Auf Tauchfahrt mit dem U

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Auf Tauchfahrt mit dem U
Auf Tauchfahrt mit dem U-Boot "Hai"
Süddeutsche Zeitung
1958
Auf Tauchfahrt mit dem U-Boot "Hai"
Katz- und Maus-Spiel zwischen Zerstörer und Unterseeboot der Bundesmarine in der Ostsee
Von Josef Schmidt
Mit freundlicher Genehmigung von Süddeutsche
Zeitung Content
UNTERSEEBOOT "HAI" auf der Fahrt ins Tauchquadrat bei Eckernförde. Photo: Viola
Hauschild
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Auf Tauchfahrt mit dem U-Boot "Hai"
An Bord von U-Boot „Hai", im Dezember Kommandant Voß hält im letzten Moment die
Photoreporterin von der Landebrücke zurück, nimmt einem Matrosen die Pudelmütze vom Kopf
and stülpt sie dem Mädchen über die blonden Locken. „So gelten Sie als Mann, eine Hose
haben Sie sowieso an", sagt der Kapitänleutnant und läßt das Mädchen nun in den Turm des
U-Bootes „Hai" klettern. Wie das Boot, hat die Bundesmarine von der verflossenen
Kriegsmarine den Aberglauben übernommen, daß Frauen auf einem U-Boot Unglück bringen.
Das Unheil kann aber, wie das Exempel zeigt, durch eine Pudelmütze gebannt werden, and die
strahlenden Mienen der U-Boot-Männer, die der jungen Photoreporterin auf der Turmleiter
galant behilflich Bind, beweisen, daß man über ein Unglück geteilter Meinung sein kann,
besonders wenn es blond ist. Nebenan, auf dem Zerstörer „Z 1", der mit 2800 Tonnen das
größte Kriegsschiff der Bundesmarine ist, gibt es den Aberglauben nicht; eine Mädchenklasse
entert das Schiff siegessicher zwecks staatsbürgerlicher Erziehung.
Der Aberglaube, daß Frauen (ohne Pudelmütze) Unglück bringen, herrscht demnach heute nun
auf zwei bundesdeutschen Kriegsschiffen: auf den U-Booten „Hai" and „Hecht", den einzigen
Fahrzeugen dieser Art, über die Bundesminister Strauß gebietet.
Sie sind, abgesehen von einigen Minenräumern, das einzige, was die Bundesmarine von der
Kriegsmarine geerbt hat. Die beiden Boote waren bei Kriegsende von ihrer Besatzung in
dänischen Gewässern versenkt worden. Das dabei ausfließende Öl legte um alles, was aus
Metall war, einen Film. Als die Boote vor drei Jahren gehoben wurden, staunten die Fachleute
nicht wenig: Salzwasser oder Rost hatten dem Material nichts anhaben können; selbst
nageldünne Maschinenteile brauchten nicht ausgewechselt zu werden. Nur die Schalttafel am
Elektromotor mußte ersetzt werden. 2,5 Millionen Mark kosteten das Heben und die Reparatur
pro Schiff. Neu erstellt, so hat sich Kapitänleutnant Voß sagen lassen, würde ein solches Boot
heute 18 Millionen Mark kosten.
In den Annalen der Kriegsmarine standen diese Boote mit etwa 100 Stück, alle 1944 für den
Seekrieg zwischen den norwegischen and englischen Gewässern gebaut, unter der
Bezeichnung Typ XXIII zu Buch. Sie verdrängen aufgetaucht 230, unter Wasser 246 Tonnen,
können bei einen Pirsch nur zwei Torpedos abfeuern and hatten, weil sie so klein waren,
vielleicht die Chance „Meter zu machen" als die großen, rund 1600 Tonnen schweren Boote
des Typs XXI, die jedoch nicht mehr zum Einsatz kamen.
Mit dem "Schleichmotor" aus der Gefahrenzone
Eine kalte Brise bläst aus Ost über die Kieler Förde, während die „Hai" in Richtung Eckernförde
stampft, in gemessenem Abstand von Z 1 verfolgt. Dicht gedrängt stehen zwölf vermummte
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Männer in der schmalen Wanne, die den U-Boot-Turm krönt. Allen raucht auf Vorrat., denn
sobald das Tauchquadrat Eckernförde, das Unterwasserrevier, erreicht ist, geht es in die Tiefe.
Dann lebt das U-Boot von der „eigenen" Luft and Rauchen ist eine Todsünde. Nach anderthalb
Stunden Fahrt ist es soweit. Voß ruft ins Megaphon: „Unterdeck klarmachen zum Tauchen."
Nach einigen Sekunden tont es zurück: „Unterdeck klar zum Tauchen." Ein Mann nach dem
andern verschwindet behende im Schacht; als letzter steigt Vöß in die Tide, schraubt hinter sich
das Turmluk zu and fahrt das Sehrohr aus. Auf den Befehl „Fluten" schießt gurgelnd das
Wasser in die Tauchzellen, an den Skalen der über das ganze Boot verteilten Tiefenmesser
klettern die Zeiger langsam hock. Bei 11,5 Meter erstirbt das Gurgeln; jetzt beginnt das Katzand Mausspiel zwischen Z 1 und ,,Hai". Der Zerstörer muß mit Horchgeräten das U-Boot orten.
Kommandant Voß beobachtet durch das Sehrohr den „Gegner" and manövriert das U-Boot aus
der ,,Schußlinie" der Horchgeräte den Zerstörers. Dann wird um einige Meter tiefer getaucht
and auf „Schleichmotor" umgeschaltet, einen kleinen Elektromotor, der das Boot mit zwei
Seemeilen pro Stunde durch das Wasser schleichen läßt. Der Leitende Ingenieur Totzek, aus
Essen stammend and ebenfalls Kapitänleutnant aus dem letzten Krieg, erläutert: „Schweben ist
meistens unmöglich, weil die Wasserdichte sich fortwahrend verändert." Aber: „Wenn wir
schleichen, ist unser kleines Boot kaum zu fassen." Totzek dreht dabei am „Sonar-Gerät" , das,
nach dem Prinzip des Echolots die Schraubengeräusche des Zerstörers auf einer braunschen
Röhre optisch and in einem Lautsprecher akustisch festhält and durch die Intensität dem
Fachmann Entfernung and Schiffsgröße verrat. Mit einem ähnlichen Gerat sucht der Zerstörer
das U-Boot.
Im Turm hat der Kommandant einen weiteren Lautsprecher. Dreht er auf, ist neben dem groben
Schraubengerausch das feine „Tü-Tü" zu hören, die„ vom Zerstörer in kurzen Zeitabständen
ausgesandten Schallwellen, die vom U-Boot-Körper reflektiert werden and so den Standort
verraten. Die „Tü-Tü"-Töne kommen plötzlich in längeren Intervallen. „Jetzt hat er uns", sagt
Voß, „nun wird der genaue Standort ermittelt." Er benutzt die Zeit, um den Standort des Bootes
zu verändern. Der Zerstörer muss von neuem suchen.
„Im Krieg", erzählt Voß, „haben uns die Engländer an der Nase herumgeführt. Sie haben in
solchen Situationen die Intervalle nicht verlängert, sondern auf genaues Berechnen verzichtet
und sich aufs Geratewohl herangepirscht. Noch scheußlicher war es, wenn uns zwei Zerstörer
aufs Korn nahmen." Der Seufzer ab der verflixten Technik geht in die Mitteilung über, daß die
U-Boot-Kapitäne des Ersten Weltkriegs noch nicht mit der Tücke der Schallwellentechnik
rechnen mußten und daher das Sehrohr freizügiger handhaben konnten. Die Ortung durch
Schallwellen- und Unterwasser- Radargerate (S-Geräte) wurde erst im Zweiten Weltkrieg akut.
Das Sonargerät in seiner heutigen Vollendung ist ein Produkt der Nachkriegszeit.
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Über ein Zuviel an Technik beschwert sich Obermaschinist Kuhn, gleichfalls alter
U-Boot-Fahrer, nicht. Kuhns Revier ist das Achterschiff, mit dem Maschinenraum die Kraftquelle
des Bootes. Mit Einzelheiten seiner Maschinen ist er nicht hundertprozentig zufrieden: „Alles ist
auf Handbetrieb eingestellt, vor allem die Kupplungen", was freilich bei Störungen im Gefecht
auch seine Vorteile hat.
Der Elektriker stammt aus Bayern
Die 19 Mann starke U-Boot-Besatzung -- drei Offiziere, zwei Oberfeldwebel, sieben
Unteroffiziere, sieben Mannschaften -- kommt nicht nur von der Waterkant. „Die Rheinländer
stellen sogar den größten Anteil", berichtet Kuhn. Sein „E-Gast" (Elektriker) stammt aus dem
Bayerischen Wald. Den „Spezi" Glaßner, 20 Jahre alt, hat es aus Altenstadt a. d. Waldnaab zur
christlichen Seefahrt getrieben, „weil ich mal was anderes sehen wollte". Er ist, wie alle
anderen, Freiwilliger und hat sich zunächst auf drei Jahre verpflichtet. An die beengten
Verhältnisse im U-Boot hat er sich, wie er sagt, nach zwei Wochen gewöhnt.
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DER RUDERGÄNGER steuert den vom Kommandanten befohlenen Kurs. Photo: Viola
Hauschild
In ihren dicken Pullovern, darüber das ölverkrustete Lederzeug, wirken die U-Boot-Männer
wuchtiger als sonst Soldaten in diesem Alter. Trink- und Waschwasser ist rar. Vier
Sauerstoffflaschen zu 150 Atü sind die Luftreserve; erst wenn das U-Boot 14 Stunden
ununterbrochen unter Wasser war, wird Sauerstoff zugesetzt. Der Luft wegen, die manchmal
dünn, manchmal, wenn es schief geht, dick werden kann, müssen U-Boot-Männer, wie Dr.
Seemann, U-Boot-Arzt und Spezialist in Unterwasser- Physiologie, erläutert, gute
Kreislaufverhältnisse haben. Sie sollen keine vergrößerten Mandeln, keine Verbiegung der
Nasenscheidewand und kein dünnes Trommelfell haben.
Besonders wichtig ist wegen der Rettungsmethoden im Ernstfall „eine gute Lungenentlüftung".
Während im U-Boot Maschinen und Geräte immer komplizierter werden, sind auf Grund der
neuesten Forschungen die Rettungsmethoden einfacher and natürlicher geworden. Erst nach
dem Krieg hatte man Zeit, wie Dr. Seemann erklärt, über diese Dinge nachzudenken, und dabei
kam heraus, daß mindestens ebensoviele U-Boot-Männer ohne wie mit Rettungsgerät heil ans
Tageslicht kamen. Das Rettungsgerät, "Tauchretter" genannt, ist ein um den Hals gelegter
Gummischlauch, der den Auftrieb verstärkt und - aus einer Flasche - Sauerstoff für die Lunge
liefert. Diesen Tauchretter sollen die U-Boot-Männer - theoretisch - stets um den Hals tragen,
aber Dr. Seemann ist gar nicht bös, daß sie es nicht tun. Denn er will sie daran gewöhnen, in
Zukunft sich auf den natürlichen Auftrieb zu verlassen. Zu diesem Zweck wird jeder
U-Boot-Mann alle zwei Jahre nach England geschickt, wo er im „30-Meter-Topf" (einer mit Glas
verkleideten 30 Meter tiefen Wassersäule) das natürliche Auftauchen lernt. Die vier Liter Luft,
die der Kandidat am Fuß der Säule, den Druckverhältnissen in einem in 30 Meter Tiefe
havarierten U-Boot entsprechend komprimiert, in seine Lungen pumpt, hatten an der
Oberfläche ein Volumen von 16 Kubikmetern, wurden also die Lunge zerreißen. Der Kandidat
muß daher bestrebt sein, beim Auftreiben soviel Luft wie möglich abzublasen, "und sie haben
zu tun, daß sie das in den 14 Sekunden schaffen, die das Aufsteigen aus 30 Metern Tiefe
dauert". In Deutschland wird vorläufig noch im „Fünf-Meter-Topf" trainiert, aber ein
30-Meter-Topf „Made in England" ist bereits in Kiel im Bau. Als Beispiel dafür, was der
menschliche Körper vertragt, zitiert Dr. Seemann einen sensationellen Versuch in den USA:
Dort sind Matrosen aus 92 Metern Tiefe in 23 Sekunden „ausgestiegen", sicherheitshalber noch
mit einer Schwimmweste versehen.
„Klarmachen zum Auftauchen", ertönt des Kapitänleutnants Stimme aus dem Sprachrohr,
Wenige Minuten später schaukelt die „Hai`' ', wieder auf den Ostseewellen. Der Befehl „Fünf
Minuten Rauchpause" treibt 14 Mann nach oben in die schmale Wanne, während Voß mit dem
Kommandanten des Zerstörers im NATO-Code die Erfahrungen des Katz-und-Maus-Spiel:
austauscht. Es werden noch mehrere „Anläufe" geübt, dann sagt Voß zum Funkmaaten:
„Funker Sie mal hinüber, daß wir nicht mehr mitspielen, wir machen Mittagspause und gehen
dann auf Grund."
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Kurz darauf zeigen die Tiefenmesser 18 Meter an, auch der Schleichmotor ist verstummt. In der
engen Röhre des Bugraums - 1,80 Meter Durchmesser - ist die Stille einer anderen Welt
eingekehrt. Nach einer halben Stunde tropft das Kondenswasser von den Wänden.
Durcheinandergewürfelt sitzen Offiziere and Mannschaften an dem schmalen Klapptisch and
löffeln Spinat mit Ei. Der Verkehrston ist legerer als sonstwo bei der Bundeswehr; jeder weiß in
dieser engen, schwitzenden Rohre, daß er im Ernstfall auf den anderen angewiesen ist and daß
mit Strammstehen hier nichts erreicht wird.
U-Boot-Kommandant war Voß, heute 38 Jahre alt, schon im letzten Weltkrieg -- mit Einsatz bis
in der Karibischen See. Was er versenkt hat, verschweigt er aus NATO-Höflichkeit: „Da
schreiben Sie man nix von." Nach dem Krieg studierte er in Hamburg Volkswirtschaft und
leitete anschließend fünf Jahre lang ein Gemüseversandgeschäft, aber dann zog es ihn wieder
als Steuermann auf einen Dreimast-Küstensegler, und ab 1957 war er wieder bei der
Bundesmarine. „Für den Aufbau der U-Bootwaffe sind Boote wie das meine immer noch gut
genug." Die kleinen Boote haben bisher bei allen NATO-Manövern Aufmerksamkeit erregt:
"Man staunt immer, daß sie stets dort sind, wo sie sein sollen."
Voß weiß, daß sich in der U-Boot-Taktik sein seit dem Jahre 1943 eine Revolution vollzieht.
„Früher war das U-Boot ein Schiff, das gelegentlich tauchte; jetzt ist es ein Unterwasserschiff
das gelegentlich über Wasser fährt." Die Radartechnik treibt die U-Boote unters Wasser. Das
Sehrohr wird daher auf Elektronik umgestellt werden müssen und man wird „den Feind aus
größeren Tiefen angreifen als aus der bisherigen Sehrohrtiefe".
Die Bundesmarine baut zur Zeit zwölf U-Boote zu 350 Tonnen und drei Versuchsboote zu je
100 Tonnen. Auf der Howaldt-Werft liegt ferner ein gehobener 1500-Tonnen-Veteran aus dem
letzten Weltkrieg; auch er wird Versuchen dienen. „Wir werden immer ein kleiner Haufen sein",
meint Voß, „weil der Bundesmarine die schmale and flache Ostsee zugewiesen ist, wo es im
Ernstfall wahrscheinlich nur den "Ameisenverkehr" mit kleinen Schiffen geben wind, die so
wenig Tiefgang haben, daß wir sie gar nicht treffen." Aber das kann sich ändern, denn : „Es gibt
in der Handelsmarine Erwägungen darüber, den gesamten Handelsverkehr auf den billigeren
Betrieb unter Wasser zu verlegen. Dann werden wir natürlich größer."
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