Faßbender zurück!
Foto: Angelika Pöppel
D
ie drittdümmste Erfindung der Menschheitsgeschichte ist
das sogenannte FieldInterview. Dass sich Bastian
Schweinsteiger dem lächerlichquälenden Floskel-Pingpong
unmittelbar nach dem Spiel seit
einiger Zeit verweigert, ehrt
ihn. Und dass Per Mertesacker
nach dem zusammengewürgten
2 : 1 gegen Algerien den ZDFPseudo-Schlaumeier Boris Büchler bündig beschied, es sei ihm
„völlig wurscht“, was der öffentlich-rechtliche Schweranalyst
über die Leistung des deutschen
Teams denke. Und hinterherschob: „Was wollen Sie jetzt so
kurz nach dem Spiel? Kann ich
nicht verstehn. Wat wolln Se?
Wolln Se ne erfolgreiche WM,
oder solln wir wieder ausscheiden und ham schön gespielt?
Also, ich versteh die ganze Fragerei nich“ – das kam im Zuge
der infernalischen fußballjournalistischen Endloserniedrigung
von Intellekt und Sprache einer
Erleuchtung gleich.
Wo soll man anfangen, wo nur,
um Himmels oder gar Hummels
willen? Beim konstant überdrehten Béla Réthy? Bei dem jeder
Halbsatz vibriert, jeder Spielername einem Feldherrn gehört,
jede Flanke die Welt wagnerianisch in Brand setzt? Was hat
ihn geritten, was hat er eingepfiffen? Was soll das, während
einer Zeitlupe die Körpergröße
eines Akteurs rauszuorgeln?
FOCUS 28/2014
Eine gelbe Karte von Jürgen Roth
SprachAnalytiker
Jürgen Roth, 46
Der Schriftsteller ist
glühender Fußballfan
und Liebhaber der
deutschen Sprache.
Grund genug, sich
über die Phrasen der
Sportkommentatoren aufzuregen.
Roth veröffentlichte
unter anderem
„So werde ich
Heribert Faßbender“,
zuletzt erschien
„Nur noch Fußball“.
Oder zu plärren: „Das linke
Knie geht weg!“? Oder: „Buffon
verhindert das sichere 1 : 0!“?
Réthy kann sechs Sprachen
und keine richtig. Da unterscheidet er sich allerdings von keinem
seiner Kollegen, die samt und
sonders nicht mal mehr den richtigen Numerus eines Prädikats
kennen. Es heißt: Die USA/die
Niederlande spielen von rechts
nach links, nicht: Die USA/die
Niederlande spielt von rechts
nach links oder von oben nach
unten oder von wo nach wo auch
immer – zefix und die Klappe
jetzt bald wahrlich zugenäht!
Sie haben nichts zu sagen,
das jedoch reichlich. Man reibt
sich die Ohren, wenn Tom Bartels tatsächlich mal eine halbe
Minute lang schweigt, dann
aber Gott sei Dank wieder wie
von Sinnen loslegt und -schnabelt: „Müsste Abseits sein.
Jawoll. Deutlich. Ja, deutlich ist
schön. Das war gleiche Höhe.“
Wo sind die nicht effektheischend vor sich hin rhabarbernden, die nüchtern und halbwegs
mit Sachverstand kommentierenden Reporter geblieben? Warum
sind wir mit einer narzisstischen
Peinfigur wie Steffen „Flanke macht keinen Sinn“ Simon
geschlagen, der das Übertragen
eines Fußballspiels durch Dauermarktschreierei ersetzt? Dem
man fünf Sechstel seiner Sätze
rauslektorieren müsste? Und was
qualifiziert den forsch-rustikalen,
betont jovialen Gerd Gottlob für
seinen güldenen Job? Dass er
sich rauschhaft an sich selbst zu
begeistern vermag. Dass er nicht
weiß, was ein Dilemma ist, nämlich eine ausweglose Situation,
und daher fragt: „Wie können
sich die Chilenen aus diesem
Dilemma befreien?“ (Durch ein
Tor womöglich?)
„Nach der Lage der Bilanz“
(Gottlob) ist bei keiner FußballWM zuvor derart viel Verbalabfall angehäuft worden wie heuer.
„Das ist definitiv klar“ (Oliver
Schmidt). Hie hagelt es „absolute Akzente“ (Rudi Cerne), da
macht Oliver Kahn „eine absolute Schrott- und Nonsensdiskussion“ aus, und selbst in den
Zusammenfassungen an den Folgetagen wird, Live-Reportagen
simulierend, gebrüllt, als führte
Jürgen Klinsmann Regie.
Was man der Sendezeit darüber
hinaus noch antun kann, demonstrieren Gebühren vernichtende
Nichtigkeitsaufwallungen in
WM-Clubs, betongrinsende DFBLakaien im Mannschaftshotel
und angesichts ihres sonnigen
Arbeitsplatzes lichterloh frohe
Stichwortonkel wie Oliver Welke,
der mal so dahinschwadroniert:
„Es wird nicht viel passieren in
der zweiten Hälfte.“
Nein, die „Lust am Spiel“
(Bartels) – passé. Man schäumt
vor Überdruss, man mag nicht
mehr. So weit sind wir gekommen, dass wir flehentlich ausrufen, ja jaulen: Gebt uns Heribert
Faßbender zurück! Subito!
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