Die Schweiz im 17. und 18. Jahrhundert – Absolutistische
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Die Schweiz im 17. und 18. Jahrhundert – Absolutistische
Die Schweiz im 17. und 18. Jahrhundert – Absolutistische Tendenzen und ihre Überwindung Eine schriftliche Arbeit verfasst von Lawrence Markwalder und Denis Nordmann im Juni 1999 Inhaltsverzeichnis 1. Das Zeitalter des Absolutismus 1.1. Europa: Die Entwicklung des Absolutismus 1.2. Sonderfall Schweiz 1.3. Das Patriziat entsteht – Die schweizer Spielform des Absolutismus 1.4. Zürich in der Zeit des Absolutismus 1.5. Der Bauernkrieg von 1653 1.6. Zürich: Wie die Landschaft regiert wurde 1.7. Konfessionelle Konflikte 1.8. Die Entwicklung des Neutralitätsprinzips 1.9. Die „fremden Dienste“ 2. Die Helvetische Revolution 2.1. Der industrielle Aufschwung im 18. Jahrhunderts 2.2. Die Industrialisierung in Zürich 2.3. Die Vorboten einer neuen Zeit 2.4. Der Helvetismus 2.5. Das Memorial von Stäfa 2.6. Der Untergang der alten Eidgenossenschaft 3. Die kleine und grosse Restauration 3.1. Das Ende eines Versuches 3.2. Ein erster Schritt zurück: Die Mediation von 1803 3.3. Die Restauration von 1815 Quellenverzeichnis Die Schweiz im 17. und 18. Jahrhundert – Absolutistische Tendenzen und ihre Überwindung 1. Das Zeitalter des Absolutismus 1.1. Europa: Die Entwicklung des Absolutismus In den meisten Staaten waren um 1500 Landesherren – Könige, Her-zöge, Fürsten oder wie ihre Titel auch immer lauteten – an der Macht und sorgten für Recht und Sicherheit in ihrem Untertanengebiet. Die Gesellschaft war in verschiedene soziale Schichten gegliedert. Am besten gestellt war das Patriziat - der Adel. Das Stadtbürgertum um-fasste gut verdienende Händler und Handwerker. Die zahlreichen Bauern bildeten selbst einen Stand. Die Ständevertreter trafen sich mit dem Landesherren an Versammlun-gen. Ohne die Ständevertretung konnte der Landesherr z.B. keine neuen Gesetze erlassen oder neue Steuern erheben. Im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert versuchten die Landesherren immer wieder die Macht der Stände zu minimieren oder sogar aufzu-heben, um zu absoluten Monarchen aufzusteigen. Um dies zu erreichen, bildeten die Landesherren ständige Heere, bau-ten ihren Verwaltungsapparat aus, führten regelmässige Steuern ein und liessen sich meist eine prunkvolle Residenz erbauen. Um den Widerstand des Adels zu brechen, gewährten ihnen die Lan-desherren Privilegien wie eine weitgehende Steuerbefreiung oder die Reservierung von Offiziersposten. Aber vor allem auf regionaler Ebe-ne waren die Landesherren noch auf die Mitarbeit des Adels angewie-sen. Auf diese Weise blieb die Ständeordnung unter der absoluten Monarchie durchaus erhalten, nur wurde sie durch den Glanz des Hofes überdeckt. Daher sollte man die Macht absolutistischer Herr-scher nicht mit der Machtfülle moderner Diktatoren verwechseln. Der Absolutismus ergriff zuerst Spanien, dann Frankreich, wo seit 1614 die Ständevertretung nicht mehr einberufen wurde. Von Frankreich aus griff der Absolutismus auf die meisten europäischen Monarchien über, so dass man die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts als Epoche des Absolutismus bezeichnen kann. 1.2. Sonderfall Schweiz - Staatenbund im Alleingang? Zwischen den zusehends straffer organisierten europäischen Monar-chien wirkte die alte Eidgenossenschaft wie ein Überbleibsel aus dem Spätmittelalter. Die Eidgenossenschaft bildete keinen Staat im moder-nen Sinn, sondern war nur ein loses Bündnis aus autonomen Klein-staaten. Es gab keine gemeinsame Verfassung und schon gar keine zentralistisch organisierte Regierung. Der Zusammenhalt dieses kom-plexen Staatenbundes war durch eine Vielfalt von Bundesbriefen und Sonderbündnissen möglich gewesen. Einigkeit gab es nicht einmal im Bezug auf die äusseren Grenzen. Den Kern des Ganzen bildeten die sogenannten 13 Orte mit ihren ländlichen Untertanengebieten und den Gemeinen Herrschaften, welche von diesen verwaltet wurden. Zum weiteren Umkreis gehörten die zugewandten Orte. Altertümliche Bauernbünde, stolze Stadtrepubliken, geistliche Fürstentümer und vie-le Untertanengebiete – alles war vorhanden und bildete einen höchst unterschiedlich zusammengewürfelten Staatenbund. Die einzige Institution des Bundes war der Delegiertenkongress, die sogenannte Tagsatzung. Diese traf sich mehrmals jährlich in Baden, ab 1713 in Frauenfeld. Jeder Ort schickte zwei Gesandte, die zuge-wandten Orte je einen. 1.3. Das Patriziat entsteht – Die schweizer Spielform des Absolutismus In den acht Städten und fünf Landorten (13 Orte) der alten Eidgenos-senschaft erstarrte nach der Dynamik der Reformationszeit das politi-sche Leben. Die Herrschaft beschränkte sich auf einen immer kleine-ren Kreis von Familien. In den Landsgemeindekantonen versuchten die Behörden, die Rechte der Landsgemeinde massiv zu beschränken. Es gelang zwar nicht, die Volksversammlung auszuschalten, jedoch deren Rechte einzuschränken. Durch diese Massnahmen gelangten die Patrizier zu einer überragenden Stellung. Durch Söldnerwerbung, Handel und Industrie kamen sie teils zu grossem Reichtum. Gleichzeitig wurden in den Städten sowie in den Landsgemeinde-kantonen Neuaufnahmen ins Landrecht eingeschränkt und Fremde von der Nutzung des Gemeindebodens ausgeschlossen. Dadurch entstand eine breite Schicht von rechtlosen Kleinbauern, den sogenannten Hintersassen, welche oft mit dem schlechteren Boden vorliebnehmen mussten. Sie bildeten die unterste Schicht der bäuerlichen Gesellschaft. Am extremsten zeigte sich der Absolutismus wohl in Bern und in den katholischen Stadtrepubliken Luzern, Freiburg und Solothurn, wo das Patriziat schon immer eine starke Stellung gegenüber den Zünften der Handwerker eingenommen hatte. Dort sank der Anteil der zur Regie-rung zugelassenen Familien drastisch. Intrigen und Cliquenkämpfe unter den rivalisierenden Familien waren an der Tagesordnung. So wurde eine klare Mehrheit der Bürger vom politischen Leben ausgeschlossen. Ausserhalb des Patriziates gab es keine Möglichkeit mehr, in die Poli-tik Einfluss zu nehmen. Im Regierungsstil vermischte sich republikani-sche Tradition mit absolutistischem Machtanspruch, vom feierlichen Zeremoniell bei der Eröffnung des Grossen Rates bis hin zum golde-nen, mit einer Krone verzierten Thronsessel für den Berner Schultheiss. Auch die Zunftstädte wie Zürich, Basel und Schaffhausen unterstüzten das Patriziat, welches sich jedoch nicht so exklusiv herausbildete wie in Bern oder in den katholischen Städten. Die Zunftmeister, selbst Patri-zier, verhinderten dort die Aufnahme von neuen Bürgern ins Landrecht und die Regierungsgeschäfte lagen ganz in ihren Händen. Auch gegenüber der Landschaft setzten die Städte ihre Machtansprü-che durch. Volksanfragen wie zur Zeit der Reformation verschwanden im 17. Jahrhundert gänzlich. Die Landschaft wurde zum Untertanen-gebiet der „gnädigen Herren“. Zu der Obrigkeit gehörte auch der Pfarrer. Ihm oblag es, Gehorsam zu predigen und von der Kanzel die vielen Mandate zu verlesen, die das Landvolk immer wieder ermah-nen sollten, folgsam gegenüber der gottgewollten Obrigkeit zu sein. Der Schultheiss von Bern, Inhaber des höchsten Amtes der Republik, präsentiert sich in der nüchternen, schwarzen Amtstracht, wie es sich für den Beamten einer protestantischen Republik gehört. Er trägt die Ehrenzeichen der höchsten Staatsgewalt: Zepter und Siegel der Rebublik. 1.4. Zürich in der Zeit des Absolutismus An der Spitze der Stadt Zürich standen zwei Bürgermeister. Sie leite-ten die Sitzungen des „Kleinen Rates“, der ausser ihnen noch 48 Mit-glieder umfasste. Dieser bildete die eigentliche Regierung. Er ernann-te die Beamten und beaufsichtigte sie, hielt Gericht über die Bürger, die gegen ein Gesetz verstossen hatten, empfing fremde Gesandte und beriet über alle möglichen Probleme: äussere Gefahren, Bauten, Einnahmen und Ausgaben und vieles anderes mehr. Für wichtige Ge-schäfte zog er die „Zwölfer“, im Ganzen 162 Personen, hinzu. Jede Zunft ernannte 12 (daher der Name), die Konstaffel 18 „Zwölfer“. Ausserdem ordnete jede Zunft ihre beiden Zunftmeister, die Konstaffel vier Mitglieder, in den Kleinen Rat ab. Die übrigen 20 Kleinen Räte wurden von den „Zwölfern“ gewählt. Mit diesen etwas komplizierten System war dafür gesorgt, dass alle Zünfte im Kleinen und im Grossen Rat einigermassen gleichmässig vertreten waren. Es war aber allen Bürgern, die nicht ein „zünftisches“ Handwerk aus-übten, erlaubt, sich einer beliebigen Zunft anzuschliessen. Auch reich gewordene Handwerkerfamilien, deren Angehörige längst andere Berufe ausübten, blieben in ihrer Zunft. Daher waren die Zünfte keine reinen Handwerkervereinigungen mehr. Dies bewirkte aber auch, dass sehr bald die reichen, patrizischen Mitglieder der Zünfte das Sagen hatten und so ausschliesslich sie Mitglieder des „Zwölfers“ oder des kleinen Rates wurden. 2 Bürgermeister Kleiner Rat (48) Grosser Rat (162) 12·2 Zunftmeister 12·12 Zünfter 4 Konstaffler 18 Konstaffler 20 vom Grossen Rat gewählt Soziale Schichten Im Prinzip war jeder Bürger in jedes Amt wählbar. Die Wirklichkeit sah aber anders aus. Die Einwohner der Stadt gliederten sich in 3 Schichten: • Die vornehmen Bürger, die Patrizier (etwa 25% der Einwohner): Kaufleute, Familien mit Grundbesitz auf dem Land, Berufsoffiziere, die gegen Bezahlung in den Heeren der europäischen Herrscher Kriegsdienst geleistet hatten. Sie beherrschten die Konstaffel und waren in den meisten Zünften massgebend. Sie stellten die Bürger-meister, den Kleinen Rat und die meisten „Zwölfer”. • Die einfachen Bürger (etwa 50% der Einwohner): Handwerker und Kleinhändler. Die Mitgliedschaft in einer Zunft sicherte ihnen die Existenz. Die Vorschrift der Zunft verhinderte nämlich, dass ein Hand-werksbetrieb zu gross wurde oder dass zu viele Handwerksbetrie-be entstanden. In der Politik hatte der einfache Bürger dagegen kaum mitzureden. Bauernkrieg, 1653 „Unternährer und Hinterueli, die letzten freien Entlibucher“ • Die „Nichtbürger” (etwa 25% der Einwohner): Sie übten einen nichtzünftischen Beruf aus oder waren als Gesellen oder Arbeiter irgendwo angestellt. Sie hatten keine politischen Rechte. Die Mög-lichkeit, das Zürcher Bürgerrecht zu erwerben, wurde immer mehr eingeschränkt und schliesslich ganz aufgehoben. 1.5. Der Bauernkrieg von 1653 Der ländliche Unmut gegen die Herrschaftsansprüche der Stadt äusserte sich schon seit der Reformation immer wieder in Form von Unruhen. Die Aristokratisierung der städtischen Obrigkeit verschärfte diesen Spannungszustand noch. Während des Dreissigjährigen Krieges (1618-1648), von dem die Eidgenossenschaft mit Ausnahme von Grau-bünden verschont blieb, wurden zur Befestigung der Grenzen neue Steuern erhoben. Ferner geriet der Getreide- und Salzhandel in die Hand der Städte und Luxusgüter wurden verboten. Diese neuen Bela-stungen führten noch während des Krieges zu einem Aufstand im Zürcherland und in der Ostschweiz. Der Aufstand endete jedoch mit der Hinrichtung der Anführer der Aufständischen. Der grösste Aufstand erfolgte erst nach dem Dreissigjährigen Krieg. Bern und Luzern werteten ihre Münzen ab und wählten eine so knap-pe Umtauschfrist, dass die Landbevölkerung erst davon erfuhr, als die-se längst verstrichen war. Dies riss das Berner und Luzerner Untertanen-gebiet in einen grossen Aufruhr, zu welchem sich bald auch die Kan-tone Solothurn und Basel gesellten. In diesem Bauernkrieg, welcher unter der Führung reicher Bauern wie Hans Emmenegger und Niklaus Leuenberger stand, ging es weniger um die wirtschaftlichen Nöte der Kleinbauern, sondern um die Wahrung der althergebrachten Rechte und Freiheiten, welche in die Hände der Aristokraten gelangt waren. Trotz des Verbotes der Tagsatzung sammelten sich die aufständischen Bauern aus Bern, Luzern, Solothurn und Basel 1653 in Huttwil und beschworen die Erneuerung der alten eidgenössischen Bünde. Dem Bund der Herren stellten sie einen Bund der Bauern entgegen. Trotzdem war es für die städtischen Herren ein leichtes, den Bauern-aufstand niederzuwerfen. Mit drakonischer Härte wurde das Landvolk bestraft. Das Kriegsgericht der Tagsatzung fällte Strafen wie Todesur-teile, Verstümmelungen, hohe Bussen und den Entzug aller Rechte oder Privilegien. Mit diesem Sieg der Obrigkeit endete die grösste Bauern-erhebung in der Geschichte der Eidgenossenschaft. 1.6. Zürich: Wie die Landschaft regiert wurde Die Bewohner der Stadt Zürich begnügten sich nicht damit, sich selbst regieren zu können. Schon seit dem 14. Jahrhundert strebten sie nach der Herrschaft über die Landschaft in ihrer Umgebung. Zum Teil durch Kauf, zum Teil durch Kriege erwarb sich die Stadt von den verschiede-nen Adeligen alle Rechte, um die Bauern in den Dörfern zu beherr-schen. In der Reformationszeit kamen auch alle Klöster mit ihrem gros-sen Grundbesitz in den Besitz der Stadt. Im 16. Jahrhundert besass die Stadt etwa das Gebiet, welches heute den Kanton Zürich bildet. In den Dörfern unterstanden die Menschen, die früher adelige Herren über sich gehabt hatten, nun einem Herrscher: der Stadt Zürich. Wie der absolutistische Monarch Ludwig XIV. über Frankreich, so übte die Stadt Zürich die absolute Macht über die Zürcher Landschaft aus. Natürlich konnten Bürgermeister und Rat von Zürich nicht in jedem Dorf selbst für Ordnung sorgen. Aus diesem Grund war das Herrschafts-gebiet in Landvogteien eingeteilt. Das Amt des Landvogtes wurde je-weils für einige Jahre einem Ratsherren übertragen, der vom Landvogteischloss aus Aufgaben und Rechte der Stadt wahrnahm. Die Schlösser übernahm die Stadt von den früheren adeligen Herren. Die Lage der Bauern in den Dörfern Für die Bauern brachte dieser Übergang folgende Veränderung: • Die Kriege der früheren adeligen Herren, bei denen oft Dörfer ge-plündert wurden, fielen weg. Es herrschte Friede und Ordnung. • Führte die Stadt Krieg, mussten die Bauern mit in den Krieg ziehen. • Die Stadt erhob keine neuen Steuern. • Die Stadt liess den Bauern eine gewisse Selbständigkeit. Diese durf-ten beispielsweise den Dorfvorsteher (Untervogt) selbst vorschlagen. • Die Zünfte hinderten die Entwicklung des Handwerks, damit die städtischen Handwerker keine Konkurrenz erhielten. • Die Bauern waren der Stadt Gehorsam schuldig. Ihre Meinung war nicht gefragt. Die Stimmung der Bauern auf dem Land Die militärische Macht der Stadt gegenüber der Landschaft war nicht sehr gross. Die Stadt stellte nur zehn Prozent der Soldaten, die Land-schaft neunzig Prozent. Eine Polizei gab es nicht; der Landvogt verfüg-te etwa über ein Dutzend bewaffneter Knechte. Trotzdem gab es sel-ten Unruhen oder gar Aufstände. Dies hat folgende Gründe: • Innerhalb eines ländlichen Dorfes waren die Unterschiede zwischen Reich und Arm oft gross. • Die reichen Bauern wurden vom Landvogt mit tieferen Steuern zu-frieden gestellt, und die armen Leute waren zu sehr mit ihrem eige-nen Existenzkampf beschäftigt, als dass sie sich noch mit politischen Fragen auseinandersetzen konnten. • Die Pfarrer, die alle aus der Stadt kamen, ermahnten in der Predigt zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit der Stadt Zürich. • Bei einem Aufstand hätte man vielleicht Landvögte vertreiben, nicht aber die Stadt erobern könne. Diese war viel zu gut befestigt. • Die Bauern hatten keine Vorstellung, was für eine Ordnung an die Stelle der bestehenden treten könnte. Die Zufriedenheit der Landbevölkerung hing ausserdem stark davon ab, wie gerecht und uneigennützig der Landvogt sein Amt ausübte. 1.7. Konfessionelle Konflikte Der immer noch bestehende, versteckte Spannungszustand zwischen den konfessionellen Lagern wurde vor allem in den Gemeinen Herr-schaften ausgetragen. In dieser Pufferzone kam es alle paar Jahre zu kleineren Konflikten, da die katholischen Orte seit 1531 eine Mehr-heit in der Verwaltung dieser Gebiete besassen. Immer wieder fühlten sich die Protestanten von der katholischen Obrigkeit unterdrückt oder auch umgekehrt. Auch in der Tagsatzung, die sich mit den konfessio-nellen Fragen zu beschäftigen hatte, besassen die Katholiken die Mehrheit. In diesen konfessionellen Konflikten vermittelten meistens Freiburg und Solothurn (katholisch) und Basel und Schaffhausen (reformiert). Für Zürich und Bern schien die nach dem Bauernkrieg bestehende Solidarität der herrschenden Aristokratien eine günstige Gelegenheit, einen Anlauf zur Behebung dieser Situation zu starten. Drei Jahre nach dem Bauernkrieg standen Zürich und Bern den katho-lischen Orten mit der Waffe in der Hand gegenüber. Dieser Konflikt endete jedoch mit der Niederlage des Berner Heeres bei Villmergen und Zürichs erfolgloser Belagerung von Rapperswil. 1712 starteten die reformierten Orte Zürich und Bern wiederum eine Offensive gegen die Vorherrschaft der katholischen Orte. Diesmal sieg-ten Zürich und Bern gegen die katholischen Orte, welche dadurch die Mitspracherechte in den strategisch wichtigen Gemeinen Herrschaf-ten Baden, Unteres Freiamt und Rapperswil verloren, während Bern in die Verwaltung dieser und der ostschweizerischen Gemeinen Herr-schaften neu eintrat. Die konfessionellen Streitfälle wurden von nun an auch von einer un-abhängigen Kommission beurteilt. Die Spannung um die Gemeinen Herrschaften nahm von da an merklich ab, auch wenn keine eigentli-che Versöhnung zwischen den beiden konfessionellen Lager zustande kam. 1.8. Die Entwicklung des Neutralitätsprinzips Zur Neutralisierung der Schweiz in den europäischen Konflikten des 17. und 18. Jahrhunderts hat neben der konfessionellen Uneinigkeit auch das Söldnerwesen massgeblich beigetragen. Seit 1614 waren alle Orte einschliesslich Zürich, welches wegen der Reformation dem Soldabkommen zuerst nicht beigetreten war, in einem Soldabkommen mit Frankreich verbunden. Gleichzeitig waren die katholischen Orte auch Spanien und Savoyen, die reformierten Orte den deutschen Für-sten und den Niederlanden verpflichtet. Diese Mächte lagen in dau-ernden Kriegen miteinander. Dadurch entstand für die Eidgenossen eine höchst merkwürdige Neutralitätspolitik. So standen sich zum Bei-spiel in der Schlacht von Malplaquet (1709) schweizer Söldner auf französischer und niederländischer Seite gegenüber. Wer immer über genug Gold verfügte konnte in der Eidgenossenschaft Soldaten kau-fen. Es galt das Sprichwort: „Pas d’argent, pas de Suisses”. Aber schon seit dem dreissigjährigen Krieg bemühten sich die Eidge-nossen um Neutralität in den europäischen Auseinandersetzungen. Der dreissigjährige Krieg, mit dem Schicksal Graubündens und der benachbarten Reichsgebiete, führte erstmals zur bewussten Haltung eines „Neutralstandes”. Die ungern geduldeten Durchmärsche der Schweden und Spanier durch Grenzgebiete im Norden waren Mahn-zeichen. Die inneren konfessionellen Streitigkeiten wurden angesichts der aussenpolitischen Lage gedämpft, und schliesslich die Landesver-teidigung besser organisiert. Die Städte modernisierten ihre Befesti-gungen. Erst 1647 kam es zum Abschluss einer einheitlichen Heeresordnung, dem „Defensionale”, in welchem ein eidgenössischer Kriegs-rat und eine auf den kantonalen Kontingenten beruhende Aufgebots-organisation geschaffen wurde. Am Westfälischen Friedenskongress gelang es dem Basler Bürgermei-ster Wettstein, assistiert durch den Herzog von Orléans, der als Fürst von Neuenburg ein Interesse an schweizerischen Belangen zeigte, die völkerrechtliche Lösung vom Reich zu erlangen. Kaiser und Reich akzeptierten diesen zeitgemässen Entwurf der staatlichen Souveräni-tät. So fand eine lange Entwicklung ihren Abschluss; die Entfremdung aus dem seit seiner Gründung so anders gewordenen Heiligen Römi-schen Reich Deutscher Nation. Als der französische König die spanische Freigrafschaft im Westen Berns annektierte und zum bedrohlichen, direkten Nachbarn der Schweiz wurde, erklärte die Tagsatzung zum ersten Mal formell die bewaffnete Neutralität. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die Neutralität der Eidgenossenschaft auch von den Grossmächten aner-kannt, indem sie nicht mehr in die europäischen Friedensschlüsse ein-bezogen wurde. Das Hauptgewicht der aussenpolitischen Beziehungen lag im 17. und 18. Jahrhundert auf der Verbindung mit Frankreich, auch wenn zeit-weise nicht alle Orte mit dem Königreich in einem vertraglichen Ver-hältnis standen, so hatte doch das französische Gold einen gewalti-gen Einfluss auf die eidgenössische Politik. In den Glanzzeiten des Louis XIV. benahm sich die Eidgenossenschaft wie ein französisches Protektorat. 1.9. Die „fremden Dienste“ Die Basis der fremden Dienste waren Verträge mit jenen Staaten die schweizer Söldner benötigten. Der wichtigste Abnehmer war Frank-reich. Das Soldbündnis mit Frankreich, erstmals 1521 abgeschlossen und immer wieder erneuert, bildet den einzigen aussenpolitischen Nenner in der Eidgenossenschaft. Zürich, das in Folge der Reformati-on die fremden Dienste abgelehnt hat, trat 1614 diesem Bündnis bei. Alle anderen Soldverträge wurden nur von einzelnen Orten abgeschlos-sen. Die Bündnisse bildeten einen Rahmenvertrag, welcher die Höchst-zahl anzuwerbender Söldner festlegte und den Vertragspartner zu re-gelmässigen Zahlungen an die Orte verpflichtete. Im Falle Frankreichs kam noch die Gewährung von Handelsprivilegien dazu. Eigentliche Soldunternehmer, patrizische Familien, betrieben das Werbegeschäft mit obrigkeitlicher Genehmigung. Es handelte sich in der Regel um Elitetruppen, die von eigenen Offizieren und nach eigenem Recht be-fehligt wurden. Nach wie vor schien der fremde Dienst politische und ökonomische Notwendigkeit zu sein. Die fremden Dienste garantier-ten bei gleichmässiger Verteilung auf die Staaten die Neutralität und eine zeitgemässe Ausbildung von Offizier und Mannschaft. Für arme Gebirgskantone bedeuteten sie vertraglich gesicherte Staatseinnah-men. Die fremden Dienste boten aber auch Aufstiegsmöglichkeiten für die Untertanen. Aber es wurden natürlich auch soundsoviele Schwei-zer durch soziale Not in diese Dienste einzutreten gezwungen. Die einst so ungebundenen fremden Dienste nahmen im Laufe des 17. Jahrhunderts den Charakter von ausgesprochenen Garnisons-diensten mit periodischen Kriegseinsätzen an. Ihr Aushängeschild waren die „Schweizergarden”, die Leibwachen verschiedener Monarchen. Das Soldbündnis von 1663 erlaubte dem französischen König Ludwig XIV. das Anwerben von bis zu 16 000 Söldnern in der Schweiz. Die Kantone erhalten dafür jährliche Pensions-Zahlungen, ebenso Erleich-terungen im Salz und Getreidehandel und bei den Warenzöllen. Zur Unterzeichnung von diesem zog ein Tross von 200 Personen unter Führung des Zürcher Bürgermeisters Johann Heinrich Waser nach Pa-ris. Johann Heinrich Blunschli beschreibt dies so: „Anno 1663 im Oktober reisten die Herren Abgesandten der 13 Orte und die zuge-wandten der Eidgenossenschaft nach Paris. Es waren Herren, Kam-merdiener und Reiter zu Pferd, um die 200 Personen. Überall im Kö-nigreich, wo die Herren Ehrengesandten durchreisten, wurden sie so prächtig empfangen, wie der König. Nachdem sie mit grossem Pomp in Paris eingeritten waren – es hatte eine unglaubliche Menge Zu-schauer -, wurden sie durch den Grafen Harcourt in 40 Kutschen zur königlichen Audienz abgeholt und köstlich bewirtet.” Eine Woche lang geniessen die Abgesandten das Pariser Stadtleben: Allabendliche Empfänge, Theater mit Molière, ein Festakt in der Notre-Dame zum Schluss, und alles auf Kosten des Königs. Nach vierwöchigem Aufent-halt kehren sie Ende November wieder in die Schweiz zurück. Louis XIV. träumt von der Vorherrschaft in Europa, und dies zu jedem Preis. Auch die Eidgenossen gehören mit in seine Pläne. Das Abkom-men mit ihnen garantiert den ungestörten Nachschub von Söldnern-truppen für Ludwigs kriegerische Unternehmungen. Zudem bindet die Abhängigkeit der Kantone von den Geldzahlungen die Eidgenossen-schaft politisch an Frankreich. Die Soldverträge bedeuten ein lukratives Geschäft für die Staatskas-sen der Kantone und die Soldunternehmer, die sogenannten Pensions-herren. Überzeugte Befürworter des Bündnisses sind auch die Textil-kaufleute. Sie seztzen auf den Export und versprechen sich Handels-vorteile. Louis XIV. liess die Unterzeichnung der Bündnisses auf einem Wand-teppich festhalten. Der Auftrag für ein Gemälde von gleichem Umfang würde einen Bruchteil der Tapisserie-Kosten ausmachen. Wandteppi-che sind demnach ein Luxusgut, das Reichtum und Macht repräsen-tiert. Sie gehören zur Grundausstattung jedes fürstlichen Hofes im 16. und 17. Jahrhundert. Der Bedarf Ludwig XIV. ist so gross, dass es zur Errichtung einer eigenen Werkstätte kommt. Die „Manufacture des Go-belins” produziert ausschliesslich für den Hof. Die „Petite Académie”, das ideologische Zentrum für die höfische Kunstproduktion, bestimmt das Bildprogramm, die Hofmaler führen die Zeichnungen aus, und die Werkstätten stellen die Teppiche nach Vorlage her. Wandteppich von Louis XIV., welcher die Unterzeichnung des Soldbündnisses von 1663 mit den Eidgenossen zeigt. 2. Die Helvetische Revolution 2.1. Der industrielle Aufschwung im 18. Jahrhunderts Der Sieg der reformierten Orte im 2.Villmergerkrieg schloss nicht nur eine 200jährige Periode von Glaubenskämpfen ab, sondern verschob auch die Machtverhältnisse in der alten Eidgenossenschaft zu Gun-sten der Städte, die sich in einem industriellen Aufschwung befanden. Die politischen Verhältnisse änderten sich aber bis 1798 kaum. Nach wie vor herrschte die Aristokratie. Auf der sozialen sowie auf der wirtschaftlichen Ebene fanden jedoch tiefgreifende Reformen statt. Erstmals keimte die Hoffnung auf, auf der Basis des gesunden Men-schenverstandes liesse sich eine neue Morallehre begründen, die für Menschen verschiedener Konfession Geltung hätte. Damit aber die Welt besser werden konnte, galt es das Wissen zur Öffentlichkeit zu bringen. Die Verbesserung der Landwirtschaft wurde lautstark propa-giert. Mit Schriften und Preisausschreibungen wurde versucht Feld-nutzung und Arbeitsmethoden zu verbessern. Bekannt ist das Beispiel des Zürcher Bauern Kleinjogg, welcher mit einem nach neuartigen Prinzipien gestalteten Musterhof zu Reichtum gelangte. Langsam fasste die Idee einer gewinnbringenden Wirtschaft auf dem Lande Fuss. Die Allmenden wurden der allgemeinen Weidenutzung entzogen und unter den reichen Bauern aufgeteilt. Der Übergang zur Stallfütterung des Viehs erlaubte die Düngung der Felder und die bes-sere Nutzung des Brachlandes. Wegen dem Bevölkerungswachstum und den damit verbundenen, periodischen Hungersnöten, wurden ver-mehrt Kartoffeln und Klee angebaut. Die Bevölkerung wuchs, vor allem auf dem Lande, von 1.2 Millionen im Jahre 1700 auf 1.6 Millionen im Jahre 1800. Zwar mochten die fremden Dienste 50 000 - 80 000 Männer zeitweise zu absorbieren, aber das Interesse nahm im Laufe des 18. Jahrhunderts merklich ab. Mehr denn je waren Kleinbauern und Tagelöhner nun auf zusätzliche Verdienste angewiesen. Von dieser Bevölkerungssituation profitierte vor allem die aufkommende Verlagsindustrie. Baumwollspinnerei, Baum-wollweberei, Tuchdruckerei, Seidenbandindustrie, Seidenstoffweberei und Stickerei erlebten vor allem in den nördlichen und östlichen Lan-desteilen einen grossen Aufschwung. Um Genf, Neuenburg und im Jura bereitete sich die Uhrenindustrie aus, die ebenfalls im Verlags-system betrieben wurde. Hunderttausende lebten auf dem Land bald von der Heimarbeit. Das 18. Jahrhundert wurde zur eigentlichen Epo-che der Industrialisierung der Schweiz, welche bis zur Helvetischen Revolution zum meist industrialisierten Land des Kontinents aufstieg. Wenn auch die Verlagsindustrie die Armut nicht beseitigen konnte, so führte sie doch zeitweise zu einem gewissen Wohlstand auf dem Lan-de, und für viele Heimarbeiter sank die Landwirtschaft zu einer Ne-benbeschäftigung ab. Aber um so mehr hingen sie von den heftigen Preisschwankungen des Marktes ab. Im Jahre 1723 musste in der textilen Hauswirtschaft durchschnittlich 1-3 Tage gearbeitet werden, um 5 Pfund Brot zu verdienen; 1762 waren er dagegen nur noch ein halber Tag. Im Hungerjahr 1771 brauchte man dazu fast eine Woche und 1780 wieder nur einen Tag. 2.2. Die Industrialisierung in Zürich Da die Bevölkerung zwischen 1500 und 1800 stark zunahm, bot die Landwirtschaft nicht mehr allen Bewohnern Arbeit und konnte auch nicht mehr alle ernähren. Zürich musste Getreide aus dem Ausland einführen. Viele Zürcher wurden notgedrungen Soldaten in den Ar-meen der europäischen Herrscher. Auch in der Stadt waren nicht mehr alle Bewohner in den traditionellen Handwerksberufen tätig. Kachelofen der Familie Pfau, für das Zürcher Rathaus hergestellt. Auf den abgebildeten Kacheln wird die Schweizerischen Neutralität mit dem Sinnbild von Skylla und Charybdis dargestellt. Skylla und Charybdis stehen für die europäischen Grossmächte. Textilindustrie Es war daher für Zürich von grosser Bedeutung, dass kluge und wage-mutige Unternehmer eine neues Gewerbe einführten, das Arbeitsplät-ze schuf und Produkte herstellte, die im Ausland verkauft werden konn-te und Geld einbrachten. Dies ist die Herstellung von Stoffen aus Sei-de oder Baumwolle, die Textilindustrie. Exkurs: Die Hafnerei Neben der Textilindustrie gab es in Zürich und Umgebung noch ein anderes spezialisiertes Handwerk. Die Hafnerei. Ein Gewerbe das besonders in Winterthur und auf der Landschaft blühte, war der Ofen-bau. In Winterthur, das in dieser Hinsicht im 17. Jahrhundert zu be-sonderer Berühmtheit gelangte, lassen sich Ofenbauer bis zurück ins 15. Jahrhundert nachweisen. Dabei bildete die Familie Pfau eine ei-gentliche Dynastie von Hafnern, deren Arbeiten zu den Spitzenerzeug-nissen der Ofenbaukunst gehörten. Die Hafner in der Stadt Zürich hatten der Qualität aus Winterthur und anderen Orten nichts entge-genzusetzen. Gern wurde deshalb bei der Einrichtung des neu erbau-ten Zürcher Rathauses das Geschenk aus Winterthur, zwei prachtvolle Öfen, akzeptiert. Die Hafnermeister der Landschaft, die neben Öfen auch glasiertes Kochgeschirr herstellten, waren eine ernstzunehmende Konkurrenz für die stadtzürcherischen Hafner. Der Rat gestattete ihnen jedoch 1738 ausdrücklich, auch weiterhin an den Jahrmärkten ihre Ware feilzubie-ten. In der Zeit zwischen den Jahrmärkten jedoch war der Geschirr-verkauf allen fremden und einheimischen Hausierern verboten. In die-ser Zeit konnten die zürcher Hafner ohne Konkurrenz verkaufen. 2.3. Die Vorboten einer neuen Zeit Eine neue Zeit kündigte sich in neuen Ideen an. Die reformierte Theo-logie befreite sich von den starren Lehrsätzen, mit denen die Kirche Pfarrer und Gläubige disziplinierte. Die wiedererlangte Freiheit nutz-ten zum einen die Rationalisten mit ihrer Vorstellung von einer vernunft-geregelten Religion und auf der anderen Seite die Pietisten, welche den frommen Lebenswandel in den Mittelpunkt des Glaubens rückten. In der Naturforschung war die kopernikanische Wende zum heliozen-trischen Weltbild überall vollzogen. Beobachtungen und Experimente wurden als Erkenntnismittel in ihr Recht gesetzt. Grosses Ansehen erwarb der Mathematiker Leonard Euler, der Alpenforscher Horaz Bénédict de Saussure, der 1787 als einer der ersten den Montblanc bestiegen hatte und Albrecht von Haller, der es als Arzt und Biologe sowie als Dichter der Alpen zu Weltruhm brachte. Diese wissenschaft-lichen Fortschritte bewegten viele Patrizier aus persönlicher Liebhabe-rei, Naturalienkabinette anzulegen, in denen sie Steine, gepresste Pflan-zen, Tierknochen, aber auch Kupferstiche, Münzen und Kunstgegen-stände sammelten. Politische Bedeutung gewann die Naturrechtslehre, zu der die West-schweiz einen grossen Beitrag geleistet hatte. Ihre Vertreter gingen davon aus, dass die Menschen von Natur aus gleich und frei seien. Der Genfer Uhrmachersohn J.-J. Rousseau stand jedem Menschen ein Widerstandsrecht gegen jegliche Beherrschung zu, sofern der Mensch nicht mit einem anderen vertraglich in einem Verhältnis steht. Die Erziehungsexperimente von Heinrich Pestalozzi (1746-1827) er-langten eine weit über die Schweiz hinausreichende Bedeutung. Er forderte eine umfassende Bildung für das ganze Volk, speziell aber für die ländlichen Untertanen, die durch harte Berufsarbeit dem Elend entrinnen sollten. Zwischen 1770 und 1800 soll sich der Alphatbe-tisierungsgrad von 15% auf 25% erhöht haben. Kirche und Obrigkei-ten, in deren Händen die Volksschule lag, hatten ein Interesse an lese-kundigen Untertanen. Aber die Untertanen hatten zu Hause selten mehr als einige Bücher und Volkskalender, die sie von Hausierern erworben hatten. Erst die Lesegesellschaften ermöglichten grösseren Gruppen die Lektüre zeitgemässer Autoren. Diese gab es sogar in den Untertanen-gebieten, sieben allein in der Zürcher Landschaft. Man sass gemein-sam zusammen und trank Kaffee, um den Verstand zu schärfen. In einer solchen Runde hat der Bauer Ulrich Bräcker (1735-1785) auch die Werke Shakespeares kennengelernt. Er verfasste später selbst die autobiographische Lebensgeschichte des „armen Mannes im Tockenburg”, welche einen einmaligen Einblick ins Leben des einfa-chen Mannes gestattet. 2.4. Der Helvetismus Ein neues Nationalgefühl, das vom Gegensatz zu den umliegenden absolutistischen Monarchien lebte, breitete sich aus. Die Helvetische Gesellschaft (1761) und andere patriotische und aufklärerische Zirkel wurden gegründet, welche ihre Heimatliebe mit der Förderung des Guten und Gemeinnützigen verbanden. 2.5. Das Memorial von Stäfa Es blieb aber nicht nur bei diesen ideellen Bestrebungen von Rousseau, Pestalozzi und der Helvetischen Gesellschaft, sondern im ganzen 18. Jahrhundert flammten immer wieder neue Volkserhebungen, Verfassungskämpfe und Verschwörungen gegen die Herrschaft des Patriziats auf. Immer entschiedener verlangten die vom politischen Leben ausge-schlossenen Bürger Teilnahme an der politischen Macht. Schon unter dem Eindruck der französischen Revolution verfassten Untertanen aus dem Zürcher Seeland das Memorial von Stäfa (1794), das die Gleichstellung von Stadt- und Landbürgern, Handels- und Gewerbefreiheit, Ablösung der noch bestehenden Feudallasten und freie Zulassung zu Studium und Offiziersämtern verlangte. Mit harter Hand wurden auch die Aufrührer von Stäfa bestraft. Unerbittlich hielten die Patrizier an ihren Vorrechten fest. 2.6. Der Untergang der alten Eidgenossenschaft Im ersten Koalitionskrieg der europäischen Mächte gegen das revolu-tionäre Frankreich verhielten sich die Eidgenossen neutral. Nachdem Napoleon Bonaparte aber Norditalien in seine Hand gebracht hatte, erhöhte sich der militärische Druck auf die Eidgenossenschaft, denn die schweizer Pässe waren als direkte Verbindung zwischen Paris und Mailand von strategischem Interesse für die französische Revolutions-armee. Im Dezember 1797 besetzte Frankreich vorerst die Besitzun-gen des Bistums Basel im Jura. In der Stadt Basel gewährte darauf der Grosse Rat eilig den Unterta-nen Freiheit und Rechtsgleichheit. Ein entschiedener Verfechter der de-mokratischen Erneuerung war hier der Oberzunftmeister Peter Ochs (1752-1821): „Wir wollen dem Gewitter zuvorkommen. Aus freiem Willen wollen wir uns revolutionieren. Zeigen wir einmal der Welt, wie sich eine Aristokratie von sich aus demokratisiert.” In der Waadt war Frédéric César La Harpe (1754-1838) ein glühen-der Verfechter der Revolution. Noch vor dem Einmarsch der Franzo-sen wurde die Befreiung von Bern und die Lemanische Republik aus-gerufen. Am 28 Januar 1798 zogen schliesslich die französischen Revolutionstruppen als „Freunde und Brüder” in Lausanne ein. Die Tagsatzung konnte sich zu keinem entschlossenen Vorgehen ge-gen den französischen Einmarsch entschliessen. Im Unterwallis und in den südlichen Alpentälern sagten sich die Untertanen von ihren Her-ren los, in Zürich und Schaffhausen wurde die Rechtsgleichheit der Untertanen gewährt. In den Gemeinen Herrschaften wurden die fran-zösischen Truppen als Befreier von der Patrizierherrschaft begrüsst. Die alte Herrschaft befand sich in völliger Auflösung. Bern stand allein gegen das französische Heer und wurde in der Schlacht von Grau-holz geschlagen. Am 5. März 1798 zogen die Sieger in die Stadt ein. Der Widerstand in den innerschweizer Alpengebieten hielt zwar noch einige Zeit stand, der Untergang der alten Eidgenossenschaft war aber mit dem Fall Berns besiegelt. Die von vielen herbeigesehnte helvetische Revolution hatte gesiegt, aber sie trug den Stempel der Fremdherrschaft. Ein Verfasungsentwurf von Peter Ochs wurde von Napoleon mit wenigen Änderungen gleich als Staatsgrundlage proklamiert. Sie machte aus dem zersplitterten Staatenbund der alten Eidgenossenschaft den unteilbaren Einheitsstaat der Helvetischen Republik. Der erste Artikel der neuen Verfassung be-stimmte: „Es gibt keine Grenzen mehr zwischen den Kantonen und den unterworfenen Landen, noch zwischen einem Kanton und dem andren”. Oberste Gewalt war das ganze Volk. Wie in Frankreich stand ein Direktorium von fünf Mitgliedern an der Spitze des Staates. Es war aber auch klar, dass die alten Mächte sich mit einer so radika-len Umwälzung des politischen Systems abfinden mochten. Trikolore der Helvetischen Republik. Nach dem französischen Vorbild führte auch die neue Republik die Trikolore im Wappen. In Anlehnung an die Tradtion standen Gelb und Rot für Uri und Schwyz, die Begründer der schweizerischen Freiheit, währenddem Grün die neue Freiheit symbolisierte. Wie sah die Schweiz wäh-rend der Zeit der Helveti-schen Republik aus? 3. Die kleine und grosse Restauration 3.1. Das Ende eines Versuches Über der Helvetischen Republik stand von Anfang an ein Unstern. Fremde Herren hatten den ersten schweizer Staat aus der Taufe geho-ben und so eng an sich gekettet, dass er sich nie frei entwickeln konn-te. Mit direkten Interventionen, mit Intrigen und Druckausübung setzte die französische Regierung immer wieder ihren Willen durch. In die imperialen Pläne des künftigen Kaisers passte der innerlich zer-strittene und zerfallende schweizer Staat nicht. 1802 zog Bonaparte die Truppen ab. Die voraussehbaren Unruhen in der Schweiz gaben ihm den Vorwand für eine erneute Intervention. Dies geschah auch und 1802 stiessen im „Stecklikrieg“, wie der Name sagt, nur behelfs-mässig ausgerüstete Truppen bis nach Bern vor, wo die helvetische Regierung residierte. Diese flüchtete in aller Eile nach Lausanne und bat Frankreich um Unterstützung. Erst kurz vor dem Fall Lausannes schaltete sich Napoleon ein, erklärte sich zum Vermittler und liess sei-ne Truppen wieder in die Schweiz vorrücken. Der Vermittlungsbeschluss beinhaltete die von Napoleon verfasste Gesamtverfassung, die die Souveränität der Kantone wiederherstellte, aber die Untertanen-verhältnisse nicht duldete. Um seinen eigenen Anteil an der Verfas-sung herunterzuspielen, bezeichnete er diese als Mediationsakte, was soviel wie Vermittlungswerk heisst. Am 10. März 1803 hörte die Helvetische Republik auch rechtlich auf zu bestehen. Der Versuch einer besseren Schweiz war gescheitert. 3.2. Ein erster Schritt zurück: Die Mediation von 1803 Gemäss der Mediatonsakte war die Schweiz ein Staatenbund von neunzehn gleichberechtigten Kantonen, die den bis heute gültigen Namen „Schweizerische Eidgenossenschaft“ erhielt. Die Akte gab auch der folgenden Epoche ihren Namen: „Mediationszeit“. Die Mediation verlangte, dass die Kantone wieder in ihre Rechte ein-gesetzt werden sollten. Zu den 13 alten Kantonen kamen sechs neue hinzu, die ehemaligen Untertanengebiete Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt und die ehemaligen zugewandten Orte St. Gallen und Grau-bünden. In den Landsgemeindekantonen wurden die alten Zustände mehr oder weniger wiederhergestellt, in den neuen Kantonen dage-gen behielten die Anhänger der Helvetischen Republik die Oberhand Die alte und die neue Schweiz existierten nebeneinander. 3.3. Die Restauration von 1815 Die Niederlage Napoleons in Russland bedeutete auch das Ende die-ser diffusen politischen Situation. In der Restauration von 1815 stellte der Wiener Kongress, dessen Ziel es war, Europa nach dem Fall Napoleons I. neu zu ordnen, den alten, neutralen Staatenbund wieder her. Die Aristokraten traten wieder in ihre Vorrechte ein, in der Tags-atzung verfügte wieder jeder Kanton über eine Stimme und die Niederlassungs- und Gewerbefreiheit fielen dahin. Als neue Kantone wurden Genf, Wallis und Neuenburg zur Schweiz geschlagen. Bern erhielt von den Wiener Diplomaten den Jura als Ersatz für die verlo-rengegangenen Untertanengebiete im Aargau und in der Waadt. Für die nächsten 15 Jahre schien das Rad der Geschichte zur aristokrati-schen Tradition zurückgedreht. Quellenverzeichnis • Aus „Die Schweiz und ihre Geschichte“ erschienen Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, 1998: Helmut Meyer: „Die Schweiz im Zeital-ter der konfessionellen Spaltung – 16. und 17. Jahrhundert“ und Pierre Felder: „Vom Ancien Régime zu den Anfängen der moder-nen Schweiz – 18. Jahrhundert bis 1884“ • Dieter Fahrni: „Schweizer Geschichte - Ein historischer Abriss von den Anfängen bis zur Gegenwart“ erschienen Pro Helvetia, 1996 • „Geschichte des Kantons Zürich, Band 2“ erschienen Werd Verlag • „Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Zeitreise, Vademekum für Lehrpersonen“ • Ulrich Im Hof: „Die Schweiz“ erschienen Kohlhammer • Christoph Mörgeli: „Memorial und Stäfner Handel 1794/1795“ erschienen Lesegellschaft Stäfa, 1995 • Andres Furger: „Schweizerisches Landesmuseum Zürich und Prangins“ erschienen Museen der Schweiz Hatte das Volk Einfluss auf politische Entscheidungen? Wie gingen die Eidgenossen mit dem Absolutismus um? Wie wurde Zürich regiert? Wie wirkte sich der Absolutismus in Zürich auf die Gesellschaft aus? Wie kam es zum Bauern-krieg von 1653? In welcher Lage befanden sich die Zürcher Bauern? Was hatten die Stadtzürcher für ein Einkommen? Weshalb lehnten sich die Bauern nicht auf? Weshalb entwickeln die Eid-genossen das Prinzip der be-waffneten Neutralität? Was führte zu den Villmerger Kriegen? Wann erklärte die Eidgenos-senschaft zum ersten Mal die bewaffnete Neutralität? Warum traten Eidgnossen in „fremde Dienste“ ein? Was brachte der Soldvertrag für Vorteile mit sich? Welche sozialen und wirt-schaftlichen Reformen fan-den im 18. Jh statt? Welche Industriezweige ent-wickelten sich im 18. Jh? Wovon lebten die Zürcher? Welche wissenschaftliche Erkenntnisse läuteten die Helvetische Revolution ein? Was beinhaltet der Hel-vetismus? Weshalb haben sich die Stäfner gegen die Stadt Zü-rich aufgelehnt? Wie sah die Schweiz wäh-rend der Zeit der Helveti-schen Republik aus? Warum kam es 1803 zum Untergang der Helvetischen Republik? Was bedeutete der Fall Na-poleons für die Schweiz?