Falk Gastro-Kolleg Darm
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Falk Gastro-Kolleg Darm Differenzialdiagnostik der chronischen Diarrhö Prof. Dr. V. Groß Medizinische Klinik II Klinikum St. Marien Mariahilfbergweg 5–7 92224 Amberg Zusammenfassung Das differenzialdiagnostische Spektrum der chronischen Diarrhö ist groß. Pathophysiolo gisch lassen sich 2 große Gruppen der chronischen Diarrhö unterscheiden: die malab sorptive/osmotische Diarrhö und die sekretorische/exsudative Diarrhö. Während die malabsorptive/osmotische Diarrhö in der Regel unter Nahrungskarenz sistiert, bleibt die sekretorische/exsudative Diarrhö von einigen Ausnahmen abgesehen unter Nahrungs karenz bestehen. Die Gruppe der malabsorptiven/osmotischen Diarrhö umfasst Dünn darmerkrankungen, die zu einer Verminderung der funktionell aktiven resorptiven Oberfläche führen (z. B. einheimische Sprue), Erkrankungen, die mit einer Vermehrung nicht resorbierbarer intraluminaler Solute einhergehen (z. B. Pankreasinsuffizienz mit der Folge der Maldigestion, Lactasemangel), sowie Erkrankungen, bei denen aufgrund eines beschleunigten Transits die Resorption gestört ist. Die Gruppe der sekretorischen/ exsudativen chronischen Diarrhö umfasst einerseits entzündliche Erkrankungen, bei denen die passive Sekretion (Exsudation) im Vordergrund steht (z. B. chronisch entzünd liche Darmerkrankungen, chronische Infektionen), sowie Erkrankungen, die durch eine aktive Sekretion charakterisiert sind (z. B. chologene Diarrhö, Nahrungsmittelallergie, neuroendokrine Tumoren). Bei vielen Erkrankungen sind die Zusammenhänge jedoch komplex, da gleichzeitig verschiedene Diarrhömechanismen aktiv sind (z. B. Diarrhö bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Diarrhö bei langjährig schlecht eingestell ten Diabetikern, Diarrhö bei bakterieller Überbesiedlung des Dünndarms). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass viele Patienten mit chronischer Diarrhö unter einer funktionellen Diarrhö im Rahmen eines Reizdarmsyndroms leiden. Die Abklärung der chronischen Diarrhö erfordert daher den kritischen und gezielten Einsatz der diagnosti schen Verfahren, um einerseits eine Überdiagnostik zu vermeiden, andererseits jedoch bedeutende Erkrankungen nicht zu übersehen. Schlüsselwörter Fragebeantwortung unter www.falkfoundation.de Falk Gastro-Kolleg Chronische Diarrhö | Differenzialdiagnostik | Malabsorption | sekretorische Diarrhö Titelbild: Colitis ulcerosa Differenzialdiagnostik der chronischen Diarrhö Einleitung Die individuelle Bandbreite der Stuhlgewohnheiten ist groß und wird von vielen Faktoren beeinflusst. Im Allgemeinen wird ein Patient dann über Diarrhö berichten, wenn es zu einer Veränderung seiner individuellen Stuhlgewohnheiten mit einer erhöhten Stuhlfrequenz und einer geminderten Stuhlkonsistenz gekommen ist. In nerhalb der Allgemeinbevölkerung stellt die Diarrhö ein häufiges Symptom dar. In Umfragen berichteten 2–4% der Befragten eine häufige (> 25 % der Tage oder Gele genheiten) Erhöhung der Stuhlfrequenz und 5–17% eine häufige Minderung der Stuhlkonsistenz. Für eine rationelle Abklärungsstrategie der chronischen Diarrhö ist daher neben der Kenntnis der Krankheitsbilder vor allem eine Vorstellung von ihrer Häufigkeit hilfreich. Patienten, die einer gastroenterologischen Klinik zur Abklärung einer chronischen Diarrhö zugewiesen wurden, hatten in 60% funktionelle Störungen und in 40% orga nische Erkrankungen (chronisch entzündliche Darmerkrankungen 7–12%, Infektionen 4–11%, Zustand nach abdominellen Operationen 2,5–10%, Malabsorption 5%, Laxan zienabusus 3–4%, andere Medikamente und/oder Drogen 2%). Die Schwierigkeit bei der Abklärung der chronischen Diarrhö besteht einerseits in der Vielzahl der Differen zialdiagnosen, andererseits in der Tatsache, dass die chronische Diarrhö häufig im Rahmen eines Reizdarmsyndroms auftritt, und dieses eine Ausschlussdiagnose dar stellt. Für jeden Patienten ist daher kritisch abzuschätzen, welche Diagnostik erforder lich ist, um einerseits Überdiagnostik zu vermeiden, andererseits jedoch wichtige Er krankungen nicht zu übersehen. P Patienten, die über chronische Diarrhö berichten, haben in ca. 60% eine funktionelle Störung 1 Definition Die Diarrhö ist durch Veränderungen von Stuhlfrequenz, Stuhlvolumen und Stuhlkon sistenz charakterisiert. Pathophysiologisch ist die echte Diarrhö durch mehr als 3 Stuhlentleerungen pro Tag, ein Stuhlgewicht über 200–250 g/Tag, sowie flüssigen/breiigen Stuhl (Stuhlwasser gehalt über 80%) definiert. Die Angaben zur Mindestdauer der Symptomatik, ab der die Diarrhö als chronisch bezeichnet wird, schwanken zwischen 2 und 4 Wochen. P Definition der chronischen Diarrhö: > 3 Stuhlentleerungen/Tag, Stuhlvolumen > 200–250 g/Tag, flüssiger/breiiger Stuhl; Symptomdauer > 2–4 Wochen Der erste Schritt bei der Abklärung besteht darin, eine echte Diarrhö zu sichern und von anderen Veränderungen abzugrenzen, die ebenfalls zu einer Erhöhung der Stuhl frequenz führen (Tab. 1). Tab. 1 Diarrhö – Definition Echte Diarrhö Pseudo diarrhö Paradoxe Diarrhö Inkontinenz Stuhlfrequenz > 3/Tag > 3/Tag > 3/Tag > 3/Tag Stuhlkonsistenz flüssig/breiig wechselnd flüssig Stuhlschmieren Stuhlgewicht > 200–250 g/Tag normal normal normal Ursache (Beispiel) Sprue, Entzündung Reizdarm Kotsteine Sphinkterdefekt Dazu zählen die funktionelle Diarrhö (auch Pseudodiarrhö oder „falsche“ Diarrhö ge nannt) im Rahmen eines Reizdarmsyndroms, die paradoxe Diarrhö, verursacht durch Stuhlretention mit sekundärer Verflüssigung, sowie die Inkontinenz, die zum Stuhl schmieren führt. Durch eine sorgfältige Anamnese, die „Stuhlvisite“, sowie die rektale Untersuchung gelingt in der Regel die Abgrenzung der echten Diarrhö von der funk tionellen Diarrhö, der paradoxen Diarrhö und der Stuhlinkontinenz. P Die echte Diarrhö muss von der funktionellen Diarrhö, der paradoxen Diarrhö und der Stuhlinkontinenz abgegrenzt werden 2 Klassifikation der chronischen Diarrhö Stuhlvolumen und Stuhlkonsistenz sind überwiegend durch den Wassergehalt des Stuhls bestimmt. Pro Tag gelangen ca. 9 l Flüssigkeit in den Dünndarm, ca. 2 l durch exogene Zufuhr, ca. 7 l durch Sekretion von Speicheldrüsen, Magen, Pankreas, Galle, Darmepithel. Davon erreichen ca. 1000–1500 ml den Dickdarm und nur ca. 100 ml, d. h. ca. 1% der exogenen und endogenen Zufuhr, werden mit dem Stuhl ausgeschie den. Eine Störung des Gleichgewichts von intestinaler Sekretion und Resorption mit der Folge einer vermehrten Nettosekretion führt zur Diarrhö (Tab. 2). Normaler und pathologischer intestinaler Wassertransport Normal* Dünndarm diarrhö** Dickdarm diarrhö** Eintritt in Jejunum (Aufnahme plus endogene Sekretion) 9000 ml/24 h Eintritt in lIeum 3000 ml/24 h Eintritt in Coecum 1000–1500 ml/24 h 6000 ml/24 h 1000 ml/24 h Stuhl 100 ml/24 h 1500 ml/24 h 700 ml/24 h Tab. 2 * Durchschnittswerte ** Beispielwerte Entsprechend der vorherrschenden Funktionsstörung kann zwischen 2 wesentlichen Diarrhömechanismen unterschieden werden: 1.Diarrhö aufgrund insuffizienter Resorption von Soluten und Wasser (malabsorptive/ osmotische Diarrhö) und 2.Diarrhö mit vermehrter Sekretion (sekretorische/exsudative Diarrhö). P Die beiden Hauptgruppen der chronischen Diarrhö sind die malabsorptive/osmotische Diarrhö und die sekretorische/exsudative Diarrhö Innerhalb der beiden Hauptgruppen lassen sich Untergruppen mit gleichem Pa thomechanismus darstellen. Die Gruppe der malabsorptiven/osmotischen Diarrhö umfasst Dünndarmerkrankungen, die zu einer Verminderung der funktionell aktiven resorptiven Oberfläche führen, Erkrankungen, die mit einer Vermehrung nicht resor bierbarer intraluminaler Solute einhergehen, sowie Erkrankungen, bei denen auf grund eines beschleunigten Transits die Resorption gestört ist. Die Gruppe der sekre torischen/exsudativen chronischen Diarrhö umfasst entzündliche Erkrankungen, bei denen die passive Sekretion (Exsudation) im Vordergrund steht, sowie Erkrankungen, die durch eine aktive Sekretion charakterisiert sind. Tabelle 3 führt diese Untergrup pen und die wichtigsten Erkrankungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf. Natür lich stellt die Tabelle eine Vereinfachung dar. Sie berücksichtigt den vorherrschenden Mechanismus der Diarrhö. Bei vielen Krankheiten sind jedoch gleichzeitig mehrere Diarrhömechanismen aktiv. Bei der Sprue besteht z. B. neben der malabsorptiven Komponente auch eine sekretorische Komponente aufgrund eines Barrieredefekts mit Steigerung der intestinalen Permeabilität. Beim Morbus Crohn kann neben der sekretorischen Komponente bei ausgedehntem Dünndarmbefall auch eine malabsorptive Komponente eine Rolle spielen. Bei der bakteriellen Überbesiedlung spielt neben der osmotischen Komponente durch den vermehrten Übertritt von dekonjugierten Gallensäuren ins Kolon auch die sekretorische Komponente eine wichtige Rolle. Klassifikation der chronischen Diarrhö Tab. 3 1 Malabsorptiv/osmotisch 1.1 Verminderung der funktionell aktiven resorptiven Oberfläche •Zöliakie •Intestinales T-Zell-Lymphom •Morbus Whipple •HIV-Enteropathie •CVID (common variable immunodeficiency) •Tropische Sprue •Amyloidose •Strahlenschaden •Zytostatikaschaden •Kurzdarmsyndrom, Dünndarmresektion, enterocolische Fistel 1.2 Vermehrung nicht-resorbierbarer intraluminaler Solute •Pankreasinsuffizienz (Maldigestion) •Zollinger-Ellison-Syndrom (Pankreasenzyme durch sauren pH gehemmt) •Laktasemangel •Seltene kongenitale Transportdefekte (z. B. Glukose-Galaktose-Malabsorption) •NNR-Insuffizienz (gestörter Ionentransport) •Vermehrte Zufuhr nicht oder nur eingeschränkt resorbierbarer Solute (Fruktose, Sorbit, Xylit, Lactulose, Magnesium-haltige Antazida) •α-Glukosidaseinhibitoren (Acarbose, Miglitol) •Bakterielle Überbesiedlung (Blindsacksyndrom, Stase durch Motilitätsund Passagestörung) 1.3 Beschleunigter Transit •Hyperthyreose •Karzinoid •Reizdarm? 2 Sekretorisch/exsudativ 2.1 Passive Sekretion/Exsudation •Morbus Crohn •Colitis ulcerosa •Mikroskopische (kollagene und lymphozytäre) Colitis •NSAR-Enterocolitis •Infektionen: Clostridium difficile, Yersinia enterocolitica, Giardia lamblia, Entamoeba histolytica, Tuberkulose, Wurmerkrankungen, opportunistische Infektionen bei HIV oder anderer Immunsuppression (Mycobacterium avium intracellulare, CMV, Cryptosporidium, Microsporidium, Isospora, Cyclospora, Cryptococcus, Aspergillus) 2.2 Aktive Sekretion •Laxanzien (Phenolphthalein, Bisacodyl, Antrachinone, Rizinus) •Chologene Diarrhö •Nahrungsmittelallergie •Eosinophile Enterocolitis, systemische Mastozytose •Villöse Adenome, Karzinome •Neuroendokrine Tumoren (Karzinoid, VIPom) 3 Anamnese und klinische Untersuchung Die gründliche Anamnese erlaubt in vielen Fällen bereits eine entscheidende dia gnostische Weichenstellung. Folgende Fragen sollten gestellt werden: 1.Häufigkeit und Art der Stuhlentleerung (Frequenz, Stuhlbeschaffenheit) 2.Abhängigkeit der Diarrhö von der Nahrungsaufnahme (Besserung unter Nahrungs karenz?) 3.Abhängigkeit der Diarrhö von bestimmten Nahrungs- oder Genussmitteln 4.Beginn der Diarrhö in Zusammenhang mit besonderen Ereignissen (z. B. Auslands reise) 5.Vor-/Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes mellitus), Voroperationen 6.Vormedikation und aktuelle Medikation (z. B. Antibiotika, orale Antidiabetika, NSAR) 7.Begleitsymptome (z. B. Meteorismus, Gewichtsverlust, Leistungsknick, Schmerzen, Fieber, Flush) Zu den wichtigsten Eingangsuntersuchungen zählen: 1.Beurteilung des Allgemeinzustands und des Ernährungszustands 2.Komplette klinische Untersuchung mit besonderem Schwerpunkt auf dem Abdo men (Qualität der Darmgeräusche, Meteorismus?, Resistenzen?) 3.Untersuchung von Anus einschließlich rektal-digitaler Untersuchung (perianale Entzündung?, Schließmuskelschwäche?, Resistenz?, Stuhlimpaktation?) 4.Stuhlvisite (Volumen, Konsistenz, Blut-, Schleim-, Eiterauflagerung?) 3.1 Stuhlfrequenz und Stuhlbeschaffenheit Großvolumige, wässrige Diarrhöen mit geringer Erhöhung der Stuhlfrequenz spre chen für eine Dünndarmerkrankung. Häufige, kleinvolumige Stühle deuten auf eine Dickdarmerkrankung hin. Blutbeimengungen sprechen für eine entzündliche Darm erkrankung oder für einen Tumor und sind in der Regel kolonischen Ursprungs. Groß volumige, übel riechende, ölige Stühle sind typisch für die Steatorrhö, das Kardinal symptom der Fettmalabsorption. Meteorismus und Flatulenz sprechen für eine Kohlenhydratmalabsorption (Gasbildung infolge der bakteriellen Kohlenhydratfer mentation). P Stuhlfrequenz und Stuhlbeschaffenheit geben Hinweise auf die Ursache der Diarrhö 3.2 Nahrungskarenz Die Symptome der malabsorptiven/osmotischen Diarrhö bessern sich in der Regel unter Nahrungskarenz. Die sekretorische/exsudative Diarrhö persistiert mit Ausnahme der chologenen Diarrhö und der Nahrungsmittelallergie auch unter Nahrungskarenz, wenn auch häufig etwas abgeschwächt. P Die malabsorptive/osmotische Diarrhö sistiert im Allgemeinen unter Nahrungskarenz, die sekretorische/ malabsorptive nicht 3.3 Einfluss von bestimmten Nahrungsmitteln Treten Diarrhö und Meteorismus vermehrt beim Verzehr von Milchprodukten auf, besteht der Verdacht auf eine Laktoseintoleranz. Die Fähigkeit zur Laktosespaltung zeigt große individuelle Schwankungen. Sie nimmt im Laufe des Lebens ab, sodass die Laktoseintoleranz mit zunehmendem Lebensalter häufiger wird. In Mitteleuropa beträgt die Häufigkeit der Laktoseintoleranz bei Erwachsenen ca. 10%. P Laktoseintoleranz als Ursache von Diarrhö und Meteorismus beim Verzehr von Milchprodukten Weitere Auslöser von Diarrhöen und Meteorismus können die gesteigerte Zufuhr von Fruktose (> ca. 50 g/Tag), Sorbit (> ca. 10 g/Tag) oder Xylit sein, da die Resorptions kapazität für diese Substanzen begrenzt ist. Letztere finden sich zum Teil in beträcht lichen Mengen in Kernobst, Softdrinks oder Diabetiker-Produkten. P Nach dem Verzehr von sogenannten „zuckerfreien“ Produkten fragen (Sorbit, Xylit)! Patienten vermuten häufig Nahrungsmittelallergien als Ursache für postprandial auf tretende Diarrhöen und Meteorismus. Echte Nahrungsmittelallergien, d. h. immunolo gisch vermittelte Reaktionen auf Nahrungsmittel oder Nahrungsmittelzusatzstoffe, sind jedoch selten. Nahrungsmittelallergien treten gehäuft bei Atopikern auf. P Echte Nahrungsmittelallergien sind selten Ursache einer chronischen Diarrhö 3.4 Lebensführung, besondere Ereignisse Diese sind individuell zu erfragen, z. B. Auslandsreise als Auslöser, gleichzeitig auftre tende Durchfallerkrankung in der Umgebung, Drogenkonsum? 3.5 Vorerkrankungen, Voroperationen Der langjährige, schlecht eingestellte Diabetes mellitus kann zu einer chronischen iarrhö führen. Ursächlich wird eine viszerale Neuropathie angenommen. Diese kann D einerseits über eine gestörte Motilität mit Stase zu einer bakteriellen Überbesiedlung mit der Folge der malabsorptiven/osmotischen Diarrhö führen, andererseits durch eine gesteigerte Sekretion zu einer sekretorischen Diarrhö. Während die bakterielle Überbesiedlung auf Antibiotika anspricht, kann die sekretorische Diarrhö auf Clonidin ansprechen. Ferner ist bei Diabetikern mit chronischer Diarrhö an orale Antidiabetika (α-Glucosidaseinhibitor, Metformin) als Auslöser (siehe 3.6) zu denken. P Die chronische Diarrhö bei langjährigen Diabetikern hat komplexe Ursachen Verschiedene gastrointestinale Operationen können über unterschiedliche Mechanis men zur chronischen Diarrhö führen. Dazu zählen das Kurzdarmsyndrom nach aus gedehnter Dünndarmresektion, die exogene Pankreasinsuffizienz bei ausgedehnter Pankreasresektion, das sogenannte Postgastrektomiesyndrom, das Postvagotomie syndrom, sowie Diarrhöen nach Cholezystektomie. P Chronische Diarrhö als Folge verschiedener Operationen Nach Strahlentherapie im Bereich des Abdomens kann es infolge einer Schleimhaut schädigung (Strahlenenterocolitis) zur Diarrhö kommen. Ferner kann langfristig durch strahlenbedingte Motilitätsstörungen oder Strikturen eine bakterielle Überbesiedlung mit der Folge der chronischen Diarrhö entstehen. P Chronische Diarrhö als Folge abdomineller Strahlentherapie 3.6 Medikamente Zahlreiche Medikamente können Diarrhöen auslösen. Zu erwähnen sind insbesondere Antibiotika, Antidiabetika, nicht-steroidale Antirheumatika, Magnesium-haltige Anta zida, Zytostatika, Laxanzien (heimliche Einnahme). Die Antibiotika-assoziierte Diarrhö kann in verschiedenen Formen auftreten. Die ein fache Antibiotika-assoziierte Diarrhö sistiert meist nach Absetzen des Antibiotikums. Sie beruht auf einer Störung der Darmflora mit gestörter bakterieller Fermentation von Kohlenhydraten und Gallensäuren. Auf diese Weise kann es einerseits über osmo tische, andererseits über sekretorische Mechanismen zu gehäuften, weichen und voluminösen Stuhlentleerungen kommen. Die zweite Form der Antibiotika-assoziier ten Diarrhö ist die Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö während oder nach Anti biotikatherapie. Die schwerste Form dieser Diarrhö stellt die pseudomembranöse Colitis dar. Die Diagnose wird durch den Nachweis von Clostridium-difficile-Toxin-A/B im Stuhl geführt. Bei schwerer Erkrankung und Verdacht auf das Vorliegen einer Clostridium-difficile-Variante mit gesteigerter Toxizität werden der kulturelle Nachweis und die molekularbiologische Typisierung empfohlen. Eine besondere Form der Antibiotika-induzierten Colitis ist die segmental hämorrha gische Colitis (Hypersensitivitätsreaktion?) nach Penicillintherapie. P Antibiotika Aus der Gruppe der Antidiabetika können die α-Glucosidaseinhibitoren durch Hem mung der Kohlenhydratresorption zu Meteorismus und auch Diarrhö führen. Ferner kann Metformin, insbesondere in höherer Dosierung, zur Diarrhö führen. P Antidiabetika Die Langzeiteinnahme von nicht-steroidalen Antirheumatika kann zu einer Enteropa thie und Colitis mit den Folgen des intestinalen Eiweiß- und Blutverlusts führen. Ur sächlich spielt eine Störung der intestinalen Permeabilität eine wichtige Rolle. P NSAR Darüber hinaus können viele Medikamente im Rahmen ihres gastrointestinalen Ne benwirkungsspektrums zur Diarrhö führen. Aufgrund der großen Verbreitung soll hier nur an die Gruppe der Psychopharmaka erinnert werden. P Psychopharmaka Bei anderweitig nicht erklärbarer chronischer Diarrhö ist auch an einen heimlichen Laxanzienabusus zu denken. P Heimlicher Laxanzienabusus 3.7 Begleitsymptome Gewichtsverlust und Leistungsminderung sind in der Regel Hinweis auf eine mal absorptive Diarrhö. Als Folge einer längerfristigen Malabsorption können zahlreiche andere Mangelsymptome auftreten (Tab. 4). Malabsorption – Symptome und Mechanismen Symptom Ursache (Störung von/Mangel an) Gewichtsverlust Fettassimilation Diarrhö, Meteorismus Kohlenhydratassimilation Muskelschwund, Ödeme Proteinassimilation Anämie Eisen, Vitamin B12, Folsäure, Zink Blutungen Vitamin K, Vitamin C Osteomalazie Calcium, Vitamin D, Vitamin A Tetanie Calcium, Magnesium Adynamie Kalium Glossitis, Neuropathie Vitamine B1, B2, B6, Eisen Hyperkeratosen Vitamin A, Zink Schmerzen, insbesondere im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme treten bei entzündlichen Darmerkrankungen oder bei Erkrankungen, die mit Stenosen einher gehen, auf. Schmerzen können jedoch auch bei malabsorptiven Diarrhöen infolge des Meteorismus oder beim Reizdarmsyndrom auftreten und müssen daher kritisch beurteilt werden. Fieber ist in der Regel Hinweis auf eine Darmentzündung infektiöser oder anderer (z. B. immunologischer, vaskulärer) Genese. Tab. 4 P Gewichtsverlust, Schmerzen, Fieber als Begleitsymptome Gelegentlich können andere Symptome, z. B. dunkle Hautfärbung, Schwäche, Hypo tonie bei Nebenniereninsuffizienz, Flush beim Karzinoidsyndrom oder Wärmeinto leranz, Schwitzen, Unruhe bei der Hyperthyreose auf eine spezifische Ursache der chronischen Diarrhö hinweisen. 4 Diagnostische Tests 4.1 Fastentest Ein einfacher Test zur Unterscheidung zwischen osmotischer/malabsorptiver und sekretorischer/exsudativer Diarrhö ist die Nahrungskarenz. Nach 48-stündiger oraler Nahrungskarenz sistiert die osmotische Diarrhö, während die sekretorische Diarrhö in den meisten Fällen (wenn auch meist etwas abgeschwächt) persistiert. Ausnahmen hiervon stellen die chologene Diarrhö und die Nahrungsmittelallergie dar. 4.2 Stuhltests 4.2.1 Stuhlfett Eine gesteigerte Stuhlfettausscheidung findet sich bei genereller Malabsorption oder bei schwerer Pankreasinsuffizienz. Bei normaler Nahrungsfettzufuhr, d. h. 70–100 g/Tag gilt eine Stuhlfettausscheidung > 7 g/Tag als pathologisch. Die makroskopisch sicht bare Steatorrhö weist auf eine ausgeprägte Malabsorption oder schwere Pankreas insuffizienz hin. Ersatzweise kann die β-Carotinkonzentration im Serum bestimmt werden; ein erniedrigtes β-Carotin korreliert mit einer erhöhten Stuhlfettausschei dung. P Stuhlfettausscheidung > 7 g/Tag bzw. erniedrigtes Serum-β-Carotin bei Steatorrhö 4.2.2 Osmotische Lücke, Stuhl-pH Zur Unterscheidung einer osmotischen/malabsorptiven Diarrhö von einer sekreto rischen/exsudativen Diarrhö ist die Bestimmung der sogenannten „osmotischen Lücke“ im Stuhlwasser sowie des Stuhl-pH hilfreich. Zu diesem Zweck wird flüssiger Stuhl abzentrifugiert, der Überstand über ein Filterpapier gereinigt, und in der verblei benden Flüssigkeit werden die Elektrolyte bestimmt. Die Stuhlosmolalität entspricht physiologischerweise der Plasmaosmolalität, d. h. sie beträgt 290–300 mosmol/kg H2O. Beim Gesunden wird die Stuhlosmolalität im Wesentlichen durch Natrium und Kalium mit ihren begleitenden Anionen bestimmt. Bei der osmotischen Diarrhö sind andere osmotisch aktive Moleküle vermehrt, sodass Natrium und Kalium plus ihre Anionen nicht mehr die Osmolalität von 290 ergeben (Tab. 5). Stuhlbefund bei osmotischer und sekretorischer Diarrhö Osmotisch* Sekretorisch* Stuhlosmolalität (mosmol/kg) 290 290 Natrium (mmol/l) 30 100 Kalium (mmol/l) 30 40 (Natrium + Kalium) x 2 120 280 Osmotische Lücke 170 10 Tab. 5 * Beispiele Durchführung: • Osmotische Lücke = 290 – (Natrium [mmol/l] plus Kalium [mmol/l]) x 2 Eine osmotische Lücke > 50 mosmol/kg H2O beweist eine osmotische Diarrhö. Schwie rigkeiten können bei der Kohlenhydratmalabsorption bestehen, bei der die osmotische Lücke geringer sein kann. Dabei ist jedoch im Allgemeinen ein Abfall des Stuhl-pH < 5,3 nachzuweisen. Die Kombination einer osmotischen Lücke < 50 mosmol/kg H2O plus einem sauren Stuhl-pH spricht somit auch für eine osmotische Diarrhö. P Osmotische Lücke > 50 mosmol/kg H2O bei osmotischer Diarrhö 4.2.3 Entzündungs- und Infektionsmarker Die Neutrophilen-Proteine Lactoferrin bzw. PMN-Elastase sind sensitive Parameter, um im Stuhl nicht-invasiv Entzündungen, die mit einer Vermehrung neutrophiler Granu lozyten in der Darmwand mit nachfolgender Sequestration ins Lumen einhergehen, zu detektieren. Ein erhöhter Lactoferringehalt im Stuhl eignet sich z. B. zur Abgren zung einer aktiven chronisch entzündlichen Darmerkrankung von einem Reizdarm syndrom. P Lactoferrin im Stuhl als nicht-invasiver Marker für Darmentzündungen Für eine spezifischere Infektionsdiagnostik erfolgt die Stuhluntersuchung auf patho gene Keime. Bei Normalpersonen können aus der Gruppe der darmpathogenen Keime Clostridium difficile (Risikofaktor Antibiotikatherapie), Yersinia enterocolitica, Giardia lamblia, sowie Entamoeba histolytica chronische Durchfälle verursachen. Bei immunsupprimierten Patienten ist insbesondere an eine CMV-Colitis als Ursache chronischer Diarrhöen zu denken (Nachweis durch Histologie und CMV-Nachweis mittels PCR im Gewebe; ergänzend Nachweis von CMV pp65 im Blut). Bei Patienten mit HIV-Infektion im Stadium AIDS sind auch opportunistische Erreger (atypische Mycobakterien, Cryptosporidien, Microsporidien, Isospora, Cyclospora, Cryptococcus) zu berücksichtigen. Die Darmtuberkulose ist in Deutschland selten. P Das Erregerspektrum chronischer infektiöser Diarrhöen ist vom Immunstatus abhängig Zum Nachweis einer exsudativen Enteropathie, die im Rahmen verschiedener intesti naler und extraintestinaler Erkrankungen auftreten kann, eignet sich die α1-Antitryp sinbestimmung im Stuhl. 4.3 D-Xylose-Test Der D-Xylose-Test ist ein Globaltest zur Bestimmung der resorptiven Oberfläche des proximalen Dünndarms, wird heute jedoch nur noch selten eingesetzt. D-Xylose wird nach oraler Gabe vom proximalen Dünndarm, insbesondere vom Jejunum zu ca. 50% resorbiert. Da D-Xylose nicht metabolisiert, sondern renal ausgeschieden wird, korre lieren sowohl der Serumspiegel als auch die Urinausscheidung bei normaler Nieren funktion mit der intestinalen Resorption. P D-Xylose-Test geeignet zur Bestimmung der Resorptionskapazität des proximalen Dünndarms Testdurchführung: • D-Xylose 25 g in 400 ml Flüssigkeit, nach 1 Stunde 400 ml nachtrinken. • Urin für 5 Stunden sammeln; normal > 16% (4 g) D-Xylose-Ausscheidung. • Blutprobe nach 60 Minuten nehmen; normal > 25 mg D-Xylose/dl. Sensitivität und Spezifität des D-Xylose-Tests betragen ca. 95%. Der Test eignet sich ins besondere zur Abgrenzung einer Malabsorption von einer Maldigestion. Störfaktoren, die zu einem falsch-positiven Testergebnis führen können, sind Magenentleerungs störungen, Erbrechen, Sammelfehler, Aszites, Cholestase sowie eine eingeschränkte Nierenfunktion. 4.4 Pankreasfunktionstests Der klassische Test zur Bestimmung der Pankreasfunktion, der Sekretin-Pankreozymin (Coerulein-)Duodenalsondentest wird wegen seiner Aufwendigkeit kaum mehr durchgeführt. Als Alternative zum Sondentest stehen Stuhltests zur Verfügung, die allerdings eine geringere Sensitivität für Pankreasfunktionsstörungen aufweisen: Chymotrypsin im Stuhl, sowie Pankreaselastase-1 im Stuhl. Die Pankreaselastase-1 zeichnet sich durch besondere Stabilität im Stuhl aus. Die Pankreaselastasebestim mung im Stuhl eignet sich mit ausreichender Sensitivität zur Bestimmung einer mit telgradigen bis schwergradigen Einschränkung der Pankreasfunktion, während eine leichte Funktionseinschränkung nicht erfasst wird. Zu beachten ist, dass der Test bei Diarrhö durch den Verdünnungseffekt falsch positiv ausfallen kann. P Elastase-1 im Stuhl ist einfachster Test zur Detektion einer mittel- bis schwergradigen Pankreasinsuffizienz 4.5 H2-Atemtests Grundlage der H2-Atemtests ist die Metabolisierung malabsorbierter Kohlenhydrate durch die luminale Flora in Wasserstoff und kurzkettige Fettsäuren. Der Wasserstoff wird von der Darmschleimhaut resorbiert und über die Lunge exhaliert. Als patholo gisch wird ein H2-Anstieg in der Ausatemluft um mehr als 20 ppm (parts per million) über den Ausgangswert gewertet. 4.5.1 Laktose-H2-Atemtest Der Laktose-H2-Atemtest eignet sich für die Diagnostik der Laktoseintoleranz. Testdurchführung: • Bestimmung von H2 in der Ausatemluft vor Laktosegabe. • Verabreichung von 50 g Laktose in 500 ml Flüssigkeit. • Bestimmung von H2 in der Ausatemluft alle 30 Minuten für 180 Minuten. P Laktose-H2-Atemtest bei Verdacht auf Laktoseintoleranz Für die Diagnosestellung einer Laktoseintoleranz ist es jedoch notwendig, dass zu sätzlich zum pathologischen H2-Anstieg klinische Symptome wie Durchfall, Schmer zen, Krämpfe und/oder Blähungen auftreten. Der Test hat eine Sensitivität von 69–100%, sowie eine Spezifität von 89–100 %. Abbildung 1 zeigt einen pathologischen Laktose-H2-Atemtest. Laktose-H2-Atemtest bei Laktoseintoleranz 100 Abb. 1 ppm Unverträglichkeit Normal 80 60 40 20 0 0 20 40 60 80100120 Zeit (min) 10 4.5.2 Fruktose-H2-Atemtest In ähnlicher Weise kann auch die Resorptionskapazität für Fruktose (mit 25 g Fruktose) bestimmt werden. Die klinische Wertigkeit eines Fruktose-H2-Atemtests ist jedoch nicht gesichert. 4.5.3 Glukose-H2-Atemtest Die oben genannten H2-Atemtests fallen bei Patienten mit bakterieller Überbesied lung des Dünndarms ebenfalls (falsch)positiv aus, da die Zucker im Dünndarm durch die bakterielle Flora metabolisiert werden. Zum Beweis der bakteriellen Überbesied lung des Dünndarms eignet sich der Glukose-H2-Atemtest, da Glukose im Regelfall vollständig im Dünndarm resorbiert wird und nicht ins Kolon gelangt, sodass ein H2-Anstieg in der Ausatemluft > 20 ppm auf eine Besiedlung des Jejunums mit min destens 105 Keimen/100 ml Darmsaft hinweist. P Glukose-H2-Atemtest bei Verdacht auf bakterielle Überbesiedlung des Dünndarms Testdurchführung: • Bestimmung von H2 in der Ausatemluft vor Glukosegabe. • Verabreichung von 80 g Glukose in 500 ml Flüssigkeit. • Bestimmung von H2 in der Ausatemluft alle 30 Minuten für 180 Minuten. Die Sensitivität des Glukose-H2-Atemtests für eine bakterielle Überbesiedlung beträgt 62–93%, die Spezifität 78–100%. 4.5.4 Lactulose-H2-Atemtest Der Lactulose-H2-Atemtest eignet sich zur Bestimmung der orocoecalen Transitzeit. Motilitätstests zur Bestimmung der Passagezeit haben jedoch bei der Abklärung der chronischen Diarrhö keinen definierten Stellenwert. 5 Abklärungsstrategien Zunächst ist anamnestisch und durch die Stuhlvisite eine echte Diarrhö zu sichern und von der Pseudodiarrhö, der paradoxen Diarrhö, sowie der Inkontinenz abzugren zen. Anamnese (Sistieren unter Nahrungskarenz?), körperliche Untersuchung mit be sonderem Schwerpunkt auf Abdomen und Anorektum, sowie die Stuhlvisite sollten Hinweise darauf geben, ob es sich um eine malabsorptive/osmotische oder eine sekretorische/exsudative Diarrhö handelt. Das Basislabor gibt ebenfalls wichtige diffe renzialdiagnostische Hinweise (z. B. mikrozytäre Anämie [Hinweis auf Eisenmangel oder Blutverlust], Entzündungszeichen, Eiweißmangel [Hinweis auf exsudative Ente ropathie], Immunglobulinmangel, Elektrolytstörungen [Hinweis auf Elektrolytverlus te], Kreatininerhöhung [Hinweis auf Exsikkose], TSH0-Erniedrigung [Hinweis auf Hy perthyreose]). Bei pathologischen Werten im Basislabor sind weitere spezifische Labortests indiziert, z. B. Ferritin bei mikrozytärer Anämie, Vitamin B12, Folsäure bei Makrozytose. Für die Eingangsklassifizierung der chronischen Diarrhö ist ferner die Bestimmung der osmotischen Lücke und des Stuhl-pH hilfreich. Gewichtsverlust und Mangelsymptome weisen auf eine malabsorptive Diarrhö, verur sacht durch eine starke Reduktion der funktionell aktiven resorptiven Oberfläche des Dünndarms oder durch eine (in der Regel pankreatische) Maldigestion, hin. Zwischen diesen beiden Formen kann durch den D-Xylose-Test und Pankreasfunktionstests (Pankreaselastase im Stuhl) unterschieden werden. Steht der D-Xylose-Test nicht zur Verfügung, kann bei Verdacht auf Malabsorption auch direkt eine Endoskopie mit tief er Duodenalbiopsie erfolgen. P D-Xylose-Test und Pankreaselastase im Stuhl zur Differenzierung zwischen Malabsorption und Pankreasinsuffizienz 11 Bei Nachweis oder Verdacht auf eine malabsorptive Diarrhö infolge Minderung der resorptiven Oberfläche des Dünndarms muss eine weitergehende Abklärung der zu grunde liegenden Erkrankung erfolgen. Differenzialdiagnostisch ist insbesondere die Zöliakie (einheimische Sprue) zu berücksichtigen. Die Erkrankung kann in jedem Le bensalter auftreten und auch oligosymptomatisch verlaufen. Als Suchtest eignet sich der Nachweis von Immunglobulin (Ig)-A-Antikörpern gegen Gewebetransglutamina se oder gegen Endomysium. Bei Patienten mit IgA-Mangel werden die IgG-Antikörper bestimmt. Der Nachweis der histologischen Veränderungen gelingt durch tiefe Duo denalbiopsien. Der histologische Befund der Zöliakie wird nach Marsh in 5 Typen unterteilt: Normalbefund (Typ 0), Vermehrung der intraepithelialen Lymphozyten (Typ 1), zusätzliche Kryptenhyperplasie (Typ 2), zusätzliche Zottenatrophie (Typ 3), Zotten- und Kryptenatrophie (Typ 4). Durch die Zottenatrophie besteht initial fast im mer eine Laktoseintoleranz und häufig eine exokrine Pankreasinsuffizienz. Entschei dend sind die glutenfreie Ernährung und die Kontrolle durch erneute Dünndarmbiop sie bei klinischer Besserung nach etwa 3 Monaten. P Serum-GewebetransglutaminaseAntikörper als Suchtest und Duodenalhistologie als Nachweistest bei Verdacht auf Sprue/Zöliakie Bei Vorliegen eines Malabsorptionssyndroms zusammen mit Fieber, Gelenkschmerzen und evtl. weiteren Symptomen (Herz, ZNS) besteht der Verdacht auf einen Morbus Whipple. Die Diagnose wird durch den Nachweis der typischen histologischen Ver änderungen in Dünndarmbiopsaten oder Biopsien aus anderen betroffenen Organen (mit Gram-positiven Granula gefüllte Makrophagen, Schaumzellen) gesichert. Der Erreger ist mittels pezifischer PCR im Gewebe nachweisbar (Tropheryma whippelii). P Der Morbus Whipple ist histologisch und durch Erregernachweis im Gewebe (PCR) zu sichern Bei chronischen Diarrhöen jüngerer Personen, insbesondere bei Angehörigen von Risikogruppen, ist an eine HIV-Infektion mit HIV-Enteropathie oder an infektiöse chro nische Diarrhöen auf der Basis einer HIV-Infektion zu denken. Andere Formen der malabsorptiven chronischen Diarrhö lassen sich bereits durch die Anamnese (z. B. Zustand nach Radiatio, Zytostatikatherapie, Zustand nach Darmresek tion) diagnostizieren. Die Pankreasinsuffizienz als Ursache einer chronischen Diarrhö führt im fortgeschritte nen Stadium zur Steatorrhö. Selbstverständlich erfordert der Verdacht auf Pankreas insuffizienz die Untersuchung des Organs mittels bildgebender Verfahren (Sonografie, ggf. auch Endosonografie, MR einschließlich MRCP, ERCP). Ferner ist die Ursache der Pankreaserkrankung (z. B. Alkoholismus, Mukoviszidose, andere Formen der chronischen Pankreatitis) abzuklären. P Bei Pankreasinsuffizienz sind bildgebende Diagnostik und Ursachenabklärung erforderlich Eine wesentliche Differenzialdiagnose bei osmotischer Diarrhö, die ohne Gewichts verlust einhergeht, ist die Laktosemalabsorption. Ihr liegt meist ein hereditärer (lateonset) Laktasemangel zugrunde, dessen Prävalenz bei uns ca. 10% beträgt, in der Dritten Welt und Asien bis zu 100%. Ferner können zahlreiche Dünndarmerkran kungen zu einem sekundären Laktasemangel führen. Andere primäre DisaccharidaseEnzymdefekte sind im Vergleich zum Laktasemangel außerordentlich selten. Die bakterielle Überbesiedlung, nachweisbar durch einen positiven Glukose-H2-Atem test, kann verschiedene Ursachen haben, z. B. Zustand nach Operation, Strikturen, Divertikel, Zustand nach Bestrahlung, diabetische Enteropathie, intestinale Pseudo obstruktion. Neben einer exakten Anamnese erfordert die Abklärung eine weitere morphologische und ggf. funktionelle Dünndarmdiagnostik. Endokrine Störungen als Ursache einer chronischen Diarrhö, wie z. B. die Hyperthyre ose oder die Nebenniereninsuffizienz, werden durch die typische Laborkonstellation gesichert. Bei Verdacht auf ein hormonaktives neuroendokrines Karzinom kann die Bestimmung von Chromogranin A als Globalmarker erfolgen, sowie die Bestimmung der entsprechenden Peptidhormone. Ergänzend dazu erfolgt eine morphologische Diagnostik, evtl. ergänzt durch eine Somatostatinrezeptor-Szintigrafie. P Chromogranin A ist Globalmarker für neuroendokrine Tumoren Bei Verdacht auf eine exsudative chronische Diarrhö sind in erster Linie chronische Infektionen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, sowie die mikroskopische Colitis in das differenzialdiagnostische Spektrum einzubeziehen. Zur Abklärung sind 12 mikrobiologische Stuhluntersuchungen und eine morphologische Darmdiagnostik indiziert. Als erste bildgebende Untersuchung wird die Darmsonografie empfohlen. Beim sonografischen Nachweis einer Darmwandverdickung, eventuell ergänzt durch die Farbduplexsonografie wird die Verdachtsdiagnose einer Darmentzündung er härtet (Abb. 2). Abb. 2 Darmsonografie mit Power-Doppler bei Colitis ulcerosa (Colon descendens) Bei negativen Stuhlkulturen ist (natürlich auch bei unauffälligem Sonografiebefund) eine Ileokoloskopie indiziert. Diese erlaubt aufgrund des endoskopischen Befundes, ergänzt durch die Entnahme von Biopsien aus dem terminalen Ileum sowie den ver schiedenen Kolonsegmenten, die Diagnose einer Reihe von entzündlichen Erkran kungen, die zur chronischen Diarrhö führen können, wie z. B. Morbus Crohn (Abb. 3), Colitis ulcerosa, NSAR-Colitis, eosinophile Enterocolitis, aber auch die prognostisch wichtige Detektion von Adenomen und Karzinomen. Abb. 3 Terminales Ileum bei Morbus Crohn 13 Da die mikroskopische (kollagene, lymphozytäre) Colitis an Häufigkeit zunimmt, sind auch bei makroskopisch unauffälliger Schleimhaut Biopsien aus den verschiedenen Kolonsegmenten zu entnehmen. In Abhängigkeit von der vorherrschenden Ver dachtsdiagnose wird die Ileokoloskopie durch die radiologische, kernspintomo grafische oder endoskopische Untersuchung des Dünndarms ergänzt. P Wichtige Untersuchungsmethoden bei Verdacht auf chronisch entzündliche Diarrhö sind Stuhlmikrobiologie, Darmsonografie, Ileokoloskopie plus Histologie Bei unauffälliger Ileokoloskopie einschließlich Histologie ist an eine chologene Diar rhö zu denken. Es werden 3 Typen der chologenen Diarrhö unterschieden: 1) Gallen säureverlust aufgrund einer Erkrankung bzw. Resektion oder Bypass des distalen Ileums, 2) primäre Gallensäurenmalabsorption aufgrund eines Transportdefekts im terminalen Ileum, 3) Gallensäurenverlust nach oberer gastrointestinaler Chirurgie, z. B. nach trunkulärer Vagotomie oder Cholezystektomie. Bei Verdacht auf chologene Diarrhö kann die ileale Reabsorption von Gallensäuren durch den 75Se-HCAT-Test bestimmt werden. In der Praxis wird der Test nur selten durchgeführt. Häufiger wird probatorisch ein Therapieversuch mit Cholestyramin unternommen. P Bei Verdacht auf chologene Diarrhö probatorischer Therapieversuch mit Cholestyramin Bei fehlenden morphologischen Veränderungen wird auch häufig eine Nahrungsmit telallergie vermutet. Die exakte Diagnostik erfordert eine detaillierte Nahrungsmit telanamnese. Hauttests sowie RASTs zeigen eine beschränkte Sensitivität und Spezifi tät und reichen in der Regel nicht aus, um eine echte Nahrungsmittelallergie zu sichern. Hierfür bedarf es einer Eliminations- oder Suchdiät. Der fundierteste Nach weis ist die doppelblinde Nahrungsmittelprovokation. P Bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie detaillierte Anamnese, RASTs, Eliminations- und Suchdiät, ggf. doppelblinde Nahrungs mittelprovokation Abbildung 4 zeigt die Grundstruktur eines diagnostischen Algorithmus. Damit lassen sich die meisten, aber nicht alle Fälle einer chronischen Diarrhö klären. Falls in unge klärten Fällen starke Hinweise auf eine organische Ursache bestehen, sind weitere Un tersuchungen indiziert, z. B. eine weitergehende Tumordiagnostik zum Ausschluss eines paraneoplastischen Syndroms. In der Mehrzahl der ungeklärten Fälle ist jedoch nochmals kritisch die Medikamentenanamnese aufzugreifen oder die Frage nach einem Reizdarm zu stellen. Abb. 4 Algorithmus zur Abklärung der chronischen Diarrhö Anamnese Körperliche Untersuchung (einschl. rektal-digital) Stuhlvisite Basislabor (BB, CRP, ggf. BSG, Gesamt-EW, Elektrophorese, Na , K, Ca, Cl, Crea, TSH0) ggf. Fastentest osmotische Lücke, Stuhl-pH V.a. sekretorische/ exsudative Diarrhö V.a. malabsorptive/osmotische Diarrhö Reihenfolge abhängig von Verdachtsdiagnose ( D-Xylose-Test ) * pathol. Stuhl elastase pathol. H2-Atemtest Laktose Glukose pathol. pathol. ÖGD spezif. Diagnose keine Diagnose weitere Diagnostik * kann ggf. entfallen weitere Pankreas diagnostik und Therapie Laktose weitere arme Diagnostik Kost Stuhlmikrobiologie normal Ileokoloskopie + Biopsie ggf. Dünndarm diagnostik pathol. pathol. spezif. Therapie normal spezif. weitere Therapie Diagnostik 14 Zu empfehlende Literatur Literatur 1 American Gastroenterological Association (AGA). American Gastroenterological Association medical position statement: Guidelines for the evaluation and management of chronic diarrhea. Gastroenterology 1999; 116: 1461–1463. 2 American Gastroenterological Association (AGA). AGA technical review on the evaluation and management of chronic diarrhea. Gastroenterology 1999; 116: 1464–1486. 3 Camilleri M. Chronic diarrhea: a review on pathophysiology and management for the clinical gastroenterologist. Clin Gastroenterol Hepatol 2004; 2: 198–206. 4 Layer P, Rosien U (Hrsg), Berg T, Brambs HJ, Ell C, Fischbach W, Gebel MJ, Groß V, Stolte M, Zirngibl H (Mithrsg). Praktische Gastroenterologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena. 3. Auflage 2008. 5 Lankisch PG, Mahlke R, Lübbers H, Lembcke B, Rösch W. Leitsymptom Diarrhoe. Dtsch Arztebl 2006; 103: A-261/B-226/C-221. 6 Nielsen OH, Vainer B, Schaffalitzky de Muckadell OB. Microscopic colitis: a missed diagnosis? Lancet 2004; 364: 2055–2057. 7 Schiller LR. Chronic diarrhea. Gastroenterology 2004; 127: 287–293. 8 Stein J, Wehrmann T (Hrsg). Funktionsdiagnostik in der Gastroenterologie. Springer Verlag, Heidelberg. 2. Auflage 2006. 15 Fragen zur Differenzialdiagnostik der chronischen Diarrhö Falk Gastro-Kolleg Darm Frage 1: Ab welcher Mindestdauer spricht man von einer chronischen Diarrhö? w1–2 Wochen w2–4 Wochen w1–2 Monaten w2–3 Monaten w3–6 Monaten Frage 2: Welche Form der Diarrhö findet sich beim Reizdarm? Bitte beachten Sie: Bei der Beantwortung der Fragen ist immer nur 1 Antwort möglich. wEchte Diarrhö wPseudodiarrhö wInkontinenz wParadoxe Diarrhö wSekretorische Diarrhö Die Beantwortung der Fragen und Erlangung des Fortbildungszertifikats ist nur online möglich. Bitte gehen Sie dazu auf unsere Homepage www.falkfoundation.de. Unter dem Menüpunkt Falk Gastro-Kolleg können Sie sich anmelden und die Fragen beantworten. Bitte diesen Fragebogen nicht per Post oder Fax schicken! Frage 3: Welche Flüssigkeitsmengen gelangen beim Gesunden pro Tag in den Dünndarm/Dickdarm/in den Stuhl? w9 l / 4,5 l / 0,5 l w9 l / 2,5 l / 0,5 l w9 l / 1 l / 0,1 l w5 l / 1 l / 0,1 l w5 l / 0,5 l / 0,1 l Frage 4: Welche Erkrankung würden Sie ausschließen, wenn ein Patient gehäufte Stuhlentleerungen mit Blutbeimengungen angibt? wCMV-Colitis wColitis ulcerosa wLaktoseintoleranz wMorbus Crohn wRektumkarzinom Frage 5: Bei welcher Erkrankung liegt eine vorwiegend malabsorptive Diarrhö vor? wColitis ulcerosa wMikroskopische Colitis wNahrungsmittelallergie wNSAR-Enterocolitis wZöliakie Wichtig: Fragebeantwortung unter www.falkfoundation.de Falk Gastro-Kolleg 16 Frage 6: Bei welcher Erkrankung liegt eine vorwiegend sekretorische Diarrhö vor? wChologene Diarrhö wHIV-Enteropathie wLaktoseintoleranz wMorbus Whipple wZöliakie Falk Gastro-Kolleg Darm Frage 7: Welche Aussage zur osmotischen Lücke ist richtig? wDie osmotische Lücke ist die Differenz zwischen Stuhlosmolalität und Plasma osmolalität wFür die Errechnung der osmotischen Lücke müssen Natrium und Chlorid im Stuhlwasser bestimmt werden wFür die Errechnung der osmotischen Lücke müssen Kalium und Chlorid im Stuhlwasser bestimmt werden wDie osmotische Lücke ist bei osmotischer Diarrhö erhöht wDie osmotische Lücke ist bei sekretorischer Diarrhö erhöht Frage 8: Welcher Test eignet sich zum Nachweis einer bakteriellen Überbesiedlung des Dünndarms? wFruktose-H2-Atemtest wGlukose-H2-Atemtest wLaktose-H2-Atemtest wLactulose-H2-Atemtest wStuhl-pH Frage 9: Bei welcher Erkrankung erwarten Sie einen pathologischen D-Xylose-Test? wKarzinoid wKurzdarmsyndrom wLaktasemangel wMikroskopische Colitis wPankreasinsuffizienz Frage 10: Welche der genannten endokrinen Erkrankungen kann eine chronische Diarrhö verursachen? wDiabetes mellitus wHyperthyreose wMorbus Addison wVIPom wAlle vorher genannten 17