Medizin im Nationalsozialismus
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Medizin im Nationalsozialismus
Medizin im Nationalsozialismus Vorlesung (ohne Abb.) Prof. Dr. Dr. U. Benzenhöfer 1 Medizin in Deutschland 1933-1945: Ausnahme? Extremfall? Bedeutung für die Medizinethik? 2 Zahl der dt. Ärzte 1933: ca. 52.000 1939: ca. 59.000 (bezogen auf „Altreich“) 1944: ca. 79.000 (bezogen auf „Großdeutsches Reich“) 3 Wieviele Ärzte Parteimitglied? Stichprobenuntersuchung M. Kater von ca. 4.000 Ärzten aus der Gesamtzahl der Ärzte, die von 1936 bis 1944 in der Reichsärztekammer registriert waren, ergab: 4 Parteimitgliedschaft? Ärzte: 44%!!! (Kater S. 107) Juristen: ca. 25 % Lehrer: ca. 25% 5 Zahl der dt. Ärzte 1933: ca. 52.000 Zahl der „jüdischen“ Ärzte 1933: ca. 8.000-9.000 „Emigration“ „jüd. Ärzte“ 1933/34: 1.700 „Emigration“ „jüd. Ärzte“ bis 1940: 4.500-5.000 6 Entrechtung und Verfolgung jüd. Ärzte 1.4.1933: „Judenboykott“ (auch Arztpraxen) 7.4.1933: Gesetz zur Wiederherstellung [!] des Berufsbeamtentums - Entlassung „nichtarischer“ und politisch unerwünschter Beamter 4 bzw. 6/1933: Aberkennung der Kassenzulassung 30.9.1938: Entzug der Bestallung; von da an nur noch „Krankenbehandler“; ca. 700 Viele jüd. Ärzte wurden in den Suizid getrieben; viele wurden ermordet (KZ; Holocaust 1941/42ff.) 7 Eugenik/Rassenhygiene 1883: Francis Galton - „national eugenics“ : positive Eugenik (z.B. frühe Heirat!) negative Eugenik (z.B. Sterilisierung) 1890er Jahre: Rassenhygiene (Deutschland!) 8 Eugenik/Rassenhygiene 1890er Jahre: Rassenhygiene (Deutschland!) z.B. Alfred Ploetz: Die Tüchtigkeit unsrer Rasse und der Schutz der Schwachen (Berlin 1895) Moderne Medizin schützt die Schwachen „rassenhygienische Utopie“: Beseitigung der „schwachen“ Neugeborenen 1895-1933ff.: „rassenhygienische Bewegung“; nicht selten Forderung nach Sterilisierung; nicht nur in Deutschland! 1936: Rassenhygiene Prüfungsfach in der Medizin 9 Zwangssterilisation 14.7.1933: Ges. Nachwuchses zur Verhütung erbkranken § 1, (1) Wer erbkrank ist, kann ... sterilisiert werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden. 10 Zwangssterilisation (2) Erbkrank ist, wer leidet an: 1. angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, 4. erblicher Fallsucht, 5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer erblicher körperlicher Mißbildung. (3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet. 11 Zwangssterilisation Erbgesundheitsverfahren: 1. Anzeige beim Amtsarzt („Pflicht“ für alle Ärzte) 2. Antrag auf Steril. beim Erbgesundheitsgericht *antragsberechtigt: Betroffene/r bzw. gesetzlicher Vertreter; Leiter von Kranken-, Heil-, Pflege-, Strafanstalt; *antragsverpflichtet: beamtete Ärzte Beizufügen: Antragsgutachten (durch Amtsarzt bzw. Anstaltsleiter) 3. Verhandlung Erbgesundheitsgericht (persönl.) 12 Zwangssterilisation Erbgesundheitsgericht: Amtsrichter, beamteter Arzt und ein weiterer Arzt Erbgesundheitsobergericht: Richter OLG, beamteter Arzt und ein weiterer Arzt. Das EOG entscheidet endgültig. 13 Zwangssterilisation § 12: Die Unfruchtbarmachung ist „auch gegen den Willen des Unfruchtbarzumachenden auszuführen“ chirurgisch (später auch – selten - Bestrahlung) 14 Zwangssterilisation Praxis Durchführung 1934-1945 im „Altreich“ (Grenzen 1937) Dazu angeschlossene und okkupierte Gebiete. Bis 1945 mehr als 300.000 Menschen zwangssterilisiert! 15 „Euthanasie“ 1. Vorgeschichte 2. Kindereuthanasie 3. Erwachseneneuthanasie 16 Vorgeschichte (1933 bis 1939) NS-Rassenhygiene/Eugenik: 1933: Gesetz z. Verhütung erbkranken Nachwuchses 1935: Änderungsgesetz erlaubt Schwangerschaftsabbruch aus eugenischer Indikation „Vernichtung lebensunwerten Lebens“: 1935: Bleibt verboten (Amtl. Strafrechtskommission) Aber: 1935/36 soll Reichsärzteführer Wagner „Vernichtung“ gefordert haben; Hitler habe ihn auf den „kommenden Krieg“ vertröstet 17 Kindereuthanasie Tötung von behinderten Kindern schon vor 1933 gelegentlich Thema, z.B. K. Binding (1920): „Die Frage, ob es nicht Mißgeburten gibt, denen man in ganz früher Lebenszeit den gleichen Liebesdienst [Tötung] erweisen sollte, will ich nur angeregt haben“. 18 Initialfall Kind K. 1938 oder 1939: Schreiben des Vaters oder der Großmutter eines behinderten Kindes an Hitler (Kanzlei des Führers); Bitte um „Gnadentod“ Vorher: Vorstellung des Kindes an der Univ.Kinderklinik in Leipzig (Prof. Catel) Hitler entsendet seinen „Leibarzt“ Karl Brandt „Einschläferung“ des Kindes 18.8.1939: Meldepflichterlaß Innenministerium 19 Kanzlei des Führers 1934 eingerichtet; Privatkanzlei Hitlers Leiter: Philipp Bouhler Hauptamt 2: Eingaben und Gesuche an Hitler (Leiter: Viktor Brack, Wirtschaftswissenschaftler) Amt 2b: Gnadengesuche (leitender Sachbearbeiter: Dr. agrar. Hans Hefelmann) 20 Der „leitende Sachbearbeiter“ Dr. agrar. Hans Hefelmann: Erhielt nach eigener Aussage von Brandt und Bouhler den Auftrag, ein beratendes Gremium für die „Kindereuthanasie“ zu bilden 21 Beratendes Gremium Dr. Herbert Linden, MinRat Innenministerium Dr. Hellmuth Unger, Pressereferent im Rassenpolitischen Amt („Sendung und Gewissen“ 1936) Dr. Ernst Wentzler, Pädiater (Berlin) Dr. Hans Heinze, Psychiater (Görden) Evtl.: Prof. Werner Catel, Pädiater (Leipzig) 22 Meldepflichterlaß 18.8.1939: Runderlaß Innenministerium Meldepflicht für Hebammen bzw. Ärzte: 1) Idiotie sowie Mongolismus 2) Mikrocephalie 3) Hydrocephalus 4) Missbildungen jeder Art 5) Lähmungen einschl. Littlescher Erkrankung Meldung über Amtsarzt an Reichsausschuß zur wiss. Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden Kinder bis 3 Jahre! Grenze später erhöht 23 Durchführung Amtsarzt: Schickt Meldebogen an Hebammen, Ärzte Ausgef. Meldebogen an Amtsarzt, weiter an Kanzlei des Führers (KdF) KdF: Amt 2b; Vorsortierung Teil an „Gutachter“: Heinze, Wentzler und Catel „Tötungsfälle und „Beobachtungsfälle“: Aufnahme „Kinderfachabteilung“ Später: Meldung auch aus Anstalten direkt an Reichsausschuss 24 Tatort „Kinderfachabteilung“ Oft keine separate Abteilung ausschließlich für „Reichsausschußkinder“ Ermordung: in der Regel einzeln (Arzt, Pflegepers.) Meist mit Barbiturat (Luminal) Bislang 30 „Kinderfachabt.“ nachgewiesen z.B. Eichberg, Kalmenhof (Idstein) Opfer: nicht bekannt, mehr als 3.000? Mehr als 5.000? 25 Erwachseneneuthanasie: Aktion T 4 Kurz nach Kindereuthanasie geplant (noch 1939) Planung und Organisation: Kanzlei des Führers bzw. Tarnorganisationen (Tiergartenstr. 4) Meldepflichterlass an alle Anstalten, Gutachter in der Zentrale „Euthanasie“-Erlass Hitler (noch 1939) Antransport in Bussen Mordmethode: Gas (Kohlenmonoxyd) 6 Vernichtungszentren (Grafeneck, Hadamar, PirnaSonnenstein, Bernburg, Brandenburg, Schloss Hartheim bei Linz) Beginn: 1940; „Stopp“: August 1941 Ca. 70.000 Opfer (Aktion T 4) 26 Erwachseneneuthanasie Nach dem „Stopp“ der Aktion T 4 (August 1941) bis 1945: „Euthanasie“ der 2. Phase Tötung durch Medikamente, Hunger, Unterversorgung in diversen Anstalten oft nur erkennbar durch Sterberate der Anstalt mehr als 90.000 Opfer 27 Menschenversuche in den KZ Angeblich „wehrmedizinische Zweckforschung“; z.B. *iatrogene Verwundung; Behandlung mit Sulfonamid (KZ Ravensbrück) iatrogene Vergiftung (Senfgas); Behandlung durch „Wundreinigung“ (KZ Sachsenhausen) *iatrogene Infektion mit Fleckfieber zur Testung von Impfstoffen (KZ Buchenwald) *iatrogene Infektion von Zwillingen mit anschließender Ermordung und Sektion (Mengele; Auschwitz) 28 Nürnberger Ärzteprozess 1946/47: Amerikanisches Militärtribunal 23 Angeklagte (20 Ärzte) Prozeßbeobachter: Alexander Mitscherlich / Fred Mielke (1947: Das Diktat der Menschenverachtung) 7 Todesurteile, u.a. wegen MenschenverSuchen im KZ und „Euthanasie“ 29 1947: Nürnberger Kodex Nürnberger Kodex Teil des Urteils: „1. Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich“. Versuchsperson muß über das Wesen und die Risiken des Versuchs aufgeklärt sein. Kein Gesetz! 30