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sca papergram no 2 › 2006 1 26 Papergram. Das internationale Magazin für die Medienbranche und grafische Industrie. Herausgegeben von SCA Forest Products AB, Box 846, 851 23 Sundsvall. Telefon: +46-60-19 40 00. Telefax: +46-60-19 40 90. CHEFREDAKTEURIN UND HERAUSGEBERIN (nach schwedischem Recht für den Inhalt verantwortlich): Anne-Sofie Cadeskog PROJEKT- UND REDAKTIONSLEITUNG: Luise Steinberger (luise.steinberger@stockholm.bostream.se) GRAFIKDESIGN: Mellerstedt Design REPRO UND DRUCK: Prinfo Accidenstryckeriet, Sundsvall TITELFOTO: Kristoffer Lönnå 11 Inhalt › 2/2006 4 4 Holzschliff für moderne Medien Welcher Holzstoff in der Papierherstellung zum Einsatz kommt spielt für die Qualität der Drucksachen eine größere Rolle als allgemein erwartet. Professor Hans Höglund an der Mittuniversität in Sundsvall über neue unternehmensnahe Forschung 8 Gemeinsam für Runability Schwedens größte Druckerei, DNEX, arbeitet kontinuierlich an der Verbesserung der Runability in ihren Druckmaschinen. In einem großen Projekt hilft SCA, sowohl mit theoretischem Wissen als auch praktischem Engagement 10 Umwelt-Handbuch Web Offset Champion Group: praktische Umweltarbeit zahlt sich aus 11 Trends 12 Gedruckte Freunde für die Internetgeneration Jugendliche lesen nicht. Das bekümmert Erwachsene. Papergram über Kinderund Jungendzeitungen, die zum Lesen anspornen 19 Kolumne Anja Pasquay, Pressesprecherin beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, über den Einfluss der Fußball-WM auf deutsche Zeitungen 20 Der Magazinmann David Hepworth ist ein Meister in Magazin und Musik. Kaum eine britische Musikzeitschrift, der er nicht seinen Stempel aufgedrückt hat 22 Journalismus auf der Leinwand Doppelt gemoppelt, könnte man meinen, wenn ein Medium (Film) über ein anderes (Zeitung) erzählt. Aber Journalismus und Presse sind schon immer ein beliebtes Thema von Spielfilmen gewesen 25 Trends 26 Stimme von oben L’Osservatore Romano heißt die Tageszeitung mit dem Auftrag, Gottes Wort zu verbreiten 2 sca papergram no 2 › 2006 Papergram wird auf GraphoCote 80 g gedruckt, der Umschlag auf Reprint 150 g. Das Papier ist FSC-zertifiziert. Das Material in dieser Zeitschrift ist von der Redaktion bestellt, durchgesehen und abgenommen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Redaktion oder SCA die Meinungen der Autoren in jedem Fall teilen. Zitieren Sie uns gerne, aber geben Sie bitte die Quelle an. Möchten Sie ein eigenes Gratisexemplar von Papergram, oder möchten Sie die Zeitschrift für einen Kollegen bestellen? Schicken oder faxen Sie Namen, Adresse und eventuell den Namen Ihres Unternehmens an: Birgitta Ulfsparre, SCA Graphic Sundsvall AB, Box 846, 851 23 Sundsvall. Telefon: +46-60-19 43 92. Telefax: +46-60-15 24 50. E-post: birgitta.ulfsparre@sca.com SCA FOREST PRODUCTS produziert Druckpapier für Zeitungen, Zeitschriften und Kataloge sowie Zellstoff, Schnittholzwaren und Biobrennstoffe aus der Forstwirtschaft. SCA Forest Products verwaltet auch den großen Waldbesitz der SCA, versorgt die schwedischen Industriebetriebe des Konzerns mit Holzrohstoffen und bietet den Geschäftseinheiten der SCA wirtschaftliche Transportlösungen an. Der Umsatz des Unternehmens beläuft sich auf 1,6 Milliarden Euro, die Mitarbeiterzahl auf 4 000. Die Forstwirtschaft der SCA ist gemäß FSC (Forest Stewardship Council) zertifiziert. SCA › info Tausend Fahrten über das Meer Auf 1000 Reisen wurden 145 589 Kassetten oder ungefähr 7,3 Millionen Tonnen Papier und Zellstoff transportiert Mehr über Zeitungspapier aus Altpapier AYLESFORD NEWSPRINT lanciert eine neue Die Umweltberichte 2005 für SCA Graphic Sundsvall und Aylesford Newsprint sind da. Zu Bestellen unter: www.publicationpapers.sca.com. DREI auf neuen Posten AM 1. AUGUST bekommt das Zellstoffwerk Östrand in Sundsvall einen neuen Chef für den Produktbereich Zellstoff. STEFAN SJÖSTRÖM arbeitete zuletzt bei der IKEATochter Modul Service AB. Sjöström war insgesamt 17 Jahre im IKEA-Konzern tätig. In Östrand wird er verantwortlich zeichnen für den gesamten Vertrieb sowie die Koordination des Produktbereiches Zellstoff. CAROLINE ÖGREN ist neue Chefin der Verkaufsadministration in Östrand. Ögren ist ausgebildete Informatikerin und war zuletzt beim IT-Berater Cap Gemini tätig. Sie hat jedoch früher bereits bei SCA gearbeitet. Neuer Verkaufsmanager für Druckpapiere beim Nordeuropabüro von SCA Graphic Sundsvall ist TOMAS ANDERSSON. Andersson war zuletzt beim technischen Kundendienst in der M-real-Papierfabrik Wifsta tätig und verfügt über lange Erfahrung in der Arbeit mit Kunden aus der grafischen Produktion in Europa. Tomas Andersson begann am 1. Mai und wird vorrangig im Heatset-Segment tätig sein und das Team nicht zuletzt bei der Expansion in neue Märkte, darunter im Baltikum, verstärken. S S Homepage. Neben allgemeinen Informationen über das Unternehemen und dessen Geschichte wird viel Gewicht auf Information über die Rückgewinnung und Wiederverwendung von Papier gelegt – die Spezialität von Aylesford Newsprint. Die Zeitungspapierfabrik in Kent verwendet ausschließlich rückgewonnenes Papier in der Herstellung seines hochqualitativen Zeitungsdruckpapiers Renaissance. Der „Rohstoff“, das heißt Altpapier, wird in Zusammenarbeit mit 200 Gemeinden und Behörden rund um in England eingesammelt. „Wir werden ungeheuer oft gefragt, wie wir Zeitungspapier herstellen und wie die Altpapiersammlung funktioniert. Sowohl die Gemeinden, in denen wir tätig sind, als auch Privatleute – nicht zuletzt viele Studenten – wenden sich mit Fragen an uns. Wegen dieser großen Nachfrage haben wir beschlossen, den Inhalt unserer Homepage in diesem Bereich auszuweiten und wir hoffen, wir haben ein Design gefunden, das die Leser informativ und ansprechend finden“, sagt Aylesford Newsprint-Verwaltungschef Donald Charlesworth. Auf der Seite findet sich neben vielem anderen auch eine Anleitung, selbst Papier zu machen sowie ausführliche Information über die umfassende Umweltarbeit von Aylesfort Newsprint. Das Unternehmen ist eine Kooperation von SCA Forest Products und Mondi Paper. Als die Transportvolumina zunahmen wurden die drei Systemfrachtschiffe verlängert. Neben größerer Ladekapazität konnte damit der Treibstoffverbrauch der Frachter gesenkt werden. Mit katalytischer Abgasreinigung und schwefelarmem Schiffsdiesel setzten SCAs Frachter einen neuen Standard für umweltverträgliche Seetransporte. 2004 wurde SCA Transforest dafür mit dem Clean Marine Award der EU ausgezeichnet. In den vergangenen zehn Jahren fuhren die drei Frachter nur zwei Mal mit Verspätung: an einem der stürmischsten Tage des vorigen Jahrhunderts und am stürmischsten Tag dieses Jahrhunderts. S AM 17. MAI weihte Schwedens Infrastrukturministerin Ulrica Messing einen neuen RoRo-Kai im Hafen Tunadal in Sundsvall ein. Gleichzeitig feierte SCA Transforest die tausendste Fahrt mit SCAs Systemfrachtschiffen. 1995 nahm SCA die drei RoRo-Lastfrachter in Betrieb, die seither zuverlässig Zellstoff und Papier zu Terminals in europäischen Häfen transportiert haben. Ein Kassettenverladesystem sorgt für kurze Liegezeiten und einen trotz der langen Abstände zwischen Fabrik und Märkten guten Service für die Kunden. Wussten Sie schon,... dass Holzfasern sieben bis acht Mal wieder verwendet werden können, bevor sie so abgenutzt sind, das sie aussortiert werden müssen, weil sie für neues Papier nicht mehr taugen? sca papergram no 2 › 2006 3 4 sca papergram no 2 › 2006 HOLZSCHLIFF FÜR hohe Ansprüche Holzschliff erntet in der Regel selten lauten Jubel. Doch die schwedische Stiftung für Wissens- und Kompetenzentwicklung investiert nun gemeinsam mit der Forstindustrie umfassend in die Entwicklung neuer Produkte auf diesem Gebiet. Eine der Antriebskräfte ist der Wunsch, hochqualitative Druckpapiere noch dünner zu machen. Professor Hans Höglund an der Mittuniversität in Sundsvall begleitet das Spitzenklasseprojekt ALS ROHSTOFF, unter anderem für ge- strichene Magazinpapiere, und als Beschichtungen für Karton spielt Holzschliff, oder mechanischer Holzstoff (auch: aufgeschlossener Halbschliff), eine überlegene Rolle. Insgesamt kommt in den heute in Schweden hergestellten Papierprodukten rund 30 Prozent mechanischer Holzstoff zum Einsatz. Eine Steigerung ist durchaus möglich. Ein höherer Anteil würde die Produktionsmöglichkeiten erhöhen und damit den Exportwert verbessern. „Bei der mechanischen Holzstofftechnologie ist Skandinavien weltführend. Aber um den Platz eins halten zu können brauchen wir weitere Spitzenklasseforschung“, erklärt Hans Höglund, Professor in mechanischer Holzstofftechnik und Leiter der neuen so genannten „Forscher-Schule“ im Rahmen des Fibre Science and Communication Network (FSCN) an der Universität Sundsvall. Es dauert 100 Jahre bis Ernte-reifer Wald gewachsen ist. Daher ist die maximale Verwertung der Forstressourcen von großem Vorteil Sämtliche schwedischen Hersteller von Druckpapieren, Karton und Absorptionsprodukten, die mechanischen Holzstoff verwenden, nehmen an dem Projekt teil, ebenso wie marktführende Maschinenund Chemikalienhersteller. In zehn Jahren möchte Hans Höglund den einmaligen Rohstoff aus dem Wald in noch bessere Produkte verwandelt sehen – auf der Basis von mechanischem Holzstoff. Einmalige Qualitäten Fangen wir jedoch vorne an – im Wald. Im nördlichen Teil des Nadelwaldgürtels, wo Skandinavien liegt, dauert das Heranwachsen einer Kiefer bis zur Veredelungsreife etwa 100 Jahre. „Das langsame Wachstum verleiht dem Nadelwald hier oben einmalige Qualitäten. Es bedeutet aber auch, dass die Rohstoffbasis begrenzt ist und sich nur langsam erneuert“, pointiert Höglund. Zur Maximierung der Gesamteinnahmen ist es daher äußerst wichtig, aus der zur Verfügung stehenden Rohstoffmenge so viele Produkte wie nur irgend möglich herstellen zu können, besonders im Hinblick auf die rasch zunehmende Konkurrenz durch schnell wachsende Wäl- der in Asien und Südamerika. Hier liegt ein Vorzug des mechanischen Holzstoffes. „Beim Holzschliff und seinem nahen Verwandten, dem thermomechanischen Holzstoff, wird ein Materialnutzungsgrad von 90 Prozent erreicht. Bei einem Nutzungsgrad von 95 Prozent kann beispielsweise aus 100 Kilogramm Holz 95 Kilogramm Papier hergestellt werden“, erklärt Höglund. Aber Papier ist Papier, wenn auch mit verschiedenen Eigenschaften und Qualitäten. Völlig neue und revolutionäre Produkte zu entwickeln ist in dieser reifen Industrie äußerst schwierig. Das Verbesserungspotenzial liegt häufig in Aspekten, die für den Endverbraucher schwer sichtbar sind, beispielsweise in Prozesstechnik, Produktionseffektivisierungen und höherem Veredelungsgrad. Beim Vergleich von heutigen Druckpapieren und den Qualitäten von vor 25 Jahren zeigt sich dennoch ein enormer Unterschied. Die Druckqualität ist heute besser und das Papier deutlich dünner. In der Forschung geht es heute darum, beschwerliche Fasern so zu behandeln, dass mit ihnen gute Bedruckbarkeitseigenschaften erlangt werden. Aber die sca papergram no 2 › 2006 5 S VON Lena Sjödin FOTO Olle Melkerhed „Wir hatten neulich einen Doktoranden, der seine Aufgabe völlig missverstanden hatte. Dieser Fehler führte zu einer neuen Technik, für die er ein Patent beantragt hat“ richtig große Herausforderung der Zukunft liegt darin, die Fasern für zehn Anwendungen brauchbar zu machen, statt für eine. „Ich vergleiche das mit der Autoindustrie. Ein Auto wird noch immer nach demselben Grundkonzept hergestellt – vier Räder und ein Lenkrad. Heute geht es bei der Revolutionierung der Autobranche um Design, Komfort und Sicherheit“, meint Hans Höglund. Faseridentifikation 6 sca papergram no 2 › 2006 Falsch – und richtig Ein ganzes Wissenschaftlerleben hat Hans Höglund auch gelehrt, dass manchmal der Zufall das Ergebnis steuert. Sogar reine Fehler können sich als Glücksfälle erweisen. „Wir hatten neulich einen Doktoranden, der seine Aufgabe völlig missverstanden hatte und genau das Gegenteil des Verlangten machte. Dieser Fehler führte zu einer neuen Technik, für die er ein Patent beantragt hat, bei der man für die Herstellung von biegsteifem Karton für Flüssigkeiten wie etwa Milchverpackungen höhere Anteile chemiemechanischen Holzstoff verwenden kann.“ Neben der Zielsetzung, den Exportwert für die Branche weiter zu steigern, will Hans Höglund konkrete Fortschritte sehen. Einer davon betrifft den Bereich gestriche- ne Papiere wie LWC und MWC, die auf mechanischem Holzstoff basieren. Diese sollen als ebenso hochwertig erlebt werden wie gestrichene Feinpapiere auf Zellstoffbasis. „Und dann möchte ich noch, dass wir den Energieverbrauch im Herstellungsprozess drastisch senken, ohne dass darunter die Holzstoffqualität leidet“, so Hans Höglund. Rückgewonnene Fasern Ebenfalls deutlich zutage treten die Vorteile von Holzschliff bei der Betrachtung aus einer Lebenszyklus-Perspektive. Je häufiger eine Faser wiederverwertet werden kann, desto besser wird die Ressource genutzt. Und die Faser des mechanischen Holzstoffs kann viele Male verwendet werden, ohne dass die Stärkeeigenschaften schlechter werden. Maximale wirtschaftliche Nutzung des Holzrohstoffes bedeutet, hochqualitative Papierprodukte aus mechanischem Frischfaser-Holzstoff herzustellen und diesen dann mehrfach in der altpapierbasierten Produktion zu verwenden. „Abschließend wird er zur Herstellung von Energie beispielsweise für die Holzstoffproduktion verwendet. So schließen wir den Kreis“, sagt Hans Höglund. Neben technischen Erfolgen hofft er auch auf die Kräfte des Marktes – dass das Pendel vom heutigen Fokus auf die Helligkeit des Papiers auf Begriffe wie Lesbarkeit und Haushalten mit Ressourcen umschwingen wird. „Helligkeit kostet Umwelt. Forschung hat außerdem gezeigt, dass die Lesbarkeit dadurch schlechter wird. Die Papierwahl ist jedoch ein wichtiger Teil bei der erfolgreichen Umsetzung einer Botschaft. Verschiedene Botschaften erfordern verschiedenes Papier. Dieser Fakt drückt sich bei Hans Höglund selbst in einer Schwäche für elegante Einladungskarten und Schriftstücke aus. Eine Berufskrankeit. „Ich habe im Laufe der Jahre so einiges angesammelt“, sagt Höglund und erzählt, dass das gelbste Papier in seiner Sammlung ironischer Weise eine Einladung eines Lieferanten chemischer Bleichmittel sei. S Die Forschung konzentriert sich nun auf drei Themenbereiche: energieeffektive Herstellungsprozesse, Steuerung von Holzschliff- und Produktqualität sowie helle und Helligkeits-stabile Produkte. Der Ausgangspunkt ist die Identifikation der Holzfasern und ihrer Eigenschaften, um sie dann auf die beste Weise zerteilen und umformen zu können. Im Sommer und Herbst gewachsene Fasern sind beispielsweise dickwandiger und schwieriger zu verändern als Frühjahrsfasern. Aber allein indem man im Vorwärmprozess vor der Faserbearbeitung die Temperatur ein paar Sekunden von 140 auf 170 Grad Celsius erhöht, können ungeahnte Effekte erzielt werden. „Es geht hier um Feineinstellungen. Kleine Details können in den Maschinen viel bewirken, und es gilt meist, die heute bereits existierenden grundlegenden Techniken zu verbessern“. Umgesetzt in Nutzen für einen Papiereinkäufer kann es unter anderem um die Verbesserung der Opazität gehen – des Vermögens von Papier, Licht zu absorbieren und weiterzuleiten. „Mehr Holzschliff in Zeitungsund Journalpapieren steigert die Opazität. Daher können Papierqualitäten mit niedrigeren Flächengewichten verwendet werden, die dennoch eine problemfreie Druckoberfläche ohne Durchscheinen aufweisen. Dünnere Seiten geben niedrigere Grammgewichte beim Endprodukt, was unter anderem im Vertrieb wirtschaftliche Bedeutung erlangt“, so Höglund. Eine weitere herausfordernde Aufgabe ist die Weiterentwicklung der Prozesstechnik zur Herstellung des Holzschliffes so, dass die Druckoberfläche so glatt wie mög- lich wird. Für maximale Bildqualität etwa von Anzeigen dürfen nicht einzelne Fasern in der Papieroberfläche sichtbar werden. Je dünner das Papier, desto größer hier die Herausforderung. „Eine Tageszeitung mit 15 Blättern ist etwa einen Millimeter dick. Eine Zeitschrift aus LWC- oder SC-Papier ist noch dünner. Ein Blatt in einer Tageszeitung ist nicht dicker als zwei Fasern des Kiefernholzes, man hat also nicht viel Spielraum“, stellt Hans Höglund fest. Bevor aber eine Zeitung gedruckt werden kann, müssen über sechs Millionen Fasern möglichst effektiv bearbeitet werden, damit keine Fasern Störungen in der Bogenstruktur verursachen. Die besten Resultate erlangt man mit einer interdisziplinären Arbeitsweise, glaubt Höglund – ein Signum des FSCN. Forschungsberichte dürfen nicht in der Schublade verschwinden, die Ergebnisse sollten in produktionsnaher Umgebung in Versuchsanlagen rasch getestet werden. „Ich bin eigentlich kein ausgesprochener Akademiker. Ich mag den Nutzensaspekt mehr als die wissenschaftliche Detailarbeit. Die Forscher-Schule ist ein gutes Beispiel für eine solche Arbeitsweise, bei der aktuelle Probleme der Branche in Zusammenarbeit von akademischen und Unternehmens-Akteuren gelöst werden.“ Professor Hans Höglund schaufelt Hackschnitzel in die FSCN-Versuchsanlage für thermomechanischen Holzstoff in Sundsbruk bei Sundsvall In diesem Teil der Anlage werden die Hackschnitzel vor dem Raffinieren vorgewärmt So sieht der fertige Holzstoff aus Hans Höglund legt Hackschnitzel auf ein Malsegment. In diesem Teil des Raffineurs werden die Hackschnitzel erst in ihre Faserbestandteile gemahlen und dann unter Wärmezufuhr in Holzstoff weiter verarbeitet Im Dienst der Wissenschaft HANS HÖGLUND ist Professor für mechanische Holzstofftechnik an der S Mittuniversität in Sundsvall. Der gelernte technische Physiker begann seine Laufbahn im Branchenforschungsinstitut der schwedischen Forstindustrie. Danach wechselte er in die Forschung und Entwicklung von SCA, zuletzt als Forschungschef bei SCA Graphic Research. Im Jahr 2000 kehrte Höglund ganz in die akademische Welt zurück, nachdem er einige Jahre auf Teilzeitbasis eine externe Professor bei der königlich technischen Hochschule in Stockholm innegehabt hatte. Heute betreut Höglund die so genannte Unternehmens-Forscher-Schule in mechanischer Holzstofftechnik im Rahmen des FSCN – Fibre Science and Communication Network. 2005 erhielt Hans Höglund für „sein hohes innovatives Können, ausgezeichnete wissenschaftliche Systematik und gut durchgeführte experimentelle Arbeiten sowie die kritische Durchsicht erlangter Ergebnisse“ die angesehene Ekman-Medaille der schwedischen Papier- und Zellstoffingenieurvereinigung SPCI. Weitere Informationen unter: www.miun.se/fscn/forskarskolan sca papergram no 2 › 2006 7 Immer in Bewegung In einer intensiven Kooperation zwischen SCA und Schwedens größter Zeitungsdruckerei, DNEX, wird rasche Problemlösung mit einer prozessorientierten Perspektive kombiniert. Ziel ist die Minderung der Anzahl Bahnbrüche und eine bessere Ausnutzung der Druckpressen TEXT & FOTO Alexander Farnsworth Die Papierrollen werden von Gabelstaplern mit starken Klammern gehoben und transportiert. Die Klammern können Schäden verursachen, die zu Instabilität in der Druckpresse führen. Hier kann Abhilfe geschaffen werden 8 sca papergram no 2 › 2006 DNEX im Stockholmer Vorort Akalla druckt täglich auf drei parallel arbeitenden MAN Colorman S-Maschinen 1,2 Millionen Zeitungen, darunter Dagens Nyheter, Expressen, Stockholm City und Metro. Jede Maschine verfügt über zehn Rollensterne, und kann daher zehn Bahnen gleichzeitig drucken. Das entspricht bei doppelter Produktion einer 80-seitigen Zeitung im Vollformat oder 160 Seiten Tabloid. Nur wenige Druckmaschinen auf der Welt können das leisten. Im Unterschied zu Zeitungen in anderen Ländern, sind schwedische Zeitungen entweder geleimt oder geheftet, was den Herstellungsprozess kompliziert. DNEX verbraucht jährlich in jeder Presse 25 000 Tonnen GraphoNews 45 Gramm von SCA. In einem durchschnittlichen Monat liegt die Bahnbruchfrequenz der Druckerei zwischen zwei und 3,5 Prozent. Das Ziel ist eine Senkung auf ein Prozent, denn jeder Bahnbruch verursacht etwa 30 Minuten Stillstand und damit Produktionsausfall. Bahnbrüche sind also wesentlich mehr, als nur Irritationsmomente, denn Zeitungsdruckereien arbeiten unter extrem engen Zeitvorgaben. Komplizierter Prozess Die Kooperation begann im November 2005. Damals nahm DNEX-Qualitätschef Per Carleson Kontakt mit SCA auf, um zu diskutieren, was gegen die Bahnbrüche unternommen werden könnte. Viele Bahnbrüche sind Resultat einer jeder Druckpresse innewohnenden Komplexi- tät. Was Carleson sich von SCA versprach, war Kompetenz über den Papierherstellungsprozess. „Wir wandten uns an SCA, um ihre Gedanken darüber zu hören, worauf wir achten sollten“, sagt Per Carleson. Er fügt hinzu, dass die Druckindustrie für ihre Fähigkeit zur raschen Problemlösung bekannt ist. Fehler werden umgehend behoben, denn die Zeitung soll ja pünktlich erscheinen. „Aber niemand hat jemals Zeit, den Gründen der Probleme nachzugehen. In der Papierindustrie ist das ganz anders. Dort arbeitet man mehr prozessorientiert. Unternehmen wie SCA wissen genau, was in jedem Schritt ihrer Produktion passiert. Dafür haben wir nicht die Ressourcen“, sagt Per Carleson. ANDERS HILLVALL Per Carleson, Qualitätschef bei DNEX und Anders Hillvall, Leiter des technischen Kundendienstes bei SCA, vor Ort in Akalla nung ein schwieriger und gleichzeitig entscheidender Aspekt. Damit der Prozess noch besser läuft hat DNEX zudem ein internes Programm zur Aufrichtung der 150 Steuerungswalzen, die das Papier durch die Pressen leiten, eingeleitet. Viele dieser Walzen waren schlecht eingestellt und sind justiert oder durch steifere Walzen ersetzt worden. Statistik wird ausgewertet Ein weiteres Moment der Kooperation ist die Übermittlung der Bahnbruchstatistik von DNEX an SCA. Bei jedem Bahnbruch werden die betroffene Rollennummer und die Ursache des Bruchs automatisch an die SCA-Papierfabrik Ortviken in Sundsvall übermittelt. Dort können sämtliche Daten der Herstellung analysiert werden. Mit der Rollennummer können die dazugehörigen Produktionsdaten, wie Stärkeeigenschaften, Bahnspannung und Messergebnisse des Lochdetektors der Papiermaschine, aufgefunden werden. Außerdem wird deutlich, ob die Rolle, die in der Druckpresse Probleme gemacht hat eine Nummer hat, die in der Nähe von Rollen liegt, die bereits in der Fabrik aussortiert wurden. „Das gibt ein neues Bewusstsein. Alle Mitarbeiter, sowohl in Ortviken als auch bei DNEX, sehen nun, dass die Runability ein entscheidender Faktor ist“, sagt Anders Hillval. Und um diese Botschaft noch deutlicher festzuklopfen, hat SCA bisher zwei technische Workshops mit DNEX-Mitarbeitern durchgeführt. In zwei Tagen werden sämtliche Aspekte der Papierherstellung besprochen. S Papierentwicklung am Puls des Bedarfs „DAS DNEX-PROJEKT ist für SCA äußerst wichtig, nicht zuletzt für die Weiterentwicklung des Papiers“, erklärt Inger Eriksson, Entwicklungschefin bei SCA Graphic Sundsvall und Initiatorin des Projektes. Um seine Papierprodukte in die richtige Richtung weiterentwickeln zu können, muss man die Anforderungen verstehen, die die Kunden stellen. Im Mittelpunkt steht die Runability, und damit die Rentabilität. Das nötige Feedback erhält SCA durch enge Kooperationen, so Inger Eriksson. „Wir steuern unsere Papierproduktentwicklung mit Ausgangspunkt in einigen Papiereigenschaften. Aber wir wissen nicht exakt, welche Eigenschaften für die Runability bei den Kunden ausschlaggebend sind. Ein gutes Feedback durch Projekte wie das mit DNEX ist enorm wichtig, um hier ein gediegenes Können aufzubauen“, erklärt Eriksson. S Problemklärung Seit November 2005 war der technische Kundendienst von SCA mehrfach bei DNEX zu Besuch. Zum Einen, um zu studieren, wie das Papier von SCA in den Druckmaschinen funktioniert. Zum Anderen, um sich einen Überblick über den gesamten Prozess zu verschaffen – von der Papierfabrik bis zur fertig gedruckten Zeitung. Men stellte fest, dass sowohl bei SCA als auch bei DNEX die Papierrollen mit Gabelstaplern transportiert werden, in denen starke Klammern die Rollen festhalten. Diese Klammern drücken so hart auf die Rollen, dass diese leicht unrund werden und damit in der Druckmaschine instabil. Besonders Halbrollen zeigten sich für diesen Effekt anfällig. Eine weitere Entdeckung war, dass man mit der relativen Luftfeuchtigkeit im Papierlager von DNEX genauer sein musste. Idealer Weise liegt diese zwischen 50 und 60 Prozent. Bei Lieferung haben die SCAPapierrollen einen Feuchtigkeitsgehalt von neun Prozent. Bei Besuchen in der Druckerei maß Anders Hillvall, Chef des technischen Kundendienstes bei SCA, eine relative Luftfeuchtigkeit im Papierlager von DNEX von zwischen 30 und 40 Prozent. Dies Problem wird derzeit behoben. Beides können, müssen jedoch nicht, Ursachen für beschwerliche Bahnbrüche im Druckprozess sein. Zu trockenes Papier kann für eine effiziente Bedruckung zu spröde sein und reißen. In einem Versuch, offenzulegen, was während des Druckprozesses mit dem Papier passiert, hat DNEX begonnen, an verschiedenen Punkten in der Druckpresse die Bahnspannung zu messen. Beim Druck von zehn Bahnen in 60 bis 70 Meter langen Maschinen ist die Bahnspan- „Alle Mitarbeiter sehen nun, dass die Runability ein entscheidender Faktor ist“ sca papergram no 2 › 2006 9 Umweltmaßnahmen lohnen sich Abfallvermeidung macht sich bezahlt. Diesen und andere Tipps gibt die Expertengruppe Web Offset Champion Group über die besten Wege, Umweltfragen in Rotationdruckereien zu meistern VON Luise Steinberger EIN SYSTEMATISCHES Programm zur 10 sca papergram no 2 › 2006 folgt ein Kapitel über Verbrauchsgüter und Abfall. Hier finden sich beispielsweise Tipps über die umweltmäßig beste Wahl von Farben und Reinigungsmitteln sowie über Abfallvermeidung, Rückgewinnung und Wiederverwertung. rung bei der Verbrauchsreduzierung A und O sind. So können Lecks und unnötiger Verbrauch lokalisiert und abgestellt werden. In dem Handbuch finden sich auch Tipps, an welchen Stellen im Prozess die Energie mit Vorliebe verschwindet. Praktische Prozesstipps Handbuch nummer sechs Das dritte Kapitel widmet sich dem Druckprozess an sich. Verschiedene Computerto-plate-Prozesse werden besprochen, sowie neue Reinigungstechniken für Platten. Auch die Lagerung von Druckfarben und die korrekte Dosierung verschiedener Flüssigkeiten – nicht zuletzt die richtige Feuchtigkeit – tragen laut Experten zu einem aus Umweltgesichtspunkten optimalen Resultat bei. Schließlich folgten Tipps, wie Luftemissionen durch Filteranlagen effizient behandelt werden können, beziehungsweise wie bei der Nachbearbeitung Papier gespart werden kann. Hier werden Systeme zum Abtransport von Staub und Papierabfall vorgeschlagen sowie für das Hantieren des Leims in der Buchbinderei. Im letzten Kapitel geht es schließlich um Energieanwendung. Die Verfasser pointieren, dass fortlaufende Messung und Steue- Die Web Offset Champion Group ist eine Kooperation von neun internationalen Akteuren in der grafischen Branche: SCA, Aylesford Newsprint, Kodak Polychrome, MacDermid Printing Solutions, MAN Roland, MEGTEC, Müller Martini, Nitto Denko, Quad Tech und Sun Chemical. Ziel des Projektes ist, Rotationsdruckereien mit qualifizierter Expertenmeinung zur Seite zu stehen. Verschiedene Handbücher beschreiben die besten Verfahrensweisen – „best practice“ – in jedem Arbeitsbereich. Das Umwelthandbuch ist die Nummer sechs in der Reihe, die seit Gründung der Gruppe Ende der 1990er-Jahre publiziert wurden. Es kann unter: www.wocg.info oder www.gain.net oder durch die Mitgliedsunternehmen bestellt werden. S Minimierung von Abfällen kann den Gewinn einer Druckerei um etwa drei Prozent steigern. Denn Kosteneinsparungen in der Abfallwirtschaft können dem Betriebsergebnis zugeschlagen werden. Dies ist einer von vielen guten Ratschlägen, die die Web Offset Champion Group in ihrem neuesten Handbuch erteilt: Best Practice Guide: Environmental Considerations – Energy, Economy, Efficiency, Ecology (Umweltaspekte – Energie, Wirtschaftlichkeit, Effizienz, Ökologie). Der Ausgangspunkt ist, dass eine funktionierende Umweltarbeit heute für Druckereien überlebenswichtig ist. Die eine Seite der Medaille sind Kosteneinsparungen. So senkt eine bessere Arbeitsumwelt für die Angestellten die Versicherungsprämien. Aber eine funktionierende Umweltpolicy stärkt auch die Marke und steigert so die Loyalität der Kunden. Der Best Practice Guide soll dem Drucker in jedem Prozessschritt als Handbuch mit praktischen Tipps zur Seite stehen. Eine allgemeine Einführung behandelt Fragen von Umweltmanagement und Umweltsteuerungssystemen. Danach VON Luise Steinberger TRENDER TRENDS AUFSCHWUNG BEI ANNONCEN PLATZ EINS DER internationalen Liste der Tageszeitungskonsumen- ten nehmen derzeit die Norweger ein. Von 1 000 Einwohnern lesen ganze 651 jeden Tag eine Zeitung. Auf Platz zwei folgt Japan (644 von 1 000 Einwohnern, die täglich Zeitung lesen), danach Finnland (522 von 1 000). In Führungsposition liegt auch noch Schweden (489 von 1 000). Das Mittelfeld schließt dann erst mit einigem Abstand an. Auf 1 000 Einwohner zwischen 300 und 400 Zeitungsleser gibt es in der Schweiz, Österreich, den Cayman-Inseln und in Deutschland. Am allerwenigsten Zeitungsleser auf der Welt gibt es in Mocambique. Hier hat nur jeder 1 000ste Einwohner täglich eine Zeitung auf dem Frühstückstisch. S S DIE ANZEIGENEINNAHMEN von Zeitschriften und Zeitungen in Europa steigen wieder. Das geht aus Statistik in mehreren Ländern hervor. In Deutschland verkaufen vor allem die Magazine mehr Anzeigen. Laut dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger stiegen die Anzeigeneinnahmen 2005 um 1,7 Prozent verglichen mit dem Vorjahr. Vor allem Programmzeitschriften verkaufen mehr (plus 21 Prozent), sowie Monatsmagazine für Frauen (plus 15,5 Prozent) und aktuelle Magazine (plus 14 Prozent). Holger Busch, Geschäftsführer Anzeigen Marketing im VDZ, kommentierte den positiven Trend: „Die positiven Konjunkturerwartungen von Unternehmen und Verbrauchern spiegeln sich zurzeit auch im Anzeigengeschäft wider.“ In Schweden war 2005 für die Tagespresse positiv. Die Anzeigeneinnahmen stiegen um 5,6 Prozent. Besonders interessant ist, dass die Anzeigenvolumina weniger stiegen als die Einnahmen. Das bedeutet, die Zeitungen bekamen mehr bezahlt als im Vorjahr. Laut dem Verband der Zeitungsherausgeber (Tidningsutgivarna) ist die Ursache steigende Volumina bei den Kleinanzeigen, vor allem bei den Stellenanzeigen. ILLUSTRATION Daniel Egnéus Norweger fleißigste Zeitungsleser Belgischer Test mit e-Zeitung S SEIT APRIL lesen 200 Testpersonen in Belgien ihre Morgenzeitung auf elektronischem Papier. Die Finanzzeitung de Tijd hat den ersten europäischen Versuch mit einer e-Tageszeitung eingeleitet. Die Leser downloaden sich die neueste Ausgabe aus dem Internet oder wireless in ein spezielles Lesegerät, genannt Iliad, entwickelt von der Philips-Tochter iRexTechnologies. Das Gerät im Format A5, wiegt 390 Gramm und ist 1,6 Zentimeter dick. Das Display baut auf der amerikanischen E-InkTechnologie auf und arbeitet mit 8,1 Millionen mikroskopisch kleinen, in Flüssigkeit schwimmenden schwarz-weißen Kugeln, die durch elektrische Ladung gezielt gedreht und so zu Buchstaben und Bildern geformt werden können. Laut de Tijd ist die Bildqualität sehr hoch. Der Nachteil sei jedoch das kleine Format. Der Leser muss den jeweils gewünschten Abschnitt auf seinem Gerät einzoomen. Wissenschaftlich begleitet wird der bis Jahresende laufende Test von Forschern der Universität in Leuven. Zielgruppe ist nicht der Durchschnitts-Zeitungsleser, sondern Finanzmanager, die in Zukunft ihre Zeitung täglich mehrmals updaten können sollen. Das Lesegerät Iliad kostet heute 400 Euro, zu teuer, als dass die Zeitung das Gerät gratis an alle Interessenten austeilen kann, erklärt Projektleiter Peter Bruynseels in Die Welt. Erst wenn der Apparat massengefertigt wird, sei eine langfristige Herausgabe seiner Zeitung als e-Paper denkbar. sca papergram no 2 › 2006 11 Die Zeitungsleser 12 sca papergram no 2 › 2006 VON MORGEN Zeitungen und Zeitschriften für Kinder und Jugendliche wenden sich direkt an die jeweilige Zielgruppe und üben sie darin, Massenmedien zu verstehen. Damit junge Leute zu Zeitungslesern heranwachsen, ist das Wichtigste jedoch, dass sie lesen, egal was MEHR ALS eine Milliarde Menschen le- sen täglich Zeitung. In einer kürzlich in Frankreich herausgegebenen Studie belegt die World Association of Newspapers (WAN) mit 18 000 Mitgliedern unter den Tageszeitungen in aller Welt, dass immer weniger Europäer eine Zeitung kaufen. Voriges Jahr ging die Anzahl der in Europa verkauften Exemplare zurück, während die gesamte „Weltauflage“ in den letzten fünf Jahren um 4,75 Prozent gestiegen ist. In einer Zeit relativer Stabilität für die Tageszeitung zeigt WAN-Generaldirektor Timothy Balding in der Studie die bestehenden Herausforderungen auf: „Wirtschaftliche Restriktionen, rückläufige Auflagen, fortlaufende technische Veränderungen und der Bedarf, die Relation zum Leser neu zu definieren bedrohen die Presse in aller Welt“. Letzteres ist für das Überleben der Zeitungsbranche lebenswichtig: Identifikation und kontinuierlichen Kontakt mit den Lesern zu stiften. Die Lösung des Problems liegt jedoch nahe – in Kinderwagen, auf Klettergerüsten, in Klassenzimmern und auf Fußballplätzen. Kinder und Jugendliche sind die Leser der Zukunft. Aber: Wie entwickeln sie sich zu den Lesern von Morgen? Durch eigene Zeitschriften und ganz allgemein durch Interesse an Gedrucktem. Beste Freundinnen Nachdem Kinder und Jugendliche sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts meist mit ein paar „eigenen Seiten“ in den Zeitungen ihrer Eltern hatten zufrieden geben müssen, steht ihnen im Jahr 2006 eine Flut von Zeitschriften zur Auswahl. Im Zuge zunehmender Beliebtheit der Kinder-Spezialseiten hatten die Verleger das Potenzial der Zielgruppe erkannt und umgesetzt. Als eine der ersten richtigen Jugendzeitschriften erschien 1941 die amerikanische Calling all Girls, ein direkter Ableger der Elternzeitschrift Parents Magazine. 1944 folgte die heute klassische Seventeen, die sich an etwas ältere Mädchen wendet, vor allem solche mit Modeinteresse. Heute sind Kinder- und Jugendzeitschriften voll mit Mode, Musik, Tipps und Ratschlägen, Bastelanleitungen, Wissenschaft, Sport und Idolen. Zeitschriften mit dem generellen Präfix „teen“ – wie Teen Vogue und Teen Now – wenden sich vor allem an Mädchen. Zu diesem Genre zählt auch Elle Girl. Jungen wählen häufiger Zeitschriften mit einem bestimmten Sachinhalt, wie Autos, Computer oder Computerspiele. Julie und Manon heißen zwei französische Zeitschriften für Mädchen im Alter zwischen acht und zwölf beziehungsweise sechs und acht Jahren. Stéphanie Saunier, Chefredakteurin für die beiden MagazinSchwestern, erklärt, hier handele es sich um eine dankbare Zielgruppe. Ein wichtiger Grund, warum es leichter sei, Zeitschriften für Mädchen zu machen, sei die Tatsache, dass zwischen Mädchen generell ein höherer Grad an Intimität und Zusammengehörigkeit besteht als zwischen Jun- S VON Henrik Emilson RECHERCHE Sybille Neveling, Jean-Paul Pouron FOTO Kristoffer Lönnå sca papergram no 2 › 2006 13 „Viele mögen ihre Zeitschrift so sehr, dass sie sie nachts unters Kopfkissen legen“ STÉPHANIE SAUNIER gen. Mädchen mögen es, Julie und Manon jeden Monat wieder „zu treffen“. „Viele mögen ihre Zeitschrift so sehr, dass sie sie nachts unters Kopfkissen legen“, sagt Stéphanie Saunier. „Aber unser Erfolg resultiert erstens vor allem daraus, dass Mädchen generell mehr lesen als Jungen, und zweitens, dass sie neugieriger auf und offener für neue Aktivitäten sind. Jungen können sich stattdessen intensiver für ein bestimmtes Thema interessieren.“ Liebe und Sex Ihren 50sten Geburtstag feiert in diesem Jahr die Jugendzeitschrift Bravo. In gewisser Weise hakt Bravo da ein, wo ihre französischen Kolleginnen aufhören. Der Fokus liegt auf Jugendlichen von zwölf bis 17 Jahren, die sich für Musik- und Filmstars interessieren, aber auch für das Leben an sich und Liebe und Sex. Vor allem Letzterem wird durch Foto-Love-Stories und Dr. Sommers-Frageseite große Aufmerksamkeit gewidmet. Man erwartet, dass die Zielgruppe „reifere“ Themen hantieren kann. Daher kommen Bilder von nackten Jugendlichen durchaus vor. Unter der Rubrik That’s me 2006 werden beispielsweise 14 sca papergram no 2 › 2006 ein 19-jähriger junger Mann und eine 20jährige junge Frau nackt auf jeweils einer ganzen Seite gezeigt. „Jugendliche sehnen sich nach dem Wahren, danach, ernst genommen zu werden, am Leben teilzunehmen. Bravo sieht sich selbst als Sprachrohr und Anwalt der Generation, die in die Schule geht“, erklärt ein Sprecher der Redaktion, der aus praktischen Gründen seinen Namen nicht nennen möchte. Der Einstieg ins Bravo-Lesen geschieht meist über Freunde, in einem Alter, in dem die Jugendlichen beginnen, sich für die Hauptthemen der Zeitschrift zu interessieren. Genau wie Stéphanie Saunier in Frankreich glaubt man bei Bravo, dass Jungen und Mädchen verschiedene Wege gehen, wenn sie aus dem Bravo-Alter herausgewachsen sind: „Die Mädchen gehen in erster Linie zu Frauenzeitschriften über, während die Jungen differenziertere Muster entwickeln. Die persönlichen Interessen geben den Ausschlag, einige lesen Sportzeitschriften, andere ziehen Motor- oder Filmmagazine vor.“ Die Internet-Generation Die Jugend von heute wächst mit einer Flut von Fernsehkanälen, Mobiltelefonen, SMS und nicht zuletzt dem Internet auf. Einige Verlage sehen dies als eine Gefahr, andere nicht. „Unsere schärfsten Konkurrenten sind Internet und Handy“, meint die Bravo-Redaktion. Wegen teuerer SMS und Downloads können Jugendliche es sich heute oft nicht leisten, jede Woche 1,30 Euro für Bravo auszugeben. Die relativ neue britische Jugendzeitschrift UwiWgi sieht das Internet nicht als Bedrohung. Im Klartext bedeutet ihr Titel „you want it, we got it“ (du möchtest es, wir haben es) und wendet sich an Mädchen und Jungen von sieben bis zwölf. Das Magazin bietet einen breit gefächerten Inhalt aus Humor, Buchbesprechungen, Sport, Wissenschaft, Nachrichten, Bastelanleitungen, Tratsch und etwas in Kinder- und Jugendzeitschriften Einmaligem: Reisen. „Wir bieten für alle etwas und führen die Kinder in neue Themengebiete ein“, erklärt Carolyn Cobbold, eine von drei Redakteurinnen des Magazins. Sie UWIWGI Kinderperspektive mit Tradition Kamratposten war Schwedens erste Zeitung für Kinder und Jugendliche. Mit ihren 114 Jahren gehört sie außerdem zu den ältesten Zeitungen des Landes. Per Bengtsson, stellvertretender Redaktionschef, räumt ein, dass man mit Internet und Fernsehen um die Aufmerksamkeit der Kinder konkurriert. Dass sein Blatt darüber verschwinden wird, glaubt er nicht. Bengtsson hat eine eigene Theorie: „Erwachsene haben oft deutliche Ansichten, was gut und was schlecht ist. Bücher lesen ist gut. Zeitschriften lesen ist gut. Fernsehen gucken ist schlecht. Computerspiele sind schlecht. Und das Internet ist richtiggehend gefährlich“, sagt er und fügt hinzu, dass Kinder, die mit dem Internet aufwachsen, diese Abstufungsskala für gut und böse nicht besitzen. Er meint, Kinder seien heute an ein hohes Informationstempo gewöhnt, wobei sie aus einer Menge verschiedener Kanäle „Inhalt“ beziehen – Fernsehen, Zeitungen, Bücher, Internet und Computerspiele. „Sie sehen Information als Information, ohne Bewertung der Quelle“, sagt Per Bengtsson. Kamratposten wendet sich an Mädchen und Jungen im Alter von acht bis 14 Jahren und bietet alles, von Leserbriefen über Sachartikel und Nachrichten zu Bastelanleitungen und Witzen. Ihrem Auftrag gemäß versucht die Zeitung, allen Formen von Stereotypen entgegen zu wirken, beispielsweise was Geschlecht oder Großbritannien Gegründet: 2004 Sechs Ausgaben jährlich Auflage: 25 000 Exemplare Zielgruppe: 7-12 Jahre JULIE Frankreich Gegründet: 1998 12 Ausgaben jährlich Auflage: 100 000 Exemplare Zielgruppe: S glaubt, dass die Leser, wenn sie UwiWgi „entwachsen“ sind, ihre Lektüre mit Tageszeitungen und Nischen-Titeln über Wissenschaft und Reisen fortsetzen werden. UwiWgi führt ihre Leser auch aktiv dem Internet zu. „Links ermuntern die Kinder zum Weiterlesen und -forschen, wenn ein Thema sie besonders interessiert. Aber auch wenn das Internet immer mehr zu einem Teil der Lern- und Freizeitaktivitäten der Kinder wird, ist gedrucktes Material nach wie vor wichtig, besonders für Kinder, die eben begonnen haben, selbst zu lesen.“ Mädchen 8-12 Jahre MANON Frankreich Gegründet: 2003 12 Ausgaben jährlich Auflage: 70 000 Exemplare Zielgruppe: Mädchen 6-8 Jahre BRAVO Deutschland Gegründet: 1956 52 Ausgaben jährlich Auflage: 569 332 Exemplare Zielgruppe: 12-17 Jahre KAMRATPOSTEN Schweden Gegründet: 1892 17 Ausgaben jährlich Auflage: zehn Prozent der Zielgruppe, derzeit 60 000 Exemplare Zielgruppe: 8-14 Jahre sca papergram no 2 › 2006 15 „Wir glauben, dass der stärkste Faktor dafür, ob Kinder und Jugendliche in Zukunft Zeitung lesen, die Tatsache ist, ob sie in einem Zeitung-lesenden Heim aufwachsen oder nicht“ GÖRAN SUBENKO Deutliche Kaufsignale DIE AMERIKANISCHE Branchenzeitung Selling to Kids hat drei Komponenten beschrieben, mit denen Covers die Aufmerksamkeit der Zielgruppe fangen kann: Prominente Waren Modells und Supermodells vor einem Jahrzehnt der optimale Blickfang, sind es heute eher bekannte Personen. Musikund Filmstars machen auf Kinder und Jugendliche großen Eindruck. Mit dem Schauspieler Leonardo DiCaprio nach dem Film Titanic auf dem Cover verkaufte Seventeen eine Million Exemplare und Teen People verkaufte seine Millionenauflage innerhalb von zehn Tagen. 400 000 weitere Exemplare mussten gedruckt werden. Schlüsselbegriffe Einige Ausdrücke fangen die Aufmerksamkeit mehr als andere. „Wettkampf“, „gratis“, „Gewinn“, „Vorher – Nachher“ und „Test“ locken zum Kauf. VorherNachher-Geschichten können alles von der Frisur bis zu Kleidung und Schlafzimmer umfassen. Tests werten häufig die Persönlichkeit des Lesers aus. „Sie mögen es, Neues über sich selbst zu erfahren und die Tests sind eine unterhaltsame Art, dies zu tun“, sagt Karen Bokram, Redakteurin bei Girl’s Life. S Signalfarben Kinder reagieren auf klare und fröhliche Farben. Diese sind fast ebenso wichtig wie die Bilder auf dem Umschlag, denn oft sind die Farben das erste, was die Kinder sehen. 16 sca papergram no 2 › 2006 Ethnizität betrifft. „Wer Kamratposten liest, lernt, glaube ich, hohe Ansprüche zu stellen und wird ein kritischer Medienkonsument. Ich glaube, man wird zum Tageszeitungsleser von morgen erzogen“, sagt Per Bengtsson und erklärt, dass Kamratposten in Vielem an eine Boulevardzeitung erinnert: in der Direktheit ihres Stils mit kurzen Artikeln und zugehörenden Listen und Faktenkästen. Lektüre ist immer gut Identifikation zu schaffen und kontinuierliche Kontakte mit neuen Lesern aufzu- bauen ist das A und O bei der Erziehung einer neuen Generation Zeitungsleser. „Wir glauben zu wissen, dass der stärkste Faktor dafür, ob Kinder und Jugendliche in Zukunft Zeitung lesen, die Tatsache ist, ob sie in einem Zeitung-lesenden Heim aufwachsen oder nicht. Bei der Etablierung eines eigenen Zuhauses gehören einige Dinge dazu, unter anderem das Zeitungsabonnement. Erwachsen werden, sich zu etablieren, ist ein Ritual“, erklärt Göran Subenko, Projektleiter für „Tidningen i skolan“ (Zeitung in der Schule) des schwedischen Zeitungsverlegerverbandes Tidningsutgivarna. Das Projekt unterstützt Schulen beim Unterricht mit und über das Lesen von Tageszeitungen. Dabei geht es viel um die Lust am Lesen. Das ist die Basis, egal welcher Lektüre. „Ich glaube, dass Lesen an sich kreuz und quer geht. Wer viel Bücher liest, liest auch viel Zeitung, und umgekehrt“, sagt Göran Subenko. Per Bengtsson von Kamratposten stimmt ihm zu. „Was wir über unsere Leser wissen ist, dass sie die Zeitung aufschlagen, und dann lesen sie von oben links auf Seite eins bis unten rechts auf der letzten Seite. Jedes Wort. Sie sind in dem Alter, in dem sie Lektüre verschlingen. Sie lesen alles.“ Auf dieser Grundlage arbeitet die Reading Agency in Großbritannien, eine ideelle Organisation, die – ähnlich der Stiftung Lesen in Deutschland – gemeinsam mit Büchereien und Schulen Leseförderung bei Kindern betreibt. Projektleiterin Ruth Harrison erzählt von einer der Aktivitäten: eine jährliche „Sommer-LeseHerausforderung“. Sie wendet sich an Fünf- bis Elfjährige und im vorigen Jahr nahmen 600 000 Kinder teil. In diesem Sommer ist der Titel „The Reading Mission“ (Leseauftrag) und das Konzept erinnert an ein Rätsel, dass die Kinder mit Hilfe der Ressourcen, die Bibliotheken zur S Verfügung stellen, lösen sollen. „Das ändert ihre Sicht auf das Lesen und führt dazu, dass mehr Kinder einen Leseausweis anschaffen und in die Bücherei zurückkehren. Es steigert auch das Selbstvertrauen der Kinder in Bezug auf das Lesen. Sie beginnen, nach anderen Büchern zu suchen, die sie lesen können und sie beginnen, auch andere Arten von Büchern als sonst zu lesen“, sagt Ruth Harrison. The Reading Agency arbeitet mit Büchereien zusammen, aber ihr Begriff Lesen beschränkt sich nicht nur auf Bücher. „Wir behaupten, dass Lesen Alles umfasst, von Belletristik, Fachtexten, Poesie, Dramatik, Comics, Manga, Tageszeitungen, Homepages bis zu Magazinen.“ Bedeutet das, alles Lesen ist gutes Lesen? „Grundsätzlich ja. Denn dann engagiert sich ein Kind für das Lesen an sich. Aber sie haben verschiedene Wege dorthin. Unsere Rolle bei der Arbeit mit Kindern ist nicht, Geschmacksrichter zu sein, sondern zuzuhören und Interessen aufzufangen. Wir verwenden unser Wissen, Lesematerial bereitzustellen und sprechen dann über die getroffene Wahl. Wenn man ein Kind trifft, das auf Motorräder steht, ja dann schleppt man eben jedes Buch und jede Zeitung an, die man darüber nur finden kann“, sagt Ruth Harrisson und lacht. Was lesen Kinder und Jugendliche? Alle Lektüre ist im Prinzip gut. Aber was lesen die Kinder? Literacy Trust, eine britische Wohltätigkeitsorganisation zur Leseförderung, befragte 2005 1 500 Kinder und Jugendliche. 1 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Magazine 75,5 Prozent Websites 63,6 Prozent SMS-Text-Mitteilungen 61,0 Prozent Witze 57,8 Prozent Fernsehzeitschriften 56,8 Prozent Posters 55,7 Prozent E-Mails 52,3 Prozent Belletristik 51,5 Prozent Comics 50,6 Prozent Tageszeitungen 46,8 Prozent Kataloge 46,2 Prozent Liedertexte 43,5 Prozent Poesi 31,0 Prozent Gebrauchsanleitungen 28,1 Prozent Sachbücher 27,5 Prozent Dramatik 26,4 Prozent Fax Teletext 25,7 Prozent Kochbücher 21,5 Prozent Jahrbücher 20,4 Prozent Reisehandbücher 19,2 Prozent Comiczeitschriften 19,0 Prozent Lexika 17,8 Prozent Hörbücher 13,8 Prozent sca papergram no 2 › 2006 17 „Manga und einige andere Comics gefallen auch solchen Jugendlichen, die sonst einen gewissen Widerstand gegen das Lesen haben“ RUTH HARRISON Manga für Alle Comics, die von Hinten nach Vorne gelesen werden, bei denen die Charaktere große Augen haben und der Inhalt nicht immer das Wichtigste ist: die japanischen Manga-Hefte, die im Heimatland enorme Summen umsetzen, beginnen, sich auch im Westen zu etablieren. Manga ist für Kinder und Jugendliche ein ausgezeichneter Weg, das Lesen zu beginnen MANGA ist der am schnellsten wachsende Drucksachentyp für Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren. Das sagt Ruth Harrison bei der britischen Reading Agency, die gemeinsam mit den Büchereien des Landes Leseförderung bei Jugendlichen betreibt. „Mangas sind trendy, haben Stil und sind für Jungen wie Mädchen gleichermaßen attraktiv“, sagt sie. „Manga und einige andere Comics gefallen auch solchen Jugendlichen, die sonst einen gewissen Widerstand gegen das Lesen haben. Manga bietet ihnen andere Wahlmöglichkeiten. Gleichzeitig ist Manga auch für die Begabteren interessant“, meint Harrison. Jedes Jahr arrangiert The Reading Agency die Kampagne „Manga Mania“, um Jugendliche dazu zu bringen, das Angebot der Büchereien zu nutzen, aber auch, um das Interesse für das Lesen ganz allgemein zu wecken. Diejenigen, die bereits lesen, sol- 18 sca papergram no 2 › 2006 len animiert werden, andere Typen von Lektüre auszuprobieren Die japanischen Comics sind nämlich anders, besonders für Menschen aus der westlichen Welt. Das Lesen von Rechts nach Links ist gewöhnungsbedürftig. Neben dem Visuellen – den charakteristischen großen Augen der Figuren, den im Übrigen einfachen Gesichtszügen und einem freien Layout, das das traditionelle Kästchenmuster oft verlässt – bieten die Geschichten vor allem einen völlig anderen Typ von Erzählung als Comics wie Asterix, Donald Duck oder Superman. „Erst wenn man merkt, um was es bei den Comics geht, erreicht einen die Magie der Mangas, ganz abgesehen von Zeichenstil und Layout“, sagt Zimeon Lundström, Gründer der ersten und größten Mangavereinigung Schwedens, Mangakai. „Mangas sind wie Dostojewskis Schuld und Sühne. Es geht um eine Person, die darunter leidet, dass sie ein Verbrechen begehen wird. Dieser Satz beschreibt das ganze Werk, das ja doch recht viele Seiten hat. So ist es mit Manga – da gibt es nicht immer eine Story, sondern der ganze Fokus liegt auf den Personen. Einzelner Zeichner Wenn Superman und Spiderman Figuren sind, sind die japanischen Protagonisten Persönlichkeiten, die der Leser kennen lernt. Manche Mangas handeln nur von einer oder zwei Personen. Zimeon Lundström erklärt, dass ein wichtiger Grund für die größere Tiefe der Mangas die Tatsache ist, dass sie meist nur einen Autor oder Zeichner haben. In den USA sind Comics hingegen oft Verlagsprodukte aus der Feder eines Zeichnerteams. „Wenn nur eine einzige Person die Figuren erfindet und zeichnet, ist es leichter, ihnen Leben zu geben und sie nach dem Wunsch des Autors zu verändern. Der Autor kann seinen Charakter sogar sterben lassen. Das geht in den USA nicht“, sagt Zimeon Lundström und meint, einem eventuellen Ableben von Spiderman müsste eineReihe Aufsichtsratssitzungen und mehrere Jahreshauptversammlungen beim Comicverlag Marvel Comics voraus gehen. Lange Geschichte Mangas von heute – wie Dragonball, Astroboy, Kimba der weiße Löwe – haben ihre Wurzeln in alter japanischer Kunst, Holzschnitten aus dem 12. Jahrhundert und früheren Zeichnern. Der Name stammt von zwei chinesischen Schriftzeichen her. „Man“ bedeutet „unzusammenhängend, KOLUMNE sich. Denn eine attraktive und kompetente Berichterstattung erwarten nicht nur die Abonnenten, die am nächsten Tag noch einmal, ergänzt durch Hintergrund und Kommentar, in Ruhe nachlesen und nacherleben möchten, was am Abend zuvor bereits im Fernsehen zu sehen war. Derartige Großereignisse sind auch die beste Gelegenheit, all die Sportfans als neue Leser zu gewinnen, die sonst allenfalls gelegentlich oder gar nicht zu Gedrucktem greifen. Und so ist es auch gewiss kein Zufall, dass die bemerkenswerte Bildungsinitiative „Zeitung4You“ gerade in die WMZeit fällt: Hier erhalten in einer gemeinsamen Aktion von Kultusministerium und den Zeitungsverlagen in NordrheinWestfalen 33 000 Schülerinnen und Schüler aus den neunten Klassen der Hauptschulen im Bundesland noch bis zu den Sommerferien gratis „ihre“ Tageszeitung in die Schule geliefert. Das Ziel: die Leskompetenz der jungen Leute zu verbessern. Spannende Storys rund um den Ball sind da gewiss nicht die schlechteste Einstiegslektüre. S S Durch Osamu Tezuka verstanden die Menschen, dass Comics nicht banal sein müssen. Er begann mit Comics für Kinder, aber mit zunehmendem Alter zeichnete er auch für Erwachsene. Heute lesen in Japan Alle Manga. Alter und Geschlecht spielen keine Rolle. Es gibt Themen für Jeden: Abenteuer, Außerirdische, Liebe, Erotik, Politik, Humor, Geschichte, Mahjong und sogar Gourmet-Mangas. „Ein wichtiger Grund dafür, dass Mangas einen solch durchschlagenen Erfolg hatten, waren die vielen Buchhändler. Die Comics wurden über den Buchhandel vertrieben, und die gab es überall, wo Menschen sich aufhielten. Man brauchte nicht in einen besonderen Laden zu gehen“. Heute werden in Japan etwa zwei Milliarden Comiczeitschriften pro Jahr umgesetzt. Die größte Zeitschrift, Shônen Jump, verkauft jede Woche sechs Millionen Exemplare und eine monatliche Sammelausgabe im Taschenbuchformat erreicht Auflagen von bis zu 20 Millionen Exemplare. Die beliebtesten Manga-Serien erscheinen seit Anfang der 1990er-Jahre im Westen. Beispiele sind Dragonball und Shônen Jump. Aber auch wenn der Trend hier positiv ist, sind die Auflagen verglichen mit dem Heimatland noch spärlich: „Meist werden nur die Mangas im Westen publiziert, die dort passen. Viele in Japan beliebte Mangas kommen niemals hier her – denn sie sind merkwürdig, zu lang oder zu einfach gezeichnet“, erklärt Zimeon Lundström, der extra Japanisch gelernt hat, um auch nicht-übersetzte Mangas lesen zu können. AM 9. JUNI fiel der Startschuss – aber für die deutschen Zeitungen und Zeitschriften hat die Fußballweltmeisterschaft 2006 längst begonnen. Ganz besonders ins Zeug legen sich naturgemäß die Redaktionen an den zwölf Austragungsorten der Spiele. In Hannover beispielsweise plant die Verlagsgesellschaft Madsack (unter anderem Hannoversche Allgemeine und Neue Presse), während der WM 29 Mal ein mindestens 16-seitiges Magazin im halben Format neben der Zeitung herauszugeben. Bunt, informativ, sportlich und unterhaltsam soll es werden – und alle die Berichte enthalten, die den Weg nicht mehr rechtzeitig bis zum Andruck ins Hauptprodukt fanden. Denn die FIFA macht mit den vielen späten Anstoßzeiten den Tageszeitungen die Arbeit nicht eben leicht: Rund die Hälfte der Begegnungen wird erst um 21 Uhr angepfiffen. Wehe, da geht ein Spiel noch in die Verlängerung oder muss gar durch Elfmeterschießen entschieden werden. Ein eigenes Produkt kündigt auch die Main Post in Würzburg an, hier soll es 27 Mal eine Kleine Main Post im Tabloidformat zusätzlich geben. Die Extra-WM-Zeitung bleibt zwar die Ausnahme, aber für ein eigenes SportZeitungsbuch dürfte es von Juni bis Juli allemal reichen: Im Schnitt wollen die Regionalzeitungen immerhin sechs bis acht Seiten täglich über die WM berichten. Überregionale Titel wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung planen, hieß es bei einem Informationstag des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), sogar bis zu zwölf Seiten Sport – allein zehn davon sind für König Fußball reserviert. Für die Verlage bedeuten Großereignisse wie die Fußball-WM oder auch die Olympischen Spiele einen erheblichen logistischen, finanziellen und personellen Aufwand. Der Einsatz lohnt Anja Pasquay ANJA PASQUAY ist Pressereferentin beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) S Leser jeden Alters WM-Gold für die Zeitungen FOTO: BDZV irrend, fantasierend, zufällig“ und „ga“ bedeutet ganz einfach „Bild“. Das Wort wurde vom Holzschnittkünstler Hokusai (1760-1849) als Titel für eine Sketchsammlung geschöpft. Im heutigen Japanisch bedeutet es „Comic-Zeitschrift“. Mangas existierten schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Aber erst nach dem Krieg entstanden die Mangas, wie wir sie heute kennen – dank einer äußerst kreativen Person: Osamu Tezuka (1926-1989) schuf während seines Lebens mehr als zehn Regalmeter Comics, etwa 150 000 Seiten. „Er war es, der die großen Augen erfand – inspiriert von allen süßen Kaninchen und Rehen in Disneys Schneewittchen – und die subjektivistische und filmische Erzähltechnik, die heute Manga-Alltag ist“, erklärt Zimeon Lundström. sca papergram no 2 › 2006 19 Der Magazin David Hepworth, geboren 1950, begann seine berufliche Laufbahn als Lehrer. Danach arbeitete er bei NME, Sounds, Smash Hits und gründete Just Seventeen. Verlagschef von EMAP Consumer Magazines. Heute unabhängiger Verleger und Eigentümer von Development Hell (Words). 20 sca papergram no 2 › 2006 mann Wer in Großbritannien ein Unterhaltungs- oder Musikmagazin kauft, kann ziemlich sicher sein, dass David Hepworth irgendwo auf dem Weg zum Zeitungsregal die Finger mit im Spiel hatte. Der Journalist und Musikkenner hat in den letzten zwei Jahrzehnten an der Entstehung der erfolgreichsten Magazine mitgearbeitet VON Elaine McClarence FOTO Privat DAVID HEPWORTH wurde 1950 in York- shire geboren. Er arbeitete eine Zeit lang als Lehrer, bevor er in die Welt der Musikzeitschriften eintauchte und zunächst für NME (New Musical Express) und Sounds arbeitete. 1979 kam er zur eben lancierten Smash Hits, wo er nach nur zwei Jahren den Chefredakteurssessel erobert hatte. Diese Position fungierte dann als Sprungbrett in eine Karriere, die von der Entstehung der einen erfolgreichen Zeitschrift nach der anderen geprägt ist. Hepworth ist der einzige, der vom Verein der britischen Zeitschriftenverleger (Periodical Publishers Association) sowohl zum Autor als auch zum Redakteur des Jahres erkoren wurde. 1983 stellte David Hepworth das Magazin Just Seventeen vor, das sich unter TeenieMädchen noch immer unmäßiger Beliebtheit erfreut. Zwei Jahre danach kam Q für eine erwachsenere Zielgruppe, gefolgt 1987 von More und 1988 von Empire. Als Verlagschef von EMAP Consumer Magazines arbeitete Hepworth an der Neu-Positionierung und Neulancierung von Titeln wie FHM, Elle und Kerrang mit. Verlagsflucht Liebt die Debatte In den kommenden Jahren will David Hepworth vor allem Development Hell aufbauen. Aber er hat immer viele Eisen gleichzeitig im Feuer und tritt häufig öffentlich stolzesten bin, für die Öffentlichkeit meist völlig uninteressant. Es geht um Rubriken, Konzepte und Stile – Dinge, die für den gewöhnlichen Leser keine Bedeutung haben. In Heat gibt es beispielsweise eine Kolumne unter dem Titel Say What? (Was denn?) – mit Unterrubriken wie overpaid, oversexed, overheard (überteuert, über-sexualisiert, zufällig gehört). Es ist klasse, dass diese immer noch da sind, obwohl mir die Idee schon vor über fünf Jahren kam. Und dass die Idee in 30 Sekunden entstand macht das Ganze nur noch besser.“ Umsetzung ist alles David Hepworth gesteht zu, dass ihm so manche Zeitschriftenidee durch die Lappen gegangen ist. „Verpasste Chancen? Sicher hunderte! Der einzige Filter, den ich benützt habe war: ,Warum jetzt? Warum dies? Warum ich?‘ Was immer man herausbringt, es gibt garantiert jemanden, der behauptet, das wäre seine Idee gewesen und er hätte sie bereits vor Jahren vorgestellt.“ Er zitiert Felix Dennis, Amateurpoet und Unternehmer, Gründer eines weiteren britischen Verlagshauses – Dennis Publishing. „Felix „Ideen gibt es unendlich viele. Das Seltene ist die Umsetzung. Ich denke, darin liegt ein großes Stück Wahrheit“ auf, in Funk und Fernsehen sowie als Kolumnist. 2004 gab er das Buch The Secret History of Entertainment (Die geheime Geschichte der Unterhaltungswelt) heraus. Was findet er von all seinen Errungenschaften am besten? „Ach, ich habe an Massenweise Zeitschriften mitgearbeitet, die entstehen und sterben wieder. Um ehrlich zu sein sind die Dinge, über die ich am sagt, Ideen gibt es unendlich viele. Das Seltene ist die Umsetzung. Ich denke, darin liegt ein großes Stück Wahrheit. Hunderte Menschen sind mit Zeitschriftenideen zu mir gekommen, und ich habe zu allem ,nein‘ gesagt. Das braucht nicht bedeuten, dass das schlechte Ideen waren. Es bedeutet lediglich, dass ich nicht daran glaubte, dass sie sie verwirklichen würden.“ S Mit seinem neuesten, vor drei Jahren lancierten Projekt – Word – ist David Hepworth in die Welt der Autorenverleger zurückgekehrt. Im Rahmen seines Verlages Development Hell arbeitet er mit einer Reihe anderer führender Journalisten zusammen, die sich als „Flüchtlinge aus der Welt der Großverlage“ bezeichnen. Word ist eine Monatszeitschrift für Musik und Unterhaltung. Jede Ausgabe enthält eine Gratis-CD, genannt Word Of Mouth, die für sich in Anspruch nimmt, die besten neuen Talente vorzustellen. Word ist als die Zeitschrift für „diejenigen, die zu alt sind für NME und zu hip für Q“ beschrieben worden. Seine Erfahrung und sein Interesse an der Musikindustrie haben David Hepworth zu einem scharfsichtigen Beobachter gemacht. „Die Musikindustrie wächst. Nicht sie, sondern die Plattenindustrie geht auf dem Zahnfleisch“, sagt er. „Die Plattenfirmen haben früher ungeheure Vorteile aus der technischen Entwicklung gezogen. Nun sind sie deren Opfer. Das wird sich wieder ändern, aber in Zukunft werden sich weniger Künstler und Plattenindustriebosse im Geld wälzen“, glaubt David Hepworth. Im nächsten Atemzug zählt er auf, was ihn am meisten erzürnt: a.) die viele Zeit und das viele Geld, das in Platten investiert wird, die besser niemals erschienen wären; b.) das Überangebot an Produkten, das die Nachfrage schier ertränkt; c.) die unglaubliche Selbstzufriedenheit von Leuten, die überhaupt nichts auf dem Kasten haben – und die Zurückhaltung von denen, die etwas können; d.) die Tatsache, dass Musik immer mehr über Bilder und immer weniger über Töne definiert wird. sca papergram no 2 › 2006 21 EXTRABLATT AUF der Leinwand Im Kino ist der Journalist ein häufig vorkommender Protagonist. Aber wie wird sein Arbeitsplatz, die Zeitungsredaktion, die Druckerei, im Film portraitiert? Gehen Sie mit Papergram ins Kino VON Henrik Emilson FOTO Sjöberg Classic Picture 22 sca papergram no 2 › 2006 EIN BRITISCHES SCHLACHTSCHIFF erhält von zwei chinesischen Militärflugzeugen eine Warnung: Es befinde sich auf chinesischem Territorium. Die Briten kontrollieren auf ihrem Radar, der zeigt, dass sie sich in internationalem Gewässer befinden. Die Chinesen greifen das Schlachtschiff an, versenken es. Gleichzeitig in Hamburg: Der Medienmagnat Elliot Carver arbeitet am Cover für die morgige Auflage von Tomorrow. Er schreibt als Schlagzeile: „Britische Seeleute getötet“. Ändert dann in: „Britische Seeleute ermordet“. Er weiß offenbar mehr über die Lage in China als sonst jemand. Außerdem weiß er alles vor allen anderen. „Welche Nachrichten machen wir heute?“, fragt er zufrieden auf der Redaktionskonferenz. Und er meint, was er sagt, denn es ist Carver selbst, der den Angriff in China verursacht hat – durch die Manipulie- Klassiker par excellance Das Thema in Tomorrow never dies ist, dass wer die Information kontrolliert auch die Macht kontrollieren kann. „Cäsar hatte seine Legionäre, Napoleon seine Armeen, ich habe meine Divisionen Fernsehen, Tageszeitungen und Magazine“, sagt Carver in einer Szene. Parallelen zu Silvio Berlusconi in Italien sind selbstverständlich möglich, auch wenn der Film ihn nicht zum direkten Vorbild hat. Ein Film mit lebensgetreuer Vorlage ist hingegen Citizen Kane von 1941. Das Spielfilmdebut von Orson Welles zählt zu den besten Filmen der Filmgeschichte. Es ist stark von William Randolph Hearst inspiriert, der, ebenso wie Charles Foster Kane im Film, mehrere amerikanische Tageszeitungen besaß und enorm reich wurde. Beide bauen große Traumpaläste mit Statuen, Kunst und Tierpark. Beide versuchen mit Hilfe ihrer Zeitungen die Karrieren ihrer Frauen in Theater, Film und Oper zu befördern. Beide sind auch die Schöpfer des so genannten Sensationsjournalismus. „Eine große Überschrift macht eine Nachricht wichtig“, stellt Kane im Film fest. Je mehr Kane seine Ideale bricht und die Rezensionen über die Vorstellungen seiner Frau frisiert, desto mehr geht es bergab mit ihm. Schließlich stirbt er einsam in seinem Palast, sein letztes Wort flüsternd: Rose- bud. Das einzige, was er je geliebt hat: seinen Schlitten. Vor allem die Warheit Über 50 Jahre später leben die großen Schlagzeilen und Sensationen in der Komödie The Paper weiter. Der Zuschauer erlebt einen Arbeitstag bei der Tabloidzeitung New York Sun. Früh am morgen werden zwei schwarze Jugendliche in der Nähe eines Autos gesehen, in dem zwei weiße Männer – erschossen – sitzen. Die Jugendlichen werden festgenommen und alle sehen sie als die Schuldigen eines Hassverbrechens an. Alle, außer dem Redakteur Henry Hackett, der die Frage auf der Redaktionskonferenz stellt. „Aber, wenn sie unschuldig sind?“ „Heute in den Schmutz ziehen, morgen reinwaschen – da freuen sich alle Beteiligten“, sagt sein abgebrühter Chef und die Zeitung berichtet unter der Prämisse, dass die beiden schuldig sind. Der Slogan des Films ist „Lass’ die Wahrheit niemals einer guten Story im Weg stehen“, aber Hackett hat so ein Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Nach eigener Recherche und nachdem er spät am Abend einen Polizisten auf ein Zitat festgenagelt hat, stellt sich heraus, dass der Mord auf das Konto der Maffia geht. Die Jugendlichen sind unschuldig. Hackett und sein Kollege rennen in die Druckerei, wo die Zeitung bereits im Druck ist. „Sag es, sag es schon, jetzt hast du die Chance. Du musst es sagen“, bettelt der Kollege. Hackett holt tief Luft und schreit die Traumreplik eines jeden Redakteurs: „Haltet die Pressen an!“ Journalistisches Handbuch Genau wie The Paper handelt Die Unbestechlichen (All the Presidents Men) von der Jagd auf die Wahrheit. Hier liegt der Handlung eine wahre Geschichte zugrunde, nämlich der Weg der Washington Post-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein zur Enthüllung der Watergate-Affäre. Obwohl wir das Ende kennen – eine Weltsensation – ist der Film enorm spannend; und zugleich ein journalistisches Handbuch sowie Vorbild für eine gut funktionierende Zeitungsredaktion. In einer Szene, in der „Die drucken heutzutage aber auch wirklich alles“ JAMES BOND I TOMORROW NEVER DIES sca papergram no 2 › 2006 23 S rung eines Navigationssatelliten. Nur ein einziger Mann kann seinen Weg zur Weltherrschaft aufhalten... In Tomorrow never dies begibt sich Agent 007, James Bond, in die Welt der Medien und den Kampf gegen falsche und erfundene Nachrichten. Obwohl Carver Bonds Nachruf bereits skizziert hat, gelingt es Bond immer wieder, aus der Gefahr zu entkommen. In einer Szene kämpft er gegen Carvers Männer hoch über einer Druckpresse und schubst einen von ihnen zwischen die Walzen, die die neue Zeitung drucken. Die Zeitungsseiten färben sich rot. „Die drucken heutzutage aber auch wirklich alles“, stellt Bond eiskalt fest und korrigiert den Sitz seiner Krawatte. TOMORROW NEVER DIES 1997 Regie Roger Spottiswoode Mit Pierce Brosnan, Jonathan Pryce, Michelle Yeoh DIE UNBESTECHLICHEN 1976 Regie Alan J Pakula Mit Robert Redford, Dustin Hoffman, Jason Robards LARRY FLYNT – DIE NACKTE WAHRHEIT 1996 Regie Milos Forman Mit Woody Harelson, Courtney Love CITIZEN KANE 1941 Regie Orson Welles Mit Orson Welles, Everett Sloane, Dorothy Comingore THE PAPER 24 sca papergram no 2 › 2006 Die erste Ausgabe geht schlecht, aber ein Telefongespräch mit einem Paparazzifotografen wendet das Glück. Er hat Bilder von Jackie Onassis – nackt. Zwei Millionen Exemplare später ist der Riesenverlag Larry Flynt Publications ein Faktum und Flynt selbst mehrfacher Dollarmillionär. Weil er ständig gegen Tabus verstößt und Bilder und Witze in der Zeitschrift zunehmend gröber werden, landet er dauernd vor Gericht. In einem Anflug von Religiosität möchte er damit aufhören, Frauen als Objekte zu zeigen. Er macht den vielleicht skandalösesten Magazinumschlag aller Zeiten – das Bein einer Frau ragt aus einem Fleischwolf heraus. „Ich wollte nur illustrieren, dass ich die Körper von Frauen nicht mehr ausnutzen wollte“, sagt Flynt. Auf die Spitze getrieben wird alles durch Obwohl wir das Ende kennen – eine Weltsensation – ist der Film enorm spannend Wächter der Meinungsfreiheit Zeitungsarbeit handelt nicht nur darum, Präsidenten zu Fall zu bringen, korrekte Zitate zu recherchieren und seine Quellen zu schützen. Es geht auch um Sex, Sex und noch einmal Sex. In Milos Formans Larry Flynt – die nackte Wahrheit treffen wir den Gründer der Pornozeitschrift Hustler. Als 20-Jähriger betreibt er einen Stripp-Klub, aber die Geschäfte gehen schleppend. Larry kommt auf die Idee, einen Newsletter herauszugeben, um Publikum anzulocken. Im Unterschied zu der bereits etablierten Zeitschrift Playboy setzt Flynt ganz auf das Bildmaterial. Ihm ist nämlich klar, was alle Männer wissen, keiner jedoch zugibt: niemand liest Playboy wegen der Artikel. Bald ist aus dem Newsletter eine Zeitschrift geworden. Die meisten Mitarbeiter sind seine Freunde und Amateure: „Wie viele Seiten haben wir?“ „105“ „Nicht gut. 106 oder 104 ist gut.“ „Faszinieren dich diese Zahlen irgendwie?“ „Wir brauchen eine gerade Anzahl. Ein Blatt Papier hat zwei Seiten.“ die Veröffentlichung einer satirischen Anzeige über den Prediger Jerry Falwell. Der Prozess geht durch sämtliche Instanzen, bis zum höchsten Gerichtshof. In der Schlussszene liegt Flynt allein in seinem enormen Haus zu Bett. Seine Frau ist an einer Überdosis gestorben. Er selbst ist seit einem misslungenen Mordversuch viele Jahre vorher querschnittsgelähmt (an Sex ist ironischer Weise nicht zu denken). Sein junger Anwalt ruft an und liest das Gerichtsurteil vor. „Das Gesetz über die Meinungsfreiheit schützt die Freiheit des Gedankens. Meinungsfreiheit ist mehr als ein Recht des Einzelnen. Meinungsfreiheit ist ein Werkzeug der Wahrheit. Das Gesetz umfasst jeden Beitrag zur allgemeinen Debatte.“ „Haben wir gewonnen?” „Wir haben gewonnen.“ S 1994 Regie Ron Howard Mit Michael Keaton, Robert Duvall, Glenn Close Woodward und Bernstein mit ihrem harten Redakteur Ben Bradlee sprechen, lernen wir, was zum Erfolg in der Branche nötig ist: Woodward: Wir sind auf der Jagd nach einer Liste der Komiteemitarbeiter. Bradlee: Wo ist die? Wie wollt ihr sie bekommen? Woodward: Bisher haben wir noch kein Glück gehabt. Bradlee: Sucht weiter. Die Unbestechlichen vermittelt ein fast dokumentarisches Gefühl. Er ist nicht mit Musik unterlegt sondern die einzigen Geräusche, die in der Redaktion zu hören sind, sind Telefone, Stimmen und Schreibmaschinengeklapper. Dustin Hoffman und Robert Redford, alias Bernstein und Woodward, verbrachten viele Monate in der Redaktion, um sich in ihre Rollen einzuleben. Die enormen Redaktionsräume der Washington Post wurden in Hollywood originalgetreu nachgebaut, wofür zwei Studios benötigt wurden. Die Kulisse ist exakt kopiert – Regisseur Alan J. Pakula ließ sogar Abfall aus den Papierkörben der Zeitung ins Studio bringen. Wenn schon, denn schon, wenn man einen Film über die Wahrheit macht. TRENDS VON Luise Steinberger Kleineres Format auf Dauer wenig rentabel Life-Style-Magazin von Wall Street Journal gang zum Tabloidformat keine dauerhaften Auflagengewinne. Viele Zeitungen konnten im ersten Jahr ihre Auflage um zehn bis 15 Prozent steigern. Nach mehreren Jahren ist davon, laut einer Untersuchung unter den rund 18 000 Mitgliedsverlagen von WAN, im besten Fall ein Prozent geblieben. „Das Endergebnis ist höchstens ein Prozent, oder auch eine stabile Verkaufslage“, erklärt WAN-Strategieberater Jim Chisholm. „Viele Verleger, die vorher mit Auflagenrückgängen konfrontiert waren, sehen dies jedoch als ausreichenden Erfolg.“ WAN hält das kleinere Format insgesamt auch für gut, da die Leser die handlicheren Zeitungen den großformatigen vorziehen. versucht erneut, ihrer britischen Konkurrentin Financial Times Leser streitig zu machen, diesmal mit einem Life-Style-Magazin als Köder. Die Nullnummer unter dem Titel Style Journal erschien Ende April. Chefredakteur Peter Howarth (früher Esquire) beschreibt das Monatsmagazin so: „Style Journal wendet sich ohne Scham an Beschlussfasser im besten Markenanzug, die die besten Autos fahren und die erlesensten Weine trinken.“ Ein Zeitungsleser wiegt so viel wie 100 Online-Leser DIE ONLINE-VERSIONEN von Tageszeitungen brau- S chen bis zu 100 extra Leser, um das gleiche Resultat zu erzielen wie ihre Vettern aus Papier. Das zeigt eine Analyse der World Association of Newspapers (WAN). „Je mehr Leser ihre Nachrichten online statt auf Papier lesen, desto mehr muss die Zeitungsbranche ihre Anzeigeneinnahmen steigern. Sonst sterben die Zeitungen aus“, erklärt Vincent Crosbie, Teilhaber des amerikanischen Medienstrategieunternehmens Borrell Associates. Viele wollen online Nachrichten konsumieren, aber keiner will dafür bezahlen. Und noch immer seien es wenige Unternehmen, die in Online-Ausgaben annoncieren möchten. Die Strategie der britischen Financial Times, kombinierte Anzeigenpakete für die Papier- und Onlineausgaben anzubieten hält Crosbie für einen gangbaren Weg, da sie den gesamten Anzeigeneinnahmenposten steigere. S DIE EUROPÄISCHE AUSGABE des Wall Street Journals S LAUT DER WORLD ASSOCIATION OF NEWSPAPERS (WAN) bringt der Über- „Wer ein Publikum mit seinen Inhalten anspricht, stärkt seine Marke. Dadurch wird eine noch größere Publikumsgruppe dann zur Lesergemeinde gehören wollen“ „Die Medien müssen die Amateure positiv sehen“ IN EINER KOLUMNE in der britischen Finanzzeitung S Financial Times fordert der Geschäftsführer der Nachrichtenagentur Reuters, Tom Glocer, die traditionelle Medienwelt auf, neue Publikationsformen ernst zu nehmen. Nachdem Blogs innerhalb kurzer Zeit zu einem festen Bestandteil der Medienflora geworden sind, gehe der Trend derzeit zur Teilnahme von Amateuren. „Medienunternehmen müssen diejenigen sein, die die Inhalte säen“, schreibt Tom Glocer. „Um Zugang zu den neuen wertvollen Inhalten zu erhalten, müssen wir eine Publikumsgruppe um uns herum versammeln. Um dies zu erreichen, müssen wir selbst Inhalte von hoher Qualität produzieren, mit denen die Menschen interagieren können. Wer ein Publikum mit seinen Inhalten anspricht, stärkt seine Marke. Dadurch wird eine noch größere Publikumsgruppe dann zur Lesergemeinde gehören wollen“. Die ganze Kolumne finden Sie unter: //news.ft.com/cms/s/e2bba176-ae0a-11da-8ffb-0000779e2340.html sca papergram no 2 › 2006 25 NACHRICHTEN von oben L´Osservatore Romano heißt eine Tageszeitung mit dem Auftrag, die Stimme des Papstes zu verbreiten. Ihre intensivste Arbeitsphase erlebte die Redaktion in der Nacht vor dem Tod von Papst Johannes Paul II. Papergram sprach mit einem Redakteur VON Maria Carlqvist FOTO Scanpix IN DER NACHT ZUM 2. April 2005 waren die Räume des L’Osservatore Romano hell erleuchtet. Die Redakteure der Vatikan-Tageszeitung arbeiteten 24 Stunden lang ununterbrochen an einer NachrufAusgabe auf den im Sterben liegenden Papst Johannes Paul II. „Weil niemand vorher daran denken wollte, dass der Papst sterben könnte, hatten wir kein Material im Stehsatz. Als klar war, es war nur noch eine Frage von Stunden, setzten wir alle erreichbaren Ressourcen ein, um rechtzeitig fertig zu werden“, erklärt einer der Redakteure. Es gelang, dank des umfas- 26 sca papergram no 2 › 2006 senden Materials, das im Vatikan archiviert wird. Nur Minuten nach dem Ableben des Papstes um 21.37 Uhr konnten die Katholiken aus aller Welt, die sich auf dem Petersplatz versammelt hatten, die Sonderausgabe erstehen. Die Zeitung war innerhalb kürzester Zeit vergriffen. „Vor der Redaktion drängten sich die Menschen und die erste Auflage war sofort ausverkauft. Später wurde sie für hunderte Dollar gehandelt“, erklärt der Redakteur, der seinen Namen nicht preisgeben möchte. „Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht die Botschaft des Papstes. Ich habe die Erlaubnis erhalten, mit Ihnen zu sprechen, meine eigene Person aber im Hintergrund zu halten“, erklärt er. Aus dem gleichen Grund sind die meisten Artikel in der Zeitung auch nicht namentlich gekennzeichnet. Sieben Sprachen L´Osservatore Romano wird von der Vatikandruckerei herausgegeben. Ihr großer Auftrag ist die Verbreitung der Stimme des Papstes in aller Welt. Die Zeitung erscheint täglich auf Italienisch und wird in einer Wochenausgabe in sieben Sprachen „Vor der Redaktion drängten sich die Menschen und die erste Auflage war sofort ausverkauft“ Globales Engagement Seit ihrer Gründung im Jahr 1861 hat die Zeitung zehn Päpste erlebt. L´ Osservatore Romano wurde von einer Gruppe Intellektueller ins Leben gerufen, die die Stellung der Kirche in Italien stärken wollten. Päpstliche Bullen Heute findet sie ihre Leserkreis unter den Priestern des Landes, Parlamentsabgeordneten, Bischöfen und Kardinälen – und findet sich höchst wahrscheinlich auch auf dem Tisch des Papstes. „Der Papst selbst schreibt nicht in der Zeitung. Aber wir publizieren seine sämtlichen Bullen Wort für Wort, und seine Sicht auf die Geschehnisse durchzieht unsere Berichterstattung“, sagt der Redakteur. Im Unterschied zu den meisten Tageszeitungen erscheint L´Osservatore Romano am Nachmittag. So ist es immer gewesen und man sieht keinen Grund für eine Änderung, erklärt der Redakteur. Um vier Uhr erscheinen die neuesten Nachrichten in einer Papierversion und im Internet. „Die Nachmittagsausgabe ist der Grund dafür, dass wir täglich zwei Redaktionskonferenzen haben – am Morgen zu Beginn des Arbeitstages und am Nachmittag, um die Ausgabe des nächsten Tages zu planen.“ Am 27.-28. März 2006 (Doppeldatum wegen des Erscheinens am Nachmittag) war der Aufmacher ein Bulletin von Papst Benedikt XVI. zur Erinnerung an alle in Ausübung ihres Auftrages in aller Welt im vergangenen Jahr ums Leben gekommenen Missionare. Auf Seite eins war weiter über eine päpstliche Audienz für 15 neue Kardinäle zu lesen, über die Verurteilung der Gewalt in Weißrussland durch die EU und über einen Besuch des Papstes in einer Gemeinde in Rom. In der Zeitung finden sich weitere Kirchennachrichten sowie Berichterstattung aus Italien und der Welt. Die Sportseite berichtet von einem Marathon in Rom und ein politischer Artikel über Silvio Berlusconis Angriff auf Romano Prodi während einer Wahlkampfveranstaltung in Salerno. Seit die Autoren Nicola Zanchini und Giuseppe Bastia am 22. Juli 1861 die Ausgaberechte für L´Osservatore Romano beantragten ist viel passiert. Damals verkündete die Kopfzeile „L´Osservatore Romano – politisch moralische Zeitung“. Die Zielvorgaben waren deutlich propagandistisch und debattenorientiert. Es ging darum, Kräfte, die gegen das römische Reich und den Vatikan kämpften zu enttarnen und zu schwächen, die wichtigsten Geschehnisse auf Roms Straßen zu verfolgen, an die grundlegenden Werte des Katholizismus zu erinnern, die Pflichten für das Vaterland zu lehren und Kunst, Literatur und Wissenschaft zu beleuchten. Heute, 145 Jahre später, schreibt die Reaktion weniger über die Geschehnisse auf Roms Straßen und wird durch ihre InternetAusgabe zunehmend internationaler. Die Absicht, die Grundwerte der katholischen Kirche zu verteidigen, besteht jedoch unverändert. S zusammengefasst. Gut 20 Redakteure arbeiten in der Redaktion im Vatikan. „Die geografische Nähe zur Peterskirche und zur Leitung des Vatikans ist wichtig. Um die Stimme des Papstes in Artikeln und Bulletins verbreiten zu können, müssen wir zum Geschehen im Inneren der katholischen Welt engen Kontakt halten.“ Von Kirchendebatte und Gemeindegeschehen bis Außenpolitik und Wirtschaft im Vatikan, in Rom, Italien und der Welt reichen die Themen. „Wir berichten von den kleinen Konfliktherden, um die sich andere Zeitungen nicht kümmern. Sie schreiben über die großen Kriege wie den im Irak und übersehen eine Menge Geschehnisse in der Welt.“ L’Osservatore Romano will jedes Individuum hervorheben und „denen eine Stimme geben, die keine haben“. „Das kann der Maurer sein, der beim Kampf um das tägliche Brot von der Leiter fällt. Wir kooperieren mit einem Netzwerk von Nachrichtenagenturen und Autoren in der katholischen Welt. Durch örtliche Quellen stehen wir immer im Direktkontakt mit dem Geschehen“. Der Osservatore Romano publiziert täglich auch die Programmvorschauen für Radio Vatikan und den vatikaneigenen Fernsehkanal Telepace. Stimme des Papstes FAKTA: L´Osservatore Romano ist die Zeitung des Vatikanstaates. Sie erscheint täglich auf Italienisch und einmal pro Woche in sieben Sprachen. Sie beschäftigt gut 20 feste Redakteure sowie ein Netzwerk von Autoren in katholischen Gemeinden rund um in aller Welt. PREIS: ein Euro im Kiosk, Jahresabonnement 198 Euro im Vatikan, 475 Euro im Ausland. GRÜNDUNGSJAHR: 1861 AUFLAGE: 20 000 Exemplare sowie eine Internetausgabe sca papergram no 2 › 2006 27 SOMMERNACHT mit Bartkauz VON Göran Ekström des Monats. Fast die ganze Nacht über wird die Sonne über die unendlich scheinenden, weglosen Wälder in der nordschwedischen Provinz Jämtland scheinen. Am Rande eines Sumpfgebietes habe ich eben einen Baumstumpf entdeckt, in dem eine Bartkauz-Familie ihr Nest gebaut hat. Herr Bartkauz hat seiner Frau gerade eine Wühlmaus übergeben, ein ordentliches Abendbrot für eines der drei Jungen. Das Männchen bleibt noch eine ganze Weile auf dem Baumstumpf sitzen und beobachtet das Festmahl. Vielleicht ist er stolz, Vater zu sein? Er verfolgt das Resultat seines Wirkens als Familienversorger mit Interesse – obwohl ich sichtbar, aber unbeweglich, nur zehn Meter entfernt stehe. Unterdessen breitet sich langsam die junge Vorsommernacht im jämtländischen Wald aus. Die Aktivitäten der Nacht haben gerade begonnen. Eine wunderbare Tageszeit, mit spannendem Licht und Geschehnissen für den, der sich aufraffen kann, auf etwas Schlaf zu verzichten. lebt in den großen Nadelwaldgebieten der nördlichen Hemisphäre, sowohl in Nordamerika wie in Europa und Asien. Der unter Naturschutz stehende Vogel wird bis zu 70 Zentimeter lang. Das Männchen wiegt bis zu 880 Gramm, das Weibchen bis zu 1 200 Gramm. In Schweden gibt es zwischen 400 und 3 500 Käuze jährlich. Die große Variation kommt daher, dass sich die Nistverhältnisse von Jahr zu Jahr sehr unterscheiden. In den Wäldern von SCA nisten in einem einigermaßen guten Jahr mindestens 100 Pärchen. Die größte Bedrohung für die Bartkäuze geht von einer rücksichtslosen Waldabholzung aus, die die Nistvoraussetzungen stört, sowie vom unerlaubten Handel. Auch der Autoverkehr fordert große Opfer unter Bartkäuzen. Das zeigen die vielen beringten toten Vögel, die an Straßenrändern gefunden werden. 28 sca papergram no 2 › 2006 S DER BARTKAUZ (Strix nebulosa) S ES IST EIN HERRLICHER JUNIABEND, einer der ersten Tage LUISE STEINBERGER