Paul Boldt Auf der Terrasse des Café Josty
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Paul Boldt Auf der Terrasse des Café Josty
Paul Boldt Auf der Terrasse des Café Josty Paul Boldt Auf der Terrasse des Café Josty Gedicte und Prosa 1912 — 1918 Edition Razamba © Verlag Razamba Martin Ebbertz Boppard / Frankfurt am Main 2009 Herausgegeben von Mar$ Pendzic Alle Recte vorbehalten. Edition Razamba Bd. 4 ISBN 978-3-941725-00-3 Gesetzt in DS-Garamond Umsclaggestaltung: Bertram Benitz www.razamba.de Auf der Terrasse des Café Josty BOXMATCH Die Zeicen ihrer Wut und ihrer Race, Die sie im Anprall aneinander hetzt, Vermehren sic. Sie keucen scwer und jetzt Berinnen sie (ein Dämcen screit entsetzt) Wie Brunnenrohre, die ein Riß verletzt, Und trampeln bäurisc um die rote Lace, Um nict zu fallen, während sie sic flace, Seltene Hiebe geben — sconend scwace. Da brüllt der Pöbel, und das Ziscen fegt Sie ineinander. Hiebe klappen dumpf, Die Arme drehn wie Flügel einer Mühle. Der stemmt den na%ten Scädel aus dem Rumpf, Nac welcem jener scnappt und Scläge sclägt. Sein Lacen blutet aus dem Sieggefühle. 7 SCHLAFENDE AUGEN Die Nerven kräuseln Feinhäutig gesclossene Frauenlider. Wie sanfte Winde säuseln In erloscenen Lustseen Stimmen, die unserm Blut die Liebe gab. Wie in raucende Meere Taucten unsere Bli%e ein. Wie rote, strotzende Heere, Trunken von Wein, Rollten die Augen ins Leere, In rot flammenden Rausc und Scein. 8 AUF DER TERRASSE DES CAFÉ JOSTY Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll Vergletscert alle hallenden Lawinen Der Straßentrakte: Trams auf Eisenscienen, Automobile und den Menscenmüll. Die Menscen rinnen über den Asphalt, Ameisenemsig, wie Eidecsen flink. Stirne und Hände, von Gedanken blink, Scwimmen wie Sonnenlict durc dunklen Wald. Nactregen hüllt den Platz in eine Höhle, Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln sclagen Und lila Quallen liegen — bunte Öle; Die mehren sic, zerscnitten von den Wagen. — Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest, Vom Rauc der Nact wie Eiter einer Pest. 15 Nacwort Mit diesem zweiten Band mit Gedicten und Prosa liegt das Gesamtwerk des Expressionisten Paul Boldt nac rund 25 Jahren endlic wieder in gedru$kter Form vor. Das Oeuvre dieses Dicters, der nur wenige Jahre publizierte, früh verstarb und bald in Vergessenheit geriet, fällt mit 85 Gedicten und zwei Kurzgescicten rect scmal aus. Doc wer mit Boldts Werk vertraut ist, für den ist es ein wahres Kleinod, das wohl auc deshalb so stark fasziniert, weil man so wenig über dessen Scöpfer weiß. Es ist erstaunlic, welc hockarätige Unterstützung der Unbekannte posthum erfährt: ReicRani$ki, Härtling, Rühmkorf – und zuletzt die FAZ, die 2008 den ersten WiederveröffentlicungsBand der Edition Razamba als „beglü$kende Wiederentde$kung“ feierte. Doc gleicfalls verwundert, wie wenig diese vehemente Fürsprace bisher bewirken konnte: Paul Boldt ist in Deutscland selbst unter Germanisten unbekanntes Terrain. Ein Geheimtipp unter Eingeweihten war es dann auc, der mic seinerzeit in Boldts bilderreice Welt als Komponist und scließlic als Herausgeber des Paul-Boldt-Online-Arcivs eintaucen ließ. Unterstützung erfährt das Werk Boldts heute vor allem ausgerecnet vom fernstmöglicen Punkt, 61 von Japan. Hier hat es sic Daniel J. Webster zur Aufgabe gemact, Boldts Gedicte ins Englisce zu übersetzen. Gleicfalls in Tokio ansässig, betreibt der Germanist Eberhard Sceiffele intensive Boldt-Forscung. In Nacfolge Wolfgang Minatys, der 1979 mit der ersten Gesamtausgabe Sisyphusarbeit geleistet hat, begab sic Sceiffele 2008 auf eine nocmalige intensive Spurensuce in diversen Arciven sowie in Naclässen von Wegbegleitern Boldts. So fand er heraus, dass Boldt auc mit Else Lasker-Scüler bekannt war. Insgesamt jedoc lautet das Fazit, dass heute, rund 90 Jahre nac Paul Boldts Tod, kaum mehr neue Fakten in Erfahrung zu bringen sind. Wir haben uns folglic mit dem zu begnügen, was wir nun wissen. Das ist wenig genug: Paul Boldt wird am 31. Dezember 1885 in Christfelde (Westpreußen) als Sohn eines Gutsbesitzers geboren. Nac dem Abitur zieht es ihn fort zum Studium der Philologie nac Müncen, Marburg und bald scon in die damalige Weltstadt Berlin. Dort sceint er zunehmend das Leben eines Bohémiens geführt zu haben – und mag des Öfteren im damals sehr bekannten und hier Titelgebenden Künstler-Café Josty am Potsdamer Platz anzutreffen gewesen sein. 1912 brict er das langjährige Studium ab und veröffentlict statt dessen in rascer Folge eine Reihe 62 von Gedicten in der linken Zeitscrift Aktion. Bereits nac kurzer Zeit erregt er mit dem Gedict Junge Pferde Aufmerksamkeit und tritt bei Autorenlesungen z.B. an der Seite von Gottfried Benn auf. Und gerade mal 18 Monate nac dem ersten publizierten Gedict ersceint ein eigenständiger Gedictband, Junge Pferde! Junge Pferde!. Doc dieser Band ist Höhe- und Wendepunkt zugleic. Ab dieser Zeit – die auc den Beginn des Weltkrieges markiert – lässt die Frequenz der Veröffentlicungen merklic nac, um 1918 ganz zu aufzuhören. 1915 wird Paul Boldt zur Artillerie eingezogen, aber bereits 1916 aufgrund eines „Nervenleidens“ wieder aus dem Kriegsdienst entlassen. Die für den Leser meist nur scwer zugänglicen, abgründigen Werke dieser Zeit – wie Die Sprecer – stehen in deutlicem Gegensatz zu früheren Werken wie beispielsweise dem aufblühenden Gedict Liebesmorgen – und spiegeln seine damalige Seelenlage wider. Im Herbst 1919 beginnt Paul Boldt in Freiburg im Breisgau ein Medizinstudium – und wohl auc ein neues Leben. 1921 wird er zunäcst ohne Komplikationen an einem Leistenbruc operiert, verstirbt jedoc wenige Tage später am 16. März an einer Embolie. Mar$ Pendzic 63 Literatur und Quellen Minaty, Wolfgang (Hg.). Junge Pferde! Junge Pferde! Gesamtausgabe der Gedicte Paul Boldts. Olten: Walter, 1979 (1982). Pendzic, Mar$. Paul-Boldt-Online-Arciv. http:// www.paul-boldt.de/ Hamburg, 1999 – 2009. Pfemfert, Franz (Hg). Die Aktion. Wocenscrift für Politik, Literatur und Kunst. Berlin, 1912 – 1918. Die Werke dieses Bandes erscienen überwiegend erstmals in Die Aktion. Abweicend erstmals erscienen • „Versuc zu Lieben“ in Die weißen Blätter Bd. 1, Jg. 1913/14, 2. Semester, Nr. 7, März 1914 und • „Freundin Hörerin“ in Die weißen Blätter. Bd. 3, Jg. 1916, II. Quartal (April), S. 76-77. Die Gedicte „Erwacsene Mädcen“, „Impression du soir“ und „Andere Jüdin“ (21.5.1913) liegen hier abweicend vom Band „Junge Pferde! Junge Pferde!“ in der Fassung der Erstveröffentlicung vor. 64 Inhalt 7 8 9 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 Boxmatc (10.7.1912)* Sclafende Augen (10.7.1912) Kornfelder (24.7.1912) Sommergarten (14.8.1912) Erwacsene Mädcen (4.12.1912) Hunger (18.9.1912) Oktobernact (25.9.1912) Auf der Terrasse des Café Jo#y (13.11.1912) Gleic den Tannen . . . (27.11.1912) Belle amie — — (8.1.1913) Hinrictung 1913 (12.2.1913) Vorfrühlingshimmel (28.2.1913) Impression du soir (5.3.1913) Lektüre (16.4.1913) Amor und Mors (30.4.1913) Andere Jüdin (21.5.1913) Andere Jüdin (2) (4.6.1913) Der Primäraffekt (5.7.1913) Lyrik (6.9.1913) Die Reise (27.9.1913) Instgarten (11.10.1913) Abendwald (22.11.1913) Der Frauentod (3.1.1914) Der Dicter (31.1.1914) * Datum der Erstveröffentlicung 65 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 50 51 52 Auf der Chaiselongue (28.2.1914) Abend am Kanal (11.4.1914) Der Spaziergänger (6.6.1914) In der Natur (1.8.1914) Literatur$afé (29.8.1914) Vor dem Winter (5.12.1914) Wir Dicter (24.12.1914) Bevor (13.2.1915) Szene (13.2.1915) Monogamie (13.2.1915) Stadt (3.4.1915) Das stumme Land (17.4.1915) Ausflug (29.5.1915) Das Bad des Blinden (24.7.1915) Frauen in den Straßen (25.9.1915) Frauenfeuer (6.11.1915) Freundin Hörerin (April 1916) Badende Mädcen (25.11.1916) Die Sprecer (30.6.1917) Der Leib (10.8.1918) 53 54 Mondscein (9.4.1913) Der Versuc zu lieben (März 1914) 61 64 Nacwort des Herausgebers Literatur und Quellen 66