Seminararbeit im Fach Konjunktur
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Seminararbeit im Fach Konjunktur
INSTITUT FÜR WELTWIRTSCHAFT CHRISTIAN-ALBRECHTS-UNIVERSITÄT ZU KIEL Seminararbeit im Fach Konjunktur- und Wachstumspolitik Themensteller: Prof. Dr. Joachim Scheide WS 2012/2013 „Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra“ Hansastraße 11/13 24118 Kiel Jana-Behrens@web.de Abgabetermin: 20.12.2012 Jana Behrens Volkswirtschaftslehre 3. Semester Matrikelnummer: 1002709 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis .............................................................................................................. I Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................... II Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................................III 1 Einleitung ......................................................................................................... - 1 - 2 Von der Subprime- zur Staatsschuldenkrise..................................................... - 2 - 3 Ziele und Instrumente von Notenbanken ......................................................... - 7 - 4 Vorteile durch die Anhebung des Inflationsziels durch Notenbanken ............. - 9 - 5 Nachteile durch die Anhebung des Inflationsziels durch Notenbanken ......... - 13 - 6 Fazit ................................................................................................................ - 19 - Anhang ........................................................................................................................... IV Literaturverzeichnis .......................................................................................................... V I Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 – Entwicklung der US-Leitzinsen im Zeitraum von 2000 - 2004 ........... - 3 - Abbildung 2 - Effekte alternativer Inflationsraten auf die Staatsverschuldung ......... - 12 - Abbildung 3 – Übersicht über die Ergebnisse der Untersuchung über die Wohlfahrtsverluste bei Anhebung des Inflationsziels ................................................ - 18 - Abbildung 4 - Inflationsziele der Notenbanken verschiedener Länder .......................... IV II Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ABS Asset Backed Securities BIP Bruttoinlandprodukt BoE Bank of England CDO Collateralised Debt Obligations CPI Konsumgüterpreisindex EZB Europäische Zentralbank FED Federal Reserve System GSE Governmental-Sponsored Enterprises HVPI Harmonisierter Verbraucherpreisindex IWF Internationaler Währungsfonds MBS Mortgage Backed Securities RPIX Verbraucherpreisindex ohne Hypothekenzinsen USA Vereinigte Staaten von Amerika III Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra 1 Einleitung „Ein höheres Inflationsziel wäre verantwortungslos”1 Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise hat jüngst gezeigt, welche Möglichkeiten Regierungen und Notenbanken haben, um eine nationale und weltweite Krise zu bekämpfen. Der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, hat die Gelegenheit der aus der Krise erwachsende Erkenntnis beschränkter Möglichkeiten genutzt und im Jahr 2010 ein Papier veröffentlicht, das einen - ja fast revolutionären - Vorschlag zur Vorbeugung zukünftiger Finanzkrisen unterbreitet: Damit zukünftig mehr Spielraum für Zinssenkungen besteht, sollen die Inflationsziele der Notenbanken auf vier Prozent angehoben werden.2 Die oben zitierten, im August 2011 im Handelsblatt wiedergegebenen Worte spiegeln dabei die überwiegenden Reaktionen auf den Vorschlag des Chefökonomen wider.3 Aber es gibt auch einige wenige Ökonomen, wie z.B. Nobelpreisträger Paul Krugman, die dem Vorschlag von Blanchard begeistert zugestimmt haben.4 Aber warum führte dieses Papier aus dem Jahr 2010 zu einer solch kontroversen Diskussion, wie sie auch zwei Jahre nach Veröffentlichung noch immer geführt wird? Was hat Blanchard und seine Mitstreiter dazu veranlasst, eine Studie zu veröffentlichen, in der sie die bisherigen Ziele der Notenbanken für überholt erklären und Vorschläge für eine neue Geldpolitik anbringen? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich durch die Anhebung des Inflationsziels durch Notenbanken für Volkswirtschaften? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden. In einem ersten Schritt wird die Ausgangslage beschrieben, bevor kurz dargestellt wird, welche Ziele Notenbanken anstreben und welche geldpolitischen Maßnahmen sie zur Umsetzung dieser Ziele einsetzen. Im Anschluss soll eine Darstellung der Vor- und Nachteile erfolgen, die sich aus der Anhebung des Inflationsziels durch Notenbanken ergeben, bevor zum Schluss ein Fazit gezogen wird. 1 Neuerer (2011): „Ein höheres Inflationsziel wäre verantwortungslos“; Handelsblatt online v. 09.08.2011. URL:http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/oekonomen-warnen-ein-hoeheres-inflationszielwaere-verantwortungslos/4481170.html. 2 Blanchard Dell’Ariccia/Mauro (2010): Rethinking Macroeconomic Policy (2010), S. 11, IMF Staff Position Note 10/03. 3 Neuerer (2011): Ein höheres Inflationsziel wäre verantwortungslos; Handelsblatt online v. 09.08.2011. 4 Krugman (2010): The Case For Higher Inflation, The New York Times. URL: http://krugman.blogs.nytimes.com/2010/02/13/the-case-for-higher-inflation/. -1- Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra 2 Von der Subprime- zur Staatsschuldenkrise Waren die vergangenen Jahrzehnte davon geprägt, dass die weltweit lange Zeit vorherrschenden hohen Konjunkturschwankungen durch eine bessere und stetigere Geldpolitik seit Mitte der 1980er Jahre immer weiter zurückgegangen sind, endete die Zeit der sogenannten „Great Moderation“ jüngst.5 Auslöser der aktuellen Banken- und Staatsschuldenkrise ist das Platzen der Immobilienblase in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) im Jahr 2007.6 Um das Entstehen und letztlich Platzen der Immobilienblase jedoch zu verstehen, muss der Zeitraum vor 2007 betrachtet werden: Der Boom der amerikanischen Wirtschaft in den 1990er Jahren war eng mit einer Spekulationsblase am Aktienmarkt verbunden. Im Jahr 2000 platzte diese Blase jedoch und führte zu einem starken Investitionsrückgang.7 Die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York verschärften diesen Rückgang zusätzlich.8 Das Federal Reserve System (Fed), auch als US-Notenbank bezeichnet, versuchte daraufhin, den Einbruch am Aktienmarkt und die einsetzende Rezession durch starke Zinssenkungen zu überwinden.9 In der Folgezeit erfolgte eine Senkung des Federal Funds Rate, im Sprachgebrauch als Leitzins bezeichnet, von sechs Prozent im Jahr 2001 auf ein Prozent im Jahr 2003, um die Ziele des Fed, Preisniveaustabilität, Vollbeschäftigung und stetiges Wirtschaftswachstum, auch weiterhin zu erreichen.10 Eine Übersicht über die Entwicklung der US-Leitzinsen im Zeitraum von 2000 bis 2004 zeigt nachstehende Abbildung 1. 5 Goodfriend (2007): How The World Achieved Consensus on Monetary Policy, S. 48, Journal of Economic Perspectives, Volume 21 No. 4, S. 47-68. 6 Bernanke (2009): The Crisis and the Policy Response, Speech at the stamp lecture, London School of Economics. URL: http://www.federalreserve.gov/newsevents/speech/bernanke20090113a.htm. 7 Badek (2010): Ursachen der Immobilienkrise in den USA, S. 8 f., Schriften der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr Nr. 25. 8 Goodfriend (2007): How The World Achieved Consensus on Monetary Policy, S. 55, Journal of Economic Perspectives, Volume 21 No. 4, S. 47-68. 9 Jäger/Voigtländer (2008): Hintergründe und Lehren aus der Subprime-Krise, S. 4, IW-Trends – Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Heft 3/2008. 10 Federal Reserve Bank of New York (o.J.): Historical Changes of the Target Federal Funds and Discount Rates. URL: http://www.newyorkfed.org/markets/statistics/dlyrates/fedrate.html. -2- Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra 10.08.2004 30.06.2004 25.06.2003 09.01.2003 06.11.2002 11.12.2001 06.11.2001 02.10.2001 17.09.2001 21.08.2001 27.06.2001 15.05.2001 18.04.2001 20.03.2001 31.01.2001 03.01.2001 16.05.2000 21.03.2000 02.02.2000 7,00% 6,00% 5,00% 4,00% 3,00% 2,00% 1,00% 0,00% Quelle: eigene Darstellung Abbildung 1 – Entwicklung der US-Leitzinsen im Zeitraum von 2000 - 200411 Die lockerere Geldpolitik des Fed zeigte schnelle Erfolge: Die Rezession schien überwunden und ein Aufschwung am Immobilien- und Aktienmarkt setzte ein.12 Vor allem der Aufschwung am Immobilienmarkt führte dazu, dass steigende Vermögenspreise die Hauseigentümer in die Lage versetzten, neue Kredite aufzunehmen und die USWirtschaft durch höhere Konsumausgaben zu stabilisieren.13 Die steigenden Immobilienverkäufe in den USA waren jedoch kein alleiniges Phänomen des 21. Jahrhunderts: Durch eine seit den 1990er Jahren vom Staat geförderte Wohnungsmarktpolitik sollte der Traum vom Eigenheim in den USA auch für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen ermöglicht werden.14 Den Anfang dieser Förderpolitik für einkommensschwache Familien setzten die beiden staatlich geförderten Unternehmen (GovernmentSponsored Enterprises, GSE) Fannie Mae und Freddie Mac, deren Aufgabe es war, die Liquidität der Banken des amerikanischen Hypothekenmarktes aufrecht zu erhalten.15 Da es den beiden Banken allerdings nicht gestattet war, selbst Hypothekendarlehen zu vergeben, konnten sie lediglich Hypotheken von Banken und Kreditanbietern kaufen, sie in Asset Backed Securities (ABS), Mortgage Backed Securities (MBS) oder auch 11 Federal Reserve Bank of New York (o.J.): Historical Changes of the Target Federal Funds and Discount Rates. URL: http://www.newyorkfed.org/markets/statistics/dlyrates/fedrate.html. 12 Badek (2010): Ursachen der Immobilienkrise in den USA, S. 9 f., Schriften der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr Nr. 25. 13 Neubäumer (2008): Ursachen und Wirkungen der Finanzkrise – eine ökonomische Analyse, S. 736, Wirtschaftsdienst; Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Heft 11, S. 732–740. 14 McCallum (2011): Should Central Banks Raise Their Inflation Targets? Some Relevant Issues, S. 123. 15 Bartmann/Buhl/Hertel (2008): Ursachen und Auswirkungen der Subprimekrise, S. 4, Diskussionspapier WI-233, Informatik-Spektrum 32 (2009) 2, S. 127-145. -3- Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra Collateralised Debt Obligations (CDO) verbriefen und an Investoren weiterverkaufen.16 Die Verbriefung der Hypotheken hatte den Vorteil, dass die Risiken aus den Hypotheken- und sonstigen Krediten an andere Banken und Kreditanbieter weiterverkauft werden konnten.17 Die Banken hatten damit nicht mehr die Pflicht, den vergebenen Kredit mit Eigenkapital zu unterlegen und konnten die freien finanziellen Mittel für weitere Kredite verwenden.18 Der weiterhin niedrige US-Leitzins und die in den Jahren gelockerten Kreditvergabestandards verleiteten private Banken dazu, Kredite auch an einkommensschwache Bevölkerungsschichten zu vergeben, sog. Subprime-Kredite.19 Im Fall der amerikanischen Hypothekenbanken sind durch die gelockerten Kreditvergabestandards jedoch gleich zwei Voraussetzungen missachtet worden: Erstens muss das Einkommen des Kreditnehmers ausreichend sein, um die monatlichen Hypothekenraten zahlen zu können und zweitens muss das gekaufte Haus als Pfand für den Fall hinterlegt sein, dass der Kreditnehmer die Hypothek nicht mehr bezahlen kann. Sofern dieser Fall eintritt, geht das Haus in den Besitz der Bank über. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die gewährte Hypothek auch dem Wert des Hauses entspricht.20 Die von der US-Regierung gewünschte Wohnungsmarktpolitik und die durch das Fed lange Zeit niedrig gehaltenen Zinssätze führten im Laufe der Zeit dazu, dass immer mehr Menschen in Immobilien investierten, ohne entsprechendes Eigenkapital zu besitzen.21 Das Kreditvolumen im Subprime-Bereich, d.h. die Kreditvergabe an Familien mit geringer Bonität, vergrößerte sich von 216 Milliarden US-Dollar im Jahr 2001 auf 600 Milliarden US-Dollar im Jahr 2006. Im gleichen Zeitraum verringerte sich das Volumen der Prime-Kredite um 460 Milliarden Dollar.22 Diese Entwicklung führte zu einer 16 Jäger/Voigtländer (2008): Hintergründe und Lehren aus der Subprime-Krise, S. 4 f., IW-Trends – Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Heft 3/2008. 17 Blanchard (2008): The crisis: basic mechanism an appropriate policies, S. 6, Working Paper 09-01. 18 Bartmann/Buhl/Hertel (2008): Ursachen und Auswirkungen der Subprimekrise, S. 4, Diskussionspapier WI-233, Informatik-Spektrum 32 (2009) 2, S. 127-145. 19 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2009): Der internationale Konjunkturzusammenhang bis zur Krise, S. 35. 20 Knütter/Mohr (2008): Zentralbank-Kommunikation und Finanzstabilität – Eine Bestandsaufnahme, S. 48, Diskussionsbeitrag Nr. 432, Fernuniversität Hagen. URL: http://deposit.fernuni-hagen.de/1697/1/db432.pdf. 21 Nastansky/Strohe (2009): Die Ursachen der Finanz- und Bankenkrise im Lichte der Statistik, S. 5, Statistische Diskussionsbeiträge Nr. 35. URL: http://opus.kobv.de/ubp/volltexte/2009/3791/pdf/statdisk35.pdf. 22 Jäger/Voigtländer (2008): Hintergründe und Lehren aus der Subprime-Krise, S. 7., IW-Trends – Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 35. Jahrgang, Heft 3/2008. -4- Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra Spirale: Um die Schwemme an Immobilienkrediten finanzieren zu können, verbrieften immer mehr Hypothekenbanken die vergebenen Kredite.23 Infolge der Globalisierung der Finanzmärkte wurden die verbrieften Prime- und vor allem SubprimeHypothekendarlehen in den Folgejahren dann weltweit verkauft und gehandelt.24 Trotz des Aufschwungs am Immobilien- und Aktienmarkt blieb der gewünschte Aufschwung am Arbeitsmarkt aus. Da das Fed neben dem Ziel der Vollbeschäftigung auch noch das Ziel der Preisstabilität verfolgen muss, begann es erst Ende 2004 langsam, die Zinsen von 1 % auf 5,25 % im Jahr 2006 zu erhöhen.25 Eine Folge der Zinserhöhungen war jedoch, dass die meist kurzfristig finanzierten Hypothekenkredite in den USA sich verteuerten, da viele der Kredite flexible Zinssätze hatten, die sich analog zum Leitzins entwickelten.26 Diese Entwicklung führte zu einer sinkenden Nachfrage nach Immobilien und infolgedessen auch zu sinkenden Hauspreisen. Mitte 2006 war der Immobilienboom in den USA zu Ende.27 Durch die gestiegenen Kreditzinsen mussten viele Hausbesitzer ihre Immobilien zwangsverkaufen, da sie die Kredite nicht mehr bedienen konnten. Doch in den meisten Fällen konnte selbst der Verkauf des Hauses die Hypothek nicht vollständig bedienen. Die Zahlungsausfälle bei den Banken waren erheblich, da es durch die gelockerten Kreditvergaberegeln üblich war, nur das Haus selbst als Sicherheit zu hinterlegen, nicht jedoch das Privatvermögen des Kreditnehmers.28 Als die Anzahl der ausfallenden Hypothekenkredite vor allem im SubprimeKreditbereich durch die gestiegenen Zinsen und gleichzeitig fallenden Immobilienpreise deutlich anstieg, erreichte die Immobilienkrise durch erste Insolvenzen von Hypothekenanbietern im zweiten Quartal 2007 den Bankensektor.29 9,1 % der Hypothekenkredite waren im zweiten Quartal 2008 notleidend, d.h. Zins und Tilgung wurden gar nicht oder nur noch in Teilen gezahlt.30 Da jedoch die Hypothekendarlehen in verbriefter Form inzwischen weltweit gehandelt wurden, waren die Folgen der Kreditausfälle auf 23 Mildner (2012): Ursachen der Finanzkrise: Ein Blick in die USA. URL:http://www.bpb.de/politik/wirtschaft/finanzmaerkte/135463/ursachen-der-finanzkrise?p=all#footnode6-6. 24 Blanchard (2008): The crisis: basic mechanism an appropriate policies, S. 8 f., Working Paper 09-01. 25 Federal Reserve Bank of New York (o.J.): Historical Changes of the Target Federal Funds and Discount Rates. URL: http://www.newyorkfed.org/markets/statistics/dlyrates/fedrate.html. 26 Neubäumer (2008): Ursachen und Wirkungen der Finanzkrise – eine ökonomische Analyse, S. 736, Wirtschaftsdienst, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Heft 11, S. 732–740. 27 Blanchard (2008): The crisis: basic mechanism an appropriate policies, S. 11, Working Paper 09-01. 28 Neubäumer (2008): Ursachen und Wirkungen der Finanzkrise – eine ökonomische Analyse, S. 736, Wirtschaftsdienst, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Heft 11, S. 732–740. 29 Yehoue (2012): On Price Stability and Welfare, S. 3, IMF Working Paper WP/12/189. URL: http://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2012/wp12189.pdf. 30 Nastansky/Strohe (2009): Die Ursachen der Finanz- und Bankenkrise im Lichte der Statistik, S. 4, Statistische Diskussionsbeiträge Nr. 35. -5- Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra dem US-Immobilienmarkt auch bei Finanzinstituten außerhalb der USA spürbar. Weltweit hohe Abschreibungen und Verluste waren die Folge, da die kreditbesicherten Anleihen ihren Wert verloren bzw. ganz wertlos wurden. Der Markt für ABS, CBO und MBS brach zusammen und wirkte sich negativ auf die Aktienkurse der betroffenen Banken aus. Eine Lawine an Folgeverlusten wurde ausgelöst.31 Banken müssen grundsätzlich ihre Aktivgeschäfte in Abhängigkeit vom Risiko der Aktiva mit Eigenkapital unterlegen. Durch die Kursverluste bei den gehaltenen Wertpapieren sank jedoch auch das vorhandene Eigenkapital. Gleichzeitig musste aber mehr Eigenkapital gehalten werden, da das Risiko der Wertpapiere durch die Rating-Agenturen heraufgesetzt wurde.32 Eine Eigenkapitallücke war die Folge. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch kein Markt für die Neuausgabe von Aktien vorhanden war, versuchten viele Banken ihre Wertpapiere zu verkaufen. Durch den Angebotsüberschuss am Markt kam es zu massiven Kursverlusten und damit auch zu weiteren Eigenkapitalverlusten. Am Ende der Spirale sind alle reinen Investmentbanken vom Markt verschwunden. Mit der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers stand der Bankensektor 2008 letztlich am Rande des Kollapses.33 Mit dem Kollaps des Bankenwesens 2008 wurde der Weg von einer Finanz- und Bankenkrise in eine Staatsschuldenkrise eingeleitet.34 Durch entschlossene Zinssenkungen und ungewöhnliche geldpolitische Maßnahmen haben Notenbanken gemeinsam mit den Regierungen das internationale Finanzsystem stabilisiert und das Abgleiten in eine weltweite Depression verhindert. Gleichzeitig führte die Stabilisierung des Bankensystems dazu, dass sich Staaten weiter verschulden mussten.35 Die Übernahme der Schulden aus dem Bankensektor ließ die Staatsverschuldung vieler Länder jedoch sprunghaft weiter ansteigen, da in den Jahren zuvor die Einhaltung der vereinbarten Verschul- 31 Neubäumer (2008): Ursachen und Wirkungen der Finanzkrise – eine ökonomische Analyse, S. 736, Wirtschaftsdienst; Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Heft 11, S. 732–740. 32 Sommer (2012): Die Subprime-Krise in den Vereinigten Staaten. URL: http://www.bpb.de/politik/wirtschaft/finanzmaerkte/55766/subprime-krise?p=all. 33 Nastansky/Strohe (2009): Die Ursachen der Finanz- und Bankenkrise im Lichte der Statistik, S. 11, Statistische Diskussionsbeiträge Nr. 35. 34 Ebd. S. 11. 35 Deutsche Bundesbank (2011): Konsequenzen für die Geldpolitik aus der Finanzkrise, Monatsbericht März 2011, S. 55. URL:http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichtsaufsaetze/2011/20 11_03_konsequenzen.pdf?__blob=publicationFile. -6- Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra dungsziele häufig ignoriert wurde. Die Angst vor dem Ausfall weiterer Papiere führte zu höheren Zinsen und verstärkt damit die Probleme der Staaten bis heute nachhaltig.36 Die Finanz- und Bankenkrise der Jahre 2008/2009 ist in ihrer Dimension die bedeutendste Krise seit dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft im Jahr 1929, da erstmalig neben Europa und den USA auch viele aufstrebende Volkswirtschaften, wie z.B. Russland und einige mittel- und osteuropäische Staaten, von der Krise betroffen sind.37 Aus einem Problem auf dem Subprime-Hypothekenkreditmarkt in den USA entwickelte sich über die internationalen Verflechtungen zwischen den Kredit- und Refinanzierungsmärkten zunächst eine Finanz- und Bankenkrise, die letztlich in einer noch andauernden Staatsschuldenkrise endete. 3 Ziele und Instrumente von Notenbanken Viele Zentralbanken haben sich als Ziel die Gewährung von Preisstabilität gesetzt.38 Auch die drei größten Zentalbanken der Welt, das Federal Reserve System der USA (Fed), die Europäische Zentralbank (EZB) sowie die Bank of England (BoE), haben ihren Aufgabenschwerpunkt auf die Erreichung von Preisstabilität gelegt.39 Für das Fed ist diese Festlegung ein Novum. Galt in den USA bisher, dass das Fed kein explizites Inflationsziel verfolgt, da es seinen Zielen der Erreichung von Vollbeschäftigung, Preisstabilität und moderate Zinsen gleichermaßen verpflichtet ist und die Kommunikation eines Inflationsziels als eine zu hohe Gewichtung dieses Ziels interpretiert wurde40, so hat das Fed mit Beginn des Jahres 2012 seine Strategie erstmals geändert und eine Inflationszielmarke verkündet.41 Als angestrebtes Inflationsziel wurde dabei ein Zielwert von 2 % des Verbraucherpreisindexes ausgegeben. Damit orientiert sich das Fed an dem Wert der EZB zur Erreichung von Preisstabilität, welcher im Jahr 2003 mit einer mittelfristigen Inflationsrate von unter, aber nahe zwei Prozent des harmonisierten Verbrau36 Deutsche Bundesbank (2011): Frühjahrskonferenz der Deutschen Bundesbank 2011 – Kurz- und langfristige Herausforderungen für die Geld- und Fiskalpolitik, Monatsbericht Juli 2011, S. 69. URL:http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichtsaufsaetze/2011/20 11_07_fruehjahrskonferenz.pdf?__blob=publicationFile. 37 Nastansky/Strohe (2009): Die Ursachen der Finanz- und Bankenkrise im Lichte der Statistik, S. 1, Statistische Diskussionsbeiträge Nr. 35. 38 McCallum (2011): Should Central Banks Raise Their Inflation Targets? Some Relevant Issues, S. 123. 39 Ehrmann/Fratzscher (2005): How Should Central Banks Communicate?, S. 6, EZB Working Paper No. 557. 40 Jannsen/Scheide (2011): Ist die Geldpolitik in den USA zu expansiv?, S. 3, Kiel policy brief/Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, No. 26. 41 O.V. (2012): Bernanke bricht mit der Tradition; Handelsblatt v. 25.01.2012. URL:http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/geldpolitik/inflationsziel-a-la-ezb-bernanke- bricht-mit-dertradition/6112232.html. -7- Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra cherpreisindexes (HVPI) festgelegt wurde.42 Auch die BoE hat im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einen Strategiewechsel zur Erreichung von Preisstabilität durchgeführt. Galt bis zum Jahr 2003 ein Ziel des Verbraucherpreisindexes ohne Hypothekenzinsen (RPIX) von 2,5 %, so wurde dieses Ziel in den Folgejahren auf 2 % bezogen auf den Konsumgüterpreisindex (CPI) in den nächsten acht Quartalen geändert.43 Aber auch andere wirtschaftliche Aktivitäten gehören zu den Aufgaben der Notenbanken. Neben dem Ziel der Preisstabilität werden häufig die Ziele eines hohen Beschäftigungsniveaus und dauerhaftem Wirtschaftswachstum verfolgt, solange sie nicht das Ziel der Preisstabilität gefährden.44 Als Anlage 1 ist eine Übersicht über die Ziele weiterer Notenbanken beigefügt. Zur Erreichung der o.g. Ziele sind die Notenbanken im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte in der überwiegenden Zahl zur Geldpolitik übergegangen.45 Eines der geldpolitischen Instrumente ist das Mindestreservesystem von Kreditinstituten bei Notenbanken. Das Mindestreservesystem soll damit einen Beitrag zur Stabilisierung leisten und Angebotsüberhänge am Geldmarkt durch Erhöhung der Zinselastizität schnell und effizient korrigieren.46 Aufgrund der Finanz- und Staatsschuldenkrise haben die Notenbanken in den letzten Jahren in großem Umfang auch auf den Kauf von Staatsanleihen zurückgegriffen, um den überschuldeten Staaten zu günstigen Zinskonditionen jenes Geld zu geben, welches auf den privaten Kapitalmärkten durch die Krise nicht zu haben ist. Gerade im Handlungsgebiet der EZB soll durch den Staatsanleihenkauf ein Auseinanderbrechen des Euroraumes verhindert werden.47 Am Markt agieren die Notenbanken jedoch noch immer in der überwiegenden Zahl durch Offenmarktgeschäfte. Aufgabe der Offenmarktpolitik ist es, Zinssätze zu steuern, Liquidität abzuschöpfen oder zuzuführen, um so die umlaufende Geldmenge zu beeinflussen und letztlich auf diese Weise Signale bezüglich des wirtschaftspolitischen Kur- 42 Scharff (2010): Vorteile einer niedrigen Inflationsrate: Empirische Ergebnisse für den Euroraum, S. 491, Wirtschaft im Wandel 10/2010, S. 491-497. 43 Buiter (2005): What accounts for the bias in the inflations targeting performance of the Bank of England?, S. 1, LSE Research online. 44 U.A. Europäische Zentralbank (2011): Preisstabilität – Warum ist sie für Dich wichtig?, S. 34. 45 Blanchard Dell’Ariccia/Mauro (2010): Rethinking Macroeconomic Policy (2010), S. 5, IMF Staff Position Note 10/03. 46 Europäische Zentralbank (2011): Die Geldpolitik der EZB, S. 109 f. URL: http://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/monetarypolicy2011de.pdf. 47 Straubhaar/Vöpel (2012): Euro- und Finanzkrise: Sollte die EZB ihre Aufgabe über die Inflationsbekämpfung hinaus erweitern?, S. 5 f., ifo Schnelldienst 2/2012 – 65. Jahrgang. URL: http://www.hwwi.org/fileadmin/hwwi/Publikationen/Externe_PDFs/ifosd_2012_2_2.pdf. -8- Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra ses zu geben.48 Zur Umsetzung der Offenmarktpolitik nutzen Notenbanken üblicherweise den Notenbankzins. Der Notenbankzins ist der Zinssatz, den Geschäftsbanken für einen Kredit bei der Notenbank bezahlen müssen. Er beeinflusst die Zinsen, die Banken von ihren Kunden für Kredite verlangen und über das Preissetzungsverhalten der Unternehmen auch die Inflation. Der Notenbankzins wird dabei häufig als Leitzins bezeichnet.49 4 Vorteile durch die Anhebung des Inflationsziels durch Notenbanken In seinem Text aus dem Jahr 2010 stellt Blanchard die grundsätzliche Frage, ob Notenbanken in normalen Zeiten nicht höhere Inflationsraten anstreben sollten, damit mehr Spielraum bei Schocks und Krisen besteht.50 Aber welche Vorteile hätte ein solches Vorgehen für Notenbanken und Staaten? Ein simples, aber einleuchtendes Argument ist, dass bei Anhebung des Inflationsziels die Zinsuntergrenze von Null Prozent bei Schocks seltener bindend werden würde, da durch eine höhere Zielinflation der Spielraum für Realzinssenkungen größer werden würde.51 Bereits in der jetzigen Finanz- und Staatsschuldenkrise bestand seitens einiger Notenbanken der Wunsch, den Leitzins noch weiter senken zu können, was aufgrund der historisch tiefen Leitzinsen allerdings nicht möglich war.52 Das Fed hat zur Überwindung der Krise die Zinsen um fünf Prozent von 5,25 % auf 0,25 % gesenkt. Auch weitere Staaten sind diesem Trend zur Überwindung der Krise gefolgt. Sofern zu diesem Zeitpunkt jedoch ein höheres Inflationsziel und damit in der Folge mehr Inflation vorhanden gewesen wäre, wäre auch eine größere Senkung, z.B. um sieben Prozent möglich gewesen. Als Folge hätten weniger Steuergelder und unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen zur Rettung des Systems eingesetzt werden müssen und auch der Ankauf von Wertpapieren durch Staaten hätte deutlich geringer ausfallen können.53 48 Europäische Zentralbank (2011): Die Geldpolitik der EZB, S. 113. URL: http://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/monetarypolicy2011de.pdf. 49 Wieland (2012): Die Notenbanken und das liebe Geld. Von Zinsen, Inflation und konjunktureller Überhitzung, S. 2 f , Forschung Frankfurt, 30. Jahrgang, 2/2012. 50 Blanchard Dell’Ariccia/Mauro (2010): Rethinking Macroeconomic Policy (2010), S. 11, IMF Staff Position Note 10/03. 51 Ebd. S.14. 52 Ebd. S. 8. 53 Junius/Tödtmann (2010): Staatsverschuldung und Inflation, S. 26, ifo Schnelldienst 17/2010 – 63. Jahrgang, S. 16–26. URL: http://www.cesifo-group.de/portal/pls/portal/docs/1/1202006.PDF. -9- Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra Durch ein höheres Inflationsziel kann auch verhindert werden, dass bei exogenen Schocks eine Deflation eintritt. Exogene Schocks führen kurzfristig zu Preisschwankungen. Dazu können auch Preisniveausenkungen gehören. Mit einer Deflation gehen häufig höhere Kosten einher als mit einer Inflation, da mit Preis-, Lohn- und Zinsrigiditäten zu rechnen ist. Bei einer höheren Zielinflation können Schwankungen im Preisniveau trotz Senkung der Inflation insgesamt im positiven Bereich verbleiben und eine Deflation somit verhindert werden.54 Gerade im Bereich der Euro-Länder ist das Problem von Deflation groß, da die an der Eurozone beteiligten Länder unterschiedlich starke Wirtschaftsleistung und Inflationswerte aufweisen.55 Ein höheres Inflationsziel kann dazu führen, dass Reallohnsenkungen am Arbeitsmarkt leichter durchgesetzt werden können, infolgedessen eine niedrigere Arbeitslosigkeit eintritt.56 Preise und vor allem auch Löhne unterliegen oftmals einer nach unten starren Nominallohnrigidität.57 Der Grund dafür liegt häufig in den arbeitsrechtlichen Bestimmungen eines Landes: In vielen Ländern müssen beide Vertragsparteien einer Änderung im Arbeitsvertrag, und damit auch einer Änderung des Lohnes, zustimmen. Sobald Arbeitgeber aufgrund einer geringeren konjunkturellen Nachfrage Nominallohnkürzungen durchsetzen möchten, um keine Mitarbeiter zu entlassen, können sie dies aufgrund arbeitsrechtlicher Bestimmungen nicht ohne die Zustimmung der Arbeitnehmer tun.58 Auch strikte Kündigungsschutzregelungen, wie sie gerade im Handlungsbereich der EZB zu finden sind, führen zu einer starken Nominallohnrigidität nach unten.59 Die Folge kann eine höhere unfreiwillige Arbeitslosigkeit sein, da eventuell erforderliche Reallohnsenkungen nach Schocks verhindert werden. Je höher das Inflationsziel und damit auch die Inflationsrate ist, desto leichter kann das Problem der nach unten starren Nominallohnrigiditäten bewältigt werden. Bei einer höheren Inflationsrate können die nach unten starren Nominallohnrigiditäten die notwendigen Reallohnsenkungen der Arbeitgeber solange nicht verhindern, wie die Nominallöhne geringer wachsen als die 54 Giucci/Fuhrmann (1998): Eine optimale Inflationsrate für den geplanten Euro-Währungsraum?, S. 12. URL: http://www.uni-potsdam.de/u/makrooekonomie/docs/9801.pdf. 55 Ebd. S. 12. 56 Illing/Watzka (2010): Eine Neubewertung der geldpolitischen Reaktionen von EZB und Fed auf die Finanzkrise, S. 19. URL: http://www.sfm.vwl.uni-muenchen.de/forschung/published_papers/zeitschrift_kredit.pdf. 57 Giucci/Fuhrmann (1998): Eine optimale Inflationsrate für den geplanten Euro-Währungsraum?, S. 10. 58 Bläs (2008): Ausmaß und reale Konsequenzen nach unten starrer Nominallöhne, S. 6. URL: http://www.lsw.wiso.uni-erlangen.de/BGPE/texte/DP/048_blaes.pdf. 59 Ebd. S. 6. - 10 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra Preise.60 Weniger Arbeitnehmer müssen infolgedessen durch die Nominallohnflexibilität entlassen werden. Bereits 1996 zeigten Akerlof, Dickens und Perry61 in einer Studie die Konsequenzen von Nominallohnrigiditäten auf. Sie ermittelten für die USA, dass eine Senkung der Inflationsrate von drei auf null Prozent die unfreiwillige Arbeitslosigkeit von 5,8 % auf 7,6 % erhöhen würde. Bei einer weiteren Senkung der Inflationsrate auf sogar minus ein Prozent würde sich eine Arbeitslosenquote von über zehn Prozent einstellen.62 Im Ergebnis führt eine höhere Inflationsrate somit zu einer geringeren nach unten starren Nominallohnrigidität und infolgedessen zu einer geringeren Arbeitslosigkeit.63 Für Staaten ergibt sich durch ein höheres Inflationsziel neben der Möglichkeit einer geringeren Arbeitslosigkeit auch die Möglichkeit, höhere Staatseinnahmen zu generieren.64 Neben der Aufgabe, für Preisniveaustabilität zu sorgen, haben viele Notenbanken als untergeordnetes Ziel, stetiges Wirtschaftswachstum zu erreichen. Im Fall von negativ wirkenden Schocks wenden Notenbanken häufig eine expansiv ausgerichtete Geldpolitik an, die mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf führt als das Güterangebot im gleichen Zeitraum steigt. Preissteigerungen und Inflation sind die Folge. Sofern ein höheres Inflationsziel als bisher zugelassen ist, können die Preissteigerungen deutlich höher ausfallen, bevor eine Zentralbank zur Einhaltung der Preisniveaustabilität regulierend eingreifen muss. Je höher die Preissteigerungen somit sind, umso höher ist letztlich auch die Inflation. Diese führt wiederum zu weiteren Preissteigerungen und dazu, dass Forderungen nach höheren Löhnen und Gehältern gestellt werden. Wenn ein Staat ein progressives Steuersystem implementiert hat, profitiert der Staat bei höheren Löhnen und Gehältern durch real steigende Steuereinnahmen, die so genannte kalte Progression.65 Der positive Zusammenhang zwischen Inflation und Wachstum besteht jedoch nicht dauerhaft und kehrt sich bei einer höheren Inflationsrate um.66 Sarel gibt in seiner Untersuchung an, dass dieser Bruch bei einer Inflationsrate von acht Prozent erreicht 60 Rahmatuellaeva (2005): Ausmaß und reale Konsequenzen nach unten starrer Nominallöhne. Eine Untersuchung für den deutschen Arbeitsmarkt, S. 1. URL: http://doku.iab.de/fdz/events/2005/Rahmatullaeva.pdf. 61 Akerlof/Dickens/Perry (1996): The macroeconomics of low inflation. 62 Ebd. S. 29 und S. 32. 63 Beissinger/Knoppik (2005): Sind Nominallöhne starr? Neue Evidenz und wirtschaftspolitische Implikationen, S. 174, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2005 6(2), S. 171-188. 64 Straubhaar/Vöpel (2012): Inflation und Schuldenabbau, S. 583, Wirtschaftsdienst, September 2012, Volume 92, S. 583-598. 65 Junius/Tödtmann (2010): Staatsverschuldung und Inflation, S. 17, ifo Schnelldienst 17/2010 – 63. Jahrgang, S. 16-26. 66 Yehoue (2012): On Price Stability and Welfare, S. 5, IMF Working Paper WP/12/189. - 11 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra ist.67 Ghosh und Phillips geben in ihrer Untersuchung aus dem Jahr 1998 Zielwerte von zwei bis drei Prozent Inflation aus, bei denen noch ein positiver Zusammenhang zwischen Inflation und Wachstum besteht.68 Auch das Problem der hohen Staatsverschuldung kann für die Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken sprechen. Prominenteste Vertreter für die Anhebung des Inflationsziels zur Reduzierung der Staatsverschuldung sind die Ökonomen Kenneth Rogoff, Greg Mankiw sowie der Nobelpreisträger Paul Krugman.69Aber was führt im Detail dazu, dass die Staatsverschuldung alleine durch ein höheres Inflationsziel reduziert werden kann?70 Da die Staatsverschuldung anhand der Staatsschuldenquote, d.h. der Schulden im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), gemessen wird,71 lässt ein Wachstum des nominalen BIPs den Schuldenstand im Verhältnis geringer aussehen, ohne dass eine tatsächliche Entschuldung stattgefunden hat. Abbildung 2 - Effekte alternativer Inflationsraten auf die Staatsverschuldung72 Abbildung 2 zeigt den Effekt alternativer Inflationsraten auf die Staatsverschuldung eines Landes. Die hellblaue Linie stellt den Verlauf der Schuldenquote bei einer Inflationsrate von zwei Prozent dar. Wie man der Linie entnehmen kann, erfolgt langfristig keine Entschuldung bei einer Inflation von zwei Prozent. Betrachtet man hingegen die 67 Sarel (1996): Nonlinear Effects of Inflation on Economic Growth, S. 13. Ghosh/Phillips (1998): Warning: Inflation May Be Harmful to Your Growth, S. 674, IMF Staff Papers Vol. 45, No. 4. 69 Hackhausen, J./ Mallien, J. (2012): Die Folterinstrumente des Staates, Handelsblatt v. 06.02.2012. URL:http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/geldpolitik/entschuldung-ueber-inflation-die68 folterinstrumente-des-staates-seite-all/6166354-all.html. 70 Unter der Annahme, dass kein Crowding-Out stattfindet. Junius/Tödtmann (2010): Staatsverschuldung und Inflation, S. 17, ifo Schnelldienst 17/2010 – 63. Jahrgang. S. 16–26. 72 Ebd. S. 16. 71 - 12 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra von Blanchard vorgeschlagene Anhebung des Inflationsziels auf vier Prozent, ist deutlich zu erkennen, dass eine Senkung der Schuldenquote von anfänglichen 80 % alleine durch ein höheres Inflationsziel innerhalb von zehn Jahren auf ca. 73 % erfolgen könnte. Noch deutlicher wird die Entschuldungsmöglichkeit durch Inflation, wenn man ein Inflationsziel von zehn Prozent zu Grunde legt. In diesem Fall könnte eine anfängliche Schuldenquote von 80 % innerhalb von zehn Jahren auf ca. 52 % gesenkt werden, ohne eine reale Entschuldung durch weitere Maßnahmen durchgeführt zu haben. Lediglich der Vorschlag von Rogoff, die Inflationszielrate temporär auf sechs Prozent zu erhöhen, führt langfristig zu einem höheren Schuldenstand.73 Auch am Beispiel Deutschlands lässt sich eine Staatsentschuldung durch Inflation ablesen: Durch die historisch niedrigen Zinsen können neue Schulden bereits zu deutlich niedrigeren Zinsen aufgenommen werden. Bei einem Inflationsziel von drei Prozent, würde sich die heutige Schuldenquote von 84 % bis zum Jahr 2030 auf 58 % reduzieren. Sofern sogar ein Inflationsziel von fünf Prozent angestrebt würde, könnte dieses Ziel sogar innerhalb der nächsten neun Jahre erreicht werden.74 Gewinner einer Anhebung des Inflationsziels wären somit der Staat, Privatpersonen sowie Unternehmen, die viele und vor allem langfristige Schulden haben. Aber auch Personen mit Sachvermögen, Aktien und Immobilien können durch eine Anhebung des Inflationsziels gewinnen, da ihr Vermögen durch den Verfall von Nominalvermögen, wie es bei einer Inflationssteigerung der Fall ist, nicht betroffen ist.75 5 Nachteile durch die Anhebung des Inflationsziels durch Notenbanken Im Gegensatz zum Nobelpreisträger Paul Krugman, der die Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken vor allem deswegen befürwortet, weil eine Entschuldung der Staaten durch höhere Inflation leichter erfolgen kann, ist John Taylor einer derjenigen Ökonomen, der sich gegen eine Anhebung des Inflationsziel durch Notenbanken ausspricht.76 73 Junius/Tödtmann (2010): Staatsverschuldung und Inflation, S. 16, ifo Schnelldienst 17/2010 – 63. Jahrgang. S. 16 – 26. 74 Scherff (2012): Auswirkungen der Inflation. Die Enteignung der Sparer, FAZ online vom 28.05.2012. URL:http://m.faz.net/aktuell/finanzen/anleihen-zinsen/auswirkungen-der-inflation-die-enteignung-der-sparer11765172.html. 75 Busch (2011): Weniger Staatsschulden durch Inflation?, S. 10. URL: http://www.linksreformismus.de/lang/Busch.pdf. 76 Davis (2010): IMF Tells Bankers to Rethink Inflation; The Wall Street Journal v. 12.02.2012. - 13 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra Als Argument führt Taylor an, dass es bei einer Anhebung des Inflationsziels keine Garantie dafür gibt, dass die höhere zulässige Inflationsrate auch tatsächlich auf dem höheren gewünschten Zielniveau stabilisiert werden kann. Wenn Beschäftigte erwarten, dass die Preise weiter steigen, werden sie Lohnanpassungen fordern, um die durch die Inflation höheren Kosten auszugleichen.77 Wie zuvor bereits unter den Vorteilen dargestellt, kann eine geringe Inflation durchaus positiv wirken und zu einer Einkommenssteigerung der Beschäftigten führen, aus der der Staat durch Steuerprogression mehr Einnahmen generieren kann. Dieser Inflationswert schwankt zwischen zwei bis drei Prozent bis hin zu acht Prozent. Sofern die Inflationsrate über diese Werte steigt, haben Inflation und Wachstum einen negativen Zusammenhang.78 Je höher die Inflation somit ist und je später die Notenbanken durch ein höheres Inflationsziel regulierend eingreifen müssen, umso stärker kann sich eine Lohn-Preis-Spirale entwickeln. Lohn-Preis-Spirale bedeutet, dass gestiegene Löhne zu wachsender Nachfrage der privaten Haushalte sowie zu steigenden Produktionskosten von Unternehmen führen. Insbesondere wenn die Lohnerhöhungen über den Produktivitätssteigerungen liegen, werden die erhöhten Kosten durch Preissteigerungen an die Kunden weitergegeben. Die nunmehr wiederum gestiegenen Preise führen zu erneuten höheren Lohnforderungen der Gewerkschaften und damit zu weiteren Preissteigerungen. Die Lohn-Preis-Spirale ist dabei eine dauernde Anpassungsreaktion von Haushalten und Unternehmen auf Inflation, die bei Anhebung des Inflationsziels noch weiter verstärkt wird und nicht zwangsläufig bei dem gesetzten Inflationsziel Halt macht. 79 Zusätzlich zum eventuell nicht endenden Inflationsprozess setzen die Notenbanken durch eine Anhebung des Inflationsziels ihre bisherige Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Aufgabe der Notenbanken war und ist es, durch eine stabilitätsorientierte Geldpolitik auch die Inflationserwartungen auf einem festgelegten Zielniveau dauerhaft zu stabilisieren.80 Diese Glaubwürdigkeit haben sich die Notenbanken in den letzten 20 Jahren durch eine konstant gehaltene niedrige Inflation langfristig erarbeitet. Die Inflationsziele 77 URL: http://online.wsj.com/article/SB10001424052748704337004575059542325748142.html#. Meier (2010): Tabubruch: Ökonomen fordern höhere Inflation. Tagesanzeiger vom 18.02.2010. URL:http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/konjunktur/Tabubruch-konomen-fordern-hoehereInflation/story/12348870. 78 Ghosh/Phillips (1998): Warning: Inflation May Be Harmful to Your Growth, S. 674, IMF Staff Papers Vol. 45, No. 4. 79 Duden (2009): Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag, Lohn-Preis-Spirale, S. 112. 80 Scharff (2010): Vorteile einer niedrigen Inflationsrate: Empirische Ergebnisse für den Euroraum, S. 492, Wirtschaft im Wandel 10/2010, S. 491-497. - 14 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra sind auch in bisherigen Krisenzeiten nicht geändert worden und genießen daher Vertrauensschutz.81 Wenn Bürgerinnen und Bürger nunmehr erfahren, dass der geldpolitische Zielbereich für die Inflationsrate über das bisher geltende Ziel angehoben wird, dann besteht kein Grund, auch in der Zukunft nicht davon auszugehen, dass bei einer neuen Krise das Inflationsziel nicht wieder erhöht wird. Gerade in der noch vorherrschenden fast weltweiten Situation der Unsicherheit über die Folgen der Finanz- und Staatsschuldenkrise hätte eine Erhöhung des Inflationsziels einen Glaubwürdigkeitsverlust zur Folge, der aufgrund der Anpassung der Inflationserwartungen an die Inflationsrate zu einer Destabilisierung der Inflationserwartungen führen kann, da das Ziel der Preisniveaustabilität durch die Notenbanken nicht mehr glaubhaft vermittelt werden kann. Wenn jedoch die Inflationserwartungen erst einmal vom Inflationsziel abweichen, lassen sie sich nur unter erheblichen gesamtwirtschaftlichen Kosten wieder zurückführen.82 Die Anhebung des Inflationsziels in einer konjunkturell schwierigen Phase, wie sie in den meisten Ländern derzeit noch vorherrscht, kann letztendlich dazu führen, dass sich eine bestehende Unterauslastung in der Wirtschaft verfestigt. Ein höheres Inflationsziel und daran angepasste Inflationserwartungen können dazu führen, dass Finanzmärkte die höheren Inflationsraten in die Zinsstrukturkurve einpreisen und sich damit die Nominalzinsen erhöhen. Wenn im gleichen Zuge jedoch die tatsächliche Inflationsrate aufgrund der bestehenden Unterauslastung nicht ansteigt, erhöhen sich nur die Realzinsen, die Investitionsanreize bremsen und eine Rezession verfestigen.83 Fakt ist, dass Inflation immer Kosten verursacht.84 Je höher jedoch das Inflationsziel ist, umso größer sind auch die negativen Allokations- und Wachstumseffekte auf eine Volkswirtschaft. Preise haben grundsätzlich eine Steuerungs- und Signalfunktion. Ein stabiles Preisniveau sichert dabei eine optimale Allokation von Gütern. Diese liegt genau dann vor, wenn die knappen Ressourcen so verteilt werden, dass von keiner anderen Verwendung ein höherer Nutzen ausgeht. Diese Optimalität wird genau dann erreicht, wenn die Preise die Knappheit eines Gutes widerspiegeln. Steigen Preise nunmehr durch Inflation, ist es für Kunden nicht mehr möglich zu erkennen, welche Güter wirk81 Junius/Tödtmann (2010): Staatsverschuldung und Inflation, S. 26, ifo Schnelldienst 17/2010 – 63. Jahrgang, S. 16-26. 82 Scharff (2010): Vorteile einer niedrigen Inflationsrate: Empirische Ergebnisse für den Euroraum, S. 492, Wirtschaft im Wandel 10/2010, S. 491-497. 83 Junius/Tödtmann (2010): Staatsverschuldung und Inflation, S. 26, ifo Schnelldienst 17/2010 – 63. Jahrgang, S. 16-26. 84 Nautz/Scharff (2005): Es darf kein bisschen mehr sein, S. 1, Forschung Frankfurt, 1/2005, S. 16-19. - 15 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra lich knapp sind. Preissteigerungen einzelner Produkte führen zudem dazu, dass deren Substitute stärker nachgefragt werden, wodurch auch hier eine Preissteigerung ausgelöst wird. Dieser Effekt tritt bereits bei einer geringen Inflation auf. Wird nunmehr das Inflationsziel nach oben angehoben, wird es sowohl für die Konsumenten als auch für die Produzenten immer schwieriger zu beurteilen, ob die Preissteigerungen aufgrund der höheren Inflation erfolgen oder ob tatsächlich Güterknappheit der Grund für den Preisanstieg darstellt.85 Unternehmen benötigen jedoch eine niedrige und stabile Inflation, um ihre Aktivitäten und Investitionen langfristig und vorausschauend planen zu können. Bei einer Anhebung des Inflationsziels, haben Unternehmen keine Planungssicherheit mehr bezüglich zukünftiger Kosten oder Einnahmen. Eine stärkere Zurückhaltung bei Investitionsentscheidungen ist die Folge.86 Als Folge der falschen Preisinformationen kann es zudem zu Fehlallokationen der Produktionsfaktoren kommen. Auch hier ist ausschlaggebend, dass Preise ihre Signal- und Steuerungsfunktion verlieren, je höher das gewählte Inflationsziel ist. Sowohl Produzenten als auch Konsumenten können dann fehlerhafte Produktions- oder auch Investitionsentscheidungen treffen, infolgedessen Arbeit, Kapital und auch Ressourcen falsch eingesetzt werden. Eine Hemmung des Wachstums der Wirtschaft und damit einhergehend eine höhere Arbeitslosigkeit ist die Folge. Dieser Effekt fällt umso größer aus, je höher das Inflationsziel einer Volkswirtschaft ist.87 War der Staat noch der Gewinner der Anhebung des Inflationsziels, sind vor allem diejenigen die Verlierer eines höheren Inflationsziels, die Bargeld anstelle von Sachvermögen besitzen. Je höher Inflation ist, umso weniger Vertrauen haben Bürgerinnen und Bürger in die Währung und umso stärker nimmt die Geldwertstabilität ab. Um den erwarteten Verlusten bei Geldhaltung zu entgehen, erfolgt eine Umverteilung von Bargeld zu Sachvermögen. Geld wird damit nicht mehr dort eingesetzt, wo es Gewinn bringt, sondern dort, wo es am wenigsten Verluste einfährt. Je höher das Inflationsziel angesetzt wird, umso größer sind die Fehlallokationen des Kapitals, die zu Wachstums- und Beschäftigungseinbußen führen. Wohlfahrtsverluste sind die Folge.88 85 Scharff (2010): Vorteile einer niedrigen Inflationsrate: Empirische Ergebnisse für den Euroraum, S. 492, Wirtschaft im Wandel 10/2010, S. 491-497. 86 Europäische Kommission (o.J.): Die Folgen von Inflation. URL: http://ec.europa.eu/economy_finance/focuson/inflation/consequences_de.htm. 87 Europäische Zentralbank (2011): Preisstabilität – Warum ist sie für Dich wichtig?, S. 28. 88 Europäische Kommission (o.J.): Die Folgen von Inflation. - 16 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra Höhere Kosten bei einer Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken entstehen auch durch häufiger anzupassende Preise. Je höher die Inflation ist, umso schneller müssen Preise angepasst werden. So genannte Schuhlederkosten, d.h. Kosten, die durch die Notwendigkeit, häufiger zur Bank gehen zu müssen, um Geld abzuheben, sowie so genannte Menükartenkosten, d.h. Kosten, die zusätzlichen Ressourcen durch häufigere Preiswechsel binden, treten bei einem angehobenen Inflationsziel in größerem Umfang auf.89 Eine Studie von Etienne B. Yehoue aus Juli 2012 zeigt, dass die Menükosten bei Anhebung des Inflationsziels von null auf zwei Prozent ca. 0,002 % an Wohlfahrtskosten verursacht. Bei einer Anhebung des Inflationsziels von zwei auf vier Prozent ergeben sich Wohlfahrtskosten von ca. 0,004 %.90 Sofern die Anpassung des Inflationsziels im einstelligen Bereich bleibt, spielen diese Kosten nur eine untergeordnete Rolle und können vernachlässigt werden.91 Auch inflationsbedingte Veränderungen der Verteilungsstruktur müssen bei der Anhebung des Inflationsziels berücksichtigt werden. Zu inflationsbedingten Veränderungen der Verteilungsstruktur kommt es immer dann, wenn sich Einkommen und Vermögen in unterschiedlichem Ausmaße und vor allem auch in unterschiedlicher Geschwindigkeit an die durch das höhere Inflationsziel bedingten Preissteigerungen anpassen. Fixeinkommensempfänger sind dabei von einem höheren Inflationsziel am stärksten betroffen, da deren Einkommen nicht automatisch an Preissteigerungen angepasst wird. Der Verlust im Realeinkommen ergibt sich dann letztlich dadurch, dass das Realeinkommen das Nominaleinkommen dividiert durch das jeweilige Preisniveau ist. In dem Maße, in dem das Preisniveau durch eine höhere Inflation steigt und das nominelle Einkommen unverändert bleibt, sinkt das Realeinkommen.92 Erste Untersuchungen der Kosten durch Inflation auf die Wohlfahrt gehen bereits auf Bailey93 und Friedman94 in den Jahren 1956 und 1969 zurück. Ihre Ergebnisse zeigen, dass eine Erhöhung der Inflation von null auf zehn Prozent mit einem Wohlfahrtsverlust von 0,3 % einhergeht. Seither sind viele weitere Studien durchgeführt worden, die zwar alle zu dem Ergebnis kommen, dass mit einem höheren Inflationsziel ein Wohlfahrts89 Europäische Zentralbank (2011): Preisstabilität – Warum ist sie für Dich wichtig?, S. 31. Yehoue (2012): On Price Stability and Welfare, S. 20, IMF Working Paper WP/12/189. 91 Lenel/Saffet/Tourn (2010): Shall the European Central Bank Raise ist Inflation Target?, S. 25, ITFD 2010 Policy Paper. URL: http://www.barcelonagse.eu/tmp/pdf/ITFD10ECB.pdf. 92 Illing (1997): Theorie der Geldpolitik, S. 21 f. 93 Bailey (1956): The Welfare Cost of Inflationary Finance, Journal of Political Economy 64, S. 93–110. 94 Friedman (1969): The Optimum Quantity of Money, The Optimum Quantity of Money and Other Essays. 90 - 17 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra verlust einhergeht, jedoch in unterschiedlicher Höhe. Die aktuelle Studie von Etienne B. Yehoue „On Price Stability and Welfare“ greift die bisherigen Studien auf und untersucht anhand zweier unterschiedlicher Methoden, welche Wohlfahrtsverluste bei welchen Inflationszielen auftreten.95 Abbildung 3 – Übersicht über die Ergebnisse der Untersuchung über die Wohlfahrtsverluste bei Anhebung des Inflationsziels96 Die Ergebnisse zeigen für ein Inflationsziel von zwei Prozent unter Zugrundelegen einer log-log-Geldnachfragefunktion Wohlfahrtsverluste in Höhe von 1 % des Realeinkommens. Dieser Wert steigert sich auf 1,25 % des Realeinkommens, wenn ein Inflationsziel von vier Prozent zu Grunde gelegt wird. Für einen Haushalt mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 50.000 Dollar würde die Steigerung von zwei auf vier Prozent Inflation damit zusätzliche Verluste in Höhe von 125 Dollar jährlich bedeuten. Bei einem Inflationsziel von zehn Prozent erhöht sich der Wert der Wohlfahrtsverluste sogar auf 1,75 %. Ähnliche Werte ergeben sich bei einer Berechnung mit einer semi-log-Geldnachfragefunktion. Ein Inflationsziel von zwei Prozent erzeugt Wohlfahrtsverluste in Höhe von 0,1 % des Realeinkommens. Ein Inflationsziel von vier Prozent führt dann zu einer Steigerung der Wohlfahrtsverluste auf 0,3 % des Realeinkommens und steigert sich auf mehr als 1 % des Realeinkommens bei einer Zielinflation von zehn Prozent.97 Für einen Haushalt bedeutet dies bei einer Anhebung des Inflations- 95 Yehoue (2012): On Price Stability and Welfare, IMF Working Paper WP/12/189. Ebd. S. 19. 97 Ebd. S. 17. 96 - 18 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra ziels von zwei auf vier Prozent einen tatsächlichen zusätzlichen Verlust von 100 Dollar jährlich, wenn ein durchschnittliches Realeinkommen in Höhe von 50.000 Dollar zu Grunde gelegt wird. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass eine Volkswirtschaft, die ähnliche Strukturen wie die USA aufweist, bei einer Erhöhung des Inflationsziels von zwei auf vier Prozent mit Wohlfahrtsverlusten in Höhe von 0,3 % bis hin zu 7 % des Realeinkommens rechnen muss, je nachdem, wie die Parameter des Modells gewählt werden.98 Diese volkswirtschaftlichen Kosten dürfen bei der Überlegung, dass Inflationsziel anzuheben, nicht vernachlässigt werden. 6 Fazit Zu Anfang dieser Arbeit ist die Frage aufgeworfen worden, was Blanchard und seine Mitstreiter dazu veranlasst hat, eine Studie zu veröffentlichen, die die bisherigen Ziele der Notenbanken für überholt erklärt und welche Vor- und Nachteile sich aus diesem Vorschlag, die Inflationsziele der Notenbanken anzuheben, für Volkswirtschaften ergeben. Die seit 2007 anhaltende Finanz- und Staatsschuldenkrise hat die Welt mit einer Heftigkeit getroffen, wie es kaum jemand vor ein paar Jahren vermutet hätte. Schnell stießen die Notenbanken mit ihren bisherigen Instrumenten an ihre Handlungsgrenzen – war doch eine solche Krise seit dem Jahr 1929 nicht mehr vorgekommen. Die von Blanchard und seinen Mitstreitern aufgeworfene Diskussion um die Anhebung des Inflationsziels sollte daher aufzeigen, dass bei einer sich weiterentwickelnden Vernetzung der Finanzmärkte und Staaten auch eine Weiterentwicklung der Geld- und Finanzpolitik der Notenbanken erfolgen muss. Dazu gehört auch, bisherige Grundsätze unter den aktuellen Gegebenheiten neu zu diskutieren. Eine für alle Volkswirtschaften allgemeingültige Aussage, ob die bisherigen Inflationsziele durch die Notenbanken angehoben werden sollen oder nicht, kann nach Analyse der Vor- und Nachteile jedoch nicht getroffen werden. Die Analyse hat gezeigt, dass sich bei einer Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken sowohl Vor- als auch Nachteile ergeben, die bei der Diskussion über die Anhebung des Inflationsziels für jedes Land individuell abgewogen werden müssen. Die Anhebung des Inflations- 98 Yehoue (2012): On Price Stability and Welfare, S. 18, IMF Working Paper WP/12/189. - 19 - Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken – Pro und Contra ziels kann dabei je nach Auffassung entweder als „Sand im Getriebe“ oder als „Schmieröl“ für die Wirtschaftsleistung eines Landes verstanden werden. In der Tat überzeugen die dargestellten Vorteile auf den ersten Blick besser, die bisherigen Inflationsziele durch die Notenbanken anzuheben. Da sich die überwiegende Zahl der Staaten aufgrund der Finanzkrise in einem bisher noch nicht dagewesenen Ausmaß verschuldet haben, scheint das Argument der schnelleren und einfacheren Entschuldung für viele überzeugend, das bisherige Inflationsziel anzuheben. Auch das Argument der geringeren Nominallohnrigidität und damit einhergehend einer geringeren Arbeitslosigkeit kann ohne tiefere volkswirtschaftliche Kenntnisse überzeugen, dass eine Anhebung des Inflationsziels durch die Notenbanken richtig scheint. Bei der Überlegung zur Anhebung des Inflationsziels dürfen neben dem Vorteil der Staatsentschuldung und der geringeren Arbeitslosigkeit aber vor allem die zusätzlich entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten nicht vernachlässigt werden. Die aktuellste Studie von Yehoue aus Juli 2012 hat gezeigt, dass die volkswirtschaftlichen Auswirkungen bei einer Anhebung des Inflationsziels deutlich größer sind als bisher angenommen. Indirekte Effekte, die den Wohlstand reduzieren, sind bei der Berechnung der volkswirtschaftlichen Kosten dabei noch nicht einmal berücksichtigt worden, so dass davon auszugehen ist, dass die tatsächlichen Verluste durch ein höheres Inflationsziel sogar noch größer sind als bisher dargestellt. Letztlich muss jeder Staat für sich selbst entscheiden, ob die Vor- oder Nachteile der Anhebung des Inflationsziels überwiegen. Gerade in Zeiten der Krise, bei der das Vertrauen in das Handeln der Notenbanken aber sowieso schon gefährdet ist, sollte sehr gut überlegt sein, das Inflationsziel anzuheben. Sofern sich ein Staat dennoch für die Anhebung des Inflationsziel entscheidet, muss der Übergang sehr sorgfältig vorbereitet und vor allem langfristig genug kommuniziert werden, um den Vertrauensverlust und die volkswirtschaftlichen Kosten so gering wie möglich zu halten. - 20 - Anhang Anhang Anlage 1 – Inflationsziele verschiedener Länder Land Indikator Inflationsziel Australien CPI 2-3 % Brasilien CPI 3 ¾ % (+/- 2 ½ %) Chile CPI 2-4 % Europa HVPI unter 2 % Großbritannien CPI 2% Kanada CPI 1-3 % Kolumbien CPI 3% Korea CPI 2½-3½% Mexiko CPI 3 % (+/- 1 %) Neuseeland CPI 1-3 % Norwegen CPI 2 ½ % (+/- 1 %) Polen CPI 2 ½ % (+/- 1 %) Schweden CPI 2 % (+/- 1 %) Schweiz CPI 0-2 % Südafrika CPI 3-6 % Tschechien CPI 2-4 % Ungarn CPI 3 ½ % (+/- 1 %) USA nicht definiert nahe 2 % Abbildung 4 - Inflationsziele der Notenbanken verschiedener Länder99 99 Petursson (2004): Formulation of inflation targeting around the world, S. 71; URL: http://cb.is/uploads/files/mb041_5.pdf. 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