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Die visuelle Sprache der Frauen in Madurai
Konzeption eines animierten Filmes
zur Aufklärung der Geschlechtsbestimmung bei einer Befruchtung
Zürcher Hochschule der Künste
Departement Design
CAST/Audiovisuelle Medien
6. Semester | FS 2014
Betreuerin: Cecilia Hausheer
Abgabetermin: 3.3.2014
Bachelorarbeit von Sarah Bernhardt
Heinrichstrasse 227, 8005 Zürich
Matrikelnummer 03-722-386
s.bernhardt@bluewin.ch
Eidesstaatliche Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit mit dem Titel „Die visuelle
Sprache der Frauen in Madurai - Konzeption eines animierten Filmes zur Aufklärung der
Geschlechtsbestimmung bei einer Befruchtung“, selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst
und keine anderen als die angegebenen Quellen benutzt habe. Die Stellen der Arbeit, die dem
Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen wurden, sind in jedem Fall unter
Angabe der Quelle kenntlich gemacht. Die Arbeit ist noch nicht veröffentlicht oder in anderer
Form an irgendeiner Stelle als Prüfungsleistung vorgelegt worden.
Zürich, Datum
Sarah Bernhardt
Inhaltsverzeichnis
1Einleitung������������������������������������������������������������ 1
1.2 Ziel dieser Arbeit___________________________________________________ 2
2
Indische Symbolsprache zur Sexualität______________________________________ 4
2.1 Bedeutung elementarer indischer Symbole_______________________________ 4
2.2 Kamasutra / Götterabbildungen / Symbolik_______________________________ 8
3
Fiktive Symbolik in der indischen Realität___________________________________ 11
3.1 Audiovisuelle Symbolik in Bollywood-Filmen___________________________ 11
3.2 Umgang mit dem Thema „Sexualität“ in Indien__________________________ 12
4
Audiovisuelle Konzeption________________________________________________ 13
4.1 Auswertung der Ergebnisse aus Madurai________________________________ 13
4.2 Aufbau und Umsetzung der Animation_________________________________ 20
5Schlussfolgerung_______________________________________________________ 20
6Anhang______________________________________________________________ 23
7Literaturverzeichnis____________________________________________________ 34
8Internetquellen________________________________________________________ 35
9Abbildungsverzeichnis__________________________________________________ 37
1
Einleitung
In den vergangenen Monaten ist Indien immer wieder durch brutale Vergewaltigungen in die
Schlagzeilen geraten. Die diesbezüglichen Berichterstattungen lösten eine starke mediale Präsenz und grosse Betroffenheit aus und oft habe ich mich gefragt, wo die Wurzeln solcher
Übergriffe zu suchen sind. Mein Aufenthalt im Zusammenhang mit dieser Arbeit in Madurai,
die sich unter anderem auch mit dem Thema der Sexualität in Indien befasst, erhärtet meine
Vermutung, dass die Inder, im Gegensatz zu uns, ein ganz eigenes Verhältnis zur Sexualität
haben, das in verschiedenen übergreifenden historischen und gesellschaftspolitischen Themen
seinen Ursprung hat.
Um 1000 n. Chr. setzte der Brahmanismus1 ein, der Sexualität als etwas Schmutziges brandmarkte. Die britische Kolonialisierung mit dem Einfluss der christlichen Kirche und dem
Viktorianismus verstärkte die Prüderie in Indien.2 Bis heute ist das Land und die Stellung
der Frau durch diese Einflüsse geprägt. Experten sprechen gar von einer „Kultur der Stille“.
Die traditionellen patriarchalen Strukturen sind noch in vielen Teilen Indiens verbreitet und
Mädchen wie Frauen sind nichts wert.3 Zwar garantieren Gesetze die Rechte von Frauen,
doch grosse Teile der Gesellschaft leben noch immer im Mittelalter. Frauen werden als ein
„Gebrauchsgegenstand“ betrachtet, welcher mit der Hochzeit nicht mehr zur Verfügung steht.4
Eine Tochter zu haben stellt eine finanzielle Belastung dar und dadurch werden Mädchen
nicht selten abgetrieben oder umgebracht.5 Offiziell ist das verboten und doch werden in
Indien jedes Jahr Tausende Föten abgetrieben, nur weil sie Mädchen sind. Schon im Mutterleib
beginnt der lange Leidensweg von Indiens Frauen. Die Gesellschaft will Söhne, Stammhalter
und Erben.6 Die Angst vor neuen Anforderungen und die wachsende Unsicherheit, führen
dazu, dass der Mann sich vor der gebildeten Frau fürchtet.7 Es braucht grundlegende Veränderungen, da diese Vergewaltigungen Ausdruck von einer dysfunktionalen indischen Gesellschaft sind.8
“A stage may soon come where it would become extremely difficult, if not impossible, to make
up for the missing girls,” says François Farah, country representative of the UN Population
Fund. “Today we are at a stage where many villages are having fewer or no small daughters
and… the resulting imbalance can destroy the social and human fabric,” he added.9
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Begriffserklärung: Eine der Hauptreligionen Indiens
Vgl. Alexowitz, 2003, S. 88
Vgl. URL: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article120009179/Im-traditionellen-Indien-sind-Frauen-nichts-wert.html
Vgl. URL: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article120009179/Im-traditionellen-Indien-sind-Frauen-nichts-wert.html
Vgl. URL: http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/asien-und-ozeanien/Die-indischen-Frauen-sind-nur-auf-dem-Papiergleichberechtigt/story/12127081
Vgl. URL: http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/indien-frauen-im-slum-von-mumbai-kaempfen-gegen-gewalta-876551.html
Vgl. URL: http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/asien-und-ozeanien/Die-indischen-Frauen-sind-nur-auf-dem-Papiergleichberechtigt/story/12127081
Vgl. URL: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article120009179/Im-traditionellen-Indien-sind-Frauen-nichts-wert.html
Vgl. URL: http://www.bmj.com/content/327/7422/1007.1
1
1.2
Ziel dieser Arbeit
In Indien ist eine Bewegung für die Rechte der Frauen im Gange. Als ich vor einem Jahr die
Reportage im ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen) „Indiens ungewollte Töchter“10 gesehen
habe, worin Rosi Gollmann darlegt, wie die indischen Frauen sich die Schuld für die Geburt
eines Mädchens geben, hat dies bei mir grosse Betroffenheit, Unverständnis und Mitgefühl
ausgelöst. Wie kann es sein, dass eine Frau der festen Überzeugung sein kann, dass sie die
alleinige Schuld an der Geburt eines Mädchens trägt? Ein Mann sagt seiner Frau nach der
Geburt eines Mädchens „Du hast mir nur Dreck geboren“.11 Unser biologisches Wissen
und unsere Kenntnisse bezüglich dem Zeugungsakt und insbesondere dem stattfindenden
Befruchtungsvorgang schliessen unser Verständnis mit ein, dass es der Mann ist, der das
Geschlecht des Kindes bestimmt, also auch jenes eines Mädchens. Dem ist in Indien bei weitem nicht so, denn es sind gerade die Männer, die den Frauen die Schuld zuweisen, wenn diese
ein Mädchen gebären.
Die Frage war, wie man dieses zutiefst verankerte Schuldgefühl der Frauen aufklärend
abschwächen kann, in dem man Ihnen vor allem darlegt, dass der Mann geschlechtsbestimmend ist. Ich bin mir bewusst, dass meine Arbeit nicht die Denk- und Verhaltensweisen eines
ganzen Landes verändern kann, aber ich würde mir wünschen und ich möchte hoffen, dass
meine Arbeit als einen von vielen aufklärerischen Tropfen zum biologischen Befruchtungs­
vorgang dazu beitragen möge, dass die indischen Frauen mit der Zeit von diesem ihrer unwürdigen Schuldgefühl befreit werden.
Mit diesem Projekt möchte ich aber auch die indischen Männer erreichen, und mir wünschen,
dass sie verstehen und somit erkennen, dass bei der Geburt einer Tochter weder ihre Frauen
noch direkt sie selbst eine Schuld trifft.
Nach der ZDF Reportage nahm ich Kontakt mit der für dieses Projekt in Indien zuständige
Andheri-Organisation Bonn auf und erkundigte mich, ob ich den dortigen Frauen das Wissen
über den Befruchtungsvorgang mit einer Animation vermitteln dürfte. So begann ein reger
E-Mail Verkehr und es zeigte sich schnell, dass diese Arbeit unmöglich von hier aus
geschehen konnte, um so mehr, als mir und auch der Organisation die visuelle Sprache
und Symbolik der indischen Frauen bezüglich Befruchtung (Sexualität) nicht bekannt
waren. Daher kamen wir schnell überein, dass eine Animation basierend auf unserem Verständnis und Interpretation von Bildern und Symbolik zum Thema Befruchtung für eine indische Frau nicht nachvollziehbar sein konnte. So beschloss ich also nach
Madurai (Tamil Nadu, Südindien) zu reisen, um vor Ort die visuelle Sprache der Frauen zu
erkunden und zu verstehen. Durch die Recherchen bezüglich Symbolik im Allgemeinen und
den Ergebnissen aus vielen Gesprächen mit Frauen in Madurai soll, verknüpft mit meinem
10 Vgl. URL: http://www.youtube.com/watch?v=qx_fpGS0yx8
11 URL: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=36757 timecode: 1m43s
2
Wissen aus dem Studium CAST/Audiovisuelle Medien, ein animierter Film entstehen, der mittels
portablen Screens den indischen Frauen zu Aufklärungszwecken gezeigt werden kann.
Es stimmt mich sehr nachdenklich, dass nicht nur die indischen Männer die Frauen, sondern,
dass sich auch die Frauen abwerten. So ist es letztendlich unvermeidbar, dass jedem Mädchen
dessen Minderwertigkeit gegenüber einem Jungen ununterbrochen vorgelebt wird. Indische
Frauen geben das Schuldgefühl ihren Töchtern weiter, da sie es leider (noch) nicht anders
kennen und es ist mein Ziel, durch die Animation dazu beizutragen, sowohl Frauen wie auch
Männer aufzuklären, um letztendlich, durch neues gegenseitiges Verständnis, beide im gegenseitigen Respekt, in ihrer Persönlichkeit und Würde zu stärken.
Die Symbolik zum Thema Sexualität, einschliesslich Befruchtung, ist in Indien ein absolutes
Tabu. Deshalb stelle ich in einem ersten Schritt die Fiktion der Realität gegenüber, dazu führe
ich die elementaren indischen Symbole auf und gehe in einem weiteren Schritt auf die Lehren
des Kamasutras und die Götterabbildungen ein. In diesem Abschnitt werde ich aufzeigen, welche allgegenwärtige Göttersymbole in Bezug zum Zeugungsakt und zur Befruchtung stehen.
Was für uns Hollywood ist, ist für die Inder „Bollywood“, ein ganz eigenes und spezielles
Filmgenre, anhand dessen sich einiges zu diesem Thema veranschaulichen lässt. Da 47,2 %
der indischen Bevölkerung Fernsehgeräte besitzt, ist fast die Hälfte der Inder auch mit den
Filmen von Bollywood vertraut.12 Ein kurzer Exkurs zu den „Bollywood-Filmen“ und deren
Symbolik ist somit für meine audiovisuelle Konzeption des animierten Filmes unerlässlich.
Die Auswertungen meines Aufenthaltes in Madurai in Kapitel 4, zeigen auf, was wirklich der
Wissensstand der Frauen ist und was ihre visuelle Sprache mittels Symbolen vermittelt. Die
Ergebnisse meiner Arbeit erläutere ich in der Schlussfolgerung.
12 Vgl. URL: http://www.kljostbelgien.be/Default.aspx?tabid=2741&language=de-DE
3
2
Indische Sinnbilder zur Sexualität
2.1
Die Bedeutung elementarer indischer Symbole
„Ein Wort oder ein Bild ist symbolisch, wenn es mehr enthält, als man auf den ersten Blick
erkennen kann“ (C. G. Jung). Wir werden nicht nur von Symbolen umgeben, wir besitzen in
uns eine Welt von Symbolen. Dennoch entzieht sich das Symbol einer exakten Definition. Es
gehört zu seinem Wesen, dass es sich nicht auf einen festen Rahmen einengen lässt, da es ja
gerade die Extreme, Unvereinbares, Konkretion und Abstraktion vereint und dazu dient, als
mit den Sinnen wahrnehmbares Zeichen etwas anzudeuten, das mit den Sinnen nicht wahrnehmbar ist.13
Der Punkt ist das Elementarzeichen überhaupt und der Ursprung aller Symbolik. Der Punkt
steht für die Keimzelle oder das Samenkorn und somit für den Ausgangsort allen Seins. Aus
einem Punkt entwickelt sich der Strich, die Linie, das Zeichen. Der Punkt ist der innerste
Kern, der Grundbaustein aller Formen. Die materielle und spirituelle Essenz der Dinge.14 Der
Bindi ist ein aufgemalter Punkt zwischen den Augenbrauen oder ein an dieser Stelle aufgeklebtes Schmuckstück. Der Punkt symbolisiert die Ureinheit des Absoluten.15 Traditionell ist
der rote Punkt das Zeichen der verheirateten Frau. Heutzutage aber werden Bindis in Indien
auch von unverheirateten Frauen getragen, sogar von Kindern.16
13 Vgl. URL: http://www.kunstdirekt.net/Symbole/exkursheinzmohr.htm
14 Vgl. Holger, 2005, S.24
15 Vgl. Keilhauser, Keilhauser, 1990, S.38 (Die Bildsprache des Hinduismus/die indische Götterwelt und ihre Symbolik,
Annelies und Peter DuMont,Köln
16 Vgl. URL: http://www.indien-discover.de/infocenter/landesinformationen/tika-bindi/list/ind_tilaka-bindi/
4
Die Kreisform hat keinen Anfang und kein Ende. Sie kreist um eine unsichtbare, präzise
Mitte. Von stark symbolischer Bedeutung seit Urzeiten, erinnert der Kreis an die Sonne, Mond
und Gestirne.17
Mit dem Viereck wird in der prähistorischen Zeit die Erdoberfläche symbolisiert, gleichzeitig
werden auch die vier Himmelsrichtungen angedeutet.18
Das Dreieck mit horizontaler Basis steht für Stabilität und Standfestigkeit. Im Hinduismus
wird das aufrechte Dreieck häufig mit dem Gott Shiva in Verbindung gebracht, da es seine
Männlichkeit repräsentiert.19
17 Vgl. Frutiger, 2006, S.44
18 Vgl. Frutiger, 2006, S.43
19 Vgl. URL: http://www.ancient-symbols.com/german/hindu-symbols.html
5
Das Dreieck auf die Spitze gestellt bedeutet in seiner elementaren Weise „aktiver Charakter“,
Werkzeug, Aktion, auch Waage20. Im Hinduismus ist das nach unten zeigende Dreieck als
Symbol für den Mutterschoss (Yoni) bedeutend. Das in der Mitte stehende kleinere Dreieck
steht für das befruchtete Ei.21
Der Senkrechte Strich ist wie der Punkt, ein universales Zeichen und Rückgrat der meisten
Symbole. Er steht für das Zeugungssymbol und für die ewige Lebenskraft.22 Der männliche,
senkrechte Strich begattet das weibliche Element, den Kreis.23 Das natürliche Ebenbild ist die
aufgespaltene Eizelle.
Bei einem indischen Schöpfungstanz, „Rasa-Lila“ genannt, tanzt Krishna mit allen Hirtenmädchen um die benötigten Körper zu zeugen. Hier wird das Zeugungsorgan als Flöte dargestellt, als Zeugungsstab.24
Abb. 1
20 Vgl. Frutiger, 2006, S.45
21 Vgl. Hebst, Waldmann, 2003, S.102
22 Vgl. Holger, 2005, S.34
23 Vgl. Holger, 2005, S.168
24 Vgl. Holger, 2005, S.41
6
Ein abstrahiertes Symbolbild des männlichen Zeugungsgliedes (Phallus), als Inbegriff des
schöpferischen Urprinzips, wie es der Gott Shiva verkörpert, stellt das Linga, auch Lingam
genannt, dar. Diese Phallusdarstellung geht auf prähistorische Fruchtbarkeitskulte zurück,
wird aber als Objekt fast immer völlig naturfern, als abgerundeter Säulenstumpf, dargestellt.
Die Linga wird im Shiva-Kult oft mit dem Symbol der Yoni, abgerundete Steinsäule, ausgeführt. Sie stellen die Polarität der Geschlechter zu einer grösseren Einheit dar – Symbol des
Zusammenwirkens von männlichem und weiblichem Urelement, auf dem alles Leben beruht.25
Abb. 2
Abb. 3
Die Vereinigung von Shiva und Shakti, Linga und Yoni, wird häufig als geometrische Figur
dargestellt und symbolisiert die ideale Verbindung von Mann und Frau.26
Abb. 4: Shri-Yantra
Das Shri-Yantra besteht aus neun einander durchdringenden Dreiecken, umrahmt von stilisierten Lotusblütenblättern und konzentrischen Kreisen. Den äussersten Rahmen bildet ein
Viereck. Die ineinander verflochtenen Dreiecke symbolisieren die Vereinigung von Shakti
und Shiva. Der Kreis aussen herum versinnbildlicht die Einheit allen Lebens, trotz der Vielfalt
seiner Formen und Erscheinungen.
25 Vgl. URL: http://baseportal.de/cgi-bin/baseportal.pl?htx=/Peter_Eckardt/Symbole
26 Vgl. Fontana, 2010, S.142
7
Befruchtungssymbole wie wir sie kennen, sind im indischen Alltag nicht integriert. Befruchtung und Vereinigung werden durch die Götter oder durch Muster wiedergegeben. Symbo­
lische Erklärungen zur Sexualität wie sie hierzulande gezeigt werden in Illustrationen,
Filmen, Biologie, gehören in Indien zu den Themen, über die man nicht spricht geschweige
den bildlich dargestellt.
2.2
Götterabbildungen / Kamasutra / Symbolik
Die meistbesuchte Sehenswürdigkeit nebst dem Taj Mahal sind die Tempel von Khajuraho.
Der Tempel zeigt mit vielen in Sand gehauenen Figuren, erotische Szenen, die mehr als 1000
Jahre alt sind. Die Pärchen, die Götter und Göttinnen und Fabeltiere, die beim freizügigen
Liebesakt in allen erdenklichen Positionen abgebildet sind, zeigen die antike Darstellung von
Sexualität.27 Die Darstellung erotischer Szenen im Hinduismus ist durchaus nichts Unübliches,
doch nirgendwo geschieht dies mit derselben Exzessivität wie in Khajuraho. Die tabulose
Offenheit steht dabei im Widerspruch zum prüden Indien von heute. Die drei meist erstellten
Figuren, auch bei anderen Tempeln, sind die drei Hauptgötter, Shiva (Fruchtbarkeitsgott und
Zerstörer), Vishnu (Erhalter und Erretter) und Brahma (Schöpfer und Gott der Weisheit). Da
die meisten Hindus Analphabeten sind und der gelehrten Schriften nicht kundig sind, werden
die Figuren, auch in solch erotischen Szenen, von Ihnen verehrt, da sie Abbild des Göttlichen
sind.28 Die zügellosen Ausschweifungen werden damit erklärt, dass die erotischen Skulpturen
das Gotteshaus von Blitzeinschlägen schützen soll.29
Abb. 5 Figuren des Khajurah
27 Vgl. URL: http://www.welt.de/reise/article12492153/Tempelstadt-Khajuraho-ist-Indiens-antike-Sex-Show.html
28 Vgl. Alexowitz, 2003, S. 31
29 Vgl. URL: http://www.wissen.de/tempelbezirk-von-khajuraho
8
Im Allgemeinen lassen die Tempelfiguren in Indien grösstenteils keine Emotionen, ausser ein
leichtes Lächeln, in den Gesichtszügen erkennen. Ausserdem zeigt sich in der Grundstruktur
der Figuren eine Kontinuität. Der Kopf hat als Grundelement eine Ovale (eiförmig), die Augen
sind mandelförmig und Hände und Füsse sind in Form einer Lotusblüte.30 Die Lotusblüte
ist ein viel verwendetes Symbol und steht für die Reinheit des Herzen und des Geistes. Die
Gedichte im Kamasutra verwenden beispielsweise das Symbol der Lotusblüte für das Gesicht
der Heldin. Die Protagonistin in den Gedichten hat immer die gleichen visuellen Voraussetzungen. Sie gleicht im Gesicht wie bereits erwähnt einer Lotusblüte oder auch einem Mond,
ihre Augen sind wie Seerosen oder gross wie die eines Rehs. Sie läuft stets leicht vorgebeugt,
aufgrund ihrer vollen Brüste. Ihre Taille ist schmal, mit drei Falten, ihre Schenkel sind rund
und stämmig wie der Rüssel eines Elefanten oder der Stamm eines bengalischen Feigenbaums.
Ihr Nabel liegt tief, und ihre Hüften sind schwer.31
Abb. 6:Himmlische Musikanten, Dehli
Abb. 7: Hochzeit von Shiva und Parvati, Tempel in Madurai
Abb. 8: Himmlische Nymphe beim Vishnu Tempel Tamil Nadu
30 Vgl. URL: http://swrmediathek.de/player.htm?show=240c8a30-6749-11e0-ada0-0026b975f2e6
31 Vgl. Kakar, Kakar, 2013, S.81ff
9
Verglichen mit den Tempelfiguren zeigt sich auch im Kamasutra, dass der Körper als ein
stämmiges Symbol betrachtet wird, die Augen gross dargestellt werden und keinen Raum für
Merkmale eines Identitätsaufbaus der Figuren gegeben wird. Die Figuren sind auch in den
Illustrationen im Kamasutra austauschbar, denn es geht nicht um all die Sexualstellungen
und ihre Protagonisten, sondern um die Kunst des Lebens.32 Der Liebesakt ist nicht nur die
Vereinigung von Mann und Frau, es steht für den Zeugungsakt der Weltschöpfung durch die
Götter und für die Fruchtbarkeit.33 Verglichen mit gegenwärtigen konservativen Sexualeinstellungen und unterdrückenden Sittenkodizes, scheint der Standpunkt, den die alten Hindus
gegenüber Erotik und Sinnlichkeit einnahmen, zumindest bei literarischen und wissenschaftlichen Texten sowie bei Tempelskulpturen zu einer Kultur zu gehören, die Lichtjahre von der
Gegenwart entfernt ist.34
Abb. 9
Abb. 10
Illustrationen aus dem Kamasutra
32 Vgl. Vatsyayana, 2012, S5
33 Vgl. Vatsyayana, 2012, S.6
34 Vgl. Vatsyayana, 2012, S.5
10
3
Fiktive Symbolik in der indischen Realität
3.1
Audiovisuelle Symbolik in Bollywood-Filmen
In Indien gibt es eine reiche Anzahl von Filmproduktionsstätten. Dieser Abschnitt befasst sich
mit der in Indien bekanntesten Filmproduktionsstätte „Bollywood“.
Abb. 11
Bollywood Filme widerspiegeln Indien als ein Land der Traditionen. Küssen durfte lange Zeit
nicht gezeigt werden und wurde durch viele andere Szenen ersetzt. Wenn ein Kuss bevorstand,
bewegten sich die Protagonisten aufeinander zu und im letzten Moment vor dem Kuss änderte
sich die Kameraperspektive und Musik begann. Tänze folgten oder auch Einblendungen von
schnäbelnden Vögeln, einem Zug, der in einen Tunnel fährt oder Blumen, die sich berühren.
Hinter solchen Metaphern steckt nicht immer nur ein Kuss.
Auch nicht-traditionelle Werte, wie ausserehelichen Beischlaf und Nacktheit, werden indirekt
durch Metaphern in indischen Filmen visuell dargestellt. Nacktheit ist ein absolutes Tabu und
kommt in traditionellen indischen Filmen einfach nicht vor. In der Regel ist die weibliche
Hauptdarstellerin ein jungfräuliches unverheiratetes Mädchen, das sich bis zur Hochzeit aufspart.35 Was man nicht wagt in den Dialogen auszusprechen oder in der Handlung zu sagen,
wird mit Liedern gesagt, vor allem, was die Erotik angeht. Erotische Songs und vulgäre
Tanzbewegungen sorgen für die audiovisuelle Auslebung von sexuellen Phantasien.36 Die
Tanz- und Liedeinlagen brechen den Erzählstrang auf und fungieren oft als Geschichte in der
Geschichte, und stehen für Enthüllungen des Unterbewusstseins der Protagonisten.37 „Dies
geschieht entweder recht offensichtlich oder etwas subtiler, z. B. durch eine Szene, in der sich
die Partner Ketten als Symbol der Vermählung umhängen.“38
Da die erotische Darstellung der Frau als Tabu gilt, wird die Figur des Vamps am Filmende
durch Vergewaltigung eliminiert.39
35 Vgl. URL: http://suite101.de/article/phaenomen-bollywood-a50870
36 Vgl. Alexowitz, 2003, S.86
37 Vgl. Liebrand, Schneider, 2002, S. 302
38 Vgl. URL: http://suite101.de/article/phaenomen-bollywood-a50870
39 Vgl. Alexowitz, 2003, S.100
11
Der Bollywood-Film hat in Indien eine besondere Bedeutung, die bunte Kleidung, die Musik,
die heile Welt und die klare Trennung zwischen „Gut und Böse“, erfüllen nur einen Zweck:
Sie sollen die Menschen unterhalten und sie für ein paar Stunden ihren harten, von Armut,
Hunger und Arbeit geprägten Alltag vergessen lassen. 40
3.2
Umgang mit dem Thema „Sexualität“ in Indien
Wenn man die Sexualität im heutigen Indien betrachtet, gehören die Welten des Kamasutras
einer fernen Vergangenheit an.41 Im hinduistischen Konzept der Reinheit und Unreinheit wird
das Sperma als das reinste Körperprodukt eines Mannes und die Quelle seiner Kraft angesehen und muss bewacht werden. Dementsprechend muss es vor der wilden und unersättlichen
Begierde der Frauen geschützt werden. Unzählbar viele hinduistische Mythen führen körperliche Schwäche oder den Verlust spiritueller Macht bei einem Mann oder Gott auf den Verlust
seines Samens zurück. Diese Mythen und Legenden sind lebhafte Zeugnisse, warum Ideale
wie sexueller Zurückhaltung und das Zölibat in der indischen Kultur einen so hohen Status
geniessen42
Junge Mädchen entwickeln stark ambivalente Gefühle in Bezug auf Ihre sexuelle Identität
und ihren Körperausdruck. Neben Schuldgefühlen kann ihr Interesse an der Sexualität zu
über­wältigenden Schamgefühlen führen. Viele Mädchen sind peinlich berührt über sexuelle
Angelegenheiten zu sprechen. Im städtischen Indien finden jedoch Veränderungen statt. Junge
Mädchen entwickeln eine stärkere Körperlichkeit, betonen ihre Körperkonturen und sind
begierig, in Fernsehserien und Zeitschriften alles über Körperpflege und Schönheitsprodukte
zu erfahren. Trotz dieser Veränderung endet das Körperbewusstsein bei den Genitalien, den eige­
nen und denen des Mannes. Dies wird mit tief verinnerlichten Schamgefühlen verbunden. Selbst
junge Mädchen aus höheren Kasten haben nicht einmal einen Namen für ihre Geni­talien.43
Es gibt keine Nachtclubs, keine Casinos mit Dance-Shows, keine Playboy-Magazine oder
schmutzige Bücher. Jedes Anzeichen von körperlicher Zuneigung zwischen Mann und Frau
auf der Strasse ist verboten. Es gibt keine nackten oder halbnackten Frauen im öffentlichem
Raum. In der Tat wird Badekleidung, wie wir sie kennen, nicht gebilligt.44
In neueren Bollywood-Filmen werden nun aber auch die Frauen mehr und mehr in westlichen –
also auch kurzen, knappen – Kleidern dargestellt.
Sexualität wird tabuisiert, und nur wenige Schulen und Eltern klären die Kinder auf. In Indien
wird der Kuss mit dem Geschlechtsakt gleichgesetzt, er ist etwas rein Sexuelles und nicht wie
bei uns, ein Zeichen der Zuneigung.45
40 Vgl. URL: http://suite101.de/article/phaenomen-bollywood-a50870
41 Vgl. Kakar, Kakar, 2013, S.87
42 Vgl. Kakar, Kakar, 2013, S.87
43 Vgl. Kakar, Kakar, 2013, S.93
44 Vgl. Alexowitz, 2003, S.84
45 Vgl. Alexowitz, 2003, S.89
12
4
Audiovisuelle Konzeption
Die audiovisuelle Animation hat zum Ziel, die Aufklärung der Geschlechtsbestimmung bei
einer Befruchtung aufzuzeigen mittels Anwendung der den Frauen in Madurai verständlichen
visuellen Symbolen. In der Feldstudie wurden den Frauen einfache Symbole von Spermium
und Eizelle gezeigt. Sie wurden sehr häufig als Ballon und Sonne identifiziert. Die Aufforderung, eine Befruchtung zu zeichnen, endete immer mit leeren Blättern, da zum einen das
Schamgefühl, etwas derartiges aufzuzeichnen zu gross war, und andererseits schlichtweg kein
Wissen vorhanden war. Die indischen Frauen kompensieren, bedingt durch den sehr hohen
Analphabetismus, vieles mit Bildern, doch von der visuellen Darstellung des Befruchtungs­
aktes haben sie keine Vorstellung.
Die Zusammenstellung aller gesammelten Informationen zur Umsetzung des Projektes werden
im nächsten Abschnitt präsentiert.
4.1
Auswertung der Ergebnisse in Madurai
(Besuch verschiedener Dörfer und Institutionen in Begleitung von
ARD-Mitarbeitern)
Dorf: Kaandai – Betreuerin: Ghandi
Wir sprechen mit ca. 25–30 Frauen. Die ARD-Mitarbeiter beginnen mit ihnen über die
Befruchtung, über die Geschlechts-Entstehung zu diskutieren. Die Frauen sind offen, beteiligen
sich und erzählen was sie darüber wissen. Grundsätzlich wissen sie um die Entstehung, doch
die Geschlechts-Chromosomen XX und XY sind ihnen gänzlich unbekannt. Bezüglich der
Geschlechterbestimmung der Babys glauben sie an „Mythen“: Der Mann bestimmt das männliche Geschlecht. Ein Junge wird innert 10 Tagen geboren, ein Mädchen hingegen benötigt
10 Monate. Während der Schwangerschaft bleibt die Mutter eines männlichen Fötus schlank,
bei einem Mädchen wird sie dick. Die vorgenannten Vorstellungen bezüglich der Schwangerschaft lassen diesen Zusammenhang logisch erscheinen. Grundsätzlich repräsentiert das
geborene Kind den Mann. Falls das zweite Kind wieder ein Mädchen ist, bedeutet dies, dass
die Frau beim Zeugungsakt nicht an Ihren Mann gedacht hat. Die Frauen haben keine Vorstellungen von der effektiven Entstehung des Geschlechts. Was zudem auffällt ist ihr Glaube, dass
das Kind sein Geschlecht erst ab dem 5. Monat im Mutterleib entwickelt, was wiederum im
Widerspruch mit der Vorstellung einer 10tägigen Schwangerschaft bei einem Jungen steht.
13
Dorf: Kunjampatty – Betreuer: Senttil Kumar
Die Frauen verstehen auch hier, dass das Entstehen eines Kindes an einen sexuellen Akt
gebunden ist. Sie wissen, dass der Mann die entscheidenden Merkmale für das Geschlecht
des Kindes trägt, doch auch sie glauben, dass erst nach 5 Monaten das Kind ein Geschlecht
besitzt. Die von mir gezeichneten Spermium und Eizelle werden Ihnen gezeigt, mit der Aufforderung, ihre eigene Vorstellung aufzuzeichnen. Es melden sich einige, doch sie kopieren
einfach die vorliegende Skizze. Es ist keinesfalls schlecht, dass sie keine eigenen Bilder zeichnen können, denn so zeigen sie mir, dass sie lernen wollen und – ganz wichtig – die Scham ein
wenig ablegen können. Später zeichnen die Schulkinder Bilder für uns. Die Ergebnisse sind
wertvoll, denn sie zeigen, was an visuellen Darstellungen bereits bei Kindern vorhanden ist.
Nebst Häusern, Blumen, werden häufig die Landesflagge, Ganesha, Wasser und die Lotus­
blume gezeichnet.
14
Dorf: Karisalpatty – Betreuer: Srinivasan
Basierend auf den Erfahrungen der ersten zwei Tage wurde die Strategie angepasst. Ich entwarf vier Zeichnungen mit Spermium, Eizelle, XX und XY. Die Taktik war nun, die Frauen
spontan auf die Bilder reagieren zu lassen, ohne vorgängige Vorbereitung durch die uns
begleitenden ARD-Mitarbeitern.
Das Spermium wird als Ballon erkannt und die Eizelle als Sonne oder Zelle. XY wird hingegen sehr gut erkannt, nur wissen die Frauen hier nicht, dass der Mann die entscheidenden Geschlecht-Chromosomen in sich trägt. Wiederum begegnet uns die magische Zahl von
5 Monaten und die mit dem Geschlecht in Beziehung stehende Begründung der schlank
bleibenden, respektive dick werdenden Mutter. Bei diesem Besuch wird uns zum erstem Mal
die Verbindung zur ersten Ultraschall-Untersuchung bewusst. Die meisten Frauen gehen ab
dem 5. Monat zur Ultraschall-Kontrolluntersuchung und wissen, dass ab diesem Zeitpunkt
das Geschlecht definiert/erkannt werden kann (Geschlechtsbestimmungen per Ultraschall
sind verboten, weshalb sie in staatlichen Kliniken, in denen Frauen sich kostenlos behandeln lassen können, nicht durchgeführt werden – Anm.). Das Mysterium ist demnach die
Ultraschall-Kontrolluntersuchung: Solange man nichts sehen kann, gibt es auch nichts zu
definieren. Wenn das erste Kind ein Mädchen ist, wird das zwar hingenommen, aber das
zweite Kind muss unbedingt ein Junge sein. Aus den Gesprächen wird deutlich, dass die
Frauen jedes Kind emotional annehmen, doch der Druck von aussen, insbesondere der Schwiegermutter, ist derart gross, dass es sehr schwer ist dagegenzuhalten.
Meeting Kaandai-Schulungszentrum – AIDS Stiftung (Partnerprojekt mit Japan)
Der Schulungsraum ist vollbesetzt mit Männern und Frauen. Alle Anwesenden sind HIVPositiv. Die ARD bespricht mit ihnen jeden Samstag den Umgang mit ihrer Krankheit,
mit Kondomen, möglichen Infektionen und vor allem, wie sie auch ohne Medikamente die
15
Lebenserwartung steigern können (nicht alle sind in den staatlichen Medikations-Programmen). Infolge ihrer schweren Krankheit sind sie bereits sehr aufgeklärt und können alles richtig benennen. Sie sagen uns, dass es aber nicht üblich ist, über solche Themen zu sprechen und
sie darum, auch im Wissen über das Gezeigte, kaum wagen darüber zu sprechen. Es ist ihnen
peinlich. Die Frage jedoch, ob es denn OK sei, solche Zeichnungen zu zeigen, wird sofort mit
einem „Ja“ beantwortet.
Training-Meetings P.Meenakshipatty
Im ARD-Hauptgebäude treffen wir eine Abend-Lehrerinnen-Gruppe, welche die Kinder in
den Dörfern bei den Hausaufgaben und der Betreuung begleiten und unterstützen. Die Zeichnungen werden von allen klar erkannt und auch ohne grosse Scheu benannt. Sie sagen uns,
dass sie ein wenig Aufklärung in der Schule hatten, aber das meiste hauptsächlich durch die
Schulungen der ARD erfahren haben.
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In der letzten Frauengruppe durften alle in ihrer Kindheit die Schule besuchen. Sie gelten
somit zu den „Gebildeten“. Die vier Zeichnungen werden erkannt, doch es gibt Unstimmigkeiten bezüglich der XX- und XY-Chromosomen-Zusammenhänge. Viele fragende Gesichter.
Mehrheitlich wird gesagt, dass die Frau das weibliche und der Mann das männliche Geschlecht
bestimmt, somit die Frau Schuld an der Geburt eines Mädchens trage. Sie seien verantwortlich
für ein Baby-Mädchen. Wir erklären ihnen jedoch wie es tatsächlich ist, dass wir Frauen nur
die XX-Chromosomen in uns tragen und somit keinen Einfluss auf das Geschlecht haben,
sondern das Chromosom des Mannes geschlechtsbestimmend ist. Sie nehmen diese Informationen sehr offen und mit grossem Interesse auf. Eine der Frauen, die bisher kein faktisches
Wissen darüber hatte, meldet sich und teilt uns allen mit, dass sie heute Abend ihrem Mann
erzählen wird, dass er es sei, der für die drei Töchter indirekt verantwortlich ist.
Dorf: Udaiyampatty – Betreuer: Srinivasan
In diesem Dorf gibt es bereits fünf Frauengruppen. Ungefähr 20 Frauen versammeln sich vor
uns auf einem Platz. Wir erfahren, dass dies eigentlich der Versammlungsplatz der Männer
sei und es heute das erste Mal ist, dass die Frauen hier zusammen kommen. Sie fühlen sich
daher unwohl und sind verunsichert. Wir erkennen auch schnell, dass die Armut hier gross ist,
die Bewohner kämpfen härter als in anderen besuchten Dörfern um Überleben, Wasser und
Nahrung.
Auf die Zeichnungen angesprochen reagieren die Frauen sehr verhalten. Sie verstehen keines
wirklich. Beim Spermium wird wieder der Ballon erkannt und bei der Eizelle nennen sie
Sonne, Uterus oder Auge.
Bei den XX- und XY-Zeichnungen entsteht eine Diskussion unter ihnen. Die Frauen, die diese
Symbole als Geschlechtsmerkmale erkennen, ordnen sie umgekehrt zu. XX dem Mann, XY
der Frau. Auf die Frage „Wer bestimmt das Geschlecht?“ kommt mehrheitlich die Antwort
„Gott“. Andere wiederum finden, dass Mann und Frau gemeinsam entscheiden und betonen,
dass die Frau sicherlich mitbestimmend ist. Wir wollen nun wissen, wer von diesen Frauen nur
Mädchen hat und wie sie sich fühlen. Ausnahmslos alle, die sich melden, fühlen sich schuldig. Anschliessend erklären wir die biologischen Gegebenheiten und Zusammenhänge. Alle
hören uns interessiert zu und nehmen die Informationen gut auf. Sie erzählen uns, dass bei
der Geburt eines Mädchens die Männer ihnen vorwerfen, dass dies ihre Schuld sei. Es zeigt
sich, dass bei diesen Frauen auch die Angst aufkommt, dass ihre Ehemänner mit Schlägen auf
dieses neue Wissen reagieren könnten. Wir erklären ihnen, dass wir keine Schuldzuweisung,
sondern helfen wollen, die „Schuldfrage“ richtig zu verstehen, denn es ist die Biologie, welche
das Geschlecht bestimmt, weder Frau noch Mann ist „schuldig“.
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College of Education, Ramanathapuram
60–80 Lehrer-Studenten versammeln sich im Vortragssaal. Wir werden als erstes von der
Direktorin begrüsst, „geehrt“ und den Studenten vorgestellt. In ihrer Ansprache betont sie,
dass die Studenten für die Zukunft des Landes stehen, mit ihrem Fokus auf die „human
education“. Sie führt aus, das die Sexualaufklärung und das Wissen über die Fortpflanzung
ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung ist. Es gilt die Frauen aus ihrer Unterdrückung und
Diskriminierung zu befreien – und unser Besuch einen wichtigen Beitrag dazu leistet. Es
sei an der Zeit, über Sexualität zu sprechen, die Unklarheiten zu klären. „Let's break out of
our shyness“, so die Äusserung der streng katholischen Direktorin. Die Studenten sollen auf­
zeichnen, wie sie die Befruchtung bildlich erklären oder sie dies bei ihren Schülern in Zukunft
tun würden. Die Reaktionen sind sehr verhalten, wenige beginnen mit der Zeichnung. Erst
nachdem wir mit Nachdruck betonten, dass es nicht um den Akt an sich geht, beginnen einige
mehr mit ihrer Aufzeichnung. Es entstehen fast alles klassische Darstellungen der Zellteilung
und der Befruchtung, doch genau solche Abbildungen werden von den Frauen aus den Dörfern
nicht verstanden. Wir teilen unsere bisher gemachten Erfahrungen den Studenten mit und
zeigen Ihnen auf, dass mit 4 Bildern schon vieles erreicht werden kann.
Dorf: Vasinagar – Betreuer: Senttil Kumar
Von den 15–20 Frauen erhalten wir auf das Bild mit dem Spermium hin die Aussagen: Uterus,
Zelle, Form eines Babys, aber auch Sperma. Die Eizelle wird einheitlicher als Lebenszelle
und Eizelle erkannt. Beim XY- und XX-Bild entstehen einige Diskussionen mit unterschiedlichen Definitions-Ergebnissen, wovon die meisten jedoch falsch sind. Wieder fragen wir die
Frauen, wer das Geschlecht bestimme. Dazu eine Auswahl an Antworten: der Arzt, Gott, die
Visualisierungskraft der werdenden Mutter, der Mann – doch die Mehrheit glaubt, dass die
Frau verantwortlich ist (16 Frauen). Von den Frauen, die an ihre eigene Schuld, oder die Verantwortung der Götter glauben, haben all jene starke Schuldgefühle, die selber nur Töchter
zur Welt gebracht haben.
18
St. Claret Nursery and Primary School
Wir dürfen mit 5 Lehrern sprechen, 3 Frauen und 2 Männern. Wir fragen nach der „Aufklärung“ in Schulen oder Familien und erfahren, dass diese zwischen der 6. und 8. Klasse
im Fach Biologie nur andeutungsweise geschieht. Die Regierung legt fest, dass erst ab der
10. Klasse „informiert“ werden darf und etwa ab der 12. Klasse wissen die Kinder um die
Entstehung der Babys Bescheid. Von den Eltern erfahren die Kinder in der Regel nichts, da
man nicht darüber spricht.
Wir erklären ihnen unser Anliegen und die in den Dörfern gemachten Erfahrungen sowie
die Wichtigkeit der korrekten Informationen, sodass das Thema der „Schuldzuweisung“ auf­
klärerisch abgearbeitet werden kann. An die Männer gewandt betonen wir einmal mehr, dass
es in dieser Arbeit in keiner Weise um eine Schuldverschiebung auf die Männer geht, sondern
um das emotionale Annehmen einer biologischen Gegebenheiten und vor allem um die Liebe
zum Kind, egal welchen Geschlechts.
Unsere Feldforschungen schliessen wir mit den Worten des leitenden Schuldirektors Paters
Fr. Arockiadass: „Only women liberation can bring liberation to all“.
19
4.2
Aufbau und Umsetzung der Animation
Die Offenheit zum Thema der Befruchtung ermöglicht eine gute Plattform um einen Animationsfilm zu realisieren.
Im Film dürfen keine Tabuthemen visuell aufgezeigt werden. Der Geschlechtsakt muss gänzlich weggelassen werden und mit Hilfe eines angedeuteten Kusses oder einer Überblendung
zu Shiva und seiner Gemahlin wiedergegeben werden. Symbole wie Spermium und Eizelle
müssen visuell neu entwickelt und die XY-Chromosomen eingebunden werden. Die Animation darf nicht als „trockener“ Informationsfilm daherkommen. Durch die Recherche, die
Gespräche und den gewonnenen Erfahrungen muss sie detailverspielt und bunt sein. Mit Hilfe
eines Dolmetschers oder mit einfachen englischen Worten muss ein Soundtrack komponiert
werden, der das „Nichtthematisierte“ wiedergibt. Die Gesichtszüge dürfen nicht allzu grosse
Regungen aufzeigen, sondern wie bei den Skulpturen eher abgeklärt wirken. Die Distribution
wird anhand von mobilen Pads geschehen. Da in Tamil Nadu sehr wenige über Internetzu­
gang verfügen und auch youtube und weitere Kommunikationsplattformen fehlen, werden
mehrere Pads mit dem animierten Film bespielt. Die Aussenmitarbeiter der jeweiligen Dörfer
können den Film jederzeit abspielen, und das Gezeigte gleich mit den Frauen (und Männern)
besprechen.
5
Schlussfolgerung
Die Arbeit startet mit dem Thema der brutalen Vergewaltigungen in Indien und endet mit den
Ergebnissen zu den visuell verstandenen Symbolen der Frauen im südindischen Madurai. Die
Fallhöhe der zwei Themen scheint beim ersten Betrachten sehr hoch. Es war mir wichtig auf
diese Verknüpfung hinzuweisen, da sie sich meines Erachtens vor der Schuldfrage bei der
Geburt eines Mädchen nicht trennen lässt, denn auch hier stehen die Männer über den Frauen
und üben diese Machtposition bewusst oder unbewusst aus.
Man stelle sich die Schuldfrage als einen ewigen Kreislauf vor. Ein Mädchen wird geboren, die Mutter glaubt, versagt zu haben, da sie kein Wissen über die biologischen Vorgänge
hat und infolgedessen im Irrglauben bleibt, dass sie es ist, die das Geschlecht des Kindes
20
beeinflusst hat. Das neugeborene Mädchen wird durch die indische Lebensweise und Tradi­
tionen, genau wie die Mutter, mit diesem falschen Wertesystem aufwachsen. Die Jungen
stehen über den Mädchen, der Mann über der Frau. Vielleicht hat die Familie die finanziellen
Möglichkeiten, um dem Mädchen eine Schulausbildung zu ermöglichen, doch oberstes Ziel
bleibt, ihr einen Mann aus einer guter Familie zu vermitteln und ihre Mitgift bezahlen zu
können. Das Mädchen wird zur Frau, und wird möglicherweise wiederum auch ein Mädchen
gebären. Der Kreislauf geht in die nächste Runde und Generation über. Wieso wird er nicht
durchbrochen?
Die Recherchen und der exklusiv erhaltene Einblick in Madurai zeigen auf, dass alles, was mit
Sexualität zusammenhängt nicht thematisiert wird. Selbst Familien aus höheren Kasten oder
aus der Mittelklasse äussern sich nur hinter vorgehaltener Hand zum Thema Sexualität. Die
Einleitung startet dort, wo in Indien das Thema Sexualität endlich öffentlich gemacht wird:
Brutale Vergewaltigungen, die in Indien die Kruste dieses tabuisierten Themas endlich haben
aufbrechen lassen. Frauenbewegungen, die sich selbst formiert haben und die sich wehren
sind im Gange. Mit meiner Arbeit möchte ich auf diesen Zug aufspringen.
Wie aufgezeigt, überschneiden sich viele Themen, doch die Kernaussage bleibt die selbe: Eine
Frau in Indien zu sein bedeutet, sich den traditionellen Glaubenssätzen und den Männern zu
unterwerfen. Auf Grund meiner Erfahrungen kann ich sagen, dass die indischen Frauen stolze
Frauen sind, die unter dem Druck der Traditionen, einen männlichen Nachkommen zu gebären,
leiden und Schuldgefühle entwickeln, falls diese Vorgabe nicht erfüllt wird. Was würde passieren, könnte man den Kreislauf dieser Schuldfrage bereits im Mädchenalter durchbrechen?
Bliebe dieses Schuldgefühl, wenn Erwartungen bezüglich Mitgift und Familienumfeld nicht
erfüllt werden können? Gäbe es Trost und Erleichterung, wenn die Frauen um den biologische
Befruchtungshergang wüssten? Diese Frage kann ich heute mit überzeugten „ja“ beantworten.,
denn alle Frauen, denen wir während unseres Aufenthalts in Madurai begegnet sind, und nicht
wussten, dass sie die Geschlechtsbestimmung eines Kindes nicht beeinflussen können, waren
nach unserem aufklärerischen Gespräch erleichtert. Selbst wenn die Themen punkto Mitgift
immer noch bestehen bleiben, war es wie eine Erlösung, die im emotionalen Bereich stattfand.
Ich nenne dies hier die „Stärkung der inneren Frau“. Alle, d.h. einschliesslich die Männer,
die wir mit dieser Information erreichen konnten, wurden einbezogen und alle wollten wiederum Frauen in den umliegenden Dörfern ebenfalls über das Gelernte aufklären. Natürlich
verlangt die indische Gesellschaft primär immer noch nach einem Jungen, aber wenn der auf
ein Mädchen gerichtete Blick nicht mehr mit dem Schuldgefühl der Mutter behaftet ist, kann
sich eine Generation weiterentwickeln und ein Mädchen ebenbürtig aufnehmen. Der Mann
soll der Frau keine Schuld zuweisen können, sondern das Kind als das sehen, was es ist: Die
21
Vereinigung zweier Menschen, in der er indirekt das Geschlecht bestimmt. Wenn man sich nun
vorstellt, dass in einem durch Ultraschall-Untersuchung zu erwartenden Mädchen der Mann
seinen Teil in diesem Lebewesen wiedererkennt, könnte dies zu einem Umdenken in Richtung
„Eltern-Liebe“ führen. Es wäre nicht mehr der Fehler der Frau, den sie alleine zu verantworten hätte, sondern, völlig vereinfacht gesagt, das Ergebnis der Natur, die Schnelligkeit der
Spermien und der Zufall.
Das Ziel meiner Feldstudie war es zu begreifen, wie man den Vorgang der Geschlechtsbestimmung bei einer Befruchtung aufzeigen kann, so dass dieser von den Frauen effektiv verstanden wird. Dieses Ziel, welches als Basis für die Animation dienen soll, habe ich durch
den Aufenthalt im südindischen Madurai und durch die schriftliche Arbeit erreicht. Ich habe
genaue Vorstellungen, wie der Film aufgebaut und aus welchen Elementen er bestehen muss.
Von den Göttern über die einfachen Symbole bis hin zum Sounddesign muss alles berücksichtigt werden. Die indischen Frauen sind wissensbegierig und interessiert, so dass der animierte
Film sie im Betrachten und Lernen abholen können wird. Alle Frauen die uns begegnet sind,
wollten immer mehr erfahren und spürten wohl den Mehrwert den sie durch unsere Information erhielten, trotz der Geburt eines Mädchens.
Die meisten Symbole, die wir der Sexualität zuordnen, trennen uns von Indien, aber X und
Y vereint uns wieder, denn es hat sich in dieser Feldstudie als das meist erkannte Symbol für
das Geschlecht erwiesen. Diese beiden Symbole werden somit einen hohen Stellenwert in der
Konzeption des Filmes haben. Ich darf weder Geschlechtsteile noch Nacktheit, noch Eizellen,
noch Spermien darstellen, doch ich kann X und Y verwenden. Das X und das Y stellt für mich
die Verknüpfung des Sichtbaren mit dem Unsichtbaren dar; diese einfachen Symbole könnten
mit der Zeit den Frauen ihr Schuldgefühl abnehmen und helfen, den Kreislauf der FrauenGenerationen zu durchbrechen.
22
6
Anhang
Andheri-Hilfsorganisation
Rosi Gollmann gründete 1967 in Andheri bei Bombay die unabhängige Organisation für notleidende Kinder. Die Andheri-Hilfe Bonn führt zurzeit über 150 Projekte und Programmförderungen in Indien und Bangladesch durch. Sie tragen zur sozialen und wirtschaftlichen
Entwicklung der ärmsten Bevölkerungsgruppen bei. Die Schwerpunkte der Projekte sind in
den Bereichen Sozialarbeit, Bildung und Gesundheitswesen sowie landwirtschaftliche und
dörfliche Entwicklung. Damit keine neuen Abhängigkeiten entstehen und die alten minimiert
werden, leisten sie vor allem im Bereich der „Selbsthilfe“ enorme Aufklärungsarbeit. Die
Andheri-Hilfe Bonn ist eine freie, unabhängige Organisation der Entwicklungszusammenarbeit. Ihre Arbeit wird durch Spenden von ca. 20`000 privaten Spendern, Gruppen, Firmen
und öffentlichen Mitteln aus dem Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutschland, sowie der Kommission der Europäischen Union
getragen.Der Andheri-Hilfe Bonn wurde vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen
das Spendensiegel als Zeichen geprüfter Seriosität und Spenden-Würdigkeit zuerkannt. Für
die Spenden wird eine steuerbegünstigte Spendenbescheinigung ausgestellt.
ARD - Association for Rural Development
Die ARD in Madurai hat in der letzten dreijährigen Projektphase 70 Dörfer betreut. 40 Dörfer
konnten inzwischen „abgeschlossen“ werden, 30 werden noch weiter betreut. Mit der Verlängerung von wiederum drei Jahren, können 60 Dörfer neu in das Projekt aufgenommen
werden. Die Auswahl der Dörfer ins Programm erfolgt nach einer Abklärung von potentiellen Dörfern und/oder Gemeinschaften. Die Kriterien sind; Bildungsstand der Frauen und die
Anteile von Jungen gegenüber Mädchen.
Durch 17 Aussenmitarbeitern („Fieldworker“), einigen Teilzeitmitarbeitern, sowie Ausbildungsexperten und District-Verantwortliche werden die Dörfer betreut. Zu den erlernenden
Themen wie Landwirtschaftsbetreibung, Medizin/Gesundheit, etc. werden Frauengruppen
formiert, die über das zugeteilte Thema als „Expertinnen“ ausgebildet werden. So verfügt
ein Dorf über verschiedene Spezialistinnen, die sich gegenseitig unterstützen können. Dazu
23
werden jährliche Trainings gemacht. Falls ein Problem nicht innerhalb der Dorfgemeinschaft
gelöst werden kann, wird ein Aussenmitarbeiter hinzugezogen. Vielen Frauen war es früher
nicht bewusst, dass ausserhalb ihres Dorfes noch andere Dörfer bestehen. Durch die Betreuung der ARD sind sie verpflichtet, ihre Umgebung auszukundschaften um weitere Kontakte
zu knüpfen. Durch die aufklärende und schliesslich auch finanzielle Unterstützung der ARD
können sich die Frauen ihr eigenes Geld verdienen. Erst nach dem „Health-Training“ fingen
viele Frauen erst an, sich zu pflegen, zu schminken und auch, sich selber etwas zu kaufen
(Pflegeprodukte, Kleider).
Der wichtigste Teil der Thematik meines Besuches war/ist „die Geburt von Mädchen“ und
das damit verbundene Ausmass (Abtreibungen, Mädchenmorde). Durch die ARD werden die
Frauen auch bei der Geburt eines Mädchen unterstützt. Das heisst, sie werden finanziell unterstützt z.B. mittels „Kuh- oder Geissen-Leasings“, um spätere Ausgaben für die Schulbildung
und/oder der Mitgift zu sparen. Auch der Staat hat diesbezüglich reagiert und unterstützt
Frauen, die sich nach dem zweiten Kind sterilisieren lassen, mit dem vollen Betrag der Mitgift
pro Mädchen, welcher erst ab dem 18. Lebensjahr beziehbar ist.
Zukunft der ARD
Die ARD erhält jeweils für drei erfolgreiche Jahre wiederum für drei Jahre die Zusammenarbeit und Projektunterstützung der Andheri-Hilfe Bonn, in denen sie weitere Dörfer akquirieren und betreuen kann. Im Herbst 2013 gab es so auch die positive Entscheidung, dass das
Projekt verlängert wird. Für meine Animation bedeutet das, dass diese somit fast zwei Jahre
genutzt und mit Hilfe der Mitarbeiter in die Dörfer gebracht werden kann.
Protokoll
22.1. Kaandai – Ghandi
abends
Kinder versammeln sich vor uns und tragen Lieder und Gedichte vor, die sie in der Schule
gelernt haben. Einige erzählen von ihrem Leben auf dem Land, andere von Körperhygiene
und dazu einige Englische (Fingerreime, Körperbezeichnungen). Anschliessend verabschieden sich alle ganz stürmisch und mit viel Händeschütteln/Berührungen von uns.
Danach versammeln sich nach und nach die Frauen, einige kommen eben erst mit ihren
Geissen von den Feldern zurück. Es sitzen 25–30 Frauen da und die ARD-MitarbeiterInnen beginnen mit ihnen über die Befruchtung, die Entstehung vom Geschlecht der Kinder
24
zu reden. Die Frauen sind offen und beteiligen sich, erzählen was sie wissen. Grundsätzlich
wissen sie um die Entstehung, XX- und XY-Chromosomen sind ihnen gänzlich unbekannt
und so glauben sie in Bezug auf die Geschlechterbestimmung der Babys an (auch uns zum
Teil bekannte) „Mythen“; der Mann bestimmt das männliche Geschlecht; ein Junge wird
innert 10 Tagen geboren, ein Mädchen hingegen benötigt 10 Monate; ein männlicher Fötus
tritt im Mutterleib nur auf eine Seite und liegt (schläft) rechts, ein weiblicher tritt auf beide
Seiten und liegt (schläft) links; in der Schwangerschaft bleibt die Mutter bei einem Jungen
dünn, bei Mädchen wird sie dick (was mit der vorhergehenden Tragezeit logisch erscheint.).
Grundsätzlich repräsentiert das geborene Baby den Mann, wenn nun ein Kind ein Mädchen
ist, bedeutet dies, dass die Frau beim Entstehungsakt nicht an ihren Mann gedacht hat (vielleicht an die Schwester, Mutter, Tante...). Es gibt keine Vorstellung von der effektiven Entstehung des Geschlechts, jedoch ab dem 5. Monat, durch die oben beschriebenen Glaubenssätze,
jeweils eine Visualisierung dessen. Wenn doch schon vorher Bilder bestehen, werden diese
kaum oder gar nicht besprochen und beschrieben.
Eine mögliche Aufklärung könnte mittels Symbolen geschehen. In der Umsetzung der Aufklärungsarbeit müssen einige Frauen als „Vermittlerinnen“ beigezogen werden. Da sich in
dieser Gruppe bereits gezeigt hat, dass einige Frauen die Vorstellungen der gesamten Gemeinschaft stark prägen, würde es Sinn machen, in erster Linie mit ihnen zu arbeiten und ihnen die
Weiterleitung im Dorf zu beauftragen.
23.1. Kunjampatty - Senttil Kumar
Der Tag beginnt im Office mit einem christlichen Gebet.
Wir haben Zeit für uns und unsere Arbeiten, viele ARD-Angestellte tummeln sich im Office,
nutzen die Computer, planen, besprechen.
Wir sind am Meeting mit den verschiedenen District-Betreuer eingeladen, lernen die einzelnen kennen und ihre Bereiche werden kurz erklärt. Auch wir stellen uns und unser Anliegen
vor. So entsteht in kurzer Zeit ein Plan für die nächsten Tage, wann wir mit wem in welche
Dörfer fahren, um dort mit den Frauen zu reden und weiter zu erfahren was sie wissen und
wie die Aufklärungen übermittelt werden können.
Nach dem Lunch fahren wir mit Senttil Kumar nach Kunjampatty, wo wir bereits von vielen
Frauen erwartet werden. Als erstes werden wir in einer typischen Segnungs-Zeremonie Willkommen geheissen und dürfen an einem Celebration-Ritual zur Begrüssung eines neu geborenen Mädchens teilnehmen. Alle Frauen vom Dorf spazieren laut schreiend und singend mit
uns zum Haus der jungen Mutter. Sie hat vor wenigen Tagen ihr zweites Mädchen zur Welt
gebracht und wird mit diesem Ritual von der gesamten Frauengemeinschaft unterstützt – auch
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finanziell, damit keine Abtreibung oder Tötung „nötig“ wird. In diesem Dorf herrscht noch
immer eine Überzahl an männlichen Nachkommen, was sich in den drei Jahren, seit solche
Rituale gepflegt werden, schon ein wenig gebessert hat. ARD rechnet mit einem Ausgleich in
ca. fünf Jahren. Auch für den Zusammenhalt der Frauen scheint dieses Ritual eine wichtige
Bedeutung zu haben.
Direkt anschliessend und noch auf dem Platz vor dem Haus des neuen DorfgemeindeMädchens, bleiben wir nun, um über unser Anliegen zu sprechen. Auch hier zeigt sich wieder,
dass die Frauen über die Entstehung der Babys zwar Bescheid wissen, jedoch vermischt mit
Aberglaube. Wohl wissen sie, dass der Mann die entscheidenden Chromosomen beiträgt, aber
vier/fünf Monate scheinen auch bei diesen Frauen die „magische Grenze“ zur Geschlechterbestimmung zu sein.
Sie sind bereit und offen für die Gespräche, einige haben sich sogar gemeldet um zu zeichnen –
sie haben dann jedoch einfach die Vorlage von Sarahs „Eizelle“ und „Sperma“ nachgezeichnet. Was uns jedoch klar macht, dass es vielleicht doch nicht so umständlich oder schwierig
sein wird, passende Illustrationsmöglichkeiten zu finden. Es darf ruhig auch sehr direkt aufgezeigt werden, denn die Frauen zeigen weder Abneigung noch grosse Scheu vor diesem Thema.
Auch die Kinder wollen sich von ihrer besten Seite zeigen und versammeln sich vor der
Schule. Alle erhalten ein grosses Blatt Papier und zeichnen munter drauf los, wir erfahren,
dass es um einen kleinen Wettbewerb geht, bei dem wir die schönsten Zeichnungen auswählen
und mit einem kleinen Geschenk prämieren. Dies wird zwar schwierig (zum Glück erhalten
aber alle ein Buch), zeigt uns aber wundervoll auf, was die Kinder bereits in ihren jungen
Jahren prägt. Viele Symbole werden für uns sichtbar: Die indische Flagge, Wasser (in unterschiedlicher Form), Ganesha, Lotusblumen – diese sollen unbedingt in ihrer tiefen Bedeutung
erforscht und nach Möglichkeit eingebunden werden.
Es entstand auch die Idee, ein Buch zu erstellen, welches sowohl für die Frauen selbst, aber
auch für die Aufklärungsmöglichkeiten an ihren Kindern eingesetzt werden kann.
24.1. Karisalpatty – Srinivasan
Wir fahren heute wirklich „to field“. Über eine Landstrasse geht‘s durch beinahe unbewohnte
Gebiete an unzähligen Feldern mit Reis, Weizen und vielem mehr vorbei. Unsere Begleiter erklären uns viel über die Landwirtschaft und wie wenige Chancen vor allem die armen
Bauern haben, wenn, wie in dieser Saison, sehr wenig Regen fällt. Einzig ein Bewässerungssystem, welches (mittels Schläuchen mit Löchern drin) jede einzelne Pflanze begiessen kann,
hilft in solchen Zeiten. Die ARD bietet auch für die Landwirtschaft Möglichkeiten zur Weiterbildung und Aufklärung; „Watermanagement“ und Weiteres wird durch Agrar-Studenten
oder -Absolventen in Kursen an die ländlichen Bauern vermittelt.
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Im Dorf angekommen, versammeln sich wieder nach und nach die Frauen um uns. Nach der
üblichen Begrüssung versuchen wir heute, von den Frauen zu erfahren, wie sie die gezeichneten Symbole verstehen. Vieles wird gut erkannt und XY ist bekannt – aber wieder wissen sie
nicht, dass der Mann die entscheidenden Merkmale in sich trägt. Die 4–5 Monate gelten auch
hier als Zeitpunkt der Geschlechtsbestimmung, mit den dazugehörenden Vorstellungen: Girl
= more movement, mehr Gewichtszunahme. Boy = no movement, Frau bleibt schlanker, hat
mehr warm. In diesen 5 Monaten ist das Baby in der Vorstellung der Frau immer ein Junge,
in der Überzeugung aber bis dahin irgendwie „neutral“. Auf die Frage, ob sie glauben das
Geschlecht beeinflussen zu können, kommt zuerst die Antwort: Als Frau nicht. Nach kurzer
Diskussion in der Gruppe fügen sie hinzu: Niemand kann das.
Die meisten Frauen gehen ab dem 5. Monat zum Kontroll-Ultraschall, vielleicht auch um das
Geschlecht zu erfahren (dies ist jedoch verboten und wird deshalb in staatlichen Spitälern
nicht gemacht). Die Frage drängt sich auf, dass das „Mysterium“ dieser 5 Monate durch die
technische Möglichkeit des Ultraschalls entsteht. Da vorher das Geschlecht des Babys nicht
erkannt werden kann, erscheint es logisch, dass die Frauen glauben, das Baby habe noch keines.
Beim ersten Kind ist es für alle völlig okay, wenn es ein Mädchen ist, beim zweiten sollte es
aber ein Junge sein. Wobei sich in vielen Gesprächen zeigt, dass die Frauen emotional jedes
Kind annehmen, der Druck von aussen – meistens von den Schwiegermüttern – aber diese
Erwartung aufbringt.
Unsere Begleiter klären uns auf, dass in Indien seit ca. 20 Jahren verschiedene Versuche
gemacht wurden, um per Gesetz die Geburtenrate pro Familie auf maximal 2 Kinder zu
begrenzen. Recherchen haben gezeigt, dass keiner der Gesetztesvorschläge bisher durchgesetzt
werden konnte. Die Versuche an sich aber schon bei vielen Familien eine gewisse Begrenzung
„eingeprägt“ hat. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der grosse Druck auf einen Jungen
als zweites Kind. Die meisten Frauen lassen sich nach der Geburt des zweiten Babys sterilisieren. Auch Männer werden oft von „Streetworkern“ abgeholt und zur Sterilisation gebracht.
Die Familien erhalten vom Staat Unterstützung, sowie die kostenfreie Sterilisation.
25.1.
morgens Meeting in Kaandri, in unserem Guesthouse
Aus den umliegenden, von ARD betreuten, Dörfern kommen Frauen, Männer und Kinder.
Die Kinder werden zur Vorbereitung auf den morgigen Nationalfeiertag sportlich unterhalten.
Hauptgrund des Meetings ist jedoch die Information und Schulung der HIV-infizierten
Menschen aus den umliegenden Slums Madurais – viele ihrer Kinder werden hier im Haus
betreut.
Es werden Aufklärung zum Umgang mit ihrer Krankheit, Kondomen, Infektionen und vor
allem wie sie ohne Medikamente so lange wie möglich leben können. Viele von ihnen nehmen
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bereits „Antiretrovirale Therapy“-Medikamente ein, diese stärken durch die Hemmung der
Virenreplikation das Immunsystem und ermöglichen im besten Fall ein fast normales Leben.
Die Medikamente erhalten sie mit einem Hospital-Rezept für 1800 Rupien, die weitere Betreuung und Aufklärung liegt aber vor allem bei ARD.
Auch hier thematisieren wir mit den 4 Bildern die Befruchtung und Geschlechterbestimmung.
Durch ihre Krankheit sind sie sehr aufgeklärt und können alles benennen. Sie erzählen uns
aber, dass es nicht üblich ist, über diese Themen zu sprechen und sie darum, auch wenn sie
genau wissen was es ist, kaum wagen es auszusprechen. Es ist ihnen peinlich. Also fragen
wir nach, ob es denn okay ist, solche Bilder zu zeigen, was alle mit „ja“ beantworten können.
Auch wenn jemand das „Erste“ ausgeprochen hat, fällt es allen leichter mitzureden. So sind
nach dem ersten Bild die Hemmungen schnell überwunden. Wir mussten dann auch nicht viel
erklären, alle wissen, dass der Mann das Geschlecht bestimmt. Sie haben uns aber erzählt,
dass in anderen Regionen Abtreibungen gemacht, Mädchen weggegeben oder getötet werden. Sie wissen aber nicht, ob dort die Frauen (& Männer) über die Geschlechterbestimmung
(XX/XY) aufgeklärt sind.
Es ist eine Tatsache, dass die Aufklärung regional sehr unterschiedlich ausfällt und vor allem
stark von jeweiligen Hilfsprojekten, resp. -betreuer abhängig ist.
Im Hauptoffice sind nach dem Lunch Frauen eingetroffen. Wir treffen als erstes auf eine
grosse Gruppe von „Evening-Teacher“, also Frauen die Abends die Kinder im Dorf bei ihren
Hausaufgaben betreuen und unterstützen (den meisten Eltern in ländlichen Gebieten ist dies
nicht möglich, nebst viel Arbeit haben sie auch das Wissen nicht).
Die Bilder werden von allen klar erkannt und ohne grosse Scheu benannt. Wir fragen wo sie
das gelernt haben, ob sie in der Schule Aufklärung hatten. Überraschenderweise hatten viele
von ihnen dies tatsächlich, doch nicht sehr detailliert, das meiste ist ihnen in den ARD-Trainings vermittelt worden. Und was sehr schön zu hören war: Sie wollen es alle ihren Kindern
weitergeben, sobald diese alt genug sind (viele haben ihre Babys und Kleinkinder dabei).
Zudem ist den meisten (18 von 22) klar, dass der Mann das Geschlecht des Babys bestimmt.
Da wir genauer wissen wollten, wieso der Mann, erklärte uns einer der Frauen, dass nur das
männliche Sperma das X- und Y-Chromosom enthalte.
Wir kommen nun in einen sehr spannenden Austausch über die Unterschiede zwischen dem
Leben als Schweizer Frau und ihnen. Mit dem Aspekt, dass für ein Mädchen zur Hochzeit
eine Mitgift bezahlt werden muss, erklären sie uns, weshalb die „Schuld“ auf ihnen lastet
(auf die Bemerkung, dass wir das Schuldgefühl bei Mädchen-Geburten lösen wollen). Wir
erwidern, dass unsere Aufklärungs-Absicht nur mit weiterer Unterstützung solcher Pro­jekte
wie der ARD überhaupt möglich sei, da sie sich um die gegebenen Umstände bemühen. Dass
wir bei uns grundsätzlich gleich gestellt sind, die freie Partnerwahl haben und die Eltern
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keine grosse Mitbestimmung ausüben, fasziniert die Frauen und die meisten wollten direkt
mit uns in die Schweiz. Hier beginnt langsam ein Wandel, immer mehr können die Frauen
auch mitbestimmen. In urbanen Regionen ist auch die Liebes-Heirat schon üblicher, in länd­
licher Gegend gehen die Veränderungen grundsätzlicher langsamer.
Zum Schluss meint noch eine ältere Frau, dass hier vor allem die Frauen die starken seien, die
Männer arbeiten nicht viel.
Die zweite Frauengruppe die wir heute treffen, haben alle die Schule besucht und gehören
so zu den „Gebildeten“ in ihren Dörfern. Sie treffen sich regelmässig zu ARD-Trainings um
diese Bildung weiter zu vertiefen, Hilfs- und Wissenswertes für ihren Alltag zu lernen. Wieder zeigen wir unsere vier Bilder und mit einigen Erklärungen werden diese richtig erkannt.
Es scheint jedoch nicht klar, ob sie die Chromosomen-Zusammenhänge (XX/XY) kennen, wir
sehen viele fragende Gesichter, hören aber auch scheinbar treffende Erklärungen (so langsam
können wir in dieser Thematik ihre Sprache verstehen). Die bisherige verbreitete Vorstellung
über die Geschlechterbestimmung der Babys ist auch in dieser Gruppe: Die Frau gibt das
weibliche und der Mann das männliche Geschlecht weiter. Also klare Schlussfolgerung, dass
die Frau „schuld“ für das Babygirl ist. Was mit der Aussage „Es ist MEINE Verantwortung,
dass ich eine Tochter zur Welt bringe“ klar zum Ausdruck kommt.
Aufklärung in der Schule haben nur wenige erhalten, das meiste wird in der Community verbreitet – somit natürlich auch alle „Märchen“ und „Mythen“.
Wir erklären ihnen wie es tatsächlich ist, dass wir Frauen nur die XX in uns tragen und somit
keinen Einfluss haben. Sie nehmen diese Informationen sehr offen an, es gibt kurze Gespräche, Nachfragen untereinander. Dann meldet sich eine der Frauen die bisher kein faktisches
Wissen darüber hatte, und teilt uns allen mit, dass sie heute Abend ihrem Mann klar machen
wird, dass ER für die drei Töchter verantwortlich ist. Wir sind tief betroffen und gerührt über
die Bewegung, die wir in dieser Gruppe auslösen konnten.
Alle der Versammelten sind sehr motiviert diese Aufklärung weiter zu geben, an ihre Kinder,
Bekannte und allen, die genau wie sie, dieser falschen Vorstellung geglaubt haben.
27.1. College of Education, Ramanathapuram
60–80 Lehrerstudenten/innen versammeln sich im Vortragssaal. Wir werden als erstes von
der Direktorin begrüsst, „geehrt“ und den Studenten vorgestellt. In ihrer Ansprache betont
sie, dass die Studenten für die Zukunft des Landes stehen, mit ihrem Fokus auf die „human
education“. Sie erklärt, dass ein wichtiger Teil in der Sexual-Aufklärung und dem fundierten Wissen über die Fortpflanzung liegt. Auch die Unterdrückung und Diskriminierung der
Frauen gilt es zu lösen – und dass wir hier sind, um einen wichtigen Beitrag dazu zu bringen.
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Es sei auch an der Zeit, über Sexualität zu sprechen, die Unklarheiten zu klären und „let's
break out of our shyness“. Eine sehr ambitionierte Rede der (streng katholischen) Direktorin.
Sarah erklärt nun den Stunden die Absicht unserer Arbeit, was wir bisher von den ländlichen
Frauen erfahren haben und wie wichtig es sei, dass sie als angehende Lehrer ihren Schülern
auch dieses Wissen vermitteln können. Sie fordert die Studenten auf, in ihren Bildern oder
Worten zu zeigen, wie sie die Befruchtung, aus Sicht der Geschlechterbestimmung, erklären
würden. Die Reaktionen sind erst sehr verhalten, wenige beginnen sofort damit, es braucht
einige Erklärungen der Lehrer, Direktorin und von Madam Daizy. Nach der Aussage, es gehe
nicht um den sexuellen Akt, nehmen doch die meisten ihre Hefte hervor und beginnen zu
zeichnen, schreiben, erklären. Wir erhalten so nach und nach viele gute Aufzeichnungen (die
Direktorin kontrolliert jeweils genau die Richtigkeit). Wir lassen die Studenten Fragen stellen,
doch ausser einem Input für einen Film den wir schauen sollen („Karuthamma“, Director:
Mr. Bhorathi Raja), kommen keine Fragen. Die Direktorin erklärt mir aber, dass einige
Gespräche über die Frage, weshalb Gott den Frauen nur XX gegeben hat, im Gang seien, diese
Frage aber nicht an uns gestellt wird (sie trauen sich nicht).
28.1. Udaiyampatty - Srinivasan
In diesem Dorf gibt es bereits 5 Frauengruppen. Es versammeln sich ca. 20 Frauen vor uns.
Wir erfahren ein wenig später, dass dies eigentlich der Versammlungsplatz der Männer ist
und es heute zum ersten Mal vorkommt, dass die Frauen hier zusammen sitzen. Sie fühlen
sich deswegen unwohl und sind unsicher. Wir spüren auch schnell, dass die Armut hier sehr
gross ist, die Menschen kämpfen härter als in anderen besuchten Dörfer um ihr Überleben, um
Wasser und Nahrung (und trotzdem werden wir immer wieder zum Essen eingeladen).
Auf die von uns gezeigten Bilder reagieren die Frauen sehr verhalten, in ihren Gesichtern ist
lesbar, dass viele nicht verstehen um was es hier geht. Einige können die Bilder zwar benennen, aber auf Nachfragen stellt sich heraus, dass die Hälfte wirklich keine Ahnung hat. Die
anderen Frauen deuten die Bilder als Zyste, Uterus, Eizelle (Bild Sperma) oder Auge, Uterus
mit Eizelle (Bild Eizelle). Bei XY und XX entsteht eine Diskussion, da einige wenige Frauen
(die dies überhaupt erkennen) die umgekehrte Bedeutung zuordnen (3mal XX = male/XY =
female). Wir stellen die Frage: Wer bestimmt das Geschlecht des Babys? Viele Antworten mit
„Gott“, wenige halten Mann und Frau für verantwortlich, viele betonen, dass die Frau AUCH
verantwortlich ist. Es entstehen einige Diskussionen unter den Frauen. Einige betonen nun,
dass bei einem Jungen BEIDE das Geschlecht ausmachen. Wir wollen wissen wer von den
Frauen denn nur Mädchen hat und wie sie sich damit fühlen. Die meisten fühlen sich „Schuldig“. Ausserdem erzählt uns eine Mutter von vier Mädchen, dass es sehr schwierig sei und sie
viel Unterstützung von der Familie und der Frauengruppen im Dorf erhalte.
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Wir erklären nun die biologischen Gegebenheiten und Zusammenhänge, was alle sehr interessiert zuhören lässt. Sie nehmen unser Projekt gut auf, die meisten sind aber nach wie vor sehr
verhalten. Doch sie erzählen uns, dass bei der Geburt eines Mädchens die Männer sagen, dass
es die Schuld von der Frau sei.
Wir hacken nach der ganzen Information nach, ob sie ihren Kindern und auch Männer davon
erzählen, sie aufklären wollen. Alle nicken und bejahen, doch es zeigt sich auch eine Angst
davor. Sie erzählen uns, dass ihre Männer sie dafür schlagen werden. Wir sind sehr betroffen
und versuchen den Druck zu nehmen, indem wir ihnen erklären, dass es nicht darum geht,
die Schuld nun den Männern zu zuschieben, sondern die Schuld grundsätzlich zu lösen. Es
brauche keine Schuld, es ist biologisch bestimmt und somit kann niemand etwas dafür.
Im späteren Rundgang im Dorf zeigen uns Srinivasan und die Dorfbewohner voller Stolz
ihre Biogas-Anlage. Hier wird Strom für 5 Familien zum Kochen und die Betreibung der
Ventilatoren erzeugt. Das Biogas-Konzept wurde erst vor kurzem in einem Pilotprojekt für
3 Familien erstellt und wird nun nach und nach ausgeweitet.
In der Abendschule werden auch hier die Hausaufgaben gemacht und Englisch-Grammatik
sowie „Good Habits“ vermittelt. Wie jedes Mal sind wir sehr berührt von den Kindern, ihrer
Freude und ihrem Stolz, uns ihr Gelerntes zu zeigen.
29.1. Vasinagar - Senttil Kumar
Eine sehr durchmischte Gruppe von ca. 40 Frauen sitzt vor uns, es ist spürbar, dass die ARD
hier erst seit kurzer Zeit ihre Hilfsprojekte betreibt. In dieser Zeit (leider erfahren wir keine
genaue Zeitangabe) sind aber bereits schon 5 Frauengruppen aufgebaut worden. Sowohl die
Bildung wie auch der allgemeine Stand der Menschen in diesem Dorf sind noch sehr unterschiedlich, heterogen wahrnehmbar. Es gibt immer wieder viele Diskussionen und Gelächter,
was auch zu einer „lockeren“ Runde beiträgt, jedoch die Aufmerksamkeit auf unser Thema
immer wieder beeinträchtigt.
Auf das erste Bild (Sperma) erhalten wir Aussagen wie Uterus, Zelle, Form eines Babys, der
Weg zur Befruchtung und auch Sperma. Das zweite Bild (Eizelle) wird schon einheitlicher
mit Lebenszelle und Eizelle erkannt. Beim XY-Bild entstehen einige Erklärungen in kleinen
Gruppen: male-baby, x = maybe male und y = maybe female, werden uns angegeben. Beim
Bild 4, XX, fallen „male“, dann sind die meisten aber von „female“ überzeugt. Wir prüfen die
Meinungen mit Handaufstrecken.
Wieder lassen wir die Aufklärung für einen Moment weg und stellen die Frage: „Wer macht
das Geschlecht eines Babys?“ Die Antworten fallen unterschiedlich aus: der Arzt, Gott, die
eigene Vorstellungskraft/Visualisierung der Frau gibt einen Jungen, der Mann, vielleicht ist
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es Gottes Wille der durch den Mann das Geschlecht bestimmt. Viele glauben, dass die Frau
verantwortlich ist (16), einige der Mann (14) und wie erwähnt hat Gott/die Götter eine wichtige
Rolle (8).
Von den Frauen die an ihre eigene Schuld, oder die Verantwortung der Götter glauben, haben
alle diejenigen Schuldgefühle, die selber nur Töchter zur Welt gebracht haben – 2 haben je
2 Töchter, 2 je 3 – insgesamt haben sich 9 Frauen zu ihrer Schuld bekannt, alle anderen haben
mindestens einen Sohn.
Nun ist es an der Zeit für die Aufklärung, alle hören interessiert zu und es gibt auch keine
Zwischengespräche mehr. Danach entsteht wie oft ein reger Austausch, sie informieren uns
über ihre Sitten und Bräuche. Wir erfahren, dass die Mitgift für Mädchen um die 50'000 Rupien ausmacht (ca. CHF 750), wir können uns kaum vorstellen wie hoch dieser Betrag für ihre
Verhältnisse sein muss.
Später stellen sich uns zwei Frauen der „Milk-Coorporation“ vor und erzählen uns, dass sie
mit ihren 30 Kühen im Dorf pro Tag ca. 540 Liter Milch produzieren, welche an Staats­
betriebe für 21 Rupien pro Liter verkauft werden kann. Da diese Gruppe innert kurzer Zeit
eine gewinnbringende Einnahmequelle für die ganze Gemeinschaft erschaffen hat, wurde die
Vorsitzende der Gruppe mit einem staatlichen Award für ihr Engagement ausgezeichnet. Aus
solchen Gruppen kann immer wieder Unterstützung für die neugeborenen Mädchen und ihre
Mütter gezogen werden.
30.1. St. Claret Nursery and Primary School
Wir werden von Pater Fr. Arockiadass empfangen und in der Schule herumgeführt. Es sind
545 Schüler (338 Boys, 207 Girls) ab 3 Jahren (Preschool) bis zur 5. Klasse in dieser Schule
angemeldet. Die Schule legt grossen Wert auf gleiche Behandlung und Ausbildung von
Mädchen und Knaben. Es gibt auf jeder Etage je eine separate Toilette für Mädchen und
Jungen – eine teure Ausgabe, die aber sehr wichtig ist, wie der Pater uns erzählt. Was uns sehr
fasziniert, ist der „Honesty-Shop“: ein kleiner Süsswaren-Kiosk, der frei zugänglich ist und in
dem jedes Kind, das etwas erwerben will, den entsprechenden Geldbetrag selber in die Kasse
legt. Und die Kinder sind sehr stolz darauf, wie wir später an ihren Reaktionen erkennen.
Wir dürfen mit 5 Lehrern sprechen, 3 Frauen und 2 Männern: Mrs. M. Renuga Devi, Mrs.
T. Jeya, Mrs. S. Anbuvelankanni und Mr. P. Prasad und Mr. Joseph.
Wir fragen nach der „Aufklärung“ in der Schule und erfahren, dass zwischen der 6. und
8. Klasse in Biologie nur andeutungsweise vermittelt wird. Die Regierung legt fest, dass erst
ab der 10. Klasse „informiert“ werden darf. Etwa ab der 12. Klasse wissen die Kinder um die
Entstehung der Babys. Von den Eltern erfahren die Kinder in der Regel nichts.
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Wir erklären ihnen unser Anliegen und die in den Dörfern gemachten Erfahrungen. Wie
wichtig die richtigen Informationen sind, um die „Schuldthematik“ zu lösen und – vor allem
an die Männer gewandt – dass es auch nicht um die Schuldverschiebung auf die Männer geht,
sondern um ein emotionales Annehmen der biologischen Gegebenheiten und vor allem die
Liebe zum Kind, egal welchen Geschlechts.
Im anschliessenden Austausch, wie die Chancengleichheit, die Heirat und Vermählung bei
uns abläuft, erzählen sie uns, dass inzwischen ca. 3/4 der Ehen arrangiert und nur ca. 1/4 „frei“
gewählt ist. Dass aber nach der Verlobung (diese findet statt, wenn sich alle mit der Heirat einverstanden erklären, sowohl Brautpaar wie beide Elternpaare) Zeit ist, sich kennen zu lernen
und so auch oft eine „Liebe“ entstehen kann.
Wir beenden den sehr informativen Austausch in dieser engagierten Schule mit den eindrücklichen Worten des Paters: „Only women liberation can bring liberation to all“. Und er fügt an,
dass die katholische Kirche leider selber Einschränkungen macht, indem sie die Frauen nicht
als Priesterinnen anerkennt.
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7
Literaturverzeichnis
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URL: http://www.welt.de/reise/article12492153/
Tempelstadt-Khajuraho-ist-Indiens-antike-Sex-Show.html [Stand: 27.02.2014]
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URL: http://www.kunstdirekt.net/Symbole/exkursheinzmohr.htm [Stand: 28.02.2014]
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ind_tilaka-bindi/ [Stand: 25.02.2014]
URL: http://www.ancient-symbols.com/german/hindu-symbols.html [Stand: 25.02.2014]
URL: http://baseportal.de/cgi-bin/baseportal.pl?htx=/Peter_Eckardt/Symbole
[Stand: 25.02.2014]
36
9
Abbildungsverzeichnis
Titelbild Fotos Anuschka Greuter, Collage Sarah Bernhardt
Alle Symbole selbst im Adobe Illustrator erstellt. Als Vorlage dienten Abbildungen aus folgenden Büchern:
●
Frutiger, Adrian: Der Mensch und seine Zeichen/Schriften, Symbole, Signets,
Signale, Marix Verlag. 200610
●
Hebst, Marion/Waldmann, Werner: Zeichen und Symbole/Herkunft, Bedeutung,
Verwendung, DuMont monte Verlag, Köln, 2003
Abb. 1:
Tanzender Krishna URL: http://www.fabriceduvinage.de/goetterwelt_indiens1-Dateien/
image058.jpg [Stand: 29.2.2014]
S. 6
Abb. 2: Keilhauer Peter/Keilhauer Annelies: Die Bildsprache des Hinduismus/ Die indische Götterwelt und ihre Symbolik. DuMont, Köln, 1990³, Abb.22
„Die Vereinigung Linga und Yoni“
S. 7
Abb. 3: https://www.asia.si.edu/pujaonline/puja/images/linga_yoni.gif
[Stand: 29.2.2014]
S. 7
Abb. 4: http://3.bp.blogspot.com/_ao-bZuCxKDM/TVDL2cL56gI/
AAAAAAAAB6o/OkVf5UH5LNs/s1600/Shri+Yantra [Stand: 29.2.2014]
S. 7
Abb. 5: Figuren des Khajuraho
URL: http://pompei-hotels.com/travel-and-architecture-design/
Khajuraho-Group-of-Monuments-Travelling-Photos-875x580.jpg
[Stand: 29.2.2014]
S. 8
37
Abb. 6: Keilhauer Peter/Keilhauer Annelies: Die Bildsprache des Hinduismus/ Die indische Götterwelt und ihre Symbolik. DuMont, Köln, 1990³, Abb. 8
Himmlische Musikanten
Abb. 7:
S. 9
Keilhauer Peter/Keilhauer Annelies: Die Bildsprache des Hinduismus/ S. 9
Die indische Götterwelt und ihre Symbolik. DuMont, Köln, 1990³, Abb. 126:
„Hochzeit Shiva mit Parvati, Tempel von Madurai
Abb. 8: Keilhauer Peter/Keilhauer Annelies: Die Bildsprache des Hinduismus/ Die indische Götterwelt und ihre Symbolik. DuMont, Köln, 1990³, Abb. 6:
Himmlische Nymphee und Musikantin, Tempel on Tamil Nadu
S. 9
Abb. 9 und
Abb. 10: E-Book; Mallanaga, Vatsyayana: Das Kamasutra/Die vollständige indische S. 10
Liebeslehre, eClassica,AuraBooks, 2012, Abbildung S. 179
Abb. 11: Szene aus einem Bollywoood Film S. 11
http://www.wienerzeitung.at/_em_daten/_cache/image/
wzo/0xUmFuZG9tSVYwMTIzNDU2N24ic76HRUQKfuM4/
Ut7qPe+pLbh5Sxpd0zuB5dComiSBKOBMnRc7LPhZhmRmHqHDmEXuQjn/
koFtrqL3Vm60vP8gtwyXJ/Zkw==.jpg [Stand: 29.2.2014]
Alle Fotos der Feldstudie: Anuschka Greuter und Sarah Bernhardt
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