Der Stamm der Banker

Transcription

Der Stamm der Banker
Marco,
Private Banker, UBS
DER STAMM DER BANKER
Ein Ethnologe erforscht für einmal statt fremde Völker heimische Banker.
Adam,
Private Banker, Credit Suisse
Text SACHA BATTHYANY
Bilder SALVATORE VINCI
In seinem früheren Leben war er oft hier, sagt Stefan Lein, und
er schaut zu den Nebentischen, sieht Männer in dunklen Anzügen, sieht Frauen in Bleistiftröcken hinter Speisekarten, die so
gross sind wie Stadtpläne. Er sagt das ohne Wehmut, ohne Nostalgie, aber auch ganz ohne Häme. Es wäre einfach, sich über die
schwarzen Range Rover und Maserati zu mokieren, die im Minutentakt vor dem Hotel halten, viele mit Zuger Autonummer, doch
Stefan Leins Ton bleibt nüchtern, es ist der Ton des Wissenschaftlers. Leins gebraucht gerne Wörter wie diskursiv und performativ,
wenn er über seine Forschung spricht, er ist Ethnologe, Doktorand an der Universität Zürich. «Früher trank man mehr Alkohol
über Mittag», sagt er und zeigt auf eine Gruppe von Geschäftsleuten, die sich ihre Jacketts auszogen und sich alle in ihren babyblauen Hemden mit Mineralwasser zuprosten. Stefan Leins trägt
Jeans, kurze Haare, einen Bart, so wie junge Männer seit ein paar
Jahren wieder Bart tragen, vielleicht will er damit aber auch sagen:
Ich bin jetzt wieder ich, mit Bart und Fahrrad und grünem Parka.
Ich bin nicht mehr einer von ihnen.
Ethnologen verbringen normalerweise Monate mit Ziegenhirten in Burkina Faso, studieren Familienstrukturen in Zigeunersiedlungen ausserhalb Bukarests, sitzen wochenlang auf
Lehmböden im Atlasgebirge, um die aussterbende Kunst des
Teppichknüpfens von den Berbern zu lernen. Stefan Leins hat
sich einen anderen Stamm ausgesucht. Den Stamm der Banker
– deren Angehörige mitten in Zürich leben und arbeiten und das
Gesicht dieser Stadt prägen, dabei aber für die meisten unnahbar bleiben, nicht weniger fremd, wie Buschmänner in PapuaNeuguinea.
«Going native»
Natürlich, es gibt Klischees über sie, Banker seien gieriger als
andere, es gibt Gerüchte, sie wüssten nicht wohin mit ihren Porsches, es gibt die Schlagzeilen: Abzocker, Betrüger, aber es gibt
kaum jemanden, der davon berichtet, wie es wirklich ist, dort zu
sein, mittendrin, inside Paradeplatz: Was ist das für ein Leben?
Was macht diese Menschen aus? Was sind ihre Zwänge, ihre
Sehnsüchte, ihre Ängste? Deshalb das Park Hyatt. «Das Hyatt
ist eines der Zentren der Zürcher Finanzindustrie», sagt Leins
und blickt in die Karte. Mittagsmenü: Steinbeisser auf Kürbispüree mit gebratenen Pastinaken und Rohkostsalat. Keine Austern. Kein Kaviar. Wir sind nicht in der Londoner City, nicht im
Finanzdistrikt Moskaus, hier isst man Jägerbratwurst im Holzofen, es wird nicht geprotzt, es gibt keine Zigarrenraucher mit
Hosenträgern und Brillantine im Haar. «Das ist nicht Zürich»,
sagt Leins. Ein Weihnachtsbaum steht in der Mitte des Raums,
er könnte höher sein, aufwendiger geschmückt, mehr Gold, mehr
Lametta, aber hier ist er eben so, wie er ist, schön grün, nicht zu
wuchtig, das ist Zürich.
Zwei Jahre lang war Stefan Leins bei einer Schweizer Grossbank, er will den Namen nicht nennen, es spiele keine Rolle. Er
arbeitete drei Tage die Woche, erhielt einen Lohn, sieben Uhr
morgens rein, Grossraumbüro, Flachbildschirme, Bloomberg,
CNN, abends um sechs wieder raus. Er zog sich an wie sie, hielt
Präsentationen, ass, was sie assen, «going native» heisst das bei
Ethnologen: Schon bald wurde aus Stefan Leins, dem Ethnologen, Herr Leins, der Finanzanalyst, denn in diese Abteilung hatte
man ihn gesteckt, zu den Analysten, deren Aufgabe darin besteht,
börsenkotierte Unternehmen zu bewerten, Zukunftsprognosen
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zu erstellen, wie sich Aktien oder Obligationen entwickeln könnten. Er war jetzt einer von ihnen, einer unter hundertfünfzig.
In den Pausen und abends zu Hause war er Ethnologe und
notierte sich in sein Forschungstagebuch, wie die Hierarchien in
seiner Abteilung funktionieren: Wer hat das Sagen? Wer tritt wie
auf? Das war im Jahr 2010, die Zeitungen waren damit beschäftigt, die Krise aufzuarbeiten, welche immer neue Namen trug,
Währungskrise, Eurokrise, Schuldenkrise, Steuer-CDs wurden
entwendet, Bradley Birkenfeld, der ehemalige Vermögensverwalter der UBS, kam in den USA ins Gefängnis, und Leins schrieb
sich eifrig auf, worüber seine Kollegen in der Kaffeepause sprachen, wohin sie in die Ferien fahren, ob sie Kinderwünsche
hegen? Sich mit Ausstiegsgedanken plagen? Wie wirken sie? Welche Farbe hat ihre Krawatte? «Um ihren Status innerhalb der
Finanzbranche zu untermauern», sagt Leins, «kleiden sich Analysten nicht wie Börsenhändler oder Kundenberater. Händler
tragen oft hellgraue und beige Anzüge, Finanzanalysten schwarze
oder dunkelgraue.» Auch Hemdkragen sind Mittel, um sich abzugrenzen, viel Spielraum gibt es ja nicht. Der Winchesterkragen
sei ein typischer Händlerkragen. Finanzanalysten trügen ihn nie.
Ähnlich verhalte es sich mit Manschettenknöpfen, «sie signalisieren den Status eines Kundenberaters, bei Analysten sind sie selten zu sehen. Dann die Schuhe. Die sind enorm wichtig. Man darf
sich eine Nuance Extravaganz leisten, farbige Sohlen vielleicht,
eine gewagte Naht. Und das wird auch toleriert, falls die Performance stimmt.» Falls nicht, wird die Farbe zur Bürde.
Es war kurz nach der Matur 2001, als Stefan Leins zum ersten
Mal mit Banken in Berührung kam. Er suchte einen Job, um Geld
zu verdienen, wollte reisen, was man halt so tut mit zwanzig, bisschen Rucksack, bisschen fremde Kulturen, als er ein Temporärbüro betrat und der Frau am Schalter seinen Lebenslauf hinhielt,
ein weisses Blatt: Er war mal Kellner, stand da, war mal Babysitter, er könne ein wenig Englisch, ein wenig rechnen, na ja, das
wärs. «Sie können am Montag bei einer amerikanischen Bank beginnen», hiess die Antwort. Leins wohnte noch bei seiner Mutter und zog an seinem ersten Arbeitstag ein rotes Hemd an, «ein
Hemd war für mich einfach ein Hemd». Er musste Dokumente
sortieren, Abrechnungen kontrollieren, er hatte von Aktien keine
Ahnung, Fonds, Derivate, alles Wörter ohne jegliche Bedeutung.
Er kannte Gordon Gekko aus «Wall Street», viel mehr Wissen
über die Finanzbranche war nicht nötig: Er blieb acht Jahre. Sein
ganzes Studium. Verdiente bis zu 7000 Franken dafür, ein paar
Knöpfe zu drücken, von denen er nicht den leisesten Schimmer
hatte, was sie bewirken. Manchmal verdiente er auch mehr.
«Im Rückblick betrachtet, war es eine unglaubliche Zeit. Es
gab noch keinen Lohndruck. Es gab keine Einschränkungen. Es
gab keine öffentliche Entrüstung über Banker, keine kritischen
Fragen.» Alles spielte sich am helllichten Tag ab, mitten in der
Stadt, aber niemand schaute hin. «Die Banker wussten oft selbst
nicht, was sie taten. Es war eine Art Spiel, und das Spiel schien
zu funktionieren.» Es gab noch keine Occupy-Bewegung, keine
Feuilleton-Debatten über Gier, keine Talkshows über Steuerhinterziehung. Banker wurden in Hotels nicht verhaftet, wie
Raoul Weil in Bologna vor wenigen Wochen, im Gegenteil: Sie
waren die Könige dieser goldenen Ära, sie hatten die Frauen,
die Autos, den Style, den alle wollten.
Leins ging mit Händlern am Abend ins Pub, die damit prahlten, 10 Millionen Dollar Umsatz gemacht zu haben und sich
lauthals über ihre unsauberen Trades unterhielten. Er ging mit
ihnen über Mittag ins Niederdorf essen, landete später in einem
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Andres Veiel,
Dokumentarfilmer
Stefan Leins,
Ethnologe
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Stripschuppen mit einer Rum-Cola in der Hand und brasilianischen Wackelpopos vor der Nase und war völlig überfordert. Am
Weihnachtsessen 2006 versammelten sich gut hundert Leute in
der Kirche, sie hörten den Pfarrer über Barmherzigkeit reden,
während Kellnerinnen durch die Reihen schlichen und Sushi servierten. «Kein Mensch braucht Sushi in der Kirche, es war absurd.
Und doch wurde es getan.» Alles war möglich.
Irgendwann las er eine erste finanzanthropologische Studie,
«An Ethnography of Wallstreet» von einer Ethnologin namens
Karen Ho, und er war fasziniert. Er las von Vincent Lépinay,
einem französischen Soziologen, der sich in eine Bank einschleuste und darüber schrieb, was diese Arbeit aus Menschen
macht, und natürlich las er Bronislaw Malinowskis «Argonauten
des westlichen Pazifik», den Klassiker der Wirtschaftsethnologie. Im Jahr 1914 reiste der Pole Malinowski, «der Vater der Feldforschung», in die Südsee und beschrieb einen ganz speziellen
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Tauschhandel zwischen den Bewohnern der Trobriand-Inseln:
Halsketten aus roten Muschelplättchen werden gegen Armreife
aus weissen Muschelringen getauscht, ganz ohne ökonomische
Motivation. Malinowskis Erkenntnisse aus der Südsee, dass es
Handel gibt ohne Profit, beeinflusste selbst den Shootingstar
dieser Szene, den Amerikaner David Graeber zu seinen Büchern
und seinem Aktionismus. Graeber gilt als einer der Köpfe der
Occupy-Bewegung, die vor zwei Jahren mit dem Aufruf begann:
«Seid ihr bereit für einen Tahrir-Moment? Dann baut Zelte,
Küchen, friedliche Barrikaden und besetzt die Wall Street!» Tausende strömten auf die Strassen, in Frankfurt, London, Zürich,
und forderten mehr Gerechtigkeit, mehr Transparenz und dies
und das, bis mit den Zelten auch die ganze Bewegung in sich
zusammensackte.
Leins blieb. Er lernte das nötige Vokabular, las hundert Jahre
ökonomische Theorie, wollte mehr über die Dynamiken erfah-
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Fakten, Erfolgsgeschichten und Inspiration: post.ch/wirkung
Damian,
Operational Risk Manager, UBS
Christoph,
Private Banker, Coutts
«Banker sind keine bösen Menschen. Viele haben Ausstiegsgedanken, wollen ein Restaurant aufmachen, eine Schule in Afrika, irgendetwas Sinnvolles –
doch die meisten bleiben.»
ren, die Menschen dahinter und endlich verstehen, was zum Teufel die Funktion dieser Knöpfe war, die er jahrelang drückte, ohne
zu wissen, was er tat. 2010 meldete er sich bei der Schweizer Grossbank. Er war nicht undercover, kein Günter Wallraff, der verdeckt
irgendwelche Missstände aufzeigt. Leins sagte, er wolle forschen,
er wolle hinter die Kulissen schauen, wolle selbst sehen, was sich
abspielt im Inneren der Macht.
Und zu seinem grossen Erstaunen liess man ihn hinein.
Zur gleichen Zeit, als Leins seine Studie begann, fing der
deutsche Regisseur Andres Veiel an, sich dem Thema zu nähern.
Veiel hat Psychologe studiert und ist heute Dokumentarfilmer.
Er gilt als hartnäckiger Rechercheur, als guter Beobachter,
empathisch, politisch engagiert. Für seine Filme «Black Box BRD»
oder «Der Kick», die von Linksterroristen und rechtsradikalen
jugendlichen Mördern erzählen, hat er viele Preise gewonnen.
Veiel hat über ein Jahr lang 25 Topbanker in Deutschland, Grossbritannien und Luxemburg interviewt und begleitet. Er hat daraus keinen Film gemacht, sondern ein Theaterstück, «weil das
die einzig mögliche Form für diesen Stoff ist», behauptet er. Die
Kritik hat sein Stück «Das Himbeerreich» verrissen, doch das sei
ihm egal, überhaupt sei die Rolle der Medien in der Finanzkrise
keine rühmliche: «Wo waren die? Warum hat niemand gewarnt?»
1400 Seiten Manuskript hat er bühnentauglich verdichtet, sein
Ziel sei es gewesen, in die «Hinterzimmer der Macht» vorzudringen, «in die Köpfe der Banker», da ist er Leins sehr ähnlich, nur
sind sie unterschiedlich vorgegangen. Sie nehmen an einem der
Tische Platz, Webdesigner frühstücken hier bis vier Uhr nachmit-
entscheidung geht über den Vorstand einer Bank. Das heisst: Man
kann Verantwortung festmachen – das ist aber nicht geschehen.
Zweitens?
Veiel — Die ganz konkrete Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft. Ich weiss nicht, wie das in der Schweiz ist, aber bei uns
wurden Banker von Politikern aufgefordert, ihre Risikogeschäfte
gefälligst massiv auszubauen, man wolle schliesslich nicht hinter
London und New York zurückfallen. Das hat mich schon überrascht, da Politiker vor den Fernsehkameras immer beteuerten,
wie sehr das Finanzsystem ausser Kontrolle geraten sei. «Wir legen
denen jetzt Fesseln an», hiess es, «wir haben die Zeichen der Zeit
erkannt.» Richtig zornig werde ich aber, wenn ich auf Seite neun
der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» lese, dass eine Bank 8,9
Milliarden Euro abschreiben musste. Auf Seite neun. Eine kleine
Meldung, zehn Zeilen, niemand stellt Fragen. Niemand regt sich
auf. Die wenigsten Leser verstehen überhaupt, was das bedeutet.
Leins — Dass dieses Geld vom Bankenrettungsfonds aufgefangen
wurde, also von Steuergeldern. Wir bezahlen das.
Veiel — Das war im Sommer 2012. In Deutschland schüttelte man
den Kopf, dass der Flughafen in Berlin 215 Millionen Euro teurer wird, aber über die 9 Milliarden sprach niemand. Allein die
deutsche Bankenrettung wird den Steuerzahler am Ende etwa
100 Milliarden Euro kosten. Das ist Geld, das irgendwann ganz
konkret fehlen wird, da, wo wir es unbedingt brauchen, bei den
Renten, in der Bildung, bei Neuinvestitionen, bei der Forschung.
Aber eben: Das geschieht alles so unbemerkt, das macht mich
fassungslos.
Die kleinwüchsigen Frauen mit den üppigen Décolletes und den Plastikpumps,
die will niemand. Der Fleischmark an der Bankerparty im Carlton reguliert sich von allein.
tags, die Kaffeemaschine mahlt, zischt und dampft ohne Unterbruch, es ist Banker-freie Zone.
Veiel kam von aussen und wollte verstehen, wie diese Menschen ticken, Leins sass mittendrin, ein Forscher, der mit seinem
Forschungsobjekt verschwamm.
Das Magazin — Sie haben beide Jahre damit verbracht, Banker zu beobachten. Sie haben sie interviewt, haben sie studiert. Hat diese Zeit Ihre Einstellung zu Bankern verändert?
Stefan Leins — In meiner Umgebung gab es einige, die sagten:
Wie kannst du dich nur mit diesen Deppen abgeben, sich für sie
interessieren, alles Verbrecher. Doch ich muss als Wissenschaftler neutral bleiben, alles andere wäre unseriös.
Andres Veiel — Ich begann als neugieriger Laie. So neutral es eben
geht. Ich war vor meiner Recherche durchschnittlich interessiert
an Fragen rund ums Finanzsystem, ich habe den Wirtschaftsteil
nicht immer gelesen und wenn doch, dann nicht immer alles verstanden. Schon nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, wie ich immer
fassungsloser wurde. Mein Zornkonto stieg.
Woher kommt dieser Zorn?
Veiel — Da gibt es mehrere Auslöser. Erstens: die Frage der Verantwortung. Das ist eine Essenz meiner Recherche: Es gibt zwar
Computerprogramme, die in Sekundenbruchteilen Entscheidungen fällen, aber dahinter stehen Menschen. Jede grössere Kauf32
Es geschah vor unseren Augen – und geschieht heute noch.
Warum regt sich niemand auf?
Veiel — Weil es sich um abstrakte Zahlen handelt. Der Flughafen hingegen, der ist konkret: Da haben Architekten und Sachverständige einen Fehler gemacht. Im Finanzmarkt muss man
schon sehr genau hinschauen, darf sich nicht abschrecken lassen
vor Begriffen wie nachhaltige Anleihen oder stochastische Volatilität. Es ist eine Sprache, die sich aktiv gegen jede Verständlichkeit sperrt. Das hat System. Man will nicht, dass man es versteht.
Verständlichkeit heisst Angreifbarkeit.
Leins — Warum sich niemand aufregt? Die Antwort ist einfach:
Wir wissen so ziemlich nichts über die Finanzbranche. Und dies
obwohl sich diese Welt direkt vor unseren Türen abspielt, am
Zürcher Paradeplatz etwa, wo täglich Tausende von Menschen
umsteigen und Kaffee trinken. Die Finanzbranche ist oftmals
«too big to understand». Allein der Begriff des Bankers ist unpräzis, was dazu führt, dass Pauschalbeschimpfungen, wie wir sie von
den Medien kennen, ins Leere treffen. Das gibt es nicht, den Banker, so wie es auch keine Gruppenidentität gibt: Analysten halten oft genauso wenig von Investmentbankern wie die OccupyAktivisten. Investmentbanker wiederum äussern Skepsis gegenüber Hedgefonds-Managern.
Warum gibt es kaum jemanden aus dem Finanzsystem, der
sich schuldig bekennt, der warnt, der aussteigt und sagt:
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denn die Bewegungen ermöglichen Gewinne. Stabilität ist nicht
erwünscht, Risiken sollen gar nicht minimiert werden.
Wie haben Sie es geschafft, Herr Veiel, Zugang zur ersten
Liga der Banker zu finden? Was war deren Motivation, sich
mit Ihnen zu treffen?
Veiel — Ein Grossteil meiner Informanten besteht aus ehemaligen Topleuten. Es sind Menschen, die eine tiefe Enttäuschung
in sich tragen: Sie haben nicht überwunden, dass sie nicht mehr
gefragt sind. Vielleicht haben sie noch einen Fahrer, eine Sekretärin, auch ein Büro, aber es befindet sich nicht mehr zuoberst,
sondern im zweiten Stock, zwölf Quadratmeter, kleine Fenster,
Linoleum- statt Teppichboden. Sie ärgert, dass sie an Wert verloren haben. Sie messen das am Modell ihres Bürostuhls: Früher
war er zwölffach verstellbar, heute kann man knapp die Rückenlehne anpassen. Diese Kränkungen sorgen dafür, dass sie mit mir
reden wollen, natürlich nur anonym. Aber ob sie Reue zeigen?
Nein. Sie wissen, dass sie den letzten Crash mitverursachten, sie
wissen, dass sie vor dem Gericht der Zeitgeschichte stehen – und
sie bekennen sich für nicht schuldig.
Der Crash ist jetzt fünf Jahre her. Hat sich denn gar nichts
verändert?
Veiel — Nach einem kurzzeitigen Stillstand ist heute alles wieder
so wie früher. Dass alles schnell in die Brüche gehen kann, dieses
Bewusstsein ist sicher da, aber es wird verdrängt. Es findet eine
kollektive, flächendeckende Verdrängung statt. Wer will heute
schon Bedenken äussern, jetzt, da die Aktienkurse wieder hochgehen, weil die Notenbanken immer neues Geld hineinpumpen?
Wenn die Musik spielt, dann wird getanzt, das ist der Herdentrieb. Die Restaurants und Clubs um die Bankenviertel sind wieder voll. Wir wollen uns nicht aufregen, wir verdrängen, weil wir
wieder tanzen wollen.
Es ist zehn Uhr abends, als dann wirklich alle auf der Tanzfläche stehen, «Alors on danse» singt der Belgier Stromae, den im
Moment alle so toll finden. Die Männer kreisen mit den Hüften
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«Wir waren alle wahnsinnig.» Man hat das Gefühl, als hielten sie zusammen.
Veiel — Banker reden nicht, weil sie Angst haben. Sie haben eine
Verschwiegenheitsklausel unterschrieben. Interna dürfen nicht
besprochen werden, mit Journalisten schon gar nicht. Dazu kommen die Überwachung, Telefon, E-Mail, selbst Konferenzräume
sind nicht sicher, das haben mir jedenfalls alle erzählt. Wie paranoid sind die denn?, dachte ich am Anfang noch, mittlerweile bin
ich aber sicher, dass viele überwacht werden. Wir haben uns oft
im Wald getroffen. Da fühlten sie sich sicher.
Leins — Viele Banker, die ich kenne, kritisieren das System sehr
hart – einfach nicht öffentlich. Banker sind keine bösen Menschen, sie lesen Zeitung, müssen sich pausenlos rechtfertigen,
müssen sich ducken und bleiben deshalb am liebsten unter sich.
Viele hatten Ausstiegsgedanken, wollten ein Restaurant aufmachen, eine Schule in Afrika, irgendetwas Sinnvolles – doch sie
sind geblieben.
Das Geldes wegen.
Leins — Die meisten werden überdurchschnittlich entlöhnt, das
ist mit ein Grund. Aber noch wichtiger als der finanzielle Anreiz
ist die Macht. Wenn man 200 Millionen Franken um den Globus
schieben kann, das ist sexy, ich habe das selbst erlebt. Als Finanzanalyst wird von dir verlangt, dass du bestimmte Entscheidungen
fällst, von denen du weisst, sie bedeuten womöglich Millionen.
Das ist ein Gefühl von Macht. Es ist ein gutes Gefühl.
Herr Veiel, zeigen die Banker, die mit Ihnen sprechen, Reue?
Veiel — Nein, warum auch? Banker setzen sich mit allen Mitteln
zur Wehr, dass sich irgendetwas ändert. Die Krise der letzten
Jahre bedeutet nur für Aussenstehende ein Problem, nicht aber
für die, die sie verursachen. Das musste ich auch erst begreifen:
Es wird nie eine Veränderung geben, weil es kein Interesse an
Veränderung gibt.
Leins — Max Frisch sagte: «Die Krise ist ein produktiver Zustand,
man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.»
In einer Krise geht es rauf und runter, aus Bankersicht ist das gut,
und ballen die Hände zu Fäusten, als würden sie jubeln, die Asiatinnen in ihren Etuikleidern standen eben noch oben auf der
Empore, jetzt schwirren sie aus, sie haben zwei Stunden Zeit,
das sollte reichen: Dienstagabend im Carlton in der Nähe der
Bahnhofstrasse. Der Abend gilt als Treffpunkt der Finanzbranche, Banker aus London, Singapur, Manhattan fühlen sich für
einen Moment wieder zu Hause, weil hier, anders als in den
Hipster-Bars um die Ecke, alle mit allen reden. Das Leben ist gut,
das strahlen die Männer in ihren Anzügen aus. Es ist eng, es ist
dunkel, es ist laut, man kann für ein paar Hundert Franken essen,
trinken und sich eine der Frauen aussuchen, deren strassbesetzte
Absätze im Discolicht funkeln. Die mit den zu grossen Décolletes, mit den Stiefeln bis zu den Knien, die haben es schwer, es
muss edel sein, nicht vulgär, es geht um Nuancen, auch hier, auch
in diesem Markt, sonst hat man keine Chance. Stefan Leins trinkt
ein Bier, er schaut von oben auf die tanzende Meute, ein Ethnologe auf Feldforschung, er nennt es teilnehmende Beobachtung
und nimmt noch einen Schluck. War er ein anderer Mensch in
seiner Zeit bei der Bank?
«Ich denke schon», schreit er gegen die Lautstärke der Musik
an. Er hatte ein wenig mehr Geld in der Tasche, war dafür extrem
beschäftigt, kaum zu Hause, immer gestresst. Die Geschwindigkeit dieser Branche sei enorm. Wer nicht schnell reagiert, handelt,
denkt, der gehe unter. «Diese Schnelligkeit hat etwas Faszinierendes, etwas Intensives», sagt Leins, doch seine Freundin mag ihn
als Ethnologe lieber. «Ich bin gemütlicher heute, nicht faul, aber
Forschung hat eben einen anderen Gang.»
Später lernt er einen Banker der UBS kennen, der ihm erzählt,
wie es im Jahr 2009 war, auf dem Höhepunkt der Krise. «Es gab
so viele Kündigungen, dass die Personalleute mit ihren Entlassungsgesprächen nicht mehr nachkamen. Manche Mitarbeiter
hätten erfahren, dass sie ihren Job los seien, weil sie sich nach der
Mittagspause nicht mehr in ihre Computer einloggen konnten,
ihre Zugangscodes wurden blockiert, bevor sie wussten, wie ihnen
geschieht. «Doch mittlerweile hat sich alles wieder beruhigt», sagt
er und klopft Leins auf die Schulter, geht runter auf die Tanzfläche und verschwindet zwischen all den zuckenden Armen und
stampfenden Beinen. Bis Mitternacht wird getanzt, getrunken,
geflirtet, man taxiert, man bewertet, eine Minute später geht das
Licht an, die Musik setzt aus, die Party ist vorbei. «Ich habe morgen wichtige Termine», sagt einer, der noch eben zu Rihanna seine
Fäuste zur Decke streckte. Jetzt checkt er seine Mails.
Leins — Ich sehe das genauso. Diese Geschichten von hemmungslosen Abzockern, ruchlosen Dieben, gierigen Händlern,
damit kommen wir nicht weit, sie sagen uns nichts Näheres übers
das Wesen der Banker. Nehmen wir die Gier, da geht es nicht um
Geld im Sinne einer Währung, es geht um Anerkennung und um
Vergleichbarkeit. Banker sehen sich selbst als wirtschaftliches Gut,
welches mal besser, mal schlechter performt. Leistung wird Performance genannt, es ist die Finanzlogik, die sie auf sich selbst
übertragen. Sie sehen sich als Ware, und sie wollen einen Warenwert. Sie wollen sich mit anderen vergleichen, deshalb entsteht
dieser Wille nach mehr: mehr Lohn, mehr Alkohol, mehr Sex,
mehr Risiko, Performance wird zum Lebensmotto. In Michael
Lewis’ Buch «Liar’s Poker» kommt das gut zum Ausdruck. Banker sind nicht per se gierige Menschen, es handelt sich nicht um
eine speziell durchtriebene Sorte Mensch. Man muss die Dynamiken dahinter verstehen.
Das bedeutet, dass wir alle sind wie sie. In Ihrem Theaterstück, Herr Veiel, sagt die Investmentbankerin Frau Manzinger: «Wer auf uns zeigt, der meint sich selbst.» Stimmt das
denn? Wir alle könnten Kweku Adoboli sein, der ghanaische
Investmentbanker, der durch risikoreiche Handelsspekulationen einen Verlust von 2,3 Milliarden Dollar einfuhr?
Leins — Ich glaube schon. Die kulturelle Dynamik kann uns alle
zu Adobolis machen, niemand ist gefeit. Diese Frage erinnert
mich an Studien über den Genozid in Ruanda. Man fand heraus, dass beinahe jeder Hutu, ob reich oder arm, ob Lehrer oder
Analphabet, Frau oder Mann, am Gemetzel an den Tutsis beteiligt war. Es ist die Dynamik, die dazu führt. So ist das auch bei
Bankern. Ich glaube nicht, dass es auch nur einen Moment gab,
in dem sich Menschen wie Marcel Ospel, der ehemalige Verwaltungsratspräsident der UBS, bewusst fürs Schlechte entschieden
hat. Es ist ein schleichender Prozess, in dem sich alle befanden.
Schauen Sie sich mal die Prozessaussagen von Adobolis Kollegen aus dem Tradingroom an. Da findet man keine Einsicht,
keine Reue, er war für sie ein Star. Der Typ hatte es drauf, sagen
Herr Veiel, wenn sich nichts verändert hat, wenn Banker
noch immer dasselbe risikoreiche Spiel spielen, wenn wir
uns in eine erneute Blase manövrieren – wo ist dann die
Occupy-Bewegung geblieben?
Veiel — Viele halten Occupy für gescheitert. Ich würde das so
nicht sagen. Der Grundimpuls, sich mit diesem System nicht abfinden zu wollen, ist ja der richtige. Die Frage ist nur, wie viel Wissen gehört dazu? Wie viel Bereitschaft, sich Wissen zu beschaffen, es begreifbar zu machen, zu übersetzen. Leider wurde nur
mit dumpfem, altlinkem Vokabular um sich geschlagen, Occupy
ging nicht in die Tiefe.
Ein paar Beispiele?
Veiel — Es war immer nur von Gier die Rede. Von Bereicherung,
den Boni. Doch darum geht es nicht, nicht um Jachten und all die
Klischees, als ob jeder Banker das Heft «How to spend it» lesen
würde. Es ist mir schlicht zu einfach, sich über antike Olivenholzmöbel für 10 000 Euro das Stück lustig zu machen.
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Exotik in die Schweizer Gastronomie und lockten zahlreiche
entdeckungsfreudige Geniesser in die Restaurants.
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Bis zum heutigen Tag erfreuen sich Klassiker wie das Beefsteak
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sie. Er hatte Mut, hohe Risken zu nehmen. Er ist
zwar gescheitert, dumm gelaufen, aber er geniesst
hohes Ansehen.
Herr Veiel, Ethnologen betonen kulturelle Dynamiken. Sie sind Psychologe: Was zeichnet
Banker aus?
Veiel — Ein guter Banker weiss, was ein Kunde will.
Jeder Weg ist ihm recht, damit er am Ende reüssiert:
Mit dem einen geht er in die Oper, mit dem zweiten in den Nachtclub, mit dem dritten bespricht er
Eheprobleme und nimmt sich eine Stunde Zeit. Ein
guter Banker weiss, mit wem er was teilt, er weiss,
was er verkaufen muss. Das erfordert eine unglaubliche Flexibilität, eine hohe emotionale Intelligenz.
Man muss den Kunden innert Sekundenbruchteilen in seiner Bedürftigkeit erfassen.
Gute Banker sind hochsensible Menschen?
Veiel — Sie haben ein hohes Mass an Empathie, das
sie dafür aufwenden, möglichst hohe ökonomische
Gewinne rauszuschlagen.
Wie sieht es tatsächlich aus, hinter den Kulissen. Was ist echt? Was ist inszeniert?
Leins — Ich war vor ein paar Monaten in Frankfurt
an der Börse und habe an einer Führung teilgenommen. Zum Schluss habe ich die Frau gefragt, die uns
begleitete, was die Menschen da unten tun, heute,
da alles elektronisch laufe, worauf sie sagte, das sei
reine Inszenierung. Die Börse ist nur ein Bühnenbild für die Fernsehkameras.
Veiel — Die Orte, an denen es wirklich passiert, das
sind zum Beispiel hässliche Bürogebäude im Industriezentrum am Rande Luxemburgs, zwischen Drogeriegrosshandel und einer Tankstelle in der zweiten Etage werden Milliarden um den Globus geschickt. Von aussen ist das unkenntlich. Drinnen
arbeiten vielleicht hundert Leute in einem technisierten Handelsraum und schauen auf die Bildschirme. Sie telefonieren, sie rufen, gehen kaum mal
auf die Toilette, aus Angst, ein grosses Geschäft zu
verpassen. Es ist eine physische Arbeit, man braucht
eine gute Stimme, eine Frau sagte mir mal, sie habe
Stimmtraining genommen, um ihre Performance zu
verbessern.
Was ist die Rolle der Frau in der Bankerwelt?
Leins — Es werden Dinge gefördert, die wir als
maskulin wahrnehmen. Durchsetzungsvermögen,
diese Körperlichkeit der Händler, die laute Stimme.
Ich glaube nicht, dass das Geschlecht ein Hindernis sein muss, aber es kann. Es ist zumindest komplizierter als bei Männern. Denn wenn sie als Bankerin reüssiert, dann kann ihr passieren, dass sie als
zu männlich taxiert wird, was ihr wieder schaden
könnte.
Veiel — Ich habe mit Frauen gesprochen, die sich
enorm anstrengen mussten, um in dieser Männerwelt zu bestehen. Auch abends, in der Gruppe.
Dann gab es auch die, die sich der Gruppe bewusst
entzogen und sich sagten, sie seien im Einzelkontakt besser, allein mit dem Kunden. Eine Händlerin sagte mir, dass ihre Strategie darin bestehe, dem
Kunden gegenüber das Gefühl zu erzeugen, «fuckable» zu sein: «You have to be fuckable.» Es sei ein
Spiel mit der Fantasie, es geht darum, dass der
Kunde denkt, es könnte passieren. Attraktivität
kann also ein Bonus sein – aber irgendwann kippt
es. Spätestens dann, wenn sie die kleinen Avancen,
die sie bis zu einem Punkt befriedigt, zurückweist.
Dann wird die Schönheit zum Fluch.
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D A S M A G A Z I N 4 8/2 0 1 3
Vor der Garderobe im Carlton hat sich eine lange
Schlange gebildet. Jeder will nur noch gehen. Bereits
sind erste Techniker da, die die Tanzfläche abbauen,
die Musikanlage verstauen, Vorhänge mit Klettverschluss werden runtergerissen, auch das Carlton ist
nur eine Bühne. Es ist kurz nach Mitternacht, alles
hell erleuchtet, der Boden fleckig von ausgeschütteten Drinks. Was die Dunkelheit vornehm verdeckte, wird nun offensichtlich, was eben noch funkelte, ist nur noch banal. Wer jetzt niemanden hat,
posiert im engen Gang vor der Tür. Es ist die letzte
Chance. Die Männer ziehen ihre Mäntel an und binden sich ihre Schals, manche schnappen sich noch
eine im Vorbeigehen, eine Junge mit dezenten Ankle
Boots – die Älteren bleiben übrig, die Kleinwüchsigeren mit den üppigen Décolletes und den Plastikpumps, die will niemand. Sie stehen noch ein wenig
da, doch die Börse ist zu, der Fleischmarkt im Carlton reguliert sich von allein.
Die letzten Pärchen torkeln umschlungen aus
dem Club, steigen gemeinsam in eines der Taxis und
verschwinden in der Nacht. Stefan Leins nimmt das
letzte Tram.
Herzlich willkommen
zum Sehen ohne Brille
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Alex Ziörjen hat seine Berufung gefunden: kleine unscheinbare Scheiben – der Kontaktlinsen-Spezialist gilt
als Koryphäe seines Fachs und wäre sonst Profisportler
geworden, doch auch als Augenoptiker erzielt er grosse Erfolge. «Einmal habe ich einem fast blinden Kunden,
der seit 6 Jahren nur Umrisse sehen konnte, mit Speziallinsen ein gutes Sehen ermöglicht.»
Vom Sehen bis zum Aussehen – bei Kochoptik werden
Sie immer von Spezialisten bedient. Alex Ziörjen ist einer
von ihnen. Wenn Sie also perfekt abgestimmte Kontaktlinsen wünschen und sich absolut kompetent beraten
lassen möchten, dann sind Sie bei uns genau richtig.
Andres Veiels Stück «Das Himbeerreich» wird
am 5.und 6. Dezember im Zürcher Schauspielhaus gespielt.
SAC H A BAT T H YA N Y ist stellvertretender Chefredaktor
des «Magazins». sacha.batthyany@dasmagazin.ch
Der Fotograf SA LVATORE VI N CI lebt in Zürich und Athen.
www.salvatorevinci.com
www.kochoptik.ch
Gratisnummer 0800 33 33 10
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