Vergessene Flyer
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Vergessene Flyer
Vergessene Flyer Jeder kennt sie. Sie sind überall. Flyer. Sie alle erzählen eine Geschichte. Nämlich die der Person, welche sie so achtlos liegen ließ. „Nod ya head! Bang ya head!“ Wenn lange Haare in einer mit zunehmender Zeit immer unerkenntlicher werdenden Filzkugel im Takt eines brachialen Schlagzeuges unaufhörlich nickend durch die Luft geschleudert werden und sich schwere Körper ständig aneinander schmeißen, dann sind die beiden ehemaligen Besitzer dieser Flyer sicher nicht weit...! Die zerbro- chenen und leider viel zu leeren Bierflaschen be- fanden sich am 04. Juni 2005 zudes Studiums kennen und lieben ge- „Nö, was geht?“, sammen mit den lernt hat. Bier! Das ist genau das, was „Headbangers Ball!“, beiden Flyern auf er jetzt braucht. Mit beschleunigtem „Was‘n das?“, einer Schritt kommt er schnell bei der von ihm „Naja, Metal und so...“, zwischen dem georteten Flasche und seinem daneben „Okay...“, Wohnheim Zeu- dunkel gekleideter Zeitgenosse auf die sitzenden, ihm im Outfit unglaublich „Geil, ich sag den anderen Bescheid“. nerstraße und Baustelle zu, deren Metallzäune schon ähnlich sehenden Kumpel an. Zielstrebig geht ein auffällig lange von fußfaulen Studenten beiseite gestellt wurden, die so den Weg zur Bus- Baustelle Und so endet die kurze, aber prägnante „Plopp!“ Konversation mit einer Zustimmung bei- haltestelle massiv verkürzen konnten. der zum Konzertbesuch des nächsten dem Bürogebäu- In einer dunklen Ecke ist das kurze Auf- Tages. Voller Euphorie und Vorfreude de glimmen einer Zigarette zu erkennen. wird noch schnell das Bier ausgetrun- Weg. Zellescher So eine Begrüßung hatte er sich immer ken, Platz für das nächste geschafft und „Hey Sack“, gewünscht! Noch bevor ein nächstes die Nacht wird noch das eine oder ande- Die Flyer werben „Jo?!“, Wort fällt, wird das kühle Becks an die re Mal von einem kurzen, dem Studen- für „Headbangers „Wo bist du?“ Lippen geführt und der überflüssige ten so unentbehrlichen „Plopp“ durch- Ball“, eine Rock- „Hier drüben, Alter!“ Schaum abgeschlürft. zogen, bevor dann der Kasten leer und musikveranstal- die beiden Gestalten der Nacht umso tung. Mit lärmgeschulten Ohren folgt der „Morgen Abend schon was vor?“, fragt mit blonden, schulterlangen Haaren der edle Spender des heiligen Getränks geschmückte Nachtwanderer dem lei- den offensichtlich sehr durstigen Nacht- sen Klimpern einer Flasche. Eine jener wanderer. Flaschen, deren Inhalt er seit Beginn voller sind, um sich dann zufrieden auf den Heimweg zu begeben. „Brevity is the soul of wit“ Shakespeares Komödien brachten schon unzählige Menschen zum Lachen. So wahrscheinlich auch die ehemaligen Besitzer dieses Flyers, welche sich für Cabaret im Rocktheater Dresden entschieden haben. Vermutlich Soziologie-Studenten? Wir werden sehen... Dieser Fly- er wurde am 23. Mai 2005 auf einer Bank auf den Grünflächen überhalb der SLUB ge- Zwei Spät- Sonnenstrahlen wohl wahrscheinlich BWL Studenten. Oder höheren Soziologie. Auf jeden Fall klemmt die zwanziger, schon ausnutzen. funden. Typisch, Er wirbt für eine tin- Frankurter Allgemeine unter dem rech- Das Interesse an der FAZ offensichtlich verloren, widmet sich Cabaret-Auffüh- geln, in politische ten Arm des Einen. Zusammen mit ei- der Zeitungsträger nun voll und ganz den Flyern. Akribisch rung im Rockthe- Gespräche ver- ner Auswahl an Flyern. Wofür werden wird jede Zeile drei Mal gelesen. Anscheinend wägt er ab, ater Dresden. tieft, nach Vorle- sich die beiden denn wohl entscheiden? welches der Angebote ihn denn nun am meisten anspricht. Semesters sungsende Rich- Erkennen kann man die Auswahl Kino tung SLUB. Noch oder Cabaret. ner sauber gefal- stehenden Mülleimer. Kino wird es also heute wohl nicht. Und teten Frankfurter Wie es scheint hat der Dünnere, fast schon folgen der zweite und dritte Flyer. Die Entscheidung fällt Allgemeinen Zei- schon schmächtig wirkende der Beiden offensichtlich zu Gunsten des Cabaret. schnell ein paar noch einen Termin. Er schaut auf die Uhr Bücher und eilt davon. für nächste die Er lag dort auf eiDa fliegt auch schon der erste Flyer in den neben der Bank Klausur Nicht völlig überraschend könnte man meinen. Hemd, Jeans mit Bügelfalte, der Rucksack, welcher in seinen Händen eher tung. Diese war geholt und jetzt Germächlich begibt sich der Dickere der wie ein Aktenkoffer wirkt - alles Indizien, die von vornherein vom selben Tag Mittagspause. Beiden nun in Richtung einer der Bänke ein Metalkonzert ausgeschlossen hätten. und wies bereits erstaunlich über der SLUB. Peinlich genau werden stark Am besten in der Lieblos lässt er den Flyer und sogar seine FAZ liegen und hetzt ausgeprägte Sonne. Man muss - offenbar vom schnellen Voranschreiten der Zeit völlig über- sespuren auf. doch rascht - wieder Richtung Hörsaalzentrum. schließlich die bisher etwas alle Verunreinigungen auf der Bank ent- spärlich fernt bevor er sich setzt. gesäten Le- „Here‘s looking at you kid!“ Casablanca steht zwar nicht auf dem Programm, dafür aber jede Menge aktuelle Filme. Angeboten wird das Ganze im Rahmen der „uni-film“ vom Club Bärenzwinger und dem Klub Neue Mensa. Doch wer hat diese Flyer hier liegen gelassen? Am 17. Mai 2005 lagen diese Flyer vor der Bierstube auf der Mauer Erstaunlich an der Treppe. genug, dass Es werden nun heftig alle Vor- und Nach- zumeist drei Leute zusammen ins Kino teile der angebotenen Filme diskutiert. Direkt daneben Fast schon dialektisch, diese plötzlich stand ein Becher liegt, dass es sich oft genug um Pärchen Leicht autonom bei genauem Hinschau- entflammende Diskussion ob der tiefe- Kaffee, am Boden handelt. Ersteres scheint sich aber hier en - so mit dem „Bad Religion“-Pulli und ren Bedeutung des Streifens „Der Herr lagen ein paar zu bestätigen - schließlich sitzen hier dem Tattoo an der Wade. Insgesamt des Hauses“, welcher es wohl auch in vereinzelte Ziga- drei Studenten zusammen und knobeln wohl wirklich ein guter Querschnitt die nähere Auswahl geschafft hat. Bleibt rettenkippen, die augenscheinlich welcher Film es denn durch das Dresdner Studententum, nur zu hoffen, dass die Diskussion aber nicht eindeu- sein soll. könnte man meinen. Das verwundert tig den Besitzern auch nicht weiter. Kinogängern ist das des Flyers zuge- gehen. Wo doch die Vermutung so nahe Ein bunter Haufen, schwer einzuordnen. für gewöhnlich ja auch nicht auf die Stirn Vermutlich auch nicht alle aus dem sel- tätowiert. ordnet weiterhin so friedlich verläuft, da werden konnten. sich an der Filmauswahl die Geister der ben Studiengang. Hat einer doch alle stereotypischen Ansätze eines Informa- Erste Unterschiede zeigen sich bei den Gruppe doch deutlich zu scheiden schei- Der Flyer wirbt tikers, so sieht der in der Mitte stehen- Dreien aber nun doch. Unser Jurist will nen. Plötzlich scheint die Diskussion zu für das Kinopro- de, gemütlich an seiner Moods paffende wohl eher einen Film mit etwas mehr erstarren. Man hat sich geeinigt. Bei den gramm „uni-film“ Kerl eigentlich nach einem Juristen aus, Tiefgang und kann sich nur sehr schlecht Preisen wird einfach alles geschaut. mit seinem hellblauen Hemd und der mit dem Gedanken anfreunden, sich „Periode 1“ anzuschauen. Kann man Zigaretten werden ausgedrückt, der ihm ja auch nicht verübeln, auch wenn Kaffee wird noch schnell herunterge- des das, dem Zitatschwall des tätowierten schüttet und weiter geht‘s zur nächsten Mensa und des schwarzen Hose. Der Dritte lässt sich nach zu Schließen, einer seiner Lieb- Vorlesung. Club hingegen überhaupt nicht einordnen. lingsfilme sein muss. Klub Neue Bärenzwin- „There‘s no place like home“ Frei nach diesem Motto schien sich der Besitzer dieser kleinen Flyersammlung entschieden zu haben. Und billiger ist ja allemal auch. Wieso also nicht mal einfach zu Hause bleiben und den Abend genießen. Oder hatte das ganze doch andere Gründe? Eine ganze Flyersammlung lag am 17. Juni 2005 in einem Mülleimer an der Verschwommen Bushaltestelle er- so scheint Fritz-Förster-Platz. sich kennt man nur einen schemenhaften durch den die ge- Umriss an der Bushaltestelle stehen. samte Die einzige sichere Beobachtung, die le umfassenden Schon wieder scheinen die Stimmen ins Unhörbare zu ent- men von verschie- sich anstellen lässt ist, dass es sich um Schleier der Un- schwinden und verhallen langsam in der Ferne um wiederum denen Clubs und einen Studenten handelt. Oder eine Stu- schärfe auf einmal Platz für einen anderen Dialog zu schaffen. Wirkt einseitig, werben zum gro- dentin. Oder auch beides. eine zweite Stim- soweit sich das durch das blubbernde Rauschen des Flirrens me um die Bushaltestelle sagen lässt. Auch lässt sich nicht mit Wie gesagt: Verschwommen. Man Die Flyer stam- Haltestel- abzuzeiche- nen. Bestimmtheit sagen, ob es sich um eine weibliche oder männ- erahnt nur Fetzen eines internen Mo- liche Stimme handelt. Innere Monologe klingen aber auch alle ßen Teil mit elek- nologs. Grob zusammengefasst lässt gleich. Jedoch scheint dieser Monolog nicht von den Sorgen tronischer Musik dieser auf eine dramatische innere Ze- ob des Bestehens einer Klausur zu zehren, sondern vielmehr wie „brazilectro“ rüttung schließen, wie sie jeder Student Eine offenbar von dem bestimmten Wissen um den Kontostand. Ein leich- oder House und kennt. „Lernen oder Party?“, schwirrt weibliche Stimme tes Fluchen scheint sich immer wieder unter das Schluchzen Dancefloor. immer wieder durch den Nebel. Der jet- - in sanftem und zu mischen. zigen Position der Flyer nach zu urteilen, dennoch fordern- hat sich die Entscheidungsfindung wohl dem Ton einen ge- „Mehr Bafög“ und „keine Studiengebühren“ kann man mit der anderen Ob- zu Gunsten des Studiums geneigt. mütlichen Abend viel Phantasie und einem kleinen Anteil an Erfahrung oder jekte zum selben zu Hause verlan- auch Observation des generellen Studententums immer wie- Menschen gehö- gend. Das erklärt der erahnen. ren war natürlich auch, warum die Wie dem auch sei, alle Beobachtungen laufen ja doch auf ein nicht mehr zu sa- Eigenartig, erschien es doch eben noch Flyer im Müll lie- ähnliches Ergebnis hinaus: Einen mehr oder minder angeneh- gen. wie der interne Monolog einer Person, gen. men Abend in den heimischen 4 Wänden. Oder auch 8. Ob irgendwelche „Besides the green , green grass...“ Wir schreiben das Jahr 2005. Ganz Deutschland ist von einer kapitalistischen Gesellschaft besetzt... Ganz Deutschland? Nein, eine kleine Bevölkerungsgruppe, die sich mit Vorliebe an Universitäten ansiedelt, leistet beständigen Widerstand! Von diesen Rebellen könnten die hier vorgefundenen Flyer stammen... Diese Anordnung bunte von Flyern fanden wir am 13. Juni 2005 auf einer Wie- se hinter einem „Wo kommen wir denn da hin, wenn was seine Eltern sehr verärgerte. Man jeder blind akzeptiert, was um ihn her- ist sich einig darüber, dass die wichti- um geschieht, ohne sich Gedanken über gen Worte für heute gesprochen sind die eigene Zukunft zu machen?“ und lauscht stattdessen lieber dieser Abschied zu nehmen! Er legt diesen Fly- Wohnheim Mit entschlossenem Blick setzt sich der elektronischen Musik, die aus dem CD- er behutsam neben den Demoflyer ins Zelleschen Weg. Protagonist wieder zu seinen drei Mit- Player dieses rothaarigen Typen kommt, Gras, vielleicht holt er ihn später wieder, studenten in das Gras und nimmt gleich- dessen Namen sich niemand merken wenn niemand anders dabei ist. Doch Der zeitig einen tiefen Zug aus einer merk- kann und die verwunderlicherweise jetzt muss er erst einmal sein Gesicht er ruft zu einer würdigen, selbstgedrehten Zigarette. viel beeindruckender klingt, wenn man bewahren. Demonstration wiederholt an dieser selbstgedrehten grüne gegen am Fly- Studien- Zigarette mit dem wunderlichen Inhalt „Schon gehört? Nächste Woche ist gebühren auf, gezogen hat. Der Takt der Musik scheint brazilectro...“, der Flyer mit der „Ich kann mir das nicht leisten, und mei- sich nun nur durch die eigenen Gedan- Nach einer stundenlangen Diskussion, attraktiven Frau ne Eltern erst recht nicht!“ Und so ent- ken steuern zu lassen... was da denn für Musik liefe und der fi- wirbt für eine nalen Feststellung, dass eigentlich alle BWL-Party und steht eine hitzige Diskussion über die Demonstration, die sie alle letzte Woche „Wozu schleppst du diesen alten Flyer von ihnen diese Musik sehr befürwor- der rote kündigt besucht hatten und an deren Erfolg sie mit dir rum?“ fragt einer den Rothaa- ten ist die Entscheidung gefallen, dieses die „brazilectro“- wie immer zweifelten. rigen, der wie entgeistert auf einen Event zu besuchen. Veranstaltung an. „Hey, ich höre jemanden“, „Wir werden es weiter versuchen!“, Hektisch spricht einer der Anwesenden, dessen rette achte Demonstration für dieses Jahr di- BWL-Party-Flyer starrt, Erinnerungen rekt auf den Ostersonntag gefallen ist, an seine Ex-Freundin kamen hoch, Zeit, werden Flyer fallengelassen tagonisten verstreuen Himmelsrichtungen... und und sich die in ZigaProalle Nils Podewski Alexander Peitz