Kopfgeld in Alabama - Jüdische Allgemeine
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Kopfgeld in Alabama - Jüdische Allgemeine
UNTERSTÜTZUNG Kopfgeld in Alabama USA: Ein Unternehmer lockt jüdische Familien mit bis zu 50.000 Dollar Unterstützung in seine Gemeinde in den Südstaaten 23.10.2008 - von Moritz Piehler von Moritz Piehler Robert Blumberg ist in diesen Tagen ein vielbeschäftigter Mann. Hunderte Anrufe und E-Mails bekommt er wöchentlich. Blumberg nimmt sich Zeit für die Anrufer, prüft jeden haargenau. Schließlich werden einige von ihnen in Zukunft seiner Gemeinde beitreten und seine Nachbarn sein. Blumbergs Gemeinde versucht, ihren leisen Niedergang zu vermeiden und lockt seit Sommer Familien aus der ganzen Welt mit einer großzügigen Belohnung nach Dothan. Ausgerechnet nach Dothan, Alabama. In der knapp 60.000-Einwohner-Stadt hat fast jedes Haus die rote Fahne der Universität von Alabama an der Tür hängen. Und wenn die „Crimson Tide“-Footballmannschaft spielt, trifft sich die ganze Stadt im Stadion. Auch in der Politik sind die Sympathien klar verteilt, Alabama hat seit 1980 nicht mehr für die Demokraten gestimmt, und auch in diesem Jahr liegt John McCain, der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, deutlich vorne. Selbst Bush-Aufkleber sind hier keine Seltenheit. Alabama ist ein radikal konservativer Staat, und es gibt wohl kaum einen Ort in Amerika, in dem eine Synagoge ungewöhnlicher erscheint als hier. Dabei hat der jüdische Tempel in Dothan eine lange Tradition, er besteht schon seit 1929. Landesweite Schlagzeilen machte er aber erst durch Blumbergs Aktion vor einigen Monaten. Die Gemeinde versucht, mit einer Prämie von 50.000 Dollar neue Familien aus dem ganzen Land zu gewinnen. Ein ähnliches Programm gab es bereits in Boston. Aber Dothan ist ganz anders als die Ostküstenmetropole. Dothan liegt im traditionellen Bible Belt, dem „Bibelgürtel“, wo evangelikaler Protestantismus zur regionalen Kultur gehört. Catherine Walding, Leiterin der Tourismusbehörde, hat von dem Programm der jüdischen Gemeinde im Fernsehen erfahren. „Ich würde einen Juden nicht erkennen, wenn er hier rein käme“, sagt sie. „Anderswo tragen sie ja Hüte und diese Locken, aber hier sehen sie aus, wie du © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2009 Seite (1/3) und ich.“ Trotzdem, sagt sie, sie seien „besser als die Araber, die jetzt hier in den Läden arbeiten und ganz verschleiert herumlaufen. Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber ich finde, wer hierher kommt, sollte sich auch anpassen.“ Hinter ihr in der Ecke des Besucherzentrums steht eine riesige Erdnussfigur im Elviskostüm. Das erste, das einem an Dothan, Alabama auffällt, sind die Erdnüsse. Der Geruch der Pflanzen liegt in der Luft über der Kleinstadt, und vor fast jedem Geschäft steht eine überdimensionale bemalte Erdnuss. Neben Baumwolle sind die Erdnüsse, die gekocht eine Art Nationalsnack Alabamas sind, das bedeutendste landwirtschaftliche Erzeugnis. Einmal im Jahr findet in Dothan, der selbsternannten Erdnusshauptstadt der Welt, das Internationale Erdnussfestival statt. Über eine Woche lang gibt es einen Jahrmarkt, der in einer großen Abschlussparade endet, bei der von einem Lastwagen Erdnüsse über die Zuschauer geworfen werden. Die Stadt brüstet sich mit dem kleinsten Häuserblock der Welt, ansonsten bietet Dothan nicht viele Attraktionen. Eine Zeit lang sorgte die nahgelegene Airforce-Helikopterbase für ein reges Nachtleben in der Innenstadt. Doch nachdem die Stadtverwaltung die Stripbars geschlossen hat, geht der alte Ortskern den charakteristischen Weg der meisten amerikanischen Kleinstädte. Ein traditioneller Hardware-Laden hat sich noch gehalten, sonst stehen die meisten Geschäfte leer, der Einkauf hat sich an die Umgehungsstraße mit den zahlreichen Malls verlagert. Die nächste größere Stadt liegt mehr als zwei Autostunden entfernt. Es gibt eigentlich nicht viele Gründe, nach Dothan zu ziehen. Der Emanu-El-Tempel liegt nur einige Gehminuten außerhalb des Stadtkerns. Er ist ein unauffälliges Backsteingebäude, vor allem, wenn man ihn mit der direkt gegenüberliegenden First United Methodist Church vergleicht, die vier eigene Busse und einen gigantischen Parkplatz hat, um den Andrang der Gottesdienstbesucher bewältigen zu können. Der Tempel teilt sich den Parkplatz mit einer Drive-Thru-Apotheke. Die Sekretärin Anne Meyers erzählt, dass sich die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in den vergangenen Jahren halbiert habe. „Vor allem die jungen Menschen gehen weg. Wir haben kaum noch Nachwuchs.“ Etwa 50 Familien zählt die Gemeinde noch, Kinder sieht man in der Synagoge fast gar nicht mehr. Das soll sich mit dem Programm der Familie Blumberg ändern. Der Anspruch ist ehrgeizig: Bis 2012 sollen 20 neue Familien für die Gemeinde gewonnen werden. Wer die finanzielle Unterstützung annimmt, verpflichtet sich, für mindestens fünf Jahre Teil der Emanu-El-Gemeinde zu bleiben. Am Anfang war das Interesse eher gering. Auf Anzeigen im Juni meldeten sich 20 Familien, aber keine bewarb sich ernsthaft. Nachdem jedoch eine Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press in die Medien gelangte, kam im September der Ansturm: Eine Viertelmillion Zugriffe auf die © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2009 Seite (2/3) Homepage und mehrere hundert Anfragen hat Robert Blumberg seitdem registriert. Robert ist der jüngere Bruder von Larry Blumberg, der ein erfolgreiches Familienunternehmen im Hotelmanagement leitet. Die Blumbergs gehören zu den ältesten Familien der Emanu-El-Gemeinde und sind auch für deren Finanzierung verantwortlich. Religion war schon immer ein fester Bestandteil ihres Familienlebens. Die christliche Mehrheit der Einwohner von Dothan hat von der Geschichte des Emanu-El-Tempels gehört. Skeptisch beobachten die Menschen die Anstrengungen der jüdischen Gemeinde, mehr Mitglieder anzuwerben. Donny Riley, ein hochgewachsener Mann, der das Baseballteam der Highschool von Dothan trainiert, kommentiert die Bemühungen kopfschüttelnd: „Wenn sie das Geld haben, um es zu verschenken, sollen sie es doch machen.“ Doch ganz geheuer scheint ihm die Geschichte nicht zu sein. Auch umgekehrt gibt es durchaus Vorbehalte. Rabbi Lynn Goldsmith, die einzige Rabbinerin von ganz Alabama, musste sich nach ihrem Umzug aus Connecticut mit eigenen Vorurteilen auseinandersetzen. „Im Norden hat man eine völlig verdrehte Vorstellung von den Südstaaten. Der Süden ist ein toller Ort zum Leben, und die Menschen hier sind warmherzig und freundlich.“ Doch die Vorurteile gegenüber den Südstaaten haben die Nachfrage nicht verringert. In Zeiten der ökonomischen Unsicherheit scheinen die Amerikaner sogar die traditionellen religiösen Barrieren zu vergessen. Zahlreiche jüdische Familien sind bereit, von der liberalen Ostküste ins konservative Herz Amerikas zu ziehen, nach Dothan, Alabama. www.bfjcs.org © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2009 Seite (3/3)