Reise Gardasee 2-11
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Reise Gardasee 2-11
106 Reise Genuss-Garantie Der Lago di Garda ist mit 368 Quadratkilometern der größte See Italiens und gleich drei Provinzen haben ihre Anteile daran. Der nördliche Teil, wo die Hochburgen der Surfer-Kultur zu finden sind, gehört zum Trentino, während das westliche Ufer zur Lombardei zählt und die Ostseite zu Venetien. Genug Stoff also für Motorradrunden vom Feinsten. Zwar ist er noch weit weg und nur in der Ferne auszumachen, doch schon die erste Aussicht auf den Gardasee beeindruckt: Beherrscht wird der See von den bis dicht ans Wasser heranrückenden Berge. Im Osten schwingt sich das Monte-Baldo-Massiv bis auf 2218 Meter auf. Auf der Westseite wirken die aufragenden Berge des Brescianer Voralpenland wie eine natürliche Grenze. Während das nördliche Ende des See schon fast fjordartige Züge hat, wird die Landschaft zum Süden hin immer flacher. Doch auch in solch einer fantastischen Landschaft ist es am Wochenende voll und da haben wir erstmal gar keine Lust zu. Wir dirigieren die KTM Adventure erstmal zum abseits des Gardasees gelegenen Lago di Ledro. Es sind nur ein paar Kilometer bis zum kleinen, aber feinen Gewässer und auch die ersten Serpentinen sorgen für einen leckeren Vorgeschmack auf die kommenden Tage. Pizza und Wein am Abend machen unser Italienbild perfekt und wir können zufrieden in die Schlafsäcke huschen. Ein Gewitter in der Nacht konnte der Sonne den Morgen nicht verbieten und der neue Tag empfängt uns warm mit einem wolkenlosen Himmel. Faul räkeln wir uns nochmal im Schlafsack, doch die Neugier bekommt Überhand. Schon gestern haben wir auf der Karte den Monte di Tremalzo mit seiner ansprechenden Streckenführung entdeckt. Ehrlich gesagt, kannte ich Tremalzo nur als Namen einer Motorradhose. Das nach dem Beinkleid ein Berg benannt wurde… Nun ja, wir entfernen uns also noch weiter vom Gardasee und biegen irgendwann links ab und erreichen den Fuß der Pass-Straße. Es ist Sonntag und wir befürchten eine Möchtegern-Rossi-Invasion. Doch weit gefehlt: Völlig einsam zwirbeln wir die gut ausgebauten Kehren Richtung Passhöhe. Lediglich ein paar Mountainbiker strampeln sich in unserer Richtung ab – Schweiß fließt in Strömen. Doch für die Radfahrer lohnt sich die Qual, denn sie werden auf dem Scheitelpunkt auch mit einer Schotterabfahrt belohnt. Für Motorfahrzeuge ist dort Schicht, denn für motorisierte Biker ist die Strecke leider gesperrt. Egal, denn allein die Auffahrt ist mit prima Aussichten gespickt und der anschließende Cappu auf der Terrasse des Gasthauses erfreut die Sinne ebenfalls. Wir spulen die Kurven wieder abwärts und ein paar Kilometer später stehen Reise Gassi gehen: In den Städtchen finden sich echte Schmuckstücke für Architektur-Fans. wir zum ersten Mal am Ufer des Lago di Garda. Beeindruckt von der Größe, lassen wir das Schauspiel von schroffen Felswänden und tiefem Blau auf uns einwirken. Wir rauschen mit der Kati über die berühmte Straße am westlichen Ufer des Sees. Gardesana Occidentale heißt die gut ausgebaute Trasse, die sich immer hart am Ufer entlang windet. Zahlreiche Tunnel, Galerien und immer wieder beeindruckende Aussichten auf Italiens größtes Gewässer, lassen keine Langeweile aufkommen. In Gargnano zuckt der Daumen zum Blinkerschalter und gemächlich tuckert die 990er in das kleine Uferstädtchen. Wir parken direkt am kleinen, von Orangenbäumen umringten malerischen Hafen und gönnen uns ein Eis. Das Eis ist großartig und zwischen Erdbeeren und Schokostreusel lässt sich die Szenerie ganz unauffällig beobachten. Einheimische und Touristen scheinen sich in dem Örtchen gleichermaßen wohl zu fühlen, Gargnano hat sich seinen Charme bewahrt. Zwar findet man auch dort Postkartenstände und Souvenirs, doch der Ort mit seinen wunderschönen Gassen und alten verzierten Häuschen strahlt urwüchsige italienische Atmosphäre aus. Um auch ja das Gewicht zu halten, löffeln wir die Becher bis auf den letzten Eiskristall leer. Doch auch mit vollem Magen und genüsslichem Verlangen nach einer Siesta lässt uns eine Abzweigung nicht in Ruhe: Nur ein paar Kilometer zurück ging es von der 107 Achtung Engstelle: Auf der Hochebene lassen sich fantastische Strecken erkunden. Pause mit Aussicht: In den kleinen Häfen lässt es sich prima abhängen. Uferstraße hoch hinaus auf die Hochebene von Tremosine. Das muss sein, zu verführerisch wirkte die steil nach oben führende Strecke. Wir finden den Abzweig und sind fasziniert von der Routenführung, die noch oberhalb der Uferstraße eng am Fels nach oben geht. Dazu bekommen wir eine geniale Aussicht auf den See und das gegenüberliegende Ufer mit den sanften grünen Hängen des Monte Baldo geboten. Schließlich knickt das Asphaltband ab und wir zeigen dem See das Rücklicht. Doch schon kommen wir zu neuen Highlights, denn Natur und Straßenbauer haben keine Mühen gescheut, um Bikern eine gute Show zu bieten. Das Asphaltband windet sich durch eine enge Schlucht, die von der Sonne wohl selten verwöhnt wird. Immer enger wird der Raum für Straße, Maschine und uns. Die Felsen drängen sich aus allen Richtungen weiter an den Straßenrand. Eine Serpentine führt uns raus aus der Felsenge und der blaue Himmel spannt sich wieder über uns. Am späten Nachmittag gönnen wir uns und der KTM eine Pause. In der Surferhochburg Torbole spazieren wir am Ufer entlang und beobachten fasziniert die flitzenden Bretter und ihre Passagiere, genießen die Gischt, die einen feuchten Film auf unserer Haut hinterlässt. Wir verlassen den Ledrosee und beschließen, unser neues Basiscamp in Toscolano-Maderno aufzuschlagen. Der Ort liegt fast in der Mitte des Westufers und bietet sich prima an, denn von dort aus können wir mit der Fähre zum Ostu- 108 Reise Alpen-Flair: Die Auffahrt zum Tremalzo sorgt für Kurvenspaß satt. Eiskalt: Das Wasser in den Bergen ist sehr erfrischend. fer übersetzen. Der Plan, von dort aus auf dem Weg zum Lago di Valvestino ein zweites Frühstück einzunehmen, wird von der Straße gehörig vereitelt. So eng verschnörkelt, exakt platziert zwischen Felsen und Abgrund, sah die Route auf der Karte nicht aus. Kaum eine Gerade stört die Kurvenorgie. Ein Kreisverkehr beendet den Kurvenrausch und wir müssen uns orientieren. Mit immer noch knurrenden Mägen beschließen wir, Richtung Cima Rest zu fahren. Bis Magasa macht die kleine Straße einfach nur Spaß, doch die letzen paar Kilometer Asphalt bevor wir die Hochebene Cima Rest erreichen, sind nicht zu toppen. Extrem eng, schlank an den Fels gelegt, windet sich das bröckelige Teerband nach oben. Nur ein paar Steinpöller übernehmen die Aufgabe einer Streckensicherung – ein heuchlerischer Versuch. Der Blick ins Tal erinnert eher an Regenwald als an Italien, so dicht ist der Bewuchs. Kaum irgendwas außer Grün ist zu erkennen. Wir gönnen uns und der Adventure erstmal eine Pause. In der Umgebung sind merkwürdige Heuschober zu entdecken, die angeblich ungarischer Herkunft sind und unter Denkmalschutz stehen. Von der Terrasse aus, genießen wir den Blick in die andere Richtung – Dschungel pur. Die aufziehende Gewitterfront lässt uns aber schnell an den Rückweg denken. Am nächsten Morgen ist der Himmel wieder blau und wir haben noch genug „Kurven-Koks“ vom Vortag in der Umlaufbahn und wollen den Fokus heute auf ein wenig Kultur legen. Die auf einer Halbinsel liegende Stadt Sirmione mit ihrer beeindruckenden Skaligerfestung ist schnell erreicht. Die Burg zieht uns mit ihren Türmchen und dicken Mauern in den Bann. Nach dem Stadttor versetzen uns die mittelalterlichen Häuschen in den engen Gassen in einen andere Welt. Wir schlendern umher, genießen ein Eis mit Aussicht auf den See und hängen noch ein wenig ab, bevor wir die Kati wieder auf Touren bringen. Verwinkelt: In den Gassen mancher Dörfer haben Autos keine Chance. Noch einen Abend verbringen wir am Westufer, bevor wir „rübermachen“ auf die Ostseite. Das östliche Gegenstück zur Gardesana Occidentale heißt Gardesana Orientale und führt uns am Ufer Richtung Norden. Gewaltig nah ragt auf der rechten Seite die Bergkette des Monte Baldo auf und rückt die Ortschaften ganz nah an den See. Kaum Platz bleibt auf dieser Seite für Städte und Campingplätze. Und so sind wir freudig überrascht, als wir mehr durch Zufall den kleinen Platz in Malcesine finden. Der Ort wirkt noch mittelalterlicher als Sirmione: Gassen, Steinpflaster, kleine verwinkelte Ecken Beherrschend: Die Burg ist in Sirmione das zentrale Bauwerk. Reise 109 Eingerahmt: Von Riva del Garda aus zeigt der See sein fjordartiges Gesicht. Feiste Farben: Der Gardasee überrascht mit bunten Bildern. und nette Bars und Cafés die zum Platz nehmen animieren. Die Balkone sind bunt mit Blumen geschmückt und heben sich deutlich vom grau-schwarzen Steinpflaster und den rauen Häusermauern ab. Zwar sind viele Häuser nett aufbereitet, aber bei etlichen schreitet der Verfall voran. Vielleicht ist es gerade diese Mischung, die Malcesines Flair ausmacht. Klar, Nippesbuden mit Andenken gibt es hier genauso wie an jedem See im Sauerland, aber vor allem frühmorgens oder am Abend, wenn die Touristen weg sind, ist das Schlendern durch die Sträßchen und das Abhängen am Hafen besonders schön. Meinen Lieblingsort finden wir allerdings weiter oben, denn auch die Burg ist einen Besuch wert. Von dort hat man eine fantastische Aussicht auf den See. Doch die Nähe zur Stadt hat ihre Wirkung. Erst spät am nächsten Morgen, und noch mit einer kleine Schmiede oder ähnlichem im Kopf, lassen wir die KTM an und machen uns auf den Weg, die MonteBaldo Höhenstraße zu erkunden. Torbole lassen wir flott hinter uns, krabbeln mit der Kati von der anderen Seite auf die Gebirgskette. Ab Mori geht es richtig rund und wir hangeln uns von Kurve zu Kurve, von Dorf zu Dorf immer weiter über den Gebirgszug. Schnelle Stücke mit satten Kurven wechseln sich mit Serpentinen ab, schlechter Straßenbelag mit Gutem. Die Landschaft ist ein stetiger Wechsel zwischen sanften Wiesen, markanten Felswänden und alpinen Gipfeln. Manchmal ist es so eng, dass ich vor jeder Kurve hupe, um die KTM nicht zur Kühlerfigur eines flotten Fiats zu degradieren. Eine Sperrung in Richtung Spiazzi macht uns einen Strich durch die Rechnung. Doch während wir noch die Karte studieren, scheren sich mehrere Radfahrer einen feuchten Kehricht um die Sperrung und fahren durch. Während wir uns die Sache überlegen, heizen zwei Speed-Triple-Fahrer ebenfalls hin- durch und die Entscheidung ist gefallen. Zwei Kilometer sind wir wieder legal unterwegs, die paar Steinbrocken auf der Straße ließen sich prima umfahren. Das Asphaltband bleibt klein, schmal und einsam. Wir passieren San Zeno und nehmen Kurs Richtung Prada. Die kleine Straße mutiert nun aber immer mehr in Richtung Offroad, denn die Löcher nehmen mehr Fläche ein als der Aspalt selbst. Sicher bin ich mir nicht mehr, ob wir noch auf dem rechten Weg sind. Wir sind noch ziemlich hoch und trotzdem können wir hin und wieder einen Blick auf den See erhaschen. Die Straße wird immer enger – und steiler. An dieser Stelle hatten die Straßenbauer wohl nur noch einen Gedanken: „Feierabend“. Denn die Route führt nun schlagartig bergab, zwirbelt in engen Serpentinen dem Ufer entgegen, dass es nur so kracht. Nur wenige, aber spektakuläre Kilometer fahren wir noch, bis wir unten am See sind. Zugegeben, für R1 & Co ist diese Strecke eine grauenhafte Variante. Doch mit der Adventure können wir uns nicht nur an der fahrerischen Herausforderung erfreuen, sondern auch an der Aussicht auf See und Berge. Zurück am Campingplatz heißt es erstmal Ausruhen, bevor wir noch einmal den Bars in Malcesine fröhnen. Aber egal, morgen müssen wir nur bis Bozen, um uns genüsslich in den DB-Autozug zu lümmeln – und bis dahin schaff ich es zur Not auch mit der kleinen Schmiede im Kopf. Arnold Gerhard