Hasta Bananas

Transcription

Hasta Bananas
Otti Schmid
Hasta
Bananas
T. O . P.
BOOKS
3. Auflage
© 2000 T.O.P. Books GmbH
Consulting: Rosenfluh Publikationen, Neuhausen am Rheinfall
DTP, Layout und Umschlagsgestaltung: Willum Møller
Lektorat: Urs von Schroeder
Fotos: Otti Schmid
Illustrationen: Klaus Beerli
Druck: stamm+co, Schleitheim
ISBN 3-9521225-4-8
Hasta
Bananas
Inhalt
Willkommen an Bord
Viel Vergnügen
Panamakanal 1995
Pinguine am Äquator
So sieht die Hasta Mañana aus
Ziel Marquesas
Tahiti: Perle in der Südsee?
Macht Langstreckensegeln wirklich Spass?
Tiere an Bord: Freud und Leid
Ende des «Coconut Milk Run»
Tonga-Rally
Samoa – oder im Paradies gefangen
Als Einhandsegler unterwegs
Schnupperlehre in melanesischer Kultur
Ziel Australien
Auf Schusters Rappen
60 Jahre Otti
Das Starboot
Die Südsee hält mich gefangen
Black Justice
Vanuatu: Hemi namba wan gud ples
Salomoninseln und zurück nach Australien
Korallenküste
ARC- und Tonga-Rally: Teilnehmerliste
Nautische Erläuterungen
Notebook; Kontakte
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Willkommen an Bord
D
ieses Buch widme ich meinen Eltern: Meiner geliebten Mutter Hanna, die im Altersheim in Stein am Rhein lebt und
sich zum 80. Geburtstag wünschte, mit mir Hongkong zu
besuchen, bevor es die Chinesen 1997 übernahmen. Auch meinem Vater Otto, der 1990 verstarb und noch im Alter von siebzig
Jahren bis zu acht Stunden pro Tag im Sattel eines Pferdes zubrachte um noch unbedingt im Yukon (Kanada) eine Schneeziege
zu schiessen. Der ausgestopfte Kopf dieses Tieres hängt noch immer in meinem Haus in Hemishofen.
Ich bedanke mich bei
● Dr. Richard Altorfer für seine Spontanität, sein Interesse und
dafür, dass er mit seiner Rosenfluh Publikationen GmbH das
T.O.P. (The Otti Project) ankurbelte und dieses Buch ermöglichte.
● Willum Møller, Gestalter in diesem Verlag, Mitglied des
Yachtclubs Schaffhausen (YCS), Modellbauer und (Star-)Segler. Er
war es, der die Idee hatte, meine Aufzeichnungen, die jeweils in
den YCS-Mitteilungen erschienen waren, in einem Buch zu binden. Er überzeugte mich mit den Worten: «Es ist spannend, und
die Arbeit soll uns Spass machen!»
● Thesi Schröckel, die mir mit ihrer Bemerkung «Schreib mir
doch mal was von deiner Reise» den eigentlichen Anstoss gab,
überhaupt etwas aufzuschreiben. Meine Artikel landeten bei ihr
und später ohne Kürzungen in den von ihr redigierten YCS-Mitteilungen. Sie freute sich ungemein ob den herrlichen Briefmarken aus der Südsee.
● Urs von Schroeder, meinem nachsichtigen und geduldigen
Lektor, für seine Hilfe, dieses Buch lesbarer zu machen.
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Manfred Müller, dem stellvertretenden Verlagsleiter, der das
Sekretariat und die T.O.P. Books GmbH umsichtig und sachkundig
betreut.
● Klaus Beerli, der mit seinen treffenden und bissigen
Karikaturen in den YCS-Mitteilungen viel dazu beitrug, meine
«Berichtli» zu verschönern.
● Walo Hauser, dem Präsidenten des YCS, der – ohne den
Zensurstift anzusetzen – die YCS-Mitteilungen jeweils absegnete.
● Meiner Schwester Dor, die sich während meiner Abwesenheit um meine Angelegenheiten in der Schweiz kümmert(e).
●
Otti Schmid
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Viel Vergnügen
W
arum beginnt das vorliegende Buch erst beim Panamakanal? Das hat seinen ganz besonderen Grund. Erst nach
dem Passieren dieses Kanals und nachdem die «Hasta
Mañana» im Pazifik schwamm, hatte ich wirklich das Gefühl, weg
zu sein: weg von Europa, der Schweiz und von zuhause. Nach fast
dreissig Jahren Tätigkeit als Linienpilot bei der Swissair erscheinen
mir Länder, die in einem zehn- bis zwölfstündigen Nonstop-Flug
erreichbar sind, gleich um die Hausecke zu liegen …
Lossegeln, vorausschauen, einen Traum verwirklichen, just do
it, es wird schon irgendwie gehen, sogar eine Weltumsegelung.
Das sind zweifellos alles Schlagworte. Vielleicht genügen schon
etwas Neugier und Fernweh, um die gewohnten Reviere zu verlassen, aufzubrechen zu neuen Ufern, mit Zielen, die erreichbar sind,
mit einer Planung, die keine Planung ist, sondern Raum lässt für
spontane Entscheide. Wie spannend ist es doch, aufzubrechen
und selbst zu schauen, wie es ist: ohne sich allzuviel zu denken
und ohne auf vielleicht negative Berichte zu hören. Natürlich sind
die Gesetze der Natur zu respektieren: Es müssen Wetterentwicklungen berücksichtigt oder eine Zyklonsaison vermieden werden.
Weil der Wind meistens aus Osten weht, ist es angenehm, einer
Route in westlicher Richtung zu folgen. Keine Crew zu haben,
kann auch ein Vorteil sein. Als Einhandsegler erlebt man die
Bewohner einer Inselgruppe völlig anders als eine mehrköpfige
Besatzung. Wenn man allein ist, gibt es auch nur eine Meinung an
Bord. Brauche ich eine Crew, so gibt es genügend Bekannte, die
ein Stück mitsegeln wollen. Noch besser ist es meiner Ansicht
nach, gerade dort jemanden zu suchen, wo ich aus welchem
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Grund auch immer eine Crew brauche. Sinnigerweise gibt es mit
einer fremden Person an Bord meistens weniger Konfliktstoff als
mit einer bekannten.
Natürlich braucht es ein seetüchtiges Segelboot, das den
persönlichen Ansprüchen und dem Budget gemäss ausgerüstet ist,
dazu die nötige Zeit und genügend Geld. Es gibt aber auch
Möglichkeiten, mit wenig Geld per Segelboot in den Pazifik und
in die Südsee zu kommen, nicht zuletzt als «Bootstopperin oder
Bootstopper» und damit als «Hand gegen Koje».
Lesen Sie im vorliegenden Buch, wie es mir während der vier
Segelsaisons 1995–1998 im Pazifik ergangen ist, wie ich dazu kam,
wegzusegeln und wie alles anfing. Sailing is fun. Jedenfalls empfinde ich diese Art des Reisens als viel, viel schöner, als ich in
meinen kühnsten Träumen erwartet hatte. Ich wünsche Ihnen
beim Lesen und beim Träumen von fernen Ländern und ihren
Bewohnern viel Vergnügen.
Otti Schmid
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Panamakanal 1995
oder «Eine Seefahrt, die ist lustig,
eine Seefahrt, die ist schön»
V
erdammt nochmal! Das darf doch einfach nicht wahr
sein! Und trotzdem – all mein Fluchen nützt nichts – es ist
wahr. Ebenso wenig lässt sich daran etwas ändern. Mit
Beamten zu argumentieren, ja auch nur Fragen zu stellen,
bringt nichts. Wir liegen beim Kanal bereit, aber per Funk wird
unser Transit wiederum abgesagt. Bereits zum zweiten Mal und
nach drei Verschiebungen. Wir motoren zurück und belegen die
«Hasta Mañana» bei strömendem Regen beim «Panama Canal
Yacht Club» am Steg. Dabei sind wir gierig darauf, die Karibik
hinter uns zu lassen, den berühmten Kanal zu durchqueren, in
die Weiten des Pazifiks vorzustossen und dorthin zu gelangen,
wohin ich schon immer wollte: in die Südsee. Meine beiden
Crewmitglieder, Smita und Mick, scheinen es gelassener zu nehmen. Im Gegensatz zur mir. Ja, ich fühle mich saumies. Warum
eigentlich? Haben wir nicht Zeit im Überschwang? Sollte ich
nicht längst vergessen haben, dass wir nicht mehr in Europa
sind?
Knurrend schicke ich mich ins Unabänderliche. Und alles
geht wieder von vorne los: Traffic Control in Panama anrufen.
Der Mann am Telefon wird sich wie immer über den Namen
meiner Yacht ergötzen. Wir versuchen, möglichst bald einen
neuen Termin zu kriegen. Es heisst: Einen Tag warten und
nochmals anrufen, bis der neue Termin bestätigt wird. Wir müssen am nächsten Samstag, morgens um 0440 Uhr beim Kanal
bereit sein, um den Lotsen aufzunehmen. Wir werden um 0400
Uhr auslaufen, mit zusätzlich zwei angeheuerten «Linehandlers» an Bord: Mauricio und Armando. Die Kosten belaufen sich
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auf fünfzig Dollar pro Mann und Transit. Die vier Leinen à 35
Meter haben wir ebenfalls für fünfzig Dollar gemietet.
Ansonsten sind wir im PCYC gut aufgehoben. Die Stadt Colón
gilt als unsicher. Man ist gut beraten, schon hinter dem Klubhaus
ein Taxi zu schnappen, um in die Stadt zu fahren. Heben wir auf einer Bank Geld ab, lassen wir jeweils ein Taxi vor dem Haus warten.
Trotzdem geniesse ich die quirlige Stimmung in diesem tropischen
Schmelztiegel verschiedener Menschenrassen. Abends bin ich unterwegs. Auch in der Bar des PCYC ist nachts etwas los. Es sind viele
Einheimische da, die gerne auf Besuch an Bord kommen. Meine
Crew, Smita und Mick, kennen mich inzwischen und müssen in
Kauf nehmen, dass sie manchmal im Schlaf etwas gestört werden.
Das Warten auf einen Transit ist jedenfalls kurzweilig. Hier liegt
auch ein Brief Peter Kägis an die «Hasta Mañana». Er schreibt mir
über seine Erfahrungen bei der Kanalpassage mit seiner «Paros»
von Basel, einer Wibo II von 31 Fuss Länge. Von Beruf Bauführer,
kommt Kägi von Turbenthal und ist mit Iris, einer Freundin aus
Deutschland, unterwegs. Ich hatte die beiden vor dem «Atlantic
Rally for Cruisers» (ARC) in Las Palmas kennengelernt.
Der Papierkrieg ist erträglich: Er benötigt einen Tag. Das «Admeasurement» (Vermessung der Yacht zwecks Gebühren) ergibt
eine Taxe von 225 Dollar. Das ist akzeptabel, zumal darin eine Reserve von etwa 40 Dollar enthalten ist, die mir nach erfolgter Passage tatsächlich in die Schweiz überwiesen wird. Danach heisst es
Einklarieren für Panama. Wir müssen für 77 Dollar die panamaische Cruising Permit besorgen, die Zollformalitäten erledigen und
gleich wieder ausklarieren, was hier erlaubt ist. In Balboa, nach
dem Passieren des Panamakanals, wollen wir nur kurz bleiben, um
unsere Vorräte aufzustocken. Als nächsten Hafen, den wir nach
Balboa anlaufen werden, geben wir Puerto Ayora auf den Galapagos-Inseln an.
Meine jungen Mitsegler Smita und Mick sind aus Deutschland.
Beide haben ihr Studium abgeschlossen, sie in Biologie und er in
biologischer Landwirtschaft. Sie wollen nach Australien oder Neu-
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seeland; Smita möchte dort ihr Wissen in Meeresbiologie erweitern
und wenn möglich doktorieren. Um die Distanz zu erleben, haben
sie sich in Deutschland entschlossen, die Reise
an Bord eines Segelbootes anzutreten. Sie starteten in Holland, und die «Hasta Mañana» ist
ihr viertes Boot. Beide sind herrlich unverdorben und voller Begeisterung. Ich traf sie am
Karneval von Trinidad.
Blenden wir etwas zurück. 1986 fand erstmals – mit dem Start in Las Palmas und dem Ziel
in Barbados – das «Atlantic Rally for Cruisers»
(ARC) statt. Heute ist das Ziel nicht mehr Barbados, sondern die Rodney Bay in St. Lucia. Am Start melden sich meist über 150 Boote.
Im Anschluss an das ARC 94 wurde auf der lebensfrohen Insel
St.Lucia noch eine geschlagene Woche gefeiert. 149 Boote waren mehr
oder weniger unbeschadet über den Atlantik gekommen. Die Swan 68
«Hissar» segelte nach Schäden am Rigg direkt nach Antigua zur Reparatur. Eine andere Crew der Zeitschrift«Yachting World» musste mit ihrer «Dash» wegen gravierender Schäden nach dem Start nach Las Palmas zurückkehren. Auf Wolfgang Konigers First 38 «Belle de Vienne»
brach das Ruder. Die Crew musste sich mit einer Notlösung behelfen,
konnte aber St.Lucia verspätet erreichen. Auf der 43-Fuss-Ovni «Diamond of Malta» ereignete sich ein gefährlicher Zwischenfall: Skipper
Bernt Schwarzhaupt fiel bei einer Reparatur über Bord. Bis die übrige
Crew das Schiff gewendet hatte – sie musste noch zuerst das Steuerrad
montieren – verging über eine halbe Stunde. Sie hatte jedoch die GPS-Position und konnte Bernt auffischen. Auch auf unserem Boot hatten wir
bei Halbzeit einen Zwischenfall, der glücklicherweise ohne schwerere
Folgen verlief. Bei einem misslungenen Halsemanöver küsste mich unser
Grossbaum an Stirn und Nase. Ich überlebte dieses Missgeschick blutverschmiert und mit einer schmerzhaften Prellung am rechten Schienbein, die einen Besuch im Hospital von Castries in St. Lucia erforderlich
machte. Schliesslich war die Baltic 43 «Niinemari» Erste im Ziel (nach
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Handicap): mit einer Zeit von 17 Tagen für die Überquerung. Dies, nachdem zwei Yachten der Racing Division wegen Regelverstössen ausgeschlossen worden waren.
Bevor ich in Las Palmas gestartet war,
hatte ich die Engländerin Philippa – genannt
«Pippa» – getroffen. Sie suchte ein Boot, auf
dem sie Hand gegen Koje, also Handanlegen
gegen ein Gratisbett, den Atlantik überqueren
konnte. Üblich ist, dass der Skipper einen Nahrungsmittelbeitrag verlangt. Pippa war vor
dem ARC an der Pier aufgetaucht: «Do you
need a crew for the crossing?» fragte sie. Mit
auf meinem Boot war damals auch mein
Schwager Reini. Weil dieser kaum englisch
spricht, erkundigte ich mich bei Pippa, ob sie
Französisch- oder Deutschkenntnisse hatte. Sie bejahte. So wurden wir einig, und sie kam an Bord. Reini ist zehn Jahre jünger als ich. Mit ihm war
ich schon jahrelang Starbootregatten gesegelt. Er war mein Vorschoter
und bediente die Fock, ich war der Steuermann. Reini betreibt ein Sanitärgeschäft in Wagenhausen. Leider lebt er heute – sie heirateten 1980
und haben zwei Kinder – von meiner Schwester Dor getrennt.
Nun lag das ARC hinter uns, wir waren in St.Lucia, und ich hatte ein
Problem. Einerseits wollte Pippa noch etwas auf meinem Boot bleiben.
Anderseits hatte ich die Bekanntschaft von Rosie gemacht, einer Mastriggerin aus Kanada. Mit ihr wollte ich nach meinem Weihnachtsurlaub in
der Schweiz in Richtung Süden zum Karneval von Trinidad segeln, sobald
ich wieder zurück war. Zusammen mit Reini erkundeten wir die wunderschöne Insel mit Bananenplantagen, einem intakten Regenwald und dem
Wahrzeichen: den Pitons. Kaum war Reini weg, zog Rosie in seine Koje,
obwohl mich Reini bei seiner Abreise ermahnt hatte: «Du wirst doch
wohl kaum den beiden Frauen dein Boot anvertrauen!» Was sollte daran
schlecht sein?
Jedenfalls flog ich auch bald ab: zum Weihnachtsfest mit meiner
Mutter, Tante Elsi und meinen beiden Söhnen Oliver und Ronald in
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Hemishofen. Den unteren Teil meines Hauses hatte ich inzwischen
Corinne Ghisletti vermietet, aber ich lieh mir das Wohnzimmer für diesen Abend aus. Meine Mutter wollte wissen, warum ich einen so lausigen
Christbaum ins Wohnzimmer gestellt hatte. «Den habe ich heute nachmittag in meinem Wald geschlagen. Der musste ohnehin weg, weil er zu
wenig Platz zum Gedeihen hatte,» beruhigte ich sie.
Kaum war der 79. Geburtstag meiner Mutter am 23. Januar 1995
gefeiert, dachte ich ans Zurückfliegen. Was sich meine Mutter zum Geburtstag gewünscht hatte? «Ich möchte mit dir nach St.Lucia fliegen und
mit dir zwei Wochen Badeferien machen. Das Hotel ‹St.Lucian› liegt in
der Nähe der Marina.» Das wusste sie von meinem Bruder Hansruedi,
der dort schon Ferien zusammen mit seiner Frau Lisbeth verbracht hatte
und begeistert war. Eine alte Lockheed Tristar von British West Indian
Airlines (BWIA) brachte uns sicher über Antigua, Barbados nach St.Lucia, bevor sie nach Port of Spain in Trinidad weiterflog. Kurz vor dem
Abflug hatte ich einen Fax bekommen: «My name is Linda, I would like
to sail with you to Trinidad – Pippa and Rosie left your boat a few days
ago – I am now living on your boat!»
Kaum hatten wir unser Hotelzimmer im «St.Lucian» bezogen,
machte ich mich mit meiner Mutter zur nahen Marina auf, um mir meine
neue Crew anzuschauen. Eine blonde Engländerin streckte ihren Kopf aus
dem Niedergang, nachdem wir an die «Hasta Mañana» geklopft hatten.
«Hello, nice to meet you», begrüsste sie uns. Am 6. Februar trafen dann
noch mein Sohn Oliver und seine Freundin Christine ein. Sie wollten bis
Trinidad mitsegeln. Und da war noch, fast hätte ich es vergessen, der
Österreicher Herbert. Er hätte hier ein Boot treffen sollen, doch dieses war
aus unerfindlichen Gründen schon weg. Ich bot ihm an, auf meinem Boot
zu leben, bis meine Mutter abgereist war.
Ich genoss die Zeit mit meiner Mutter am Strand und unter Palmen.
Dabei kam zwischen uns eine bisher nie gekannte Wärme auf. Sobald sie
abends eingeschlafen war, machte ich mich auf, mich in der hoteleigenen
Disco zu vergnügen. Mit dunklen Frauen zu heissen Karibikrhythmen zu
tanzen, war sehr erregend. Sie kannten keine Scheu und gaben ihrer Sinnlichkeit freien Lauf. Im Takt der Musik pressten sie mit ondulierenden
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Bewegungen ihre Pobacken gegen mein Becken. Damit verfehlten sie –
Gesetz der Natur – natürlich ihre Wirkung nicht. Sie waren auch gerne
bereit, für ein kurzes Schäferstündchen an den nahen Hotelstrand zu
verschwinden. Wirklich, so etwas hatte ich bisher noch nie erlebt!
Nach einem ergreifenden Abschied von meiner Mutter, die in die
Schweiz zurückflog, machte ich mich wieder auf den Weg zum Boot. Es
war nun ziemlich belegt mit mir, meinem Sohn mit Freundin und der
Engländerin Linda. Dazu hatten wir kurzerhand beschlossen, auch den gestrandeten
Österreicher Herbert mitzunehmen. Nach
dem üblichen Einkaufen und Auftanken erreichten wir am 13. Februar eine der wohl
schönsten Ankerbuchten der Welt, die Marigot Bay. Dann folgten wir der Küste bis
Soufrière, gingen vor Anker und bestiegen am
nächsten Morgen den kleinen Piton (750 ü.
M.). Wir schafften das mit einem Führer in
eindreiviertel Stunden. Die Aussicht war
schlichtweg überwältigend. Tief unten lag unser Boot. Am Abend, nach
einem Fischmahl, verabschiedeten wir uns von Herbert, der auf ein
Tauchboot wechselte.
Ich genoss es, meinen Sohn an Bord zu haben, auch, dass er sichtlich
Freude an dieser Reise und am Segeln fand. Auch Christine gefiel ihre
erste Segelreise. Zusammen bildeten wir eine gute Crew. Linda entpuppte
sich als erfahrene Seglerin. Sie war es auch, die jeweils von einem Fischer
gekaufte Lobster mit einem gezielten Stich in den Hinterkopf tötete, bevor
sie in der Pfanne landeten. Wir folgten der üblichen Route nach Süden
über Bequia, Mustique (die Millionärsinsel) und Mayreau.
Herrliche Segeltage reihten sich aneinander. Sogar Fische bissen sich
an unserer Schleppangel fest und landeten wenig später auf dem Grill.
Nach den Tobago Cays folgten Union Island, Petit St. Vincent, dann segelten wir in einem Nachttörn östlich an Grenada vorbei und in die
Chaguaramas Bay zum Einchecken für Trinidad. Wir hatten Glück, sogar im Trinidad & Tobago Yacht Club fanden wir einen Stegplatz,
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geradezu ideal, um bei den Karnevalsaktivitäten hautnah dabei zu
sein. Unsere Vorfreude auf dieses Ereignis war gross. Kaum hatten wir
Port of Spain erreicht, spürten wir bereits ein leichtes Kribbeln auf der
Haut. Der Karneval findet in der bei uns
üblichen Fasnachtszeit statt: Sonntag
und Montag sind die beiden Höhepunkte. Am Aschermittwoch ist anderswo alles vorüber und vorbei – aber
nicht hier: Hier trifft sich männiglich
zum Ausklang in der Maracas Bay. Mit
dem Auto Beat Lüthis, eines Maître de
Cabine der Swissair, den ich hier getroffen hatte, fuhren wir zum Strand. Was
für ein Ausklang das war! Die Menge tanzte am Beach und im Wasser
zu Musik, die überirdisch laut aus Riesenlautsprechertürmen übers
Meer und wahrscheinlich bis nach Afrika schallte. Es war wirklich ein
eindrückliches Erlebnis an diesem Karneval, die lebenslustigen und
musikalischen Menschen bei ohrenbetäubenden Calypso- und Steelbandrhythmen ausflippen zu sehen. Als sich Christine und Oliver zu
ihrem Flug Richtung Schweiz begaben, war ich wieder einmal traurig –
aber so ist halt das Seglerleben.
Auch für Linda und mich gingen diese herrlichen Tage zu Ende. Wir
nahmen Abschied von den netten Serviertöchtern im Restaurant des
Trinidad & Tobago Yachtclub und motorten in einer Stunde zur
Chaguaramas Bay. Nun begann, kaum waren die Steelbands verstummt, der Ernst des Lebens: Auswassern und Überholen meines Bootes bei den Industrial Marine Services (IMS). Linda half mir noch beim
Auswassern, machte sich dann aber daran, mein Boot zu verlassen. Sie
begab sich auf einen Backpacktrip nach Venezuela und liess nur etwas
Gepäck auf der «Hasta Mañana» zurück, das sie später in Porlamar abholen wollte. Sie hoffte, dort ein Boot zu finden, das nach Antigua
segeln würde. Bei der IMS traf ich einmal mehr Peter Kägi und Iris. Sie
hatten gerade ihr Boot fertig überholt und warteten aufs Einwassern.
Peter war es, der mich schon in St.Lucia auf die Südsee «gluschtig»
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gemacht hatte. Warum sollte ich in der Karibik bleiben? Alles, was ich
verpasst hatte, konnte ich später einmal nachholen. Die Südsee lockte!
Smita und Mick, die beiden bereits erwähnten Deutschen, hatten in
Trinidad von meinen Plänen gehört und wollten mich bis nach Tahiti
in Französisch Polynesien begleiten. Das passte genau zusammen.
Es wurde eine lustige Zeit bei der IMS: Sechs Mann waren am
Schleifen des Unterwasserteils des Schiffes. Pro Stunde und Mann wurden mir drei Schweizerfranken verrechnet – da lag auch mal eine Bierpause drin. Ein aufgebocktes Schiff. Das war schön. Kein Schaukeln.
Man musste nur heil die Leiter rauf und runter kommen. Am Wochenende gab‘s Barbeque, untermalt von einer siebenköpfigen Steelband.
Dabei verliebte ich mich auch prompt in eine junge Frau: Robyn aus
Trinidad. Wie sie an Bord kam, daran kann ich mich nicht genau erinnern, denn das Bier war in Strömen geflossen. In der ersten Nacht, als
ich Robyn etwas «antun »wollte, erteilte sie mir einen klaren Aufttrag:
«Lick me!» Alles, was ich bis anhin gelernt hatte, investierte ich in die
nächste Viertelstunde. Als auch ich einen kleinen «Auftrag» formulieren wollte, machte sie mir klar: «Fuck yourself!» Da war nichts zu machen, sie schien etwas speziell zu sein! Kein Problem, so schlief ich eben
mehr. Ich genoss diese zehn Tage auf dem Trockenen. Wann immer
mich Robyn besuchte, brachte sie mehr Kleider mit und liess sie in meiner Koje liegen. Mir schwante Böses. Ich sagte ihr klar, dass ich sie keinesfalls mitnehmen konnte, machte ihr auch keine unhaltbaren Versprechungen, war aber grosszügig und gab ihr Geschenke – sie schien es
zu begreifen. Dann ging‘s ans Abschiednehmen. Smita und Mick waren
vor ein oder zwei Tagen eingetroffen, und mein Boot war bereit zum
Einwassern. Vorsichtshalber beschloss ich, die letzte Nacht in einem
Hotel in Port of Spain zu verbringen. Dieses kannte ich schon von einem früheren Besuch mit meiner neuen Freundin.
Allerdings hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, und so
sollte der letzte Abend etwas anders herauskommen, als ich mir das vorgestellt hatte. In einer nahen Bar ertränkten Robyn und ich unseren Abschiedsschmerz. Sie hatte ihren letzten Drink noch halbvoll in der Hand,
als sie vor mir die Wendeltreppe zum Zimmer Nr. 1 emporstieg. Kaum
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waren wir im Zimmer, schmiss sie den Zimmerschlüssel aus dem Fenster. Was sollte das? Sie eröffnete mir, dass sie mich nicht so ohne weiteres ziehen lasse und dass sie in mich verliebt sei. Ich versuchte, sie zu
beruhigen, aber stattdessen knallte sie ihr halbgefülltes Glas auf den
Plättchenboden. Es zersprang, Scherben lagen überall. Robyn schnappte
sich eine Glasscherbe, ging auf mich los und schrie: «I will kill you!» Ich
packte sie an ihren Handgelenken und hielt sie fest. Sie biss mich so wütend in die Handrücken, bis ich blutete. (Als kleines Souvenir ziert noch
heute eine Narbe meine rechte Hand.) Nur langsam wurde Robyn etwas
ruhiger, und ich machte ihr klar, warum ich sie nicht mitnehmen konnte
und wollte. Ich erinnerte sie auch daran, dass wir eine schöne Woche zusammen hatten. Mit einem Badetuch wischte ich die Scherben in die
Ecke. Plötzlich hielt Robyn meinen Pass in den Händen, den ich fürs
morgige Ausklarieren bei mir hatte. Sie küsste mein Passbild, was ich
noch schön fand, aber dann – und das gefiel mir weniger – riss sie diese
Seite aus meinem Pass! Ich versuchte, ihr den Ausweis zu entwenden,
ohne Erfolg. Statt dessen riss sie Seite um Seite aus meinem Pass, auch
die Seite 15, auf der sich mein Visum für Venezuela befand. Nach dieser Tat wurde Robyn etwas ruhiger, ganz im Gegensatz zu mir. Als ich
nach einem kurzen Gang zur Toilette wieder ins Zimmer kam, standen
die Reste meines Passes am Boden in Flammen! Wütend schrie ich Robyn an:«Wenn du nicht endlich Ruhe gibst, vögle ich dich zu Tode!»
«Yes, do it!» lachte sie und präsentierte sich in erotischer Pose. Sofort erregt, machte ich mich ziemlich unsanft über sie her. Sie schrie und
stöhnte, und offensichtlich machte ihr das Ganze Spass. Kaum war dieses Intermezzo vorbei, weinte Robyn und bat mich um Entschuldigung
dafür, was sie mir mit ihrem Zerstörungswerk angetan hatte. Nur zwei
verkohlte rote Deckel waren übrig geblieben – auf einer Seite war das
Schweizerkreuz noch knapp erkennbar.
Am nächsten Morgen sah ich unten beim Schwimmbad unseren
Zimmerschlüssel im Morgenlicht glitzern. Ein Gast warf ihn mir durchs
offene Fenster zu. Robyn war friedlich. Zusammen nahmen wir das
Frühstück ein. Ich gab ihr etwas Geld, damit sie nach Hause fahren
konnte. Natürlich begriff ich ihre Situation: Wie gerne wäre sie aus
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ihrem nicht gerade verheissungsvollen Leben ausgebrochen, und wäre es
auch nur für eine gewisse Zeit gewesen! Sie bat mich nochmals um Entschuldigung und sagte, wie gerne sie mich irgendwann einmal wiederzusehen wünschte. Ich gestehe, ich war erleichtert, es hätte schlimmer
ausgehen können. Von anderen Seglern, die einheimische Frauen an
Bord mitgenommen hatten, wusste ich, dass sie oft mit Passproblemen
zu kämpfen hatten, es sei denn, sie gingen den Bund der Ehe ein. Auch
das soll vorkommen! Ich würde wohl das nächste Mal vorsichtiger sein
müssen.
Als Schweizer im Ausland ohne Pass, ich kam mir ziemlich dumm
vor. Im Telefonbuch fand ich einen Eintrag unter Swiss Embassy. Die
Dame am Telefon wies mich an, einen Polizeirapport erstellen zu lassen. Die Beamten amüsierten sich köstlich ob meiner Story und schrieben in ihrem Rapport, mein Pass sei mir in einer nahegelegenen Bar
morgens zwischen eins und zwei Uhr gestohlen worden. Das entsprach
zwar nicht der Wahrheit, war mir aber egal. Die Hauptsache, ich hatte
einen unterzeichneten Rapport. Zwei Passfotos waren schnell gemacht.
Anschliessend fuhr ich hinaus zum Schweizer Honorarkonsul: zum
Nestlé-Direktor Rolf Frei. Ich füllte einen Antrag aus, bekam einen exzellenten Néscafé vorgesetzt und blätterte hundert Dollar Gebühren auf
den Tisch. Herr Frei musste meinen Pass bei Konsul Probst in Caracas
beantragen. Auch dieser zeigte sich sehr kooperativ. Er sandte meinen
neuen Pass direkt nach Porlamar auf der Isla de Margarita in Venezuela, meinem nächsten Ziel. Das mit dem Visa sei kein Problem, versicherte mir der Konsul, sei es doch in irgend einem venezuelanischen
Computer gespeichert.
Pippa, Rosie und Linda, die mich ein Stück des Weges begleitet hatten, waren zurückgeblieben. Meine jetzige Crew waren Smita und Mick.
Nach dem problemlosen Ausklarieren segelten wir nun endlich mit gemischten Gefühlen in einem Nachttörn von Trinidad los, Richtung Isla
de Margarita. In Gedanken sah ich mich nach der Ankunft in Porlamar
schon festgenommen und in ein Gefängnis gesteckt. Meine neuen Begleiter mochten sich zu jener Zeit so ihre Gedanken gemacht haben über
den Skipper, den sie sich angelacht hatten. Die Sache mit den Papieren
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war dann allerdings nur halb so schlimm. Zwei Tage nach der Ankunft
erhielt ich einen neuen Pass. Wir ankerten vor Porlamar, beim Concorde Hotel in der Nähe der Ricardo‘s Bar. Hier reichte es für ein kurzes
Bier mit Peter Kägi und Iris. Sie waren bereit zum
Auslaufen mit ihrer «Paros». Smita und Mick
machten sich von Porlamar aus auf, Venezuela zu
bereisen, und wir vereinbarten, uns nach dem Besuch meiner Schwester und ihrer Kinder in
Curaçao wieder zu treffen. Diese kamen am 6.
April an.
Ich fuhr zum Flughafen von Porlamar, um
meine Besucher aus der Schweiz abzuholen. Übermüdet vom langen Warten in Caracas trafen sie
ein. Die Isla de Margarita hat Zollfreistatus. Der Einkauf für unsere Reise
war einmalig günstig. Nachdem wir noch 180 Liter Diesel für nur zehn
Schweizerfranken gebunkert hatten, segelten wir los – meine Schwester
Dor und ihre Kinder Melissa und Sascha –, um über die Inseln Tortuga,
Los Roques und Bonaire nach Curaçao zu kommen.
Wir lagen noch in Boca del Rio auf der Isla de Margarita, als Melissa nach dem Aufstehen und noch vor dem Frühstück fragte: «Götti,
weisst du, was ich geträumt habe? Wir sind aufgefahren!» « Red‘ keinen Blödsinn!» lachte ich. Wir motorten los, es war windstill, und wir
beschlossen, während der Fahrt unter Motor zu frühstücken. Dann passierte es: Dor riss zwar noch geistesgegenwärtig den Gashebel zurück,
aber genau um 0750 Uhr steckten wir im Sand – aufgefahren! Glücklicherweise kriegten wir das Boot schnell wieder flott. Das Frühstücken
während der Fahrt werden wir wohl in Zukunft besser bleiben lassen.
Spannende Riffnavigation und schönes Segeln im Passat wechselten
sich in diesen zwei Wochen mit Faulenzen und Schnorcheln ab. Ende
April brachte ich meine Schwester und die Kinder mit einem Mietauto
der Sarifundys Marina zum Flughafen Curaçao, von wo sie wieder in
die Schweiz zurückflogen. Etwas belämmert blieb ich zurück. Während
der vergangenen zwei Wochen hatte ich mich wie ein Familienvater gefühlt und hatte die Anwesenheit meiner Schwester, die sich um alles
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kümmerte, und der beiden neugierigen Kinder genossen. Wie froh war
ich, dass ich Dor etwas Anerkennung und Dank hatte zukommen lassen können dafür, dass sie meine Interessen während meiner Abwesenheit in der Schweiz vertritt.
Ich brauchte etwas Ablenkung. Noch am Flughafen fragte ich einen
Taxifahrer, wo denn heute was los sei. Er lachte mich an. «Da liegst du
gerade richtig. Nur fünf Minuten von hier entfernt liegt ‹The Mirage›, ein
Vergnügungskomplex. Dort gibt es Frauen, die auf Kunden warten.»
Tatsächlich fand ich Anschluss. Es war schon weit nach Mitternacht, als
ich zurückfuhr nach Spanish Water. Trotz mehrerer Anläufe konnte ich
aber die etwas versteckt liegende Sarifundy‘s Marina in der stockdunklen
Nacht nicht mehr finden. Ich sah auch niemanden, den ich hätte fragen
können. Kurzerhand parkierte ich daher mein Auto bei einem Busch und
schlief auf der hinteren Sitzbank. Am nächsten Morgen hatte ich mehr Erfolg bei meiner Suche.
Smita und Mick stiessen nach ihrem Backpacktrip durch Venezuela
wie vereinbart wieder zu mir. Ich lag mit der «Hasta Mañana» völlig geschützt vor Anker. Den Einkauf und das Ausklarieren bei der Harbour
Police erledigten wir im malerischen Willemstad. Das Auslaufen mussten
wir jedoch um einen Tag verschieben, denn der Wind heulte mit über dreissig Knoten über unseren Ankerplatz. Auf dem Törn von Curaçao nach
Christobal (700 Meilen) wurden wir dann auch ordentlich durchgeschüttelt. Der Passat wehte mit 25–30 Knoten, in Böen mit 35 Knoten. (ca. Bf
7). Die See war grob und unangenehm. Das Kochen wurde zu einem Balanceakt, und das Schlafen war fast unmöglich. Die Wachen schoben wir
im durchgehenden Dreistunden-Rhythmus: drei Stunden Wache, sechs
Stunden frei. Die Stimmung war trotz allem gut. Smita und Mick kochten
vorzüglich, vegetarisch, mit immer neuen Ideen. Ich war schon bald auf
meinem Idealgewicht! Nach fünf Tagen, am 29. April 1995, erreichten wir
schliesslich den Panama Canal Yacht Club in Christobal.
Das alles liegt zurück. Wenden wir uns wieder der Gegenwart
zu: unseren Vorbereitungen für die Passage des Panamakanals.
Ich bin erstaunt, dass der Transit der Segelyachten, die in der
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Mehrzahl zum Vergnügen unterwegs sind, von der Kanalverwaltung ernst genommen wird. Wir fühlen uns willkommen, auch
wenn ab und zu eine Transitzeit geändert oder abgesagt wird. Jedenfalls ist die Fahrt durch den fünfzig Meilen langen Panamakanal ein einzigartiges Erlebnis. 1903 schlossen die USA mit
Panama einen Vertrag zum Bau dieser Passage. 1904 kauften sie
von der französischen Kanalfirma alle Rechte und das erforderliche Land am Isthmus von Panama für 40 Millionen Dollar und
trieben das Mammutprojekt voran. Es war durch schwierigste
äussere Bedingungen – Malariagefahr und ungenügende sanitäre
Verhältnisse – und zahlreiche unvorhergesehene geologische
Probleme erschwert und auch durch einen hohen Zoll an Menschenopfern belastet. Beendet wurde der Kanal schliesslich nach
zehn Jahren Bauzeit. 1914 wurde er für den Schiffsverkehr freigegeben. Am Ende des 20. Jahrhunderts, am 31. Dezember 1999, geben die USA, wie es im Vertrag festgehalten ist, die Kanalzone an
Panama zurück. Zweifellos führt das auch zu einer Gebührenerhöhung für Yachten.
Am 6. Mai, um 0530 Uhr, steigt unser «Pilot» Samandiego zu.
Jedes Boot muss für die Kanalpassage einen Lotsen mitführen. Sofort fahren wir unter Motor in die erste Stufe der Gatunschleusen.
Unsere vier Leinen werden belegt, die riesigen Schleusentore
schliessen sich hinter uns. Wasser sprudelt in die Schleuse – der Atlantik liegt hinter uns! Hinter einem Tanker geht es in drei Stufen
um 26 Meter in die Höhe. Der Gatunsee liegt vor uns. Dieser aufgestaute Teil des Kanals ist 28 Meilen lang. Unter Motor und Genua fahren wir bei pausenlosem Regen – die Regenzeit scheint angebrochen – los. Unser Lotse will in einem Tag durch den Kanal.
Normal rechnet man mit zwei Tagen, mit einem Halt unterwegs.
Um 14 Uhr erreichen wir den Gaillard Cut. Die Gegend sieht hier
fast so aus wie bei mir zu Hause am Rhein. Die Pedro-MiguelSchleuse bringt uns wieder neun Meter nach unten in den Miraflores-Stausee und schliesslich in zwei weiteren Stufen (Miraflores-Schleusen) auf Pazifikhöhe.
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Wir lassen die Champagnerkorken knallen. Mit Ausnahme
eines gebrochenen Getränkehalters haben wir keine Schäden.
Nachdem wir die Brücke «Puente de las Americas» passiert haben, durchströmt mich
ein Gefühl tiefer Befriedigung: Endlich bin ich
weg von zuhause! Wir
schwimmen im Pazifik,
und zur Südsee ist es
nicht mehr weit. Wir
machen um 18 Uhr Lokalzeit an einer Mooringboje fest. Im Gegensatz zum Atlantik, wo die Gezeiten-Differenz nur etwa einen
Meter ausmacht, beträgt auf der Pazifikseite der Tidenhub bis
sechs Meter. Deshalb sind hier Festmacherbojen vorhanden.
Vom Balboa Yacht Club tönt Merenge-Musik herüber – die
Mädchen warten bereits!
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Pinguine am Äquator
Panama - Las Perlas - Galapagos
A
m 9. Mai 1995 stechen wir nach dem Passieren des PanamaKanals von Balboa aus in See, mit Ziel Galapagos. Ob wir
dort eine Aufenthaltsbewilligung bekommen würden? Unter den Seglern zirkulieren die wildesten Gerüchte. Uns ist‘s egal,
wir wollen hin.
Vorerst segeln wir vierzig Meilen zur Insel Contadora. Wir
verschätzen uns und kommen erst in der Nacht an. Mit Hilfe des
Radars und der Taschenlampe fabrizieren wir eine «Nachtlandung». Kaum sitzt der Anker, rudern wir mit dem Dinghy an Land.
Dort besuchen wir die Deutschen Sabine und Gerald, die das Restaurant «Gallo Negro» führen. Dort gibt es doch tatsächlich
Wurst mit Sauerkraut und bayrisches Bier. Die nächste Nacht verbringen wir im Lee der Isla de San José, der letzten Insel der LasPerlas-Gruppe. Wir sind etwas beunruhigt, denn dort soll es Piraten haben. Nachts verfolgt uns mal ein Motorboot, dreht aber
nach einer Weile ab.
Vor uns liegt das 850-Meilen- Stück nach den Galapagos. Man
rechnet mit neun bis zwölf Tagen; manche Segler sollen aber auch
schon dreissig Tage gebraucht haben. Wir wissen, dass es schwierig werden wird. Anfangs kommen wir mit raumem Wind zügig
voran, dann dreht der Wind und bläst mit fünf Beaufort aus der
Richtung, in die wir wollen. Also kreuzen wir gegen den Wind an,
bei ruppigem Seegang und Gegenstrom. Das soll dann für die
nächsten zehn Tage so bleiben. Immerhin hält die Windfahnensteuerung das Boot genau auf Kurs. Eine gewisse Lethargie macht
sich an Bord bemerkbar – wir kommen nur mühsam voran. Sechs
Tage nach dem Auslaufen sichten wir die Felseninsel Malpelo.
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Schon der Name passt uns nicht. Westlich davon wurde im Juni
1989 Bill Butlers «Sibonney» von Walen versenkt. Er trieb dann
zusammen mit seiner Frau Simone 66 Tage in der Rettungsinsel,
bis sie aufgefischt wurden. Bill schrieb später das Buch: «Our last
chance».
Mit meinen Begleitern Smita und Mick segelt es sich leicht. Sie
freuen sich auf die Galapagos: speziell Smita als ausgebildete Biologin. Ich segle gerne mit wechselnder Crew, gerade so, wie es sich
ergibt. Damals in Las Palmas haben mich acht oder neun Frauen
gefragt: «Do you need a crew for the crossing?», dazu viele junge
Burschen. Diese Tramperinnen und Tramper der Meere haben
durchwegs Hochsee-Segelerfahrung und sind sich gewohnt, auf
kleinen Booten zu leben, auch bei ungemütlichen Verhältnissen.
Ich bin auch erstaunt, dass sich Frauen so – ohne sich viel zu denken – auf einen längeren Trip mit einem Einzelkämpfer einlassen.
Mir gefällt das Leben auf einem Segelboot. Ich bin unterwegs,
und wohin es geht, ist nicht so wichtig. Ich fühle mich sorglos
und unbeschwert. Meine persönlichen Verhältnisse sind auch
ideal: alleinstehend, meine Kinder sind erwachsen, ich bin pensioniert – jeden Monat tröpfelt etwas Geld auf mein Konto. Die
täglichen Pflichten als Skipper genügen vollends, um Befriedigung aus meiner Tätigkeit zu schöpfen. Nebst den Wachen im
Dreistundenrhythmus bleibt uns viel Zeit zum Lesen und Faulenzen. Smita und Mick freuen sich jeweils aufs Kochen. Herrlich, mit
immer wieder neuen Ideen gehen sie ans Werk. Meine Apfelwähe
gerät etwas trocken, weil die Vanille-Füllung wegen einer Welle
über den Rand der Form in den Backofen geschwappt ist.
250 Meilen vor den Galapagos, der Morgen ist gerade angebrochen, wird unser Frieden plötzlich gestört: Ein Knall. Bruch des
Rollfockbeschlages am Bug. Die ganze Einrichtung bleibt in der Reling hängen. Im Auf und Nieder der Wellen knattert die Genua wie
wild. Schliesslich gelingt uns die Reparatur. Uns wird bewusst, dass
das Malheur bei viel Wind einen Mastbruch hätte zur Folge haben
können. Schleunigst setzen wir das Kutterstag, um dem Mast zu-
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sätzlichen Halt zu geben. Beim Überqueren des Äquators am 20.
Mai auf 89° West sind wir in Feststimmung. Ab sofort wird sich
nachts der Südhimmel mit neuen Sternzeichen über uns wölben.
Am 21. Mai taucht die Insel Santa Cruz aus dem Morgendunst
auf. Es ist kühl. Im Hafen Puerto Ayoras gehen wir vor Anker. Seit
die Armada von Ecuador Alejandra Villaci als Capitán de Puerto
bestimmt hat, sind Yachten wieder willkommen auf den Galapagos. Ohne Probleme bekommen wir fünf Tage Aufenthaltsbewilligung für fünfzig Dollar Liegegebühren. Noch vor einem Jahr wurden nur 72 Stunden bewilligt. Zusätzlich sind achtzig Dollar pro
Person an Bord als Eintritt in den Parque Nacional zu berappen.
Boots-Tagesausflüge (mit Mittagessen und Führer) sind für 45
Dollar zu haben.
Die Inseln sind vulkanischen Ursprungs Die Lavaformationen
gehen über Schwarz, Braun zu Rot, die Gesteinsbrocken am Boden
wirken schwer, sind aber federleicht. Es gibt Lavatunnels, die sich
durchwandern lassen. Entstanden sind sie durch Lavaströme, die
sich von aussen nach innen abkühlten.
Die Wände scheinen wie von Menschenhand geschaffen. Die Vielfalt und
Zutraulichkeit der Tiere verblüfft uns:
sogar kleine Pinguine – des kalten Humboldstromes wegen – neben Wasserund Landiguanas, Flamingos, Seelöwen,
die ab und zu von Haien angegriffen
werden, Wasser- und Riesenlandschildkröten. Ausserdem gibt es
jede Menge Vögel: Pelikane, Blaufusstölpel, Adler und Albatrosse.
Hier ist aber nicht nur für Naturfreunde gesorgt. Etwas ausserhalb der Stadt steht sogar ein kleines Freudenhaus mit Frauen aus
Ecuador. Der Taxifahrer meint lakonisch: «Bei 9000 Einwohnern
braucht es das!» Das sollte mal den Zürcher Stadtvätern zu Ohren
kommen, die sich gerade schwer damit tun, ein entsprechendes
Etablissement überhaupt zuzulassen! Hier liegt auch die «Paros»
Peter Kägis neben ein paar deutschen Booten. Schon am zweiten
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Abend werden wir vom legendären Henri, der hier den TransOcean-Stützpunkt leitet und eine Amateurfunkstation betreibt, zu
einem Grillabend eingeladen. Henri ist per Funk mit unzähligen
Seglern im Pazifik verbunden. Er unterstützt sie mit Wetterberichten und allerlei nützlichen Informationen. Peter Kägi ist auch anwesend, aber etwas unter Stress, hat sich doch seine Begleiterin Iris
entschieden, sich nach Ecuador zu begeben, um dort Spanisch zu
lernen, bevor sie nach Deutschland zurückkehren will. Und das
ausgerechnet vor dem 3000 Meilen langen Pacific Run zu den
Marquesas! Peter will sich erstmals als Einhandsegler versuchen.
Er rechnet für die Überfahrt mit bis zu dreissig Tagen. An diesem
Abend lasse ich auch etwas über das Freudenhaus verlauten.
30
Am nächsten Abend fahre ich mit dem gleichen Taxifahrer
dorthin, der mir die Auskunft gegeben hatte. Aber hol‘s der Teufel. Da sitzen doch die Männer der deutschen Boote und vergnügen sich mit den Schönen der Nacht. Was haben sie wohl ihren
Freundinnen oder Frauen erzählt, um sich frei zu machen? Sie
empfangen mich mit den Worten: «Otto, halt ja die Schnauze!»
Das verspreche ich ihnen, bin ich doch selbst froh, wenn nicht
immer alles an den Tag kommt, was ich so anstelle. Sie laden mich
zu einem Bier ein. Auch für mich sind noch fröhliche Frauen
übrig, die mich sogleich in Beschlag nehmen. Ich fühle mich in
Ländern wohl, in denen es nicht so puritanisch zugeht wie etwa
in der Schweiz. Leben und leben lassen.
Am Freitagabend vor unserer Abfahrt steigt mit der Schwedencrew der «L'Ondine» ein Abschiedsfest in der «Bar de Frank«. Um
Mitternacht wird der Generator der Insel abgestellt, und die Stadt
versinkt in diskretes Dunkel. Wir haben Kerzen bereit. Allerdings
dauert das Glück nicht lange. Die plötzlich eintreffende Polizei
verhaftet Frank kurzerhand wegen Nichtbeachtens der Polizeistunde. Wir setzen uns ab in die beiden Discos, die einen eigenen
Generator betreiben: «Five Fingers» – gehört einem Schweizer –
und «La Panga». Die Inselbewohner scheinen ein fröhliches Volk
zu sein.
Um 0230 Uhr bin ich zurück an Bord und wecke Smita und
Mick. Dann laufen wir aus zu unserem nächsten Ziel: der Isla
Santa Maria, die wir im Morgengrauen erreichen. Hier steht das
schönste Post-Office der Welt. Die Post legt man in zwei Fässer, in
der Hoffnung, es nehme sie jemand mit. Dieses Postsystem wurde
zur Zeit der Walfänger erfunden. Probehalber lege ich eine Karte
rein, adressiert an Vaimiti, die Tochter Alain Colas, die in Papeete
wohnt und die ich dort treffen möchte. Mal sehen. Tatsächlich
findet die Karte ihr Ziel, mitgenommen und weitergeleitet von
«Yachties», wie ich später erfahre.
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So sieht die «Hasta Mañana» aus
M
ein Boot – eine Engholm 40S – ist 1990 in Lars Pedersens
Werft in Dänemark entstanden und aus Stahl. VorgängerModell war die Engholm 36, von der zwölf Exemplare,
alles Einzelanfertigungen, gebaut wurden. Weshalb ich mich für
ein aus Stahlblech gefertigtes Boot entschied, hat seinen besonderen Grund. Er liegt darin, dass ich einst eine Lehre als Mechaniker
absolvierte und mir deshalb Metall besonders vertraut ist. Was für
mich aber wirklich zählte: die passive Sicherheit. Sie ist bei einem
Stahlboot beträchtlich grösser als etwa bei einer Kunststoffkonstruktion. Mit meinem Boot könnte ich zum Beispiel einen
Zusammenstoss mit einem Wal oder einem anderen unter Wasser
schwimmenden Hindernis heil überstehen oder auf ein Riff auflaufen, ohne dass es gleich sinken würde. Dazu lassen sich
Reparaturen auch an den abgelegendsten Orten machen. Ein kleiner Nachteil, doch der zählt für mich kaum, ist die
Geschwindigkeit. Ein Stahlboot ist etwas langsamer als andere.
Die «Hasta Mañana» ist, wie alle Engholms, ein Einzelmodell
und als Sloop getakelt. Ihr Designer, Knud Olson, entschied sich
für einen modernen Riss. Das Boot ist 40 Fuss oder 12,2 Meter
lang, 3,8 Meter breit und hat einen Tiefgang von 2,1 Metern. Es
hat zwei Fockbäume und Tanks für 400 Liter Wasser und 700 Liter
Diesel. Eingebaut ist ein 36-PS-Bukh-Dieselmotor. Das Boot verfügt über folgende Segelflächen:
● Gross mit Patentreff 1 und 2: 35 Quadratmeter
● Profurl-Rollgenua: 47 Quadratmeter
● eine neue Reserve-Genua: Sobstad
● Sturmsegel für das Kutterstag: 10 Quadratmeter
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Nach der Ablieferung in Dänemark rüstete ich die «Hasta
Mañana» bei Gregor Zurfluh in Brunnen noch weiter auf.
Eingebaut wurde ein Autopilot von Tecnautic (Bachenbülach),
der hydraulisch auf den Ruderquadranten wirkt. Das Boot ist von
der Navecke, beim Niedergang und ab dem Steuerstand steuerbar.
Es hat eine Radsteuerung. Weiter ausgerüstet wurde es mit einer
Elektro-Ankerwinsch von Simpson-Lawrence. Ein Bügel am Heck
dient als Antennenträger. Zum Glück war das Boot beim Kauf nur
mit einer Sailor-VHF-Anlage ausgerüstet. So hatte ich die
Möglichkeit, die Modifikation nach meinen Wünschen zu gestalten und neue Geräte zu installieren. Eingebaut ist auch folgende
Ausrüstung:
● Radar Furuno 1721
● GPS Garmin 75
● SSB-Sender/Empfänger des Typs ICOM IC-M810
● Multisystem TV-Empfang, Video, Radio, MC/CD-Player
● Barograph, Sextant
● Laptop von Texas Instruments mit Wetterfaxprogramm
und Printer
● Zeise-Dieselgenerator «Liliput» 2KW (Batterieladung, 220 V)
● Sprayhood über dem Niedergang
● Sonnensegel
● Cockpittisch
● Aussendusche
Im Innern befindet sich eine Doppelbugkabine für Gäste, ein
Salon mit U-Sofa und eine durch ein Leesegel gesicherte Sitzbank.
Dahinter hat es eine grosszügig bemessene Navigationsecke; die
Eignerkoje liegt achterlich an Backbord. Die achterliche
Steuerbordkoje wird als Stauraum benützt. In der Pantry hängt
ein zweiflammiger Gasherd mit Backofen, bedient über ein
Sicherheitssolenoid. Dort ist auch ein Elektrokühlschrank eingebaut.
Das Beiboot – ein Bombard AX 3 – ist aufblasbar und ausgerüstet mit einem 2-PS-«Malta»-Aussenbordmotor (Yamaha), Lifesling
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Engholm 40 S
Knud Olsen
D -1
owner cabin
galley
saloon
heads
forecabin
anchor well
storage
starboard bunk
nav station
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und Rettungsring mit Markierungsboje. Zur Sicherheitsausrüstung
gehören eine Rettungsinsel des Typs Atlantic für sechs Personen
von der Ballonfabrik Augsburg, vier automatische Schwimmwesten
«Crewsaver» und ein 406-MHz-Kannad EPIRP (Satellitenortung). In
einem Notfall-Container liegt folgende Ausrüstung bereit:
● Handfunkgerät ICOM M-15
● Hand-GPS Garmin 45
● Signalraketen
● Hand-Wassermacher PUR-Survivor 06
● Utensilien zum Fischen
● Signalspiegel
● Taschenlampe und Reservebatterien
● Wasserkanister im Cockpit bereit.
Die Windfahnensteuerung von Windpilot Hamburg wurde
erst kurz vor der Atlantiküberquerung in Las Palmas montiert. Sie
ist für mich zur wichtigsten Anlage an Bord geworden. Sie braucht
keinen Strom, nur von Zeit zu Zeit ein paar Tropfen Öl, und steuert mein Boot unter Segel immer zuverlässig. In Trinidad installierte ich noch den von Southwest Windpower in Flagstaff neu
entwickelten AIR-Marine-Windgenerator auf den Antennenträger.
Ebenfalls neu kam noch ein Wassermacher PUR Survivor 35 hinzu,
dank dessen ich in der Folge auf Reserve-Wasserkanister verzichten
konnte.
Meine Gesamtinvestition belief sich, alles in allem, auf etwas
über 210 000 Schweizerfranken. Der Versicherungswert für die
Kaskoversicherung wurde auf 250 000 Franken festgelegt. Für diese
Summe habe ich «viel Schiff» bekommen. Ich wollte ein Boot, das
so ausgerüstet ist, dass ich damit auch alleine segeln kann. Das
Gesamtkonzept hat sich durchwegs bewährt. Die Kosten des
Unterhalts bleiben ausserdem im Rahmen.
36
Ziel Marquesas
3000 Meilen Raumkurs
A
m Abend des 27. Mai 1995 lichten wir den Anker in der
Post-Office-Bucht der Isla Santa Maria, beäugt von neugierigen Seelöwen, mit denen wir noch kurz vorher um die
Wette geschwommen waren und natürlich verloren hatten. Vor
uns liegen 3000 Seemeilen Raumkurs nach Hiva-Oa. Das ist die
grössere Distanz als unsere Atlantiküberquerung.
Anfangs steht der Passat nicht voll durch. Wir motoren, um etwas «Süden» zu machen. Allerdings bereitet mir mein Bukh-Motor zunehmend Sorgen: Er qualmt wie eine Dampfmaschine. Anfänglich schreibe ich es schlechter Dieselqualität zu, später stelle
ich ein Ansteigen des Ölniveaus fest: Diesel im Motorenöl! Der
Entschluss ist klar: Wir dürfen den Motor nicht mehr brauchen.
Zwei Tage nach unserer Abfahrt, morgens um acht Uhr, überholen uns stolz meine schwedischen Freunde mit ihrer Swan 53
«L'Ondine». Wir kommen aber gut voran im Passat – das Segeln
macht so richtig Spass. Schon am zehnten Tag sind wir 1500 Meilen gesegelt: Halbzeit. Grund genug, eine Flasche Champagner als
«Sundowner» zu öffnen. Unsere Freude wird getrübt, als wir in
den Nachrichten von Radio Schweiz International erfahren, dass
der neue französische Präsident, Jacques Chirac, die Atomwaffenversuche im Südpazifik – wir sind im Moment 2000 Meilen vom
Mururoa-Atoll entfernt – wieder aufnehmen will. Wir haben eine
erregte Diskussion an Bord, denn wir können das irgendwie nicht
begreifen. Trotz unserer Bedrückung steigt das «Kreuz des Südens»,
diese einzigartige Sternenformation, in den Nachthimmel.
Wir segeln locker dahin. Unsere Besegelung besteht aus einer
Rollgenua, die wir zeitweise ausbaumen, und einem Grosssegel
37
mit Patentreff (1. und 2. Reff). Alles lässt sich aus dem Cockpit bedienen. Zusätzlich liegt eine Sturmfock bereit, die wir am Kutterstag setzen können. Ich halte nicht viel von Passatsegeln – mir ist
das zu kompliziert.
Zur Navigation: Heutzutage mit GPS vollzieht sich alles bequem. Vor dem Losfahren Route mit Way-Points eingeben (genau
kontrollieren, es darf keine Fehler geben), unterwegs die Positionen ablesen und in die Karte eintragen – fertig. Ich habe einen
Garmin 75 fest eingebaut und zusätzlich einen Garmin 45 (Handgerät) in Reserve. Sollten beide ausfallen oder das ganze Satellitensystem abgeschaltet werden, dann liegt ein Sextant bereit, mit
einem im Laptop vorhandenen Astroprogramm. Von Zeit zu Zeit
machen wir eine Trainingsmessung mit dem Sextanten und rechnen mit Hilfe des Nautischen Jahrbuchs die Mittagsposition
(Länge und Breite) «von Hand» aus. Das ist keine Hexerei. Ich bin
allerdings ein Freund moderner Elektronik. Als Linienpilot war ich
stets auf den modernsten Flugzeugen wie Airbus A310 und später
MD-11 anzutreffen.
Die Tage und Nächte fliessen dahin. Wie sagte doch die Seglerlegende Moitessier? «Ein langer Törn auf dem Meer ist der kürzeste Weg zu dir selbst!» Ich geniesse diesen kleinen und gleichzeitig riesigen Lebensraum. Zugegeben, es ist nicht jedermanns
Sache, auf der Karte nur Wasser zu sehen. Doch was für ein Luxus,
Zeit zu haben, und zu erfahren, wie gross der Pazifik ist!
Smita und Mick sind leidenschaftliche Backgammon-Spieler.
Oft hören wir auch klassische Musik auf unserem CD-Player oder
schauen uns abends einen Videofilm an. Meinen Lieblingsfilm,
«Top Gun», habe ich sicher schon fünfmal gesehen. Mir scheint es
wichtig, mit solchem Schnickschnack ausgerüstet zu sein. Es ist allerdings ein eigenartiges Gefühl, sich nach einem Film «in the
middle of nowhere» vorzufinden. Ich habe auch genügend Bücher
an Bord, die ich schon lange mal lesen wollte. Daneben bin ich am
Spanischlernen. Allerdings werde ich diese Sprache nicht so
schnell wieder brauchen können. Was soll‘s.
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Fliegende Fische, die nachts auf unserem Deck gelandet sind,
enden in der Bratpfanne und später in unseren Mägen. Eine herrliche Vorspeise – fliegende Fische schmecken wie Sardinen. Von
Zeit zu Zeit beisst ein Fisch an, wir schleppen einen Köder nach.
Meistens fangen wir Goldmakrelen, selten Thunfische. Je nach
Grösse braucht es etwas Geschick, einen wild um sich schlagenden Fisch an Bord zu bringen. Mit einer Dachlatte, die ich aus Hemishofen mitgenommen habe, wird er dann zu Tode gebracht.
Seine eigene Schuld. Hätte er nicht einen kleinen farbigen Tintenfisch an einer Angel schnappen wollen, wäre er am Leben geblieben.
Auf langen Passagen kommt dem Essen grosse Bedeutung zu.
Wir versuchen, uns immer wieder mit neuen Einfällen zu verwöhnen. Inzwischen habe ich das Brotbacken völlig im Griff – es
verkürzt meine Nachtwachen. Wir halten die Wachen stur durch,
obwohl wir in drei Wochen nur ein einziges Schiff zu Gesicht bekommen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!
Am 12. Juni nehmen wir uns den Motor vor. Es herrscht gerade
eine ruhige See. Ich vermute, dass via Einspritzdüsen Diesel in das
Motorenöl gelangen konnte. Wir starten mit dem Ölwechsel und
pumpen acht anstelle von normal vier Liter heraus. Dann lösen
wir die drei Einspritzdüsen aus dem Zylinderkopf und können sie
rauskriegen. Tatsächlich sind sie völlig verkokt. Sorgfältig reinigen
wir sie, setzen sie wieder ein und entlüften das Brennstoffsystem.
Gespannt machen wir einen Startversuch: Der Motor läuft wieder
ohne Rauchentwicklung. Wir haben eine Sorge weniger.
Nein, ich wusste keinesfalls, dass ich dereinst ein hochseetüchtiges
Segelboot kaufen und damit nach meiner Pensionierung auf eine Weltumsegelung gehen würde. Im Sommer 1993 zeichnete sich in meinem ach
so schön organisierten und eigentlich recht glücklichen Leben eine Wende
ab. Schon in weniger als einem Jahr konnte ich als Pilot mit 55 Jahren in
reguläre Pension gehen. Ich hatte aber auch die Möglichkeit, als MD-11Captain weiter bei der Swissair zu fliegen und meinen geliebten Beruf
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noch etwas länger auszuüben. Eine Entscheidung liess sich somit hinausschieben; ein Bedarf an Piloten war damals vorhanden.
Was sollte ich tun? Ich fragte meine engsten Freundinnen und
Freunde um Rat. Eine Lebenspartnerin hatte ich keine, ich war schon seit
über acht Jahren geschieden und damit im engsten Sinne nur für mich alleine verantwortlich. Therese, eine Freundin, meine Schwester Dor, mein
Bruder Hansruedi, meine Mutter nebst meinen Söhnen Oliver und Ronald
rieten: «Hör doch auf, du hast es lang genug gemacht! Das Leben als Pilot
hat nicht nur positive Seiten». Mein Bruder Ernst, ein Bauer, sah es ganz
klar: «Du bekommst fürs Nichtstun eine Pension – ich würde aufhören.»
Mir fiel es schwer, einen Entschluss zu fassen. Ich wurde hin- und hergerissen. Robes, mein bester Freund und auch als MD-11-Captain tätig,
formulierte es einfach: «Mach eine Beurteilung der Lage, wie im Militär,
dann fälle eine Entscheidung und komm nicht mehr auf deinen
Entschluss zurück!» Peter Fricker, ein anderer Freund, meinte spöttisch:
«Deine Sorgen möchte ich auch mal haben – du kannst zwischen zwei
Paradiesen auswählen!» Wie recht er hatte! Schliesslich schaffte ich es
Ende September 1993, meinem Chefpiloten, Alois «Wiesel» Schneider,
und unserer Personalchefin Ruth Hofer die Kündigung auf 31. März 1994
kund zu tun.
Kaum war das getan, erfüllte neuer Optimismus mein Herz. Ich begann, Pläne zu schmieden für meine Zeit als «junger» Pensionär. Vorerst
erwog ich die Möglichkeit, als «Freelance»-Instrumentenfluglehrer (aufgeboten bei Bedarf) bei der Flugschule Altenrhein anzuheuern und
während der Wintermonate als Skiguide für die Skischule Klosters Gäste
im Parsenngebiet zu betreuen. Beide Möglichkeiten erwiesen sich aber
nach genauen Abklärungen als für mein Leben zu einschneidend – sie rochen verdammt stark nach Arbeit! –, und ich fragte mich, ob ich das wirklich nötig hatte mit einer gesicherten Pension. Wohl kaum. Neue Verpflichtungen eingehen oder wirklich frei sein?
Anfangs Dezember 1993 unterzog ich die Verkaufsangebote für hochseetüchtige Segelyachten in der von mir abonnierten deutschen «Yacht»
genauerem Studium. Vielleicht sollte ich ein Boot kaufen und meinem Leben eine neue Form geben, denn ich hatte Lust, etwas Neues in Angriff zu
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nehmen. Ich stellte fest, dass allein schon in der Dezemberausgabe einige
Angebote in meinen Raster passten: Stahlbau, Sloop, ca. 40 Fuss (12 m)
lang. Erste telefonische Kontakte ergaben, dass sich Bootseigner scheinbar nur zweimal an ihrem Boot freuen: erstens nach dem Kauf und zweitens nach dem Verkauf desselben. Die mit einem Bootskauf verbundenen
Kosten – um die 200 000 deutsche Mark – liessen mich allerdings um
Hilfe schreien. Und überhaupt war ich noch nicht sicher, ob es eine gute
Idee war, ein Boot zu kaufen und loszusegeln.
Hilfe fand ich bei Gregor Zurfluh, dem Inhaber einer Bootswerft in
Brunnen am Vierwaldstättersee und einem Freund aus Starbootzeiten,
der nach seiner Lehrzeit einige Jahre als «Bootsstopper» auf den Weltmeeren unterwegs gewesen war und über einschlägige Erfahrung verfügte.
Schon beim ersten Kontakt im «Mövenpick» in Sihlbrugg bestärkte er
mich: «Otti, du hast doch nichts zu verlieren, du bist frei und ungebunden, hast ein regelmässiges Einkommen. Versuch‘s doch – vielleicht zuerst mal im Mittelmeer. Haut es nicht, so hörst du einfach wieder auf!»
Und: «Ich werde dir ein Boot finden, ich habe gute Kontakte zu Norddeutschland, Dänemark und Schweden – willst du wirklich ein Stahlboot?»
Inzwischen sind wir seit der Isla Santa Maria schon bald drei
Wochen auf See. Der Passat bläst immer schöner, bis Bf 6. Mein
Boot verträgt noch Volltuch. In 24 Stunden legen wir bis 169 Meilen zurück, allerdings geigt das Schiff stark, je nachdem, wie uns
die Wellen gerade erwischen. Das Schlafen wird problematisch.
Die Lucken müssen wir schliessen, zeitweise saust Gischt über das
Deck. Wir bereiten uns auf den Landfall bei der Insel Hiva-Oa in
den Marquesas vor. Als Unterlagen habe ich «Landfalls of Paradise» und «Charlies‘ Charts of Polynesia» (zu beziehen bei Bluewater Books and Charts, Fort Lauderdale, Florida).
Am 23. Tag sehen wir Land. Die drei Stunden entlang der erstaunlich hügeligen Insel sind ekelhaft – uns ist's eher zum Kotzen
als für euphorische Gefühle. Der Seegang, über Tausende von Meilen aufgebaut, beutelt uns. Bei Atuona in der Taa Huku Bay gehen
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wir vor Anker. Es sind etwa fünfzehn Yachten hier, die meisten aus
den USA. Das russische Bötchen «Joy», es ist nur sieben Meter
klein, hat es auch geschafft: mit Vitali, Marina und dem zweieinhalb Jahre alten Sohn Ivan an Bord. Sie brauchten 52(!) Tage, direkt von Panama. Hier, versteckt hinter einem Wellenbrecher, liegen wir ruhig vor Anker.
Nach einem Welcome-Drink und einem kurzen Schlaf gehen
wir an Land. Um zum Dorf Atuona zu kommen, machen wir Autostopp. Das ist hier so üblich. Das erste Fahrzeug hält, und wir setzen
uns auf die Ladebrücke. Die Berge um den Hafen ragen steil empor.
Sie sollen von wilden Pferden und Schweinen bevölkert sein. Wo
gehen wohl die Strassen durch? Nach dem Einklarieren in der Gendarmerie bei freundlichen
französischen Beamten steigen wir hinauf zum Friedhof,
wo Paul Gauguin 1903 im Alter von 55 Jahren begraben
wurde. Gleich nebenan hat
der belgische Chansonnier Jaques Brel 1978 seine letzte Ruhe gefunden. Gegenüber der Bucht
kann man noch sein Flugzeug sehen, mit dem er jeweils zum Einkaufen nach Papeete flog – es steht in einer Wiese. Wir geniessen die
Ruhe und die Aussicht auf die Baje Vipikai und beginnen unweigerlich zu träumen, wie es wohl zu Gauguins Zeiten ausgesehen haben mag. Was würde er wohl sagen, wenn er wüsste, was seine Bilder in der heutigen Zeit wert sind.
Nach einigen Tagen bringt uns ein Nachttörn zur Insel NukuHiva. Wir ankern in der Baje Taiohae. Hier taucht nach einigen Tagen Peter Kägi mit seiner «Paros» auf. Er hat seinen Einhandtrip
wohlbehalten geschafft. Er ist mir auch behilflich, mein Mastfall,
das im Top in einer Rolle verklemmt ist, neu einzuscheren. Die
Tage verbringen wir mit Wandern. Dann segeln wir weiter. Als eindrückliches Erlebnis bleibt uns des Vaipo-Wasserfall in Erinnerung, den wir nach einem zweistündigen Marsch von der Hakaui-
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Bay aus erreichen. Diese Bucht liegt nur zwei Stunden westlich
von Taiohae. Der nächste «Schlag» von vier Tagen bringt uns zu
den Tuamotus, den «gefährlichen Inseln», die wegen ihrer niedrigen Höhe erst spät sichtbar sind: Apataki heisst die Riffinsel, die
wir anlaufen. Wir verbringen drei herrliche Tage mit Schnorcheln.
Dort begegne ich zum ersten Mal unter Wasser einem Schwarzspitzenhai. Diese Haiart soll ungefährlich sein, aber trotzdem
schlägt mein Herz rascher. Das Tier beäugt uns neugierig, dann
dreht es ab. Im geschützten Wasser der Lagune werden schwarze
Perlen gezüchtet. Kleine Bojen weisen auf die Kulturen hin.
Zuerst begegnen wir einer jungen Mutter. Sie ist schlank, eine
Südseeschönheit und hat nur einen Makel: Beim Lachen zeigt sich
eine Zahnlücke. Aber das ist in dieser Gegend üblich und wird
nicht als negativ bewertet. Im kleinen Dorf sind die Einwohner
sehr freundlich. Die meisten, die wir auf einem Rundgang treffen,
drücken uns spontan die Hand und freuen sich, dass es uns gefällt
auf ihrer Insel. Erstaunlicherweise verkehren auf dieser kleinen Insel sogar Autos und viele Motorräder, obwohl es kaum Platz zum
Fahren hat. Scheinbar machen die Leute gutes Geld mit der Perlenzucht. Mit der Aussenwelt sind sie durch einen kleinen Flugplatz verbunden. Allerdings fliegt nur einmal pro Woche ein Flugzeug nach Tahiti, und auch das Versorgungsschiff kommt selten.
Zwei Segeltage trennen uns von Papeete in Tahiti. Wir freuen
uns schon jetzt darauf.
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Tahiti – Perle in der Südsee?
Papeete – Moorea – Huahine – Raiatea –
Tahaa – Bora-Bora
I
n der Morgendämmerung des 6. Juli 1995 taucht die Insel Tahiti auf. Wir befinden uns nördlich des Point Venus. James
Cook beobachtete hier im Jahre 1769 den Durchgang der Venus durch die Sonne. Um acht Uhr legen wir am berühmten BirHakeim-Quai in Papeete an. Ich fühle mich sauwohl – ich habe
schon über 10 000 Meilen seit meinem Start im August 1994 in
Frankreich im Kielwasser gelassen – und bin in der Südsee angelangt. Kaum liegen wir fest, bringt uns die Crew der «Broken
Wing» eine Baguette, eines dieser köstlichen, langen, dünnen
französischen Brote. Was für ein Empfang! Wir kommen gerade
recht zu den Heiva-Festspielen. Doch der Friede in Papeete
täuscht – immer wieder sind die Strassen verbarrikadiert, immer
wieder gibt es Demonstrationen der Atomwaffengegner, seit
Frankreichs Präsident Chirac für den September erneute Atomwaffentests angekündet hat.
Das zweiwöchige Heiva-i-Tahiti – ein Festival, das früher als
«Fête du Juillet» bekannt war – bringt Leute aus ganz FranzösischPolynesien nach Papeete. Sie messen sich auch in traditionellen
Tanz- und Singwettbewerben. Täglich ist etwas los. Im Hafen von
Papeete werden Ausleger-Kanurennen (Pirogen) in verschiedenen
Klassen für Frauen und Männer ausgetragen. Es gibt auch Doppelpirogen mit zweimal acht Ruderern. Das Langstreckenrennen von
Papeete nach Moorea und zurück stellt hohe Anforderungen. Der
Früchtetrag-Wettbewerb (30 oder 50 Kilo Bananen, Brotfrüchte,
Papayas an einer Stange) geht über 1900 Meter Distanz, und das
wohlverstanden barfuss. Auch das Javelin-Werfen (Speer) hat
mich beeindruckt. Das Ziel ist eine Kokosnuss auf einer Stange. Er-
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staunlicherweise gibt es Treffer, und das bei einer Distanz von
etwa dreissig Metern.
Das wichtigste Ereignis ist der Bastille-Tag am 14. Juli, der an
den Fall der Bastille in Paris an diesem Datum im Jahre 1789 erinnert, als die Französische Revolution auf dem Höhepunkt war. Allerdings will keine richtige Feststimmung aufkommen – bei den
französischen Kriegsschiffen wird für ein unabhängiges Polynesien
und gegen die Atomwaffenversuche demonstriert, und die Parade
der französischen Armee muss in einer Nebenstrasse stattfinden.
Was in Papeete sofort auffällt, sind die hübschen Frauen, oft
mit einer Hibiskus-Blüte im Haar oder mit einer Couronne (Blumenkranz) um den Hals oder Kopf. Mir haben es die schlanken
Schönen mit einem Schuss Chinesenblut angetan.
Meistens bin ich abends mit Peter Kägi unterwegs, den ich
hier natürlich auch wieder treffe. In der Regel beginnen wir im
«Prince Hinoi», einem Spielcasino mit Gratisdrinks, sofern man
spielt und dabei etwas Geld verliert. Im «Royal» wird am Freitagund Samstagabend zu einheimischer Musik getanzt. Die Viermannband heisst «Te Ava Piti». Ich liebe diese einschmeichelnde
Musik. Öfters sind es die Frauen, welche die Männer zum Tanzen
auffordern. Sofort gehen sie auf Körperkontakt. Wehe, wenn man
einen falschen Schritt macht. Sie sagen sofort, wie man zu tanzen
hat. Trotzdem geniesse ich die Art, wie sie tanzen – das Wiegen
mit den Hüften beherrschen alle. In den diversen Discos hat es
überwiegend junge französische Soldaten, und die Konkurrenz ist
gross. In der «Pianobar» und im «Club 5» halten sich Transvestiten auf, die übrigens in der ganzen Südsee als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft gelten. Sie sind als Frauen gekleidet und
nur schwer von echten Frauen zu unterscheiden. Vorsicht ist also
geboten! Im «Café de Sport» geht's rustikaler zu und her, dafür kostet das Bier nur halb soviel wie an anderen Orten. Von der Tanzfläche aus kann man den Männern beim Pinkeln zuschauen – es
hat keine Türe. Auch verschwindet von Zeit zu Zeit ein Pärchen
in der gleichen Toilette.
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Hier in Papeete trifft man Segler aus aller Welt. Allerdings sind
fast alle mit Reparaturarbeiten beschäftigt. Es bleibt wenig Zeit für
Kontakte – alle wollen weiter. Den meisten Seglern ist es hier ohnehin zu teuer. Auch ich muss kräftig in die Tasche greifen, sind
doch der Kurzwellensender, der Radar und mein Laptop zu reparieren. Immerhin wird alles bestens erledigt.
Kurz nach der Ankunft suche ich Vaimiti Colas auf, die Tochter des berühmten französischen Seglers Alain Colas. Die Adresse
hatte ich mir von Ruth und Milo Chappuis aus Lausanne geben
lassen. Alain Colas, geboren 1943, entdeckte erst mit 23 Jahren
das Segeln während eines Aufenthaltes in Sydney. Er machte
seine Seglerlehrzeit bei Eric Tabarly und kaufte schliesslich dessen Trimaran «Pen Duick IV». 1970 segelte er nach Tahiti und
lernte dort die Südseeschönheit Teura kennen, die spätere Mutter Vaimitis. Der Gewinn der Transat 72 – solo von Plymouth
(GB) nach Newport (USA) – machte ihn berühmt. Sein Buch «Un
tour de monde pour une victoire» wurde ein Bestseller. Die «Pen
Duick» taufte er auf «Manureva» (reisender Vogel) um und
machte damit 1973/74 eine Soloweltumseglung um die drei
Kaps in 169 Tagen. 1975 hatte er einen Seglerunfall, verlor beinahe sein rechtes Bein und blieb gehbehindert. Die Transat 76
segelte er allein mit der unglaublich langen 72-MeterEinrumpfyacht «Club Méditerranée» und verlor nach Stürmen
und Materialproblemen gegen seinen Lehrmeister Eric Tarbarly.
Schliesslich wollte er es 1978 an der Transatlantik-Regatta
«Route de Rhum» nochmals wissen: mit der inzwischen zehn
Jahre alten «Manureva». Mitten auf dem Atlantik, nach einem
Zyklon, blieb er verschollen. Vaimitis Freund Vehere bringt uns
in Kontakt mit seiner Familie. In der Südsee bedeutet das Familienleben viel. Oft wohnt die ganze Sippe in mehreren Häusern
auf einem Grundstück. Geheiratet wird oft erst, nachdem schon
einige Kinder geboren sind.
Nun heisst es auch Abschied nehmen von meiner Crew, Smita
und Mick, die mich den ganzen Weg von Trinidad begleitet ha-
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ben. Sie wechseln auf die holländische 22-Meter-Yacht «Sensation». Meine neue Begleiterin heisst Doris und ist eine gute Freundin, mit der ich zuhause Starbootregatten gesegelt bin. Ich freue
mich darauf, ihr das Hochseesegeln etwas näher zu bringen. Am
24. Juli hole ich sie zusammen mit Peter Kägi mit Blumenkränzen
bewaffnet am Flughafen mit dem herrlichen Namen Faaa ab.
Auch Peter bekommt einen Begleiter für die nächsten zwei Wochen, Dani, ein Skilehrer aus St.Moritz. Er kommt mit demselben
Flugzeug an. Lustig, Doris und Dani lernten sich beim Warten in
Los Angeles kennen. Wir beginnen mit einem «Welcome»- Drink
auf der «Hasta Mañana». Es gibt viel zu erzählen. Der neue Tag
bricht bereits an, als wir uns endlich schlafen legen.
Doris und ich wollen zusammen nach Neuseeland segeln. Ihre
ersten Hochseemeilen macht sie auf einem Wochenendtörn Papeete-Moorea, wo wir von Veheres Familie zu einem Erdofenessen
auf der Ile Fareone vor dem Club Méditerranée eingeladen sind.
Bei dieser polynesischen Art des Garens werden in einem Erdloch
zuerst Lavasteine mit einem Feuer erhitzt. Auf die heissen Steine
legt man dann ein in Bananenblätter eingewickeltes Ferkel. Darüber werden Taro, Plantains – das sind Kochbananen – und spinatähnliche Taroblätter ausgelegt. Dann deckt man den «Ofen»
mit Sand ab und lässt das Kochgut etwa drei Stunden schmoren.
Der grosse Schmaus – es wird von Hand und ohne Besteck gegessen – dauert den ganzen Nachmittag. Anlass dieses Festessens ist
der erste Geburtstag eines Mädchens in der Familie. Der erste Geburtstag hat in der Südsee eine spezielle Bedeutung. Am Montag
segeln wir nach Papeete zurück.
Kaum zurück, steigt ein neues Fest. Wir feiern den ersten August und laden auch Frédérique und Vincent ein, die aus der französischen Schweiz kommen und mit der Stahlyacht «Shipibo» unterwegs sind. Ebenfalls dabei ist der Journalist Werner Bringold,
auch ein Schweizer, der für «Les Nouvelles de Tahiti» arbeitet. Danis mitgebrachte Lampions schaukeln in der Abendbrise, eine
echt schweizerische Dekoration.
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Wir sind aber auch tagsüber aktiv. In einer Zweitagestour bezwingen wir den 2066 Meter hohen Aorai. Leider hüllt sich der
Gipfel in Wolken. Der Aufstieg ist hart und schafft uns. Zu unserem Bedauern wird unsere Mühe nicht belohnt: Die Sicht bleibt
verhangen. Tahitianer sieht man selten auf dieser Tour. Für sie ist
sie offensichtlich zu anstrengend!
Nach einem Monat in Papeete machen wir uns langsam für
das Weitersegeln bereit. Ich nutze noch die Gelegenheit, mich
nach Marquesas-Art am linken Oberarm tätowieren zu lassen.
Viele Männer und auch Frauen sind
in der Südsee tätowiert. Zusammen
mit Peter treffe ich einen jungen
Mann aus den Marquesas, der uns in
die Kur nimmt. Auch miete ich beim
Aeroclub auf dem Flughafen Faaa
(alle A werden ausgesprochen) eine
Piper PA-28. Zum ersten Mal seit meiner Pensionierung als Linienpilot habe ich wieder ein Flugzeugsteuer in der Hand. Wir
überfliegen die Strecke, die wir anschliessend segeln wollen –
Moorea, Huahine, Raiatea, Tahaa – und landen schliesslich auf
Bora-Bora. Herrlich, diese Lagune aus der Vogelperspektive zu betrachten. Es ist angeblich die schönste Lagune der Welt. Das Wasser schimmert türkis, dunkelblau, hellblau und grün, je nach Wassertiefe und Sonneneinstrahlung. Nach einem kurzen Halt fliegen
wir nach Tahiti zurück.
Der Abschied von Raa, Veheres Vater, und dessen liebgewonnener Familie naht. Vollzählig – sogar mit einem vor einigen Tagen geborenen Säugling – ist die Familie beim Ablegen dabei. Jedes Familienmitglied und auch jedes Kind überreicht uns einen
Muschelkranz. Ich kämpfe gegen die Tränen. Sogar in der Zeitung
«Les Nouvelles de Tahiti» erscheint ein kleiner Artikel mit Abschiedsfoto von «WB».
Das Segeln von Insel zu Insel im Passat macht so richtig
Freude. Für Doris ist es die Gelegenheit, sich langsam an das Leben
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unterwegs auf einem Boot zu gewöhnen. Schliesslich erreichen
wir Bora-Bora. Die hohen Preise machen uns den Abschied von
Französisch-Polynesien leicht. Unser nächstes Ziel: Rarotonga, das
zu den Südlichen Cookinseln gehört.
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Macht Langstreckensegeln wirklich Spass?
Bora-Bora - Rarotonga American- und Western Samoa
M
eine Trauminsel, Bora-Bora, versinkt hinter der Kimm.
Die schönste Koralleninsel der Welt? Die Wirklichkeit
zeigt ein anderes Gesicht. Französisch-Polynesien ist
sehr teuer geworden. Im Bora-Bora-Yachtclub kostet eine Mooringboje für eine Yacht um die 28 Dollar, es sei denn, man konsumiert im Restaurant für etwa gleich viel. Service für die Yachties gibt es so gut wie keinen. Trotzdem haben wir ein positives
Erlebnis: Wir hängen ein paar Tage hinter einem, Toopua Iti genannten, Inselchen. Die «Pura Vida» mit Vreni und Toni Caviezel
aus Schiers – ich hatte sie in Papeete kennengelernt – und ihrem
Sohn Reto liegt ebenfalls dort. Dazu die «Phönix» aus Österreich
mit Ulla, Karl und zwei Söhnen. «Was die Einheimischen können, das können wir auch», überzeugt uns Toni: «Lasst uns einen
Erdofen bauen.» Die «Phönix»- Crew mit dem schnellsten Beiboot wird zum Einkaufen bestimmt, die anderen buddeln das
Erdloch aus. Tatsächlich, das Resultat darf sich sehen lassen, allerdings kommen wir erst kurz vor dem Eindunkeln zu unserem
gut gelungenen Festschmaus.
Unser neues Ziel heisst Avatiu Harbour auf Rarotonga der Südlichen Cookinseln. Nach vier Tagen (für 450 Meilen) mit launischen Wind- und Wetterverhältnissen steuern wir die Hafeneinfahrt an und legen uns an die Mole. Es ist Samstag, der 2.
September 1995. Helfende Hände von anderen Yachten sind bereit – der Empfang ist herzlich –, und Hafenmeister Don Silk begrüsst uns mit einem «Welcome to Avatiu! Have a good time. Customs and immigration will arrive soon.» Doris gefällt es auf
Anhieb. Hier liegen dreissig Yachten, meistens vor Buganker und
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Heckleine im Tahiti-Stil. Der Schwell ist beträchtlich, besonders
bei nordöstlichen Winden.
Am Sonntagmorgen organisiert die amerikanische «Ruquca»Crew ein gemeinsames Frühstück mit Flohmarkt. Das Birchermüsli von Doris findet reissenden Absatz. Sofort entstehen Kontakte zu Seglern aus aller Welt. Das habe ich bis jetzt noch nie in
diesem Ausmass erlebt. Am Sonntagabend steht ein «Pot-LuckDinner» auf dem Programm: Jeder bringt etwas mit. Damit entsteht ein internationales Buffet. Meine Schweizer Speckrösti findet
hungrige Mägen.
Am 5. September feiert Doris ihren 31.
Geburtstag. An Bord meiner «Hasta Mañana»
haben wir «open house», und es geht hoch zu
und her. Inzwischen ist auch die «Pura Vida»
mit Vreni, Toni und Reto eingetroffen. Lustigerweise feiert Sarah von der amerikanischen
Yacht «Balamar» am gleichen Tag Geburtstag.
Sie ist 18 Jahre alt. Unsere Festfreude wird allerdings durch die Tatsache des ersten französischen Atomtests im Mururoa-Atoll an diesem Tag getrübt. An der Pier hängen drei Segelboote aus
Neuseeland. Sie wollen sich der Protestflotte ausserhalb der 12Meilen-Zone in Mururoa anschliessen.
Doris, die seit Papeete auf meinem Boot ihre ersten Meilen auf
See segelt, empfindet das Langstreckensegeln als langweilig. Für
ihren Geschmack sind die Kontakte mit anderen Seglern zu selten
und die jungen Leute zu dünn gesät. In vielem hat sie natürlich
Recht. Hat man jemanden kennengelernt, so heisst es bald wieder
Abschied nehmen. Jeder segelt seine eigene Route nach seinem
Zeitplan, aber früher oder später trifft man sich immer wieder entlang des «Coconut Milk Run», wie die Barfussroute durch die Südsee auch genannt wird.
Die langen Überfahrten sind für viele Segler ein Gräuel. Wache
schieben ist mühsam. Mit einer kleinen Crew schläft man auch
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unregelmässig. Bei uns geht es am besten mit zwei Wachen: einer
von 19 bis 01 Uhr und einer zweiten von 01 bis 07 Uhr. Doris
übernimmt die erste und ich die zweite. Das sind lange Zeiten, die
aber einen sechsstündigen Schlaf ermöglichen. Ohne Ausguck zu
segeln, behagt mir auch nicht, obwohl das oft praktiziert wird. Das
ewige Geschaukel macht auch das Kochen mühsam, doch der Appetit hält sich meistens auch in Grenzen. Mein Boot findet unter
Windfahnensteuerung, abgesehen von kleineren Korrekturen, seinen Weg selbst. Je nach Wind muss mal gerefft werden, ansonsten
ist tatsächlich nicht viel zu tun. Es kann also schon langweilig
werden.
In Avatiu habe ich die Gelegenheit ergriffen, andere Crews
übers Langstreckensegeln auszufragen. Kerry segelt mit Peter, einem Schweizer, auf der englischen Yacht «Mythra». Auf meine
Frage lachte sie: «Sailing just hates me. » Sie leidet bei den Überfahrten ungemein, will aber trotzdem mit Peter segeln. Vreni von
der «Pura Vida» liebt die Überfahrten auch nicht
gerade. Auf SSB hatte ich eine Diskussion
zwischen den Besatzungen der österreichischen
Yachten «Que Sera» und «Rubinsky» mitgehört:
Sie bestätigten einander, dass das Segeln mühsam
und nur vor Anker oder im Hafen schön sei. Vor
allem bei Ehepaaren war die Antwort oft: «Mein
Mann hat mich jahrelang eingeseift, bis ich mitmachte.» Es gibt aber auch Einhandseglerinnen wie die Deutsche
Susanne. Sie segelt mit einem kleinen Hund auf der Ketsch
«Glory». Sie ist Funkamateurin und auf den einschlägigen
Kanälen anzutreffen. Ihr macht das Segeln offensichtlich Spass.
Immerhin ist sie schon drei Jahre unterwegs. Besonders hier im
Pazifik ist der Passat tatsächlich unregelmässig oder überhaupt
nicht vorhanden und das Wetter unbeständig. Es regnet häufig,
vor allem auf den Inseln. Ich selbst nehme die Dinge so, wie sie
kommen, und mache mir wenig Gedanken. Diese Lebensform behagt mir, zumal ich die Seekrankheit nur aus Büchern und Erzäh-
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lungen kenne. Anker auf und lossegeln erfüllt mich mit einem besonderen Gefühl, so wie: Let's go, auf geht's zu neuen Ufern! Was
Kontakte betrifft, so überlasse ich das dem Zufall. Ich suche eher
Kontakt zur Lokalbevölkerung, wodurch ich viel über die Sorgen
und Freuden der Einheimischen erfahre.
Rarotonga ist eine saubere Insel mit Tourismus-Infrastruktur
und hauptsächlich Gästen aus Neuseeland. Es gibt schöne Wandermöglichkeiten, zum Beispiel quer über die Insel am 415 Meter
hohen «Needle» vorbei, was wir zusammen mit der «Pura Vida»Crew tun. Reizvoll ist es auch, mit einem Mietrad entlang der Südostseite der Insel zu fahren. Dort gibt es prächtige Strände und –
bei Muri – auch Schnorchelmöglichkeiten. Nach einer Woche
möchte ich weiter mit Ziel American Samoa. Harbourmaster
Don Silk meint: «Es ist gut, jetzt loszusegeln – das Wetter ist stabil.» «Das sagst du wohl jedem,» bemerke ich. «Nun, damit mache ich den Seglern Mut.» Er hat übrigens ein Buch geschrieben –
«Kauri trees to sunlit seas» – über sein Leben als Segler und als Kapitän von Frachtschiffen im Pazifik.
Es heisst wieder einmal Abschied nehmen. Für Doris ungewohnt, für mich bereits Routine. Früher oder später wird man sich
wieder treffen. Anfangs bläst wenig Wind – also Motor an. Nach
24 Stunden auf See kommt Wind auf, eher mehr, als uns lieb ist.
Bald sind es 25 Knoten. Also Reff 1. Später legt der Wind nochmals
zu: bis 40 Knoten (mehr als Bf 8). Das hält während der nächsten
Tage an. Mit Doris segle ich gerne. Sie hat keine Angst und kennt
mein Schiff gut. Sie hat genügend Kraft und würde auch den nächsten Hafen finden, sollte ich verloren gehen. Dazu macht sie ihre
Wachen, obwohl sie sich zeitweise nicht wohl fühlt. Es ist fast wie
Starbootsegeln: Das Gross haben wir ausgefiert und die Genua
ausgebaumt. Ich habe keinen Spinnaker. Diese Segelstellung können wir dann für einige Tage einhalten, was Spass macht. Stundenlang beobachte ich auf dieser Überfahrt die Wellen, brechende
Kämme, glitzerndes grünes Wasser. Wir brauchen genau fünfmal
24 Stunden für diese 750 Meilen. Kurz vor der Einfahrt sehen wir
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unseren ersten Wal. Mit einem lauten Klatschen taucht er ab. Was
für ein Schauspiel!
Der Hafen von Pago Pago in American Samoa gefällt uns nicht.
Dazu bläst es vor Anker mit bis zu 35 Knoten. Der «Rainmaker
Mountain» macht seinem Namen alle Ehre. Es regnet oft. Prompt
rutscht der Anker auf dem schlechten Grund. Beim Raufholen
hängt allerhand Plastikmüll daran. Ein Vorteil hat Pago Pago aber:
gute Einkaufsmöglichkeiten. Der Diesel kostet nur dreissig USCents pro Liter. Schon nach drei Tagen segeln wir weiter nach Western Samoa. In Apia angekommen, dauert das Einchecken fast einen ganzen Tag – wir werden wie ein grosses Schiff behandelt. Vier
verschiedene Beamte kommen an Bord: von den Zoll-, Einwanderungs-, Gesundheits- und Landwirtschaftsbehörden. Schon morgens um zehn nehmen sie gerne ein Bier, und alle sind sehr nett.
Wir ankern vor dem berühmten «Aggie Grey's» – Hotel. Liegt man
um acht Uhr noch in der Koje, so wird man kurz vorher mit
Marschmusik geweckt, denn täglich schreitet die Polizeimusik in
Wickeljupes gekleidet zum Gerichtsgebäude, um dort den Aufzug
der Staatsflagge zu begleiten.
Western Samoa war einst eine deutsche Kolonie. Deutsche Namen weisen darauf hin, wie zum Beispiel «Otto's Reef Bar». Bevor
es soweit war, hatten sich die Deutschen mit den Amerikanern
und den Briten um die Inseln gebalgt. 1889 kam es vor Apia zu
Konflikten. Die versammelten Kriegsschiffe wurden jedoch Opfer
eines Wirbelsturmes. Sechs Schiffe sanken und rissen hundert Seeleute in den Tod. Am 1. März 1900 wurde die deutsche Flagge gehisst. 1914 besetzte dann Neuseeland die Inseln, und seit 1962 ist
Western Samoa unabhängig. Die Berlinerin Barbara und der Zürcher Christian führen in Apia das kleine Restaurant «The Rainforest» und leiten den Trans-Ocean-Stützpunkt. Sie sind daran, im
ersten Stock ein kleines Museum über die deutsche Vergangenheit
einzurichten. Von ihnen erfahren wir viel über die «Fa'a Samoa»,
die samoanische Lebensart. Die Insulaner leben nach alten Traditionen in Grossfamilien (Aiga). Der Haushaltvorstand (Matai)
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sorgt für seine Familie, erwartet aber absoluten Respekt und Gehorsam. Damit haben aber auch hier junge Leute ihre Mühe. Angeblich soll hier die höchste Selbstmordrate der Welt unter Jugendlichen herrschen. Barbara und Christian zeigen uns die Insel
mit einer intakten Natur, Regenwald und stiebenden Wasserfällen. Wir fahren durch viele Dörfer. Die Häuser (Fale) haben keine
Wände – man sieht in jedes Haus. Hineinzublicken ist allerdings
unanständig. Alles Land ist in Familienbesitz. Will man ein Foto
schiessen oder an den Strand, so kostet das einige Talas. Abends,
kurz vor dem Einnachten, treiben die Männer alle Kinder nach
Hause zum abendlichen Gebet und Nachtessen. Kinder hat es in
Fülle, denn hier gilt
ein Mann erst mit
mehr als sechs Kindern als richtiger
Mann. Die Stellung
der Frau scheint im
ganzen pazifischen
Raum eher untergeordneter Art zu
sein. Die Männer
entscheiden, was läuft. Hier in Western Samoa sind die Frauen gegenüber Fremden besonders zutraulich. Kontakte sind leicht herzustellen – allerdings kommt vielleicht bei einer Einladung die
ganze Familie mit. Im Night Club «Mount Vaea» meint die mandeläugige Lynn, als ich sie zu einem Drink einlade: «Ja gerne, aber
ich habe noch drei Cousinen dabei, die wollen auch einen Drink.»
Nach sehr günstigem zollfreien Einkauf (eine Stange Zigaretten zu 7.50 Dollar und die Büchse Bier zu 30 Cents) setzen wir am
21. September 1995 die Segel mit Ziel Tonga. Das Anlaufen von Samoa hat sich gelohnt, zumal ich von dort eine Karte an meinen
«Shanty Singers»-Chor in Steckborn senden konnte – jahrelang
hatten wir vom Mädchen Tayona aus Samoa gesungen!
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Tiere an Bord: Freud und Leid
Western-Samoa – Niuatoputapu – Tonga
Vava'u-Group
A
m 26. September 1995, abends um sieben, verlassen wir
Apia. In die Nacht hinaus zu segeln, braucht immer etwas
Überwindung, aber wir wollen unser neues Ziel – Niuatoputapu, das auf halbem Weg zwischen Samoa und Tonga liegt – nicht
nachts erreichen. Doris übernimmt die Navigation (GPS und Radar) und steuert das Boot via Autopilot von der Navecke aus. Die
Navigation ist anspruchsvoll, weil wir noch einigen Riffen ausweichen müssen. Ohne GPS wäre das nachts gar nicht möglich. Ich
bin Ausguck und Segeltrimmer. Um Mitternacht erreichen wir das
offene Meer und damit auch den Passat aus Ost mit fünf Beaufort.
Leider ist er verbunden mit rauem Seegang, was Doris zwingt, sich
hinzulegen und sich etwas an die Verhältnisse zu gewöhnen. Ich
übernehme die Nachtwache. Wir kommen schnell voran, und wie
vorgesehen taucht am übernächsten Morgen Niuatoputapu in der
Morgendämmerung auf. Wir haben die Datumsgrenze überfahren
und haben jetzt Freitag anstatt Donnerstag.
Vier Boote liegen vor Falehau. Diese Insel wird selten von Yachten besucht, weil es von hier aus oft schwierig ist und Kreuzen erfordert, um Neiafu anzusteuern. Falehau hat keinen elektrischen
Strom, also auch keine Kühlschränke, Fernseher oder Videos und
wenig Autos. Die Einwohner leben in einfachen Hütten. Freilaufende Hühner, Hunde, Schweine und Pferde tummeln sich an einigen Wasserstellen und beleben das Dorfbild. Die Insel hat drei Dörfer mit total 1300 Einwohnern und, wie üblich in der Südsee, viele
Kirchen. Hier sind es neun. Die Glaubensbekenntnisse sind vielfältig. Die einen sind Katholiken, andere Mormonen oder Adventisten. Tuinyua, der zweite katholische Priester, zeigt uns sein Dorf.
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Schule und Anbauflächen liegen etwas abseits. Einkaufen kann man
im Dorf nur dann, wenn das Versorgungsschiff einläuft. Das Nötigste wird selbst angebaut. Um sich etwas Geld zu verschaffen, verkaufen die Frauen aus Pandanusblättern geflochtene Matten. Diese
dienen als Schlafunterlagen, aber auch als Kleidungsstücke. Der
Ta'ovala wird um den Körper geschlungen und mit einem aus Kokosnussfasern geflochtenen Band zusammen gehalten.
Der Zoll kommt abends in Gestalt einer Frau und einem Mann.
Er kontrolliert unsere Vorräte und möchte etwas Alkohol für seinen
Sonntagskuchen, sie einige Konserven. Eine Flasche Whisky geht
drauf, dafür werden wir zum einmal im Jahr stattfindenden «Feast»
(Festessen) der katholischen Kirche eingeladen. Am Samstagmorgen sind die Familien damit beschäftigt, einen möglichst üppigen
Beitrag zum nachmittäglichen Essen bereitzustellen. Ferkel werden
am offenen Feuer gebraten, die Erdofen mit Taro, Yams, Brotfrüchten und Bananen gefüllt und zur Nachspeise Kuchen aller Art gebacken. Die Gestelle mit den Köstlichkeiten werden im Gemeinschaftsraum aufgestellt, die «Yachties» bekommen einen Platz
zugewiesen, und nach der Segnung und dem Tischgebet durch den
Priester beginnt das grosse Essen. Wir werden wie Freunde behandelt. Die Insulaner sind glücklich und freuen sich, dass wir ihr Essen mögen und zünftig zulangen. Nach etwa zweieinhalb Stunden
ergreift der Priester das Wort. Die Gemeinde singt und betet, und
die Resten des Essens – mehr als die Hälfte – werden an die anwesenden Familien verteilt. Die «Yachties» erhalten ihren Teil: einen
Korb mit einem Ferkel und anderen Köstlichkeiten.
Anschliessend versammeln sich die Männer zum Kava-Trinken.
Um Kava herzustellen, werden die Wurzeln der Pfefferpflanze gemahlen und mit Wasser angerührt. Tuinyua lädt uns ein, uns in der
Runde niederzulassen. Eine Schale macht die Runde. Das Gebräu
enthält keinen Alkohol, schmeckt eher wie Abwaschwasser und erzeugt ein taubes Gefühl im Mund. Immer wieder melden sich Männer zu Wort und erzählen Geschichten, die wir leider nicht verstehen können. Meinen Wortbeitrag lasse ich übersetzen und ernte
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damit das Wohlwollen der Gemeinschaft. Selbstverständlich besuchen wir am Sonntag den katholischen Gottesdienst. Frauen, Männer und Kinder sind in schönster Tracht herausgeputzt. Die Kirche
ist übervoll. Sie hat keine Bänke, und alle hocken am Boden. Mit
dem Schneidersitz habe ich eher meine Mühe. Von der Predigt verstehen wir nichts, aber die mehrstimmigen und häufigen Gesänge
brauchen keine Erklärung. Nach dem Kirchgang verschwinden alle
zum Mittagessen. Am Nachmittag geben sie sich dem Schlaf hin,
und abends versammeln sie sich zum zweiten Mal in der Kirche.
Was mich in der Südsee immer wieder erstaunt, ist die unglaubliche Gastfreundschaft. Ich werde auch zu einem Tanzabend
der Mormonenkirche eingeladen. Dieser findet in einem Klassenzimmer statt. An der Stirnseite sitzt der Discjockey , entlang den
Wänden stehen Stühle bereit. Der Raum ist mit Strom aus der
hauseigenen Generatoranlage grell beleuchtet. Beim ersten Takt
der alten Musik ab Schallplatte oder Musikkassette strömen Weiblein und Männlein in die Mitte und beginnen zu tanzen. Wie in
der Südsee üblich, ergreifen die Frauen die Initiative. Ich tanze mit
Jüngeren und Älteren, mit Schlanken und weniger Schlanken, mit
Hübschen und weniger Hübschen. Mache ich mal einen Fehltritt,
dann zeigen sie ungeniert ihre Schadenfreude. Nach jedem Musikstück lässt man den Tanzpartner stehen und sucht sich einen
neuen. So herrscht ein stetes Geläufe. Zum Trinken gibt es nichts,
nicht einmal Wasser. Ich muss meinen Durst in der Toilette stillen.
Punkt halb elf ist Schluss. Mitten im gerade laufenden Stück reisst
der Oberhirte dem Discjockey den Stecker aus der Dose, was mit
Händeklatschen quittiert wird. Am nächsten Tag überbringe ich
dem Discjockey einige Musikkassetten, damit er etwas moderner
werden kann.
Blenden wir nochmals zurück ins Jahr 1994, in die Zeit unserer Atlantiküberquerung. 151 Boote waren am neunten ARC-Rally in Las Palmas am Start gewesen, darunter zehn Schweizer Boote. Nach neunzehn
Tagen und einigen Stunden auf See näherte sich unsere Fahrt dem Ende.
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Meine englische Begleiterin «Pippa» tanzte wie verrückt auf dem Vorschiff meiner 40-Fuss-Stahlsloop «Hasta Mañana» herum. «We did it,
we did it!» frohlockte sie. Es war dunkel, 0215 Lokalzeit, 4 Beaufort aus
Ost. Die ersten Lichter St. Lucias tauchten vor uns auf. Wir waren drei
an Bord: neben Philippa, die ich «Hand gegen Koje» mitgenommen hatte,
auch mein Schwager Reini Küng. Mit uns liefen neun Yachten ein. Dass
wir die Ziellinie in der Rodney Bay passiert hatten, hörten wir über Funk
mit der Begrüssung: «Congratulations – welcome to St. Lucia.» Wir bargen die Segel, warfen den Motor an und schipperten durch den Kanal in
die Rodney Bay Marina. Reini war am Ruder, Pippa am Funk, ich als
Skipper war fürs Grobe zuständig. Im Hafen war ein Riesenfest im Gange.
Musik, Welcome Drinks und ein gutes Gefühl, an diesem Anlass teilgenommen zu haben. Der Rang nach Handicap bedeutete wenig, vielmehr war es darum gegangen, die Herausforderung anzunehmen, den
Atlantik per Segelboot zu überqueren.
Schon der Start der 151 Yachten zum Atlantic Rally war zu einem
Volksfest im Hafen von Las Palmas geworden. Einmal unterwegs, waren
die Wetterbedingungen während der ersten zwölf Tage ideal. Allerdings
erreichten wir den NE-Passat erst nach vier Tagen. Es ging dann zügig
voran, bei Bf 4-5, manchmal – meistens nachts – auffrischend bis auf Bf
6. Täglich gaben die Teilnehmer ihre Positionen auf SSB-Funk durch (Roll
call). In den letzten Tagen erlebten wir wechselhaftes Wetter, zeitweise
mit Regen und nur noch Bf 2-3. Die
erst in Las Palmas angebolzte
«Windpilot»-Windfahnensteuerung
hielt uns präzis auf Kurs. Mit dem
Boot hatten wir unterwegs keine
technischen Probleme, und es herrschte eine gute Stimmung an Bord,
obwohl Reini anfangs etwas gegen die Seekrankheit kämpfen musste.
Pippa war unterhaltsam. Auf halbem Weg schrie sie plötzlich auf:
«It‘s coming!» «What‘s coming?» fragte ich. «A poem», antwortete sie
und rannte zum Kartentisch, um sich Notizen zu machen. Das Resultat
lag nach einigen Tagen vor: ein erotisches Gedicht für die vier jungen
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Männer auf der «Morangie», einer am Rennen teilnehmenden Yacht.
Nach einem «Roll call» setzte Pippa ihr Gedicht per SSB an die «Morangie-Boys» ab, mit dem Resultat, dass sie nach unserer Ankunft diverse
Kopien los war und sogar von der Rennleitung einen Sonderpreis bekam.
Das alle Jahre stattfindende ARC wird durch Jimmy Cornells World
Cruising Ltd in London organisiert. Vor dem Start wurde in Las Palmas
ein dreitägiges Seminar durchgeführt, das erstmals auch für Nicht-ARCTeilnehmer offen war. Themen waren Astronavigation, Route Planning,
Erste Hilfe, Leben an Bord und Überleben auf See. Zum Abschluss fand
noch eine Rettungsdemonstration statt. Auch für Partys und ein Feuerwerk
am Vorabend des Starts blieben noch Zeit.
Nach kurzweiligen und interessanten Tagen in Falehau laufen
wir aus Richtung Süden mit Ziel Vava'u in der nördlichen Inselgruppe von Tonga. Das sind 160 Meilen. Der Passat hat eine
südöstliche Richtung. Wir schaffen es gerade, die Hauptinsel anzuliegen, denn das Meer ist unruhig, und die «Hasta Mañana»
bockt in den Wellen. Kaum auf offenem Wasser, bekommt Doris
die Härte des Ozeans zu spüren. Seewasser schwappt über das Boot
und dringt durch die noch nicht geschlossene Decksluke in ihre
Koje. Das fängt gut an.
Gegen Abend am 3. Oktober 1995 laufen wir in Neiafu ein,
am Hauptort von Vava’u. Doris schnappt eine Boje in der Nähe
des «Paradise-Hotels». Viele uns bekannte Yachten liegen hier,
und die neuesten Geschichten machen zur «Happy Hour»-Zeit
die Runde. Die zweimotorige «Quest» aus Südafrika hat unterwegs von Samoa ihren zweiten Maxprop im Wert von 2500
Dollar verloren. Sie muss auf Slip, um einen neu eingetroffenen
Propeller anzubringen. Den werden die Südafrikaner wohl besser
sichern. Wohl oder übel müssen sie vorerst einmotorig weiter.
Die Schweizer «Pura Vida» hat Getriebe-, Alternator- und Kühlschrankprobleme, etwas viel auf einmal. Auf meinem Boot spukt
der Kühlschrank auch – ein loser Kontakt ist die Ursache. Am
nächsten Tag werden die Einklarierungshürden genommen. In
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meinem «Länderlexikon für Fahrtensegler» heisst es: «Hunde und
Papagaien werden getötet, andere Tiere kommen in Quarantäne.
Obst und Gemüse werden beschlagnahmt.» Was hat wohl Erich
auf der «Rubinsky» mit seinem Hund gemacht? Hier stellt sich die
Frage, welchen Sinn es macht, ein Tier an Bord zu haben. Weil der
Auslauf sehr eingeschränkt ist, bereitet man zweifellos auch dem
Tier keine Freude. Sie dürfen in den Häfen niemals an Land, teilweise nicht mal an Deck. Speziell Neuseeland handhabt die Gesetze sehr genau und bestraft Verletzungen zu Recht mit hohen
Gebühren. Erich will unbedingt nach Neuseeland und erwägt,
seinen Hund nach Hause zu schicken.
Andere Crews passen ihre Routen den für Tiere geltenden Regeln an und laufen deshalb viele Orte nicht an. Sie verbringen die
Hurrican-Saison zum Beispiel in Fidschi, wo die Bestimmungen
weniger streng sind als anderswo. So oder so: Tiere bringen meistens Probleme mit sich. Die Freuden, die ein kleiner Begleiter
bereitet, wiegen – wie ich meine – die Nachteile kaum auf. Ein
amerikanischer Einhandsegler musste in Galapagos seinen Schäferhund töten. Dessen Lebensraum an Bord der Yacht war dermassen eingeschränkt, dass er kaum mehr gehen konnte. Hundebesitzer führen oft an, ihre Begleiter
seien gute Wächter. Das mag sein, auf
jeden Fall muss man sich aber gut überlegen, ob ein Tier auf einem Boot mitfahren soll.
Doris und ich haben ein anderes
Problem: In Neiafu übernehmen wir
ein neues Crewmitglied: Paul Steinemann mit dem Studentennamen «Pirat», einen alten Freund, mit dem ich
vor dreiunddreissig Jahren die Ingenieurschule in Winterthur besucht und Elektrotechnik studiert hatte. Er lebt in Neuseeland und
ist ein angefressener Segler. Er wird uns nach Whangarei auf der
Nordinsel begleiten. Da wir beide angegraute Haare haben, ist
65
Doris öfters dem Spott ausgesetzt, im Stile von: «Heh Doris, wie
geht‘s mit deinen Pensionären?» Tatsächlich wurde auch Paul
kürzlich in den Ruhestand versetzt. Er fügt sich gut in unsere Crew
ein, allerdings scheint ihm das Essen wichtig, denn er hat jede
Menge Fleisch eingekauft. Statt eine grosse Mahlzeit pro Tag stehen jetzt zwei auf dem Menüplan. Doris hat aber keine Lust, für
uns die Hausfrau zu spielen. So werden alle drei abwechslungsweise zum Kochen verknurrt. Die Arbeitsteilung ist ein altes Problem auf Yachten. Vor allem bei Paaren spielt der Mann öfters den
Skipper, die Partnerin ist vollwertiger Vorschoter und muss noch
den ganzen Haushalt an Bord besorgen, wohlverstanden ohne Geschirrspüler und Waschmaschine. Unter solchen Umständen
kann ich gut verstehen, dass manchen Frauen das Segeln zum
Halse heraushängt.
Hier in Neiafu ist die Mooring-Charterfirma vertreten. Ihr
Guide für die Vava'u-Gruppe ist hervorragend. Es hat sich auch die
Sitte eingebürgert, anstelle von Inseln nur noch von Nummern zu
sprechen. Das erleichtert die Kommunikation ungemein, obwohl
diese Ausdrucksweise unromantisch ist. Wir machen uns auf, dieses durch Riffe geschützte Inselrevier mit vielen unbewohnten Eilanden zu erkunden. Es gibt sehr schöne Ankerplätze mit Sandstränden und tollen Schnorchelmöglichkeiten. Unter Wasser ist
viel los: Neben Korallen in allen Farben lässt sich ein Reichtum an
Fischen bestaunen. Taucht jedoch ein Hai auf, so wird es mir eher
mulmig in der Magengegend. Paul als erfahrener Taucher meint:
«Du musst dich nur ruhig verhalten und nicht mit den Armen
fuchteln, dann passiert nichts.» Die Abende vertreiben wir mit
Kartenspiel, Videos oder Gesprächen über vergangene Zeiten oder
das Leben in Neuseeland, wo Paul schon dreissig Jahre ansässig ist.
Am 10. Oktober treffen sich viele Yachten vor der Insel Kenutu. Hier führt die Berlinerin Joanna zusammen mit ihrem einheimischen Freund Moses die «Berlin-Bar». Es gibt jede Menge
Fisch zum Nachtessen, und die Crew der «Amblers» – Stan am
Keyboard und Cora am Saxophon – spielen zum Tanz auf. Die
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Stimmung ist ausgelassen: ein richtiges Seglerfest. Wie schön,
viele bekannte Gesichter wiederzusehen! Joanna führt auch ein
Tourist-Resort, in dem man zwischen Baum-, Doll- oder Coconuthaus wählen kann. Die Anlage ist in einheimischen Baustil unter
den Palmen entstanden und jederzeit einen Besuch wert. Es besteht eine Bootsverbindung nach Neiafu, die zum Einkaufen rege
benutzt wird. Hier treffen wir auch unsere kalifornischen Freunde
Doris und Denny der «Balamar», die mit ihren drei zwischen zwölf
und achtzehn Jahre alten Kindern nach Neuseeland unterwegs sind. Auf meine Frage
nach dem Wohlbefinden antwortet Doris: «Just great.» Das
ist typisch für die optimistische
Lebenseinstellung der Amerikaner. Ein Schweizer oder ein
Deutscher würde antworten:
«Es gefällt uns hier, aber es ist zu heiss, das Wasser ist trübe, man
sieht wenig Fische beim Schnorcheln.» Denny veräusserte seinen
Anteil an einer Anwaltspraxis seinem Partner, kaufte ein Boot, vermietete das Haus in Carmel in Kalifornien, und dann ging die
Reise los – mit der ganzen Familie. Die Kinder absolvieren ein
Ferngymnasium. Alles nach dem Motto: «Just do it. Make the best
out of it.»
Die Tage vergehen wie im Fluge. Wir segeln schliesslich zurück
nach Neiafu. Das Einkaufen und Ausklarieren vollzieht sich reibungslos. Nach einem letzten Fest in der «Bounty-Bar» setzen wir
am 14. Oktober die Segel, um Suva anzulaufen. Wir wären schon
am Freitag, dem 13. auslaufbereit gewesen, aber einen Start an einem solchen Tag lasse man als Segler besser bleiben. Etwas Aberglaube darf sein.
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Ende des «Coconut Milk Run»
Tonga – Suva – Mamanuca-Inseln
Yasawa-Gruppe - Lautoka – Whangarei
A
uf der 420-Meilen-Überfahrt von Tonga nach Suva stimmt
einfach alles: Unser Kurs ist West, und der Passat weht mit
konstanten fünf Beaufort aus Ost. Wir wählen den kürzesten Weg durch die relativ schmale Oneata-Passage. Das Wetter
ist schön. Die Dreiercrew ergibt Wachen von drei Stunden und
sechs Stunden Ruhe, genügend Zeit, um das zu machen, wozu
man gerade Lust hat. Die Segelstellung ist immer die gleiche:
Gross an Steuerbord und die Genua backbord ausgebaumt. Das
Timing stimmt. Im Morgengrauen erreichen wir die Passage, begleitet von Delphinen, die mit uns um die Wette schwimmen.
Paul ist erstaunt, wie präzis meine Windfahnensteuerung das
Boot auf Kurs hält. Wir befinden uns in der mit Riffen gespickten Korosee. Hier in dieser Gegend hat schon öfters eine Weltumsegelung an einem der Riffe ein abruptes Ende gefunden.
Nach dreieinhalb Tagen laufen wir in die Bucht von Suva der Insel Viti Levu ein. Auf VHF-Kanal 16 werden wir angewiesen, uns
an die Kings Wharf zu legen. Der Immigration Officer erscheint
in Gestalt einer jungen hübschen Frau mit indischen Gesichtszügen. Nächste Station ist der Zoll. Diverse Formulare sind in
mehrfacher Ausführung auszufüllen. Immerhin erhalte ich
Kohlepapier. Der immense Papierkrieg scheint ein Überbleibsel
der englischen Kolonialzeit zu sein. Ich nehme das Ganze gelassen und stelle mir vor, dass es wohl auch nicht ganz einfach
wäre, mit einem Boot in die Schweiz einzureisen.
Dann fällt der Anker vor dem Royal Suva Yachtclub. Wir
kommen gerade recht zur «Happy Hour» an der Clubbar. Das
Bier kostet nur einen halben Fidschi-Dollar oder fünfzig Schwei-
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zer Räppli. Gegen einen kleinen Beitrag kann man alle Clubeinrichtungen benützen. Das Restaurant ist hervorragend und sehr
günstig.
Suva ist eine kosmopolitische Stadt mit 175 000 Einwohnern.
Der indische Einschlag ist unübersehbar. Um die Jahrhundertwende
wurden indische Arbeiter für die Zuckerplantagen ins Land gebracht. Als der Anteil der Inder mit der Zeit die Anzahl der Fidschianer zu übertreffen drohte, kam es öfters zu Spannungen. Seit 1970
ist Fidschi unabhängig. Wie schön, wieder einmal in einer grossen
Stadt zu sein, wo das Leben pulsiert und die Polizisten weisse, unten
gezackte Jupes tragen. Alles ist zu kaufen, aber um alles muss gefeilscht werden – es geht zu wie auf einem Bazar. Der Markt ist besonders am Samstagmorgen sehenswert. Er überquillt förmlich von
angebotener Ware und Menschen. Ruhe findet man im gut einer
halben Stunde entfernten Tholo-i-Suva Forest Park.
Ich folge dem Weg entlang dem Waisila-Creek durch dichten
Regenwald. Immer wieder lädt ein Süsswasserpool zum Bade.
Aber Vorsicht, es sollen schon Touristen ausgeraubt worden sein,
während sie sich im Wasser tummelten! Am untersten Pool angelangt, beobachte ich eine Gruppe junger Fidschianerinnen, die
T-Shirts und Hosen übers Badkleid anziehen, nicht etwa um wegzugehen, sondern um zu baden. Im ganzen Südseeraum baden
die einheimischen Frauen in Kleidern. Die Missionare haben offensichtlich ganze Arbeit geleistet.
Hier in Suva verlässt Doris mein Schiff. Wir sind etwas später
dran als vorgesehen, und sie möchte lieber genügend Zeit haben,
um Neuseeland kennenzulernen, bevor sie zum Windsurfen nach
Australien weiterreist. Ich kann gut verstehen, dass sie das Flugzeug der Reise per Boot von etwa zehn Tagen vorzieht, zumal es
beim Ansteuern Neuseelands ziemlich rau zu und her gehen kann
und sie ein Ticket hat. Sie beschenkt mich mit einem mehrfarbigen Schirm. Er soll mich vor Regen, Sonne und allen bösen Geistern schützen. Trotzdem fällt es mir schwer, mich von Doris zu
verabschieden.
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Nach einem ausgiebigen Abschiedsfest steche ich mit Paul zusammen in See. Wir segeln entlang der Südküste in Tagesetappen.
Wir wollen zuerst dem Musket Cove Yachtclub auf der westlich
Viti Levus gelegenen Insel Malolo-lailai – was für ein schöner
Name! – einen Besuch abstatten.
Ich mache mich mit gemischten Gefühlen auf diese Reise. Zwei
Skipper an Bord sind nie gut, aber nach ein paar Reibereien werden
wir ein richtiges Team, ja im Laufe der weiteren Reise sogar richtig
gute Freunde, die sich geradezu ergänzen. Nach einer Riffpassage
im MCYC angekommen, legen wir uns an eine Clubboje. In der
Marina liegt die Mooring-Charterflotte Fidschis. Es hat sogar einen
kleinen Flugplatz mit Verbindungen zum Nadi Airport. Hier wird
mir mal wieder meine Liebe zum weiblichen Geschlecht zum Verhängnis. Nachts um halb zehn habe ich ein Rendezvous mit der
Fidschianerin Liku. Ich mache mich mit meinem Beiboot und einer Flasche Rum Richtung Hafen auf den Weg. Ich weiss genau, ich
muss mich in der Mitte des Kanals halten, die durch zwei rote Peillichter markiert ist. Nun, ich fahre wohl etwas schnell und kürze
Richtung Steg etwas ab. «Ratsch!» Ein ekelhaftes Kratzen und das
Zischen rasch entweichender Luft erschüttern mein Dinghy. Schon
bin ich am Schwimmen und versuche, den Motor abzustellen und
ihn vor dem Eintauchen ins Wasser zu retten. Schliesslich schaffe
ich es, mein lädiertes Bötchen an einer Palme festzumachen. Eine
Seite sieht aus, wie mit dem Messer aufgeschnitten. Ich bin doch
tatsächlich auf einen Korallenblock aufgefahren! Etwas abgekühlt
und bis auf die Knochen durchnässt, mache ich mich mit der geretteten Rumflasche auf zu meinem Treffen mit Liku. Trotz allem
erlebe ich einen gelungenen Abend. Liku wird meine Freundin, wenigstens für die Zeit meiner Anwesenheit auf dieser Insel. Die Reparatur meines Beibootes hält uns hier fest. Das dazu nötige Material muss aus Suva eingeflogen werden – schliesslich hat das ganze
Malheur auch noch einen «Pfnüsel» (Erkältung) zur Folge.
Während der Wartezeit ergreife ich die Gelegenheit, mit einer
herumstehenden Cessna-172 der Pacific Flying School einen Flug
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zu unternehmen. Schön, wieder mal selbst zu fliegen. Ich brauche
die Flugstunden auch, um mein Privatpilotenbrevet erneuern zu
können. Paul scheint sich an Bord des Flugzeuges nicht ganz wohl
zu fühlen, besonders, wenn ich zum Fotografieren das Fenster
öffne. Aus der Vogelperspektive sind alle Riffe gut zu erkennen.
Wir fliegen bis hinauf zur «Blue Lagoon» in der Yasawa-Gruppe,
wo wir noch hinsegeln wollen.
Dann verlassen wir das
schöne Revier um Musket Cove
und segeln – oder besser motoren – Richtung Norden. Vor dem
Dorf Soso auf der Insel Naviti gehen wir vor Anker. Hier leben
die Fidschianer noch nach traditioneller Lebensweise. Als Fremder ist man angehalten, beim Dorfältesten vorzusprechen und als
Geschenk Yagona (Kavabier) mitzubringen. Nach einem warmherzigen Empfang wird uns das ganze Dorf gezeigt. Alle grüssen
uns mit einem fröhlichen «Bula» (Grüezi). Hühner und Schweine
laufen frei herum. Die Frauen waschen natürlich von Hand. Die
Küche ist eine Hütte mit offenem Feuer. Es gibt weder Strom noch
fliessendes Wasser. Das Gemeinschaftsbad ist ein Süsswasserpool
am Ende des Dorfes.
Nach einer schwierigen Riffpassage mit Paul am Ruder und mir
im Ausguck folgen wir weiter unserem Kurs Richtung Norden und
erreichen die «Blue Lagoon». Dort liegt die Turtle Island Lodge auf
einer Insel, die der exzentrische Amerikaner Richard Evanson 1972
für 300 000 Dollar gekauft und nach und nach zu einem exklusiven
Ferienort ausgebaut hat. Er beherbergt nur englisch sprechende, gemischte Paare in 14 Bungalows und nur für mindestens sieben Tage.
Pro Nacht und Paar blättert man satte 690 Dollar hin, doch ist in
diesem Preis wirklich alles inbegriffen: vom Champagner über
sämtliche Getränke bis zu einsamen Stränden nur für zwei. Der
Transfer vom internationalen Flugplatz Nadi per Flugboot kostet
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noch zusätzlich 500 Dollar. Richard Evanson verspricht seinen Gästen auch, dass sie garantiert keine Fremden zu Gesicht bekommen.
Da sind wir entschieden fehl am Platz! Aber wir lassen es darauf ankommen und gehen an Land. Mit einer Schale Kava in der Hand
fängt uns ein älterer Herr ab: «Hi, my Name is Richard. What are
you looking for?» Wir fragen, ob es hier eine Bar habe. Richard gibt
uns etwas Kava zum Trinken und erläutert uns sein Reich. Anschliessend bittet er uns freundlich, seine Insel zu verlassen.
Am nächsten Tag segeln wir nach Lautoka. Wir müssen einkaufen und Diesel und Wasser tanken. Das Ein- und Auschecken
braucht etwas Zeit, dann starten wir in Richtung Neuseeland. Hier
in Lautoka kann man übrigens in der Werft am Hafen sein Boot
hurricansicher eingraben lassen. Der Kiel wird eingebuddelt und
die Yacht in den Sand gestellt. Ob das im Ernstfall funktioniert?
Die 1100-Meilen-Reise nach Neuseeland wird zu einem Vergnügungstörn, zumindest während der ersten neunzig Prozent
der Strecke. Ein reiner Männertörn hat auch was Gutes. Wir segeln
am Rand eines stationären Hochs mit Wind aus östlicher Richtung um die vier Beaufort, später auf Nord drehend und durchwegs angenehmem Meer. Allerdings wird es mit zunehmender
südlicher Breite kühler. In
Neuseeland ist es Frühling.
Die Barfussroute ist zu Ende,
warme Socken müssen her.
«Pirat», mein Mitsegler, entpuppt sich als gewiefter Seemann, wie von einem Neuseeländer kaum anders zu
erwarten ist. Er ist auch
fähig, per Sextant in nützlicher Frist einen Astro-Fix hinzukriegen.
Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Das Wetter
verschlechtert sich, und es beginnt zu regnen. Wir schalten den
Radar ein, sobald wir uns der Küste und damit den Schifffahrtsrouten nähern. Die Sicht beträgt kaum eine Meile. Es sind keine
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Schiffe zu sehen, jedoch auf dem Radarschirm, der auf den 8-NMRange eingestellt ist, haben wir fünf klare Echos. Einem Schiff
müssen wir sogar mit Hilfe des Radars ausweichen, ohne es je gesehen zu haben. Jedenfalls ist mir etwas klar: Ohne mit einem Radar ausgerüstet zu sein, würde ich mich nie aufs Meer wagen.
Es passiert in der letzten Nacht auf See. In einer auf acht Beaufort auffrischenden Böe beginnen wir zu reffen. Zu spät. Die «Hasta Mañana» legt sich auf die Seite, der Grossbaum taucht ins Wasser ein, bricht und klappt zusammen. Das wirkt wie eine
automatische Reffeinrichtung. Das Glück im Unglück: Wir haben
nur noch einige Stunden unter Segel vor uns. Wir runden Bream
Head (Bream = eine Fischart) bei Anbruch des neuen Tages, dann
fahren wir unter Motor auf dem Hatea River hinauf nach Whangarei. Nach dem Anlegen am «Customs & Ministry of Agriculture
and Fishery Wharf» verholen wir ins Town Basin. Es ist Freitag, der
10. November 1995. Ich flippe aus, denn zum ersten Mal betrete
ich neuseeländischen Boden. Wir lassen die Champagnerkorken
knallen.
Mit der Ankunft in Neuseeland hat sich für mich ein langgehegter Traum erfüllt. Die Langstreckenseglerei gefällt mir ausserordentlich gut und entspricht genau dem, was ich in meiner gegenwärtigen Lebensphase gerne mache. Ich möchte die Leser mit
ähnlichen Träumen dazu ermuntern, die Segel zu hissen und loszufahren. Zugegeben, so etwas braucht Zeit und etwas Geld, aber
es geht auch mit einem kleineren Boot und weniger Komfort.
Kaum zu glauben, vor genau einem Jahr war ich in Las Palmas mit
den Vorbereitungen fürs Atlantic Rally ARC 94 beschäftigt. Inzwischen habe ich die halbe Erde umsegelt und seit August 1994
schon über 14 000 Meilen auf dem Log.
Paul, der mit seiner Familie in der Mairangi Bay in Auckland
wohnt, verabschiedet sich. Seine Frau, Nelly, ist auch eine Schweizerin und arbeitet als Ärztin mit eigener Praxis in der Nähe ihres
Wohnortes. Ihre 17jährige Tochter ist pferdeverrückt und öfter bei
ihrem Pferd als zu Hause anzutreffen. Bei ihnen geniesse ich spä-
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ter einige Tage grosszügige Gastfreundschaft, bevor ich mich aufmache, die Nordinsel etwas kennenzulernen und auch die ersten
Reparaturen an meinem Boot vorzunehmen. Gegen Ende November taucht Doris wieder auf, die mich von Tahiti ein Stück des
Weges bis nach Fidschi begleitet
hat, um ihr auf dem Boot zurückgelassenes Gepäck abzuholen.
Wir erleben ein paar schöne Tage
zusammen. Während Doris noch
weiter auf dem Fünften Kontinent bleiben will, plane ich
meine alljährlichen Weihnachtsferien in der Schweiz. Deshalb besorgt Doris Weihnachtsgeschenke, obwohl es in Neuseeland erst
Frühling ist. Ich verspreche ihr, dass ich, was immer sie einpackt,
wie abgemacht bei ihren Eltern in Wagenhausen abliefern werde.
Kurz bevor ich abfliege, feiere ich noch meinen 57. Geburtstag.
Obwohl mein Kopf am nächsten Morgen noch etwas brummt,
verlege ich die «Hasta Mañana» zum «Dockland 5», wo mein Boot
per Travellift auf das Land oder «on the hard», wie es hier heisst,
befördert wird.
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Legende fotos
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Im April 1994 wird die »Mañana» von Oslo nach Egå in Dänemark überführt:
v.l.n.r. Hans Jørgensen, Otto Schmid (der Autor), Gregor Zurfluh aus Brunnen und
Peder Mathiasen (vorheriger Teileigner)
Auf der Insel Espalmador bei Ibiza: Ob dieses Schlammbad Otti wohl gut tun wird?
«Hasta Mañana» unterwegs: zwischen Gibraltar und Las Palmas
erstmals auf dem Atlantik
«Junior Parade of Bands»: am Karneval von Trinidad
Robyn: Leidenschaft von zerstörerischer Sprengkraft
Der Hafenkommandant von Puerto Ayora: Alejandro Villacis
mit einer deutschen Seglerin
Im Trinidad and Tobago Yacht Club: «Absolutely no credit!»
Im Panamakanal: Die beiden Deutschen Smita und Mick bilden die neue Crew
Der 27. Mai 1995 ist denkwürdig: Auch die «Hasta Mañana»
verewigt sich beim Post Office
Hiva Oa: Nach 23 Tagen auf See bergen Smita und Mick die Segel
Atuona auf den Marquesas: Paul Gauguin ruht an einem schönen Ort
Smita im einstigen Eingeborenen-Look
Im Sand von Tortuga: Patenkind Melissa auf Besuch
Smita ist vielseitig talentiert: auch beim Kuchenbacken
Unterwegs nach Trinidad: v.l.n.r. Christine und Oliver (Sohn und Freundin) und
die beiden Mitsegler Herbert aus Österreich und Linda Perusko aus England
Im Panamakanal: Ebenfalls unterwegs ist die «Dreamtime» aus Florida (rechts)
Isla Santa Maria auf den Galapagos: die schönste Post der Welt
Apataki auf den Tuamotos: ein Schnorchelparadies
Moorea: Bei solchen Bildern werden Südseeträume Wirklichkeit
In Papeete getroffen: Peter Kägi mit seiner «Paros» von Basel
Maurea in Papeete: Hier verbirgt sich weibliche Schönheit nicht
Die Starflotte Bodensee lässt grüssen: Ganzkörper-Sonnenschutz
Heiva-i-Tahiti-Festival in Papeete: Heiata rudert für das Moorea-Pirogenteam
Trinidad: müder Nachwuchs für den Karneval
Doris Fricker aus Wagenhausen: Sie sammelt auf der «Hasta Mañana»
ihre ersten Hochsee-Erfahrungen
Papeete: Zurück bleibt die Familie von Raa
Papeete: Otto Schmid als Sponsor des Pirogen-Teams Moorea
Bei Bora Bora: die beiden Schweizer Vreni und Toni Caviezel mit ihrer «Pura Vida»
Apia: Barbara und Christian führen das Restaurant «Rainforest»
Bereit zum Festschmaus: grillierte Ferkel
Port Vila: Kristy aus Melbourne ist leicht zu führen
Papeete 1995: Bei einer Demonstration gegen die Atombomben
schlagen die Wogen hoch
Abschiedsgeschenk von Doris: Es soll vor Regen, Sonne und
allen bösen Geistern schützen
Papeete: Vaimiti, Alain Colas Tochter
Pfefferpflanzen-Wurzeln: der Rohstoff für den Kava
Bewährt: der Heckbügel als Montage-Plattform
Marovo-Lagune: Kinderbesuch
Hollyford Track: unterwegs in Neuseeland
Am Tonga Rally: Debbie ist ein unterhaltsames Crewmitglied
Von Port Vila nach Tanna: eine Stunde mit der einheimischen Airline
Mount Cook in Neuseeland: Susi geniesst einen Heli-Rundflug
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Neiafu auf Tonga: ein schwimmender Händler
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Überbordende Natur: Überall leuchten Frangipani-Blüten
44/45. An der Südküste Tasmaniens: unberührte Natur. An den Stränden
gleisst der Sand wie Schnee
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Malolo-Lailai: idyllischer Musket Cove Yachtclub
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Nouméa: Maité fühlt sich wohl an Bord der «Hasta Mañana»
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Atata Island: am Ziel des Tonga Rally
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Fidschi: Ankerbucht vor dem Royal Suva Yachtclub
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Melaleuca auf Tasmanien: Der South Coast Track ist mit Flugzeug erreichbar
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Port Vila: Am Unabhängigkeitstag findet eine Regatta statt
52.
Nouméa: Ukulele in Aktion
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Vao/Ile des Pins: Wie überall in der Südsee haben die Missionare ihre Spuren in
Form vieler Kirchen hinterlassen
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Von der Ile des Pins nach Port Vila: Die 320-Meilen-Strecke mit ausgebaumter
Genua in zweimal 24 Stunden geschafft
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Port Vila auf Vanuatu: Blick auf die Insel Iririki
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Apia auf Westsamoa: Aufmarsch der Polizeiband zum
allmorgendlichen Fahnenaufzug
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Galapagos: Boutique in Puerto Ayora
58.
Fidschi: die Blue Lagoon in der Yasawa-Gruppe
59.
Kai-Tak-Flugplatz in Honkong: meine letzte MD-11 Landung
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Ile Fareone: Versteckspiel im Sand
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Port Vila: Die Polizeiband eröffnet das grosse Fest des
17. Unabhängigkeitstages Vanuatus
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Neukaledonien: Port Moselle in Nouméa
63.
Expo 98 Rally: Die «Best of Boingo» nimmt am Rennen um die Welt teil
64.
Port Vila: Peter Kägi war auf dem Markt — heute gibt es frischen Salat
65.
Port Vila: Zuerst drohte Gefängnis, doch alles verläuft in Minne. Nach der
Gerichtsverhandlung kommen Ankläger John (links) und Pflichtverteidiger
Reynold zu einem Besäufnis an Bord der «Hasta Mañana»
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In Port Vila aufgegabelt und für alles zu haben: Loritta (rechts) und Rose
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Neukaledonien: Port Moselle ist eine moderne und sichere Marina
68/69. Pferderennen von Port Vila: Heather gewinnt den Preis der
«bestangezogenen Ni-Vanatu». Rechts von ihr die Gewinnerinnen des
Gruppen-Wettbewerbes
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Samoa: Debbie und Chris hinterlassen einen Talisman zum Abschied
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Vanuatu: Klein-Robinson hat Durst
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Cairns: Für Susi ist das Segeln «Fun», aber noch mehr liebt sie das Klettern
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«Hasta Mañana» ist eine beliebte Unterhaltungsstätte:
Eine besondere Attraktion sind die Videos an Bord
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Australien: Blick auf den Ankerplatz von Horn Island
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Schöne Erinnerung: sympathische «Waterfront»-Crew in Port Vila
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Beim Einhandsegeln bleibt keine Zeit zum Rasieren
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Airlie Beach/Australien: Begegnung mit der neuesten Olympiaklasse-49er-Jolle
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Hoher Norden Australiens: Thursday Island in Queensland
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Uréparepara/Vanuatu: Luke feilscht hartnäckig um ein Seil für seine Kuh
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Australien: Autostopp mit Ziel Alice Springs
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Vanuatu: In Ranon entstehen Tamtams
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Papeete: Vehere, Peter Kägi und Otto Schmid versuchen ihr Glück in einer Piroge
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Australien: Low Islet liegt vor Port Douglas
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Achtung: Krokodile!
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Mooloolaba-Yachtclub in Australien
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Tonga – Rally
Neuseeland – Tonga
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Boote segeln am Tonga-Rally 1996 über tausend Seemeilen von Neuseeland nach Atata Island. Der Start erfolgt am 4. Mai unspektakulär um 1000 Uhr vor dem
Opua Cruising Club. Kein Knallen wie bei Regatten-Starts sonst üblich, kein Hupen. Lautlos steigen Ballsignale beim Clubhaus, und
die Boote gehen auf die Reise. Um so ausgelassener ist die Stimmung an Bord der Boote. Sirenengeheul, Jauchzen oder Brüllen
schallen übers Wasser.
Das Ziel liegt über tausend Meilen nördlich auf der Atata-Insel, einige Meilen entfernt von Nuku'alofa, dem Hauptort von
Tonga. Wir haben herrliches Herbstwetter. Ein Hoch liegt westlich der Nordinsel. Das Hoch dreht auf der Südhalbkugel links
herum. Somit können wir mit achterlichen Winden um 15 bis
20 Knoten rechnen. Besser kann es gar nicht sein. Wir tragen die
T-Shirts der Island Cruising Association von Auckland. Organisatoren dieses Anlasses sind Joan und Brian Hephurn. Das Startgeld betrug 250 neuseeländische Dollar oder etwa 200 Franken.
Dafür wird viel geboten. Ich segle mit einem jungen englischen
Paar: Debbie und Chris aus Plymouth. Während Chris viel Hochseeerfahrung hat, befindet sich Debbie auf ihrer ersten Hochseereise. Die beiden haben mich kurz vor der Abreise in Whangarei
angequatscht: «Hey mate, do you need a crew?» Dieses Angebot
kam mir gerade recht. Ursprünglich wollte ich mit zwei
Mädchen segeln. Nun ist das anders, auch egal.
Kaum haben wir die offene See erreicht, spielt sich die Bordroutine ein: Wachen im Dreistunden-Rhythmus, Kochen, Schlafen oder Lesen. Debbie hält sich ganz gut. Jedenfalls wird sie nicht
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seekrank und versprüht eine ansteckend gute Laune. Die beiden
Engländer machen einen Video, und es gibt viel zu lachen.
Morgens um 0833 und abends
um 1833 Uhr geben wir unsere Position an die Regattaleitung via
Taupo-Radio durch. 33 Boote sind
unterwegs: drei aus den USA, eines
aus der Schweiz, fünf australische
und 24 neuseeländische. Teilweise
starteten sie in Auckland oder nördlich davon in Opua – es handelt sich
um eine Cruising Rally, und es wird nicht einmal eine Rangliste erstellt. Es ist gut, wieder auf See zu sein.
Ein knappes halbes Jahr ist verstrichen, seit ich – am 10. November
1995 – in Neuseeland angekommen bin. Wie üblich feierte ich Weihnachten in der Schweiz und den achzigsten Geburtstag meiner Mutter am
23. Januar. Von uns Kindern wünschte sie sich eine Reise nach Hongkong, bevor es 1997 an China zurückfiel. Schon im Februar betrat ich
zusammen mit ihr wieder einmal den Boden der einstigen Kronkolonie.
Mutter genoss es, diese interessante Stadt kennenzulernen. Wir besuchten
auch Stefan Müller, den Sohn meines Nachbarn in Hemishofen, der dort
zusammen mit Liza, seiner Freundin aus den Philippinen, lebt. Nach
einer guten Woche sorgte ich dafür, dass sich meine Mutter am richtigen
Schalter der Swissair anstellte – ich flog zwei Stunden vor ihr mit Ziel
Neuseeland ab.
Aotearoa – das Land der langen weissen Wolke – wie es die Maori nennen, die Ureinwohner Neuseelands, zählt 3,5 Millionen Einwohner, bei einer siebenmal grösseren Fläche als die Schweiz. Etwa eine Million lebt in
und um Auckland, «the City of Sails». Die Kiwis sind unglaublich stolz,
dass es ihnen 1995 gelang, den America's Cup, das wichtigste Ereignis des
Regattasports, zu gewinnen. Unübersehbar sind auch die über siebzig Millionen Schafe, welche die Inseln bevölkern. Ein herrliches Land! Die Natur, vor allem auf der Südinsel, hat mich stark beeindruckt. Die Neu-
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seeländer sind im allgemeinen freundlich und hilfsbereit – in den Touristikregionen versuchen sie allerdings alles, um einem das Geld aus der Tasche zu locken. Mit verschiedenartigsten Angeboten wie Bungy Jumping –
auch vom Helikopter aus –, River-Rafting, Jet-Boating, Kajakfahren.
Mit Susi, einer jungen Schweizer Freundin, versuchte ich, noch unberührte Natur zu finden. Wir folgten dem Hollyfordtrack, den man von
Te Anau aus erreicht. Er verläuft über 59 Kilometer bis zur Martins Bay.
Wir wanderten an die sechs Stunden täglich rauf und runter durch feuchten Regenwald bis zur nächsten Hütte. Wenige Tramper
waren unterwegs, und wir
waren meist allein. Dazwischen nahmen wir ein erfrischendes Bad im See. Das
musste schnell gehen, weil die
bissigen Sandfliegen unerbittlich angriffen. Es regnete oft. Die Brücken über reissende Flüsse bestehen
aus drei Drahtseilen, eins unten, zwei oben. Es braucht etwas Mut, sich
den schwankenden Seilen anzuvertrauen. Die Hütten sind sauber. Gaskocher, Essen und Schlafsack muss man mitbringen. Am fünften Tag liessen wir uns von Russel mit einer Cessna der Air Fjordland an den Ausgangspunkt zurückfliegen – etwas snobistisch, aber praktisch.
Als nächstes nahmen wir uns den bekannten Milfordtrack vor: 54 Kilometer in vier Tagen zum Milfordsound. Hier war alles organisiert. Vierzig Wanderer sind pro Tag unterwegs. Man muss den vorgegebenen
Marschrhythmus einhalten und darf kaum anhalten, auch bei schlechtem Wetter nicht, denn die nächsten vierzig folgen auf den Fersen. Herrliche Wasserfälle tosen über Felswände. Der höchste Punkt ist der
Mackinnon Pass mit 1154 Metern. Nebel, stürmischer Wind. Wir sahen
nichts. Schade, leider mussten wir weiter. In den Hütten ging es turbulent
zu und her. Es ergaben sich viele persönliche Kontakte und Kartenspiele
mit Leuten aus aller Welt. Trotzdem gefiel uns die Einsamkeit des Hollyfordtrack besser. Susi flog viel zu schnell wieder in die Schweiz. Kurz
befielen mich Heimwehgefühle. War ich etwa verliebt?
105
Es blieb mir wenig Zeit für Gefühle, denn ich musste die «Hasta
Mañana» für die nächste Etappe bereit machen. Mein Schiff stand im
Dockland 5 in Whangarei auf dem Trockenen bei Gay und Dave Culham. Die Yachties verlebten dort einige kurzweilige Wochen. Gay war wie
eine Mutter zu uns. Es wurde gemalt, über zu teure Ersatzteile geflucht,
gefestet, und Stories über die Seglerei machten die Runde. In Neuseeland
muss jedes Boot einen Sicherheitscheck über sich ergehen lassen, bevor es
das Land verlassen darf. Das ist in einer Stunde erledigt und kostet 75
NZ-Dollar. Die meisten Segler empfinden diesen Check als Schikane. Am
21. April organisierte ich eine «Splash-Party», und darauf wurde die
«Hasta Mañana» per Travellift wieder ihrem Element übergeben : No
cash – no splash! Ohne Bezahlung kein Einwassern; so einfach ist das
auch in der Seefahrt. Einige Tage blieben wir noch in der Whangarei Marina. Bevor wir losfahren konnten, mussten wir auftanken, einkaufen und
uns von zahlreichen neuen Freunden verabschieden.
Zurück zum Tonga-Rally. Wir verleben herrliche Segeltage mit
räumlichen Winden in der Stärke von 20–30 Knoten. Die Etmale
vergrössern sich auf über 160 Meilen, aber das Segeln ist nicht nur
eitel Sonnenschein. Zuweilen ereignen sich tragische Vorkommnisse. In der Gegend, in der wir uns befinden, wurde im vergangenen November die amerikanische Yacht «Melinda Lee» vom
koreanischen 24 000-Tonnen-Frachter «Pan Grace» nachts gerammt und versenkt. An Bord der Yacht war die Familie Sleavin.
Ihr sieben Jahre alter Sohn hatte keine Chance und ging mit dem
schnell sinkenden Wrack auf Grund. Der Rest der Familie wurde
über Bord gespült. Verzweifelt versuchte Vater Michael, die in der
stürmischen See wegtreibende kleine Tochter Anna zu retten. Sie
überlebten nicht. Beide ertranken. Einzig die Mutter, Judith Sleavin, konnte sich ins Gummiboot retten, wurde später an die neuseeländische Küste angeschwemmt und mit Rückenverletzungen
ins Spital gebracht. Da stellt sich die Frage: Wie gut ist nachts auf
den Frachtern der Ausguck besetzt? Können Frachter-Besatzungen
uns überhaupt auf ihrem Radar sehen? Verhalten sich auch die
106
Yacht-Crews korrekt? Die «Melinda Lee» hatte einen Radar an
Bord. War er nicht eingeschaltet, obwohl die Sicht schlecht war?
Oder war er allenfalls defekt?
Unsere Taktik bei diesem Rally ist, zuerst in Richtung Raoul
(Kermadec Islands) zu halten, um möglichst easy mit Hilfe des
Hochs in den Südostpassat hineinzusegeln. Unsere Rechnung
geht auf. Mit Ausnahme eines Tages mit nur 10–15 Knoten Wind
kommen wir zügig
voran. Am 8. Mai sehen wir morgens um
0200 Uhr ein Licht.
Am nächsten Tag stellt
es sich als die amerikanische Yacht «Runaway» aus Boston mit
Claire und Dave heraus. Wir machen gegenseitig Fotos, und weiter geht die Fahrt. Nach nur sieben Tagen
und acht Stunden segeln wir am Abend des 11. Mai in die Lagune
der Atata-Insel. Joan und Brian heissen uns am Funk willkommen:
Wir sind die vierte Yacht vor Anker.
Einen Schönheitsfehler hat unsere Ankunft am Samstagabend:
Wir sind 30 Minuten zu spät. Zoll und Immigration sind schon
weg. Für uns heisst das: an Bord bleiben bis Montagmorgen. Unsere Freude trübt das keineswegs. Im Gegenteil. Mit Debbie und
Chris feiern wir die schnelle und problemlose Überfahrt, was sich
in entsprechender Lärmentwicklung ausdrückt. Nachdem sich
noch zwei junge Neuseeländer mit kühlem Bier zu uns gesellen, ist
die Techno-Party komplett. Wir tanzen wie verrückt auf dem Deck
herum. Mit leidlich schlechtem Gewissen blicke ich am nächsten
Morgen in die Runde. Erstaunlich, keine mürrischen Gesichter,
sondern fröhliches Winken und sogar eine Einladung zum Frühstück auf die «Runaway». Hier zeigt sich die weltoffene und tolerante Einstellung der amerikanischen oder neuseeländischen Seg-
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ler. Alles, was wir an Kommentaren zu hören bekommen, ist:
«Hey, you had a good night.» Kein Wort wie etwa: Zu viel Krach
zu später Stunde oder Ähnliches.
Nach und nach ankern alle 33 Yachten der «Cruising Association» in der Bucht. Am 16. Mai wird als letzte Yacht «Wandering Willy» aus Neuseeland mit einem Spezialpreis willkommen
geheissen. Darauf findet ein Sportstag statt mit Kokosnuss-Boule –
Debbie und ich gewinnen – Golf über neun Löcher, Ringwerfen,
Tennis auf einem fürchterlichen Rasenplatz und als Abschluss einem Beibootrennen. Es ergeben sich unzählige lustige Kontakte
zu anderen Seglern. Die meisten wollen vier Monate im Pazifik
bleiben und gegen Oktober nach Neuseeland zurückkehren. Die
Preisverteilung findet im Rahmen einer «Fancy Dress Party» mit
dem Motto «Piraten und Schiffbrüchige» statt. Alle tragen ausgefallene Kostüme. Die Stimmung schlägt hohe Wellen. Gerade
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schliesse ich Freundschaft mit Taryn, einer Australierin, die mit
mir nach Apia in Western Samoa segeln möchte. Doch das Schicksal löst die Umarmung raschestens: «Where is the skipper of ‹Hasta Mañana›?» schreit ein junger Mann. «Sie driftet im starken
Wind und touchiert die ‹Ten Gauge› bei jeder Welle.» Schlagartig
bin ich nüchtern. Rein ins Beiboot und Vollgas. Klatschnass erreichen wir mein Boot, das in der «Ten Gauge» hängt. Motor an und
neu ankern. Der Schaden: Steuerbordnavleuchte weg, zwei Relingstützen abgebrochen und vorne der Rumpf angekratzt. Zum
Glück ist die «Ten Gauge» auch aus Stahl gebaut. Ihre Schäden
sind gering. Mit 100 NZ-Dollar und einer Flasche Rum ist der Schaden geregelt. Allerdings muss ich in dieser Nacht Ankerwache halten und damit Taryn und die Party vergessen. Die Australierin
kommt ein paar Tage später auf mein Boot, nachdem wir uns nach
Nuku'alofa verlegt haben. Hier zeigt sich mal wieder der Vorteil eines Stahlbootes. Gegen zwei Päckchen Zigaretten schweisst ein
junger Tonganer die Relingstützen wieder an.
Damit ist für uns die Zeit mit der Island Cruising Association
zu Ende, deren Programm weitergeht mit Besuchen in Savusavu
(Fidschi), Espiritu Santu (Vanuatu) und Nouméa (Neukaledonien),
bevor die meisten Boote nach Neuseeland zurückkehren.
110
Samoa – oder im Paradies gefangen
Nuku'alofa – Hapai-Gruppe –
Neiafu – Apia
A
ls nächstes zieht es uns nach Norden zur Hapai-Gruppe. Wir
hüpfen von Insel zu Insel. Der erste Besuch gilt Nomuku iki,
wo wir im klaren Wasser schnorcheln und baden. Am nächsten Tag segeln wir weiter über Haafeva zur unbewohnten Insel
Uoleva, auf der wir einige Tage verbringen wollen. «Runaway»,
«Wandering Willy» und «Sousa» haben sich das gleiche Ziel ausgesucht. Chris und Dale von der «Wandering Willy» haben zwei
prächtige Barracudas gefangen, und wir werden spontan zu einer
Beachparty eingeladen. Die Fische landen zusammen mit Brotfrüchten in Alufolie auf einem offenen Feuer und schmecken köstlich. Mit Chris schliesse ich Freundschaft. Er ist Pilot und Besitzer
einer Wasserflugzeug-Flotte von acht Cessnas im neuseeländischen Queenstown. Warum er im Alter um die fünfzig seine Firma
verkaufen will und für längere Zeit segeln geht, erklärt er so: «Ich
möchte nicht der reichste Mann auf dem Friedhof sein!» Wir erleben unbeschwerte Tage, doch dann heisst es Abschied nehmen.
Ob wir wohl die neu gewonnenen Freunde wiedersehen werden?
Wir segeln in einem angenehmen Nachttörn zur Vava'uGruppe. Mit Taryn, unserem neuen Crew-Mitglied, geht es gut. Sie
ist begeisterte Seglerin, allerdings scheint sie mit Debbie – mit ihr
und Chris bin ich jetzt schon einige Zeit unterwegs – nicht so gut
auszukommen. Für mich kein Grund zur Panik. Bis Apia werden
die beiden wohl koexistieren. In der Bucht bei der Insel Vaka'eitu
(im Mooring Guide Nr. 16) gehen wir vor Anker. Am Abend erkunden wir die Insel und stellen erfreut fest: Es gibt hier ein im traditionellen Stil gebautes Backpacker Resort mit einer kleinen
Bäckerei mit Café und eine Bar mit Restaurant. Es wird geführt
111
von Hans, einem Österreicher, zusammen mit seiner Frau Mele
aus Tonga. Das Restaurant heisst Po Pao, was soviel wie OutriggerKanu bedeutet. Lustigerweise ist es nur auf dem Wasserweg zu erreichen. Die Anfahrt von Neiafu aus dauert etwa eine Stunde. Wir
verbringen einen angeregten Abend und geniessen ein ausgezeichnetes Fischgericht, das auf einem einfachen Herd zubereitet
wird.
Was in Neiafu sofort auffällt, ist der unglaublich langsame
Gang der Einwohner. Sie schlurfen nur so durch die Gegend. Die
Wirkung ist verblüffend.
Automatisch passt man
sich an und geht auch
langsamer. Die Versorgung ist von Schiffen abhängig, die kommen oder
auch nicht kommen. Wir
können zum Beispiel keinen Reis finden, höchstens in 50-Kilo-Säcken.
Auch die Telefonleitung
scheint Löcher zu haben.
Mein Fax in die Schweiz
braucht unzählige Versuche des Operateurs – vergeblich. Er verspricht mir, es am nächsten Tag wieder zu versuchen. Und siehe
da. Geduld bringt Früchte.Tatsächlich erreicht mein Fax schliesslich sein Ziel.
Am 4. Juni 1996 stechen wir mit Ziel Apia in See. Das wird eine
schnelle Reise im konstanten Ostpassat, und was besonders zählt:
Wir gewinnen einen Tag, weil wir die Datumslinie übersegeln. Die
Uhrzeit ändert nicht, sie ist die gleiche wie auf Tonga, nur machen
wir «eben» einen Tagessprung nach vorne. Am zweiten Tag auf See
stelle ich fest, dass der Alternator des Motors die Batterien nicht
mehr auflädt. Kein Problem, die lade ich halt mit meinem kleinen
2KW-Dieselgenerator. Startschalter ein, und der Generator läuft
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sofort an, aber – zum Teufel! – er gibt keine 220-Volt-Spannung ab.
Kontrolle der Sicherungen, alles OK, das muss was Ernsteres sein.
Vorerst haben wir zum Glück noch genügend Spannung. Als vorsichtiger Segler habe ich vier Systeme um meine Batterien zu laden:
● einen Alternator des Hauptmotors
● einen 2KW-Dieselgenerator «Zeise», unabhängig eingebaut. Er
gibt 220 Volt ans Ladegerät (wie Landstrom).
● einen Windgenerator. Dieser hat sich vor zwei Wochen «verabschiedet», dreht nur noch langsam und scheint ein internes
elektrisches Problem zu haben.
● ein Solar-Panel, das ich erst in Neuseeland eingebaut habe. Liefert 3-4 Ampères, wohlverstanden nur bei Sonne. Es funktioniert
noch.
Ich stehe somit vor der Tatsache, dass drei von vier Systemen ausgestiegen sind. Das ist doch nicht möglich! So etwas gibt es doch
gar nicht. Das wichtigste ist die Navigation. Also muss der GPS
genügend Spannung haben. Ich mache eine Verbindung bereit,
die ich an der Starterbatterie anschliessen kann. Für den Fall eines
Falles … Dazu ergreife ich andere Massnahmen, um Strom zu sparen: Das dreifarbige Positionslicht auf dem Masttop schalten wir
nur noch ein, wenn wir ein Schiff ausmachen können. Auf den
Kühlschrank verzichten wir ebenso wie auf Musik. Dazu schalten
wir alle Instrumente ab, die nicht unbedingt nötig sind: Wind,
Speed, Log, Echo. Den Autopiloten brauche ich nicht still zu legen, denn er hat schon vor drei Wochen seinen Geist aufgegeben.
Ebenfalls defekt, wegen Korrosion, ist der Ruderwinkelsensor. Wir
rechnen noch mit 24 Stunden bis zum Ziel. Allerdings werden wir
nachts ankommen. Das macht mir nichts aus, denn ich kenne die
Gegend – schon im vergangenen September war ich schon mal in
Apia.
Unerwartet hat Chris Fischerglück. Wir fangen noch einen respektablen Mahi Mahi und beschliessen einstimmig, ihn reinzuholen, obwohl das nicht so einfach ist. Unter dem Winschhebel
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haucht der arme Fisch sein Leben aus. Er liefert uns zwei Mahlzeiten: eine im Ofen gebackene und eine in Form von Fischsuppe.
Die Stimmung auf unserem Boot ist toll. Chris meint nur: «Otto,
stay cool!» Kurz bevor wir die Passage zwischen American und Western Samoa erreichen, geraten wir in
ein fürchterliches Gewitter. Unheimlich zucken die Blitze am nächtlichen
Himmel. Was, wenn uns einer treffen
würde?
Schliesslich kommt der Wind zur
Ruhe, doch dann prasselt unwahrscheinlich viel Wasser vom Himmel.
Also raus aus den Kleidern! Die ganze
Crew geniesst eine herrliche Dusche.
Hoffentlich lässt der Regen nicht nach,
bevor alles Shampoo aus den Haaren
gewaschen ist. In Anbetracht unserer
elektrischen Schwierigkeiten machen
wir Zweistundenwachen mit Taryn
und mir oder Debbie und Chris. Die Nacht klärt auf, der Mond
steigt auf, es wird eine angenehme Fahrt entlang der Küste bei
leichtem Ostwind. Um zwei Uhr mache ich die Blinklichter der
Hafeneinfahrt Apias aus: Grün unten am Hafen und das weisse
Peillicht oben auf dem Mount Vaea. Wir peilen die Linie und starten den Motor. Ich halte genau in die Mitte der Einfahrt. Um 0300
Uhr am 6. Juni fällt der Anker. Wir jubeln und fallen nach einem
lauwarmen Bier in die Kojen. Der GPS machte wegen zu tiefer
Spannung kurz vor der Hafeneinfahrt nicht mehr mit. Ich hätte
ihn an die Starterbatterie angeschlossen oder auf Sextantnavigation umstellen müssen, wäre das Ziel weiter entfernt gewesen.
Nun sind wir im Paradies gefangen, denn die Reparatur der
Stromerzeuger ist in Westsamoa nicht so einfach. Reynold vom
Yachtservice meint: «Bei Joe Fidschi kannst du deinen Alternator
reparieren lassen.» Joe heisst in Wirklichkeit Jovesa Kanasulusalu
114
und stammt aus Fidschi, deshalb sein Übername. Er ist schwer,
gross und gut genährt. Beim ersten Besuch auf meinem Boot fällt
er vom Dinghy ins Wasser. Glücklicherweise hält er sich eisern an
der Badeleiter fest und bricht darauf in ein befreiendes Lachen aus.
Erlöst stimme ich ein. Der erste Augenschein ist ernüchternd,
denn Joe hat diese Art Alternator mit eingebautem Regler noch
nie gesehen. Ich habe auf meinem Stahlboot «isolated ground»,
das heisst, das Minus geht nicht an Masse, sondern ist separat geführt. Zwar stellen wir fest, dass der Regler offensichtlich defekt
ist, doch Joe weiss vorerst keine Lösung.
Beim Zeise-Generator kann ich mit Hilfe von Klaus, einem
südafrikanischen Segler der «Gemini Contender», feststellen, dass
der Kondensator zur Felderregung des Generators futsch ist. Das
bedeutet, beim Hersteller in Deutschland einen neuen Kondensator bestellen und um die halbe Erde senden lassen. Jetzt ist Geduld
angesagt. Woche um Woche verstreicht, ohne dass die Sendung
eintrifft … und dabei bin ich mir nicht einmal sicher, ob der Generator nach dessen Einbau wieder Spannung abgeben wird.
Mit Joe habe ich mehr Glück. Nach mehreren Versuchen ist er
soweit, dass er wenigstens in seinen diversen Lagern mit einem
unheimlichen Durcheinander nach einem Modell sucht, das dem
meinen gleicht. Und siehe
da: Wir haben Erfolg. Er findet einen ähnlichen Regler,
der meinem Alternator wieder Leben einhaucht. Herrlich! Es gibt wieder kühles
Bier an Bord der «Hasta
Mañana».
Mit Joe und Kenny – auch er aus Fidschi – machen wir uns auf,
den Erfolg gebührend zu feiern. Wir starten zur «Happy Hour» im
«Otto's Reef», meinem Riff. Runde um Runde steigt. Zwei Frauen
vom Lesina-Reisebüro, Fao und Lou, setzen sich zu uns, dazu die
Fa'afafine Maryann, die sich als Transvestit entpuppt. Die Stim-
115
mung ist so ausgelassen, dass wir beschliessen, eine Airline zu
gründen: die «Hasta Banana Airways» mit mir als Captain, Fao als
Copilotin und Joe als Engineer. Kenny ist für «Food and Beverage»
verantwortlich und Lou für die Tickets. Maryann ernennen wir
zur Kabinenchefin. Als schwimmendes Office wird mein Boot bestimmt. Tickets kriegt nur, wer schwimmenderweise die «Hasta
Mañana» erreicht. Unser Gelächter nimmt kein Ende. Zum
Schluss entscheiden wir, dass die Airline während der nächsten 24
Stunden ausser Betrieb sei und kein Abflug stattfinde. Aus einem
einfachen Grund: die Crew ist besoffen! Joe hat übrigens zusammen mit seiner Frau acht Kinder. Das ist hier normal, denn eine
grosse Familie bedeutet Sicherheit.
Als ich um zwölf Uhr zum sonntäglichen Mittagessen in Joes
Familie auftauche, bewaffnet mit zehn grossen Flaschen VailimaBier und einer halben Gallone Eiscrème für die Kinder, regt sich
vorerst gar nichts. Die Frau eröffnet mir, Joe sei gestern betrunken
gewesen. Sie gibt mir den guten Rat, ich solle mich auch auf eine
Matte legen und eine Runde schlafen. Das Essen in Form einer Riesenschüssel Curry mit Reis kommt um etwa drei Uhr. Erstaunlicherweise isst die Familie nicht zusammen. Jeder schnappt sich einen Teller, wenn es gerade passt. Dann putzt sich die ganze
Familie heraus, und frisch geduscht geht's in die Kirche. Ich verstehe von der Predigt leider nichts, doch die Gesänge sind wunderbar. Mit der Zeit habe ich auch etwas genug vom samoanischen
Sonntag.
Die Warterei auf Ersatzteile hat auch ihre guten Seiten. Ich
habe das Elektroschema meines Bootes bis zum letzten Draht erforscht und neu aufgezeichnet und nebenbei unzählige Bekanntschaften gemacht, hauptsächlich in den Discos «Crystal» und
«Mount Vaea». Zum Beispiel Lauren, die indisches Blut und mit
neunzehn Jahren eine knapp einjährige Tochter hat. Ihre
41jährige Mutter ist mit dem zwölften Kind schwanger. Ebenfalls
lernte ich Andy kennen, einen Schweizer Treuhänder aus Zürich,
der für eine israelische Bank etwas aufbauen soll. Etwas Vorsicht
116
ist bei den Samoanerinnen angezeigt: Es soll vorkommen, dass sie
die «Palangi» – so nennen sie die Besucher – mit einem Selbstbedienungsladen verwechseln. Besonders beliebt sind T-shirts oder
Musikkassetten. Nachts sind die Frauen recht zutraulich, allerdings, discrétion oblige!
Eine Deutsche aus Berlin, Isa, die ich im «Rainforest» kennenlerne, begleitet mich nach Villa Vailima zum Robert Louis Stevenson Museum. Dies war der Autor, der «Die Schatzinsel» und diverse andere Bücher geschrieben hatte. Er starb 1894. Wie mag es
wohl vor hundert Jahren hier ausgesehen haben? Im nahen Wasserfall lassen wir uns das kühle Nass über den Rücken plätschern,
dann steigen wir auf einem schlüpfrigen Weg in etwa einer Stunde
hoch auf dem Mount Vaea
mit herrlicher Aussicht auf
den Hafen. Das Entspannendste kommt anschliessend. Nachden ich mich auf
den Grabstein Stevensons
gelegt und mir Isa eine
Reiki-Massage verpasst hat,
schlafe ich prompt ein –
meine Nähe zum grossen
Schriftsteller ist unübertrefflich. Die Grabsteininschrift
hat er selbst verfasst:
Under the wide and starry sky, dig the grave and
let me lie.
Glad did I live and gladly die, and I laid me
down with a will.
This be the verse you grave for me: Here he lies
where he longed to be;
Home is the sailor, home from the sea, and the
hunter home from the hill.
117
Meine Freunde vom «Rainforest Café», die Berlinerin Barbara
und Christian, ein ehemaliger Schauspieler aus Zürich, betreiben
ihr Restaurant mit einer grossen Auswahl an gesunder Kost, wie
Salaten, Fischgerichten, selbstgemachten Kuchen und Pasteten
mit herrlichen Fruchtsäften. Sie wissen viel über
das Leben in Samoa und leben in einem schönen
Haus oberhalb von Apia, wo das Klima kühler ist.
Ich verbringe auch eine Nacht bei ihnen. Christa
und Stefan, zwei Deutsche, die das «Apia Inn»
und den Schmuckladen «Treasure Box» betreiben, stellen mir Telefon und Fax zur Verfügung.
Ihr Sohn Stefan ist in der deutschen Fussballgeschichte bewandert, nervt uns mit Quizfragen
und dreht beinahe durch, als die Deutschen in
London Europameister werden.
Ein Unglück kommt selten allein. Zuerst setzt sich Taryn zu
ihrem hier arbeitenden Freund Craig ab. Dann haben Debbie und
Chris nach begeisternden Ausflügen um und über die Insel Upolu
genug von der Warterei und möchten weiter – ursprünglich wollten wir über Wallis nach Port Vila bei Vanuatu segeln. Schliesslich
geben sie auf und wollen nach Australien, zumal Debbie an ihrem
26. Geburtstag in Sydney einen Job in Aussicht gestellt bekommt.
Die beiden fliegen über Fidschi nach Sydney ab, blödsinnigerweise ohne sich bei der Immigration abzumelden, was mich armen Skipper fünfzig Tala Busse kostet. Damit hat mir die ganze
Crew den Rücken gekehrt.
In einigen Tagen läuft mein einmonatiges Visum für Western
Samoa ab. Ich werde am nächsten Sonntag auslaufen, hoffentlich
mit intaktem Generator und wohl als Einhandsegler. Ich bin gespannt, wie das ausgehen wird und wie es sich anfühlt, alleine unterwegs zu sein. Eigentlich wollte ich es schon lange mal versuchen. Nun ist es soweit.
118
Als Einhandsegler unterwegs
Apia – Wallis –
Port Vila
I
ch befinde mich halbwegs zwischen Apia und Wallis, die 260
Meilen auseinanderliegen. Mir macht es nichts aus, am Laptop
zu schreiben, auch wenn mein Bötchen etwas schaukelt. Es ist
ein herrlicher Tag. Schwacher Passat, um die 15 Knoten. Nur einige
Cummuluswolken sind am sonst wolkenlosen Himmel auszumachen. Es ist der 11. Juli 1996, und ich bin jetzt allein an Bord. Zum
ersten Mal segle ich ohne Crew über eine längere Strecke. Über Wallis bis nach Port Vila liegen noch 1250 Meilen vor mir. Mit der letzten Crew hatte ich es lustig, aber ich kam mir öfters wie ein Gastgeber vor, denn Debbie und Chris hatten herzlich wenig Ahnung vom
Kochen – selbst Spaghetti kamen bei ihnen aus der Büchse.
Vor dem Ablegen in Apia war es mir schon etwas mulmig im
Magen gewesen. Meiner achtzigjährigen Mutter dürfte ich nicht sagen, dass ich alleine segle, sie würde sich zu grosse Sorgen machen.
Immerhin konnte ich mein Boot technisch in Ordnung bringen.
Der Kondensator, der kurz vor der Abreise aus Deutschland eintraf,
verhalf meinem kleinen Dieselgenerator zu neuer Kraft. Auch der
ausgewechselte Ruderwinkelsensor liess den elektrischen Autopiloten wieder arbeiten. Nur auf den Windgenerator muss ich verzichten – ich musste ihn zur Reparatur in die USA senden.
Alleine segeln: Macht das Freude? Nun, es gibt mir ein gutes
Gefühl, alles alleine zu schaffen, doch alleine kann ich nicht 24
Stunden wach sein, also auch nicht die ganze Zeit am Ausguck verbringen und Wache halten. Sobald ich müde werde, in der Regel
nach den Abendnachrichten von Radio Schweiz International für
Australien, lege ich mich schlafen, nicht ohne vorher meinen Radar auf «Watchman» zu progammieren. Ich setze eine «Guard»-
119
Zone mit einem 8-NM-Radius um mich herum. Mein Radar schaltet sich alle zwanzig Minuten ein und schaut, ob sich etwas im
Warnsektor regt: ein Boot, Land oder Gewitterwolken. Da ich in
der Nähe schlafe, erwache ich bei einem Alarmzeichen sofort und
schaue, was los ist. Zugegeben, wie ich das bewältige, ist sicher
nicht die sicherste Art des Segelns, aber was soll's. Ich will auch vorwärts kommen, wenn ich
ohne Crew unterwegs bin.
Zudem vertraue ich einem
Radar eher als einer Crew, die
eingeschlafen ist oder nichts
sieht, weil die Sicht eingeschränkt ist. In dieser Gegend bin ich auch abseits
von Schifffahrtslinien. Sinnigerweise schliesst meine «Murette»-Kaskoversicherung Einhandsegeln über grössere Distanzen als zu grosses Risiko aus. Mit dem Alleinsein habe ich ansonsten keine Probleme. Ich habe so etwas wie
den inneren Frieden gefunden und zudem eine etwas fatalistische
Einstellung zur ganzen Angelegenheit. Ich fühle mich auch nur für
mich alleine verantwortlich. Im Hafen bin ich ohnehin am liebsten alleine an Bord – da kann ich tun und lassen, was ich will. Auf
meiner Reise habe ich schon einige Einhandsegler getroffen, die
aus Überzeugung keine Crew anheuern. Diesbezüglich bin ich
flexibel und offen für alles, was sich ergibt.
Ich bin jedoch froh, dass sich mein Boot gut alleine segeln lässt,
speziell mit Hilfe meines Tecnautic-Autopiloten, den ich normalerweise beim Motoren brauche, und meiner Windfahnensteuerung. Einige Vorsichtsmassnahmen muss ich treffen. Bei starkem
Seegang trage ich einen Sicherheitsgurt, den ich im Cockpit einklinke. Muss ich dieses verlassen, hänge ich mich an die Sicherheitsleine, die vom Heck zum Bug durchläuft. Aus dem Cockpit
muss ich eigentlich nur, falls ich die Genua auszubaumen habe.
Mann über Bord darf nicht passieren. Übrigens auch nicht mit
120
Crew. Zum Beispiel nachts, bei ausgebaumter Genua und sieben
oder acht Windstärken und starkem Seegang, ist es für die übrigbleibende Crew äusserst schwierig, ein Rettungsmanöver durchzuführen und einen Mann oder eine Frau über Bord zu finden und zu
retten. Die Chance wird wesentlich erhöht, wenn nach dem Zuwerfen des Rettungsrings mit Lichtboje am GPS sofort die MOB-Taste gedrückt wird, um die Position festzuhalten. Auch ist es wichtig, dass der Wachhabende ein Strobelight (ein Blitzlicht) am Arm
trägt, das er, falls er über Bord geht, einschalten kann. Diesen Fall
zu verhüten, ist das Wichtigste.
Als weitere Sicherheitsmassnahme habe ich mit meinem Freund
«Pirat», der auch im Südpazifik mit seiner «Rory Mhor» unterwegs
ist, einen Funkplan abgemacht. Wir rufen uns zweimal wöchentlich
auf SSB-Funk. So weiss er jeweils meine letzte Position.
Ich war nach über einem Monat in Apia froh, wieder weitersegeln zu können. Speziell in Westsamoa wird man schnell in eine
Familie aufgenommen. Für mich ist es besser, Anker zu lichten und
loszufahren, bevor häusliche Gedanken aufkommen. Im «Crystal»
in Apia traf ich einmal eine Mutter mit zwei Töchtern. Ich führte
die jüngere Tochter, sie war 19jährig, auf das Parkett. Nach einigen
Tänzen flüsterte sie mir ins Ohr, ob ich sie in die Schweiz mitnehmen wolle. Ich erklärte der jungen Dame, dass ich auf einem Segelboot lebe und nach Australien wolle, was sie etwas ratlos
machte. Offenbar hatte ich auch bei der Mutter Gefallen erweckt.
Nachdem sie erfahren hatte, dass ich nicht verheiratet bin, sah sie
mich bereits als Schwiegersohn und bot mir ihre Tochter an. Um
Mitternacht war Schluss mit der Musik. «Darf ich deine Tochter mit
auf das Boot nehmen?» fragte ich die «Schwiegermutter» höflich.
Doch das wollte sie wiederum nicht zulassen. «Nein!» bestimmte
sie streng. «Sie ist noch zu jung. Aber du darfst meine andere Tochter mitnehmen. Sofern sie Lust hat.» Das liess ich mir nicht zweimal sagen. Die zweite Tochter, sie war 26, kam mit auf mein Boot
und lud mich am darauffolgenden Sonntag zum Kirchenbesuch
und anschliessenden Mittagessen ein. In dieser Riesenfamilie
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fühlte ich mich pudelwohl. Darauf machte ich mein Gastgeber mit
der Tatsache bekannt, dass ich bald weitersegeln wollte. Die Mutter umarmte mich und sagte cool: «Komm bald wieder, und bring
Geschenke mit!»
Ende 1993 hatte mir Gregor Zurfluh versprochen, ein passendes Boot
für mich zu finden. Mitte Januar rief mich dann der Bootswerftinhaber
aus Brunnen an: «Ich habe ein Boot für dich: Stahl, 40 Fuss (12.2 m)
lang, vier Jahre alt.» Es lag in Oslo. Schon in den nächsten freien Tagen
flog ich nach Norwegen. Mein Erkennungszeichen am Flughafen von Oslo
war – wie in einem Spionagefilm – eine unter den Arm geklemmte
«Yacht»-Zeitschrift. Es klappte. Plötzlich stand Peter Sattrup vor mir. Er
war Teileigner des zu verkaufenden Bootes. Ich war gespannt. Alles war
tiefverschneit, die Temperaturen um minus 10°C, ein klarer Wintertag.
Nach kaum zehn Minuten Fahrt erreichten wir Peters Motorverksted und
den kleinen Hafen Blommenholmhavn. Über den schneebedeckten Steg
näherten wir uns der «Mañana». Friedlich lag sie im Wasser, die verschneite Persenning etwas zurückgeschlagen. Damit sich um die Boote
kein Eis bilden kann, blasen die Norweger Pressluft ins Wasser. Ansonsten
konnte man im Hafen auf einer dicken Eisschicht spazierengehen. Kaum
war ich den Niedergang hinuntergestiegen und hatte in der Kajüte nebst
Stehhöhe einen sauberen Ausbau vorgefunden, war mir sofort klar: «Das
ist mein Boot. » Mit Peter verstand ich mich auf Anhieb gut. Er war jedoch
traurig, dass sich sein Traum, eine Weltumsegelung mit seinen Freunden,
nicht mehr erfüllte. Ich konnte ihn verstehen. Ich schoss ein paar Fotos,
und anschliessend brachte mich Peter zum Flughafen zurück.
Im Februar flog ich zusammen mit Gregor wieder nach Oslo, gerade als
in Lillehammer die Winterolympiade stattfand. Die Anzahlung für den
Kauf hatte ich als Bargeld in meiner Jackentasche. Gregor äugte kritisch
hinter jede Abdeckung und kroch in alle Ecken. Sein Urteil war: «Ich kann
dem Kauf zustimmen, zumal ich den Preis auf 130 000 Franken herunterhandeln konnte.» Das Boot, eine Engholm 40S mit eleganten Linien, ist ein
Knud Olson Design. Es wurde 1990 von Lars Pedersen (auch ein Teileigner)
in seiner dänischen Werft in Stahl gebaut. Zusammen mit drei Freunden,
122
darunter Peter Sattrup, wollte er später eine Weltreise machen. Die miese
Wirtschaftslage anfangs der neunziger Jahre in Dänemark und der plötzliche Tod eines Teileigners zwang sie zum Verkauf. Mir tat‘s leid, aber trotzdem war ich froh, ein geeignetes Boot zu einem vernünftigen Preis gefunden
zu haben.
Ohne Gregors Hilfe wäre es mir nicht möglich gewesen, das richtige
Boot zu kaufen, zumal ich nur knapp über tausend Seemeilen Hochseeerfahrung verfügte, die für den B-Schein verlangt werden, und von Segelbooten herzlich wenig verstand. Den B-Schein zusammen mit dem Radiotelefonistenausweis hatte ich beim «Institut für Hochseenavigation» in Meilen
erworben, das einen für mich angenehmen Ferienkurs mit anschliessender
Prüfung in Klosters anbot. 750 der benötigten Meilen ersegelte ich zusammen mit sechs Mitseglern auf der Swan 57 «Johanna» von Gibraltar aus
(1987). Wir wollten nach den Kanarischen Inseln, gerieten jedoch nach vier
Tagen auf See in einen Sturm mit über 50 Knoten Wind (Bf 10). Skipper
Walti entschloss sich umzukehren, und wir erreichten nach einigen Tagen,
abgesehen von einigen Seekranken an Bord, unversehrt den Hafen von Cádiz in Spanien. Den Rest, um auf tausend Seemeilen zu kommen, ersegelte
ich auf der «Eolienne» von Port Camargue aus, zusammen mit fünf Seglern. Wir folgten der französischen Küste bis Hyères, dann führte unser Weg
zu unserem Zielhafen Ajaccio auf Korsika. Nach der Motorbootprüfung auf
dem Untersee erhielt ich schliesslich am 1.Januar 1990 den Führerausweis
für Yachten auf See, wie der B-Schein neuerdings heisst. Da mich das Segeln auf See damals noch nicht sonderlich reizte, sah ich auch davon ab,
ein Boot am Meer zu chartern, sondern war eher an Starbootregatten im Inund Ausland anzutreffen. Das war viel spannender.
Am 18. März 1994 starteten wir abends mit einer vollbesetzten MD11 zu meiner Letzflug-Rotation nach Hongkong. Den ersten Teil des Fluges übernahm als verantwortlicher Captain mein langjähriger Freund Robes Allgaier, als Copilotin hatte er sich Anna Sundberg, eine Dänin,
gewünscht. Den zweiten Teil des fast zwölfstündigen Fluges übernahm ich
mit meinem Copiloten Martin Fischer aus Wilchingen. Bei schönstem
Wetter und etwas erhöhtem Puls steuerte ich das Flugzeug entlang dem
spektakulären Anflug, der damals noch knapp über die Dächer Kowloons
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führte, zu meiner letzten Landung auf der Piste des «Kai Tak»- Flughafens. Nach einem Fototermin begannen die unvergessenen vier Freitage mit
immer neuen Überraschungen unseres Maître de Cabine Guido Lengwiler,
unterstützt von Christoph Sali, die beide wie ich aus Stein am Rhein stammen. Zurück in Kloten, gab es einen
weiteren Höhepunkt: ein von Martin Fischer organisiertes Fest in der
Waldhütte Warpel bei Embrach.
Ich lud alle Hostessen, Stewards
und Piloten, die mir «Tschau» sagen wollten, zu einer «Bayrischen
Brotzeit» ein. Mit über 12 000 Flugstunden auf meinem Buckel verliess
ich die Swissair mit einem lachenden und einem weinenden Auge. In dieser Zeit war einiges passiert: Ich erlebte den Übergang vom Propellerflugzeug ins Jetzeitalter, die Schrumpfung der Cockpit-Besatzung von vier auf
zwei und den Einzug der Frauen in meinen Beruf. Mit der ersten SwissairPilotin, Gaby Musy-Lüthi – sie wurde inzwischen A320-Captain –,
machte ich einige MD-11-Rotationen. Ich war dankbar, dass wir in all den
Jahren die Probleme, die manchmal während eines Fluges auftraten, jeweils lösen konnten.
Zweimal mussten wir auf einer DC-9 ein Triebwerk abstellen, konnten jedoch die Zielflughäfen mit unseren Passagieren trotzdem erreichen.
Ebenfalls auf einer DC-9 löste sich beim Start zu einem Abendflug nach
Paris die Lauffläche eines Pneus am Hauptfahrwerk. Diesen Flug mussten wir abbrechen. Die Landeklappen waren auch beschädigt. Die Landung in Kloten gelang uns ohne weitere Probleme.
Einen ekligen Zwischenfall erlebten wir auf einem Airbusflug von
Genf nach Dakar über Malaga. Die Kabine verlor plötzlich ihren Druck –
ein stechender Schmerz durchzuckte unsere Trommelfelle und natürlich
auch die der Passagiere. Die Alarmglocke schepperte, und der Bildschirm
stellte alles klar: Sauerstoffmasken auf und einen «Emergency descent»
einleiten. Mein Copilot war am Steuer und begann mit dem notfallmässigen Abstiegsprozedere. Ich kümmerte mich um die Checkliste und fand
124
den Grund der Panne: Der Druckregler spielte verrückt. Ich schaltete auf
den anderen Regler um, und siehe da: Unsere Kabine wurde wieder unter
Druck gesetzt. Auch in diesem Fall konnten wir unseren Flug nach unserem Ziel Dakar fortsetzen, auf einer tieferen Flughöhe zwar, aber weil wir
genügend Kerosen an Bord hatten, erreichten wir die senegalesische Hauptstadt ohne weitere Probleme. Alle an Bord waren zwar geschockt, und in
der bis auf den letzten Platz besetzten Kabine sah es fürchterlich aus. Die
Kabinenbesatzung konnte die automatisch heruntergefallenen und auch
benützten Sauerstoffmasken nur notdürftig in die Hatracks verstauen.
Nach der Zwischenlandung flogen wir sogar noch weiter nach Monrovia.
Erst dort gab es ein verdientes Bier. Am nächsten Tag flogen wir via Dakar
den ganzen Weg zurück nach Zürich, das Ganze auf einer tieferen Flughöhe, weil das Passagier-Sauerstoffsystem nicht mehr brauchbar war.
Ich liebte diesen Beruf, der abwechslungsreich war. Oft ging es locker
zu und her. Kaum spuckte das Wetter, wurden wir echt gefordert, auch an
den halbjährlichen Checkflügen und «Emergency Refreshern» oder beim
jährlichen Route-Check, in einem Umschulungskurs oder eben bei echten
Vorfällen.
Und nun war ich also frei für neue Taten. Pünktlich traf auch Ende
April 1994 ein Teil meiner Pension als Barbetrag ein. Damit konnte ich
mein Boot bezahlen.Wir mussten es nur noch von Oslo wegsegeln, sobald
das Eis geschmolzen war. Ich war mir auch bewusst, dass ich mich glücklich schätzen konnte, behandelt doch die Swissair ehemalige Piloten
überaus grosszügig.
Nach genau 48 Stunden seit dem Auslaufen in Apia segle ich
mit meiner «Hasta Mañana» durch den Passe Honikulu in die Lagune von Wallis. Ich habe Glück. Es herrscht ruhiges Wasser. Bei
Ebbe oder Flut entsteht eine Stromstärke von bis zu sechs Knoten.
Der Anker fällt um halb drei vor der Mole des Hauptortes Mata Utu
auf der Insel Uvea. Es hängen noch drei weitere Yachten hinter
dem Riff. Lustig, hier habe ich wieder einen Tag verloren, obwohl
ich den 180. Längengrad noch nicht überquert habe. Es ist Samstag, der 13. Juli. Der Grund: Wallis will mit Neukaledonien den
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gleichen Tag haben. Ich komme gerade recht zu den Bastille-Feierlichkeiten – dem 14 juillet –, da es sich um eine französische Insel
handelt. Sie wurde von Frankreich 1886 unter den Nagel gerissen
und hat seit 1959 den Status eines Überseeterritoriums. Noch vor
einem Jahr feierte ich genau das gleiche Fest in Papeete. Vom Ufer
her ertönt Musik. Ich kann es kaum erwarten, mein Dinghy ins
Wasser zu kriegen und den ersten Landgang zu machen. Dort ist
schon ein Teil der 9000 Einwohner dieser Insel zum abendlichen
Tanz- und Singwettbewerb versammelt. Er spielt sich ähnlich ab
wie in Tahiti, aber in kleinerem Rahmen. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung.
Am Sonntag stehe ich früh auf, denn schon zur unchristlichen
Zeit von sechs Uhr beginnt der Gottesdienst in der trutzigen, aus
Lavasteinen gebauten katholischen Kirche. Männiglich ist herausgeputzt. Viele Frauen tragen Hüte und weisse Kleider. Um acht folgen Ansprachen und ein Vorbeimarsch eines Zuges der französischen Armee. In Ermangelung einer Musik singen die Soldaten
einheimische Lieder. Sie stammen aus Wallis, von französischen
Offizieren in Nouméa ausgebildet. Vor der Mole starten acht Auslegerboote zu einer Segelregatta; sie werden mit einem oder zwei
Stechpaddeln gesteuert.
Viele Autos neuerer französischer Bauart und unzählige Vespas
sind auf der kleinen Insel unterwegs. Den Einheimischen scheint
es gut zu gehen. Es gibt kaum Steuern, und die medizinische und
zahnärztliche Betreuung ist kostenlos, wie auch die schulische Ausbildung. Hier scheint der französische Staat tief in die Tasche zu
greifen.
Im Restaurant «Chef Loco» lerne ich den einheimischen Lehrer Sosefo kennen. Er zeigt mir spontan seine Insel, die um die
achtzehn Kilometer lang und acht Kilometer breit ist und eine üppige Vegetation hat. Sosefo besitzt auch Schweine und, wie üblich,
eine kleine Plantage mit Palmen, Taroplanzen und Bananenstauden. Er freut sich, dass ich mich für die Schweine interessiere, und
lädt mich zu einem Erdofenessen ein. Daraus entsteht ein schönes
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Fest. Das Essen wird ausgebuddelt und auf Bananenblättern angerichtet. Leider musste ein Ferkel dran glauben, das jetzt schön
dressiert neben einem gebackenen Fisch und den anderen Köstlichkeiten liegt. Die vielen Gäste, sie sitzen auf Matten und essen
mit den Fingern aus geflochtenen Tellern, greifen tüchtig zu. Der
befreundete Lehrer Jean-Pierre lässt eine Wasserpfeife kreisen, und
alle singen zu Gitarrenbegleitung einheimische Lieder. Die Frauen
und Kinder sitzen etwas abseits, scheinen sich aber köstlich zu
amüsieren. Die Stimmung ist traumhaft schön. Essend, trinkend
und singend unter Palmen eines tropischen Paradieses zu hocken
und dabei eine unwahrscheinliche menschliche Freundlichkeit
und Wärme zu spüren – ist das nicht das höchste aller Gefühle?
Dies sind Momente intensiven Glücks.
Nach diesem unvergesslichen Abend setze ich am nächsten
Morgen die Segel. Ich verabschiede mich von Lolohea, der sich
um meine Gasflaschen gekümmert und mir Frischwasser zur Verfügung gestellt hat. Seine Töchter Vivian, Marie-Louise und Susanne, die das Restaurant führen, wünschen mir eine gute Fahrt:
« Tu n'as pas peur tout seul?» fragen sie noch besorgt. Nach dem
Auslaufen habe ich schön Zeit, etwas traurig zu sein.
Mein neues Ziel ist die Insel Efate auf Vanuatu mit dem Hafen
Port Vila und liegt tausend Meilen entfernt. In der ersten Nacht
soll mich der Frachter «Moana III» überholen, mit dessen Kapitän
ich vor dem Auslaufen gesprochen habe. Ich bin gespannt, ob
mich mein Radar wecken wird. Um 2300 Uhr stellt er das Echo fest
und gibt Alarm. Ich nehme per Funk kurz Kontakt auf. Die «Mooana III» fährt nach Futuna, der Schwesterinsel von Wallis.
Ein Tag gleicht dem anderen. Nachts wölbt sich ein sternenklarer Himmel über mir. Ich fühle mich total wohl. Die Genua habe ich
ausgebaumt, und der Passatwind bestimmt den Weg. Wir bewegen
uns südlich an Futuna und nördlich den Fidschi-Inseln vorbei. In
den Nachrichten höre ich vom Absturz des TWA-Jumbos kurz nach
dem Start in New York. Grässlich! Sitzen da, warten auf den ersten
Drink – pumm – fallen vom Himmel und sind tot.
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Kaum habe ich die Hälfte der Distanz hinter mir, da beginnt der
Wind Kapriolen zu schlagen. Er dreht bis auf Nord und schläft
dann ganz ein. Ich dümple so fünf bis sechs Stunden herum und
brauche den Motor nicht, denn ich habe es nicht eilig. Plötzlich
verschlechtert sich das Wetter, und es beginnt heftig zu regnen.
Wie üblich benütze ich die Gelegenheit für eine Süsswasserdusche.
Dann kommt Wind aus Süden mit 25 Knoten auf. Mit sechs bis sieben Knoten sause ich in die Nacht hinein – mein Schiff pflügt
durch eine unruhige See und rollt fürchterlich. Es braucht schon
etwas Gottvertrauen, sich bei solchen Witterungsverhältnissen
schlafen zu legen. In den Tropen sind die Nächte lang. Es beginnt
schon um sechs Uhr einzudunkeln. Am 23. Juli sichte ich einen
grünen Frachter. Ob er mich wohl bemerkt hat? Abends um 2230
Uhr programmiere ich meinen Radar für die Nacht. Verflucht, er ist
defekt. Einen gleichen Defekt hatte ich schon vor einem Jahr und
konnte ihn in Papeete reparieren. Also wird es nichts mit einer gepflegten Nachtruhe. Ich gönne mir nur kurz Schlaf, unterbrochen
durch Weckerrasseln und genaue Rundblicke in die mondlose
Nacht. Mit jedem Tag, den ich allein unterwegs bin, steigt meine
Bewunderung all diesen Einhandseglerinnen und -segler gegenüber, die in kleinen Segelbooten unglaubliche Leistungen vollbracht haben.
Am 26. Juli 1996 taucht die Insel Efate in der Morgendämmerung auf. Ich bin den achten Tag auf See. Um den Pango Point
herum segle ich in die Mele-Bucht. Um zehn Uhr fällt der Anker
vor Port Vila in der Nähe der Quarantäneboje. Die gelbe Flagge
habe ich gehisst, um anzuzeigen, dass ich Zollabfertigung wünsche. Meine Geduld wird strapaziert. Ich nütze die Zeit, um etwas
zu schlafen.
Schliesslich tauchen die Zoll- und Quarantänemenschen auf.
Es herrschen strenge Sitten. Nebst Eiern werden mir auch einige
Kokosnüsse, Zwiebeln, Knoblauch und Kartoffeln abgenommen.
Zum Glück habe ich das erwartet und meine Vorräte vorsorglicherweise versteckt.
128
Schnupperlehre in melanesischer Kultur
Port Vila – Espiritu Santo - Malakula –
Ambrym – Tanna
D
ie Möglichkeit, auf Vanuatu ein wenig von der faszinierenden melanesischen Kultur zu erleben, führt die meisten Segler in dieses Land. Die ehemaligen neuen Hebriden bestehen aus drei grossen und etwa siebzig kleinen Inseln. Ich komme
gerade recht zu den Unabhänigigkeitsfeierlichkeiten vom 30. Juli.
Dieser Akt wird mit auffällig viel Militärpräsenz begangen und
zieht sich über mehrere Stunden dahin. Vanuatu ist seit 1980 unabhängig und schaffte leicht den Sprung in die Neuzeit. Port Vila
ist zu einem Finanzzentrum und Steuerparadies geworden. Der
Tourismus bildet eine ernstzunehmende Geldquelle. 98 Prozent
der Einwohner sind auf Vanuatu geboren und nennen sich Ni-vanuatu. Sie sprechen eine Art Pidgin-Englisch: Bislama. Das ist die
einzige Möglichkeit für die etwa hundert verschiedene Dialekte
sprechenden Insulaner, sich zu verständigen. Erstaunlich viele
sprechen aber auch englisch oder französisch. Bislama hat nur
etwa 2500 Wörter mit ganz lustigen Ausdrücken. Ein paar Beispiele:
gud naet: good night (gute Nacht)
mi blong pig: pork (Schwein)
plis: please (bitte)
mi wantem toktok: I want to talk (ich wünsche zu sprechen)
tank yu tumas: thank you very much (danke vielmals)
namba wan gud ples: number one good place (ein guter Ort)
1:45 – kwota tu tu
1:15 – kwota pas wan
rubba blong fak fak: Kondom
meresin blong blokem pikinini: Antibabypille
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Einige Ausdrücke lernt man leicht, zumal die Ni-vanuatu unglaublich freundlich sind. Oft drücken sie einem die Hand und
fragen nach dem Woher und Wohin. Mir gefällt es auf Anhieb in
Port Vila. Der Vanuatu Cruising Club stellt für 35 Dollar pro Woche Bojen zur Verfügung, und für zehn Dollar werde ich Gastmitglied auf Lebenszeit. Das Dinghy-Dock liegt vor dem «Waterfront
Restaurant», das mal im «Newsweek» als beste Bar im Pazifik bezeichnet wurde. Allerdings wurde vor einem halben Jahr der Manager gefeuert, und der riesige zweihundert Jahre alte BanyanBaum, der über das Dach hinweg gewuchert und das Heim vieler
Vögel war, ist ein Opfer der Motorsäge geworden. Diese unverständliche Tat führte zu einem Boykott des Restaurants durch die
Ni-vanuatu. Der Banyan-Baum ist ein Parasit. Er wächst um einen
anderen Baum herum und stranguliert ihn schliesslich. Der
Banyan markiert üblicherweise einen Versammlungsplatz. In dessen Schatten werden Schweine geopfert und Hochzeiten gefeiert.
Kurzum, ein solcher Baum sollte nie gefällt werden.
Trotzdem treffen sich an der Bar Segler aus aller Welt. Ich lerne
einige interessante Menschen kennen, wie Matthew, der ein
Maule-Wasserflugzeug aus Australien herflog, um hier vor dem
Rossi-Hotel seine Flüge anzubieten. Ob er die Bewilligung dafür
tatsächlich bekommen wird? Sein Geld machte er in Australien als
Sprühflugzeug-Pilot. Dann Dr. Franz Schmöllerl. Er wohnt auf seiner «Big Island», blieb hier hängen, fliegt jetzt für den hiesigen Aeroclub die Chartereinsätze und riskiert sein Leben hobbymässig
mit einem fragilen motorgetriebenen Gleitschirm. Er kommt aus
Österreich, segelte mit seiner Jongert vor vierzehn Jahren los, nachdem er seine Ohren-, Nasen- und Halspraxis aufgegeben hatte. Coritta – auch Cora genannt – und Stan von der »Ambler» verdienen
ihren Lebensunterhalt als Jazz-Musiker. Gegenwärtig treten sie im
«Waterfront» auf, begleitet von Peter, einem Trompeter aus
Deutschland mit Berufsmusikerausbildung, der mit seiner fidschianischen Frau auf der «Jonathan» lebt. Ein Boot namens «Spitfire»
hängt an der Mole. Spitfire? Da muss wohl ein weiterer Pilot an
130
Bord sein. Tatsächlich flog der 75jährige Keith Thiele aus Sydney
im Zweiten Weltkrieg für die Alliierten, wurde mit seiner Spitfire
über Deutschland abgeschossen und geriet in Gefangenschaft.
Helen aus England möchte per Segelboot die Inseln Vanuatus
etwas näher kennenlernen. So lautet ihr Anschlag im «Waterfront»-Restaurant. Ihre Pläne entsprechen meinen Plänen. Also segeln wir zusammen los. Kurz vor dem Ablegen springen noch Billy
und Simon auf, nachdem sie von
Helens Plänen gehört haben. Sie
wollen nach Luganville auf Espiritu
Santo zum Tauchen. Dort liegt das
Wrack der 200 Meter langen «Präsident Coolidge», eines 22 000-Tonnen-Luxuskreuzers, der 1942 auf
zwei Minen lief, sank und jetzt als
Taucherparadies gilt. Auf dieser 40-Stunden-Reise bin ich gewissermassen medizinisch überversorgt, absolviert doch meine gesamte Crew ein zweimonatiges Medizinstudenten-Praktikum am
Port Vila Central Hospital.
Russell, ein Farmer und Motelbesitzer, führt uns auf der Insel
herum, zeigt uns seine Farm mit 200 Rindern und zwei Dörfer, deren Einwohner im Busch und nahezu isoliert leben. Die Männer
sind nur mit einem Penisschutz, genannt namba, bekleidet, die
Frauen mit einem Grasbusch oder Grasrock. Sie machen einen
scheuen Eindruck, scheinen sich nicht ganz wohl zu fühlen, von
uns Fremden begafft zu werden. Nach nur einem Tag Aufenthalt
segle ich mit Helen weiter nach Malakula. Wir gehen im Schutze
der Insel Vao vor Anker. Sofort werden wir von unzähligen Pirogen umringt. Helen löst die Gastgeberrolle elegant. Sie lädt die
ganze Gruppe zu Tee und Bisquits ein. Die Männer sind ziemlich
dunkel, haben Kraushaar und sind erfreut, dass wir sie einladen.
Am nächsten Morgen zeigen sie uns dann stolz ihr Dorf.
Auf Malakula wurde noch 1967 im Dorf Amok der letzte
Mensch – ein Franzose – verspiesen. Zum Glück ist dieser deftige
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Feinschmecker-Brauch abgeschafft, doch sonst leben die Menschen noch immer nach traditionellen Regeln.
Das Schwein wird hochverehrt und kommt in der Rangfolge
vor der Frau, die als handelbare Ware gilt. Einen Brautpreis zu zahlen, ist immer noch üblich. Junge Mädchen werden auch als
»Toyotas» bezeichnet, weil ihr Wert in etwa einem Toyota entspricht. Aber kürzlich legte die Vereinigung der Dorfältesten den
maximalen Brautpreis auf 3000 Dollar oder die diesem Wert entsprechende Anzahl Schweine fest. Kriegt die Frau kein Kind, so
kann sie umgetauscht werden. Diese Tradition des Brauthandels
macht es schwierig für Ni-vanuatu-Frauen, eine gute Ausbildung
zu erhalten. Sind sie mal verheiratet, werden sie oft geschlagen,
wenn ihre Männer kavaselig nach Hause kommen. Seit der Unabhängigkeit vor sechzehn Jahren zeichnen sich Veränderungen ab,
denn gebildete Frauen kämpfen dafür, dass Mädchen die gleiche
Ausbildungschancen wie Knaben bekommen.
Unser nächstes Ziel heisst Ambrym mit den beiden Vulkanen
Benbow und Marum. Den ganzen Tag segeln wir gegen den Südostpassat an. Helen entpuppt sich als gewiefte Seglerin und hält
mich mit Segeltrimmen ganz schön auf Trab. Im Dunst können
wir im Osten die Umrisse der Insel Pentecost ausmachen. Knaben
und junge Männer stürzen sich dort anlässlich des Yams-Festes im
Frühling an Lianen gebunden von einem extra aufgebauten Turm
in die Tiefe. Sie nennen das «Landdiving». Bungy-Jumping ist also
keine neue Erfindung …
Am Abend fällt unser Anker in der Craig Cove neben der
«Shipibo» mit Frédérique, Vincent und dem zweijährigem Sohn
Jocelain aus dem Welschland. Zwei Schweizer Yachten in Ambrym! Nach nur einer Nacht segeln wir zurück nach Port Vila.
Helen wird wieder im Spital erwartet. Diese 130 Meilen müssen
wir wieder gegenanbolzen. Am Devil's Point kurz vor Port Vila
herrscht ein fürchterlicher Seegang mit Kreuzgewell. Wir brauchen länger als vorgesehen und steuern die Stadt erst am Abend
um acht Uhr an.
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Nun verwandle ich mich in einen gewöhnlichen Touristen. Mit
einer Twinn Otter der Air Vanuatu fliege ich zusammen mit Helen
in einer Stunde nach der Insel Tanna. Sie will das dortige Spital besuchen, während ich mich einer Gruppe anschliesse. Per Pedes
führen uns zwei Einheimische durch den Busch. Wir erleben, wie
die Ni-vanuatu in ihren Dörfern leben: ohne Strom, ohne Video, so
wie schon immer und nach überlieferten Traditionen. Im August
findet jeweils das drei- bis fünftägige Nekowiar- Festival statt. Es ist
eine Zeit mit mannigfaltigen Höhepunkten: Knaben werden mit
einem Bambus-«Skalpell» beschnitten, Hochzeiten gehen über die
Bühne, Schweine werden geschlachtet, und alles ist verbunden
mit wilden Tänzen.
Auf unserem Marsch können wir zwischendurch den 361 Meter hohen rauchenden und donnernden Vulkan Yasur erkennen.
Nach vier Stunden sind wir an dessen Fuss angelangt. Dort holt
uns ein Bus ab, der uns zur Resolution Bay bringt. Hier landete James Cook 1774 und benannte die Bucht nach dem Namen seines
Schiffes. Wir nehmen ein Bad beim Yachtclub und versuchen, die
hier lebende Seekuh (dugong) mit Wasserklatschen herbeizulocken. Mir fällt fast die Taucherbrille vom Kopf, als dieses delphinähnliche, zweimetrige Ding tatsächlich angeschwommen
kommt. Ein Tourist, der diesem Tier suspekt vorkommt, wird unsanft ans steinige Ufer befördert.
Gegen den Abend erklimmen wir den Kraterrand des aktiven
Vulkans, nicht ohne vorher zwanzig Dollar Eintritt bezahlt zu haben. Die Erde zittert, ein Höllenlärm erfüllt die Luft – dann geht es
los! Die Ausbrüche erfolgen in unregelmässigen Abständen. Faszinierend dieses Schauspiel: Auf der einen Seite speit der Vulkan
brodelnde Lava aus, auf der andern fliegen glühende Lavabrocken
beängstigend nahe auf den Kraterrand. Wir müssen auf der Hut
sein. Vor einigen Jahren wurden zwei Japaner von Lavabrocken erschlagen. Schwefelhaltiger Rauch steigt auf. Je dunkler es wird, desto überwältigender das Schauspiel. Tief beeindruckt machen wir
uns auf den Rückweg.
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John, der an der Bar des »Tanna Beach Resort» arbeitet, lädt
mich zum Kavatrinken in sein Dorf ein. Die Männer sitzen um ein
Feuer. Drei Knaben kauen Wurzeln von Pfefferpflanzen. Der mit
Speichel vermischte matschige Brei wird in ein Tuch gewickelt und
im Wasser ausgedrückt. Hygienisch? Wohl kaum. Deshalb dürfen
nur gesunde junge Knaben diese Wurzeln kauen. Diese Kavabrühe
wird dann mit einer Kokosnussschale geschöpft und macht die
Runde. Der Kava ist hier viel stärker als in Fidschi. Nach nur einer
Schale fühle ich mich leicht betäubt, aber total entspannt.
Zurück in Port Vila herrscht viel «action». Der Vanuatu Cruising Club erwartet 45 Yachten des Yacht-Rennens von Musket
Cove nach Port Vila und 15 Boote der Regatta von Nouméa nach
Port Vila. Ich treffe viele bekannte Yachten und Freunde. Die Preisverteilung wird am 13. September im Rahmen eines ausgelassenen
Festes begangen. Für Port Vila ist dieser Anlass sehr wichtig. Am
Sonntag schliesst eine Regatta in der Melebucht diese Woche ab.
Vor dem Clubhaus wird noch ein Biertrink-Wettbewerb ausgetragen, auch mit einer Frauenstaffette. Ich habe einschlägige Erfahrungen aus meiner Studentenzeit bei der Fortuna Schaffhausen
und schlage mich entsprechend gut. Trotzdem ist gegen das neuseeländische Team nichts auszurichten. Die Frauen drehen etwas
durch. Jedenfalls schmeissen sie sich plötzlich das Bier um die Ohren. Die Anführerin, Faye von der »Spitfire», wird vom Clubpräsidenten unter dem Gegröle der Anwesenden zurechtgewiesen.
Jedenfalls habe ich abends einen entsprechend schweren Kopf
und will von Bier vorerst nichts mehr wissen.
Port Vila ist ein Ort, den ich jedem Segler empfehlen kann. Im
Club Vanuatu, wo hauptsächlich Ni-vanuatu zu heisser Musik der
Band «Vatoro» tanzen, geht es an Freitag- und Samstagnacht hoch
zu und her. Es wird viel getrunken, und dementsprechend ist die
Stimmung. Auch die Frauen giessen Bier in sich hinein. Die einheimischen Frauen sind recht dunkel, teilweise schwarz wie die
Nacht. Der weisse Mann steht hoch im Kurs. Die Frauen kommen
gerne für eine Nacht auf das Boot. Zuerst muss dann was zum Es-
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sen her – hungrig sind sie immer –, dann wird mit harten Getränken nachgespült, bis die Flasche leer ist. Kaum hat sich Helen verabschiedet, mache ich die Bekanntschaft Lorittas aus Pango. Sie
fordert mich zum Tanzen auf. Als sie erfährt, dass ich auf einem
Segelboot lebe und beim «Waterfront Restaurant» hänge, sagt sie
mir klar und ohne Umschweife: «Tonight I go with you. » «What
for?» frage ich sie. «Just to have a good time!» ist ihre Antwort,
und später, bei einem weiteren Tanz, flüstert sie in mein Ohr: «Tonight, I will give you a real good fuck. » Das tönt immer verheissungsvoller. Später auf meinem Boot ist dann nach einigen RumDrinks, mit ausgepressten Limes sauer gemacht und mit etwas
Zucker versüsst, nicht mehr viel von ihren Versprechungen übrig.
Erst am nächsten Tag, einem Sonntag, wird Loritta aktiv und löst
ihr Versprechen ein. Aber das auch erst, nachdem der Mittag längstens vorüber ist, wir ausgelaufen sind und an einer Boje in der nahen Melé-Bucht zum Baden festgemacht haben. Bevor sie am
Montag nach Hause zurückkehrt, bittet sie mich um etwas Geld
für den Bus. So um die zehn bis zwanzig Dollar. Damit kann sie
wohl einen halben Monat Bus fahren. Leichte Mädchen oder einfach neugierig? Ich habe etwas Mühe, mich loszureissen und die
320 Meilen nach Nouméa weiterzusegeln. Halb so schlimm. Franz
von der «Big Island», der zwei Wochen bleiben wollte, ist schliesslich schon vier Jahre hier.
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Ziel Australien
Port Vila – Nouméa–
Brisbane
«L
e Caillou» – so nennen die Einheimischen Grand Terre,
die Hauptinsel Neukaledoniens – taucht in der Morgendämmerung des 25. Septembers 1996 vor mir auf. Dieser
«Stein» hat aus dieser Sicht eine rötlich braune Farbe und nur gegen das Ufer hin Vegetation in Form von Palmen, Kiefern oder
Mangroven. Mit der «Hasta Mañana» nähere ich mich dem Havannah-Kanal. Bis Nouméa sind es noch vierzig Meilen. Ich muss
mich also sputen, will ich es noch bis zum Eindunkeln schaffen.
Die 320-Meilen-Überfahrt von Port Vila war nicht gerade angenehm. Anfangs hatte ich Ostpassat von gegen 25 Knoten und
eine grobe See. Mein Boot machte unruhige Sprünge. Ich
schluckte sogar zwei Stugeron gegen die Seekrankheit. Dieses Medikament hilft wohl, macht mich jedoch schläfrig. Ich schlief die
ganze Nacht durch wie ein Stein. Schliesslich weckte mich das
Schlagen der Segel; der Ostpassat war eingeschlafen. Ich startete
den Motor. Am Abend liess mich gurgelndes Geräusch die Bodenplatten öffnen. In der Bilge stand viel Wasser. Eine Schlauchverbindung hatte sich gelöst, und die Frischwasserpumpe leerte den
200-Liter-Steuerbordtank in die Bilge. Ich hatte eine alte Regel verletzt: Wenn immer der Motor läuft, ist die Frischwasserpumpe auszuschalten, weil man nicht hören kann, wenn die Pumpe pausenlos läuft. Der Schaden war schnell behoben. Ich musste den
Schlauch anbringen und die Bride besser anziehen. Den Grossteil
des Wassers zuerst mit der Bilgenpumpe, den Rest mit Schwamm
und Eimer bei bockendem Schiff aus der Bilge zu kriegen, war weniger angenehm. Dann kam wieder Südostpassat auf. Ich schaffte
es gerade, die östliche Seite der Insel Lifou anzuliegen. Auf dem
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letzten Stück zum Havannah-Kanal drehte der Wind auf Süd. Ich
musste den Motor starten, um die Südspitze von Grand Terre zu
erreichen.
Jetzt passiere ich den Riffgürtel, der mit nicht weniger als 800
Kilometern Länge die ganze Insel umrundet. Auf dem Weg nach
Nouméa bleibt mir nichts anderes übrig, als unter Motor zu fahren, denn der Wind dreht mehr und mehr nach West, was hier
eher unüblich ist. Ein Gefühl gespannter Erwartung erfüllt mich.
Beeindruckend, kaum ist man ein paar Tage gesegelt, trifft man
ein völlig neues Land. Das ist es, was mich am Langstreckensegeln
fasziniert. Hier wird auch französisch gesprochen. Zum Glück
habe ich in der Schule gut aufgepasst. Grand Terre ist 400 Kilometer lang und 50 Kilometer breit. Die Hälfte der 180 000 Einwohner
dieses Landes leben in Nouméa. Die Insel ist reich an Bodenschätzen. Beim Nickelabbau liegt es hinter Kanada und Russland an
dritter Stelle. Auch die Land- und Forstwirtschaft spielt eine grosse
Rolle. Der Tourismus ist, ähnlich wie in der Schweiz, durch die hohen Preise handikapiert: Es hat kaum Australier oder Neuseeländer unter den Besuchern. Nur die Franzosen und Japaner können
es sich leisten, hier Ferien zu verbringen.
Beim Einlaufen in die Baie Moselle erscheint mir Nouméa wie
eine französische Stadt am Mittelmeer. Auf Kanal 67 rufe ich «Port
Moselle», werde sofort eingewiesen und mache am «Visiteur»-Dock
kurz vor dem Einnachten fest. Diese ersten Stunden in einem neuen
Hafen geniesse ich besonders. «Pirat», mein Schweizerfreund aus
Neuseeland, lädt mich zum Nachtessen auf seine «Rory Mhor» ein.
Sein Boot ist 17 Meter lang, weshalb «Pirat» auf eine Crew angewiesen ist. Sogar Bruno Müller, genannt «Moritz», ein gemeinsamer
Freund aus unserer Zeit am Technikum Winterthur, ist mit seiner
Frau Katrin aus der Schweiz eingeflogen, um mit «Pirat» ein Stück
mitzusegeln. Vergangene Zeiten werden wach …
Nouméa ist eine kosmopolitische Stadt. Was sofort auffällt: der
starke Verkehr mit meist neueren Autos, mit vielen teuren Modellen wie BMW, Mercedes, neben französischen und japanischen
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Wagen. Hoch im Kurs steht der Wassersport. Viele Segel- und Motorboote hängen in den Marinas oder an Bojen und sind am Wochenende in der Lagune anzutreffen. Für das Windsurfen sind die
Verhältnisse hier geradezu ideal. Auch zum Tauchen oder Schnorcheln finden sich viele Reviere. Leider ist auch der «Jetski» stark
verbreitet. Rücksichtslos sausen diese Motorsportler in der Lagune
herum. Schöne Frauen aller Rassen flanieren durch die Einkaufsstrassen oder sind am Place des Cocotiers anzutreffen. Am Abend
begegnet man ihnen oft im «Café de Paris» beim Flirten mit jungen, kurzgeschorenen französischen Soldaten. Übrigens ist dies
die einzige Insel im Pazifik, wo Frauen oben ohne baden. Es ist
auch mal wieder schön, sich als kleiner Voyeur zu betätigen. Speziell vor dem Club Méditerrannée ist die Augenweide gross. Einkaufen kann man europäisch. Sogar Greyerzer und Raclettekäse
aus der Schweiz kann man hier finden.
Kanaken, wie sich die Melanesier hier nennen, sieht man selten in Nouméa, höchstens beim Busbahnhof. Sie leben ausserhalb
der Stadt oder auf anderen Inseln und stellen etwa 45 Prozent der
Bevölkerung. Von den Weissen ist etwa die Hälfte hier geboren.
Die Kanaken tauen erst auf und werden freundlich, wenn sie merken, dass man kein Franzose ist. Neukaledonien, das seinen Namen – wie so viele pazifische Inseln – vom Entdecker James Cook
erhielt, fiel 1853 an die Trikolore. Heute ist die Unabhängigkeitsbewegung sehr stark. Immer wieder gab es in der Vergangenheit
Ausschreitungen und Konflikte. 1998 fand eine Abstimmung über
die Unabhängigkeit statt. Die Zukunft wird den Kanaken zunehmende Freiheiten bringen. Man kann sich allerdings schwer vorstellen, wie die Wirtschaft ohne Franzosen florieren kann.
Einen Vormittag lang nehme ich mir Zeit, die Austellung «Spirit Blong Bubu I kam back» über die kulturelle Tradition Vanuatus
zu besuchen. Viele ausgestellte Gegenstände und Photographien
sind im Besitze des Basler Völkerkunde-Museums und stammen
vom Anthropologen Felix Speiser, der anfangs dieses Jahrhunderts
Vanuatus Kultur erforschte. Im Jahr 1923 erschien sein Buch, das
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1990 ins Englische übersetzt und den Schulen Vanuatus zur Verfügung gestellt wurde.
Im Hafen von Port Moselle liege ich für 18 Dollar pro Tag gut.
Es gibt Strom, Wasser und Duschen. Leider ist kein Restaurant in
der Nähe zu finden, vorerst wenigstens. Auch wenn ich im Moment allein unterwegs bin, sterbe ich keinesfalls an Einsamkeit.
Im Hafen treffe ich all die Yachties, die ich teilweise seit dem Frühjahr kenne. Auch zwei Schweizer Boote sind hier: die «Pura Vida»
mit Vreni und Toni aus Schiers und die «Sea Canary» mit Syord.
Ferner Koni aus Zürich mit seiner unter italienischer Flagge
segelnden «Sciusciutti». Einige Yachten verlegen sich später in den
«Cercle Nautique de Calédonie», wo die Bootsplätze nur sechs
Dollar pro Tag kosten und es das billigste Bier in Nouméa gibt:
eine Stange «pression» für 1.20 Dollar.
Abends bin ich natürlich auch unterwegs. Oft starte ich in einem Nakamal (Kava-Bar) in der Nähe des Hafens. Eine Schale Kava
kostet einen Dollar. Man hockt um ein Feuer, die Stimmung ist
friedlich, und man unterhält sich leise. Allerdings habe ich schon
nach zwei Schalen ein taubes Gefühl im Mund und bin einmal
mehr völlig entspannt.
Kaum habe ich Loritta aus Pango bei Port Vila etwas vergessen,
mache ich hier die Bekanntschaft Fabienne Esmeraldas. Ihr Vater
war Fischer und stammte aus den Marquesas. Sein Boot hiess «Esmeralda», deshalb Fabiennes zweiter Name – schön nicht wahr?
Wir beschliessen, zusammen der «Ile des Pins» einen Besuch abzustatten. Esmeralda ist 29, hat fünf Kinder von 3 bis 12 Jahren
und lebt von Alimenten. Die Kinder gibt sie kurzerhand ihrer Mutter in Obhut. Ihr letzter Mann war Bretone, falls sie überhaupt jemals verheiratet war. Ich lebe also wie eine Biene, die von Blüte zu
Blüte fliegt. Andere mögen sagen, dass ich die Frauen wechsle wie
mein Hemd. Das ist vielleicht unmoralisch, aber wohl kaum strafbar. Zudem, was bleibt mir anderes übrig, nachdem ich ständig
unterwegs bin? Das Aids-Problem ist auch im Pazfik bekannt. Die
Bevölkerung wird mit Anschlägen und Zeitungsenberichten dar-
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auf hingewiesen. Aber was macht man, wenn eine Frau – wie
Loritta – ihre Vorstellungen auf so unzweideutige Weise äussert: «I
want meat to meat – I am clean»?
Nachdem am folgenden Sonntag ein Freund Fabienne bei meinem Boot abgeliefert hat, gehen wir auf dem nahen Markt zum Einkaufen. Sie möchte zwar unterwegs einen Fisch fangen, da ich aber
dem Fischerglück nicht vertraue, kaufe ich lieber hier einen kleinen
Bonito. Sicher ist sicher. Die erste Tagesetappe führt uns in die Baie
de Prony. Das Wetter ist herrlich zu dieser Jahreszeit, so wie ein
schöner Sommertag in Europa – nur bläst der Wind zum Segeln immer. Fabi segelt gerne, will aber schon früh mit dem Apéro beginnen und zwar mit Brandy. Pur, nicht etwa verdünnt! Als ich nach
ihrem ersten Glas die Flasche verstauen will, protestiert sie: «Lass die
Flasche besser hier!» Dass Frauen in der Südsee gerne trinken, ist inzwischen nicht mehr neu für mich. Am Abend vor Anker treffen wir
wieder die »Rory Mhor» und kommen zu einem weiteren Apéro.
Zurück an Bord, beginnt Fabienne mit dem Kochen. Zuerst rüstet sie den Salat und übergiesst ihn mit einer pikanten Sauce.
Dann kommt der Fisch an die Reihe. Sie weiss, wie das geht, und
bringt das Öl auf die richtige Temperatur. Dann dreht sie aber
plötzlich den Gashahn zu. «Pourquoi?» frage ich erstaunt. «Je
veux faire amour avec toi, maintenant!» erklärt sie und beginnt
mich anzumachen. Hier fordert offensichtlich die Natur ihren
Tribut. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Ich tue, was zu tun ist,
und lege sie auf die Steuerbordkoje im Salon. Erst nachdem ihr
Sturm der Leidenschaft etwas verebbt ist, kocht sie weiter. Hier in
Kaledonien scheinen sie spezielle Küchensitten zu haben! Fabienne entpuppt sich als gute und phantasievolle Köchin, ist ein
Kind der Natur und hat ein unverkrampftes Verhältnis zu ihrem
Körper. So geht sie auch nie aufs Boots-WC, sondern erledigt ihre
Geschäfte, indem sie sich über die Reling hängt und sich an den
Wanten sichert. Auch unterwegs.
Am nächsten Tag müssen wir früh aufstehen, denn es sind
vierzig Meilen gegen den Passat – meist mit Motor – zur »Ile des
141
Pins». Ich blinzle ins Morgenlicht, die »Rory Mhor» ist schon längstens weg. Zwei Stunden nach der Abfahrt spricht der Automatikschalter der Bilgenpumpe an, den ich in Nouméa eingebaut
habe, nach der Erfahrung mit dem Süsswasser in der Bilge. Dieses
Mal ist es Salzwasser, das fast zehn Zentimeter hoch in der Bilge
steht. Woher kommt es? Vielleicht von der Wellendichtung? Aber
es tropft auf der Steuerbordseite des Motors. Ich löse die Verschalung – die Seewasserpumpe hat einen Riss. Unter Druck spritzt Seewasser ins Boot. Wir müssen die «Ile des Pins» vergessen. Ich stelle
den Motor ab, und wir segeln zurück in die Baie de Prony und verbringen dort drei schöne Tage. Fabi nimmt es gelassen und freut
sich am täglichen Kochen. Mit günstigem Wind segeln wir dann
in Richtung Nouméa. Die letzte Nacht verbringen wir in einer
Bucht, etwa vier Stunden östlich der Hauptstadt.
In Nouméa baue ich die Seewasserpumpe meines Motors aus.
Christian Caraud aus Ducos bestellt einen Ersatz in Australien.
Das kostet mich 700 Dollar. Was mich ärgert: Die Pumpe bekam
diesen Schaden, weil Russell vom Marine Service in Whangarei
statt des Original-Johnson-Impellers ein Volvo-Produkt einsetzte.
Die Differenz hatte er mit einer Scheibe ausgeglichen, welche
dann innerhalb von 180 Motorenstunden die Pumpe «killte». Ich
schreibe ihm einen Brief. Ob ich wohl je eine Antwort erhalte?
Auf jeden Fall hält mich mein Boot auf Trab. Das Segeln ist geradezu die ideale Mischung aus Stress und Erholung für einen Pensionierten. Immer wieder wird man bei Überfahrten oder technischen Problemen gefordert. Was mich bei dieser Art des Reisens
am meisten freut, nebst dem Kennenlernen neuer Menschen und
Länder: Meine Wohnung ist immer dabei, wohl mit kleinen Zimmern und Küche, jedoch mit meinen Büchern, TV, Video, CDPlayer und Laptop.
Mit meinen Söhnen und mit meiner Mutter, die schon über
achtzig ist, habe ich guten Kontakt per Telefon oder Fax. Bedrückend ist, dass Mutter gesundheitlich nicht auf der Höhe zu
sein scheint. Ich fehle ihr, wie sie so schön sagt, und auch ich ver-
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misse sie. Immerhin kümmert sich meine Schwester um sie. Weil
ich mir etwas Sorgen um meine Mutter mache, werde ich dieses
Jahr schon anfangs Dezember in die Schweiz reisen und bis zu
ihrem 81. Geburtstag Ende Januar bleiben. Vielleicht kann ich sie
auch nochmals nach St.Lucia begleiten, wo sie so gerne Ferien
macht.
Die letzte Samstagnacht vor dem Auslaufen verbringe ich im
Restaurant «L'Hélice» (Propeller) beim Flughafen Magenta. Hier
spielt die Band «Te Ava Piti» aus Papeete bis vier Uhr morgens zum
Tanz auf, nur mit kurzen Pausen zwischen den Stücken, in denen
der Tanzpartner gewechselt wird. Viele Tahitianer leben in
Nouméa und profitieren von den guten Verdienstmöglichkeiten.
Die teilweise riesigen Männer haben eine Tiare-Blüte hinter das
Ohr geklemmt. Ich tue es ihnen gleich. Die Frauen sind herausgeputzt und tragen oft einen Blumenkranz um den Kopf. Das kitzelt
beim Tanzen in der Nase. Die Hüften betonen sie mit einem Tuch,
einem Band oder einem Perlmuschelgürtel. Ich liebe es, ihren erotischen Bewegungen beim Tanzen zuzuschauen. Inzwischen tanze
ich ganz leidlich Tamourée. Die Lebenslust dieser Menschen – sie
lieben Musik, Gesang, Essen, Trinken und die Liebe – ist ansteckend. Oft tanzen Frauen zusammen, weil es mehr Frauen als
Männer hat. Dieses Fest ist ein würdiger Abschluss meiner Zeit in
Nouméa.
Am 22. Oktober stosse ich vom Steg ab und setze die Segel zum
800-Meilen-Törn nach Brisbane in Australien. Die Meteo verspricht gute Bedingungen. So ist es dann auch. Der Südostpassat
von 20 bis 25 Knoten hält durch und beschert mir angenehme Segeltage. Ich bin immer noch Einhandsegler – unterwegs kann ich
gewissermassen Seele und Geist reinigen, habe Zeit zum Lesen,
Musik hören oder einfach zum Träumen und die vielen Eindrücke
zu verarbeiten, die Menschen und Länder hinterlassen haben.
Mit «Pirat» habe ich unterwegs zweimal Radiokontakt. Es tut
gut, einen Freund an der Strippe zu haben. An einem Sonntag
«treffen» wir uns zu einem gemeinsamen Apéro über Funk: ich
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sechzig Meilen vor der Küste Australiens, er mit Tochter Yvonne
und Pat, Claire und Dick von der «Runaway» in Nouméa. Schön,
sich trotz der Distanz verbunden zu fühlen. In der Nacht darauf
muss ich um 01.00 Uhr aufstehen. Der Wind ist eingeschlafen. Es
herrscht starker Schiffsverkehr ab zwanzig Meilen vor der Küste,
hauptsächlich Fischerboote. Ich folge der Küste zum Brisbane River, bis ich schliesslich um 14 Uhr am Quarantäne-Dock anlege.
Die Zollbeamten sind ausgesprochen freundlich.
Dann tuckere ich entlang des Flusses zur Dockside Marina. Ray
Dahlin weist mir einen Platz zu. Und jetzt betrete ich zum ersten
Mal in meinem Leben australischen Boden! Es ist Frühling hier,
und die Jacaranda-Bäume blühen. Ich geniesse die letzen warmen
Sonnenstrahlen dieses Tages. Meine Wohnung, die «Hasta
Mañana», liegt mitten in der Stadt. Mein Saisonziel ist erreicht –
Skipper und Boot sind wohlauf.
144
Auf Schusters Rappen
Trekking in Tasmanien
M
ein Abstecher im Dezember 1996 in die Schweiz erfolgt gerade zur rechten Zeit. Aus den verschiedensten Gründen:
Meine Mutter ist gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe
und braucht Zuwendung. Meiner Schwester steht eine Trennung
von ihrem Mann Reini – meinem langjährigen Starbootvorschoter
– bevor. Mein jüngerer Sohn Ronald hat seine Stelle verloren. In
meinem vermieteten Haus steht ein Mieterwechsel bevor, und mein
alter Audi 100 ist vorzuführen. Nur bei meinem älteren Sohn, Oliver, scheint zum Glück alles «paletti» zu sein. Also packe ich die Probleme an, so gut ich kann. Schliesslich komme ich doch noch dazu,
mich und mein Snowboard an der Bündner Sonne zu bewegen. In
Davos treffe ich auch «Pirat», meinen Schweizer Seglerfreund aus
Neuseeland. Leider verstarb seine Mutter, und er war zur Beerdigung
in der Schweiz. Zufälle gibt es: An einem Samstagabend treffe ich im
«Pöschtli» in Davos Roger Bachmann, einen Drachensegler vom
YCS, samt Familie: «Die Drachenflotte hat morgen ihr Skirennen
am Jakobshorn», lassen sie mich wissen. Also nichts wie hin. Herrlich, mit Thesi und Walti Schröckel, Walo Hauser, Kurt Walder, Dieter Schmid – seine Stimme ist mir auch von Radio Schweiz International vertraut – und weiteren Flottenmitgliedern ein paar Stunden
zu verbringen. Schliesslich bleibt mir nur noch Zeit, Freunde zu besuchen. Viel zu schnell steht meine Abreise zurück nach Mooloolaba, östlich von Brisbane, zur «Hasta Mañana» vor der Tür, wo Rolf,
ein Schweizer Segler, auf mein Bötchen aufpasst.
Kaum angekommen, wird mir vor Augen geführt, wie wichtig
es ist, die Zyklonsaison sorgfältig zu planen. Diese sollte man
nicht wesentlich nördlich von Brisbane verbringen. Die Zeitun-
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gen und TV-News sind voll von Berichten über Verwüstungen, die
der Zyklon «Justin» anrichtet, der 500 Kilometer östlich von
Cairns wütet. Ein kanadisches Paar, das blöderweise per Segelboot
in der Nähe war, kann per Helikopter von Cairns aus gerettet werden. Nach zehn Tagen scheint «Justin» seine Kraft zu verlieren.
Eine falsche Hoffnung. Er schöpft neue Kraft und bewegt sich ab
24. März Richtung Cairns. Nach dessen Durchzug ist die Marina
zerstört, und die Küsteninseln bis hinunter nach Mackay müssen
evakuiert werden. Zuckerrohr- und Bananenplantagen wurden zu
Boden gewalzt. Die Überschwemmungen sind beträchtlich. Die
«Queen Charlotte», ein 50-Fuss-Segelboot aus Neuseeland, wird
mit fünf Personen an Bord vermisst. Diese Yachties wollten ans
Tallship Race von Hongkong nach Osaka. Später sichtet die Coast
Guard das havarierte Boot, jedoch ohne Spuren der Crew. Die Eltern eines 18jährigen Mädchens, das an Bord war, starten zusätzlich zur Coast Guard eine eigene Suchaktion, allerdings ohne Erfolg. Mir scheint es auch in diesem Fall unverständlich, warum
überhaupt ein Segelboot während der Zyklonsaison, die in der
Südsee von anfangs Dezember bis Ende April dauert, in dieser Gegend unterwegs war, die gewissermassen als Geburtsort dieser
Sturmtiefs gilt.
Auch hier in Mooloolaba bläst es mit 25 Knoten. Nachdem
«Justin» in den Pazifik entschwunden ist, mache ich mich daran,
mein Boot zu überholen. Ich liege an der «Sunshine Coast», wie
dieser Streifen Queenslands heisst. Hier ist es warm, doch das
Vergnügen, im Meer zu schwimmen, leiste ich mir nur am Wochenende, denn ich will doch möglichst bald mein Boot überholt
haben. Charly, der Besitzer der Lawries Marina, hebt es elegant mit
dem Travellift aus dem Wasser. Nächste Station ist die Sandstrahlbox – denn der backbordseitige Rumpfvorderteil soll neu gespritzt
werden. Steve von den «Boatmen» arbeitet speditiv: Sandstrahlen
und Grundieren sind erledigt, bevor mein Boot überhaupt im
«Cradle» steht. Das Spachteln und Schleifen übernehme ich selber. Anschliessend wird die Fläche neu gespritzt. Schön, wie die
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neue Farbe glänzt. Per Roller bringe ich noch einen neuen Unterwasseranstrich auf. Nach kaum einer Woche bin ich wieder im
Wasser.
Die Preise sind vernünftig. Hier fühle ich mich besser bedient
als in Neuseeland. Überhaupt macht es mir Spass, mein Boot wieder startklar zu machen, will ich doch anfangs Mai wieder auslaufen. In der Lawries Marina lebt es sich gut. Pro Monat kostet mich
ein Wasserplatz inklusive Wasser und elektrischer Strom 270 australische Dollar oder etwa dreihundert Franken. Jeden Freitagabend treffen wir uns zum Barbeque im Hafenareal. Segelmacherei, Bootsbedarfladen, Bootsbauer, Schlosserei, Rigging und ein
Einkaufszentrum befinden sich in nächster Nähe. Auch ein Pub,
und Spielsalon, mit der Möglichkeit, auf Pferde zu wetten, fehlt
nicht. Die grosszügige australische Mentalität gefällt mir auf Anhieb. Steht an einem Restaurant «BYO» angeschrieben, so heisst
das «Bring your own» oder bring deinen eigenen Alkohol mit. Der
Kühlschrank und Gläser stehen zur Verfügung. Das Bier wird in
vorgekühlten Gläsern und eiskalt serviert. Ein paar typisch australische Ausdrücke habe ich aufgeschnappt:
no worries: alles klar
bloke: Kerl
mate: Kumpel (sprich: Mait)
good on ya: gut gemacht
G‘day: guten Tag
I‘ll catch you later: ich seh dich später
pissed: betrunken
shout: Getränkerunde
yummi: lecker, gut
Kaum schwimmt mein Boot wieder, mache ich mich daran,
Australien zu entdecken – oder wenigstens einen kleinen Teil davon. Australien ist ungefähr so gross wie die USA, ohne Alaska. 85
Prozent der etwa 18 Millionen Einwohner leben in den wenigen
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grossen Städten. Der riesigen Distanzen wegen wähle ich das für
mich günstigste Verkehrsmittel: das Flugzeug. Mit der Qantas
fliege ich von Brisbane nach Sydney. Diese herrlich gelegene Stadt
beherbergt im Jahr 2000 die Sommerolympiade. Das ist an allen
Ecken und Enden zu sehen. Die Harbour Bridge und das Opernhaus stechen sofort ins Auge. Am Karfreitagabend erstehe ich ein
Ticket für die «Matthäus-Passion» von Johann Sebastian Bach,
sitze tatsächlich in diesem attraktiven Bau und lausche der festlichen Musik. Erstaunlicherweise singen die Solisten und der Chor
deutsch. Für einmal sind es die Mehrzahl der Besucher, die mit
Hilfe des Programms versuchen, etwas zu verstehen. Lustig, nicht
wahr?
Am Samstag schiesse ich
ein paar Fotos vom Flugzeugträger «USS Independence»,
der hier einige Tage im Hafen
liegt und – unglaublich –
5000 Mann Besatzung hat.
Ein Teil davon bewegt sich
abends unübersehbar durchs Vergnügungsviertel. Dieses Schiff
nahm an den amerikanisch-australischen Manövern »Tandem
Thrust» in der Coral Sea teil, welche durch «Justin» arg behindert
wurden.
Nach einigen Tagen fliege ich weiter nach Melbourne und
besuche Freunde aus Stein am Rhein, Susi und Ernst Garbagnati.
Diese Stadt ist geschichtsträchtig und sportbegeistert wie ganz
Australien. 1956 fand hier die Sommerolympiade statt. Alljährlich treffen sich im Flinders Park, der jetzt Melbourne Park
heisst, die besten Tennisspieler zum Australian Open, einem der
vier Grand-Slam-Turniere, und auf der Grand-Prix-Strecke die
Formel-1-Fahrer. Diesen herrlichen Kurs fahren wir selber einmal ab.
Nach Melbourne fliege ich zum eigentlichen Ziel meiner Reise:
nach Hobart auf Tasmanien. Dort will ich mich mit Susi treffen,
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einer Freundin, die gelernte Konditorin und ein hübsches und
auch etwas wildes «Frauenzimmer» ist. Ihr Vater ist Schweizer,
ihre Mutter Koreanerin. Von ihr hat sie auch ihre Augen, weshalb
ich sie «Susi Wong» nenne. Mit ihr will ich mich durch die Wildnis schlagen, das was man hier als «Bushwalking» bezeichnet.
Hobart ist das Ziel des alljährlich am «Boxing Day» – am 26.
Dezember – gestarteten Telstra-Yachtrennens von Sydney nach
Tasmanien, das als einer der härtesten Hochseewettbewerbe der
Welt gilt. Am 29. Dezember 1976, morgens um 0307 Uhr, wurde
hier am Battery Point der seit 1975 durch Jim Kilroys Yacht «Kialoa» gehaltene Rekord durch die «Morning Glory» um 29 Minuten
und 46 Sekunden unterboten. Dieses Boot des deutschen Eigners
Hasso Plattner hat ein amerikanisches Design und wurde in Australien gebaut. Der Eigner zeigt sich grosszügig. Er liess seinen Rekord etwas kosten und verteilte kurzerhand das Preisgeld von
300 000 australischen Dollar oder etwa 350 000 Franken an die
zwanzigköpfige Crew. Zu dieser Crew gehörte der America-CupSteuermann Russell Coutts aus Neuseeland und der brasilianische
Olympiasieger im Starboot Torben Grael.
Tasmanien ist ein wildes Land mit nur 400 000 Einwohnern
und etwa doppelt so gross wie die Schweiz. Hier ist die Natur intakt und wird durch grosszügig angelegte Nationalparks geschützt. Zu den «Tracks» gelangt man durch einen «Wilderness
Travel»-Busbetrieb.
Susi trifft an einem Sonntag ein. Trotz des Fluges um die
halbe Erde mit Singapore Airline strotzt sie vor Unternehmungslust. Unsere Basis haben wir im «Central City Backpacker»-Hotel.
Wir lieben diese Unterkünfte, die in Neuseeland und Australien
überall anzutreffen sind. Bin ich in Begleitung, so nehme ich ein
«Double», was hier 36 Dollar pro Nacht kostet. Ein Platz im
«Dormitorium» wird für 12 Dollar angeboten. Die Küche und
der Aufenthaltsraum sind grosszügig angelegt. Hier trifft man
Reisende aus der ganzen Welt und hat sofort Kontakt. Allerdings
ist gegenseitig etwas Rücksichtsnahme angesagt. Manchmal
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fehlt ein bisschen von der Milch, die man im Kühlschrank angeschrieben hingestellt hat. Take it easy!
Wir fliegen mit einer Cessna 206 in knapp einer Stunde nach
Melaleuca. Der junge Pilot schafft die Landung gerade noch, denn
das Wetter sieht nicht gerade verheissungsvoll aus. Das ist an der
tasmanischen Südküste normal, zudem hat der Herbst gerade begonnen. Der «South Coast Track» führt über achtzig Kilometer:
Wir rechnen mit sieben bis acht Tagen bis zum Cokle Creek. Was
Anforderungen stellt, sind nicht die Distanzen und die Höhenunterschiede, sondern das rauhe Klima, das sogar im Sommer
Schnee bringen kann. Es ist auch das Gewicht – etwa 25 Kilo – des
Rucksackes, der Zelt, Kocher, Kleider für kaltes und warmes Wetter, nebst dem Essen für etwa neun Tage enthält. Im Gegensatz zu
Neuseeland gibt es hier selten Hütten. Dieser Track bietet immer
wieder faszinierende Ausblicke zur wellenumtosten Küste.
Die erste Nacht im Zelt werden wir daran erinnert, dass wir
nicht allein in der Natur sind. Susi stellt am Morgen erstaunt fest,
dass in ihrer neuen Goretex-Jacke zwei Löcher klaffen. Ein «Tasmanischer Teufel»! Kein Witz, den gibt es wirklich. Er hat sich
tatsächlich durch die Jacke gefressen, um an darunterliegendes
Studentenfutter zu kommen. Das nur hier existierende, etwa puddelgrosse Tier ist nachts aktiv und ein Allesfresser. Die nächste
Nacht sind wir schlauer, so denken wir zumindest, und platzieren
alle Nahrungsmittel zu unseren Füssen im Zelt, doch am nächsten
Morgen entdecken wir verstört ein etwa orangengrosses Loch am
Zelt. Nur geruchdichtes Verpacken der Nahrungsmittel hilft gegen
diese schlauen Diebe. Es gibt auch drei Arten giftiger Schlangen,
die hier heimisch sind. Wir haben unterwegs vier gesehen. Sie verschwinden normalerweise im Busch, wenn sie beim Sonnenbad
aufgescheucht werden. Man hüte sich davor, auf eine zu treten.
Gegengift kann man nicht mitnehmen, weil es nur im Kühlschrank haltbar ist. Überhaupt sind wir uns der Gefahren bewusst,
die in dieser abgelegenen Gegend lauern. Zum Beispiel würde ein
Beinbruch sofort zu einer Überlebensübung ausarten.
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Am zweiten Tag durchqueren wir drei Flüsse. Nasse Füsse haben wir schon lange, nachdem wir einige Schlammpassagen überwinden mussten. Beim ersten hängt ein Seil an einem dünnen
Baum über dem Fluss. Ich versuche rüberzukommen – prompt
bricht das Bäumchen, und ich hänge mit Sack und Pack über dem
reissenden Wasser. Susi weiss nicht, ob sie lachen oder sich Sorgen
machen soll. Ich hangle mich mühsam zurück. Meine Gefährtin
hat eine bessere Lösung: Sie hockt sich rittlings auf einen im Wasser liegenden Baumstamm und hopst Stücklein um Stücklein auf
die andere Seite. Ich folge ihrem Beispiel. Drüben angekommen,
brauche ich vorerst eine Verschnaufpause. Der dritte Fluss beschert uns kaltes, hüfthohes Wasser, und das kurz vor dem Zeltplatz. Diese Plätze liegen in der Regel geschützt und in der Nähe
einer Wasserstelle. Sie verfügen über ein abseits gelegenes Plumpsklo, ohne Häuschen. Man sitzt in der freien Natur und kann so ungehindert seine Gedanken spazieren führen. Muss man unterwegs
mal, sind die Exkremente mit einer kleinen Schaufel einzugraben.
Gegen Abend treffen Mitchell aus England und Mark aus Australien am gleichen Zeltplatz ein. Zusammen sitzen wir am Lagerfeuer und fühlen uns total wohl. Mark ist unterwegs, Australien
mit dem Fahrrad – das sind immerhin 13 800 Kilometer – zu umrunden und ist total fit. Übrigens ist ein 75jähriger Ultra-Marathonläufer daran, das Gleiche per pedes zu schaffen. Pro Tag läuft
er 120 Kilometer und hat schon die Strecke Adelaide – Perth geschafft. Australien scheint eine besondere Anziehungskraft auf
Verrückte zu haben!
Der dritte Tag bereitet mir etwas Kummer. Es geht steil hinauf auf den Ironbound Range. Susi steigt trotz ihres schweren
Rucksackes scheinbar mühelos. Sie ist zäh und liebt diese Steigungen – Kunststück, sie zählt erst 22 Lenze, klettert auch in der
Schweiz und macht Bergtouren. Ich komme nur langsam voran
und bin um jede Pause dankbar. Die Aussicht auf dem höchsten
Punkt (900 Meter) über die Küste ist überwältigend. Der Abstieg
folgt einem mit Wurzeln gespickten Weg. Nachdem wir noch
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eine schlammige Ebene durchquert haben, erreichen wir nach
einem siebenstündigen Marsch den idyllisch an der Deadman‘s
Bay (so fühle ich mich auch) gelegenen Zeltplatz. Das Flüsschen
führt Wasser bester Qualität. Allerdings ist es etwas bräunlich
wegen des darin enthaltenen Tannins. Das Geräusch der tosenden Brandung wiegt uns in den wohlverdienten Schlaf. Hier sehen wir am Morgen zum ersten Mal Wallabies (kleine Känguruhs), die vor uns in den Busch fliehen.
Die nächsten Tage führen uns entlang der Küste oder durch hügeliges Gelände in stetem Auf und Ab von Zeltplatz zu Zeltplatz.
Pro Tag marschieren wir im Schnitt sechs Stunden. Die letzte Nacht
bauen wir unser Zelt nicht am vorgesehenen Zeltplatz auf, sondern
ungeschützt nahe am Strand und geniessen den herrlichen Sonnenuntergang. Das gute Wetter scheint sich zu halten. Doch plötzlich rüttelt nachts ein starker Wind an unserem Zelt. Also raus und
die vorgesehenen Schnüre anbringen, Pflöcke rein und abwarten.
Es ist nicht mehr an Schlaf zu denken. Unser Zelt wackelt und
vibriert. Ob wohl alles hält? Endlich wird es Tag. Susi öffnet das Zelt
und verlässt es. Leichter geworden und geöffnet, wirkt es wie ein
Fallschirm und legt sich, von einer Böe gepackt, auf die Seite. Ein
saublödes Gefühl beschleicht mich. Glücklicherweise halten die
hinteren Pflöcke im Sand. Susi lacht sich halbtot über meine
Bemühungen, nicht samt Zelt in den nahe gelegenen Bach zu fliegen. Da strömender Regen einsetzt, sind wir gezwungen, unsere
Rucksäcke im Zelt zu packen, dann das glitschig nasse Zelt abzubrechen und in unsere Rucksäcke zu verstauen. Pfui Teufel! Immerhin erreichen wir bald schützendes Unterholz und nach zwei
Stunden Cockle Creek, das Ziel unseres Tracks. Übrigens entstanden diese Tracks aus ehemaligen «Firetrails», einem Wegsystem
zum Bekämpfen von Bränden. Anschliessend machen wir Autostopp und finden einen Lastwagen, der uns nach Dover bringt.
Von dort kehren wir mit einem Tigerline-Bus nach Hobart zurück.
Susi und ich entwickeln uns zu einem eingespielten TrekkingTeam. Sie kümmert sich meistens ums Einkaufen, ich eher um
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Karten, Bustickets und so weiter. Ich betrachte das Ganze als guten
Ausgleich zur Langstreckensegelei. Das Trekking macht wirklich
Freude, ist man doch inmitten der Natur, hat alles dabei, was man
braucht, und trifft auf den schwierigeren Tracks wenig Touristen.
Abends, nach einem strengen Tag, braucht es nur etwas zum Essen, einen Schluck Tee und einen warmen Schlafsack, um sich total glücklich zu fühlen. Wir marschieren noch auf weiteren Tracks
und legen in zwanzig Tagen an die zweihundert Kilometer zu Fuss
zurück. Angaben findet man im Buch «Abenteuer Trekking, Australien» von Donatus Fuchs, herausgegeben von Bruno Baumann
(Bruckmann-Verlag, München).
Am 2. Mai entschwebt Susi wieder in Richtung Schweiz. Etwas
traurig «wurstle» ich wieder alleine weiter und mache mich nach
Coff‘s Harbour auf. Das liegt zwischen Sydney und Brisbane. Dort
besuche ich Hanspeter Wenger, auch ein ehemaliger Swissair-Pilot, der in Australien geboren wurde und dort ein Segelboot ausbaut. Es macht mir Freude, von vergangenen Zeiten zu plaudern.
Doch dann zieht es mich zurück zur «Hasta Mañana» und wieder
auf See.
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60 Jahre Otti
Bauernsohn – Pilot – Familienvater –
Regattasegler – Langstreckensegler
60
Jahre und kein bisschen weise! Immerhin habe ich
eine Lebensform erreicht, die zur Zeit für mich stimmt
und mich glücklich macht. Etwas weg von Statussymbolen und hin zu einem mir genau entsprechendem Zigeunerleben auf einem Segelboot, mit einer beweglichen Wohnung, die
sich um den Erdball bewegen lässt. Es geht mir weniger ums Segeln, sondern vielmehr darum, neue Menschen und andere Kulturen in fernen Ländern kennenzulernen. Ich bin mir aber bewusst, dass ich in der Seglergilde als Luxusexemplar gelte: als
einer, der es sich leisten kann, jeweils vor Weihnachten für zwei
Monate in die Schweiz zu fliegen, egal, ob die halbe Erdkugel zu
umfliegen ist. Das ist nicht zuletzt dank des grosszügigen Freiflugreglementes möglich, das die Swissair auch für Pensionierte anwendet.
Geboren wurde ich am 6. Dezember 1938 («es Chläusli») im
oberhalb Stein am Rhein gelegenen Bauernhof und Restaurant
«Bleichi». Die Grenze zu Deutschland lief mitten durch eine
Scheune. Die «Bleichi» wurde sogar Mittelpunkt im von Jon Durschei herausgegebenen Krimi «Mord in Stein am Rhein». Schon in
frühester Jugend lernte ich somit die Freuden und Leiden des Lebens auf einem Bauernhof kennen, auch ein intensives Familienleben. Schon früh hiess es mithelfen auf dem Feld oder im Stall
und am Sonntag im Restaurant. Dieses war bekannt wegen der
Aussicht, dem handbetriebenen Karussell und Mutters Zimtsternen (Gebäck). Weiss- und Rotwein kelterte mein Vater aus den
gleich unterhalb dem Sommerhaus gezogenen Trauben. Auch der
süsse und saure Most kam aus eigenem Anbau. Hilfskräfte waren
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damals leicht zu kriegen: Knechte aus Italien und Mägde aus
Österreich. Trotz der vielen Arbeit waren meine Eltern keineswegs
stur. Ich machte bei den Pfadfindern mit und war jeden Samstagnachmittag weg.
Mein Vater wurde erst sauer, als sich abzeichnete, dass ich nicht
Bauer werden wollte, wie er es erwartet hatte. Mein Entschluss war
vor allem deshalb gefallen, weil – ausser Heinz Tanner – selten ein
Mitschüler neben mir sitzen wollte. Das deshalb, weil ich als Stinker
bekannt war. Kaum zu verwundern. Jeden Abend musste ich nach
der Schule im Stall mithelfen und «roch» deshalb ein bisschen. Baden war nur am Sonntagmorgen in der Badewanne der Waschküche
angesagt.
Jedenfalls begann ich 1955 eine Lehrzeit als Mechaniker bei der
SIG in Neuhausen. Nach einem Unfall meines Vaters – er stürzte
von einem Baum und verletzte sich am Rücken – verkauften meine
Eltern 1956 die «Bleichi» und betrieben fortan den der Stadt Stein
am Rhein gehörenden Hof «zum Rheingüetli». Sie waren weltoffen
und schenkten uns spontan eine J-Jolle, die wir auf den Namen
«Odysseus» tauften und unterhalb unseres Hofes an eine Boje im
Rhein hängten. Mit dieser Segeljolle war ich zusammen mit meinem etwas jüngeren Bruder Hansruedi jeden Sonntag auf dem Untersee unterwegs. Die Segelkunst brachten wir uns selbst bei. Die
Aussicht, in der Verpackungsmaschinenabteilung der SIG als Monteur nur Fr 1.80 pro Stunde zu verdienen, veranlasste mich unmittelbar nach dem Lehrabschluss, das Technikum in Winterthur zu
besuchen, um Elektrotechniker zu werden.
Schon im ersten Semester fiel mir ein Plakat in der Aula auf:
«Studentenflugkurse. Die Swissair braucht Piloten. Ihr Arbeitsgebiet ist die grosse, weite Welt.» Eine Steuersäule schwebte über einer Erdkugel. Mein erster Kontakt mit der Swissair erfolgte im Personalbüro. Der Betriebspsychologe, Herr Wittenwiler, eröffnete
mir gnadenlos: «Junger Mann, so leicht, wie Sie sich das vorstellen, ist es nicht, Pilot bei der Swissair zu werden.» Er forderte: 1. einen Abschluss des Technikums mit Diplom. 2. Im Militär müsse
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ich mindestens den Grad eines Unteroffiziers bekleiden. 3. Zumindest etwas Segelflugerfahrung wäre von Vorteil. Über die
zweite Bedingung wunderte ich mich schon etwas.
Herr Wittenwiler entliess mich mit den Worten: «Sobald Sie
diese Voraussetzungen erfüllen, können Sie sich wieder melden.»
Ich dachte mir, das sei besser als eine Absage, und machte mich
daran, die gestellten Bedingungen zu erfüllen. Im Sommer 1960
begann ich meine Segelflugausbildung bei der Segelfluggruppe
Schaffhausen im Schmerlatt. Mit Windenstart eroberte ich an
Bord einer Rhönlerche den Schaffhauser Himmel, eingewiesen
von meinem Fluglehrer Häberlin, dem Vater Pit Häberlins, dem
ehemaligen Regattaleiter des YCS. Ich genoss diese Wochenenden,
obwohl ich mangels Geld wenig zum Fliegen kam. Eher war ich
damit beschäftigt, dort Hand anzulegen, wo ich gerade gebraucht
wurde, beim Führen der Startlisten oder beim Bereitmachen der
Flugzeuge. Immerhin kam ich zu meinem ersten Alleinflug und einigen unvergesslichen Flügen im Hangaufwind am Randen. Später konnte ich meine Segelflugausbildung im Belpmoos bei Bern
fortsetzen.
Im Frühling 1962 schloss ich das Technikum mit Diplom ab.
Schon im folgenden Sommer rückte ich in Thun in die Unteroffiziersschule bei den Panzertruppen – bei den legendären G-13 –
ein. Ich freute mich sogar darauf, obwohl es nicht ganz leicht gewesen war, nachträglich zu einem Vorschlag zu kommen. Aber
auch hier hatte ich Glück. Oberleutnant Fuchser, dem ich in der
Rekrutenschule eine Absage erteilt hatte, als er mich für die Unteroffiziersschule vorschlug – ich war damals noch in der Lehre –
war jetzt Hauptmann. Er führte in der Felddivision die Kompagnie I/23, in der ich als Soldat eingeteilt war. Er wollte meinem
beruflichen Glück nicht im Wege stehen und gab mir den Vorschlag. Inzwischen hatte ich aber etwas erschwerte oder – wie
man‘s nimmt – leichtere persönliche Lebensverhältnisse. Seit
April 1961 war ich mit Josyann Ruppert aus Beringen verheiratet
und – das geht manchmal schnell – drei Monate später Vater un-
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seres Sohnes Oliver. Meine junge Frau und ihre Eltern unterstützten zwar meinen Wunsch, Pilot zu werden, blieben jedoch skeptisch bezüglich der Familienfreundlichkeit meines Traumberufes.
Sobald ich das Diplom als Techniker erhalten hatte, zogen wir
als junge Familie nach Thun. Ich fand einen Job als «Tester» bei
der Hasler AG in Bern, die auf Telefoniesysteme spezialisiert war.
Nach dem Einarbeiten testete ich für achthundert Franken im Monat – die Wohnung kostete zweihundertfünfzig – die von meiner
Firma gebauten oder erweiterten Telefonzentralen, um sie anschliessend der PTT zu übergeben. Mir gefiel diese Arbeit an verschiedenen Orten, wie Bern, Fribourg, Interlaken, Adelboden,
Kandersteg oder Spiez. Es war nur schade, konnten wir auf dem
Thunersee nicht segeln gehen. Immerhin verbrachten wir unsere
Freizeit oft am See, der mich magisch anzog. Nach dem Abverdienen des Korporals rückte ich schon anfangs 1963 in die Offiziersschule ein. Damals wurde die militärische Weiterbildung von den
grösseren Firmen noch gefördert. Sie zahlten 80 Prozent des Lohnes während dem Militärdienst. Diese OS ging als kälteste des
Jahrhunderts in die Geschichte ein. Es war das Jahr der gefrorenen
Seen. Den Untersee und den Bodensee konnte man damals zu Fuss
oder sogar mit dem Auto überqueren. Bei einem Velorennen hatten wir nachts mal minus 25 °C. Auch diesen Wettbewerb bestanden wir ohne bleibende Schäden.
Während der OS meldete ich mich wieder bei der Swissair und
wurde nach den Vorprüfungen zum Sommer-Studentenflugkurs
auf dem Flugplatz Grenchen zugelassen. Der zweiwöchige Kurs
auf Bücker-Jungmann (gelbe Doppeldecker) gehörte zu meinen
eindrücklichsten Erlebnissen. Laufend wurden nicht den Anforderungen entsprechende Schüler entlassen, was einen immensen
Druck erzeugte. Jedermann fragte sich, wer wohl der nächste sein
würde? Ich schloss mit der Benotung «qualified» ab. Das hiess, ich
war zur Hauptselektion zugelassen. Nun lief alles perfekt. Nach
dem Abverdienen des Offiziersgrades trat ich 1965 in die Schweizerische Luftverkehrsschule ein.
158
Die Swissair zahlte uns tausend Franken pro Monat an die Lebenskosten. Mit meiner jungen Familie, die nach der Geburt unseres Sohnes Ronald am 18.Dezember1964 auf vier angewachsen
war, zog ich an die Schützenmattstrasse nach Kloten. Die Ausbildung zum Berufspiloten erfolgte auf Bücker, Piaggio P-149 und –
für den Instrumentenflug – auf der legendären DC-3. Mein berufliches Ziel war im Herbst 1966 erreicht: Ich wurde bei der Swissair
als Copilot angestellt, mit einem Salär von 1600 Franken pro Monat. Ich war glücklich. Was ich getan hätte, falls ich nicht bestanden hätte? Ich wäre wohl bei der Hasler AG geblieben oder hätte
eine Herausforderung im Ausland gesucht.
Die Umschulung auf das Propellerflugzeug CV-440 Metropolitan wurde durch eine Tragödie überschattet: Drei Mitschüler – Müller, Manz, Mischler – flogen auf einem Schulflug mit ihrem Fluglehrer Matossi an den Lägern in den Tod. Schon 1967 wurde ich auf
den ersten Jet, die Douglas DC-9-32, umgeschult und auf Europastrecken eingesetzt. Es ging im gleichen Tempo weiter. Ab Ende
1969 wechselte ich auf die Langstrecken und das damals grösste
Flugzeug der Swissair: die DC-8. Sie wurde noch von vier Mann im
Cockpit geflogen. Neben den Piloten gehörte ein Flugingenieur
und ein Navigator zur Besatzung, der unsere Position via Sextantablesung berechnete. Mein Arbeitsgebiet wurde die grosse weite
Welt, genau so, wie es das Plakat einst versprochen hatte.
In meiner gut bemessenen Freizeit konnte ich mich um meine
Familie kümmern. Im Sommer verbrachten wir unzählige Tage im
Schwimmbad Kloten und hatten ein glückliches Familienleben.
Zwischendurch konnte ich meine Segelflugausbildung mit dem
amtlichen Ausweis endlich abschliessen. Oft war ich im Schmerlatt
oder in Schänis als Schlepp-Pilot im Einsatz und wurde auch Motor- und Instrumentenfluglehrer bei der Motorfluggruppe Zürich.
Wenn ein Haus, dann in Stein am Rhein, war meine Meinung.
Meine Frau machte mit. Sie sah dieses Vorhaben als Neuanfang,
als sich in unserer Ehe nach bald zehn Jahren Abnützungserscheinungen bemerkbar machten. Das unregelmässige Leben
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und meine leichtlebige Art schienen ihren Tribut zu fordern. 1970
zogen wir nach Stein am Rhein in ein Einfamilienhaus im Niederfeld. Jedoch, anstatt mich geborgen zu fühlen, war eher das Gegenteil der Fall. Meine Zigeunerseele hinderte mich daran, das
neue Zuhause zu schätzen. So oft es ging, brach ich aus. Das war
leicht. Seit 1971 hatten wir ein Starboot namens «Easy Rider»
2709 (Baujahr 1948) an einer Boje im Eschenzer Hafen hängen.
Ich wurde Mitglied der Segelvereinigung Eschenz und verbrachte
öfters meine freien Tage allein auf dem Untersee, manchmal begleitet von meinen Söhnen, aber selten von meiner Frau. War ich
nicht auf dem See, dann als Fluglehrer für die Motorfluggruppe
Zürich unterwegs. Meine Frau fand ihr eigenes Betätigungsfeld
und eröffnete 1972 eine «Orient Boutique» am Rathausplatz in
Stein am Rhein, dem später noch ein Geschäft in Schaffhausen
folgte. Nicht zuletzt belastete auch diese Tätigkeit unser Familienleben. Wir lebten uns zunehmend auseinander. Meine Frau fühlte
sich weniger geborgen, auf sich allein gestellt und mit der Erziehung unserer Kinder beschäftigt.
Anfangs 1975 wurde ich zum DC-9-Captain befördert, aber
diesem Höhepunkt folgte schon am 18. Februar ein Tiefschlag in
meinem Leben, der mich für immer prägen sollte. Josyann schied
freiwillig aus dem Leben, nachdem am Vorabend ihr geliebter
Hund «Arno» bei unserem Haus von einem Auto angefahren worden und gestorben war. An diesem Tag war ich auf einer DC-9-Rotation unterwegs und wurde in Genf durch meinen Chefpiloten,
Paul Frei, von diesem Unglück benachrichtigt. Nebst Vorwürfen
meiner Schwiegereltern, die in Schaffhausen wohnten, quälte
mich die Frage, wie es mit meinen Söhnen Oliver und Ronald, die
14 und 10 Jahre alt waren, weitergehen sollte. Ich fand dann bei
meiner Schwester Dor Hilfe. Sie zog in unser Haus und wurde sozusagen Mutterersatz. Daneben kümmerte sie sich um die Boutique in Stein am Rhein. Wie eine richtige Familie machten wir
etwa zusammen Reiterferien. Mit meinen Söhnen durchstreifte
ich die Tierparks von Ostafrika oder besuchte Bekannte auf einer
160
Pferderanch in Wyoming. Das waren unvergessliche Momente,
doch dann erschütterte uns ein neues Unglück. Mein Nachbar
Bruno Segmüller brachte seine Frau und Mutter seiner vier Kinder
vorsätzlich um und kassierte dafür achtzehn Jahre Gefängnis.
Mein vorher so unbeschwertes Leben war durch diese zwei Tragödien nachhaltig überschattet. Auch Selbstvorwürfe quälten mich.
Vielleicht hätte ich mit mehr Zuwendung den Tod meiner Frau
und Mutter meiner Kinder verhindern können.
Ich fand Ablenkung auf dem See und wandte mich mehr und
mehr dem Regattasegeln auf dem Starboot zu. Schon im Frühjahr
1976 kaufte ich einen neueren Star 5475 «Inshallah» von Theo
Sennhauser, der in Meilen wohnte. Sein Bruder Peter, der ein Flugschüler von mir war, hatte mich auf das Starboot aufmerksam gemacht, und ich war sofort begeistert. Die erste Schweizermeisterschaft im Jahr 1976 in Estavayer war ein lustiges und lehrreiches
Erlebnis. Mein Mitsegler Reini – mein späterer Schwager, mit dem
ich auch den Atlantik überqueren sollte – und ich waren uns einig: Wir waren schlechte Regattasegler und hatten wenig Ahnung.
Ein- oder zweimal lagen wir am Schwanz, aber Reini hatte keine
Lust, als Letzter über die Ziellinie zu segeln. Ich schrie ihn an:
«Wenn wir schon Letzte sind, dann stehen wir dazu.» Drei überlaut in den Ohren dröhnende Schüsse beendeten unsere Regatta.
Die nächsten Jahre investierte ich zunehmend mehr Zeit ins Regattasegeln. Den ersten Distriktmeisterschaften im Mittelmeer
folgten jeden Sommer im Juli die Intervela am Gardasee. Wir
wohnten jeweils in der «Villa Stella» in Torbole. Es machte Spass.
Pünktlich um 1400 Uhr heulte vor Riva bei Beaufort 4–6 eine Sirene zum Start. Segel flogen aus den Lieken, Masten und Grossbäume brachen, Boote stiessen zusammen, Windsurfer, die im
Weg waren, wurden angeschrien oder kurzerhand auf den Kopf
geschlagen – kurz: Es gab viel Action auf dem Wasser. Im Frühjahr
organisierten wir zusammen mit den Drachenseglern – einer Kategorie von Dreimannkielbooten – Trainingswochende am Untersee vor dem Hafen Feldbach bei Steckborn. Fortan startete ich an
161
den Regatten für den Yacht-Club Schaffhausen. In seinem Kreis
fühlte ich mich als Regattasegler gut aufgehoben.
1975 wurde mein Vater Otto AHV-Bezüger, und mein jüngster
Bruder Ernst sollte den Hof übernehmen, aber zur Bestürzung meines Vaters wollte dieser auf Mastsauen und Schweinezucht umstellen. Kaum war er offizieller Nachfolger meines Vaters, verkaufte er die Kühe bis auf zwei. Diese überliess er meinem Vater,
damit er noch etwas zum Melken hatte, und verbannte sie unters
Vordach der hinteren Scheune. Meine Eltern genossen die gewonnene Freiheit und machten Auslandreisen in alle Welt. Sie fanden
dann ein kleineres Haus im Städtchen. Mein Vater konnte sich
vermehrt der Jägerei zuwenden und war oft an Schiessanlässen
mit meinem von der Armee geliehenen Sturmgewehr anzutreffen.
Fast täglich fuhr er ins «Rheingüetli», oft von meiner Mutter
Hanna begleitet. Beide legten Hand an, wo es gerade nötig war.
Ernst baute seine Schweinezucht erfolgreich auf.
1980 kaufte ich von Meta und August «Gust» Schmid in Hemishofen ein leer stehendes Bauernhaus mit Obstgarten und Wald.
Mein langjähriger Vorschoter Reini Küng heiratete meine Schwester Dor im Dezember, und die beiden wurden in Wagenhausen
wohnhaft. 1981 zog ich mit meinen Söhnen ins umgebaute Haus
mit allem Drum und Dran. Was fehlte, sah meine Mutter klar:
«Otti, du solltest wieder heiraten. In dieses Haus gehört eine Frau.
Zudem wirst du auch nicht jünger.» Und es kam, wie es kommen
musste. Im März 1983 verheiratete ich mich nach kurzer Bekanntschaft mit der Bauerntochter Heidi Rüegg von Ammenhausen
oberhalb Mammern. Mein Glück schien vollkommen, nachdem
sie auch ihre sechsjährige Tochter Jasmin, die ich adoptieren
wollte, nach Hemishofen brachte. Während Jasmin in Hemishofen
die erste Klasse besuchte, hatte mein ältester Sohn, Oliver, seine
Lehrzeit als Mechaniker bei der +GF+ abgeschlossen und war
daran, in St.Gallen einen Platz an einer Musikschule als Schlagzeuger zu belegen. Sein Bruder Ronald absolvierte eine Automechanikerlehre bei der AMAG in Schaffhausen und war in seiner Freizeit
162
an Motocrossanlässen unterwegs. Mir gefiel das Leben mit Heidi –
wir waren wieder eine Familie. Ihr bedeutete Geld wenig. Sie verstand es, in unserem Garten Gemüse und Blumen zu ziehen, und
liebte ein einfaches naturbezogenes Leben. Im Frühjahr schwang
sie sich nach Bauernart mit der Hacke aufs Fahrrad, um auf den Feldern zu helfen, die Zuckerrüben von Unkraut zu befreien. Schon
bald folgte die nächste Hochzeit, nachden sich mein Bruder Ernst
in Charlotte verliebt hatte, eine Kindergärtnerin, die gerne auf einem Bauernhof leben wollte. Den beiden wurden zwei Töchter,
Eva und Isabelle, und der Sohn Benno geboren. Sie scheinen glücklich zu sein und haben ein intaktes Familienleben. 1990 starb im
«Rheingüetli» unser Vater in seinem achtzigsten Altersjahr.
Erste Risse bekam meine Ehe mit Heidi schon im Frühjahr
1985, als ich wegen eines A310-Kurses sechs Wochen nach
Toulouse musste. Kaum zurück, Ronald war gerade in der Rekrutenschule, eröffnete sie mir klipp und klar, sie fühle sich von mir
zu wenig geliebt und von Oliver und Ronald zu wenig geachtet,
und ich könne ihr keine Nähe vermitteln. Ich war wie vor den
Kopf geschlagen, denn ich hatte diese Worte während meiner ersten Ehe schon einmal gehört. Anfangs Dezember zog Heidi mit
Jasmin in eine Wohnung nach Eschenz. Wieder einmal war ich
am Boden zerstört. Schon am 16. Dezember 1985 fand unsere
Scheidung in Schaffhausen statt. Wir trennten uns in Frieden.
Nach dem Scheidungsakt gingen wir zusammen einen «Halben»
trinken. Dann brachte ich Heidi in ihre neue Wohnung nach
Eschenz zurück. Noch heute haben wir ein freundschaftliches Verhältnis. Auch mit Jasmin, die inzwischen über zwanzig Jahre alt
ist, habe ich einen guten Kontakt.
Vorerst wohnte ich mit Ronald zusammen in Hemishofen,
später fand er eine Wohnung in Mammern. Oliver war nach dem
Abschluss seiner Musikerausbildung nach Zürich gezogen. Noch
heute kauen beide Söhne an den Folgen meines unsteten Lebenswandels. Ich war für sie als Ehemann zweifellos kein Vorbild. So
leben heute beide allein.
163
Einmal mehr bekämpfte ich meinen Frust auf den Regattafeldern. 1986, im Tschernobyl-Frühling, fand die SM in Altnau statt.
Im ersten Lauf passierten Reini Küng und ich die Ziellinie hinter
Cyrill Dvorak/Klaus Konzelmann als Zweite vor Willi Kuhweide
mit seiner Crew, und das bei 57 Startenden. Willi Kuhweide –
Boeing-737-Kapitän bei der Lufthansa – war immerhin Olympiasieger und Weltmeister. Die Schlagzeile in den «Schaffhauser
Nachrichten» lautete am nächsten Tag: «Schmid/Küng schlagen
Kuhweide». Ein Jahr später nahm ich an den Weltmeisterschaften
in Chicago teil. Ich rief Race Officer John Allen an und fragte ihn:
«Hast du ein Boot, das nicht qualifiziert ist, und dessen Besitzer
mit mir als Steuermann an der WM teilnehmen möchte?» Ein
paar Tage später erhielt ich einen Anruf: «My name is David Cornes. I have a boat in Chicago and I will crew for you.» Das war vielleicht ein Erlebnis. Ich steuerte Daves Star vor der Skyline von Chicago über die Regattakurse. Als Gegenleistung überliess ich ihm
und seiner Crew im Jahr 1989 mein Boot samt Audi, um an die
WM nach Sardinien zu fahren. Ich selbst segelte die Hälfte dieser
WM an der Vorschot des Münchners Peter Möckl. Im Costa Smeralda Yacht Club Aga Khans wurden alle Teilnehmer unglaublich
grosszügig bewirtet.
Zu meinem 50. Geburtstag schenkte ich mir selbst einen
neuen Steinmayer-Star. Meine Einladung am 10. Dezember 1988
war simpel: Bootstaufe und Samichlaus-Regatta vor dem Hafen
von Steckborn. Nur die Crews, die mitsegeln, werden zum anschliessenden Apéro und Nachtessen im Hotel Feldbach eingeladen. Zehn Boote kamen. Es regnete leicht bei etwa 6°C, als Hans
Geuggis, ein Freund aus Wagenhausen, als Samichlaus verkleidet,
den Spiegel meines neuen Starbootes 7490 vom Abdeckpapier befreite und Melissa – Dor und Reinis knapp zwei Jahre alte Tochter
– mein Boot auf den Namen «Top Gun» taufte. Ab ging‘s ins Wasser! Hafenmeister Ernst Ulmer hatte seinen Kran an diesem denkwürdigen Tag extra in Betrieb genommen, um unsere Boote einund auszuwassern. Herrrlicher Wind aus West mit einer Stärke
164
von 3 bis 4 liess uns eine tolle Regatta mit zwei Premieren segeln:
einer reinen Frauencrew mit Dorette und Kibük Hanhart aus
Mammern und einer Samichlaus-Crew mit Reto Heilig und Josy
Steinmayer. Mit Glühwein wurden die Segler nach dem Lauf wieder aufgewärmt. Christoph Gautschi/Kurt Freuis gewannen, Reini
und ich wurden Zweite, jedoch an der Preisverteilung vom Samichlaus disqualifiziert, da wir den vorgeschriebenen «Floating
Test» – ein Schwimmtest mit gefülltem Boot – nicht absolviert hatten. Damit erhielt Josy Steinmayer meinen Preis. Es war rührend,
von echten Freunden umgeben zu sein.
1990 befand ich mich an einer weiteren «World‘s», diesmal als
Vorschoter von Christoph Gautschi auf seiner «Fram» 7167 in Cleveland, Ohio. Er liess sein Boot in einem Container in die USA
senden. Beim ersten Lauf brach bei über sechs Beaufort die Pinne
unseres Bootes, und wir mussten aufgeben. Bei der Rückkehr in
den Hafen dachte die wartende Lokalfernseh-Crew, wir seien die
Sieger, und bat uns zum Interview. «How was it?» Christoph antwortete: «We like strong winds, but we had a broken tiller and we
had to come back.» Das Fernsehen verlor dann schnell das Interesse an uns und wartete auf den Sieger. Immerhin wurde unser Statement am Abend ausgestrahlt. Nach dieser Regatta-Serie war ich
überzeugt von Gautschis Folli-Star, kaufte ihm dieses Boot Ende
Saison kurzerhand ab und taufte es auf den Namen «Don‘t panic».
Mein «Top Gun» verkaufte ich an Volker Bernicken nach Überlingen. Ich musste dann allerdings feststellen, dass ich mit dem
«Folli» auch nicht schneller war als auf meinem «Steini»-Star. Es
kommt tatsächlich noch auf die Leistungen der Bootscrew an.
Einen absoluten Höhepunkt des Starbootsegelns erlebten
Reini und ich mit der Teilnahme an den Weltmeisterschaften
1992 bei der Golden Gate Bridge im San Francis Yachtclub. All die
Cracks waren anwesend, wie Bill Buchan, Paul Cayard, John Kosteki, Mark Reinolds, Vince Brun, Torben Grael und wie sie alle
heissen. Auf einem gecharterten Boot kämpften wir gegen die Elemente: schwer berechenbare Strömungen, giftige Wellen, einen
165
Wind, der sich im Laufe des Tages auf gegen sieben Beaufort verstärkte, und gegen ein Feld mit sehr starker Konkurrenz. Schliesslich belegten wir den 48. Platz von 53 Gestarteten. Gewonnen
wurde diese WM von Carl Buchan/Hugo Schreiner. Carls Vater,
Bill Buchan, war dreimaliger Weltmeister und Olympiasieger im
Star vor Los Angeles (1984), als am gleichen Anlass sein Sohn Carl
die Goldmedaille im FD holte. Noch immer sind Bill und Carl das
einzige Vater-Sohn-Paar, die beide im Starboot Weltmeister werden konnten.
Meine letzte Regatta auf meinem Star segelte ich mit Doris
Fricker an der Vorschot im Juli 1994 am Star-Cup von Wangen am
Untersee. Die «Hasta Mañana» stand schon in Brunnen. Kaum
war die Regatta zu Ende, ging es nach Hemishofen zum traditionellen Rheinschwimmen und Grillieren in meiner bewährten
Schmitte. Ich wurde zu Tränen gerührt. Die versammelten Mitglieder der Starbootflotte Bodensee schenkten mir die Zielboje
meiner letzten Starbootregatta – sie hängt noch immer im Dach
dieses Häuschens. Mein Starboot fand später in Peter Fürrutter einen Käufer. Hoffentlich bringt der neue Name, «USS Enterprise»,
der am Spiegel prangt, seinem Eigner viel Glück.
Einen guten Monat später setzte ich auf der «Hasta Mañana»
die Segel in Gogolin und brach auf zu neuen Ufern.
166
Mehr über das Starboot
S
ie haben bisher viel über das Starboot gelesen, einen weltweit verbreiteten Typ einer Zweimann-Kielyacht mit einer
langen Geschichte. Bereits im Jahre 1908 konstruierte William Gardener den ersten Prototypen «Bug». Ihm folgte 1911 —
gebaut durch Francis Sweisguth — der Prototyp «Star». Jährlich
werden etwa zweihundert neue Boote hergestellt. Heute gibt es
über achttausend Exemplare in fünfzig Ländern auf fünf Kontinenten. Die Starboote zeichneten sich seit jeher durch ein hohes
Konstruktionsniveau aus. Technische Daten:
Länge:
6,92 m
Breite:
1,74 m
Tiefgang:
1,02 m
Masthöhe:
9,65 m
Gewicht:
672 kg
Grosssegel:
20,6 m2
Fock:
7,32 m2
Besondere Charakteristika: unsinkbare Kunststoff-Konstruktion durch Auftriebskörper und Abschottung, Aluminium-Rigg,
Hiking-Weste und Fussgurten. Das Cockpit ist selbstlenzend mit
Boden- und Seitenlenzern.
Eine eigene Klassenorganisation aller Starbootsegler besteht
sei 1922. Erster Präsident war George Elder. Die Organisation ist
heute in 21 Distrikte und 177 Flotten unterteilt und bietet ein vielseitiges Regattaprogramm während des ganzen Jahres an. Innerhalb der Organisation besteht ein reger Informationsfluss durch
die Monatszeitschrift «Starlight» und das Jahrbuch «LOG».
167
Ein paar Meilensteine aus der Starboot-Geschichte:
1922:
1929:
1932:
1967:
1968:
1971:
2000:
erste Weltmeisterschaft in New York
Einführung des Hochriggs
Starboot wird erstmals zur Olympiaklasse erhoben
Kunststoffboote werden erlaubt
Starboot wird durch Vorschrift unsinkbar
Aluminium-Rigg
Olympiaklasse in Sydney
749
0
168
Die Südsee hält mich gefangen
Mooloolaba - Nouméa Ile des Pins - Port Vila
E
igentlich wollte ich weiter entlang dem Great Barrier Reef
durch die Torres-Passage nach Darwin und weiter nach Indonesien, aber die Südsee lässt mich nicht los. Es ist nicht
nur die Natur – Koralleninseln, sich im Passat wiegende Palmen,
das Leben unter Wasser –, die mich zurückzieht. Ebenso haben
mich das Wesen und die Kultur der Menschen gepackt, die diese
abgelegenen Inseln bevölkern. Schon James Cook hat Tonga als
die «Freundlichen Inseln» bezeichnet. Die Art, wie die Einheimischen auf Fremde zugehen, ist für mich immer wieder aufs Neue
faszinierend. Paul Théroux war in den verschiedenen Inselgruppen per Faltboot unterwegs und hat unzählige Bücher geschrieben, Reisebücher und Romane. «Die glücklichen Inseln Ozeaniens» (Hoffmann & Campe-Verlag) gibt einen guten Überblick.
Am 15. Mai 1997 melde ich mich in Brisbane bei Neil Clerke
im Zoll- und Immigrationbüro ab – innerhalb 48 Stunden habe
ich das Land zu verlassen. So steht es wenigstens in den Büchern.
Nachdem ich alles erledigt habe, schaue ich beiläufig im nahegelegenen «Botanical Garden», was für Yachten zu Besuch sind. Da
hängt doch die «Shipibo», der ich schon oft begegnet bin, zum ersten Mal im November 1994 in Las Palmas. Frédérique und Vincent Falcy sind um die dreissig Jahre alt und wie ich im August
1994 im Mittelmeer losgesegelt. «Shipibo» ist übrigens der Name
eines südamerikanischen Kopfjägerstammes. Das Boot ist eine in
Stahl gebaute 34 Fuss lange Sloop und segelt unter CCS und
Schweizer Flagge.
Was mich beeindruckt: Aus der Zweiercrew ist inzwischen eine
vierköpfige Familie geworden. «Pas de problèmes» lautet die Ant-
169
wort auf meine Frage nach dem Wohlbefinden. Das will ich gerne
glauben, bin aber überzeugt, dass es sicher aufwendig und kompliziert ist, Kinder an Bord grosszuziehen. 1994 hatte Frédérique
ihren Skipper verlassen, um in der Schweiz Jocelain, einem Knaben, das Leben zu schenken. Zu dieser Zeit war Vincent zusammen
mit seinem Schwager am Überqueren des Atlantiks. Jocelain sah
seinen Erzeuger und sein zukünftiges Heim, die «Shipibo», zum ersten Mal in Grenada im Januar 1995.
Diese junge Familie hatte ich mehrmals getroffen, auch in Curaçao und am Panamakanal. In Papeete feierten wir zusammen auf
der «Hasta Mañana» den ersten August. Dann sah ich sie wieder in
Tonga und Whangarei in Neuseeland, wo sie auch die Zyklonsaison verbrachten. Letztes Jahr begegneten wir uns in Vanuatu, und
später hingen wir eine Nacht lang in der gleichen Ankerbucht in
Ambrym.
1997 gebar Frédérique in Manou ein viertes Crewmitglied. Im
Brisbane Hospital kostet ein Tag 450 Dollar. Frédérique wollte die
Kosten tief halten und verbrachte nur sechzehn Stunden im Spital.
Vincent, der an der Universität Lausanne Biologie studiert hat, versuchte in Brisbane vergeblich Arbeit zu finden. «Was macht ihr
nun?» frage ich. «Jetzt segeln wir halt ins Mittelmeer, um in der
Schweiz Arbeit zu suchen», lautet die Antwort. So, als läge das Mittelmeer gleich um die Hausecke. Ihre Absicht ist, via Bali, Singapore, Malaysia, Sri Lanka und durch das Rote Meer ins Mittelmeer
zu segeln. Sie wollen etwa im Juli 1998 dort sein. Ich möchte dannzumal gerne am Ziel stehen und sie etwas ausfragen unter dem
Motto «Segeln mit Kindern». Oder: Wie richtest du die Wachen
ein? Oder: Wie reagieren Kinder, Mutter, Vater bei schlechtem Wetter und Sturm? Jedenfalls bewundere ich dieses junge Paar.
Weitersegeln heisst auch Abschied nehmen. Zum Beispiel von
Glenda, Mike und Howard, die das «Lawries Marina Office» und
die Segler ausnehmend freundlich betreuen, oder von Richard, der
schon jahrelang an seiner «Spirit» bastelt und vom Wegsegeln
träumt, aber vorerst – mit einem Kit aus den USA – für einen
170
Freund ein Flugzeug baut. Er hat ein Privatpiloten-Brevet. Bei
nächster Gelegenheit fliegen wir zusammen die «Skyfox», die mit
ihrem Heckrad einem Piper-Cup gleicht, allerdings mit nebeneinander eingebauten Sitzen. Oder da wäre noch Per Ericsson, ein
Schwede, der auf seiner «Blue Bayou» lebt, per Modem verbunden
mit der Börse Australiens und in Übersee. Per «Trading» will er sein
bei seiner Scheidung auf die Hälfte geschrumpftes Vermögen wieder auf den alten Stand bringen. Im Moment sind die Chancen
günstig, denn die Börse boomt.
Die letzte Nacht verbringe ich am Steg des Mooloolaba Yacht
Club. Von dort bin ich, unabhängig von den Gezeiten, in zehn
Minuten im offenen Meer. Eine Seglerin eines Nachbarbootes hilft
mir die Segel anschlagen. Ob ich alleine segle, erkundigt sie sich.
«Yes, no worries». Ich habe auch nichts unternommen, um das zu
verhindern. Inzwischen geniesse ich es förmlich, alleine zu segeln.
Vielleicht bin ich auch ein komischer alter Kauz geworden.
Die Meteo ist günstig: Ein Tief, das über der Tasmanischen See
liegt – und hier im Uhrzeigersinn dreht –, sollte mir die ersten Tage
Rückenwind bescheren. Ich will einen östlichen Kurs halten, um
gegen Ende der 850 Meilen langen Reise in den zu erwartenden
Südostpassat «einbiegen» zu können.
Die erste Nacht kann ich erst spät schlafen gehen, denn ich
passiere zuerst einige Fischerboote und später die Schifffahrtslinie.
Die dunklen Riesen wirken trotz ihrer Positionslichter bedrohlich.
Mein Radar ist mir eine wichtige Hilfe, um deren Kurs und Geschwindigkeit abzuschätzen. Nachts, im «Watchmode», schlägt er
auch Alarm, sollte eine Gewitterwolke oder ein Schiff meinen Weg
kreuzen.
Gehen wir nochmals zurück ins Jahr 1994. Im April war ich stolzer
Besitzer der «Mañana» geworden. Noch lag sie in Norwegen. Mit meinem Berater Gregor Zurfluh aus Brunnen kam ich überein, das Boot
nach Dänemark zu segeln und anschliessend per Strassentransport zum
Vierwaldstättersee zu bringen.
171
Gegen Mittag des 29. April winkte uns Peter Sattrup ein letztes Mal,
als wir von Blommenholmhavn ausliefen. Einen GPS Garmin 75 hatten
wir vor der Abfahrt provisorisch eingebaut. Wir waren vier Männer an
Bord: Gregor, Hans und Peder (auch ein Teileigner) nebst mir als Skipper.
Als Skipper kam ich mir etwas deplatziert vor, dachte aber, dass es mit
Gregors Hilfe schon gehen würde. Mit dem Wetter hatten wir Glück. Es
war zwar saukalt, aber nachdem wir den Oslofjord verlassen hatten, segelten wir immer auf Backbordbug bis eine halbe Meile vor den Hafen von
Egå, der etwas nördlich von Århus liegt. Der Wind drehte mit, von anfänglich Südwest bis auf Nord. Für die 279 Meilen brauchten wir genau
45,5 Stunden. Wir waren zufrieden. Das Boot lief wirklich gut. Die nächsten Tage schaute ich mich in Lars Pedersens Werft um und liess Dänemark auf mich einwirken. Dann war ich behilflich, mein Boot auf einen
Tieflader zu verladen. Darauf wurde es von der Firma Bøgesvang nach
Brunnen gefahren, während ich bequem im Flugzeug nach Kloten flog. In
Gregors Werft wollten wir das Boot hochseetüchtig ausrüsten.
Um die sechs Wochen lebte ich im Sommer an Bord der vor Gregors
Bürocontainer abgestellten und inzwischen beim Schweizerischen Seeschifffahrtsamt Basel unter dem neuen Namen «Hasta Mañana» registrierten Yacht. Der Bootsname «Mañana» war schon weg. Als Radiokennzeichen wurde mir von der PTT HBY 3276 zugewiesen. Es war eine
aktive und lustige Zeit. Um den jeweils drei Jahre gültigen schweizerischen Flaggenschein zu erhalten, brauchte es auch die Expertise eines
Sachverständigen. Freddy Portier aus Meilen stellte sich zur Verfügung –
gegen Bezahlung natürlich –, mein Boot zu inspizieren und den entsprechenden Bericht zu verfassen. Da ich Mitglied beim Cruising Club der
Schweiz (CCS) war, schloss ich die Haftpflicht- und die Kaskoversicherung bei der Murette AG ab.
Gregor erwies sich als ausgezeichneter Bootsbauer mit langjähriger
Hochseeerfahrung. Ich ging davon aus, dass ich auch als Einhandsegler
unterwegs sein würde. Gregor ermahnte mich oft: «Bleib einfach – je
mehr du einbaust, desto aufwändiger wird der Unterhalt.» Trotzdem gab
es einiges zu tun. Was ich wirklich haben wollte, war ein elektronischer
Autopilot, ein fest eingebauter GPS, ein Radar, Kurzwellenfunkgerät, eine
172
elektrische Ankerwinsch, einen Antennenträger am Heck, Cockpittisch,
Sprayhood, Ersatzgenua und einen zweiten Fockbaum. Dazu kam eine
Rettungsinsel, ein EPIRP (Notsender) und ein faltbares Gummiboot mit
Aussenborder. Den einzigen Luxus, den ich mir leistete, war der Einbau
eines kleinen Diesel-Generators, um per Knopfdruck 220 Volt an Bord zu
haben, und vielleicht der Multisystem-TV-Apparat mit Videoabspielgerät, nebst Autoradio mit MC/CD-Player. Ferner verstaute ich noch ein
klappbares Mountainbike.
Ende Juli waren wir fertig. Der Tieflader war bestellt. Eine Firma aus
Marseille hatte das günstigste Angebot gemacht, die «Hasta Mañana»
nach Gogolin – in der Nähe von St.Tropez – an der französischen Riviera
zu bringen. Es hiess auch Abschied nehmen von meiner Familie. Dabei war es
mir schon etwas eigenartig zumute.
Dann tauchte der Tieflader aus Marseille auf – aber oh Schreck! – es war das
falsche Gerät. Aus unerfindlichen Gründen war aus meiner Segelyacht mit fixem Kiel ein «bateau de plaisance»
(Motorboot) geworden. Wütend schickte
Gregor den Chauffeur samt seinem Gefährt nach Marseille zurück. Mir war‘s egal. Ich blieb halt eine Woche länger in Brunnen, wo es mir sehr gut gefiel. Auch hatte ich noch die Möglichkeit, sozusagen am Geburtsort der Schweiz den 1. August zu feiern.
Am 3. August klappte es schliesslich. Das passende Gefährt mit einem Schlitz für den Kiel tauchte auf und – schwupp! – war mein Boot per
Pneukran verladen und gesichert. Noch am selben Abend ging es mit Gregors Toyota-Landcruiser über den Gotthard und gen Süden via Genua
nach St. Maxime. Auf den hinteren Plätzen sassen die beiden Bootsbauer
Norbi und Jordi. Nach einer kurzen Nacht in einem Hotel fanden wir
morgens um zehn Uhr bei «Laurent Marine» in Gogolin die «Hasta
Mañana» wohlbehalten vor, bereit zum Einwassern und Maststellen.
Schon am frühen Nachmittag schwamm mein Boot im Mittelmeer, das
vorerst meine neue Heimat werden sollte. Ich atmete auf: Ein wichtiges
173
Teilziel war erreicht. Übers das Wochenende machten wir nach einigen
Testfahrten sozusagen einen Betriebsausflug der Firma Zurfluh nach
St. Raphaël. Alles schien zu funktionieren. Nach dem Nachtessen am
Sonntagabend reiste Gregor mit seinen beiden Männern Richtung
Schweiz ab. Zum ersten Mal war ich allein.
Um die Bootstaufe vorzunehmen, fragte ich zwei Frauen aus Paris,
Sandy und Christine, die sich in der Nähe auf einem Motorboot in der
Sonne räkelten. Sie erfüllten ihre Aufgabe elegant. Christine tröpfelte nur
wenig Sekt auf die «Hasta», den neuen Teil meines Bootsnamens, damit
genug für unseren Apéro übrig blieb, derweil Sandy einen Taufspruch zum
Besten gab. Anschliessend lud ich die beiden Frauen zum Nachtessen ein.
Nach diesem lustigen Abend erwachte ich am nächsten Morgen mit der
Gewissheit: Diesen Hafen verlasse ich erst, wenn ich eine Crew gefunden
habe. Ich stand nicht unter Zeitdruck und war mir sicher, dass sich schon
was ergeben würde. Vorerst wollte ich entlang der Küste nach Port
Camargue segeln, um dort Irene Guenkine-Wiese, eine Architektin, zu besuchen. Sie hatte mir 1980 die Baueingabe zum Umbau meines Bauernhauses in Hemishofen fabriziert und lebt jetzt in der Camargue.
All das liegt weit zurück. Nach zwei Tagen habe ich mich wieder an das Bordleben gewöhnt. Ich versuche, mich kulinarisch zu
verwöhnen. Das in Australien sehr günstig eingekaufte Fleisch
habe ich vakuumverpackt. So hält es im Kühlschrank problemlos
zehn Tage. Die meisten der australischen und neuseeländischen
Boote haben ein Tiefgefrierfach eingebaut. Dafür muss der Motor
knapp eine Stunde pro Tag laufen. Das heisst aber auch, dass man
das Boot nicht einfach eine Woche lang stehenlassen kann, sonst
würden die Vorräte auftauen. Ich koche, wenn immer ich Hunger
habe und mehr oder weniger unabhängig von der Zeit. In der Regel bereite ich mir vor dem Auslaufen den vom Militär bekannten
«Spatz» zu, ein Pot-au-feu, das ich dann ein paarmal aufwärmen
kann. Dann versuche ich auch, eine «Kette» zwischen den Mahlzeiten zu bilden. Also gibt es zum Beispiel in der Bratpfanne geschmolzenen Käse, so etwas wie «Raclette» mit «Gschwellti». Ich
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koche soviel Kartoffeln, dass es zum Frühstück für Röschti reicht.
Bratkartoffeln mit Speck stehen später auf dem Menüplan, das
Ganze mit Käse überbacken und als Krönung zwei gebratene Spiegeleier obendrauf. Im Moment experimentiere ich mit «Sensational stir fries». So heisst mein neues Kochbuch, das unzählige
Menüs beschreibt, die schnell – «speedy meal making» – im Wok
zubereitet werden können. Der Wok eignet sich bestens auf meinem Gasherd.
Nachts schlafe ich speziell gut. Ich habe inzwischen meine
«Murette»- Kaskoversicherung, die das Risiko des Einhandsegelns
ausschloss, auf die «Preuss»-Versicherung (Trans-Ocean, Cuxhaven) umgeschrieben, die dieses Risiko auch versichert. «Ganz einfach, weil es immer mal vorkommt, dass sich zum Beispiel die Frau
eines Skippers auf Heimaturlaub befindet und der zurückgebliebene Eigner weitersegeln will». So erklärt es mir Frau Masson, die
Geschäftsführerin.
Es geht flott voran. Die Strecke von Brisbane nach Nouméa ist
gemäss Unterlagen eine schwierige Route, auf der meistens mit
Gegenwind zu rechnen ist. Ich habe Glück – oder ist es Können?
Wohl kaum. Am fünften Tag erreiche ich den Südostpassat mit 15
Knoten Wind. Ich nehme die Segel dicht und kann gerade
Nouméa anliegen. Erst in der Nacht auf den siebten Tag auf See
muss ich wenden. Ich segle in zwanzig Meilen Abstand parallel zur
Küste, stelle meinen Wecker und lege mich schlafen, denn ich
möchte den «Passe de Dumbéa» erst beim Anbruch des neuen Tages passieren. Alles klappt wie vorgesehen. Um 1040 Uhr bin ich
fest in «Port Moselle».
Mir macht es Freude, an einen Ort zurückzukehren, den ich
schon kenne. So weiss ich, wo ich am besten einkaufen kann, wo
es das günstigste Bier gibt und wo abends die Hölle los ist. «Pirat»
mit seiner «Rory Mhor» liegt in der Baie des pêcheurs im «Club
Nautique de Calédonie». Er segelt mit Susanne, einer jungen
Dänin. Seine Frau, Nelly, ich hätte sie gerne gesehen, ist leider vor
zwei Tagen abgereist. «Pirat» lädt mich zu Schweizer Bratwurst –
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Vorteil des Gefrierfaches! – mit Kartoffelgratin ein. Ich will gerade
an Bord steigen, als das Inferno in Form eines Gewitters mit starken Windböen hereinbricht. Der Teufel will es, dass die Böen aus
der falschen, ungeschützten Richtung kommen. Die unter Buganker und mit dem Heck am Steg gesicherten Boote geraten ins Trudeln – es drückt die Boote mit dem Heck förmlich an den Steg.
Hektik herrscht an Bord, Holz splittert, die Gangway wird zur Seite
gedrückt, und etwas hilflos stehe ich im rauschenden Regen und
versuche, das dreissig Tonnen(!) schwere 56-Fuss-Schiff vom Steg
abzuhalten. Vergeblich. Am Heck verwandelt sich eine Holzverkleidung in Kleinholz. Komplett durchnässt, geniessen wir zum
Nachtessen doch noch Bratwürste. Weitere Gäste sind eingeladen.
Chris von der «Wandering Willy» aus Neuseeland kenne ich
schon seit dem Tonga-Rally. Er stellt mir seine auffällig attraktive
Freundin Lynn vor. Langsam beginne ich zu begreifen, weshalb er
letzten Herbst in Port Vila so niedergeschlagen war, als Lynn nicht
kommen konnte. Die «Rory Mhor» und die «Wandering Willy»
nehmen an der vom CNC organisierten Rally «Découverte du
Nord» zusammen mit zwanzig einheimischen Booten teil. Schon
in der ersten Nacht nach dem Auslaufen geraten sie in eine Gewitterfront mit über sechzig Knoten Wind (Bf 11). Drei Boote müssen beschädigt zurückkehren, während ich geschützt im Hafen
liege und das Nachtleben geniesse.
Ich versuche, mein seglerisches Lotterleben wieder fortzuführen. Im «Route 66» spielt die Rockband HTB, die Honky Tonky
Boys. Das ist genau die Stimmung, die ich liebe. Prompt mache ich
die Bekanntschaft Maités. Wenn sich unterschiedliches Blut vereinigt, entstehen daraus oft wunderbare Mischungen. Maité ist
ein Beispiel dafür. Ihre Mutter kam aus Guadeloupe, ihr Vater ist
Kanake. Offensichtlich findet sie an mir Gefallen und möchte mit
mir ausfliegen, respektive segeln gehen, was wir dann auch tun.
Was macht mich für die einheimischen Frauen so attraktiv? Wohl
kaum meine jugendliche Schönheit, bin ich doch schon etwas
«abgeschossen». Schon eher die Möglichkeiten, die ich bieten
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kann: Ich bin solo, also können mich die Damen besuchen, wann
immer sie wollen. Vielleicht ist es auch ihre Neugier oder nur der
Reiz, für ein paar Tage günstig zu leben. Dazu werden sie mich
auch ohne Probleme wieder los, denn ich segle bald wieder weiter.
Hier in Nouméa profitiere ich auch von der Möglichkeit, im Institut Pasteur einen anonymen und kostenlosen Aidstest machen zu
können. Eine Ärztin nimmt sich Zeit, mir mit Skizzen zu erklären,
was man tun, respektive nicht tun soll. Ich versuche, ihr auch zu
erklären, weshalb es nicht immer einfach ist, in heissen Situationen cool zu bleiben und sich zu schützen. Immerhin ist mein
Testresultat negatif. Ich kann also gewissermassen wieder bei
«Null» anfangen.
Ich nehme mir auch die Zeit, einen neuen Balmar-Alternator
mit externem Regler einzubauen, den ich bei West Marine in den
USA bestellt habe. Obwohl die Frachtspesen dazukommen, ist es
wesentlich günstiger, Komponenten aus Amerika einfliegen zu
lassen, denn in Neuseeland oder Australien sind Bootsteile erstaunlich teuer.
In Nouméa besuche ich auch eine Aufführung der «Troupe de
Wetr» aus Lifou, organisiert von der «Agence de Développement
de la Culture Kanak» (ADCK). Die in selbstgemachten Kostümen
aus Palmen- oder Pandanusblättern tanzende Truppe begeistert
das vorwiegend aus Kanaken bestehende Publikum. Hier erstehe
ich auch zwei Bücher über «Les dances kanak» und «Musique et
dances kanak». Der Verfasser, Raymond Ammann, ist persönlich
anwesend und signiert seine beiden Werke. Der vom ADCK aus
Basel eingeladene Doktor der Ethnomusicologie hat in den vergangenen Jahren umfassende Studien angestellt. Wir haben ein
kurzweiliges Gespräch im Anschluss an seine Signierstunde. Lustigerweise lebt sein aus den USA stammender Hoffotograf, David
Becker, auf einem Segelboot in «Port Moselle».
Langsam wird es Zeit, dass ich mich wieder auf die Socken mache. Am 12. Juni löse ich mich vom Steg und motore gegen den
Ostpassat die dreissig Meilen in die Baie de Prony. Dort hänge ich
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mein Boot an eine Boje beim Hotel de Casy. Letzten Herbst war ich
zusammen mit Fabienne Esmeralda am genau gleichen Ort, nur
mussten wir damals umkehren. Ich sah sie übrigens in Nouméa
wieder – sie hat einen neuen Freund, und ihre fünf Kinder sind
wohlauf.
Freitag der Dreizehnte. Da laufe ich nicht aus! Das ist eine alte
Seglerregel. Genau an diesem Tag habe ich auch ein gutes und ein
schlechtes Erlebnis. Das gute: Drei Kinder einer benachbarten
Yacht schenken mir einen ansehnlichen Bonito (Thunfisch). Ich
bedanke mich erfreut mit einer Tafel Schokolade. Damit ist der
Menueplan für die nächsten Tage vorgegeben: zuerst gebratener
Fisch, dann Fischsuppe. Und jetzt das schlechte Erlebnis: Nachdem ich meinem «Malta»-Aussenborder nach umfassender Reinigung des Vergasers endlich wieder das erlösende Knattern
entlocken kann, mache ich mich auf zum Landgang. Nach ein
paar Bierchen an der Hotelbar läuft mein «Malta» wieder nicht an.
Still vor mich hin fluchend, rudere ich zu meinem Boot zurück.
Erstaunt stelle ich am nächsten Morgen fest, dass mir doch
tatsächlich jemand das Benzin geklaut hat. Ich buche dieses Erlebnis auf dem Konto direkte Entwicklungshilfe ab.
Um die Ile des Pins zu erreichen, muss ich den ganzen Tag gegen den Ostpassat ankämpfen und sogar den Motor benützen. Die
Einfahrt zur Baie de Kuto ist durch Leuchtfeuer signalisiert. Es ist
schon zwei Stunden dunkel, als mein Anker auf den Sandgrund
saust. 1871 wurden auf diese Insel über dreitausend politische Gefangene aus Frankreich abgeschoben und hier gefangen gehalten.
Davon zeugen der «Deportees‘ Cementery» (Friedhof) und relativ
gut erhaltene Ruinen. Der Club Med wollte hier vor einigen Jahren ein 600-Betten-Hotel bauen, was aber von den vorwiegend aus
Kanaken bestehenden Einwohnern verhindert wurde.
Hier soll Albert, ein Schweizer, leben. Dem Schild: «Créations
Ile des Pins» folge ich aus Neugier und finde eine Boutique. Dort
verkauft ein Künstlertyp in meinem Alter selbst entworfene, buntbedruckte T-Shirts und Pareos. Ich erkundige mich nach Albert.
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«Das bin ich» entgegnet der Mann und und wechselt von Französisch auf Schweizerdeutsch. Er lebt schon seit 1969 hier. Die Ile des
Pins, diese Insel der Fichten, ist ein «Rêve de la Nature – where nature dreams». So heisst ein Buch Hillary Roots, genannt Cléo, der
Partnerin Alberts. Sie kommt aus Neuseeland und arbeitet als Journalistin. Früher betrieb Albert eine Tauchbasis, heute entstehen in
der Boutique seine Kreationen.
Spontan werde ich zum Mittagessen eingeladen und fühle
mich wie zu Hause. Es ist eben
diese Gastfreundschaft, wie sie
in der Südsee gelebt wird, die
mich immer wieder begeistert.
Nachdem ich in Cléo und Albert
neue Freunde gefunden habe
und diese siebzehn Kilometer lange und vierzehn Kilometer breite
Insel, die auch Kunié genannt wird, per Fahrrad ertrampelt habe,
setze ich wieder die Segel. Natürlich nicht, ohne mich vorher auf
dem Mini marché mit frischen Baguettes und Gemüse eingedeckt
zu haben.
Die folgende 320 Meilen lange Reise wird vergnüglich. Der
Südostpassat bläst mit bis zu 35 Knoten (Bf 8). Ich fliege förmlich
nach Port Vila. Nach genau zweimal 24 Stunden fällt mein Anker
bei der Quarantäneboje im Hafen. Nach der Mittagspause legen
John vom Zoll und der Vertreter der Quarantänebehörde per Boot
an der «Hasta Mañana» an. Es ist der 20. Juni 1997. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, welche Schwierigkeiten mich hier erwarten.
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Black Justice
Sechs Wochen an einer
Mooring vor der Iririki-Insel
J
ohn vom Zoll setzt sich an meinen Tisch, der Vertreter der
Quarantänebehörde auf die Steuerbordkoje. Um John zu beschäftigen, bis ich all die Formulare ausgefüllt habe, gebe ich
ihm ein Bier und einige Magazine: «Swiss Boat», «CCS-Bulletin»,
«Yachting World» … Er blättert herum und schreit plötzlich auf.
Triumphierend wedelt er eine Ausgabe des Herrenmagazins «Hustler» in seiner Hand. «You have to declare this!» «Kein Problem, das
mache ich,» entgegne ich arglos. Der Zöllner, misstrauisch geworden, nimmt die Kabine noch etwas genauer unter die Lupe und
findet noch zwei alte «Penthouse» und drei Porno-Videos. «I have
to confiscate this.» Gut, John packt die «Corpus delicti» ein und
macht sich mit seinem Kollegen von dannen. «We will contact
you later,» ruft er noch zurück. Ich bin schön blöde. Es war mir
nicht bewusst, dass ich obszönes Material an Bord hatte, das hier
in Vanuatu verboten ist.
Abends am 24. Juni klopft es an mein Boot. Ich bin noch nicht
einmal angezogen. Es ist John vom Zoll: «Du musst sofort mitkommen.» Beim «Waterfront»-Restaurant warten zwei weitere
Zöllner. Unter den erstaunten Blicken anderer Yachties werde ich
per Auto zum Ankläger John Timakata gefahren und dort zum Criminal-Case 222/97. Die Anklage lautet: « Schmid Otto Arnold,
Swiss, you did import into Vanuatu obscene material, namely 3 video tapes and 3 magazines». Als erstes wird mir der Pass abgenommen. Natürlich darf ich Vanuatu nicht verlassen. Am 25. Juni
um 14 Uhr muss ich vor dem Magistrates Court erscheinen. Vorsichtshalber gehe ich mal zum Haarschneiden und kaufe ein
neues Hemd.
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Der Richter heisst Jerry. Zuerst hält er mir eine Standpauke,
weil ich nicht automatisch aufstehe, als er hereinkommt. Des weiteren soll ich nur sprechen, wenn er mich etwas fragt. Kaum angefangen, setzt er die Verhandlung für zehn Minuten aus, hat
doch mein Ankläger das falsche Buch erwischt und kann die mir
vorgeworfenen Penalcode-Artikel nicht finden. Als der Prozess seinen Fortgang nimmt, eröffnet mir der Richter mit ernster Stimme,
dass die Maximalstrafe für diese Tat zwei Jahre Gefängnis und bis
tausend US-Dollar Busse beträgt.
Ich verhalte mich kooperativ und betone, dass ich mein Vergehen bedaure, dieses obszöne Material keinesfalls ins Land importieren wollte und dass es nur meinem eigenen Vergnügen diente.
Die Stimmung ist angespannt. Zwei Propeller an der Decke summen leise vor sich hin, bei jedem Windstoss öffnet sich die Türe
zum Balkon und fällt wieder zu. Sie lässt sich nicht richtig schliessen. Vor dem Richter liegen die drei Magazine und Videos. Lustigerweise «Black Justice» zuoberst, der einen schwarzen Richter im
Talar mit einer blonden Kundin zeigt. Nun verkündet der Richter
mit schicksalsschwerer Stimme seinen Schuldspruch: Das obszöne
Material wird vernichtet (schade). Zweihundert Dollar Busse. Dazu
habe ich dreissig Dollar Anklagegebühren zu bezahlen. Wer weiss,
vielleicht wäre ich mit einem guten Anwalt freigekommen, was jedoch sicher teurer ausgefallen wäre. Glücklicherweise bin ich entlassen und nochmals glimpflich davongekommen.
Der Pass wird mir nach dem Bezahlen der Busse wieder ausgehändigt. Erstaunlicherweise wollen nach der Verhandlung der
Ankläger John und mein Pflichtverteidiger Reynold mein Boot sehen. Wir feiern den Ausgang der Verhandlung mit Rumpunsch.
John, ein Ni-vanuatu, ist um die dreissig und mit einer blonden
Amerikanerin befreundet. Er will sie abholen, um dann zusammen zum Kavatrinken zu gehen. Kaum bei ihrem Haus angekommen, geht die Hölle los. Weil er zu spät ist – es ist erst 1830 Uhr! –
und weil sie feststellt, dass er etwas getrunken hat. Die Amerikanerin hat einen hysterischen Anfall, brüllt uns an, springt in ihr
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Automobil – und weg ist sie! Also gehen wir ohne sie zum Kava.
John ist den ganzen Abend etwas «dumb». Der ereignisreiche Tag
klingt friedlich aus. John und Reynold ringen mir des Versprechen
ab, sie vor dem Wegsegeln anzurufen und unbedingt ihre Inseln
zu besuchen.
Port Vila. Schön, wieder hier zu sein, obwohl das Wetter verrückt spielt. Jeden Tag regnet es mindestens einmal. Überhaupt ist
das Wetter im Pazifik viel schlechter, als man gemeinhin annimmt.
Vorerst habe ich nicht viel vor, denn ich habe mir schon letztes
Jahr alles angeschaut, was ich sehen wollte. Anfangs August will
ich weitersegeln, also habe ich sechs Wochen Zeit. Ich lasse mich
treiben und will schauen, was sich ergibt. Viele alte Bekannte grüssen mich und freuen sich, dass ich wieder hier bin. Auch die Buschtrommeln funktionieren. Kaum angekommen, taucht Loritta aus
Pango wieder auf, mit der ich mich letztes Jahr angefreundet hatte.
Peter, Sonja und Roger aus Turbenthal sind mit der «Paros»
hier. Sie haben ihr Boot in Fidschi überholt und sind dabei von
zwei Zyklonen überrascht worden. Mit Peter Kägi erlebte ich eine
lustige Zeit in Papeete. Er liess sein Boot in Fidschi und segelte,
nach einem Arbeitsjahr in der Schweiz, wieder weiter. Sonja will
in einigen Tagen nach Australien abfliegen, um Queensland per
Fahrrad zu entdecken. Sie und Roger sind zwei Verrückte. Zu Beginn ihrer Reise radelten sie von Turbenthal nach Lissabon und
später von Florida nach San Diego in Kalifornien.
Die «Blue Troy» mit dem jungen Schweizer Paar Myriam und
Patric liegt auch vor Anker. Die beiden Bielersee-Jollensegler kamen
zu einem Segelboot, wie die Jungfrau zum Kind. Im vergangenen
Oktober reisten sie ferienhalber nach Neuseeland. Dort suchten sie
in der Russell Bay of Islands einen Schweizer namens Hanspeter
auf. Um sich für die gewährte Gastfreundschaft zu bedanken, arbeiteten sie an seinem Segelschiff. Patric machte Sprüche: «Hey,
dein Boot gefällt mir. Ist es zu kaufen?» «Du spinnst wohl, vielleicht später einmal», war Hanspeters Antwort. Myriam und Patric
kauften ein Auto und machten sich auf, Neuseeland zu entdecken.
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Patric gingen die Gedanken an das Boot nicht aus dem Kopf. Nach
diversen Telefonen kam es am Silvester 1996 schliesslich zum Kauf.
Damit wurden die beiden Westschweizer stolze Besitzer eines 1938
in Holz gebauten 36-Fuss-Bermudan-Kutters mit dem schönen Namen «Blue Troy» (Troy = Goldwägeeinheit). Das Boot hat gefällige,
traditionelle Linien, ist schlank, hat einen Langkiel und 1,70 Meter Tiefgang. Myriam und Patric sind die sechsten Besitzer. Die vorherigen Eigner, Hanspeter und Catrina, segelten das Boot vor fünfzehn Jahren von England nach Neuseeland. Ende Mai 1997
starteten die neuen Eigentümer zum 1200 Meilen langen Schlag
von der Bay of Island nach Port Vila.
Die ersten drei Tage hatten sie eine spiegelglatte See und kaum
Wind. An einem Morgen kreuzten – Orginalton Myriam – «megaviele» kleine Wale ihren Weg. Waren sie auf der Flucht vor schlechtem Wetter? Später kam Wind aus Nord auf. Die Windfahnensteuerung hielt das Boot auf Kurs. Plötzlich entstand Schwell, wie
sich Patric genau erinnert: «Der Himmel wurde gelb, mit Wolken
wie bei einem Atombombenpilz. Das sah schlecht aus. Der Wind
nahm zu – fliegendes Wasser raubte uns die Sicht.» Der Zyklon
«June» kreuzte ihren Kurs, wie sich herausstellte. Beigedreht unter
Sturmfock, Gross eingedreht (Rollreff), ging für achtzehn Stunden
die Hölle los. Patric: «Den Elementen ausgeliefert, hockten wir, verstärkt durch einen Farmer aus Neuseeland, am Boden meines Bootes und machten uns auf das Schlimmste gefasst. Den EPIRP und
die Rettungsinsel hielten wir bereit. Dann gab es für zehn Minuten
Ruhe – wir befanden uns im Auge des Zyklons – starker Regen
setzte ein, null Wind. Wir dachten schon, es wäre überstanden, als
der Sturm aus Süden einsetzte. Der Regen hielt an, das Boot ächzte
fürchterlich, ich hatte Angst um den Mast. Endlich, nach langen
weiteren zwölf Stunden, liess der Wind nach.»
Schliesslich erreichte die Crew der «Blue Troy» Port Vila, was
das Hochseesegeln betrifft, etwas ernüchtert. Sie machte sich sofort daran, das leckende Schiff in der Werft «17° 44‘ South», etwas
östlich von Port Vila, zu kalfatern. Das Boot ist ausgesprochen
185
heimelig. Myriam und Patric sind daran, es noch komfortabler zu
gestalten. Ihre Zukunft ist offen, die Reiseroute auch.
30. Juni / 1. Juli 1997, ein bedeutungsvolles Datum: Hongkong
geht wieder in chinesische Hand. Um auf dem Laufenden zu bleiben, höre ich Nachrichten, meistens Radio Schweiz International,
und lese das «Time» Magazine, wenn immer ich eines kriegen
kann.
Kurz nach diesem historischen Ereignis setze ich mich erstmals neben Matthew in sein Wasserflugzeug, eine «Maule» mit
260 PS starkem Motor. Wir fliegen zum nahe gelegenen Havannah
Harbour. Ich übernehme das Steuer. Wir fliegen einige Platzvolten
und landen auf dem ruhigen Meer. Dann hüpfen wir über die
ganze Länge der Bucht. Wir starten, steigen auf hundert Fuss und
landen wieder ohne Konfigurationsänderung – bis zum Ende der
Bucht schaffen wir fünf Starts und
Landungen. Als aktiver Sprühflugzeugpilot mit pro Jahr zwei Monatseinsätzen in Malaysia demonstriert Matthew mir dann das
Fliegen auf tiefster Höhe – auf zwei
bis drei Metern – mit Full Speed.
Um eine Erfahrung reicher, landen
wir in Port Vila neben den ankernden Segelbooten. «Sea-Air: experience the difference» steht auf
dem Rumpf, wird doch das Flugzeug zum Boot, sobald man den
Motor abstellt. Am Strand oder an einem Steg anzulegen, erscheint mir viel schwieriger als das Starten und Landen.
Den Abend verbringe ich im «Le Méridien»- Hotel. Dort findet
ein klassisches Konzert mit der erst 16jährigen Ali Wood aus Australien statt. Sie spielt Grieg, Mozart, Chopin und Rachmaninov,
alles auswendig, derweil ihr Mentor und zeitweiliger Begleiter auf
einem zweiten Flügel dicke Notenbände wälzt. An diesem Wochenende erfahre ich auch von Martina Hingis’ Wimbledon-Sieg.
Erstaunlich.
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In der Nacht auf Sonntag kommt Besuch. Das Klappern der Badeleiter weckt mich. Da steht doch tatsächlich Loritta pudelnass
am Heck. «I was missing you…» offenbart sie. Sie ist an die dreihundert Meter geschwommen. «Okay, come in!» heisse ich sie
nach dem ersten Schock willkommen und reiche ihr ein Badetuch. «Kannst du noch meine Kleider beim «Waterfront» holen –
und zwei Freundinnen?» Ich denke, es wäre auch ohne die zwei
Freundinnen gegangen. Am Steg stehen Sylvie und Lorene, beide
aus Pango. Bis das Kaffeewasser siedet, ist mein unerwarteter Besuch in Tiefschlaf gefallen. Die drei jungen Frauen sind nicht
mehr ansprechbar, also lege ich mich auch wieder schlafen. Nach
dem Frühstück tanzen wir zu einheimischer Musik im Boot. Die
Stimmung ist fröhlich und gelöst. Um drei am Nachmittag bringe
ich meinen Besuch zum «Waterfront» zurück, denn um vier Uhr
habe ich ein Rendezvous mit Heather und Florence. Die in Vanuatu geborene Heather hatte ich im «Office Pup» in Port Vila
kennengelernt. Sie spielte dort zusammen mit zwei Freunden
Pool. Während die Männer Bier tranken, war sie auf dem Trockenen. Ich spendierte ihr einen Drink … Florence ist ihre gleichaltrige Freundin. Diese beiden sind hungrig. Also koche ich in
meinem Wok «Stirfried beef» mit Gemüse und Reis. Nach dem Essen sagt mir Heather, die ich erst vor 24 Stunden kennengelernt
habe: «Je veux faire amour avec toi.» Wir haben noch nicht einmal das Geschirr abgewaschen … «Et Florence ?» frage ich. «Pas de
problème – sie kann draussen warten». Es erstaunt mich immer
wieder aufs Neue, wie unkompliziert die Frauen in der Südsee mit
der Sexualität umgehen.
Am folgenden Samstag ist in Port Vila Race Day. Mit einheimischen Pferden und Jockeys wird auf einer idyllisch gelegenen
Bahn in der Nähe des Golfplatzes um Lorbeeren gekämpft. Alles,
was in Port Vila Rang und Namen hat, nebst vielen Ni-vanuatu,
geniesst diesen herrlichen Tag. Viele Segler sind anwesend, auch
«Pirat», mein Schweizer Freund von der «Rory Mohr» aus Neuseeland. Die Wettbüros laufen heiss – das Wetten gebe ich nach eini-
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gen erlittenen Verlusten wieder auf. Es gibt auch Wettbewerbe, in
denen die bestangezogenen Frauen, Männer und Gruppen erkürt
werden. Dort sehe ich auch Heather wieder. Sie gewinnt bei den
einheimischen Damen. Sie stellt mich ihrer Familie vor. «Il faut
rien dire!» ermahnt sie mich. Ihr Vater arbeitet bei der Polizei.
Peter, Roger und ich werden am Montag von Reini, einem
Schweizer, der hier ansässig ist, zum Laufen mit den Hash House
Harriers abgeholt. HHH ist eine Lauforganisation, die in England
entstand und sich in unzähligen Ländern ausbreitet. Die Laufdistanz geht über 5 bis 8 Kilometer. Anschliessend bedient man sich
aus einem mit Rädern versehenen und liegenden Kühlschrank,
der mit Tusker-Bierflaschen und Eiswürfeln gefüllt ist. Nebenan
werden Würste gebraten. Auf der Ladebrücke eines Trucks muss,
wer immer irgendwie auffällt, einen Bierkübel ex austrinken,
wobei die benötigte Zeit gestoppt wird. Nach der Ansage «We are
being invaded by the Swiss» werden wir aufrechten Schweizer
natürlich auch zum Mug-Austrinken aufgerufen. Peter liefert
nochmals einen Grund: Er trägt die schönsten Laufhosen der
versammelten Läufer. Das Biertrinken wird anschliessend an der
Bar des «Galley» fortgesetzt. Wahrscheinlich ist dieser Alkoholschub verantwortlich dafür, dass ich am folgenden Mittwoch
einen Gichtanfall im linken Zehengelenk erleide und kaum mehr
gehen kann. Eine Alterserscheinung? Sinnigerweise behandelt
mich der Arzt Graham, der auch bei den HHH mitläuft. Er stellt
fest, dass sich mein Harnsäurespiegel zwar innerhalb der Toleranz
befindet, allerdings im oberen Bereich. Also werde ich wohl etwas
vorsichtiger mit Alkoholkonsum sein müssen.
Reini Zürrer ist mit der attraktiven und aufgestellten Rosie aus
Kiribati verheiratet. Sie haben einen achtjährigen Sohn namens
Marcus, der jeweils auch mitläuft. Reini hielt sich als Geschäftsmann an verschiedenen Orten Asiens auf. Er lebte in Thailand
und Malaysia und bereiste den ganzen Fernen Osten und die Pazifikregion. Jetzt wohnt er in Port Vila. Ihm erzähle ich meine
Video-Geschichte. Prompt bringt er sie am nächsten HHH-Treffen
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unter die Leute, mit dem Antrag, mir den Hash-Namen «Black Justice» zu geben, was unter dem Gegröle der Anwesenden gutgeheissen wird. Er selbst trägt den Namen «Ski», weil er aus der
Schweiz kommt. Auch mein Arzt kriegt einen Hash-Namen:
«Goldfinger». Das kam so: Am Vorabend meiner letzten Untersuchung hatten wir im «Waterfront» ein Altmännergespräch. In der
Runde einiger älterer Segler unterhielten wir uns über Prostataprobleme, Harnverschluss und halt über Gesundheitsfragen, die
auf See, fern von einem Krankenhaus, zu einem lebensbedrohenden Problem werden könnten. Ronald Gabske, der auf seiner Hallberg Rassy 42 «Gabinca» segelt, sagte: «Ich habe sogar einen Katheter dabei und auch gelernt, wie ich ihn benützen müsste.» Am
nächsten Morgen, bei meinem Arztbesuch, bat ich Graham,
meine Prostata zu checken. Er lachte: «Leg dich auf die Seite, entspann dich!». Sanft nahm er die Rektalanalyse vor und beruhigte
mich: «Everything is perfect.» Dummerweise erzählte ich das
Ganze meinem Freund Reini. Die Quittung folgt umgehend: Graham wird nach dem Laufen nach vorne gerufen und muss seinen
neuen Namen, «Goldfinger», in Empfang nehmen. An Sprüchen
fehlt es nicht, in der Art von: «Und mit seinen Fingern hat er
heute Abend die Würste auf dem Grill gebraten!» Uns fällt es
schwer, dieser fröhlichen Runde «bye, bye» zu sagen. Wir beschliessen, uns mit einem Karton Tusker-Bier für die uns gewährte
Gastfreundschaft zu bedanken. Der Kommentar folgt sogleich:
«The Swiss contingent provided the Hares Shout (Runde) for their
guilt in hording all that gold and money belonging to the Jews.»
Wenden wir uns besser dem Segeln zu. Zurzeit findet ein Rally
um die Welt statt: das EXPO 98. Am 15. Juni 1997 kreuzen die ersten Yachten die Ziellinie vor Port Vila. 39 Boote hängen an der
Hafenmauer, das längste 26,1 Meter («Movesita»), das kleinste mit
einer Länge von 11,3 Metern («White Swan»). Drei Schweizer
Yachten sind dabei, nebst einer Schweizer Crew auf einem unter
englischer Flagge segelndem Boot. Sie starteten im Januar 1997 in
Lissabon und werden dort Ende Mai 1998 zur Eröffnung der Expo
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ihr Rally beenden. Mit der Crew der «Best of Boingo», einer Gib
Sea Master 48 des Swiss Ocean Racing Teams mit Skipper Reto Bolliger, habe ich regen Kontakt. Unglücklicherweise brach ihr Mast
anfangs der Fahrt, weshalb diese Crew in den ersten vier Etappen
ohne Wertung blieb. Beim Start am 25. Juni zum nächsten Teilstück nach Cairns löse ich die Leinen der «Best of Boingo» und
hoffe auf gute Resultate in den folgenden Etappen.
Auch der «Spirit of Shamrock» mit Freddy und Lucia Gerber an
Bord wünsche ich einen guten Trip. Kaum sind diese Yachten gestartet, geht es wieder ruhig und gemächlich zu und her, doch die
Ruhe ist nur kurz. Am 30. Juli feiert Vanuatu seine 17jährige Unabhängigkeit.
Die Flaggenzeremonie im Independence Park zieht viele Besucher an, obwohl sie früh am Morgen und mit viel Militär begangen
wird. Mit Peter und Roger nehmen wir am Nachmittag mit der «Hasta Mañana» an der Independence Day Regatta in der Melebucht
teil. Uns packt das Regattafieber. Wir versuchen, alles aus dem Boot
herauszuholen, und schaffen es, im herrlichen Passat auf dem Zickzack-Kurs um diverse Bojen herum einen ehrenvollen fünften Platz
von neun Booten zu erreichen. Ich geniesse das Glück, überhaupt
die Möglichkeit zu haben, hier in der Südsee mit zwei guten Schweizer Freunden eine Regatta zu segeln. Wir beschliessen, die gewonnene Flasche Champagner am 1.August zu köpfen.
Die «706 Jahre Schweiz» feiern wir an Bord der «Rory Mhor».
Zu Ländlermusik und Schunkelliedern geniessen wir die Köstlichkeiten, die jede Crew mitgebracht hat. Wir sind acht Schweizer.
Leider sind Lotti und Marcel Kobler aus dem Toggenburg vor zwei
Tagen an Bord der «Bravura» weggesegelt. Unser Fest ist laut, fröhlich und ausgelassen. Wir sind stolz, Schweizer zu sein, was wir
auch all den «Kiwis» und «Aussies» zu merken geben.
Nachdem die «Rory Mhor» Richtung nördliche Inseln entschwunden ist und auch die «Paros» die Anker gelichtet hat mit
dem Ziel Nouméa, scheint es mir an der Zeit, auch wieder ans
Weitersegeln zu denken.
190
Vanuatu: Hemi namba wan gud ples
Port Vila – Havannah Harbour – Epi –
Ambrym – Pentecost – Maewa – Luganville –
Hogharbour – Vanua Lava – Uréparapara
A
m 14. August 1997 verabschiede ich mich von der ausgesprochen netten «Waterfront»-Restaurant-Crew. «Otto,
you must come back!» rufen mir die Leute nach. Kaum
habe ich die Mooringleine bei der Iririki-Insel ins Wasser geschmissen, kriege ich einen Dämpfer. Mein elektronischer Autopilot will nicht funktionieren. Immerhin habe ich Echolotund Windangaben.
Mein erstes Ziel ist der Havannah Harbour, eine ruhige Bucht
im nordwestlichen Teil Efates gelegen und in etwa fünf Stunden
zu erreichen. Nach dem Passieren des Devil‘s Point verschwindet
Port Vila aus meinem Blickfeld. In absehbarer Zeit werde ich wohl
kaum hierher zurückkommen.
Etwas traurig hänge ich meinen Gedanken nach: Die Frauen
werden nicht mehr vom Iririki-Beach «Oho» herüberrufen, weil
bei ihnen aus den beiden T meines Namens ein H wurde. Wir werden nicht mehr ausgelassen tanzen können zu Stans KeybordJazzmusik und Corittas Saxophon im «Waterfront». Ich werde das
montägliche Laufen mit «Ski» bei den Hash House Harriers vermissen. Auch keinen Whisky mehr trinken können mit Matthew,
dem Cropduster-Piloten, der jetzt mit seinem Wasserflugzeug Touristen herumfliegt. Und ich werde Dr. Franz von der «Big Island»
mit seiner schönen, dunkelbraunen Freundin Jeanette, deren Mutter aus Togo und deren Vater aus Stuttgart stammt und die deutsch
spricht, vermissen. Franz achtet darauf, dass man seiner Freundin
nicht zu nahe kommt – er spricht vom Heiraten und Kinderkriegen, was er bis jetzt verpasst hat. Er ist vor kurzem sechzig geworden. Was soll‘s. Jeder macht es so, wie es ihm am besten passt …
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Ich jedenfalls bin meinem Schicksal dankbar. Meine Söhne
Oliver und Ronald sind erwachsen, zu Jasmin, der Tochter meiner
zweiten Frau, Heidi, habe ich sozusagen väterliche Gefühle. Vor
Jahren wollte ich sie adoptieren – wegen der Scheidung kam es
dann allerdings nicht mehr dazu. Alles, was ich in meinem Leben
machen wollte, habe ich schon gemacht. Ich bin mir auch bewusst, dass ich ein Riesenglück habe, hier sein zu dürfen und mit
meiner beweglichen Wohnung, der «Hasta Mañana», von Insel zu
Insel zu segeln. Froh auch darüber, dass sich meine Schwester Dor
in meiner Abwesenheit um meine Angelegenheiten in der
Schweiz kümmert. Das Freiheits- und Glücksgefühl, das mich zeitweise befällt, kann ich nahezu mit den Händen fassen. Ich befinde
mich mit mir und meiner Umgebung im vollkommenen Einklang.
Anfangs August 1994, war ich im Hafen von Gogolin zum Auslaufen
bereit. Ganz alleine loszusegeln, schien mir allerdings zu riskant. «Wo ein
Wille, da ist auch ein Gebüsch.» Nach diesem Motto verbrachte ich den
8. August und war mit dem Einrichten des Bootes beschäftigt. Plötzlich
hörte ich ein Klopfen. Draussen stand ein Franzose: «J‘ai aussi un bateau
en acier. Je peux vite voir?» fragte er und stellte sich als Bruno vor. Er erklärte mir, er habe ein 30-Fuss-Segelboot aus Stahl, das sich im Ausbau
befinde. Als ich erwähnte, dass ich nach Port Camargue segeln wolle,
fragte er mich: «Si tu cherches une équipage, je suis libre!» Das war genau
das, was ich hören wollte. Wir machten aus, schon am übernächsten Tag
nach Porquerolles auszulaufen. Am 11. August waren wir bei Brunos Mutter, Madame Decoune de Nunques – was für ein schöner Name! – , die
oberhalb des Hafens «Les Leques» (östlich von La Ciotat) wohnte, zum
Déjeuner eingeladen. Vor dem Essen planschten wir im Pool, und dort
stellte mir Bruno auch seinen 15jährigen Sohn Edouard vor, der auch mitkommen wollte. Zu dritt mogelten wir uns entlang der Küste Richtung
Marseilles voran und verstanden uns glänzend. Tagsüber kreuzten wir gegen einen sich aufbauenden Mistral, am Abend suchten wir Schutz in einer Calanque (fjordähnlicher Einschnitt). Bruno kannte diese Küste wie
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seinen Hosensack. Die Wetterprognose versprach eine Verstärkung des
Mistrals auf sieben Beaufort. Genau so war es, als wir in die Bucht von
Marseille hineinkreuzten.
Plötzlich durchzuckte ein Gedanke mein Hirn. Lass uns abfallen und
die Balearen anlaufen, anstatt gegenanzubolzen! Bruno und Edouard elektrisierte der Gedanke. «Es gibt nur ein Problem. Kannst du etwas an unser
Flugticket nach Marseille bezahlen?» fragte Bruno. «Zudem hat Edouard
keine Identitätskarte dabei.» Per Handy informierte Bruno seine Familie,
während ich Irene anrief, die ich in der Camargue hätte besuchen wollen.
Wir hatten genügend Wasser und Diesel an Bord, aber mit dem Essen waren wir etwas knapp dran. Da ich mein Boot mit allem Drum und Dran
gekauft hatte, fand ich in den diversen Schapps auch noch Knäckebrot und
zahlreiche Konserven, die alle dänisch angeschrieben waren. Wir machten
uns nichts draus und liessen uns überraschen. Kurzum, der Entschluss war
schnell gefasst, Palma de Mallorca anzulaufen. Wir fielen ab, öffneten die
Segel, und die «Hasta Mañana» beschleunigte freudig auf über sieben
Knoten Fahrt. Ein bisher ungekanntes Gefühl durchströmte mich: das Gefühl unbegrenzter Freiheit mit der Möglichkeit, gerade das tun zu können,
was im Moment richtig schien.
Schon nach zweieinhalb Tagen machten wir im «Real Club Nautico»
in Palma fest. Edouard schmuggelten wir ins Land. Zwei Tage später sassen wir im Flugzeug nach Marseille. Die Zöllner liessen Edouard ohne
Probleme in sein Heimatland einreisen. Mit einem dankbaren Händeschütteln verabschiedete ich mich von den beiden Franzosen. Ich nahm
die Eisenbahn nach Nîmes, um Irene Wiese zu besuchen, die durch ihre
zweite Heirat zum Namen Guenkine gekommen war. Sie wohnte in Congénies, einem malerischen Dörfchen. Abends sassen wir im Garten, assen
ein Fischgericht und hatten viel zu lachen. Das schien aber Michel, Irenes neuem Mann, nicht zu behagen. Er war Psychiater und gerade mit einem Patienten beschäftigt. Er tobte und schrie: «Ich gehe in ein Hotel, um
meine Arbeit zu tun.» Und weg war er mit dem Patienten. Auch Irene
hatte die Streiterei satt. Am nächsten Tag fuhren wir in Irenes rotem und
offenen BMW von dannen und setzten uns ab nach dem nahen Spanien.
Irene steuerte, Sabine, ihre Tochter – ich bin ihr Götti und mit ihr auf dem
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Genfersee Starboot-Regatten gesegelt, sass mit Freund im Fond. Am
Nachmittag erreichten wir Irenes Mühle, ein romantisches Haus in Miravet, etwa zwei Autostunden nördlich von Barcelona gelegen. Nach ein
paar fröhlichen Tagen flog ich nach Palma de Mallorca zurück.
Später segelte ich mit Marianne Kottmann, der ehemaligen Frau Norberts, eines Starbootfreundes, und ihrer vierjährigen Tochter Corina nach
Antraitx. Wir besuchten dort Karin
und Roger Schellenberg, der einst Steward bei der Swissair gewesen war.
Ihre Finca hatten sie selbst umgebaut. Nach Ibiza steuerten wir Denia
bei Alicante an. Dort wollte ich vorerst bleiben. Dort hatte ich auch
Dorli und Heinz Tanner aus Stein
am Rhein als gute Freunde, die schon länger in Denia ansässig waren.
Obwohl ich Mitglied des Club Nautico de Denia wurde, entschloss ich
mich schon nach kurzer Zeit, anstatt im Mittelmeer zu bleiben schon in
jenem Jahr den Sprung über den Atlantik zu wagen und am Atlantic Rally
for Cruisers (ARC) teilzunehmen. Der Start war am 20. November vorgesehen.
Am 5. Oktober setzten wir in Denia erneut die Segel. Der Montgo, der
markante Berg oberhalb Denias, hüllte sich in Wolken. Helen Hossmann,
eine ehemalige Airhostess, begleitete mich bis Malaga. Nur während des
ersten Tages, einem Törn bis Calpe, waren auch Dorli und Heinz mit
ihrem Enkelkind Iris mit dabei. Es war schön, wieder unterwegs zu sein
und auf westlichen Kurs zu gehen. Nach zwei Tagen hatte ich mit Helen
ein Problem: Sie wollte partout nicht im strömenden Regen von Torrevieja
auslaufen. «Dann nimm den Bus nach Cartagena. Ich jedenfalls segle
weiter,» gab ich ihr klar und wohl auch etwas barsch zu verstehen. So
kam ich zu meinen ersten vierzig Meilen als Einhandsegler, bevor ich am
Abend wieder eine friedliche Helen traf.
In Benalmadena stieg Gregor Zurfluh aus Brunnen wieder an Bord.
Schon am 14. Oktober umrundeten wir den Europa Point und legten in
der Marina Bay von Gibraltar an. Wir fragten den Hafenmeister, wann
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es günstig sei, die Strasse von Gibraltar zu passieren. «In der Nacht auf
Sonntag, um vier Uhr, zwei Stunden vor Niedrigwasser», war seine Antwort. OK, das machen wir, lautete unser Entschluss. Ich hatte aber nicht
mal eine Karte, die bis zu den Kanarischen Inseln reichte. Den beinahe
obligatorischen Ausflug zum Affenfelsen erledigten wir per Seilbahn
zwischendurch. Die Kartenläden waren am Samstag und Sonntag geschlossen. Zum Glück konnte
uns ein anwesender Schweizer
sein Exemplar verkaufen. Nachdem auch noch Urs Wüthrich,
ein Freund Gregors, eingetroffen
war, begaben wir uns ins «Safeway» zum Einkaufen.
Tatsächlich legten wir in der
Nacht zum Sonntag um 0415
Uhr von der Pier ab und machten uns daran, die Strasse von Gibraltar zu
durchqueren. Der herrschende Wind aus Ost schob uns unter mitlaufendem Strom zügig nach Westen. Unser Radar half uns ungemein, den
Schiffsverkehr im Auge zu halten. Unsere Herzen schlugen bis zum Hals,
als wir das Mittelmeer verliessen. Die 750 Meilen bis nach Las Palmas
waren eine vergnügliche Reise bei wechselhaftem Wind und Wetter. «Ürsel» und «Gregi» entpuppten sich als ausgezeichnete Köche. Schon nach
fünf Tagen machten wir in Las Palmas, dem Starthafen für das ARC,
fest. Noch blieb ein Monat Zeit bis zum Start.
Viel hat sich seither ereignet. Nun befinde ich mich längst im
Pazifik. Kein Mensch ist zu sehen, als sich mein Anker kurz vor
dem Einnachten gegenüber der Insel Moso in den Sandgrund
gräbt. Am nächsten Morgen fahren Kanus vorbei. Perfekt, so kann
ich das Kinderkleider-Paket, das mir Frédérique von der «Shipibo»
mitgegeben hat, an die Familie Silvias und Kammys abliefern. Sie
bedanken sich überrascht über dieses unerwartete Geschenk mit
einem Palmenkorb voller Früchte. Am Nachmittag versuche ich,
meinem Autopiloten wieder Leben einzuhauchen. Vergeblich, der
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Log-Compass-Computer scheint ausgestiegen zu sein. Diese Tatsache macht die Seglerei etwas aufwändiger.
Zur Insel Epi sind es über sechzig Meilen. Also laufe ich am
Abend aus und erreiche nach einer ruppigen Überfahrt gegen acht
Uhr früh die Lamen Bay. Zwei bekannte Yachten hängen vor Anker, die «Gemini Contender» und die «Orion» aus Hamburg, auf
die ich von Mona und Paul sogleich zum Nachtessen eingeladen
werde. Wir verbringen einen angeregten Abend. Paul, der früher
zur See gefahren ist, hat viel zu erzählen.
Am Sonntagmorgen folge ich Gitarrenklängen und stosse auf
Frauen und Kinder, die in einer Hütte sitzen. Es ist ein Gottesdienst der «Apostolic Life Ministry». Sofort willkommen geheissen, versuche ich die einfach tönenden Lieder mitzusingen, was
mit Begeisterung quittiert wird. Gegenüber der Bucht liegt ein
Grasflugplatz, der von der Air Vanuatu bedient wird. Um nach Ranon auf der «schwarzen» Insel Ambrym zu segeln, brauche ich
acht Stunden. Als «schwarz» wird sie wegen des Lavasandes bezeichnet. Die beiden Vulkane hüllen sich leider in Wolken. Am
nächsten Morgen klopft es schon früh um sieben an meine Bordwand. Edward verkauft mir frische Früchte und Gemüse. Er lädt
mich ein, mit in seinen Garten zu kommen. Über eine Stunde
geht es steil hinauf zu seinem Stück Garten, der so abschüssig ist
wie der ganze Berghang. Er will einen Sack mit Kopra füllen. Mit
der Axt spalte ich die Kokosnüsse. Flink schält er mit einem gebogenen Spachtel das Fruchtfleisch heraus. Nach zwei Stunden Arbeit in der glühenden Sonne ist der Sack voll. Für Edward, den
Sack geschultert, ist der Abstieg mühselig. Beim Kopraofen liefert
er den Sack ab und kriegt dafür ganze 430 Vatu, etwa vier Dollar.
Der Handelspreis für eine Tonne getrockneter Kopra beträgt im
Moment 300 Dollar.
Douglas führt einen Laden, neben einem kleinen BungalowResort. Seine Hauptbeschäftigung aber ist das Anfertigen von bis
zu drei Meter hohen geschnitzten Tamtams, die an Kultstätten
aufgestellt werden. Das sind geschlitzte, ausgehöhlte Trommeln
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aus Brotfruchtbaumstämmen. Douglas lädt mich zum Nachtessen
in sein Restaurant ein. Wir sind vier Männer – von den Frauen ist
nur das Tuscheln in der Küche zu hören. Sie bedienen uns mit Inselköstlichkeiten: Laplap Yams, Taro, Reis, Huhn, gebratene Bananen, Omeletten. Das Besteigen des Vulkans Benbow lasse ich des
schlechten Wetters wegen bleiben und segle weiter zur Insel Pentecost. In der Homo Bay – so heisst sie wirklich, hat aber überhaupt nichts mit Homos zu tun! – gehe ich vor Anker. Hier soll der
Landdiving-Turm stehen. Jeweils im April und Mai, anlässlich des
Yamsfestes, stürzen sich mutige Männer an Lianen befestigt vom
etwa 25 Meter hohen Turm in die Tiefe. Wer weiss, vielleicht sind
sie die wirklichen Erfinder des Bungy-Jumping. Stolz zeigen mir
drei junge Ni-vanuatu diesen kulturträchtigen Ort, nicht ohne mir
vorher 500 Vatu abzuknöpfen. Dort treffe ich auch «Pirat» mit seiner «Rory Mhor» wieder. Für die Nacht wählen wir den gleichen
Ankerplatz in der Melsisibucht.
Es ist interessant, von Insel zu Insel zu segeln. Die nächsten
Tage verbringen wir in der schön gelegenen Bucht bei Asanvari
(Maewo). Sogar ein Wasserfall rauscht an der linken Seite der
Bucht, ein Ort für ein erfrischendes Bad oder eine Dusche.
Während die einen schnorcheln, ist «Pirat» mit Tauchen beschäftigt. Er hat eine Kompressoranlage an Bord. Hier mache ich die Bekanntschaft Edwins. Stolz zeigt er mir sein Haus in einem Dorf
oberhalb der Bay. Er ist 23 und war Lehrer in Luganville für ein
Salär von 300 Dollar pro Monat. Das Anpflanzen von Kava ist einträglicher, weshalb er in sein Dorf zurückgekehrt ist. Hundert Kilo
getrocknete Wurzeln haben einen Wert von 600 Dollar. Über eine
Stunde steigen wir auf, um diese Pflanzungen zu besichtigen, die
durch Roden mühsam dem Busch abgetrotzt wurden. Anschliessend gehen wir in das Dorf zurück zum Kavatrinken. Die Wurzeln
werden gewaschen und mit einem Korallenstein geraspelt. Mit
Wasser gemischt entsteht eine wie Abwaschwasser aussehende
Brühe, die – kaum genossen – sofort in den Kopf steigt. Edwin erzählt mir von seinem Leben im Dorf, auch davon, dass er nur mit
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einer Frau zusammenleben darf, wenn er sie heiratet. «Wie machst
du es vorher?» möchte ich wissen. «Puspus in the bush – nobody
knows» erklärt er lachend. Will er heiraten, so muss er zuerst den
Brautpreis von 500 bis 900 US-Dollar zusammenbringen.
Ich suche weniger den Kontakt zu Seglern als vielmehr zu den
Einheimischen. Chief Nelson gibt zum Abschied ein Fest in einer
zu einem Yachtclub umfunktionierten Hütte. Wild bemalte junge
Männer führen einige traditionelle Tänze vor, dann kommen im
Erdofen gegarte Yams und Tarowurzeln, neben Huhn und Reis auf
den Tisch. Anschliessend spielt eine lokale Stringband zum Tanz
auf. Die Frauen sind anfangs scheu – es braucht mehrere Aufforderungen, bis sie sich auf die Tanzfläche wagen.
Die 51 Meilen Überfahrt nach Luganville auf Santo ist gerade
in einem Tag zu schaffen. Ich passiere die Insel Ambae gegen zehn
Uhr in knappem Abstand. Da winkt doch ein Mann mit seinem TShirt. Kurz entschlossen gehe ich in der nahegelegenen Bucht vor
Anker. John, wie der junge Mann heisst, kommt mit seinem Kanu
angerudert und scheint verzweifelt. «Ich brauche Hilfe. Eine Frau
im Dorf ist im neunten Monat schwanger und sehr krank. Kannst
du sie nach Luganville mitnehmen?» ruft er mir zu. Es bereitet mir
Mühe, diesem Wunsche zu entsprechen. Womöglich hätte ich
noch eine Geburt an Bord. Ich verspreche dem Mann jedoch,
Hilfe anzufordern, und notiere die GPS-Position und den Namen
der Frau. Kaum unterwegs, kann ich zufällig einen Helikopter per
VHF erwischen und den Piloten orientieren. Damit ist die Sache
für mich erledigt. Leider erfahre ich nicht mehr, wie die Geschichte ausgegangen ist. In Luganville gehe ich vor dem «Beachfront Resort» vor Anker. An die neunzehn Yachten hängen in der
geschützten Palikulo Bay. Da will ich nicht hin, zumal diese Bucht
zwanzig Autominuten vom Zentrum entfernt ist.
Im einzigen Café am Ort treffe ich auf Chris von der «Wandering Willy». «Hey, wo ist deine Freundin Lynn?» frage ich. «Wir
hatten Differenzen – sie ist abgereist,» erklärt er trocken. Sein Boot
hängt beim Aoré-Resort an einer Boje. Ich will ihm in seinem
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Elend beistehen. Wir kaufen zwei grosse Steaks und eine Flasche
Rotwein. Die Fähre über den Segund Channel um 1530 Uhr verpassen wir um einige Minuten. Während der Wartezeit bis zum
nächsten Boot erklärt mir Chris, wie alles kam. Als Beruhigung
schlürfen wir zwischendurch einen Schluck aus unserer Weinflasche. Im Aoré-Resort artet unsere Diskussion in eine Sauferei mit
anderen Seglern aus. Als sich dann noch Chris‘ Dinghy unter dem
Steg einklemmt und sich bei steigender Flut nicht mehr bewegen
lässt, ist das Elend komplett. Es wird sehr spät, bis die Steaks endlich auf dem Grill landen.
Vanuatu ist seit 1980 unabhängig. Vorher stand es unter französischer und englischer Verwaltung. In Espiritu Santo erhielt in
den vorhergehenden Jahren die Nagriamel-Partei unter Führung
von Jimmy Stevens, die gegen den europäischen Einfluss kämpft,
immer grösseren Zulauf. Stevens Traum, aus der Insel Espiritu
Santo die unabhängige «Republic of Vemarana» zu bilden, schlug
fehl, und er wurde elf Jahre eingekerkert. Hochverehrt und mit
über zwanzig Frauen verheiratet, starb er vor zwei Jahren im Alter
von über siebzig. Etwas ausserhalb Luganvilles besuchte ich mit
Russell, einem Farmer und Motelbesitzer, Jimmy Stevens Grab, das
sich in einer Hütte befindet und offen ist. Damit niemand auf ihm
herumtrampeln kann, wie man uns erklärt. Noch immer wird
rund um die Uhr eine Totenwache gehalten. Erstaunlich.
Am Freitagabend ist der einzige Nightclub namens «Ratua»
geöffnet. Mit dem Bus erreiche ich die 50 mal 20 Meter grosse,
kahle Halle mit eigenem Generator. Kaum bin ich dort, macht er
über eine Stunde lang schlapp. Die Musik erstirbt, und die ganze
Szene bleibt in diskretes Dunkel gehüllt. Als der Betrieb wieder los
geht, bewegen sich um die zweihundert Tänzerinnen und Tänzer
zur Discomusik. Als einziger Weisser werde ich von fünf Schwestern in Obhut genommen. Die jungen Männer «killen» sich
selbst – bereits nach Mitternacht sind sie blau und liegen überall
herum. Die «Action» dauert auch ohne sie bis zum Morgengrauen.
Irgendwann mache ich mich im Schlepptau der Schwestern auf
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der Ladebrücke eines Pickup auf den Heimweg. Was läuft, respektive nicht läuft, bestimmt die älteste Schwester. Als «First born» –
wie es hier heisst – ist sie Vertreterin der Mutter. Da ist nichts zu
machen. Was soll‘s. Das vorgesehene Weitersegeln verschiebe ich
um einen Tag.
Am Sonntagnachmittag gegen zwei Uhr biege ich in die Hogharbour-Bucht ein, im Norden von Santos gelegen, und lasse als
einziges Boot meinen Anker vor dem Lonnoc Beach Resort fallen.
Hinter einem Landvorsprung versteckt sich die bekannte «Champagne»-Beach. Da bin ich gespannt. Dann schmeisse ich das
Gummiboot ins Wasser und montiere meinen «Malta»-Aussenborder. Um Korallenstöcke herum kurve ich an Land. Unter einem Baum sitzt eine hübsche dunkelbraune Frau. Etwas abseits
schäkert ihre Freundin mit einem jungen Mann. Sie stellt die üblichen Fragen: «Wie ist dein Name? Woher kommst du? Wo ist
deine Frau? Hast du Kinder? Bist du ganz alleine auf deinem
Boot?» Damares, so heisst sie,
spricht französisch. Bevor ihre
Freundin zurückkehrt, frage ich die
Inselschönheit, ob sie Lust habe,
heute Abend auf mein Boot zu kommen. «Gut, ich komme,» entgegnet
sie zu meinem Erstaunen. «Aber
mach kein Licht, wir treffen uns um
acht unter diesem Baum.» Ihre
Freundin kommt zurück, und ich mache mich auf zur Champagne Beach. Unterwegs komme ich an einigen Häusern und Hütten
vorbei. Am Ufer, unter einem schützenden Dach, sind Frauen und
Kinder versammelt und winken mir zu. Sie laden mich ein, an einem langen Tisch, der mit Inselköstlichkeiten aus dem Erdofen
bedeckt ist, Platz zu nehmen. Ich bin, ausser einem Priester, der
einzige Mann weit und breit. Die Frauen erklären mir, dass sie «After marriage» feiern, denn gestern hatte an dieser Stelle eine Hochzeit stattgefunden. Nachdem der Priester die Mahlzeit gesegnet
200
hat, geht die Mampferei los, natürlich von Hand. Herzhaft verspeise ich unter dem begeisterten Lachen der Frauen und Kinder
ein vor Fett triefendes Stück Schweinefleisch. Das ist für mich als
Bauernsohn kein Problem. Ich liebe es geradezu, von Zeit zu Zeit
ein fettiges Stück Speck zu essen. Nachdem alle ihren Hunger gestillt haben, werden die Resten in Bananenblätter gehüllt und
nach Hause getragen. Gerührt von soviel Gastfreundschaft, verteile ich Biskuits an die Kinder, die sich wie Räuber über meinen
Rucksack hermachen.
Die nahegelegene Champagne Beach trägt diesen Namen zu
Recht: Türkisblaues Wasser plätschert an den puderfeinen Sandstrand. Wunderbar, hier als einziger Besucher ein Bad zu nehmen.
Allerdings verlangt hier der Landbesitzer 200 Vatu Eintritt, die in
eine beschriftete Box zu werfen sind.
Abends hocke ich dann gespannt auf dem Rand meines Gummibootes unter dem besagten Baum. Ob Damares wohl kommt?
Plötzlich raschelt es, und sie steht vor mir, herausgeputzt und mit
einem blauen Kleid. Zurück an Bord hören wir zusammen «Hits of
South Africa» und tanzen dazu. Doch Damares steht der Sinn nicht
nach langen Vorspielen. «Il faut faire vite, je ne peux pas rester
longtemps», drängt sie. Auch gut, wir verschwenden also keine Zeit
und kommen gleich zur Sache. Beim Abschied fragt sie, ob sie
morgen abend mit einer Freundin vorbeikommen und einen Video
anschauen dürfte. «Wir schlafen dann bei dir. Du musst uns aber
früh am Morgen zurückbringen, bevor mein Cousin aufsteht.»
Gesagt, getan. Ohne Licht zu machen, hole ich sie am folgenden Abend ab. Damares bringt nicht eine, sondern zwei Freundinnen mit: Gladys und Jocelyne. Auf meinem Boot fragt Damares:
«Mi tekem swim?» Schwimmen? Gerade noch rechtzeitig fällt mir
ein, dass in Bislama «tekem swim» duschen bedeutet. So können
leicht Missverständnisse entstehen. Wir schauen uns den
Actionfilm «True lies» mit Arnold Schwarzenegger an. Bei einzelnen Szenen kreischen die jungen Frauen vor Begeisterung. Am
frühen Morgen, bevor das Dorf erwacht, fahre ich die drei
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Besucherinnen zurück. Weil der Tag in den Tropen nur zwölf
Stunden dauert und es früh einnachtet, stehen die Menschen hier
mit dem ersten Licht auf.
Hier verbringe ich herrliche Tage und Nächte. Damares hat es
sich zur Gewohnheit gemacht, auf meinem Boot zu schlafen.
Tagsüber besuche ich die Frauen, die an einer Quelle waschen, oder
steige hinauf zu ihrem Garten. Ich benütze den steilen Fusspfad,
um auf die Terrasse zu gelangen, auf der die Gärten liegen. Hier
treffe ich auch die frisch gebackene Ehefrau, Ivana. Sie ist 18jährig
und kommt von Malakula. Genn, ihr Mann, hatte ein Brautgeld
von 850 Dollar zu bezahlen. Die Frauen beseitigen Unkraut im Garten. Als Kavalier mache ich mich gerne nützlich und spucke selber
in die Hände. Das Unkraut gleicht dem in der Schweiz. Unterschiedlich ist allerdings die Jättechnik. Die Frauen benützen keine
Hacken, sondern die Machete, die auch zum Öffnen der Kokosnüsse oder zum Zubereiten des Gurkensalates dient. Meine Hilfe
sorgt für Erstaunen, denn der Gemüsegarten mit Salat, Kabis, Gurken und Spinat ist Frauensache. Abends ist dann auch die frisch
verheiratete Ivana mit dabei auf meinem Boot – ihr Mann, Genn,
ist zum Kavatrinken verschwunden. Offensichtlich ist die Neugier
grösser als die Angst vor einer ehelichen Szene. Damares erzählt
mir, dass Ivana schon in der ersten Woche nach der Hochzeit von
ihrem Mann geschlagen wurde. Die Frauen halten zusammen wie
Pech und Schwefel und versuchen trotz der strengen Regeln, zu
ihrem Recht zu kommen. Sie scheinen glücklich zu sein mit ihrem
Leben und lachen viel.
Als mir dann die Frauen im Lonnoc Beach Resort sagen: «You
should marry Damares» weiss ich, dass die Zeit zum Weitersegeln
gekommen ist. Am letzten Abend trifft Chris mit der «Wandering
Willy» ein. Er informiert mich, dass Lady Diana in Paris tödlich
verunglückt sei. Ich lade ihn zu einem Rindssteak mit Salat ein.
Dieses Fleisch habe ich im Hogharbour Store für 1.80 US- Dollar
das halbe Kilo gekauft. Am späten Abend bringe ich Chris zurück
und warte auf das Blinkzeichen vom Ufer, mit dem Damares ihre
202
Anwesenheit signalisiert. Die Geräusche meines Aussenborders
treiben Chris ans Deck seines Bootes. Die Blinkzeichen weiss er
erst zu deuten, als er das Gelächter der Mädchen hört. «Moonlight
gambler» nennt er mich vieldeutig am nächsten Morgen.
Die Distanz zur Insel Vanua Lava beträgt 80 Meilen, also will
ich am Abend lossegeln. Mit Geschenken bewaffnet mache ich
mich auf, mich von Damares zu verabschieden. Während es mir
schwer ums Herz ist, scheint sie es leicht zu nehmen. «Bitte sende
mir die Fotos. Mi laekem yu.» Das bedeutet: Ich liebe dich. Mit einem «Lukim yu – auf Wiedersehen» – schickt sie mich wieder auf
die Reise. Frédéric aus Uréparapara, dessen Insel ich anlaufen
werde, gibt mir Briefe für seine Familie mit.
Abends um fünf laufe ich unter dem Gekreische meiner
Freundinnen aus. Chris hupt mit seinem Nebelhorn. Es regnet, was
zu meiner melancholischen Stimmung passt. Vor dem Eindunkeln
schaffe ich es gerade, die Insel Lahti an Backbord zu lassen und das
offene Meer zu erreichen. Die Wetterprognose stimmt: Wind 15–25
Knoten und gemässigt raue See. Das Timing ist perfekt. Am Morgen erreiche ich die Waterfall Bay. Kaum angekommen, taucht
Chief Patrick mit seinem Kanu auf. Ihm kann ich das zweite Paket,
das mir die «Shipibo»-Crew mitgegeben hat, abliefern. Er lädt mich
zur Farewell Party für die hier liegende «Joanie D» aus Kanada ein.
Das ist der Riesenvorteil des Einhandseglers: Überall will man
mir helfen, mich bemuttern oder eben einladen. Schöne Erlebnisse wie mit Damares wären mit einer Crew nicht möglich. Ich
geniesse das Leben und habe kein schlechtes Gewissen dabei. Was
die Frauen betrifft, so mache ich nie unhaltbare Versprechungen,
sondern achte diese wunderbaren Geschöpfe der Südsee für ihre
unglaublich natürliche Art, sich mit einem Mann abzugeben und
ihm zu sagen, was sie wünschen. Selbst Männer möchten mir
gerne eine Frau für die Nacht besorgen «Es ist nicht gut, nachts alleine zu sein», meinen sie mitunter. Meine Antwort lautet immer:
«Ich schaue selbst, was sich ergibt». Schliesslich bin ich kein Heisssporn mehr wie vor Jahren.
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Mit Joanie und Jack mache ich mich auf, das hinter dem Doppelwasserfall liegende Dorf aufzusuchen. Nur zwei Familien leben
dort und bieten uns – wie hier überall üblich – zuerst Kava an. Die
Kinder hängen uns einen Blumenkranz um den Hals. Patrick hält
sogar eine kleine Ansprache. Er bedankt sich für die Nahrungsmittel, die wir ihm mitgebracht haben. Ich schenke ihm noch Tabak und einen Liter Wein, den er sorgfältig versteckt. Zum Essen
gibt es sogar Lobster und Crevetten. Die Frauen und Kinder
hocken abseits am Boden. Als ich am nächsten Morgen erwache,
ist die «Joanie D» weg. Sie ist auch unterwegs zu den Salomon-Inseln. Eigentlich dürfte ich nach dem Auschecken nirgends mehr
anlegen, aber einen Grund hätte ich im Falle eines Falles schon …
Mein Ziel, die Insel Uréparapara, verschwindet hinter einer Regenwand, kurz nachdem ich unter Motor die vierzig Meilen in Angriff genommen habe. Kaum vor Anker, ruft jemand auf Kanal 16.
Komisch, ich bin das einzige Boot in dieser Bucht. «Welcome, I am
Chief Nicholson», stellt sich der Anrufer vor. Der hat doch tatsächlich ein Funkgerät in dieser abgelegenen Gegend. Später kommt
Nicholson herausgerudert. Er ist 32 Jahre alt und steht dem Dorf
vor. «Ich habe mein Funkgerät von einem australischen Segler bekommen und kann die Batterien mit einem Solarpanel laden», erklärt mir dieser aufgeweckte junge Mann. «Kann ich deinen SSB
benützen?» Dann spricht er in Bislama mit einem Funker auf Mota
Lava und möchte wissen, wann endlich das Kopraboot mit wichtigen Gütern wie Salz, Reis, Mehl, Zucker, Seife und Petrol wieder
mal kommt. Man warte schon seit fünf Monaten darauf! Resigniert
meint der Häuptling: «Sie können nichts versprechen. Für die sind
wir zu weit weg und ein zu schlechtes Geschäft.» Vorerst trinken
wir ein Bier zusammen, dann möchte Nicholson eine Musikkassette der «Magawirua» Stringband aus Port Vila kopieren. Er holt
seinen Recorder, und damit bin ich auch gleich sechs Batterien los.
Als Gegenleistung spielen die Leute abends für mich auf. Zwei Gitarren, eine Ukulele und ein Tamtam bilden die Dorf-Stringband.
Wir hocken in einer durch eine Stalllaterne erhellten Hütte. Beein-
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druckend! Ich geniesse diesen Abend und erhalte als Geschenk eine
Aufzeichnung dieses «Konzertes». Melody, Nicholsons Frau, ist erst
22 und hat schon vier Kinder. Stolz zeigt sie auf ein Mädchen: «Dieses habe ich mit 16 Jahren geboren, aber nun habe ich genug vom
Kinderkriegen. Ich liess mir eine Spirale einsetzen.» Zum Abschied
gibt sie mir Gemüse mit. Nicholson wirft gierige Blicke auf meine
Heilandsandalen. Barfuss, jedoch mit einigen Kokosnüssen beladen, kehre ich auf mein Boot zurück.
Ein Blick zurück nach Uréparapara: eine U-förmige und nach
Nordosten geöffnete Insel. Meines Wissens ist dies der einzige Vulkankrater, in den man hineinsegeln kann. Strahlendes Wetter mit
Passatwolken am Himmel und ein steter, bis 25 Knoten starker
Wind begleiten mich. Diese idealen Verhältnisse erlauben mir,
diese Etappe mit Vollbesegelung zu meistern. Am GPS lese ich eine
Geschwindigkeit von 7,5 Knoten ab. Auf dem Herd köchelt eine
Gemüsesuppe aus Island Cabbage (eine Art Spinat) mit Frühlingszwiebeln, Kochbananen und süssen Kartoffeln. Etwas Weisswein
und eine Büchse Kokosnusscrème geben der Suppe das spezielle
Flair.
Ich bin froh, wieder für ein paar Tage nur Wasser zu sehen. 460
Meilen sind es bis zur östlichen Spitze Guadalcanals in der Salomon-Gruppe. Abends am 10.September 1997 versinken die Torres-Inseln, die nördlichste Gruppe Vanuatus, im Dunst. Zum Abgewöhnen noch etwas Bislama:
quick: kwik, kwiktaem (schnell)
school: skul (Schule)
basket blong titi: Büstenhalter
wait a minute: wet smol (nur eine Minute)
fix him up: fiksimap (etwas reparieren)
big: bigfala (gross)
please hurry: hareap plis (schnell bitte)
hit him: kilim him (ihn schlagen)
number one: nambawan (excellent, ausgezeichnet)
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206
Salomoninseln und zurück nach Australien
Uréparapara - Honiara - Florida Group Russell Island - Marovo Lagoon Munda - Gizo - Bundaberg
D
er Passat weht genau richtig. Die Etmale liegen bei 150, 157
nautischen Meilen pro 24 Stunden. Die See ist unruhig bei
5–6 Beaufort. Ich bin unachtsam. Meine zum Braten bereitstehenden Teigwaren fliegen auf den nicht gerade sauberen Boden. Doch was würde eine Hausfrau zu einer Küche sagen, die wie
bei einem mittelschweren Erdbeben schaukelt, und das 24 Stunden am Tag? Sie würde wohl das Kochen aufgeben. Ich mache
mich daran, ein Brot zu backen, mit einem Drittel dunklem und
zwei Dritteln weissem Mehl. Das weckt Jugenderinnerungen. Zum
Frühstück gibt es Milchreis, mit Zimt bestreut. Zum Mittagessen
besagte «Hörnli», die ich am Boden zusammenkehre, etwas wasche, brate und mit gedünstetem Paniermehl garniert anrichte.
Dazu öffne ich eine Dose Apfelmus.
Für die 460 Meilen lange Überfahrt brauche ich knapp drei
Tage. Bei der Einfahrt in den Marau-Sound an der östlichen Spitze
Guadalcanals ist es mir etwas unheimlich zumute. Vor der Riffpassage herrscht ruppiger Seegang, links und rechts brechen die
Wellen mit lautem Getöse. Also Augen zu und durch. Von den in
der Karte eingezeichneten Peilmarkierungen sind nur noch rostige Resten übrig. Dann befinde ich mich in ruhigem Wasser.
Kaum fällt der Anker, habe ich schon Besuch. Rafael, ein junger
Mann, legt mit einem Kanu an. Sofort auffallend ist, dass hier die
Kanus keine Ausleger mehr haben und die Häuser auf Pfählen stehen. Rafael tauscht einige Ananas gegen Honig und alte Konserven. Ich geniesse die Ruhe in dieser Bucht, die aber nur von kurzer Dauer ist. Ein Kanu nähert sich, gesteuert von einer jungen
Frau. Was ich so mache, will sie wissen. Ich lade sie an Bord ein,
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wo sie ein Bier haben möchte und sich mit dem für Melanesien
eher ungewöhnlichen Namen Margrit vorstellt. Sie erklärt auch,
dass sie auf dem Heimweg von ihrem Garten sei und dass sie mit
ihrer Familie in einer am Hang bei der Bucht stehenden Häusergruppe wohne. Ich schiesse ein Foto von ihr und lade sie ein, am
Abend vorbeizukommen. Ja, sie kommt tatsächlich, wenn auch
etwas spät. «Ich musste warten, bis mein Vater eingeschlafen
war», erklärt sie entschuldigend. Das fängt ja gut an! Erst gegen
drei Uhr früh rudert sie nach Hause.
Am Sonntag früh um sieben Uhr klopft es an der Bordwand. Es
ist Margrit: «Kannst du ein Foto machen von uns?» fragt sie strahlend. Sie ist mit drei Kindern im Kanu
auf dem Weg zur Kirche. Später taucht
Arthur auf. Er ist 62 und tauscht jede
Menge selbstgemachte Ohrringe gegen
eine Flasche Whisky. «Ich liebe
Whisky», frohlockt er. Sein linkes Bein
sieht böse aus – er hat Elephantitis.
Plötzlich bedeckt sich der Himmel, und
es beginnt wie aus Kübeln zu giessen.
Ich fange das Wasser mit meinem Sonnensegel auf und leite es in meinen
Tank. Das Weitersegeln verschiebe ich
um einen Tag, obwohl ich eigentlich baldmöglichst zum Einklarieren nach Honiara sollte. Ich habe einen guten Grund zu bleiben: Das Wetter ist mies.
Die Salomonen umfassen 922 (!) Inseln und haben etwa
300 000 Einwohner. Der erste Europäer, der diese Inseln 1568 zu
Gesicht bekam, war der spanische Entdecker und Navigator Alvaro
de Mendana de Neyra. Die Insel Santa Ysabel benannte er nach seiner Frau. Auch Guadalcanal und San Cristobal erhielten von ihm
ihre Namen. Auf den Inseln wird die traditionelle Lebensart noch
heute beibehalten. 1893 erklärte Grossbritannien die Salomonen
zum Protektorat, mit Tulagi als Hauptstadt. Das friedliche Leben
208
wurde 1942 schlagartig beendet, als die Japaner Guadalcanal besetzten und einen Flugplatz zu bauen begannen. Das rief die Amerikaner auf den Plan. Im Laufe ihres Vorrückens konnten sie hier –
allerdings mit fürchterlichen Verlusten – den Japanern eine vernichtende Niederlage beifügen. Kurz darauf erlitt auch die alliierte
Flotte eine demütigende Niederlage durch acht japanische Kriegsschiffe, die nachts in der Nähe der Insel Savo nicht weniger als vier
Kreuzer und zwei Zerstörer auf den Grund schickten. Seitdem wird
diese Meeresgegend Iron Bottom Sound (eiserner Boden) genannt.
Ein Kriegsmuseum in der Nähe von Vilu gedenkt der japanischen
und amerikanischen Gefallenen. Nach dem Kriege besassen viele
der Inseln Flugplätze. Da Tulagi zerstört war, wurde der US-Stützpunkt Honiara zur neuen Hauptstadt erklärt. Seit 1978 sind die Salomonen ein unabhängiger Staat.
Die Salomonen werden von den Seglern weniger häufig angelaufen als etwa Vanuatu, nicht zuletzt wegen der akuten Malariagefahr. Allerdings ist man im Boot relativ sicher, bläst doch meistens Wind. Ich nehme Malariaprophylaxe (Chloroquine) und
schlafe unter einem Moskitonetz, das ich in meiner Koje montiert
habe. Auch muss man, je nach Gegend, mit Diebstählen rechnen.
Ich räume jeweils Aussenborder und lose Teile wie Rettungsring
oder Tampen in mein Boot und schliesse mich nachts ein. Nach
dem siebenjährigen Bürgerkrieg in Bougainville in Papua-Neuguinea, der kürzlich mit einem Waffenstillstand endete, sollen undurchsichtige Elemente nach Süden geflohen sein, was die Gegend nicht sicherer macht. Trotzdem verbringen einige Segler die
Zyklonsaison in den Salomonen. Die Einheimischen sind recht
aggressiv im Handeln. Sie möchten möglichst alles haben und
scheuen sich auch nicht, Geld fürs Ankern zu verlangen. Es
kommt sogar vor, dass einer die Hose will, die ich gerade trage. Mit
etwas Humor kommt man trotzdem gut zurecht. Gerade die Tatsache, dass hier weniger Segler anzutreffen sind, reizt mich besonders. Auch bin ich gespannt, wie es Elisabeth und Dr. Hermann
«Scheik» Oberli geht, der seit 1993 als Chirurg am Central Hospi-
209
tal in Honiara arbeitet. Er war letztes Jahr fürchterlich enttäuscht,
als ich nicht mit meinem Boot aufkreuzte, sondern von Port Vila
aus mit Solomon Airways zu einem Besuch hereinschwebte. Dieses Jahr soll es klappen.
Im angenehm ruhigen Wasser im Lee der Insel erreiche ich
nach einem Zwischenstopp Honiara. Naho-ni-ara bedeutet «facing
the east and southeast trade winds». Schon der Name lässt keinen
natürlichen Hafen erwarten. Der Empfang im Point Cruz Yachtclub (PCYC) ist überwältigend. Das Clubhaus sticht durch seine
Südseearchitektur mit
einer auffälligen Dachkonstruktion sofort ins
Auge. Kaum schreibe
ich meinen Bootsnamen ins Gästebuch,
greift der Mann, der
das Büro hütet und
sich als Peter vorstellt,
sofort zum Telefon.
«Ich muss Dr. Hermann orientieren», erklärt er. Der Angerufene
schnipselt gerade an einem Mann herum, der auf einer Santa-CruzInsel in die Schraube seines Aussenborders geraten war und den
Kiefer verletzte. Als ich seine Frau, Elisabeth, anrufe, ist auch sie
schon informiert. Der Commodore des PCYC, Reg Thomas, stellt
mir eine Mooringboje zur Verfügung. «Was kostet sie»? «Zahl mir
mal ein Bier». Doch Reginald trinkt kein Bier, nur Mineralwasser.
Also leiste ich einen Beitrag in die Sammelbüchse des Junior Sailing
Pools. Elisabeth weiss, was Segler nötig haben: «Morgen abend gibt
es bei uns ein Nachtessen: Zunge nach Schweizerart. Bring auch
deine Wäsche mit. Auch Faxe kannst du mitnehmen.»
Am folgenden Samstag steigt bei Oberlis eine Party. Ich solle
doch auch kommen. Der British High Commissioner, Brian mit
Frau Terry, ist auch eingeladen, nebst dem kürzlich aus Südafrika
eingetroffenen Polizeichef Frank Short mit seiner Frau Diana. Ich
210
fühle mich gebauchpinselt, in dieser prominenten Runde von Elisabeths Kochkünsten verwöhnt zu werden. Die Unterhaltung ist
gelöst und lustig. Alle drei Paare sind weitgereist und geben unzählige Stories zum Besten.
Den Kontakt zur Bevölkerung stelle ich jeweils abends im
«Freeway» her. Der Club ist Donnerstag bis Samstag geöffnet. Hier
geht es zu und her wie im hölzernen Himmel. Neben der internationalen Kundschaft hat es viele einheimische Frauen, die gerne
zu einem Tänzchen bereit sind. Sie sind etwas dunkler als die Menschen in Vanuatu. Schlägereien, im Club angefangen, werden
nach Wirtschaftsschluss auf der Strasse zu Ende geführt.
Am 24. September habe ich während eines Tagestörns zur Red
Beach wieder einmal eine Crew, Elisabeth und neun Gäste: Arcadia, Jenny, Roselyn und Haley aus Australien, Praful aus Fiji, Diana
aus Südafrika, Gaby
aus Deutschland und
Joanne
mit
Sohn
Steve aus Vanuatu. Ich
empfange die Damen
mit einem Glas Sekt
und fühle mich wie
der berühmte Hahn
im Korb. Am Ufer
beim Ankerplatz zeugt
eine Kanone von vergangenen Kriegswirren. Mit Schwimmen und Schlemmen vergeht
die Zeit viel zu schnell. Kein Wunder, gibt es allerlei Köstlichkeiten zum Essen und Trinken, handelt es sich bei meinen Gästen
doch um den «Lunch-Punch-Kochklub.»
Dann folgen Gegeneinladungen: Gaby und Peter Lasse servieren deutsche Kost. Peter arbeitet als Braumeister bei der hiesigen
Solomon-Bierbrauerei, die von Deutschen erstellt wurde. Bei einem Besuch beeindruckt mich die hier herrschende peinliche Sauberkeit. Peter scheint die sechzig Angestellten mit eiserner Hand
211
zu führen. Sein Hobby ist fliegerischer Natur. Er baut Modellflugzeuge, wie Piper mit einer Spannweite von 2,80 Metern, aber auch
Modellhelikopter. Sein Sohn fabriziert das Ultraleichtflugzeug
«Faszination» der Firma Dalla beim Flugplatz Heubach in der
Nähe Stuttgarts. Das ist ein kurzweiliger Abend. Wir können zur
Abwechslung mal wieder deutsch sprechen. Darauf lassen wir uns
bei Terry und Brian, dem British High Commissioner und Frau, im
herrlich über Honiara gelegenen Anwesen im Swimmingpool den
Apéro schmecken. Noch zwei Ärzte sind bei Oberlis zu Besuch und
auch eingeladen: Dr. Cameron aus Perth und Dr. Victor. Brian amtet persönlich als Grillmeister. Es ist eine fröhliche Runde. Ich
trinke gern mal eins und singe mit diesen erlauchten Gästen im
Chor das «Baltimore Shanty», mit Elisabeth als Medium.
Meine Damencrew lädt mich zum Abschied in ein Resort zum
Lunch ein. Die Frauen sind herausgeputzt und bester Laune. Die
Geschenke, die sie mir übergeben, verschwinden in meinem
Rucksack. Ich habe das geahnt und vorgesorgt! Im Schatten eines
Baumes am Strand hänge ich jeder Frau eine in Honiara erstandene Halskette um. Überrascht und gerührt nehmen sie mein
kleines Geschenk in Empfang
und bedanken sich artig mit
einem Küsschen rechts und
links. Und endlich kann ich
mich auch revanchieren. Mit
Elisabeth und «Scheik» segeln
wir an einem Wochenende zur
25 Meilen entfernten Sandfly
Passage der Florida-Gruppe,
denn dies ist für sie eine willkommene Gelegenheit, wieder
einmal ein Boot unter Segeln zu
steuern. Im sechs Beaufort starken Passat sausen wir förmlich
dahin. Ich hänge die Schlepp-
212
angel aus. Plötzlich schreit Elisabeth: «Wir haben einen Fisch!»
Tatsächlich, ein respektabler Barracuda hängt an der Angel. Vorerst lassen wir ihn am Heck hängen, ist doch der Seegang fürs Bergen zu heftig. Unser Ankerplatz liegt im Lee der Insel Mbeki. Das
Ankern ist trickreich, fällt doch der Grund steil ab. Als gewiefter
Segler hat Hermann die Idee, zu einem am Ufer verankerten australischen Fischerboot eine fünfzig Meter lange Leine zu legen.
Gesagt, getan. Ich gebe Hermann die Hälfte des gefangenen Fisches mit, der sogleich auf dem Grill am Ufer landet und von den
Aussies lautstark verdankt wird. Unsere Hälfte verschwindet mit
frischen Mangoschnitten und Kokosnusscreme garniert im
Backofen. Elisabeth stürzt sich in den Badeanzug und behändigt
die Schnorchelausrüstung. «Ich gehe den Anker kontrollieren, das
hat mir ‹Scheik› beigebracht.»
Der Kreis schliesst sich. Scheik traf ich zum ersten Mal im
«Tschernobyl-Frühling» an der Starboot-Schweizermeisterschaft
1986 in Altnau. Er nahm mit seinem Boot «Noelani» und mit seinem langjährigen Steuermann Harald Menge aus Thun teil. Die
nächste Begegnung fand im «Schwert» in Stammheim statt. Dort
führte Hermann seinen Film «Smiling Transat» über eine Atlantiküberquerung vor, die er 1982 als Skipper des CCS-Schiffes «Smiling Swiss» gemacht hatte. Dazu einen Film über einen Segeltörn
im Jahr 1985 von San Francisco nach Hawaii, mit Röbi Hunn von
den «Shanty Singers Steckborn» als Navigator. Das Boot hiess
«Coracle» und gehörte seinem Schwager Andy Eggler, mit Liegeplatz im Sausalito Yachtclub. Sie waren fünf an Bord und brauchten vierzehn Tage. Kaum in Hawaii angekommen, forderte der
europäische Stress seinen Tribut. Die Crew musste sofort zur Arbeit zurückfliegen, während das Boot von einer bezahlten Besatzung zurückgebracht wurde. Auf der «Coracle» hatte ich
übrigens bei einem Besuch im April 1994 mit Kathy und Andy
einen Tag segelnderweise in der San Francisco Bay verbracht.
Zusammen geniessen wir den herrlichen Sonnenuntergang in
den Salomonen, den Scheik per Video aufzeichnet, und unsere
213
Gedanken wandern zurück. Lassen wir ihn selbst erzählen: «Einen
Traum hatte ich noch, und er liess mir keine Ruhe. Als CCS-Skipper auf mehreren Ausbildungstörns lagen mir die Crewmitglieder
mit der Idee in den Ohren, einen längeren Pazifiktörn zu organisieren. So entschloss ich mich zu einem Törn mit der «Coracle»
(Cal 39): Sausalito – Hawaii – Tahiti – Hawaii – San Francisco. Als
es jedoch um die Wurst ging, stand ich plötzlich alleine da. Die im
CCS-Bulletin gesuchten Segler meldeten sich nicht. Eine einzige
Anmeldung kam, und dieser Segler glaubte, er werde für den Törn
bezahlt. Das führte zu einer abgespeckten Version. Von San Francisco nach Hawaii segelte Andy Eggler als Skipper mit Hansueli
und Marlies Albrecht als Crew. Ich übernahm als Skipper die Rückfahrt von Hawaii nach San Francisco. Als ich Röbi Hunn fragte, ob
er wieder mitmachen wolle, sagte er zu. Es waren noch Doris Füllemann aus St Gallen und Max Hauert von Basel mit dabei.»
Eine weitere Begegnung mit Scheik fand im Mai 1993 in einem
Stollen der Schweizer Luftwaffe statt, wo er als Arzt seinen letzten
Militärdienst absolvierte. Ich war damals nervös und unentschlossen. Was kommt nach meiner bevorstehenden Pensionierung als Pilot auf mich zu? fragte ich mich zu jener Zeit. In tiefgründigen Gesprächen griff Scheik meine vage Idee auf, ein
hochseetaugliches Boot zu kaufen und loszusegeln. «Otti, mach
es! Der Weg ist das Ziel,» sagte er. «Ich selbst bin auch auf dem Weg
zu neuen Ufern. Ich werde meinen Job als Chef der Klinik Meiringen an den Nagel hängen und in Honiara auf den Salomonen eine
Stelle als Chirurg antreten.» Zum Glück war seine Frau für ein solches Abenteuer zu haben. «Otti, vielleicht kannst du uns nach Los
Angeles fliegen.» Und das tat ich denn auch. Am 4. September
1993 hatte ich Elisabeth und Hermann bei der Landung in Los Angeles im Cockpit meiner MD-11. «Unterwegs hast du den Kurs
geändert, damit wir von einem Jumbo der British Airways, der
höher flog, eine Aufnahme machen konnten», erinnert sich Elisabeth. «Und in Los Angeles hattet ihr grosse Mühe beim Parkplatzsuchen!» Anstatt ins Hotel fuhren wir sofort zu Oberlis Verwandt-
214
schaft in Santa Barbara. Nach einem Fest und bevor ich wieder in
die Schweiz zurückflog, gab ich Hermann meine vierstreifigen
Achselpatten mit: zur Erinnerung an unseren Flug.
Was hat Hermann bewogen, auf die Salomonen zu ziehen? Die
Stelle war international ausgeschrieben. 47 Ärzte meldeten sich
aus aller Welt. Schliesslich machte er das Rennen, denn er hatte
«Südsee-Erfahrung» vorzuweisen,
nach einigen Jahren als Chirurg in
Apia auf Westsamoa.
«Was mich hier fasziniert: Mit
kleinem Aufwand kann ich sehr
viel mehr erreichen als in hochtechnisierten Ländern wie der
Schweiz, wo mit massivem Aufwand das Kosten/Nutzen-Verhältnis viel schlechter aussieht als in der Dritten Welt,» erklärt er.
«Mein Spektrum deckt das ganze Gebiet der Chirurgie ab. Zum
Beispiel kam einmal ein 16jähriges Mädchen zu mir, das acht
Jahre vorher den Unterschenkel gebrochen und ein um 45 Grad
abgewinkeltes Bein hatte. Das Röntgenbild zeigte, dass der Bruch
noch nicht geheilt war. Nach der Operation konnte sie das Bein
wieder belasten und lachen.» Das operierte Bein wurde extern fixiert, eine Spezialität Dr. Oberlis. Dieses Mädchen habe ich im Spital besucht. Einmal wurde Hermann nach Malaita gerufen. Eine
Frau war hochschwanger, mit einem Kind in Querlage. Also war
ein Kaiserschnitt angesagt, um das Kind gesund auf die Welt zu
bringen.
Wir geniessen diesen schönen Abend bei einem Glas Wein,
und ich bin froh, in die Salomonen gekommen zu sein. Am nächsten Morgen erkunden wir verschiedene Buchten und machen
uns bereit, um nach Honiara zurückzusegeln. Ich bin glücklich,
dass es immer noch kräftig weht. Wir müssen sogar Reff 1 einbinden und die Genua auf die Hälfte einrollen. Zeitweise zeigt der
Windmesser Beaufort 8. Wir kämpfen gegen ansehnliche Wellen,
215
wobei ich Hermann meine Windfahnenanlage demonstrieren
kann. Er selbst scheut keinen Aufwand, die ganze Seglerei per
Video aufzuzeichnen. Seine Kamera hat er in einen wasserdichten
Container gepackt.
Wenn Scheik am Ruder der «Hasta Mañana» steht, ist er in seinem Element und geniesst sichtlich den Moment. «Das ist es, was
mir gefehlt hat», ruft er freudig aus. Er ist nicht nur am Spital aktiv. Als Vice Commodore der Sailing Division kümmert er sich um
die Jugendausbildung. Zwölf Optimisten umfasst die Flotte des Junior Sailing Programme. Unterrichtet wird in vier Klassen. Scheik
vertritt den CCS-Stützpunkt Honiara. Das Race der Royal Queensland Yacht Squadron wird bald nicht mehr Gizo in der Western
Province, sondern Honiara als Zielhafen anlaufen. Der PCYC ist
schon jetzt daran, diesen wichtigen Anlass vorzubereiten. Sie wollen ein Dinghy Dock und bessere Moorings erstellen.
Der Ankerplatz vor dem PCYC ist etwas «rollig». Die meisten
Yachten versuchen ihren Aufenthalt möglichst knapp zu halten.
Die «Joanie D» mit Joanie und Jack ist hier, neben der «Gemini
Contender» mit Klaus und Dietrich und der «Bravura», auf der zusammen mit dem Amerikaner George auch das Toggenburger Paar
Lotti und Marcel als Crew segelt. Ich geniesse den Aufenthalt im
PCYC, wo viel los ist. Mit seinen über hundert Mitgliedern scheint
er mir der beste Yachtclub im Pazifik zu sein. Man braucht nicht
Segler zu sein, um sich einschreiben zu können. Hier gibt es auch
das günstigste Bier im Ort. Der Mittwochabend – wenn zwei Jackpots unter den Mitgliedern verlost werden – ist immer der Höhepunkt der Woche. An einem Mittwochabend lasse ich auch meine
Abschiedsparty steigen. Mir fällt es einmal mehr schwer, weiterzusegeln.
In Honiara erhalte ich auch meinen Log/Compass-Computer,
den ich sofort einbaue. Und siehe da: Der Autopilot läuft wieder
perfekt! Günthers Kundenservice der Tecnautic ist effizient, und
ich bin ihm dankbar. Ich baue auch mein Reserveschaltkabel ein,
denn nach einem Bruch des Kabels konnte ich nur noch vorwärts
216
fahren. Ein Retourgang ist jedoch in Riffnähe äusserst wichtig. Am
2. Oktober hisse ich die Segel und bewege mich unter AutopilotSteuerung entlang der Küste über den «Iron Botton Sound». Mein
Ziel ist das zwanzig Meilen entfernte Tambea Resort.
Ich bin bester Stimmung, denn alle Systeme an Bord funktionieren wieder. In Tambea angekommen, gehe ich neben der Yacht
«Free Pont» aus Nouméa mit Françoise und Pierre vor Anker. Noch
bin ich in Guadalcanal, für Elisabeth und Hermann jedoch bereits
am Horizont entschwunden. Wird mein Freund seinen Vertrag verlängern, der bald ausläuft? Ich weiss es nicht. Ist er, wie er sich
selbst ausdrückte, ein Gefangener der Insel geworden? Jedenfalls
leistet er einen ungemein wichtigen Beitrag als Arzt. Seine Patienten sind ihm dankbar. Wo immer ich seinen Namen auf den Inseln
erwähne, leuchten die Augen auf. Alle scheinen ihn zu kennen.
Auf dem Weg zur Marovo-Lagune mache ich einen Zwischenhalt in Yandina auf der Russell-Insel. An der Kopra-Pier lege
ich mich längsseits für die Nacht an ein Boot. Joakim, der Steuermann eines Koprabootes – er verdient etwa 200 Franken in Monat – warnt mich: «Nimm deinen Aussenborder und alle losen
Teile in dein Boot für die Nacht, und pass auf! Es hat Ratten hier.»
Ich igle mich ein und schliesse alle Luken. Mein unruhiger Schlaf
wird früh morgens schlagartig beendet. Der Besitzer des Bootes,
an dem ich hänge, will auslaufen. Also mache ich mich auch zum
Weitersegeln auf, obwohl ich an einem Sonntag lieber ausschlafe.
Die Marovo-Lagune erreiche ich kurz nach Mittag, eine ideale
Zeit, um die Mbili-Riffpassage zu durchqueren, denn zu dieser
Zeit sind die Untiefen am besten sichtbar. Dazu erweist sich mein
sprechendes Echolot als äusserst nützlich. Gleich hinter der ersten Insel gehe ich in sechs Meter Wassertiefe vor Anker, gegenüber einer Bucht, in der vier Boote liegen. Ich bin kein Herdentier
und gehe lieber meine eigenen Wege. Allerdings bleibe ich nicht
lange alleine.
Kanus tauchen auf. Ein Mann names Willy verkauft mir einen
Fisch, und John will mir unzählige Schnitzereien, die er im Kanu
217
mitführt, verkaufen oder gegen etwas Nützliches eintauschen. Sogar meinen Aussenborder möchte er gegen eine grosse Maske eintauschen. Ich winke ab. Diese Schnitzereien sind eine Spezialität
dieser Lagune und eine wichtige Einnahmequelle. Erst beim Eindunkeln gelingt es mir, den aufdringlichen John von meinem
Boot zu vertreiben. Obwohl er als Seventh Day Adventist eigentlich dem Alkohol und Rauchen entsagen sollte, ist er einem
Schluck nicht abgeneigt. «Ich trinke nie im Dorf, sondern nur auf
den Segelbooten», stellt er lächelnd klar. Wenn er lacht, schimmern seine Zähne rötlich,
das Zeichen, dass auch er
Betelnüsse kaut, das «Bier
des armen Mannes». In den
Salomonen wird kein Kava
mehr getrunken, sondern
Weiblein und Männlein
kauen diese grüne Nuss zusammen mit etwas Kalk, ein
Produkt, das an zahlreichen Ständen angeboten wird.
Die Marovo-Lagune hat einen Durchmesser von etwa 45 Kilometern. In Mbatuna befindet sich die Missionsstation der Adventisten und ein kleiner Flugplatz. Der Grossteil des Verkehrs findet
allerdings auf dem Wasser statt, denn Strassen hat es keine. In
Chea verweile ich einige Tage und werde wie ein Freund behandelt. Ich kann einen Einblick ins Dorf- und Familienleben nehmen. Täglich läuten die Glocken um sieben Uhr morgens, worauf
die Jugendlichen zum Frühgebet gehen. Alle sind fleissig: Die
Frauen arbeiten im Garten, die Männer schnitzen oder fahren
zum Uepi-Resort, um ihre Werke zu verkaufen. Nachdem ich dem
Dorfchief Derick etwas abgekauft habe, lassen sie mich in Ruhe.
Abends duschen zuerst die Frauen gemeinsam unter einer freistehenden Brause am Ufer und haben dabei ein Kleidungsstück an,
darauf sind die Männer dran. Silva führt von mir geleihte Videos
vor und verlangt einen SalomonDollar pro Zuschauer. Das hat
218
seine Berechtigung, denn für diese Vorführungen muss er seinen
kleinen Generator anwerfen. Abends um sieben Uhr pilgern wieder alle zum Gebet – und das jeden Tag. Länger dauert es am Sabbat, wenn grosse Gottesdienste stattfinden. Trotz der dominierenden Kirche geniessen die Leute das Leben. Will jemand rauchen
oder Alkohol trinken, so ist das erlaubt, allerdings sollte man dann
der Kirche fernbleiben. Roy, der Schwager Dericks, will jedenfalls
sofort ein Bier, sobald er an Bord kommt, und möchte gerne einen
«Blue movie» sehen. Er schickt mir auch seine jüngere Schwester
zu einem abendlichen Besuch vorbei. «She is a free fuck …» erkärt
er mir. «Sie hat keinen Freund und ist nicht verheiratet». Sobald
sich der Schleier der Nacht übers Dorf senkt, legt sie mit ihrem
Kanu an. Wir verstehen uns gut.
In diesem Dorf hat der junge Norweger Edvard Hviding umfassende Studien für die Universtät Bergen angestellt und mit zwei
Büchern, die an alle
Schulen in der MarovoLagune verteilt wurden,
seinen Doktorgrad erworben.
Über die fünf Meter
tiefe Helebar verlasse ich
die Lagune. In Tetemara
(Viru Harbour) werde ich,
kaum an Land, sofort
von einer Schar Kinder in Beschlag genommen. Ein Junge von
etwa fünf Jahren ergreift meine Hand und lässt sie nicht mehr los.
Es ist Sabbat, der Sonntag der Adventisten. Die Kinder begleiten
mich zu einer aufgereckten japanischen Kanone, die den Hafeneingang bewacht. Ich möchte ein Foto von den Kindern auf der
Kanone machen. «Das ist an einem Sabbat nicht erlaubt,» erklärt
Frazer, ein junger Mann. Es sei denn, ich spende einen Beitrag für
die Kirche … Ich lege meinen Obolus in ein Couvert und überreiche es abends vor dem Gottesdienst. Vor der versammelten Ge-
219
meinde werde ich – unter Verdankung meiner Spende – willkommen geheissen. Kinder jeden Alters sorgen für eine lockere Stimmung und Geräuschkulisse. Sie singen voller Inbrunst und scheinen diese Stunde zu geniessen. Die Melanesier in der Western
Province sind dunkel bis blau-schwarz, schlank und schön, mit
ebenmässigen, offenen Gesichtszügen.
Nach einigen Stunden Segeln erreiche ich Munda, in einer malerischen Lagune gelegen, und gehe vor der Agnes Lodge vor Anker. Agnes, die Wirtin, ist schon 78, ihr Gatte 89, und sie haben
zehn Kinder. Diese sind natürlich auch schon längst verheiratet
und haben für Nachwuchs gesorgt. Ob Agnes wohl alle ihre über
siebzig Enkel beim Namen kennt? Hier vertreibe ich die Zeit mit
Tauchen bei den «Solomon Divers». Letztes Jahr hatte ich in Port
Vila meine «Padi»- Prüfung abgelegt, womit sich mir eine neue
Welt erschloss. Am Aussenriff treffe ich auf Mantas, Schildkröten
und patroullierende Haie. Zum Tauchen braucht es hier keinen
Wärmeanzug, denn die Wassertemperatur liegt bei 28° C. Munda
hat eine Riesenlandepiste, gebaut von den Japanern im Zweiten
Weltkrieg. Die Twinn Otter von Western Pacific Airways rollen mitten ins Dorf und stoppen nur einen Steinwurf von der Agnes-Lodge
entfernt. Etwas östlich besuche ich ein verrostetes Kriegsdepot der
Amerikaner. Noch heute benutzen Frauen Alu-Tragflächen von
abgeschossenen Flugzeugen als Waschbretter.
Gizo erreiche ich in einem halben Tag. Bei der Einfahrt passiere
ich Kasolo, die Insel, auf die sich John F. Kennedy am 1. August
1943 zusammen mit zehn Besatzungsmitgliedern retten konnte,
nachdem sein Patroullienboot PT-109 von den Japanern versenkt
worden war. Deshalb wird Kasolo auch oft als «Kennedy-Island»
bezeichnet. Mein Besuch beschränkt sich aufs Ausklarieren, Auftanken, Einkaufen und einen Discoabend im Gizo-Hotel. Am 18.
Oktober 1997 nehme ich die 1045 Meilen – das sind knapp 2000
Kilometer – nach Bundaberg in Australien in Angriff. Ich bin gespannt, wie das ausgehen wird, könnte es doch schwierig werden,
gegen den Passat anzukreuzen. Die andere Variante wäre, in vier bis
220
fünf Tagen nach Cairns zu segeln und mich dann in einem «ewigen Werk» innerhalb des Great Barrier Reefs nach Süden zu mausern. Ich will zur Lawries Marina – östlich Brisbanes – zurück, in der
ich letztes Jahr so gut aufgehoben war.
Schon bald stelle ich fest, dass ich auf Steuerbordbug Bundaberg gerade anliegen kann. Die ersten paar Tage verlaufen friedlich,
doch man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Plötzlich beginnt mein Windgenerator zu vibrieren. Die gesetzte Backstag ist
gebrochen, und der übriggebliebene Teil hat mir ein Propellerblatt
beschädigt. Also muss ich den Generator abschalten. Die vierte
Nacht hat es dann wirklich in sich. Es beginnt zu regnen, und der
Wind legt auf Beaufort 8 zu. Das heisst zwei Reffs einlegen und die
Genua um Zweidrittel eindrehen. Der Seegang wird ekelhaft, und
dann passiert es. Ein Knall, und der Topbeschlag der Rollfock ist gebrochen! Die ganze Anlage hängt noch am Fockfall, aber wie lange
noch?
Die Fock kann ich nicht mehr eindrehen. Soll ich das Ganze
herunterlassen? Auch das geht schlecht. Ich warte wohl am besten, bis die Fock von selbst runterfällt. Beim Weitersegeln stelle
ich mit Schrecken fest, dass das Toplicht nur noch am Kabel
hängt. Da müssen die Schrauben ausgerissen sein. Am nächsten
Tag liegt das Licht an Deck, mit noch intakten Glühlampen. Der
Wind stabilisiert sich auf 20 bis 25 Knoten. Zwei Tage später
schreckt mich ein dumpfes Geräusch auf: Die ganze Rollfockeinrichtung liegt im Lee im Wasser. Mit einer Schot, unter Zuhilfenahme der Steuerbordwinsch und einiger Mühe, hieve ich das
Ganze an Bord und zurre es an der Reling fest. Am Heck steht das
Zeugs fünf Meter hinaus und wippt im Seegang. Dann setze ich die
Sturmfock am Kutterstag. Schön. Nach diesem Missgeschick habe
ich wieder ein richtiges Segelboot. Ich habe auch etwas gelernt. Es
macht Sinn, bei Windstärken über 25 Knoten die Rollfock einzudrehen und die Sturmfock am Kutterstag zu setzen, weil die
Belastung des Riggs beim tagelangen Kreuzen extrem gross ist. Der
Bruch des Rollfockbeschlages hätte zu einem viel blöderen Zeit-
221
punkt erfolgen können als jetzt, während ich mich sozusagen auf
dem Nachhauseweg befinde. Es sind nur noch fünf Tage bis
Australien. Langstreckensegler und speziell Einhandsegler müssen
leiden können. Ich fühle mich wie ein Velorennfahrer, der den
letzten Hügel vor dem Ziel erklimmt. Am zehnten Tag auf See, bei
schönstem Wetter, taucht Bundaberg vor mir auf. Mit etwas übersäuerten Beinen erreiche ich am 28. Oktober 1997 Australien.
Lustig, am genau gleichen Datum kam ich letztes Jahr in Brisbane
an. Hier ist es Frühling, und mein Puls beschleunigt sich.
In zwei Tagesetappen erreiche ich via Great Sandy Strait Mooloolaba und die Lawries Marina. Viele Bekannte freuen sich, dass
ich wieder hier bin: «Hey mate, wie ist denn das passiert?» ist das
erste, was ich in diesem Hafen zu hören bekomme.
222
Korallenküste
Mooloolaba – Cairns – Cooktown –
Cape York – Torres Strait –
Arafura Sea – Darwin
«C
ruising the Coral Coast», so heisst der Cruising Guide
von Alan Lucas, ohne den ein Segler innerhalb des Great
Barrier Reef verloren wäre. Aber noch bin ich nicht bereit zur Abfahrt. Anfangs März 1998 wartet ein gerütteltes Mass an
Arbeit an der «Hasta Mañana» auf mich. Ich muss mich sputen,
denn ich will spätestens Mitte April lossegeln.
In der Lawries Marina geniesse ich schon bald Ehrenbürgerrecht. Mein Visum für Australien ist sechs Monate gültig. Vorerst repariere ich die am Masttop gebrochene «Profurl»-Rollfockanlage.
Erzetzen muss ich nur eines der Profilrohre, die anderen kann ich
wieder in die ursprüngliche Form bringen. Wir ziehen ein neues
Fockstag ein. Das acht Millimeter dicke Stag brach unterhalb der
oberen Presshülse nach siebenjährigem Betrieb und etwa 20 000
nautischen Meilen. Jock, ein jüngerer australischer Segler der «Sea
Cow», ist mir tageweise behilflich. Mit 900 australischen Dollar
komme ich vorerst davon, allerdings kostet die Reparatur der eingerissenen Genua noch zusätzliche 400 Dollar. Dazu lasse ich einen Segelsack fürs Sturmsegel anfertigen, damit ich es an Deck immer zum Hissen bereit habe.
Zwischendurch bestelle ich die Seekarten für dieses Jahr. Für
mich ist es die beste Lösung, bei «Bellingham Chart Printers» in
den USA Kopien des amerikanischen Verteidigungsministeriums
zu besorgen. Sie können in 2/3-Grösse bestellt werden. Ich melde
mich auch für das Darwin-Ambon-Yacht-Rally mit Start am 25.
Juli an. Das Meldegeld von 700 Dollar ist hoch, aber es sind etliche Parties und das «Cruising Permit» für Indonesien eingeschlossen, das alleine 400 Dollar kostet. Ich weiss nicht, ob dieses Rally
223
überhaupt durchgeführt wird, ist doch die Lage in Indonesien
nach wie vor verworren.
Auf meinem Boot baue ich anstelle der analogen Computer
die neueste digitale Version des Tecnautic-Autopiloten ein. Ein
Teil der Elektronik ist in den Instrumenten enthalten. Damit
kann ich drei analoge Blackboxes wegschmeissen. Alles ist jetzt in
einer Blackbox mit einem Sprachcomputer für das Echolot und
einer Drivebox untergebracht, welche die Steuersignale des Autopiloten für die hydraulische Ruderbetätigung verarbeitet und
über ein Buskabel überträgt. Diese technische Aufrüstung kostet
mich über 2500 Franken. Anschliessend hebt mich Charly mit
dem Travellift aus dem Wasser. Mit Jocks Hilfe sind die zwei Gallonen der aus Vanuatu ins Land geschmuggelten Unterwasserfarbe schnell aufgebraucht. Ich benütze asiatische Anti-FäulnisFarbe, die garantiert jeden Bewuchs verhindert. Nach kaum fünf
Tagen ist der Boot wieder im Wasser.
Am 12. April löst mir Jock morgens um fünf die Leinen mit
den Worten «Keep your banana up!», in Anspielung auf meine
neue E-Mail-Adresse: hastabanana@hotmail.com. Die Idee, die-
sen Namen zu wählen, kam mir, als ich am Funk öfters mit «Hasta Banana» anstatt «Hasta Mañana» aufgerufen wurde.
224
Von Zeit zu Zeit schaue ich in einem Internetcafé, was in meiner In-Box steckt und prüfe nebenbei im «Blick» (www.blick.ch),
was in der Schweiz alles läuft. Zum Beispiel habe ich mit unserem
ehemaligen Regattaleiter des YCS, Pit Häberlin, per E-Mail Kontakt. Ich habe ihn in Bangkok kurz gesehen. Wir sassen bei einem
Bier auf der Terrasse des «Oriental» und liessen vergangene Zeiten
aufleben. Pit fliegt nach seiner Pensionierung bei der Swissair als
Captain für die Thai Airways.
Heute bin ich auf der «Hasta Mañana» früh unterwegs, weil
ich unbedingt die sechzig Meilen entfernte Wide Bay passieren
will, die wegen ihrer Untiefen nur bei ruhigem Meer überquert
werden kann. Es klappt bestens. Kurz vor dem Eindunkeln hänge
ich in der Tin Can Bay in der
Great Sandy Strait im Schutze
von Fraser Island, der grössten
Sandinsel der Welt. So steht es
zumindest im Reiseführer. Die
angesagte Schlechtwetterfront
erwischt mich erst in der Hervey Bay. Ich rette mich in die
Burnett Head Marina bei Bundaberg. Bundaberg ist eine schöne
Stadt, bekannt durch den Zuckerrohranbau und den «Bundi»Rum. Auch wird hier das Ultralight-Flugzeug «Jabiru» gebaut.
Nach einem Tag Pause fahre ich weiter Richtung Norden. Etwas
nördlich von Bundaberg beginnt das Great Barrier Reef, an
dessen Innenseite ich mich von Ankerplatz zu Ankerplatz
«hangle», in Tagestörns von 40–60 Meilen. Mal liege ich nachts
in einer Bucht am Festland oder bei einer Insel. Von See her sieht
die Küste eintönig aus. Die Inseln sind meist unbewohnt. Nur einige verfügen über – teure – Resorts, Hotels oder Zeltplätze.
Abends vor Anker bin ich meistens alleine. Nicht mal andere
Segelboote sind zu dieser frühen Jahreszeit unterwegs. Es läuft
nichts, aber auch gar nichts, und es herrscht im wahrsten Sinne
des Wortes tote Hose. Wehmütig denke ich an das vergangene
225
Jahr in der Südsee zurück, an Neukaledonien, Vanuatu und die
Salomonen. Dort hätte ich schon längstens einige Kanus zu
Besuch. Wenigstens ist das Wetter gut, zwar wechselhaft, aber
durchwegs mit Südostpassat mit Beaufort 5-6.
Dann tauchen die Whitsundays am Horizont auf. Auf Hamilton Island stehen sogar Hochhäuser und auf der Lindeman-Insel
ein hässlicher Club Med, wenigstens
vom Schiff aus gesehen. Beide Inseln
verfügen über einen eigenen Flugplatz,
damit es wirklich schön bequem geht. Es
ist ein schönes Segelrevier, mit der
Möglichkeit, Boote in der Abel Point
Marina bei Airlie Beach zu chartern. In
dieser Marina verbringe ich einige Tage.
Airlie Beach ist ein quirliger Touristenort
mit unzähligen Unterkünften für
Backpackers, wie «Magnums», «Beaches»
oder «Koalas» und damit voll von
hauptsächlich jungen Reisenden, welche
die vielfältigen Wassersportmöglichkeiten nutzen. Allerdings ist
Vorsicht geboten. Von November bis April, je nach Wetterlage,
begegnet man an den Stränden oft den Boxjelly-Fischen, einer
giftigen Quallenart. Wesentlich ungefährlicher «schwimmt» es
sich abends in den Discos.
Weiter führt mein Weg durch die Glouchester-Passage, mit
nur einem Meter Wasser unter dem Kiel. Allgemein kann man
entlang der Küste leicht ankern. Es ist nie tief, auch einige Meilen
ausserhalb der Küste selten über 25 Meter, und hat durchwegs
sandigen Grund. Ende April liege ich ruhig in der «Horseshoe»Bay beim Magnetic Island östlich von Townsville. Es ist erfrischend, hier zu schwimmen und ausgedehnte Wanderungen
zu abgelegenen Buchten zu unternehmen.
Ich habe aber auch einen «Absteller». Salzwasser ist in die
Bilge eingedrungen – und sogar ziemlich viel. Schliesslich finde
226
ich die Ursache: Der mit Kühlwasser durchströmte Auspufftopf
hat zwei Lecks. Das bedeutet, dass ich jeden Abend die Bilge
lenzen muss.
Die Einfahrt in den Hinchinbrook-Kanal ist mit Einweisungslichtern markiert. Bei Einbruch der Dunkelheit lege ich mich in
der Nähe des Haycock Island vor Anker. Das Wasser ist ruhig wie
in einem Teich, aber plötzlich überzieht sich der Himmel, und es
beginnt wie aus Kübeln zu giessen. Kein Wunder, ich befinde mich
etwas südlich von Tully, Australiens feuchtestem Ort mit über vier
Metern Niederschlag pro Jahr. Auf der Hinchinbrook-Insel liegt
der 32 Kilometer lange Thorsborne Trail, den ich später mit Susi
«bezwingen» will. Der 3. Mai wird zu einem Fernsehsonntag. Ich
segle entlang der Küste und empfange schon Channel 9 mit Sport
aus aller Welt. Von Zeit zu Zeit löse ich mich vom TV-Set und
werfe einen Blick in die Runde, um zu prüfen, ob mich ein Boot
kreuzt. Die letzte Nacht vor Cairns verbringe ich im Lee der Insel
Fitzroy.
Schliesslich erreiche ich Cairns am 4. Mai mit 807 Meilen am
Log. Ich bekomme einen Platz in der gerade wieder geöffneten
Marlin Marina, nachdem sie letztes Jahr ein Opfer des Zyklons
«Justin» wurde. Cairns, die Hauptstadt des «Far North», ist total
auf Tourismus ausgerichtet, mit unzähligen Hotels aller Kategorien, Restaurants und Discos. Hier vermischen sich Gruppenreisende mit Individualisten und Backpackers. Nebst Tauchen und
Schnorcheln am Riff werden Aktivitäten wie Whitewater Rafting,
Kanufahren, Bungy-Jumping und Fallschirmspringen angeboten.
Cairns ist für mich aber auch der letzte Ort, wo sich auf dem Weg
nach Darwin ein Boot reparieren lässt. Ich mache mich umgehend
daran, den Auspufftopf schweissen zu lassen und die «Hasta
Mañana» wieder fit zu machen.
Im Yachtclub von Cairns trifft sich die Seglergilde: Klaus und
Dietrich mit der «Gemini Contender» aus Südafrika sind hier,
neben Mona und Paul mit der «Orion» aus Hamburg. Ich mache
auch die Bekanntschaft des jungen Paares Susi und Gianni der
227
«Isola» aus dem Puschlav. Im CYC hänge ich eine Anzeige auf:
«Female Crew to Darwin wanted: one or two girl(s). Sorry, no
boys». Mal schauen, was sich ergibt. Aber vorerst erwarte ich Susi,
die sich wieder Singapore Airlines anvertraut, um von Zürich nach
Cairns zu fliegen. Ich bin guter Dinge und freue mich auf die
kommenden drei aktiven Wochen mit meiner Freundin aus der
Schweiz.
Zuerst fahren wir mit einem Bus südwärts nach Cardwell, dem
Ausgangspunkt des Thorsborne Trail auf der Insel Hinchinbrooks.
Es regnet, als wir mit anderen Backpackern per Fähre zur Insel
übersetzen. Der Track geht oft durch Regenwald, also muss es hier
wohl öfters regnen. Drei Nächte verbringen wir im Zelt auf dieser
Insel, einmal am Strand, zweimal in der Nähe von Wasserfällen,
mit herrlichen Pools zum Baden. Wir durchqueren viele Flüsse,
was eine Annehmlichkeit mit sich bringt: Ist man durstig, braucht
man sich nur zu bücken, um glasklares Wasser schlürfen zu
können. Aber es ist auch Vorsicht geboten. Bei einem Fluss, den
wir durchqueren müssen, steht ein Schild: «Be careful! Estuarine
crocodiles may be here». Es könnte also Salzwasserkrokodile
(«Salties») haben, und die sind gefährlich. Mit einem mulmigen
Gefühl im Magen suchen wir eine uns sicher scheinende Stelle,
um den Fluss zu passieren.
Anschliessend fliegen wir nach Alice Springs ins «rote Zentrum» Australiens. Seit ich vor über dreissig Jahren die zu Tränen
rührende Liebesgeschichte von Nevil Shute – «Eine Stadt wie
Alice» – gelesen hatte, wollte ich schon immer diesen Flecken
sehen. Nach einer Nacht im «Elke‘s»-Backpacker starten wir am
westlichen Ende des «Larapinta Trails» in den West MacDonnell
Ranges. Ist der Trail mal vollständig fertiggestellt, kann man von
hier eine 200 Kilometer lange Strecke bis nach Alice Springs wandern – natürlich auch in umgekehrter Richtung. Im wahrsten
Sinne des Wortes erschwerend ist, dass man nur jeden zweiten Tag
auf Wasser trifft: in Wasserbehältern auf den Zeltplätzen. Also
schleppen Susi und ich jeden zweiten Tag je acht Liter Wasser mit
228
uns. Das erhöht das Rucksackgewicht auf über 25 Kilo. Dieser Trail
ist unglaublich schön. Das Wetter auch. Tagsüber ist es heiss,
nachts kann es recht kalt werden, und die Wüste lebt! Rotbraune
Erde schimmert zwischen Spinifex, stacheligem Gras, zwischendurch marschieren wir im Schatten verschiedener Arten von
Eukalyptusbäumen. Wir sind eins mit der Natur und treffen nicht
einen einzigen Wanderer auf diesem Trail, höchstens Touristen,
dort, wo Wasserstellen per Auto erreichbar sind, zum Beispiel
Glenn Helen Gorge oder der Ormiston Gorge. Die Flüsse sind ausgetrocknet – nur von Zeit zu Zeit säumt ein Wasserloch unseren
Weg. Dieser Trail wurde durch Insassen des Gefängnisses von Alice
Springs vorbereitet und markiert. Die «Campsites» bestehen aus
einer Feuerstelle und sonst nichts. Holz finden wir reichlich. An
der Serpentine-Schlucht ist am Abend des sechsten Tages der
westliche Teil des Trails zu Ende – schade, wir wären gerne weitermarschiert. Am nächsten Tag machen wir uns per Autostopp auf
den Rückweg nach «Alice». Den in der Nähe liegenden Ayer‘s Rock
und den Kings‘ Canyon lassen wir aus – nicht mal das in Susis
Ticket für drei Tage inbegriffene Auto holen wir ab. Statt dessen
erkunden wir Alice Springs per Fahrrad.
Zurück in Cairns, will ich Susi die Seglerei etwas näher bringen.
Wir laufen an einem regnerischen und windigen Tag zur drei Stunden entfernten Green Island aus. Susi gefällt es, obwohl das Meer
am Tag und auch in der Nacht vor Anker ausgesprochen unruhig ist.
Sie scheint seefest zu sein. Am nächsten Tag segeln wir zurück. Den
letzten Tag vor ihrer Abreise möchte Susi an Bord der «Passion of
Paradise» verbringen. Auf diesem Schiff bekommen wir eine lustige,
aber seriöse Einführung ins Tauchen und verbringen drei Stunden
am Riff. Es hat auf diesem Boot um die fünfzig, hauptsächlich junge
Touristen. Susi steigt nach dem ersten Tauchgang begeistert aus den
Fluten und macht sogar einen zweiten mit. Die Zeit vergeht viel zu
schnell. Schon bald fliegt Susi wieder Richtung Schweiz ab.
Zwischendurch kommt eine Frau vorbei, die meine Anzeige im
Yachtclub gelesen hat und mit mir segeln möchte: Geralda aus
229
Holland. Und sie will gleich noch zwei Freundinnen mitnehmen.
So habe ich schliesslich drei Frauen an Bord und dazu einen Mann,
der ebenfalls mitfahren möchte: Markus, ein junger Schweizer aus
Opfershofen bei Weinfelden.
Warum ich lieber mit Frauen segle? Frauen sind vielseitiger als
Männer. Sie können meistens einkaufen und kochen und wissen,
wie man das Boot reinigt. Dazu herrscht mit Frauen einfach eine
bessere Stimmung an Bord. Das ist es vor allem. Und ehrlich: Ich
denke nicht an Sex. Was das Segeln betrifft, lernen Frauen auch
schnell genug, um eine Wache übernehmen zu können.
Diesmal geht der Schuss allerdings hinten raus. Als Markus
und ich unsere Begleiterinnen zum Einkaufen treffen wollen, tauchen sie zur vereinbarten Zeit nicht auf. Wir stehen beim «Woolworth» wie bestellt und nicht abgeholt. Das beginnt ja gut, denke
ich. Wir sind sauer. Erst an Bord finden wir eine magere Mitteilung, dass ein Mädchen eine Stelle gefunden hat. Von den andern
beiden hören wir nichts mehr.
Am 7. Juni laufen wir zum 450-Meilen-Stück zur Torres-Strasse
aus, nachdem wir den Dieseltank zu 60 Cents pro Liter gefüllt
haben. Auch auf diesem Törn ist es üblich, in Tagesetappen zu
segeln, innerhalb des Great Barrier Reefs und entlang der Schifffahrtsroute mit mehr oder weniger Verkehr. Obwohl Markus
wenig Segelerfahrung hat, werden wir schnell zu einem guten
Team. Vielleicht komme ich
auch noch soweit, um zu wünschen: Keine Frauen an Bord,
das gibt weniger Probleme. Wer
weiss?
Wir segeln auch am Cape Tribulation vorbei – James Cook gab
ihm den Namen «Kap des Kummers». Dort begann alles Unheil, wie
er 1770 notierte, nachdem seine «Endeavour» auf das heute «Endeavour» genannte Riff auflief und leckschlug. Mit seinen 94 Män-
230
nern an Bord schaffte er es, nachdem das Schiff um die Kanonen
erleichtert und notdürftig abgedichtet worden war, sich zum heutigen Cooktown beim Cook-Inlet am Endeavour-Fluss zu verholen.
Dort gründete er die erste europäische Siedlung Australiens. Joseph
Banks, ein Naturforscher an Bord, sammelte unzählige Pflanzen
und beschrieb als erster Europäer das Känguruh. Nachdem das
Schiff nach 48 Tagen repariert war, wartete James Cook günstige
Winde ab, um einen Ausweg aus dem Riff zu suchen.
Wir statten Cooktown und dem dortigen Cook-Museum einen
Besuch ab. Weiter nördlich beeindruckt uns Lizard Island am meisten. Eine Nacht verbringen wir in der östlich gelegenen Lagune,
dann zwei in der Watson Bay. Auf dem Cook-Lookout (358 ü.M.)
ist der Ausblick atemberaubend. Von hier aus hatte James Cook
eine Passage durchs Barrier Reef gefunden. Am Ankerplatz zählen
wir zwölf Segelboote. Je weiter wir nördlich vorankommen, desto
näher rückt der Riffgürtel ans Festland. Wir folgen der Schifffahrtslinie und zählen, je nach Tag, bis zu acht Containerschiffe
oder Tanker. Mit dem Wetter haben wir unglaubliches Glück. Kein
Tag, der nicht noch schöner als der vorangegangene ist, und stets
bläst der Wind mit 15 bis 20 Knoten. Besser kann es gar nicht sein.
Als wir dann noch einen ansehnlichen Bonito fangen, ist unser
Glück vollkommen.
Einige Segler, die wir unterwegs treffen, wollen auch ans
Ambon-Rally. Die Lage in Indonesien scheint sich zu stabilisieren,
nachdem Präsident Soeharto am 21. Mai zurückgetreten
«worden» ist. Ich nehme an, dass der Regattaleiter uns nur starten
lassen wird, wenn die politische Lage einigermassen sicher ist. Ich
möchte dieses Jahr über Indonesien, Singapore und Malaysia nach
Phuket in Thailand segeln. Andere Segler wollen Indonesien an
Steuerbord liegen lassen und via Christmas Island und um
Sumatra herum Thailand direkt ansteuern.
Irgendwann überfliegt uns tief ein mit «Customs» angeschriebenes Flugzeug. «Sailing vessel, this is Coast Watch 252, please
give your details!» ertönt eine Stimme auf Channel 16. Ich gebe
231
Namen und Woher und Wohin durch, worauf das Flugzeug
abdreht, nicht ohne uns vor einem Krokodil zu warnen, das in der
Margaret Bay sein soll.
Auf unserem nördlichen Kurs liegen die Ankerplätze weit auseinander. Deshalb segeln wir immer schon um vier Uhr morgens
ab. Der bis Beaufort 8 starke Wind treibt uns locker zum 65 Meilen entfernten Escape River. Die Einfahrt ist untief, und zeitweise
verhindern Regenschauer den Blick zur Küste. Vor einer Perlenfarm gehen wir vor Anker und liegen erstaunlich ruhig. Am 20.
Juni erreichen wir nach einem weiteren stürmischen Tag und
nach dem Durchqueren der Albany-Passage – eines natürlichen
Kanals – den nördlichsten Punkt Australiens. Mit zwei Büchsen
Bier bewaffnet «stürmen» wir das unspektakulär wirkende Cape
York zu Fuss. Zu den Thursday Islands sind es noch knapp zwanzig Meilen. Hier in der Torres Strait sind die Strömungen unglaublich stark: bis acht Knoten. Wir müssen vorsichtig sein. Auf die
Strömungstabellen in meinen Gezeitentabellen ist wenig Verlass.
Der «Anflug» zum Ankerplatz vor Horn Island ist mit Bojen markiert. Wir haben Glück: Ein Frachter, der vor uns einläuft, zeigt
uns den Weg. Den Sonntagnachmittag verbringen wir auf Thursday Island, die wir mit einer kleinen Fähre erreichen. Wir sind
glücklich, denn wir haben ein wichtiges Zwischenziel erreicht,
pendeln von Pub zu Pub und trinken mit den Aborigines um die
Wette.
Nach kurzem Einkaufen binden wir unser Dinghy auf‘s Deck,
schrauben den «Malta» fest und los geht es mit Ziel Darwin, das
650 Meilen entfernt im Westen liegt. Gegen Abend erreichen wir
die offene See, und ein Rückenstrom von vier Knoten spült uns in
die Arafurasee.
Damit ist ein Wendepunkt meiner Reise erreicht, bei der es
kein Zurück mehr gibt. Hat man nämlich mit einem Segelboot erst
einmal die Nordspitze Australiens umrundet, ist es schwierig,
gegen den meist starken Südostpassat wieder in östliche Richtung
zu segeln. Meine Fahrt führt nun zwangsläufig westwärts und im-
232
mer weiter weg von der Südsee, in die ich einmal wollte und wo
sich bei mir so viele Träume erfüllten. Ob ich je wieder dorthin
zurückkehren werde?
Wehmut vermischt sich mit Genugtuung. Ich bin traurig,
diese Welt mit zahllosen traumhaften Eilanden hinter mir zu
lassen, in der ich mich glücklich fühlte, und zugleich zufrieden
und bereichert von der Fülle und Intensität der Erlebnisse im
Laufe der letzten vier Jahre. Unbeschwert bin ich 1994 im Mittelmeer losgefahren, und seither liegen 23 000 nautische Meilen
oder über vierzigtausend Kilometer hinter mir. Skipper und Boot
sind unbeschadet. Zwar bin ich ein geselliger Typ, der gerne Menschen um sich weiss, doch habe ich die Weiten des Pazifiks auch
als Einhandsegler erlebt, habe diese Herausforderung bestanden
und es sogar genossen, alleine unterwegs zu sein. Unvergesslich
233
bleiben mir stets die unglaubliche Gastfreundschaft, Fröhlichkeit
und spontane Hilfsbereitschaft, die mir von den Bewohnern der
polynesischen und melanesischen Inseln immer wieder und
überall zuteil wurden. Missen werde ich vor allem eines ganz
besonders: die vielen Menschen, die ich näher kennenlernte.
Vor mir weitet sich erneut der Horizont. Still nehme ich
Abschied von einer Phase meines Lebens, die wohl einmalig war.
Ich fühle mich ruhig und gelassen und weiss, dass dort vorne,
hinter dem Horizont, neue Länder und neue Menschen auf mich
warten. Der Wind füllt die Segel. Die Reise geht weiter – zunächst
nach Darwin …
234
ARC-Rally 94
Absolutely
Aila
Aliza
Aquis Grana
Alskada
Angaro
Arche
Argo
Arkangelos
Bavaria III
Belle de Vienne
Beryll
Big D
Billy Jean
Boandaro
Boisterous
Bullwinkle
Capriciosa
Carioca
Catalina
Catalouf
C'est si bon
Chapina
Cirrus
Clarissa
Cloud Nine
Coco de Mer
Concubine
Contessa
Cordia
Culnor
Damara
Danna
De Makareel III
Diamond of Malta
Dilemma
Dizzie Z
Eagle
Edel Lady
Enduro
Feeling Blue
Heliotrope
Highland Daughter
Final Approach
Firecracker
Flydi
Gradiva
Happy Joss
Hasta Mañana
Helios II
Hissar
Hulie
Impulse
Isaura
Jacqueline
Jambia IV
Janetta Emily
Jan Plezier
Jason
Jonathan Seagull
Kaat Mossel
Kassandra
Kavanga
Kekama II
Kelly's Eye of Hamble
Kemmuna
Kilrush Nomad
Klenkes
Koepenik
La Belle Mo
La Licorne
Liberte
Little Women
Lord Portal
Madrigal of Mylor
Oyster49
Sciarelli
Roberts 53G
Mikado
Aphrodite33
Sun Odyssey 51
Gib'Sea 44
Trinidad 48
Moody 376
Amel Maramu
First 38
S&S
Jeanneau
Sun Odyssey 42
Rival Bowman 48
Oyster 55
Sigma 38
Hallberg Rassy
Westerly Oceanlord
Scorpion III
Jeantot 47
Scorpion
Klingenberg
Malo 42
Hallberg Rassy
Beneteau First
Jeantot 40
Hallberg Rassy
Gib'Sea 126
Hallberg Rassy
Bowman 36
Westerly
Hallberg Rassy
Hallberg Rassy
Sonate Ovni
Santarelli
Oyster 435
Jeanneau Lagoon
Bavaria
Endurance 37
Jeantot 48
First 42s7
Bavaria 390
Lidgard sloop
Swan 46
Sonate Ovni
Amel Mango
Royal Huisman
Engholm 40
Jongert 18
Swan 68
Moody 47
Dynamique 62
Schooner
Assmann sloop
Oyster 435
Moody Grenadier
Faurby
Llorente
Fisher 30
Philips 43
Skipper 53
Amel Santorin
Starlight 39
Tak Jachtbouw
Jongert 20T
Oyster 48
Hallberg Rassy 49
Dehler 37
Sun Magic 44
Amel
Sonate Ovni 455
Trintella 45
Nicholson 55
Rustler 36
48,7
47,5
57,8
51,2
33,9
50,3
44,0
49,7
37,8
46,1
40,1
47,5
43,0
42,0
48,1
55,0
38,0
37,9
40,5
47,5
47,0
43,3
41,0
42,0
37,9
37,8
39,3
35,0
44,6
46,3
38,0
35,0
39,0
38,7
43,0
44,2
43,5
55,0
34,1
37,0
48,2
41,6
39,8
59,7
47,2
42,7
51,8
75,4
40,0
56,0
70,5
46,5
62,3
65,0
45,1
43,4
44,0
36,4
45,9
30,0
43,0
52,4
45,9
40,4
36,0
77,0
48,0
49,0
36,7
43,7
45,7
47,4
44,9
55,0
35,3
Philip Lever
Guido Piva
Moshe Schwartz
Klaus Rosendahl
John Argall
Rolf Schonleb
Harald Meyer
Gunter Bartoschek
Andrew Saunders
Wilfred Pacher
Wolfgang Koniger
Hans-Otto Saling
H. D.Wordsworth
Curt-Jurgen Dieterle
J.W.Gordon
Philip Hulme
Peter Whiteley
Anton Ronneberg
Anthony Doyle
C-D.Wenzel
Jörg Knockel
Herman Kreuscher
Sven Klingenberg
Reiner Laufer
Wilhelm Leimkuhler
M.H. Thomas
Leopold Semner
TorJo Meyer
Hermut Hafner
John Marsh
J. Robertson
John de Candole
Ray Bralsford
Steffen Voss
U. Jasperbrinkman
Marcello Bergami
Robert Zannetti
Sal Aguilera
Manfred Bucher
John Davies
Gerhard Degenfeld
W. Heimgartner
Melvyn Percy
Don Johnson
Ole Poulsen
Hans Marcus Vacano
Marc Arav
Rudolf Hart
Otto Schmid
Jorg Schwartze
Edgar Cato
Keith Herbert
Richard Petty
Terry Rowe
Cornelius Hofmann
Tony Cameron
Mike Stanfield
Franz Teutenberg
Marc Hoffmann
Peter Maier
Cees Wolzak
Robert Tassy
Wolfgang Kluh
Martin James
Adrian Kelly
S. Wilkens
John Dennehy
G. Puchberger
Verona Ehlen
Edwin Shazell
Fred Zimmer
Harry Glab
Paul Black
Jeremy Swetenham
Peter Bishton
UK
Italy
Israel
Germany
UK
Germany
Germany
Greece
UK
Germany
Austria
Germany
UK
Germany
UK
UK
UK
Norway
UK
Germany
Germany
Germany
Germany
Germany
Germany
UK
Austria
Norway
Germany
UK
UK
UK
UK
Germany
Italy
UK
USA
Germany
UK
Austria
SwitzeHand
UK
USA
UK
Austria
France
Germany
Switzerland
Germany
USA
UK
UK
UK
Germany
UK
UK
Germany
Luxemburg
Switzerland
Netherlands
France
Germany
UK
UK
UK
UK
Germany
Germany
UK
France
Germany
UK
UK
UK
235
Magic Lady
Magique Noire
Marco Polo
Mephisto
Mon Amante
Monsoon II
Moonbeam
Morangie
Morning Flight
Mor-Ula
Najede
Nanja
Navigo
Nelly Mathilde
Nicoline
Niinamari
Olline
Oosthaven
Ostrika
Otzelott
Parfait
Paros von Basel
Patrice of Howth
P.v. Seestermuhe
Pinocchio III
Raffles
Rainbow Rider
Red Jack
Regina del Mare
Petticoat Breeze
Red Hunter
Reflections of Hayling
Revolution
Rhumb Runner
Rockin Billy
Rospico
Russe Noir
Saida
Salamanda of Hamble
Samantha Nova
Schiroko IV
Scirocco
Sciusciutti
Sea Cloud
Seannine
Sebastien
Serendipity
Sestina
Shaka
Shedir
Silver
Sirius
Skorpious
Solent Falcon II
Sparkling Spirit
Spirit of Shamrock
Sunico
Tacoma
Tai-Tai
Teokita
Tere Moana
Theta Volantis
Tiburon II
Timari
Tobago Clipper
Triton
Veldana
Viva
Wiki Wiki
Wild at Heart
Wind of Change
Windfall
With Integrity
Zoo & Hero
236
Sun Magic 44
Golden Wave 48
Soland ketch
Nimbus 42
CT 48
Salthouse
Sadler Starlight
Contest
S&S 34
Rival Bowman 40
Amphora
Najed 37
Contrast 400
Jac lverson
Hallberg Rassy
Baltic 43
Sigma 41
Amphora
Oyster 55
Skye 51
Swan 46
Van der Stadt
Van der Stadt
Gruber yawl
Endurance 35
Jeanneau
Jeanneau Voyage
Schooner
Beneteau 45f5
Oyster 435
North Wind
Hallberg Rassy 42
Jeanneau Sunshine
Oyster 485
Moody 40
Westerly
Hallberg Rassy 53
Sun Odyssey 42
Swan 38
Reinke 15 m
Hallberg Rassy
Norlin
Gib'Sea 38
Dixon sloop
AIberg
Frers sloop
Oyster 68
Oyster Heritage
Moody
Helmsman 49
C&C 43
Westerly
Swan 46
Westerly Oceanlord
Oceanis 400
Trinidad
Belliure
Ostmann/Norlin
Sigma 41
Endurance 44
RH43
Sundeer 64
Alpha
Laurent Giles 44
Formosa 51
Outborn 42L
Hartwig ketch
Victor 40
Hinckley SW 51
Swan 40
Gulfstar 41
Swan 61
Maxi
Harle
43,7
47,6
47,8
41,3
48,0
71,4
34,4
37,2
34,0
40,0
37,2
38,0
40,0
52,0
38,8
43,2
41,0
37,2
55,2
51,0
47,2
33,4
48,0
62,3
36,7
45,0
34,7
64,6
44,9
43,4
40,4
42,4
38,2
48,5
39,2
38,0
52,4
42,0
38,2
48,0
34,5
38,7
39,3
34,4
36,0
62,1
67,5
37,0
39,4
49,0
43,3
32,4
47,2
41,0
39,2
47,6
56,5
34,0
41,3
49,0
42,7
64,4
31,9
44,5
59,0
41,3
66,7
39,8
51,2
40,2
41,7
60,5
75,0
39,0
Johannes Vietgen
Merlin Schaefer
Adolf Wunderlin
Alan Yardley
Dimi Letica
Jim Wallace
Stewart Oliver
Mark Basham
Dave Beane
Guy Morgan
W. Kwak
Mikko Vesa
Björn Larsen
Richard Ganly
Sven Sandström
Orso Bremer
Rolf Ersinger
Ron Roelofs
Elliott Godfrey
Jan Nielson
Bjarne Weng
Peter Kägi
John Watson
C. von Reibnitz
Caesar Puschel
Philip van Zwam
Donald Gutenstein
Gordon Brown
Raisaro Luciano
Brian Ashenden
Douglas Siefers
David Fosh
Michaei Gavaghan
Bernard Larsen
Rod Andrews
David Girling
Peter Harrison
Rainer Lahmer
D. Slatter
Jurgen Pehlgrimm
M-A. Hoch
Ralf Jersby
P. Konrad
Holger Wendt
Cyril O'Leary
Arno Kronenberg
J.P. Christiansen
Charles Hill
Alan Statham
Markus Suremann
David Scanlan
Siegfried Weller
Ronald Brandt
Steven Hardwick
Robert Dornauf
Alfred Gerber
Axel Unterregger
Johan Stening
Konrad Ringler
lan Staples
Vincent Bossley
Brian Savage
P. Scheiblbrander
Mary Reid
Roger Horner
Menno Wolters
Holger Lucas
Jack Boyle
John Treanor
Frederick Kreuger
T. Westerbeck
Jeff Yorke
Andy Coghill
Hero Kosho
Germany
USA
Switzerland
New Zealand
UK
Australia
UK
UK
UK
UK
Netherlands
Finland
Netherlands
UK
Sweden
Finland
Germany
Netherlands
UK
Germany
Denmark
Switzerland
Ireland
Germany
Austria
Netherlands
UK
UK
Italy
UK
USA
UK
UK
USA
UK
UK
UK
Germany
UK
UK
Switzerland
Sweden
Switzerland
Finland
USA
UK
Denmark
UK
UK
Switzerland
UK
Switzerland
Germany
UK
Australia
Switzerland
Austria
Sweden
Germany
UK
New Zealand
UK
Austria
UK
UK
Germany
Germany
UK
USA
Netherlands
Germany
UK
UK
Japan
New Zealand to Tonga Rally
Ann Marie
Bara
Calma
Caprice of Huon
Carrie
Chianti II
Elyse
Flambouyant
Freedom
Hasta Mañana
Huia
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Jubilant
Kuriman
Love Life IV
Mai Tai
Mariposa
Mehitabel
Midnight Sun
Overproof
Qua vadis
Roulette II
Runaway
Scot Free
Simplicity
Sounder
Sousa
Tallahassee
Tanamera
Ten Gauge
Tigger
Wandering Willy
Wirruna
Taylor
Dalton/Manuel
Phipps
Eltringham
Coates
Breeuwer
MacMillan
Hunt/Fowlie
McKean/Ower
Schmid Otti
Perano
Huggett
Perry
Martin
Smart
Finley
Walker
Hollingworth/McArthur
Taylor
Betts
Palmer/Newnham
Stubbs
Kanter
Carey/Fausett
Gentry
Stout
Bullock
Davies/Carroll
Mahoney
McMillan
Ragle
Willett
Thompson
10,25m
13.5m
40’`8”
45’
11.24m
44’
11,6m
39’
13,85m
40’
11,81m
10,9m
12,97m
42’6”
42’9”
37’6”
42’11”
11,8m
12,2m
13,1m
13,5m
42’
45‘
9,4m
10,69m
43’
36’
45’
12,19m
11,89m
37’
44’
13,43m
David & Nicola
Mark & Yvonne
Nigel
Robert & Lesley
Rob & Marg
Robert & Catherine
Ronald
Dennis & Katryn
Donald & Jane
Debbie & Chris
Peter & Robin
Clyff & Anna
Frank & 3 Crew
Jan & Nick
Robin
Lane
Richard & Dorothy
Peter & Denise
John & Wendy
Peter & Judy
Neville & Mark
David
Richard & Claire
Wendy & Warren
Janet & John
John & Anne-Maree
Tony & Angela
John & Madeline
Richard
Rob & Jenny
Sharon & Dave
Chris
Ray & Jill
New Zealand
Australia
New Zealand
Australia
New Zealand
New Zealand
New Zealand
New Zealand
New Zealand
Switzerland
New Zealand
New Zealand
New Zealand
New Zealand
New Zealand
U.S.A.
New Zealand
Australia
Australia
Australia
New Zealand
New Zealand
U.S.A.
New Zealand
New Zealand
New Zealand
New Zealand
New Zealand
New Zealand
New Zealand
U.S.A.
New Zealand
New Zealand
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Einige nautische Erläuterungen
abfallen: vom Winde wegdrehen
Crew: Besatzung
achtern: hinten
Dingi (Dinghy): kleines Beiboot
Achterstag: hintere
Mastabstützung
Dünung: nach einem Sturm
entstehende Welle
Ankerwinsch: Winde zum Hochholen oder Fallenlassen des Ankers
Ebbe: infolge Gezeiten sinkender
Wasserstand
anluven: höher an den
Wind gehen
Etmal: Strecke, die das Schiff von
Mittag bis zum nächsten Mittag
zurücklegt
anschlagen: Segel an Spiere oder
Stag befestigen
ausbaumen: die Fock oder Genua
mit einem Fockbaum setzen
Autopilot: elektronische (analoge
oder digitale) Steuerhilfe
Fall: Leine zum Setzen und
Bergen eines Segels
Fender: Schutzpolster beim
Anlegen am Steg
Flaute: Windstille
Backbord: linke Seite des Schiffes
in der Fahrtrichtung
Flut: infolge Gezeiten steigender
Wasserstand
Backstag: flexible Abstützung
des Mastes nach hinten
Fock: kleines Vorsegel
Foot/Fuss: 30,5 cm
Baumniederholer: Flaschenzug,
um den Grossbaum niederzuhalten
Genset: kleiner Diesel-Generator
zur Stromerzeugung und zum
Batterieladen an Bord
Beaufort: Skala von 1 bis 12
zum Bestimmen der
Windgeschwindigkeit
Genua: grosses Vorsegel
belegen: Boot an einem
Steg anbinden
bergen: Segel herunternehmen
Bilge: tiefster Raum im Schiff
Böe: plötzlicher Windstoss
Boje: Festmacher
Bug: vorderer Teil eines Schiffes
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GPS: Global Positioning System.
Satelliten-gestütztes Navigationsinstrument
Grossbaum: die untere Spiere
am Grosssegel
Grossfall: Leinen zum Hissen des
Grosssegels
Grossschott: Leine, um über einen Flaschenzug das Grosssegel
dichtzunehmen
halsen: mit dem Heck durch den
Wind gehen
Sextant: Winkelmessinstrument
zur Astronavigation
Heck: hinterer Teil des Schiffes
Sloop: einmastige Yacht
Jolle: kleines Segelboot mit
Mittelschwert
Spiegel: Heck des Bootes
Kajüte: Bootskabine
Katamaran: Doppelrumpfboot
Knoten/Knots: Wind- und
Schiffgeschwindigkeit – 1,852
Kilometer pro Stunde
Spiere: Holz- oder
Aluminiumbaum
Spinnaker: leichtes
Ballon-Vorsegel
SSB: Sprechfunkgerät für
lange Distanzen
Koje: Schlafplatz an Bord
Stag: Drahtseil
kreuzen: gegen den Wind
zickzacken
Steuerbord: rechte Seite
des Schiffes in der Fahrtrichtung
Lee: vom Wind abgekehrte Seite
Talje: Flaschenzug mit Rollen
Leine: Tau oder Ähnliches, um
Schiff festzubinden
Törn: Segelreise
Liek: verstärkte Seite des Segels
Log: Instrument, das die Fahrt
des Bootes anzeigt
Luk: verschliessbare Öffnung
im Deck
trimmen: das Segel so einstellen,
dass es den Wind bestmöglichst
ausnutzt
VHF: Sprechfunkgerät für
kurze Distanzen
Vorstag: vordere Mastabstützung
Mooring: Festmacherboje in
einem Hafen
Wanten: seitliche
Mastabstützung
Nautische Meile: 1852 m
wenden: mit dem Bug durch den
Wind gehen
Niedergang: Treppe vom
Cockpit in die Kabine
Pantry: Küche an Bord
reffen: Segelfläche verkleinern
Reling: «Geländer» am Boot
Rigg: Takelage
Saling: am Mast querschiffs angebrachte Stützen.
Schott: Leinen, um die
Segel zu führen
Wetterfax: Via SSB und Faxprogramm kann eine Wetterkarte auf
dem Laptop empfangen und dargestellt werden.
Winsch: Winde mit waagrechter
oder senkrechter Achse
Windfahnensteuerung: Mit der
Kraft des Windes wird das Boot via
Ruder automatisch gesteuert.
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