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\o.!i.gg . . 01-10 GERHARD OEXLE DIE GEGENWART DER TOTEN , ', . .I ' ., , I . '- , ' 1 I . Ein bemerkenswertes Phänomen in der europäischen Geschichtswissenschaft des letzten Jahrzehnts ist die in Frankreich entfaltete 'Histoire de la mort', die umfassende Erforschung der Einstellungen und Haltungen der Menschen gegenüber dem Tod und deren Wandel im Lauf der Jahrhunderte bis zur Gegenwart '. Es liegen dazu inzwischen eine Reihe von Einzelstudien und Monographien der Historiker Ph. Ariks, P. Chaunu, F. Lebmn und M. Vovelle vorZ, denen sich die Arbeit des Literaturhistorikers R. Favre anfügen läßt3. Durch seine Methoden wie durch seine Ergebnisse bemerkenswert ist auch das 1975176 veröffentlichte zweibändige Werk über die Pest in der europäischen Geschichte von J.-N. Biraben4. Die große Bedeutung, die das Thema des Todes in der Geschichtswissenschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhält, ist ein in vieler Hinsicht interessantes kulturgeschichtliches Phänomen5. Im wesentlichen handelt es sich dabei allerdings um eine . . , :: r li r ' Eine hervorragende Einfuhmng in die derzeit erörterten Fragestellungenund Kontroversen bietet Michel Vovelle, 'Les attitudes devant la mort: problimes de methode, .. . f, . ' ' , . ., ' .. , , .. . .. approches et lecfures differentes', Annnles E.s.c., 31 (1976), 120-132. Vgl. ferner Jean Meyer, 'Pierre Chounu, La mort a Paris (XVI', XVII', XVIII' siscles)', Revue historique, 263 (1980). pp. 403416. Francois Lebmn, Les hßmmes er lo mort en Anjououx 17' er 1% sidcles, Civilisations et Societes, 25 (Paris-La Haye, 1971): Michel Vovelle, Piere boroque er diehrisrianiwtion en Provence ou XVIII' siekle (Paris, 1973); Den., Mourir autrefois (Pans, 1974); Philippe Arik, Essois s w I'histoire de la morr en Occident du moyen öge o nos jows (Pans, 1975); Ders., L'homme devont In mort (Pans, 1977); Pierre Chaunu, Lo mort 2 Paris. XVI', XVII' er XVIIP sidcles (Paris, 1978). Zum Thema ferner die Beiträge des Sammelbandes Lo morr m moyen öge, F'ublications de la Societi Savante d'Alsace et des Regions de I'Est. Collection 'Recherches et d o m e n t s ' , 25 (Strasbourg, 1977). Während der Dmcklegung erschienen: Jacques Chiffoleau, Ln co~+~plobilitd de I'oudeki. Les hommes, 10 mort et lo religion dans 10 rigion d'Avignon a Iofin du moyen öge ( v m 132ü-vers 14801, Collection de I'kcole Francaise de Rome, 47 (Roma, 1980); Jacques Le Goff, Lo noissonce du Purgoroire (Paris, 1981). Rabert Favre, Lo morr d m lo littdratwe er 10 ,,emde .fimcaises au si<cle des Iwniires . miditerraniern, 2 Bde., Civilisations et Societb, 35/36 (Paris-La Haye. 1975176). Vovelle, 'Les attituda devant la mort', p. 132; ~ h a u n u Lo , mort i P&, bp. 3 s . ,.,. ( , . ' \ ' ' ,. ', I I , . . 8 . . , .. ' 'spezifisch' französische Forschungsrichtung6, die deutlich von charakteristische~~ Verfahren der neueren französischen Sozialgeschichtschreibung geprägt ist7 und von der für sie so typischen Verknüpfung der Beobachtung 'realer' Gegebenheiten bei gleichzeitiger Erfassung der Denkformen, unter denen diese begriffen werden. Eine der Grundannahmen auch der 'Histoire de la mort' ist die Bedeutsamkeit dessen was G. Duby genannt hat 'la part de l'imaginaire dans l'~volutiondes societes humaines". Ein Aspekt, der untrennbar mit der 'Geschichte des Todes' verbunden ist, bisher aber nicht gesondert ins Blickfeld gerückt wurde, ist die 'Geschichte der Toten', das heißt: die Geschichte der Einstellungen der Lebenden zu den Toten, die iiicht weniger einem ständigen Wandel unterworfen sind. Gewiß ist Für das soziale Verhalten von Menschen ihre Einstellung zum Tod bedeutsam: 'wie die Menschen sich zum Tode einstellen, bestimmt ihre Haltung gegenüber dem Lehen". Aber ebenso oder vielleicht noch viel mehr gilt Entsprechendes für die Eiiistellung und das soziale Verhalten von Individuen und sozialen Gruppen gegenüber den Toten, mit denen sie zu Lebzeiten in Bekanntschaft, Freundschaft, Verwandtschaft verbunden waren. Aufschlußreich ist, welche Beziehungen Individuen und Gruppen zwischen sich und den Toten bestehen lassen, welchen sozialen Status sie den Toten zuerkennen. Das Zurücktreten der 'Geschichte der Toten' hinter der 'Geschichte des Todes' überrascht nicht, da in diesem Sachverhalt charakteristische Einstellungen der Gegenwart zum Vorschein kommen. Einerseits nämlich ist 'wahrscheinlich keine Menschheit je dem Tode gegenüber so " So Ernrnanuei Le Roy Laduric. 'Chaunu. iebrun. Vovelle: la nouvelle histoire de la I ((Paris. 1973). pp. 393-403 (P. 402) AIS ein mort'. in Dcrs.. LP i<,rriioire I'l.hhiori<~r~, Beitrag von deutscher Scite rum Thema kann gcnanni wcrdei~dic von Rudolf Lenz inaugurierte interdiszipliriäre Erforschung der irühneuzeitlichcn Leichenprediglen : R. olr Qiiell~~ hisiorircii<>rM'i.rsoiich~li<,,. Bd. I (Köin-Wien. Lenz. cd.. Lci</i~>ipr<,dixieii 1975); Bd. 2 (Marburg. 1979). Die Verfahren der 'Histoire sCiielle' haben vor allem M. Vovelle und P. Chaunu bei der Ausweitung von Testamenten angewendet. Vgl. Pierre Chaunu. 'U" nouveau champ pour I'histoiie skricile: le quantitatif au troisicme niveau'. in M i 1 ~ ~ ~ g o ei. s I./vironr,cur r k Fcrnond Braudel. 2 (Toulouse. 1973). pp. 105.125 (pp. i I Iss.) sowic Ders.. Hi.:loire. rcience sociale (Paris. 1974). pp. 384ss. ' Georges Duby. 'Histoire sociaie et idCoiogies des sociCtCs'. in Jacques Le Goff - Pierrc Noia. eds., Fair<~d~~I%i.~ioire. I (Paris. 1974). pp. 147-1<.8(p. 168). Vgl. dazu Louis-Vincenl Thomas. A,iil?ropologi~~ </C10 i>iori (Paris. 1976). pp. 4 9 4 s Qberhard Friedrich Bruck. 'Die Stiftungen für die Toten in Recht. Religion und politischem Denkcn der Römcr'. in Ders., <;her römisches R<,c/?iim Rolimc,,i der Kuliurgescliichie (Berlin-Götlingen-Heidelberg,1954). pp. 46-100 (p. 47). DIE <jli<;l-YWAK'I[>ER T O l t i X 21 ratlos gewesen wie die heutige"', andererseits gibt es in der Geschichte wahrscheinlich sonst keine Gesellschaften, denen die Toten so fern sind wie den europäischen Gesellschaften der Moderne". Der von einem Historiker unlängst umschriebene Sachverhalt, da8 'keine Klasse der heutigen Gesellschaft so rücksichtslos' unterdrückt werde, wie die TotenL2,ließe sich im Grunde noch präziser bezeichnen mit der Feststellung, daß die Toten in der modernen Gesellschaft nicht einmal mehr eine unterdrückte Klasse sind; sie sind nämlich, im radikalen Sinne, nichts mehr. Nach Auffassung des modernen Rechts endet die Person mit dem Tode; es endet die Rechtsfähigkeit des Menschen. durch die er Subjekt von Rechtsverhältnissen, also Inhaber von Rechten und Adressat von Pflichten war, es enden seine Handlungsfahigkeit, seine Vermögensfähigkeit, seine personenrechtlichen Verhältnisse". Die Rechtspersönlichkeit 'erlischt'. Was von der Person bleibt, so meinte ein Soziologe, 'ist ein Ding, die Leiche'I4. Außer ihr 'bleibt' nur das Andenken bei den Nachlebenden. Deshalb sind nur die Leiche und das Andenken des Toten noch Gegenstand rechtlicher Normen: die Leiche ist es im öffentlichen Recht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Lebenden vor gesundheitlichen Gefahren und strafrechtlich im Sinn eines Schutzes gegen pietätloses VerhaltenL? Auch das Andenken wird vor Verunglimpfungen geschützt 'C Ansonsten aber gilt : 'das Rechtssubjekt ist gewesen'. 'der Tote ist aus unserem Kreise ausgeschieden. Er ist nicht mehr Subjekt ' O Cail Friedrich von Weizsäckei. 'Der Tod'. in Ansgar Paus. ed.. Gro>:ci:fahning Tod (Frankfuit a. M., 1978). pp. 319-338 (p. 320). " Zum Begriff der 'Moderne' als Bezeichiiung für den Zeitraum. dcr mit der Epochenschwelle etwa 1750 bis 1850 bcginnl : Rcinhart Koselleck. ed.. Studie>?:u»i ßcxinn der nioderncn Weii. Industrielle Welt. 20 (Stuttgart. 1977): I1 U . Gumbiecht. Ail. 'Modern. Modernität. Modcrnc'. in 0 . Brunner - W. Conre - R. Koselleck. eds.. Gesehichiliche Grundhegrqfe. 4 (Stuttgart. 1978). pp. 93-131 Arno Borst. Mönche an7 Bodcnsee 610-1525 (Sigmaiingen. 1978). p. 17. Dazu auch Jean Ziegler. Die Lehoideir und der Tod (Darmsladt-Ncuwied, 1977). pp. 37ss. und Arno Borst, 'Zwei rnirtelalterliche Sterbefalle', Merkur. 34 (1980). 1081-1098 (pp. 1096~s.). '' Ernst Wolt Allzmeiner Teii der bürgerlichen Rechir. 3. Aufl. (Köln-Bonn-BerlinMünchen. 1976). p. 151s.: Kar1 Laienz. Aiigcmei>zcr Teiider deuiicher~hür~crliclze>iRcchis. 4. Aufl. (München. 1977). pp. 30ss und 73s. " Werner Fuchs. iod~ieii~ild~~r in r l c ~>no&wi<v, Gcc<~li.~</~u/i (Frankfilrt a. M . . 1973). P. 71. 'I Hans-Wolfgang Strätz, Zivilrcchrliche Arpekie der Recl~r.~rirllu~ig de\ Toten unrer besonderer Berücksichiigu>ig d o Tron.xp/oniniioiien, Göries-Gesellschaft zui Pflege der Wissenschaft. Veröffentlichungen der Sektion für Rechrs- und Staatswissenschaft. Neue Folge, 7 (Paderborn. 1971) p. 5s.; allgemein Jürgen Gaedke, Hondhuch der Friedhqfir- irtrd ßesiairutgsrechis, 4 . Aufl (Köln-Berlin-Bonn-München. 1977). Heinrich Hubmann, Dos Perrönlichkeirsrechi, 2. Aufl. (Köln-Graz. 1967). P. 344. " von Beziehungen der menschlichen Ge~ellschaft"~,auch wenn die zii Lebzeiten getätigten Rechtshandlungen fortwirken'". In diesem Punkt unterscheiden sich moderne Auffassungen über den Status der Toten grundsätzlich von älteren Auffassungen. die in der europäischen Geschichte begegnen. Dort ist der Status des Toteii nicht bestimmt vom subjektiven 'Andenken'. das im Belieben der Lebenden steht_ sondern er ist gewissermaßen eine objektive Gegebenheit: die Toten sind Personen im rechtlichen Sinn, sie sind RecliLssubjekte und also auch Subjekte von Beziehungen der menschlichen Gesellschaft. Mit anderen Worten: sie sind unter den Lebenden gegenwärtig. Der Wandel der eiiien Auffassung zur anderen wird historisch aufschlußreich bezeugt in einem literarischen Text aus dem Jahr 1809. Es handelt sich um Goethes rätselvollen Roman Die Wal~lvo.wandisc11afterl. in dem die Bereiche Tod, Begräbnis, Kirchhof und vor allem die Beziehungen zwischen Lebenden und Toten immer wieder thematisiert und dabei die Auffassungen vom bloßen 'Andenken' an die Toten und von deren 'Gegenwart' charakterisiert und einander gegenübergestellt werden". Gleich zu Beginn. im zweiten Kapitel des ersten Teils. wird erzählt, d a ß Charlotte - eine der Hauptpersoiien, Grundherrin eines Dorfes den dörflichen Kirchhof umgestaltet hatte, wobei sie 'für das Gefühl gesorgt habe'z0: Mit möglichster Schonung der alten Denkmäler hatte sie alles so zu vergleichen und zu ordnen gewußt, daß es ein angenehmer Raum erschien. auf dem das Auee und die Einbildungskraft gerne verweilten. Sämtliche Grabmäler waren von ihrer Stelle gerückt und hatten, 'den Jahren nach' aufgerichtet, 'an der Mauer, a n dem Sockel der Kirche Platz gefunden', der dadurch 'vermannigfaltigt und geziert' wurde. Der übrige Raum war geebnet. Außer einem breiten Wege, der zur Kirche und an derselben vorbei zu dem jenseitigen Pförtchen führte, war das übrige alles mit verschiedenen Arten Klee besäer, der auf das schönste grünte und blühte. Nach einer gewissen Ordnung sollten vom Ende heran " Hans Schreuer. 'Das Recht der Totcn'. Zeiischrjfi ftir i~crgicichcndeRechisii-irreii- 33 (1916). 333432 und chd. 34 (1916). 1-208 (hier p. 333 und 334s). Srrätr. Ziribecbilicke Aspckie. p. 13. '9 Goeihes Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 6. ed. Bcnno V . Wicse und Eiich Trunz. 4. Aun. (1960). Daß die genannten Motive bei der Deutunz des Romans bisher zu wenig bcachtct wurdcn. hat bereits Adolr Hüppi. Ktliisi i~iidKtdr Crohsiüiicii (Oltcn. 1968). p. 352 ~cstg~stcill: dcssen Inicrpretalion scrzl jedoch anderc Akzcnlc und läßr m. E. wesentliche Momente der Darstellung außer acht. Über konkretc Anlässe zur Bcschäfrigune mit Fragen der Friedhofsgestaltung bei Goeihe ebd. pp. 3 8 6 s scbqfi. A . a. 0 . p. 254. die neuen Gräber bestellt. doch dcr Platz jederzeit wieder verglichen und ebenfalls besäet werden. Niemand konnte leugnen, da8 diese Anstalt beirn sonn- und festtägigen Kirchgang eine heitere und würdige Aiisicht gewährte. Sogar der betagte und an alten Gewohnheiten haftende Geistliche, der anfanglich mit der Einrichtung nicht sonderlich zufrieden gewcsen. hatte nunmehr seine Freude daran. wenn er unter den alten Lindeil. gleich Philemon. mit seiner Baucis vor der Hintertüre ruhend, statt der holprigen Grabstättcri einen schöncn. bunten Tcppich vor sich sah. dcr noch überdies seinein Haushalt zugute kommen sollte. indcm Charlotte die Niitziing diescs Fleckes der Pfarre zusichern lasscii". Diese Maßnahmen fanden indessen bei anderen Mitgliedern der Gemeind e keinen Beifall, weil man dadurch die Bezeichnung der Stelle. wo ihre Vorfahren ruhten, aufgehoben und das Andenken dadurch gleichsam ausgelöscht; denn die wohlerhaltenen Monumente zeigen zwar an. wer begraben sei. aber nicht. wo er begraben sei, und auf das Wo komme es eigentlich an, wie viele behaupteten". Eine benachbarte Familie. deren bisher durch eine Stiftung gesicherte Grabstätte aufgehoben worden war, entsandte einen jungen Juristen mit dem Auftrag, die Stiftung zu widerrufen. Es kommt zu einem bedeutsamen Gespräch (Zweiter Teil, Erstes K a p i ~ e l ) ~in~ dem , jedoch keine Einigung gelingt, ja gar nicht gelingen kann, nicht nur, weil die Argumente und Vorstellungen der betroffenen Familie jenen Charlottes völlig entgegengesetzt sind, sondern vor allem, weil beide Seiten auf völlig verschiedenen Ebenen a r g ~ m e n t i e r e n ~ ~ . Der junge Rechtsgelehrte versucht zu erläutern, warum die Familie durch d a s 'Vergleichen', d.h. das Einebnen ihrer Grabstätte 'auf eine Weise verletzt' wurde, 'wofür gar kein Ersatz zu denken ist'. Denn durch ihre Umgestaltung des Kirchhofs hat Charlotte der Familie die Möglichkeit genommen, die Beziehungen zu ihren Toten aufrechtzuerhalten. die darin bestanden, 'ihren Geliebten einTotenopfer zu bringen', 'Fremde und Mißwollende auch von der Seite (ihrer) geliebten Ruhenden abzuweisen A . a. 0. p. 361 (dieser Text aus Kap. I1 I ) . A . a. 0. p. 361. A. a. 0 . pp. 361s " Die (fast) nüchterne Gegcnübcisiellung bcidei Auffassungen. dcr älteren rechtlichsozialen und dm 'modernen', trennt Goethes Darstellung fundamental von der Erörterung des Themas bei R. de Chateaubriand. Le G&ie du civi.siiaiiis»ie(1802). 1V 2. Kap. 1-9 ((Euvms compl6tes. 2. Paris. 1859. pp. 398~s.). Chateaubriands Gcdanken bilden ein leidcnschaftlichcs Plädoyer gegen die Veränderungcn dcr Einsteliung zu den Toten seit dci Mitte des 18. Jh. (s. dazu unten Abschnitt V1) und den entsprcchendcn Vorgängen während der Revoluiion (ugl. ba. Kap. 6. pp. 4025s. mit Anm. I auf p. 404): deshalb erscheint das Thema der Toten und der Begräbnisstätten bei Chateaubriand in 'romantischer', d. h. historisch gebiochencr Reflexion (bcs. Kap. 7 und 8. pp. 404~s.). " 'l " und zu entfernen' sowie in der 'tröstlichen Hoffnung, dereinst unmittelbar neben ihnen zu ruhen', d.h. über den Tod hinaus eine Familie zu sein. D a ß ein nicht wiedergutzumachender Rechtsbruch vorliegt, ergibt sich unmittelbar aus der Bedeutung von Denkmal und Grabplatz: denn ...diescr Stcin ist es nicht. der uns anzieht. sondern das darunter Enthaltene, das daneben der Erde Vertraute. Es ist nicht sowohl vom Andenken die Rede als voii dcr Person selbst, nicht von der Erinnerung. sondern von der Gegenwart. Ein geliebtes Abgeschiedenes umarme ich weit eher und innigcr im Grabhügel als im Denkmal. denn dieses ist für sich eigentlich nur wenig: aber tim dasselbe her sollen sich wie um einen Markstein Gatten. Verwandte, Freunde selbst nach ihrem Hinscheiden noch versammeln .... Diese Äußerung stellt 'Andenken' und 'Erinnerung' in einen kontradiktorischen Gegensatz zu dem Toten und seiner 'Person selbst', zu dem Toten und seiner 'Gegenwart', die mit dem Platz seines Grabes verbunden ist, und es handelt sich dabei, wie festgehalten werden sollte, nicht etwa um theologische Argumente, sondern um die Verteidigung eines rechtlichen Sachverhalts. Aber gerade diese rechtlichen Gegebenheiten und die mit ihnen verbundenen sozialen Normen sind für Charlotte völlig bedeutungsloszs. Nur deshalb kann sie sich unbefangen zu jeglicher Entschädigung bereit erklären, ohne sich aber durch einen solchen 'Rechtshandel', wie sie sagt, 'beunruhigen' zu lassen. Die Motive ihres Handelns wurzeln nämlich in ganz anderen Bereichen. Mit der Einebnung der Grabstätten hatte Charlotte, um dies noch einmal zu zitieren, 'für das Gefühl gesorgt'; sie wollte einen 'angenehmen Raum' schaffen, 'auf dem das Auge und die Einbildungskraft gerne venveilten'. Es geht ihr also zunächst einmal um eine neue Gestalt des Kirchhofs nach ästhetischen Prinzipien ('statt der holprigen Grabstätten ein schöner; bunter Teppich'). Das Ästhetische ist zugleich mit dem Sinn für die Erhaltung alter Monumente und für deren historisch-antiquarische Ordnung verknüpft. Hinzu tritt das Bedürfnis nach 'Ordnung' überhaupt und nach Rationalität, dem auch die jetzt mögliche wirtschaftliche Nutzung des Kirchhofs entgegenkommt. Aber das 'Vergleil 5 Man muß hinzurügen: siesind für Charlotte zu diesem Zeitpunkt der Handlung noch bedeutungslos.Denn Charlotte revidiert itnausgcsproche~iihren Standpunkt, sobald es sich um ihre eigcncn Verstorbenen (Ottilie. Eduard) handelt. Im Blick aufdcren Begräbnisstätte macht sie am Schluß des Romans 'für Kirche und Schule, für den Geistlichen und den Schullehrer ansehnliche Stiftungen' (Goeibes Werke. Bd. 6,p. 490). Vorbereitet wird diesc Wandlung durch die Argumente, die 'man' - wahrscheinlich Charlottc - Eduard vorzustellen wagte. als er sich der Bestattung Ottilies widersctrtc. Es heißt dort: 'daß Ottilie. in jcnei Kapelle beigesetzt. noch immer unter den Lebendigen bleiben und einer freundlichen. stillen Wohnung nicht entbehren würde' (p. 485). DIE <;E<;FNWART DEI< S O F E N 25 chen', das Einebnen der Grabstätten ist schließlich auch Ausdruck politisch-sozialer Überzeugungen, die Charlotte den juristischen Gesichtspunkten entgegenstellt, indem sie ein politisches 'Gefühl' ausspricht: D a s reine Gefühl einer endlichen allgemeinen Gleichheit. wenicstens nach d e m Tode, scheint m i r beruhigender als dieses eigensinnige, s t a r r e Fortsetzen unserer Persönlichkeiten. Anhänclichkeiten und Lebensverhältnisse. Dieses 'reine Gefühl einer endlichen allgemeinen Gleichheit' ist im Einebnen der Gräber praktisch geworden. Was in der Emphase dieses Gefühls als 'eigensinniges, starres Fortsetzen unserer Persönlichkeiten, Anhänglichkeiten und Lebensverhältnisse' erscheint, ist im Lichte älterer rechtlich-sozialer Auffassungen die Anwesenheit, die Gegenwart der Toten als Personen unter den Lebenden26. Die Gegenüberstellung von 'Erinnerung' und 'Gegenwart' weist auf einen tiefgehenden Bedeutungswandel des Begriffs 'Erinnerung', 'Memoria'. Im älteren Sinne hat Memoria nicht nur die Bedeutung von 'Vergegenwärtigen' im bloß kognitiven oder emotionellen Sinn, sondern umfaßt Formen sozialen und rechtlichen Handelns", durch welche die Gegenwart der erinnerten Toten konstituiert wird. Dieser umfassende Sinn von Memoria wird auch deutlich in einem Text, der am Beginn der Neuzeit, 1516, veröffentlicht wurde und in dem man 'eines der großen und ursprünglichen Zeugnisse' gesehen hat, 'in denen der neuzeitliche Geist zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Erscheinung tritt'": die Uropia des Thomas Morus. Im zweiten Buch dieser Schrift behandelt Morus die Religiosität der Utopier und erläutert dabei ihre Auffassungen von den Toten. Fröhlich und voll guter Hoffnung zu sterben gelte bei ihnen als erstrebenswert, und die so Verstorbenen würden ohne Trauern und Schmerz verbrannt, auf ihrem Grabplatz Denkmäler errichtet. Nach der Heimkehr vom Begräbnis sprächen die Lebenden vom Charakter des Toten und seinen Taten. In dieser MeGerade gegen diese 'Gegenwart', sei sie durch Grabstätten oder von Bildnissen evoziert. hat Charlotrc 'eine Art von Abneigong; denn sie scheinen mir immer einen stillen Vorwuifzu machen; sie deuten auf etwas Entferntes, Abgeschiedenes und erinnern mich. wie schwer es sei, die Gegenwart recht ZU ehren' (p. 365). " Es genüge hier der Hinweis auf die eindrucksvollen Belege aus der heidnischen und der christlichen Spätantike bei Bo Reicke, Diakonie, Fespeude ilndZelos in Verhindu>zgmil der olrchririlichen Agnpcnfeier, Uppsala Universiiets Arsskrift. 5 (Uppsala-Wiesbaden, 1951). pp. 2 5 7 s Thomas Nipperdey, 'Die Utopia des Thomas Morus und der Beginn der Neuzeit', in Ders., Rqformnrion, Revoluiion, Uropie, Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1408 (Göttingen. 1975). pp. 113-146 (P. 113). moria, so fährt der Text fort, sehen die Utopier einen Ansporn für die Lebenden, zugleich aber auch eine Verehrung ( c u l i ~ r s )für die Toten. Denn sie stellen sich vor, die Toten seien bei den Gesprächen über sie (wenn auch unsichtbar für das stumpfe Auge der Lebenden) gegenwärtig. M o r r u o s ergo ~ r r r s a r inrer i uiuenres credun„ dicrorr~nz/ac~orui?zqur specratores, eoquz res ageerzdasJidznrius aggrediuilrco.. ralibus uelui.fie~ipraesidihus, er a b ii7l7or1esro .secrero deierrer eos, crediia maioruin p r u e s e r ? ~ i a ~ ~ . Memoria der Toten bedeutet deren Gegenwart. Deshalb sind die Toten in der utopischen Gesellschaft Subjekte von Beziehungen in dieser Gesellschaft. Anders gesazt: die utopische Gesellschaft des Thomas Morus umfaßt Lebende und Tote. Den soeben zitierten Texten aus dem beginnenden 19. und dem beginnenden 16. Jahrhundert, aus der Zeit der Epochenschwellen zur Moderne und zur Neuzeit, sollen zwei Texte des 1 I . und des ausgehenden 8. Jahrhunderts an die Seite gestellt werden. In der Wirren des Investiturstreits, um 1090, schrieb ein Angehöriger des Klosters Iburg die 'Vita' des Klostergründers, des Bischofs Benno von Osnabrück". Benno war 1088 gestorben; seine letzten Lebensjahre hatte er fast ganz im Kreis der Iburger Mönche verbracht. Wegen ihrer Realistik in der Personenschilderung galt die Benno-Vita schon immer als ein außergewöhnliches Exempel ihrer Gattung3'. Nach Auffassung des Verfassers sollte sie eine Erinnerungsschrift sein, aber nicht für Außenstehende, sondern für die Mitglieder der Mönchsgemeinschaft von Iburg, zur Lektüre und zum Vorlesen, wohl in Form einer recitario a d n?ei?sam oder im Kapitel am Todestag des Bischofs, dem 27. Juli. Leben und Wirken des Klostergründers wollte der Verfasser denen bekannt machen, die an diesem Ort zu seiner Zeit lebten oder künftig hier leben ~ ü r d e n ' ~Er . beginnt sein Werk mit dem seit Herodot klassischen Motiv: die Erinnerung (memoria) an große Taten soll nicht erlöschen. " Uropio. ed. E. Suriz - J.H. Hexter, Tiie Con,plere Works "/Si. Tl~oiiiar.More. 4 (Uew Haven-London. 1965) pp. 222sa.. das Zitat auf p. 224. " Viia Bcn>,onir 11. episcopi U.snahrir~emir,ed. H . Bresslau. MGH SSierGeim. (1902). VgI. Wilhelm Wattenbach - Robert Holtzmann - Franz-Josef Schmale. Deuirciilandr Gesehichisyuellenim Miiielalier. 2 (Damstadt, 1967). p. 578s. Zum Verfasser Kurt-Ulrich Jäschke, 'Studien zu Quellen und Geschichte des Osnabrückei Zehnstreits unter Heinrich IV:. Ar</?ii./irr Diploi>raiik. 9.10 (1963164). 112-283 und ebd. 1 I.12 (1965;66). 280-402. pp. 358ss. )'Praefatio, a.a.0. p. 1s. " Schon oft sei es wegen der Nachlässigkeit der Menschen dahin gekommen, sagt er, d a ß man der Memoria wahrhaft Würdiges mit Stillschweigen überging, d a ß die Memoria an hervorragende Taten den Späteren nicht überliefert worden sei. Die im Kloster Iburg lebenden Mönche sollten dies vermeiden. Aber von dieser historiographischen, literarischen Form der Memoria leitet der Verfasser sogleich über zu einer anderen Form des Erinnerns, die ihm wichtiger ist. Mir geht es vor allem um eines. so fährt er fort, da8 unserem Gründer und dem Erbauer unseres Klosters hier an diesem Ort unablässig durch Gebet geholfen werde: er soll sich nicht vor Gott beklagen müssen, daß ihm erhoffte Hilfe von uns verweigert werde. Oft nämlich. wenn er in vertrauter Gnrerhaltung mit uns zusammen war, pflegte er scherzend zu bemerken: er dürfe doch nach seinem Tod von unseren Gaben, die wir ihm schuldig seien. jeden Tag eine kleine Mahlzeit erwarten, so nämlich, da8 seine Seele durch Gebet genährt werde. Denn behindert durch zahllose weltliche Angelegenheiten in dieser unserer höchst unruhigen Zeit. hoffte er. daß, was er selbst in? Dienst vor Goti zuwenig tat, an seiner Stelle von der hicr versammelten Gemeinschaft i n Billigkeit wiedergutgcmacht w ü ~ d e ' ~ . Daher mögen alle, s o schließt die Vorrede der Vita, die Barmherzigkeit Gottes für das Heil des Bischofs bestürmen, je mehr sie erkennen, welche Hilfe und welchen Nutzen sie im Materiellen wie im Spirituellen a n diesem Ort genießen, an dem sie durch des Gründers Tatkraft und Umsicht gemeinsam leben können. ~ I n einer für das frühere Mittelalter vielleicht einzigartigen W e i ~ e 'hat der Verfasser der Benno-Vita den Bereich des Phänomens Memoria in seinen verschiedenen Dimensionen abgeschritten. D a s klassische Motiv der historiographischen Memoria wird angesprochen, aber sogleich überhöht in dem Gedanken des Erinnerns durch Gebet, also durch die liturgische Memoria". Und von dieser liturgischen Memoria werden in dem knappenTextganzwesentliche Elementeentfaltet :die Verpflichtung zum Gebet als G a b e für den Gründer, dessen Stiftung das Leben der monastischen Gruppe in materieller wie geistiger Hinsicht fortwährend ermöglicht und dessen G r a b sich in der Obhiit der Mönche befindet; die stellvertretende Bitte für den, der sich zu sehr in Dinge dieser Welt verstrickt hat; die Verknüpfung der Memoria mit dem Gedanken des Mahles, das Lebende und Tote vereinigt. " Derselbe Gedankc abermals irn Schlußkapitei C. 29. p. 40. " Vgl. dazu R.W. Soiitliern. Saitii A,ix~/nimid 1,i.r Bioqmphrr (Camhridsc, 1966). n 324. .~ Der Ausdruck 'litursische Mernoria' bezeichnet irn folsenden alle gottcsdicnstlichen 'I Formen von Memoria. Es ist keineswegs ein Zufall, daß das Phänomen der liturgischen Memoria gerade im Prolog zu dieser Vita s o differenziert erläutert wird. Denn die Betonung der liturgischen Memoria steht in einem ganz engen Zusammenhang mit dem s o viel gerühmten 'Realismus' des Verfassers dieser Biographie, der sich - wie er sagt - von aller Schönfarberei und von unberechtigter Lobhudelei fernhalten wollte: 11oiz eum (SC. Benno) verb;.~ sanct$care coiztendimus, quod utirzam aciihu~ipse .fecisset, so äußert er sich in zunächst befremdlicher Kritik an dem, um dessen Memoria 25 ihm geht3". Gerade weil ihm die Sicherung der liturgischen Memoria für den Gründer des Klosters wichtig war, hatte er Anlaß, weniger rühmliche, ja sogar abstoßende Züge im Charakter des Toten keineswegs zu verschweigen3', 'damit von denen, die es lesen, gerade um der Dinge willen, in denen es ihm an Vollkommenheit fehlte. um so eifriger gebetet werde'38. Dieser Text gibt Einblick in ein von den beiden Polen der historischen und der liturgischen Memoria aus bestimmtes Feld sozialer Auffassungen und Verhaltensweisen. Grundlegend für sie ist der Gedanke fortdauernder sozialer Beziehungen zwischen dem toten Gründer des Klosters Iburg und den dort lebenden Mönchen. Der Gedanke der Fürbitte, des Gebets für den Toten ist hierin eingebettet. Diese Feststellung über das gegenseitige Verhältnis von Memoria und Fürbitte ist auch in genetischer Betrachtung richtig; denn die Vorstellung einer Verbindung der Lebenden mit den Toten ist im Christentum historisch älter als der Gedanke der Fürbitte für sie3'. Die historischen und liturgischen Momente der mittelalterlichen Memoria treten auch in einer anderen Vita zutage, die ebenso wie die BennoVita wegen ihrer realistischen Darstellung gerühmt wird, die Vita des 779 verstorbenen Abtes S t u m i von Fulda40. Schon früh galt Sturmi in Fulda nicht nur als erster Abt des Klosters, sondern geradezu als dessen ' V i i a Beiir,onis. C. 8. p. 10. "'Vrl. . C. 7 und 8. p. 9s.: Kritik a n Fehlern bci der Gründung des Klosters in C. 19ss.. pp. 2 5 s C. 8. p. 9s. Deiselbc Gedanke begegnet in autobiographischer Wendung bei Thietmai von Mcisebuig und erweist sich als ein rentialcs Motiv in dessen Chronik: Helmut Lippelt. Tl8icimnr von Mercehurp. Reicbshirchof irnd Chroniri. Mitteldeutsche Forschungen. 72 (Köln-Wien, 1973). p. 200. '9 Rupeit Berger. Dir Wendirny "ofierre pro" in der römirehcn Liturgie, Liturgiewissenschaiiliche Quellen und Forschungen. 41 (Münster/Westf. 1965). p. 231s. Die Viin S t s r n ~ ide,s Eigil vo,i Fuldo. ed. Pius Engelbert. Veiöfientlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, 29 (Marburg, 1968). pp. 131ss. Zum Quellenwcrt ebd. pp. 75ss. I I I E CE<;EN\\'AK? DER 'TOTE\: 29 Gründer4'. Seine Biographie, verfaßt von Eigil, einem Verwandten Sturmis, der 818 Abt des Klosters wurde, will und kann deshalb die Lebensgeschichte Sturmis und zugleich die Anfange des Klosters schildern4*. Auch dieser Text ist ein Zeugnis der 'Biographie', nicht der ' H a g i ~ g r a p h i e ' Dies ~ ~ . ist wichtig im Hinblick auf das Schlußkapitel. Es zeigt den Konvent am Sterbebett Sturmis; die Mönche bitten ihn, nach seinem Tod ihrpatronus zu sein und ihnen seine rneinoria zu gewähren? Man möchte dies einfachhin als Zeugnis einer kultischen Verehrung des Abtes werten, doch ginge man damit fehl, da die ersten Zeugnisse einer kultischen (Heiligen-) Verehrung Sturmis erst im 12. Jahrhundert begegnen4? In den Jahrhunderten davor hat die Memoria des toten Abtes für seine Mönche, von der die Schilderung der Sterbeszene berichtet, ihre Entsprechung in den zahlreichen Bekundungen der Memoria der fuldischen Mönche für Sturmi: schon um 800 ist das alljährlich am Todestag zu haltende Gebet für den Abt bezeugt, und Eigii ließ es später in zusätzlichen Begehungen intensivieren und hat schließlich auch die Lesung der Sturmi-Vita bei Tisch an diesem Tag angeordnet4% Die beiden mittelalterlichen Texte zeigen, daß im Mittelalter Memoria nicht das bloße Andenken meinte, sondern soziales Handeln bedeutete, das Lebende und Tote als Rechtssubjekte miteinander verband. Die Gegenwart der Toten wurde bewirkt durch Gaben des Gebets für sie. Diese sind als Gegengaben zu verstehen für die vielfaltigen geistigen und materiellen Gaben, die monastische Gruppen ihren Gründern und Stiftern verdankten und durch die sie Tag für Tag materiell und spirituell in ihrer Existenz gehalten wurden4'. In diesen Beziehungen zwischen " Otto Geihard Oexlc, 'Die Überlieferung der fuldischen Totenannaien'. in Kail Schmid, ed., Die KIorrer~emeinich<iTi von Fuldn im fiüiiern, Milielnlicr. 2.2. Münsrersche Mittelalter-Schriften. 8.2.2 (München, 1978). pp. 447-804 (p. 483). ViißSiurmi, C. I , a.a.0. p. 131 : ...ui iniiia ei viinm soncii ae voiernridi obbnrir Siur»ii iihi cxponerem ci primordio ntonasierii soncii Saii~rrioris.q w d <ih co fundoiuni oiqire eoiürirurum eri ... co,~.~oihere»i. '' D i e betonte mit Recht Engelbeit, Viio Slurmi. pp. 345. und l 1 Iss. '' Viia Srurmic. 26, p. 162s. Frühe Zeugnisse für die Hilfebitte an Lebende unmittelbar r. vor ihrem Tod nennt Hippolyte Delehaye, Les orirines du cuiie der m o r ~ ~ r Subsidia hagiographica. 20, 2. Aufl. (Bruxelles, 1933). p. 110. Engelbert. Viia Siurmi. pp. I I Iss. Otto Gerhaid Oexle, 'Memorialübeilieferung und Gebetsgedächtnis in Fulda vom 8. bis zum 11. Jahrhundert'. in Kar1 Schmid, ed., Die Klosiergenzeinccizqfi von Fuitio in? früheren Miiieiolier. I . Münstenchc Mittelalter-Schriften. 8.1 (München, 1978). pp. 136177 (p. 141 und 146s). 4' Über 'Gebet als Gabe' Otto Gerhard Oenle. 'Memoria und Memoiialüberlieferun; im früheren Mittelalter'. Früi~milielalroliciicStudien. 10 (1976). 70-95 (pp. 87ss). Übcr die Beziehungen zwischen Heiligen und den von ihnen gegründeten monastischen Kom- " " Lebenden und Toten sind religiöse, soziale' rechtliche und wirtschaftliche Momente eng verbunden. Auffallig war in den beiden zitierten Texten ferner. wie eng sich Elemente, die man dem Totenkult zuschreiben möchte. verbunden sind mit solchen. die auf Heiligenkult zu deuten scheinen. Die Analogien zwischen beiden Bereichen gehen offenbar tiefer, als die übliche Unterscheidung zwischen den beiden Bereichen zunächst vermuten Iäßt. Offenbar stehen die beiden Bereiche nicht, wie oft angenommen wird, in antagonistischem Gegensatz zueinander48. Man weiß, daß die Heiligen im Mittelalter als Rechtssubjekte mit Rechtsfähigkeit und Handlungsfihigkeit galten49. Heilige wurden auch als 'geschäftsfähig' angesehen: eine Kirche. ein Klosier mit Zubehör an Personen, Mobilien und Immobilien, eine Personengruppe galten als Eigentum des betreffenden Heiligen. Begriffe wie ~no~za~icriu~n Sai7cri ßoilifatii. nliliiiu Sarlcti P<~fri, l~omiizesSailcri Germani, fa~nilia Sar~ciiEmmerami und dergleichen begegnen in der mittelalterlichen Überlieferung unendlich oft. Patrone galten aber nicht nur als die wirklichen Eigentümer und deshalb auch als Adressaten von Schenkungen, sondern sie wurden ihrerseits auch als Verpflichtete gedacht, die im Extremfall sogar als 'deliktfahig' angesehen wurden. Der Heiligenverehrung entsprach deshalb die rituell nicht weniger geregelte Heiligendemütigung und HeiligenbestrafungS0. Die Ähnlichkeit in der Rechtsstellung zwischen dem Heiligen und jedem beliebigen Toten im Mittelalter hat im übrigen ebenfalls ihren historischgenetischen Grund, die Tatsache nämlich, daß Heiligenkult und Totenkult aus ein und derselben Wurzel gewachsen sind: eben aus der Memoria Lebender für Tote" muniiätcn jetzt grundsätzlich Lutz V. P a d b c ~ .H c i l i p ioiri Fomili?. Siiidicjri zur Bedcii1unq ,fo-i>in'ie,i,qehi,,>de~$cr A,?p<,ki<, iii d m V i i o , <ks Voiir,,tdie>i- itiid S c / ~ ü i ~ ~ r k r ~ii,>i ~i.~cr Willihrord. Bo,~;foii~,.~ uiid Liirdgcr (Diss. phil. Münster!Wcstf. 1980). bes. pp. 1 2 4 s " W a z o aiich untcii p. 4 8 % Vgl. die Fcststciliing voii ß;iildoi,in de Gaiffici (in dcr Diskussion zu dem unten Aiim. 77 zitierten Vortrag in Spoieto. a.a.0. p. 189): 'Nous aimons bien ... compartimentcr Ics genres: nous parlons dhagiogiaphic. d'historiographie: je me deniande parfois si cela ne cache pas au fond des problernes iin peu flous'. Dazu ferner auch die Hinweist von Franiigck Graus, 'Hagiographische Schriften als Quellen dcr "prolariei>" Geschichte'. A t i i </CI (oiiqwrio l i i i < ~ n i r i r i o ~ iini rii~i i~i o i,i ri<<r,.~ioii~ i k i Yl)n A,i,iii-crrario d c l l n f o ~ i ~ l o i idcll' o ~ ~Iriiit>ro ~~ Siorico liaiio,,o ilHH3-1973). I ( R ~ 19761, ~ ~ , pp. 375-396. '' Vgl. Otto von Gierke. Dar deurrche Ge>,o-iicnsc/t~fi.~reciir. 2 : Gwchichie de.7 deuischen K"rpcr.schqfisbejir#,i (1873, Nachdruck Giaz, 1954). pp. 527ss. Darüber anschaulich Patiick Geaiy. 'L'hiimiliation des saints'. Annolcc E. S. C.. 34 (1979). 2742. " Dazu Delehaye, Ler orijiifies dir culie der n,nrrjrs. pp. 24ss.; F. van dcr Meer. Aujiurinlcr der Seelsorger (Köln, 1951). pp. 5775s und 586ss.: Bernhard Kötting, Der Die sozialen Beziehungen zwischen Lebenden und einem Toten fanden natürlich nur in den wenigsten Fällen in der Aufzeichnung einer Vita ihren Ausdruck. Die Mehrzahl der Toten. deren Memoria von Lebenden begangen wurde, waren 'nur' dem Namen nach bekannt. Diese Namen wurden aufgezeiclinet und die so entstandenen Namenlisten bildeten das schriftliche Substrat der Memoria. Die Namen hervorragender Stifter und G ~ n d e r s i n diiidiesen Aufzeichnungeneingebettet indie Nennungen der Namen Tausender, von deneii aunerdiesem Namen eben nichts weiter bekannt ist. Aber auch wenn der Neugierde des Historikers hier Grenzen gesetzt sind, so muß gleichwohl festgestellt werden, daß im Sinn mittelalterlicher Sozialauffassungen die Aufzeichnung des Namens als das Entscheidende galt. In der Nennung seines Namens wird der Tote als Person evoziert: 'das Aussprechen des Namens schafft Gegenwart des Genannten'". Der Liturgiewissenschaftler R. Berger hat diesen - dem Juristen indessen nicht weniger vertrautens3 - Sachverhalt in der Formulierung 'Gegenwart durch Namensnennung' treffend auf den Begriff gebracht 54. Die Namensnennung im Rahmen liturgischer Memoria hat im Mittelalter verschiedene Formen der Memorialüberlieferung hervorgebracht. die zum Teil aus älteren Formen liturgisch bedingter Namenaufzeichnung erwachsen sindss. AUS den Diptychen entstanden die Lihri Men?oriales, in denen die Namen Lebender und Toter (diese ohne Todesdatum) aufgezeichnet sind; aus den älteren Kalendarien und Martyrologien entstanden die Nekrologien, welche die Namen ausschließlich von Toten ,fiü/icl~ri,~ilic/~c Reliquienkuli rinddie Eesin<iung i m Kirchen~ehüude.Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Noidrhein-Westfalen. Geistes\vissenschaften. Heft 123 (KölnOpladen. 1965). pp. 7ss. I' Berger. Die Wcvidi<rt~ ""(firre pro''. p. 233. Heinrich Mitteis. 'Das Recht als Waffe des Individuums'. in Ders.. Die Rechiridee in d m Ge,~~/~icltic(Weimar. 1957). pp. 514-523 (p. 518): '...die Nennungdes Namens wird dcr körperlichen Anwesenheit gleich geachtet...'. Berge?, Dic Woidirop " q f i r r c pro". p. 228. Dazu Oexle. 'Memaiia'. pp. 7 9 s Bei Bergci p. 231 in diesem Zusammenhang die treffende Fesrstellung (s. ohen Abschnitf I): 'Gedächtnis will nicht Erinnerung schaffen. sondern Gegenwart'. IS Zum Folgenden: Kar1 Schmid - Joachim Wollasch. 'Die Gemcinschafr dcr Lebenden und Verstorbenen in Zeugnissen des Mittelaiicrs'. Friiizmi~ieiirlicrlichcSrudien. I (1967). 365-405: Dies.. Socicio,~ei /bnrer,iiio,$. Bcgründi«?g ei,,c.s ko»snenrirrio, Qucllenii.erkes zur Erfijrsdii»i~der Pcr,~o>,<,n uiid Pcrronengruppc~ndes Mirielolicrr (Bcrlin-New York. 1975): Kar1 Schmid, 'Gedenk- und Torenbüchei als Qucllcn'. in Miiirlalierlich~Tesiiil>erlieferungcn und ilzre kriiisd,e A@farheNsn~.Beitrüge der Monunzenro Germoniae Ifi.5iorica zuni 31. Deuischm Hisrorikcriag Montzheim 1976 (München. 1976). pp. 76-85: Oexle. 'Memoria'. r/ocio>ie~iis ,i<cr-olo,qiyricr /ra,i~oi,~. I (Paris. pp. 70ss.: Jcan-Loup Lemaitrc. R!i><,rioire 1980). PP. 55s. " in kalendarischer Ordnung nach dein Todestag enthalten. Eine wieder andere Form zeigen die Totenannalen. welche die Namen Verstorbener annalistisch, also nach dem Todesjahr ordnen; das älteste bekannte Beispiel mittelalterlicher Totenannalen kennen wir aus dem Kloster Fulda - Abt Sturmi hat diese kurz vor seinem Tod begründets6. Die Erforschung der mittelalterlichen Memorialüberlieferung monastischer und geistlicher Gemeinschaften, der Libri Memoriales, der Nekrologien, der Totenannalen, wurde in den letzten Jahren entscheidend vorangetriebens7, und es wird sich immer deutlicher zeigen, daß Zweifel an dem sozialgeschichtlichen Ertrag dieser Forschungen und die einschränkende Bewertung der Memorialüberlieferurig als Zeugnis bloß für 'bestimmte liturgische Praktiken'58 nicht aufrechtzuerhalten sind. Die Memorialüberlieferung ist Zeugnis eines Denkens, das viele Phänomene im Bereich von Religion, Recht, Wirtschaft und geistiger Kultur umgreift und diese zum Ausdruck bringt. In dem folgenden Abschnitt soll dies an der bereits angedeuteten gegenseitigen Bedingtheit historischer und liturgischer Memoria ausführlicher erörtert werdens9. Die Auffassung von der Gegenwart der Toten bestimmt im übrigen nicht nur die liturgische Memoria, sondern sie ist im Mittelalter und darüber hinaus Ferment in verschiedensten Bereichen des Alltagslebens und der intellektuellen Reflexion. Im Bereich theologischen Denkens hat die Vorstellung von der sozialen Verbundenheit Lebender und Toter seit ~~~ dem 5. Jahrhundert im Gedanken der C o m m u n i o S a t ~ c t o r u nvielfälti- Dazu Oexle. 'Memorialüberlieferung und Gebetsgcdächtnis in Fulda' und Ders.. 'Die Überlieferung der fuldischen Totenannalen'. I' Dazu vor allem die oben Anm. 55 genannten Beiträge von K. Schmid und J. Wollasch. Hartmut HoKmann in Rhrini.~cheViei-lcijahrsblürler, 38 (1974). p. 485. 5 9 Dazu unten Abschnitt 111. - Die Bedeutung der Vorstellungen der Lebenden von den Toten und besonders der Annahme von der Fortdauer dcr Persönlichkeit des Toten für die Interpretation archäologischer Befunde unterstrich Patrick J. Geary, 'Zur Problematik der Interpretation archäologischer Quellen für die Gcistes- und Religionsgeschichte'. Arci~ncoiqgicaAusirinca. 64 (1980). 1 1 1-1 18: zu diesem Thema grundsätzlich auch Heiko Steuer. 'Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteieuropa', in H. Jankuhn-R. Wenskus. eds.. Grscliichisil-isse~~sciio/i und Arc/?Üolo~ie.Vorträge und Forschungen. 22 (Sigmaringen, 1979). 595-633. Stephen Benko, Tlie .Meoning of Sancrorrrrn Communio. Studies in Historical Theology. 3 (Landon. 1964), pp. 98ss und 109~s.Ursprünglich bedeutete 'Communio Sanctorum' die Teilhabe an heiligen Dingen (Taufe, Eucharistie), vgl. Werner Eleri, Abcndmohl und Kirchengemeinschufi in der d i e n Kirche houpisächlick des Ostern (Berlin. 1954). pp. 5ss. und W. Popkes. Art. 'Gemcinschaft', Reallexikon fGr Antike und Ci~ri.~ren!um, 9 (1976). 1100-1 145 (col 1142s). I I I E <jli(iliNWART DER T 0 1 E\. 33 gen Ausdruck gefundenh'. Das Nachdenken über die Aufenthaltsorte der Toten und die Art ihrer Beziehungen zu den Lebenden ist seit den Anfangen des Christentums ein Bestandteil des theologisch-dogmatischen Denkens und wurde im Lauf des Mittelalters immer mehr entfaltet6'. Für die ethischen Auffassungen des Mittelalters ist bedeutsam, daß dem neutestamentlichen eschatologischen Katalog der sechs 'Werke der Barmherzigkeit' bei Mt. 25.34 ff unter dem EiufluD von Tob. 1.17 f. schon bei Laktanz und Augustinus als siebtes Werk das Begräbnis der Toten angefügt wird, so daß vor allem seit dem 12. Jahrhui~dertsich schließlich das Septenar der Opera pieraris durchsetzt". Umgekehrt kommt in der Verweigerung des Begräbnisses als einer sozialen Leistung Lebender für einen Toten drastisch zum Ausdruck' daß eine Person aus einer Gruppe oder gar aus der Gesellschaft ausgeschlossen ist oder ausgeschlossen werden soll"4. Auch unabhängig von Religion und Liturgie ist die Vorstellung vom Toten als Rechtssubjekt im mittelalterlichen Recht grundlegend verankert. Tote können als Kläger und Beklagte in Erscheinung treten6=; Tote können auch bestraft werden, sie sind d e l i k ~ f ä h i g ~Im ~ . Vermögensrecht erscheint die Vorstellung vom Toten '' Das Thcologoumenon 'Communio sanctorum' wurdc von der Vorstcliung der 'Gegenwart der Toten' vielfach stimulieri: diese ist aber zum cincn älter als jenes (s. dazu unten Abschnitt 1V) und sie enthält zum andcren griindlcgende soziale Einsicllungeii und Haltungen, dic in der Ncureit auch dann noch begegnen. wenn von 'Communio sanctoiiim' nicht mehr die Rede ist (s. oben Abschnitt I). Dazu für die frühe Zeit Joseph A. Fischer. Siu<iie>,;uni ToiIe.s~~dii>ike>, in der Al!?,, Kirclic I (München, 1954). pp. 226ss.: Alfred Stuiber. R<./ri~cvi,mii,ir<,rin,. Theophaneia. I I (Bonn. 1957): Joseph Ntcdika. L<:i.oc<iiioii<ii. i'au-del2 da^,.^ 10 pri@rcpoiir ier rrioris. Recherches afiicaines de thcologie. 2 (Louvain-Paris. 1971). Für die spätere Zeit vgl. Petei Dinzelbacher. 'Klassen und Hierarchien im Jenseits', in So:inle Or</nu>,ge>iirii Se/h,sir<~i.rÜnd>iirderMir1riaii~~r.r. I. Misccllaneö Mcdiaevalia. 12. I (Berlin-Nciv Yoik. 1979). pp. 2040. Grundlegend jetzt Le Goff. lri nais.~nt,c<,riir Piirgriioirc (wie Anni 2). " Darüber M - H . Vicaiie. 'La place des ceuvies de mis6ricoidc dans ia psstoiale en Pays d'oc'. in Assirio~iceer chorii:. Cahiers de Fanjesua. 13 (Toulouse, 1978). pp. 21-44 (DU. 23s). Vel. auch die Fertsielluneen von Hermann Nehlsen. 'Dei Grabfrevel in den " schafttn in Göttineen. ~hiioloxisch-historische Klasse. ~ r i t Folee. c Ni. 113 iGörtineen. " 1978). pp. 107-168 (P. 131s). "'Zahlreiche Hinweise bei Hüppi, Kwrsi. pp. 655s. Normgebend wirkte U. a. Teituilian. De nioioioiriri. C. 14 (CSEL 20. p. 46): Licei conuiirere a<rneiii>iici.~.co>n»,ori tioii iicei: ferner Leo 1.. ep. 167. Inquis. 8 (Migne PL 54. coi. 1205s.). "IHeinrich Brunner. 'Die Klage mit dem toten Mann und die Klage mit der toten Hand'. Zeirsehri/i Jir Rediisgeschicitre 31. Gernronisiischc Ahicilung (1910). 235-252: Schreuer, 'Das Recht der Toten'. pp. 1 5 4 s Schreuer. 'Das Recht der Toten'. p. 154s. U. ö.: Paul Fischer. Sirq/r>i u,iii.sicherndr .MuJ~ioii»ioi pg<m T O ~ i»i P ~<>r,)i(ilii.rc/ie,~ ~ ( n i~l<,i(r.scit<vi l R<,<hi(Diss. jiir Honr,. 1936). pp. 265s. und 415s. als Eigentümer, Gläubiger oder Schuldner"', worin abermals die Analozie zwischen Totenkult und Heiligenkult sichtbar wird. " Schließlich ist darauf hinzuweisen, d a ß Memoria nicht nur in Klöstern und Stiften, nicht nur für Mönche und Kleriker ein zentraler Bestandteil des Alltagslebens ist. Sie ist es auch in den wesentlich von Laien gebildeten sozialen Gruppen, sowohl in den 'gewordenen'. das heißt durch Verwandtschaft begründeten, als auch in den 'gemachten', das heißt durch eigenen Willensentschliiß des Individuums begründeten Gruppen. Auch hier ist Totenmemoria konstitutiv. Die Kommemoration der Toten ist eine elementare Form. in der sich die Selbstvergewisserung einer sozialen Gruppe vollzieht; denn Totenmemoria zeigt die Dauer dieser Gruppe in der Zeit und wird deshalbzum Ursprung für das Wissen von der eigenen Geschichte. Deshalb ist für adlige oder königliche Geschlechter Memoria ein konstitutives Moment. Der Begriff des 'Geschlechts' ist geradezu so definiert, daß es durch das Wissen der Bindunsen zwischen Lebenden und Toten entstehte8. Historiographie und Liturgie sind dabei nicht zu trennen6'. Ähnliches gilt auch für soziale Gruppen, deren Mitglieder nicht zu den geistigen und politischen Führungsschichten gehören. für jene Gruppen, deren Mitglieder Bauern, Handwerker, Kaufleute waren. In deren Familien und Venvandtengrnppen ebenso wie in den freien Einungen, den Gilden, in denen sich Menschen dieser Schichten untereinander verbanden7'' gab es Totenmemoria, und sie umfaßte nicht nur den kirchlichen Totengottesdienst und das kirchliche Begräbnis' sondern auch die Toten- "'Hans Schicuei. Art. 'Totenrecht'. in J . Hoops. ed.. Rerillciikn>i </W fier>iiniiirche,i Alieriii»i.siiu>~~I~~. 4 (Straßburg, 1918'19). pp. 339-342 (p. 341). 'Wrundlegcnd dazu Kai1 Schmid. 'Zur Pioblcmaiik von Fainilie. Sippe und Gcschlecht. Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel'. %ei,sci,rffi,füi- die Grrcbiciiie dei Oherriwims. I05 (1957). 1-62. Zahlreiche Hinweise ziim Pcisonenrecht der Toten im Mittclaltcr in Familie, 'Sippe'. Haus usw. gab Schmuei. 'Das Recht der Toteii'. pp. Iss. Vgl. darüber am Beispiel der wcliischen Hausübeilieferiing den unten Anm. 136 genannten Beitrag. '' Übci Memoria in den Gilden vgl. Otto Gerhaid Ocnle. .Die mittelalterlichen Gilden: ihrc Selbstdeutung und ihr Beitrag zur Formung sozialer Stiukturen'. in So:ioic Ord>ie>,q>,i in? Selh.~ii~er.~iänhii.r der Adiiielalicrr. I . Miscellanea Medisevalia. 12.1 (Bcilin-Ncw York. 1979). pp. 203.226. p. 213s und Ders.. 'Liturgische Memoria rind historische Erinnerung. Zur Frage nach dem GruppenbewuBtsein und dem Wissen der eiscncn Geschichte in r i ~ f iHa11ck r. (1982. im Druck). Die Bedeuden mittelaltcrlicheri Gilden'. in F ~ ~ . s i . s c ~ ~Kar1 tung und die Diniensionen der Toienmemoiia in einer Iändiichen Pfarrei des Spätmitrelalters macht exemplarisch sichtbar Leopold Genicot. Uiic so irr<^ mol coii>,ue dc r c i . < w i ~ ~ poroi.v.~iou.v: Ir,.? re,$ic,.T o h i i ~ ~ o i rL'c,.v',,npl<> ~~,~. </C FFT~ZPI. Centic Bclgc d'Histoirc Rurale! Bel@ichCentiun> voor Lsndciijkc Gescliicdcnis. Piihl. Nr. 60 (Louvein-la-Ncuue. 1980). "' DIE CE<;ESW,4RT DER 'iO71:\; 35 wache und das Totenmahl in Gilde und Familie7'. Auch bei Totenwache und Totenmahl ist grundlegend die Auffassung von der Gegenwart des T~ten'~. Die schriftlichen Zeugnisse der Memoria erschöpfen sich nicht in Memorialüberlieferung im engeren Sinn, zu der man Libri Memoriales, Nekrologien und Totenannalen zählen kann. Einmal ist dies daran zu erkennen, daß Texte, die sich auf die Memoria beziehen, eigentlich in allen Überlieferungsbereichenvorkommen : 'iiider Historiographie ebenso wie in der Hagiographie, in Urkunden, Briefen' Rechtsüberlieferungen, Konzilsakten, Consuetudines, Dichtungen, im lateinischen wie im volkssprachigen Schrifttum, ja sogar im Bereich der Sachzeug~iisse"~. Der Sachverhalt wird zum anderen darin sichtbar, daß zahlreiche 'Quellen', die nach Auffassung der traditionellen 'Quellenkunde' ganz verschiedenen Quellentypen, Gattungen und Gattungsformen angehören, unter dem Gesichtspunkt ihrer Funktion im Rahmen der Memoria zusammengerückt werden müssen. Durch solche Überlegungen, die im folgenden als eine Art Exkurs in den Gedankengang dieser Untersuchungen eingeschoben werden, sollen die herkömmlichen gattungs- und formgeschichtlichen Einteilungen keineswegs ersetzt, wohl aber ergänzt werden. Gattungsgeschichtliche und funktionsgeschichtliche Analyse sind komplementär. Dies soll mit einigen Hinweisen verdeutlicht werden, die neuere Forschungsergebnisse zusammenfassen, aber auch auf noch wenig bearbeitete Fragen aufmerksam machen wollen. 1. Auf die Bedeutung der Memoria für die Entstehung und Verbreitung von Gattungsformen der biographischen und der hagiographischen Literatur konnte am Beispiel der Vitae Bennos von Osnabrück und " Materialreich: Nikolaus Kyll. Tod, Grob. Bepräbiisplar;. Toie>!feier.Zur Ge.~cbichre ihre.7 Brouchlums im Trioer uinde und in Li<.xonhurpunier hcso>rdercrBerücksichliglorg des Vi~iioriomho~idbuches des Repino von Priini (i- 915). Rheinisches Archiv, 81 (Bonn. 1972): Petei Löffler, Studien iunl ToIe>ihr.iuchrum, Forschungen zur Volkskunde. 47 (Münster/Weslf. 1975); Jacques Chiffoleau. 'Chariri ct assisrance en Avignon et dans le Comtar Venaissin (fin XIII' - fin XIV')', in Assi.rla>,ceEI (harir4 (wie oben Anm. 63). pp. 59-85 (pp. 7lss.) und ßers.. Ln co~nprahiiilide I'oiz-dcii (wie Anm. 2). pp. 1 7 9 s Zum Totenmahl in den irühmittclaltcilichen Gilden : 0110 Gerhard Ocxle. 'Gildcn als soziale Gruppen in der Karolingcrzeit', in H. Jankuhn-W. Janssen-R. Schmidt-WiegandH. Tiefenbach. eds., Dor Handwerk in vor- und fiühqcrchichriiciicr Zen. I . Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil-hist. Klasse. Dritte Folge. Nr. 122(Göttingen. 1981). 284-354, bes. pp. 311s~. Darüber unten Abschnirr IV. 7 3 Schmid, 'Gedenk- und Torenbücher'. p. 77. ,' 36 «.C; OESLE Stunnis von Fulda bereits hingewiesen werdeni4. An umfassenden Untersuchungen des Problems fehlt es. Zwar hat man im Blick auf die Vitae der Karolingerzeit festgestellt, daß explizite Hinweise auf Memoria darin selten sind75,doch konnte andererseits B. de Gaiffier allein für den flandrisch-niederlothringischen Raum des 11. Jahrhunderts eine Fülle von Beispielen für die liturgische Funktion von Vitae nachweisen7'. Es dürfte unbestreitbar sein. daß sehr viele biographische und hagiooraphische Texte des Mittelalters nicht einfach einem Bedürfnis nach historischer Erkenntnis und Unterweisung entsprangen, sondern daß sie in einem viel umfassenderen Sinn in das soziale und geistige Leben monastischer und geistlicher Gemeinschaften eingebettet waren, weil sie bestimmt waren für die Lesung beim Gottesdienst und beim monastischen Offizium' im Kapitel, beim gemeinsamen Mahl und sogar bei der gemeinsamen Arbeit der Mönche7'. Die Unterscheidung zwischen hagiographischen und historiographisch-biographischen Aufzeichnungen spielte dabei gewiß eine viel geringere Rolle, als der moderne Historiker zunächst annehmen möchte. Im Kloster S. Denis hat im 9. Jahrhundert Abt Hilduin die Verehrung des im Kloster beigesetzten Königs Dagohert (1.) gefördert und zugleich zu eben diesem Zweck auch die sogenannten Gesra Dagoberii aufschrei- -'S. obcii p. 2 6 s s Ähnlich wie die Viio Bcnnosaiich diceiwa z u r selbcn Zcii. um 1100. ierfaßte Vii<r des Abtcs Richard von S. Vanne (MGH SS I I . p. 281. C . I). Einen funkiionsgeschichtlichenAnsatz für die biographische und hagiographischc Literatur des I . bis 6. Jahrhundcitr hat neuerdings Maiiin Heinzclmann erarbeitet: 'Xeuc Aspekte der biographischen und hagiogiaphischen Literatur in der lateinischen Wcit (1.-6. Jahrhundert)'. Francin. 1 (1973). 27-44 und Deis., B i . s i . R o J h . 1 in Gollien, Beihefte der l~rri~zci~. 5 (München. 1976). pp. 225s. Heinzclmann ;ikzcnruieitc vor allem dic profane i,i<.,noria in der /<iu<%r~io /io~<.hris. Anschauliche Beispiclc für den Zusammenhang von Graboit. Totenkult iind Aufzeichnung von Vitcn crortert v. Padberg. H<,ilig<,utid h i i l i p (wie Anm. 47). bes. pp. 140~s..150s~.und 154ss. 'i Wolfgang Brüggemann. ti>,rcrsuclrun,qoiiiir Vifac-LNerniur der. Koi-01iizger;eN (Diss. phil. Münster. 1957. Masch.). p. 143s. " Baudouiri de Gaifiicr. 'L'hagiographc et soii public au XIe siicle'. in Dcrs.. &iudc.s ci-iii<p<,.rd%apiowi-<ip/ii<, <,J </'imiinlogie. Stihsidia lhagiogapliica. 43 (Bruxclles. 1967). p p 475.507. pp. 4i9ss. " Dazu vor allem de Gaifiiei. 'L'hagiographe ct so" public': außerdem Friedrich Ohly. 'Zum Dichtungsschluß Tz,nuion. dornitie. »iircrerc ilohir'. Dcuische Vicrieljahr,s.cci>rifi.47 (19731, 26-68 (pp. 898s.): Guy Philippart, Ler 16zendIer.~/nii>ir er riuire.7 tnrint~rcriis hugioprophiquer, Typologie des souices du rnoyen agc occidental. 24/28 (Turnhout. 1977). pp. I i2ss. VgI. auch Baudouin de Gaiffier, 'Hagiographie ei hisiorio~raphie'.Ln siorio~rojio a/iotuedievo/~~.I . Scttimane di Studio dcl Centro italiano di studi sull' alto rnediocvo, 17.1 (Spoleto. 1970). pp. 139-166. ben La~sen'~.Als ein Mönch des Klosters Stenay gegen Ende des 11. Jahrhunderts die Vita des Klostergründers, des Königs Dagobert (11.) schrieb, tat er dies quia nequaquam alicubi scripri iianciscunrur er a memoria vivenrium n~odoIiominuniperiirus recesserui?!.Ei.igua railruminodo, quae a veracibzrs audivi resiibu~,conahor lirieri,~comprel~endi.ur triiica ilabeai ,f,.arernirasheato,fainulans marr.priparum quid ad leh.eiidum iii eius die ~ollempni'~. Irn 12. Jahrhundert verfaßte Abt Suger von S. Denis die Vita des soeben verstorbenen und in S. Denis beigesetzten Königs Ludwig VI. und bezeichnete in seinem Prolog als Motiv die Memoria in ihren liturgischen wie ihren historischen Aspektenso; Suger gab die Weisung, am Todestag des Königs bestimmte Kapitel aus dieser Vita beim Chorgebet den Mönchen vorzulesen8'. Die Nichterwähnung der liturgischen Memoria im Einzelfall ist im übrigen keineswegs ein Argument gegen die Verwendung einer Vita in der Totenmemoria. Zur Vorsicht in diesem Punkt mahnt folgendes Beispiel: in seiner Gedächtnisschrift (Epitapkium) für Kaiserin Adelheid hat Abt Odilo von Cluny um 1000 in der Vorrede die historische Meinoria. in dem Widmungsbrief an Abt Andreas von S. Salvatore bei Pavia, einer Gründung Adelheids. dagegen die liturgische Memoria akzentuierts2. Memoria als Funktion für die Aufzeichnucg von Vitae erscheint noch in einem anderen Zusammenhang, der bisher wenig beachtet wurde: der Aufzeichnung sogenannter Rotuli. Seit dem 8. Jahrhundert ist nachweisbar, daß der Tod eines Abtes oder Mönchs durch Rundschreiben mitgeteilt wurde, die man nach ihrer äußeren Form als Rotuli bezeichne'%es10 Do,q?herri. MGH SSrerMerov. 2. pp. 399-425. Dazu Laurcnt Theis. 'Dagoheit. Saint-Denis et la royaute francaise au moycn 2gc'. in Bcrnaid Guenee. ed.. Le »,Ciicr d'hi.siorien ou inwen ige, Poblications de la Soibonne. Serie .'Erudesn. 13 (Paris. 1977). pp. 19-30. Vgl. Karl-Heinrich Krüger. KÖiiigs~ruhkirc1,cnder Frmike>i. A>ipeiirichrcn irird Lan~oborden bis zur Miiie der 8. Jahrhunderir. Münstcrsche Miitelaiter-Schriften. 4 (München. 1971). pp. 17lss. 7 9 Vira Dogoherii. MGH SSierMerov. 2. p. 512. Zur Mcmorienfeiei ebd. C. 15. p. 521 Vgl. Krüger. Königrgrubkirche,i. pp. l90ss. Super. Vie de Louis V1 le Groi. ed. Hcnri Waquci. Le.7 clu.r.siqu~.rdc I'Airioirc d p Fratrce ou nro.e>, i g e . 11, 2. Aufl. (Paris, 1964). p. 4. 0110 von Sirnson. Diegoiis<he Koihedralr (Damstadi. 1968). p. 109. '' Herber1 Paulhart. ed., Die Leh~nrhe~clireihu~zg der Kai.serin Adelljeid von Aht Odilo von Clun).. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Ergänzungsband 20, Heft 2 (Graz-Köln. 1962), Vorrede p. 28: Mulroru»~cierzim horrorum riinc accideniium aiqur vinufum pmi Deum oucirir dir? ce/chri,~qurme>,ioric Adoll~eiiloc.siirir impoairir. Quam cuni meniorir succedeniium scripric conwnendore .sora~inius....: Widmungsbrief p. 27: Epiiaphimz don~inenmire Adeleiäe.. . uesrrefr<i~ert?iiari curnri rranrmiriere, rniumfore diiudiconr, ui opud vos e i u ~conii~ii<a rccolnrirr mo>ioria. cuiu? indiarrio niquc prudenria vesrri monaiierii a fundonieniis crei,eruni edffieio cuiuque susrcnro»~»~i iorpa conrinunrim munificenrio. te. durch einen Boten von Kloster zu Kloster tragen und zuletzt an ihren Ausgangspunkt zurückgelangen ließ". Es wurde darauf hingewiesen, daß diese zunächst ganz schlicht stilisierten Rotuli schon im 9. Jahrhundert in ihrem Lob des Toten, aber auch in den biographischen Mitteilungen über ihn ausführlicher werdens4. Im I I. Jahrhundert enthalten sie dann vielfach bereits knappe Biographiens5. Aber es muß Rotuli dieses Umfangs schon früher gegeben Iiabeii. L. Träiibe hat nämlich gezeigt, daß die V~rriAdalhards. des Abtes von Corbie und Corvey (gest. 826), durch Paschasius Radbertus vermutlich aus einem Ror~,lir.rumgearbeitet wurde, den Paschasius zuvor wohl selbst verfaßt hattes6. 2. Auch im Bereich der früh- und hochmittelalterlichen Klostergeschichtschreibung, die in den letzten Jahren sehr kontrovers beurteilt wurde, hat die von der Memoria ausgehende fiinktionsgeschichtliche Betrachtung eine Klärung gebracht. H. Patze hat die monastischen Klosterchroniken seit dem 11. Jahrhundert vor allem als Folge eines veränderten Geschichtsverständnisses erläutert. er hat deren Verfassern 'eine wissenschaftliche Absicht' unterstellt und ihre Werke aus einem damals neuen Bedürfnis nach 'wissenschaftlich inspirierter, ordnender Klarheit'. nach einer 'besseren quellenmäßigen Fundierung des Geschichtsbildes' erklärt, wobei die Geschichte der Stifter vom Werden des gestifteten Klosters nicht zu trennen gewesen sei und deshalb vielfach die Klostergeschichte zur 'Dynastengeschichte' sich ausgewachsen habes7. Demgegenüber hat J. Kastner in seiner Abhandlung über Frül!fornze>z monasti.scher I~zsriiurioi~sge.~chichisschreihuizg zu zeigen versucht, d a ß diese neuen Formen der Historiographie nicht 'das Resultat bewußter, kritischer Reflexion' sind, sondern allein aus der 'Tendenz zur historioDazu Adalheri Ehncr. Die kl~rioliritr?? Gi~hrrs-Vcrhrii'lrrunxoz hi.~;z,ni Ai-pongr d a kaioiinjiischen Zriiniiers (Regensburg-New Yoik-Cincinnati. 1890). pp. 77ss Reiches aii XVF riicie (Paris. 1866). Zum Material bei LCopold Delisle, Roulc,oii.~0c.s morls dii /X'' Stand der Forschung ugi. Leon Kein. 'Sur les rauleaux des rnorts'. Schiveizer Bciirüqe ;ur n!ipo,icit,eri Ccichkhit,. I? (1956). 139.147: Jcan Diifour. 'Lea iouleaux et encycliques mortuaires dc Catalo;ne (1008-1 102)'. Cnhicrl ric Cii:iiisoiio,~M6diiiuic. 20 (1977). 13-48. *' Ebner. Gchcir-l'crhri;rier.u>?pen.p. 78s. VgI die bei Dufoui. 'Lcs iouleaur'. crörteiten Beispiele; dazu bcs. p. 17. Ansätze dazu bereits im Roliilu.~des Abtes Rudolf von C. Riquici (gcrt. 866): Haiiulf. Cilronique III. 9. ed. F. Lot (Paris. 1894). p. 116s. = Delisle. Rouieoiiu. p 3s. Nr. 3. Vgl. auch aus dem 10. Jh. den Roiirim für den Mönch Gauzbeit von S. Martial. ebd. p. Rss. Nr. 7. Ludwig Traube. 0 Roniu iiohi1i.s. Aus den Abhandlungen der k . bayer. Akademie der Wiss.. 1. Cl.. XIX. Bd., 2. Abt. (München. 1891). pp. 14ff. ihm folgte Man Maniiius. Gerchich!e der ioiri8ii.~</?en Liierarur drr ~Milreiaiicr.~. I (191 1. Nachdruck München. 1959). p. 408s. " Hans Patze, 'Adel und Stifterchronik'. Bl?iiier fiir deuirche Landcrye.schich<e. 100 (1964). 8-81 und 101 (1965). 67-128: die Ziiate p. 25 und 31. " graphischen Aufweichung' rein juristischer Aufzeichnungen. nämlich der Traditions- und Kopialbücher erwachsen seiensx. Mit seiner Betonung der rechtlichen Aspekte betrat Kastner also durchaus das Feld funktionsgeschichtlicher Aspektes9 und erinnerte deshalb zu Recht an einen analogen Vorgang: die Entstehung der Annalen aus den komputistischeii O s t e r t a f e l ~ ~Nach ~ . Kastiiers Auffassung wurden Namen und Dateii juristischer Aufzeichnu~geu'in ein Bezugssystem eingereiht. das notwendig historische Dimensionen annimmt'. bis schließlich 'der juristische Kern und Zweck des Ganzen in den Hintergrund' tritt9'. Kastner hat dabei erkannt, da8 der Begriff 'memoria' ein 'Angelpunkt' der von ihm behandelten Texte ist; aber er interpretierte diesen Begriff ausschließlich 'in Bezug zur juristischen Absicht der Quellen', im Sinne des Schutzes der Rechtstitel vor dem Vergessen, dem 'Besitz- und Rechts~erlust~~'. Die Kontroverse zwischen Patze und Kastner ist nun aber inzwischen iii einem neuen Ansatz aufgehoben worden, der zugleich ebenfalls den Begriff der Memoria zum Angelpunkt macht, aber in ganz anderer Weise, als dies bei Kastner der Fall ist. P. Johanek hat nämlich jüngst daraufaufmerksam gemachtg3,daß sowohl historiographische wiejuristische Ziele solcher Aufzeichnungen im Bereich der liturgischen Memoria denkbar sind. Anhand einer auch kodikologischen Analyse bayerischer Traditionsbücher des 11. und 12. Jahrhunderts ergab sich nämlich schlüssig, wie die 'Memoria-Funktion' verschiedene Elemente des Denk e n ~zugleich stimuliert, wie sie sich zugleich in der Ausarbeitung von historiographischen ('Fundationsbericht', 'Stifterchronik') wie von rechtssichernden Texten ('Traditionsbuch') manifestiert. Deshalb finden sich, wie Johanek an seinem Material feststellte. Traditionsuotizen im Zusammenhang mit nekrologischen Aufzeichnungen' tritt gelegentlich sogar das Traditionsbuch 'in die Funktion eines Nekrologs oder eines Jöig Kastner. Hi.~ioriae/rr>idoiio>,umniona,sierioru»i. Fiüi>ror»icn »,oiio.sis,isciier Irisliii<iio,~.~ges~i~icli,.~scI~reih~ ini d4ii,clrilier. Münchcnci Beiträge zur Mcdiävistik und Rcnaissancc-Forschung. 18 (München. 1974): die Zitate p. 78s. " Solche Aspekic jetzt stärker auch bei Hans Pailc. 'Klosiergründung und Klosterchianik'. ßi?iiierfir <ieiir,sciieLnirdc.s~c.~cliicliic. 1 13 (1977). 89.121. jedoch ohne Bczug auf die kontiovcrscn Theseii Kastncis. " O Kastner. Hi.siorim. D. 78. Ebd. p. 78s. 'I2 Ebd. p. 8lss. in: Anschlußzin Heinrich Fichtenau. Aretiga. Mitleilungcn des liistituts TuiÖsrerieichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband. 18(Graz-Köln. 1957). p. 131s~. 9 V ~ i eJohanek. r 'Zur rechtlichen Funktion von Traditionsnotir. Traditionsbuch und früher Siegelurkunde'. in Rcchi irnd Schrifi in, Mirielnlier. Vorträge und Forschungen. 23 (Sigmaringen. 1977). pp. 131-162. bcs. pp. 1475s. Memorialbuchs' ein, ja, 'jedes Traditionsbuch konnte in diesem Sinne zum Liber Vitae werden"". Deshalb begegnen in diesen Büchern auch genealogische Aufzeichnungen, welche die Stifter-Memoria stützen, und zwar nicht nur in Form von Namenaufzeichnungen, sondern auch in Form bildlicher Darstellungen. 'Umfassende Stifter- und TradentenM e m ~ r i a ' ~ ~ aalsn das n Motiv bezeichnet werden, das diese Aufzeichnungen bewirkte und sie deshalb, wie Johanek abschließend mit Recht bemerkt, in eine 'sakrale Sphäre' rücktegh. Grundlage aller dieser Aufzeichnungen ist also der Gedanke, daß soziale Beziehungen zwischen den Mönchen und ihren Stiftern, zwischen Lebenden und Toten bestehen. Bemerkenswerterweise ist gleichzeitig mit P. Johanek, aber unabhängig von ihm und von englischem Material ausgehend, J.-Ph. Genet zu ähnlichen Ergebnissen gelangt9'. Den Ertrag funktionsgeschichtlicher Analysen, die von der Memoria ausgehen, hat schließlich jüngst E. Freise an einem besonders eindrucksvollen Beispiel demonstriert; er zeigte, daß die so viel diskutierte annalistisch-chronikalische Geschichtschreibung des Klosters Fulda im früheren Mittelalter nur in ganz begrenztem Umfang diesem Kloster überhaupt zugeschrieben werden kann, während die originären Leistungen der fuldischen Mönche auf dem Gebiet der Historia in den 'Vitae' und den 'Gesta' ihrer Äbte zu sehen sind, die - ebenso wie die charakteristische fuldische Form des annalistischen Totengedächtnisses - aus dem Bereich der Memoria erwachsen sindn8. Schließlich sei erinnert an die treffenden Einsichten H. Lippelts über die 'Memorial-Struktur' der Chronik des Bischofs Thietmar von M e r ~ e b u r g ~ ~ . 3. Eine verbreitete Gattungsform mittelalterlicher Überlieferung sind die Sukzessionslisten geistlicher, monastischer und weltlicher Amtsträger, also Bischofs:, Abts- und Königslisten. Bei ihrer Aufzeichnung und Tradierung spielt bekanntlich das Amt, die Herrschaft und deren Kontinuität und Legitimität eine große Rolle. Aber auch hier ist wiederum die Intention des liturgischen Gedenkens vielfach mit im Spiel. Die älteste römische Bischofsliste, Vorbild aller späteren ßischofskata- Ebd. P. 149 und 152 150. 9"bd. p. 152. 07 Jcan-Philippe Genet. 'Cariulaires. iegisrres ci histoire: i'enemple anglais', in Le On '' Ebd. o. n i i i i o d'lrisioricn au ntoicn 95-138. . äse .. (wie oben Anm. 78)., oo. ~~ '' Eckhard Frcise. Dir Atifunzc d<,r G c . ~ c l ~ i c l i r . . l i hitnu Klosrer Fuldo (Diss. phil. Münstcr/WestT. 1979). " Lippeit. Thier»inr von Mer.wburr. pp. 1 9 3 s DIE C F G E U W A R l ' DER TOTEN 41 loge des Okzidents, könnte im Zusammenhang mit der Kommemoration der römischen Bischöfe in der Liturgie entstanden sein, worauf E. Caspar und Th. Klauser aufmerksam gemacht habenLoo. Noch im Mittelalter ist der Zusammenhang zwischen Liturgie und der Aufzeichnung und Rezitierung von Bischofslisten in vielen Fällen nachweisbar'O1. Auch hier fehlt freilich eine umfassende und methodisch gesicherte Untersuchung. Zwar hat jüngst J. Dubois festgestellt: 'Les listes episcopales n'ont jamais eu uu usage liturgique"02. Diese apodiktische Behauptung ist jedoch keineswegs durch eine auch nur annähernd vollständige Durchsicht des Materials gesichert'''. Zur Widerlegung dieser pauschalen These genügt der bloße Hinweis auf die Texte und Listen etwa im Liber. P o n i i f i c a l i s des Bischofs Gundekar 11. von Eichstätt (gest. 1075)Io4 oder auf die Mainzer Bischofsliste im sogenannten 'Diptychon' des Klosters Fulda aus dem 9. Jahrhundert'05. Während die mittelalterlichen Bischofslisten immerhin bereits seit langem Gegenstand historischer Untersuchungen sind, kann dies von Abtslisten nicht gesagt werden: im Fall der Abtslisten müßten überhaupt erst einmal die Überlieferungen zusammengetragen und die Kontexte, in denen Abtslisten begegnen, erhellt werden, um dann schließlich aus sonstigen Quellen zu ermitteln, worin Anlässe zur Aufzeichnung solcher ' O o Erich Caspar. Dicüirerieiötnirdc Bir<ii"/~iirie. Scliriftcn der Königsbcrger Gclehrten Gesellschaft. GeistEswiss. K1.. Jahrgang 2.4 (Bcrlin. 1926). p. 471 mit Anm. I: Theodoi Klauser. 'Die Anlänge der römischen Bischofsliste', in Ders.. Ge,$a»,rneiie Arheiien :W Lirurgiegerchich~e.Kirche~~gerchichrc undclrrisiiiehe>iArclrüoiopie. Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsband 3 (Münstcr!Westf, 1974). pp. 121-138 (p. 136). 'O' DazudieZusammenstellung von Andrt Wilmait. Art. 'Delisle (LCopold)'. Dioioiinairr d'Arciz<;oiogieCliririoitie cl Liiur~qk.4 (1920). col. 515-561 (col. 522s): rcrnei Michel Andricu, Ler Oriii>i<,.rRomani du iraui mo~.en6ge. I. Spicilcgium Sacium Lavaniense. Etudes ct documcnts I 1 (Nachdruck Louvain. 1963, pp. 144~s.:Jean Vczin. 'Une nouvellc lectuie de la listc de noms copitc su dos de I'ivoirc Barbeiini'. Buiieliri Arch6ologique du Conti16 des Troroxour Hi.ciorique.$ cl Scieniifiques. ,Vou,,eiic SFrie 7. Annee 1971 (Paris. 1973). 19-53 (p. -36). '" Jacques Dubois. 'La composition des anciennes iistes tpiscopales'. Buiicrirj de io Socidt6 Naiionaledcs Anriquaires de Frnnce (196% 74-104 (hier pp. 78-80); das Zitat p. 80. Ebenso Ders.. 'Les listej Cpiscopales ttmoins de I'oiganisation eccl&siastique er de la transmission des traditions'. Revue d'Hisioire dc i'Lgii.~edc Frnnce. 62 (1976). 9-23 (p. 9). 'Os Es sei hingewiesen auf die sehr verengten Kategorien. unter denen Dubois das Material erörtert. Wenn seine Annahme: 'liturgisch = was im Kanon verlesen wird' zuträfe, dann wären sämtliche Lihri Memorinie,~dcs Mittelalters Bücher ohne lituicischen Charakter. obwohl sie doch während der Liturgie aufdem Altar lagen. Dubois'diesbezügliche Ausführungen über den Reimser Brauch ('La composition', p. 78s.) sind zudcm anfechtbar. weil das wichtigste Zeugnis für das 9. Jh. (Flodoard. Hisroria Remen.~is ecclesiae 111, 13. MGH SS 13, p. 499) übersehen ist. ' 0 4 MGH SS 7, pp. 242s. los Die Klos~cr~en,~inrchnfi von F~dda,I (wie oben Anm. 46). p. 215 (AF) mit Abb. 6. Abtslisten gesehen werden dürfenloh.Einen aufschlußreichen Einblick in dieser Richtung gewährt der berühmte Ritus der Einsetzung des Abtes in der Regula Mugisrri aus dem Beginn des 6. Jahrhunderts. In einer umfangreichen Folge sakraler und rechtlicher Handlungen, die der Diözesanbischof leitet, wird der aus einer Designation seines Amtsvorgängers hervorgegangene neue Abt in sein Amt eingeführt. Die erste in der Reihe konstitutiver Rechtshandlungen ist diese: der Bischof schreibt in der Kirche mit eigener Hand den Namen des designierten neuen Abtes unter den seines Vorgängers in das Diptychon. Ist der alte Abt zu diesem Zeitpunkt jedoch schon verstorben, sein Name aus der Liste der Lebenden gestrichen und in die Totenliste eingetragen. dann soll der Namedes neuen Abtes an die erste Stelle des Diptychons geschrieben werden. Auf diesen Nameneintrag ins Diptychon folgt dann unmittelbar der Gottesdienst, in dem der neue Abt die Gabendarbringung zu vollziehen hat; sein Name wird während der Feier verlesenL0'. Treffend hat jüngst K.S. Frank dieses Diptychon als 'liturgische Gedächtnistafel' bezei~hnet"'~; es enthält als solche offenbar verschiedene Gattungsformen von Listenaufieichnungen: eine Lebendenliste mit dem jeweiligen Abt an der Spitze, aber auch eine Totenliste und, wohl an deren Spitze und in diese integriert, eine Liste der verstorbenen Äbte. Ähnliche Riten im Rahmen der Abtweille hat es vermutlich in vielen Klöstern gegeben, auch wenn wir sie im einzelnen nicht nachweisen können. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß solche Konstellationen von monastischen Lebendenlisten, Totenlisten und Abtslisten, wie sie die Regula Mugi.irri vermuten läßt, in den Libri Memoriules des früheren 'O" Eine eiste. sehr Iückenhaftc Zusammenstellung des Materials findet sich in: Rcpei-iorinm ,fon!ii«>,hiriorioc niedii aeri, 3 (Roma. 1970). pp. 157s~.s. V. 'Calalogi'. Joachim Wollasch, Mö>,chiro,i de.7 ~Miireiiiliers;ivischen Kirche ioid Weil. Münstersche Mittelalrei-Schriften. 7 (München. 1973). p. 9 machte auf den interessanten Sachveih~lt aufmerksam, da0 'in vielen Klöstern cinc Äbrcliste nicht aufgezeichnet worden ist' und wies hin aufden 'Weseniunterschicd'ziuischen einer bischöflichen Sukrssiansreihe und 'der für dar, Recht der Kirche unvergleichlich geringer gravierenden Äbtefolge in einem Kloster'. Neben dicscm kirchenrechtlichen Aspekt ist indessen auch der sozialrcschichtlichc zu bedenken, d a 5 -- angesichts der z . B. von der Benedikt-Regel dem Abt gegebenen überragenden Stellunr im Klostcr - die Bedeutung einer Abtslistc für eine monasiische Gruppe nicht gering gewesen sein kann. Auf die Nähe zwischen Bischofslistc und Abtslistc hat bereits hingewiesen Wilhelm Levison. 'Zu den Gesia abbatum Fontanellensium', in Ders.. Aus rhei,*ii.chcr und frö,ikirclier Frül,ieii (Düsseldoif. 1948). pp. 530-550 (p. 540). 'O' Re~irloMapisrri. C. 93. 6-10, cd. Adalbeit dc Vogük, 2. Sources chreiiennes, 106 (Paris. 1964). p. 424. ' O e K.S. Frank, 'Die Bestellung d a Abics nach dcr Magisterregel'. Jahrhuchfür Aniike iind Chrisio?rrr>n.21 (1978). 102-1 18 (pp. I IOss.). Mittelalters anzutreffen sind'OO. Daneben finden sich Abtslisten in den Büchern für das Kapitel~ffizinm"~ uiid in Nekrologien"'. Alle Exemplare der Fuldaer Toteiiaiinaler. begannen, soweit die erhaltene Überlieferung bezeugt, mit einer AbtslisteLL'.Im Kloster Ebersberg umfaßte ein der Klosterchronik und dem Traditionsbuch in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts angefügtes Faszikel nacheinander eine Papstliste, ein Kalendar und Nekrolog, eine Skizze mit der Genealogie der Karolinger, eine Königsliste von Pippin bis zu König Heinrich IV., eine Liste mit den Namen der Ebersberger Stifter und eine Abtsliste bis zum Ende des 11. Jahrhuiiderts"? Wie fremd modernem Denken jene Vorstellungen sind, von denen her solche Listen zu einem Ganzen zusammengefügt wurden, demonstriert das editorische Schicksal dieser Aufzeichnungen"4: die modernen Editionen zerstörten den Zusammetihaiig, er wird nicht einmal mehr in editorischen Vorbemerkungen auch nur angedeutet. ' 0 ° So enthält pag. 82 des Lihcr Mernorinlii dcr Rcichenau U. a. eine Konventsliste des Klosicis Maursmünster mit Abi Bcncdikt (von Aniane) an der Spitze. dazu eine Toteniisie. deren Anfang durch sechs Nanien verstorbener Äbte des Klosters gebildet wird: Paiilus Pipcr. ed.. Lihri Co>!/?o,o,iiiniui,i So:artciiGnlli. Augici~ri.~. Fohurioiri,~(Briiin. 8884). p. 246. Dazu Oito Gerhard Oexle. So;ioI$crcl~ic/iilic/i~~ Foircherigen :i< ,aci.siiic/,o~Ge,>iein.sch"fien in? il-~~.~!fri~rki,~<*~~~iEi~~flu~h~~r~~i(/(Habilitalionsschiift Münstei:WcsiC.. 1973. Masch.). pp. 675s. Dieser Abschnitt befindct sich nicht untci dcn bishci gedruckten Tcilcn dieser Schrift. vgl. Ders.. For,schin~fer,:U »iona.~ii.sc/~i.ti$,,,<I goi.vlichen Gcn~ciiiccliqfienin, i~-c.s(/%ilki.sc/ioi Bereicli. Münstersche Mittelsltcr-Schrifren, 31 (München. 1978) Torenlistcn mit einer Abisliste am Beginn und cinei gleichzeitig aufgeschriebenen Lebendenliste aus dcn Klösrern lndcn und Lobhes(9. Jh.)ciiiliälr dci Liber ivlemorialis uoii Remircmonr aiiffal. 8v und IOr: Eduard Hla>iiischka - Kai1 Schmid - Geid Tellcnbach. eds.. Libcr M~~~i,oiiaii.s von Roniro>io>,i,MGH Libri Memoriales I (Dublin-Zürich. 1970). p. 13s. Nr. I und p. 16s. Nr. I : dazu ebd. p. 181s. Die Bcispielc lassen sich vermchicn. ''U So Cod. Sangall. 915 mit dcm äitcsten St. Galler Abtkaralog ( I I . Jh.). aufgeschiiebcn im Zusammenhang mit Verbrüdciungsverträgen. vgl. Gcrold Meyci von Knonau. 'Die :irr ~ n i ~ r / i i > i d i . ~G~~sc/iic/~ic. ci~~~,, ältesten Veizcichnissedcr Ahlc von Si. Gallen'. MNi<,ilui~e,.,i Neue F o l p , I . Heft (Si. Gallen. 1869). 125-138 und MGH SS 13. p. 326. Zuletzt Johanne Autenrieih, 'Dei Codex Sangalicnsis 915'. in Fe.sisrhr(fifiii-0110Hcrding (Stultgart. 1977). 42-55. " ' Als Beispiel seien genannt die (noch nichi edieiien) Abtslisten von S. Gemain-desPr&: (1) B. N. lat. 13.745 (Usuard-Nekrolog). fol. 89"-90". nachträglich aufdem Rand (I?. Jh.): (2) B. N. lat. 13.882 (Nekrolog 12./13. Jh.), fol. 55". nachträglich in drei Kolumnen (12. Jh.); (3) B. N. ial. 12.833 (Nckiolog). fol. 17r-17" (14. J h . ) Allediese Listen wurden nach der Anlage jewcils weitergeführt. Vol. Die Klosieoo,ei>isc/?a/i von fuidn, I (wie Anm. 46). D. 214s.: dazu Oenle. 'Totenannalcn', p. 482s. ''.' Dazu die Bemerkungen von Johanek. 'Zur rechtlichen Funktion'. pp. l47ss. mit dcr Abb. I . 'I' Papstlisie. genealogische Skizze und Königsliste wurden nicht ediert: die NekrologEinträge finden sich in MGH Necrol. 3. pp. 77-78, die Namen der Stifter und der Äbte in MGH SS 20. D. 15. 44 O C i OEXLE Das Ehersberger Beispiel zeigt, daß auch Königslisten im Zusammenhang liturgischer Memoria aufgeschrieben wurden. Man wird dies nicht verallgemeinern könnenx5. doch sei hingewiesen auf Einzelbeispiele, etwa das sogenannte 'Diptychon' mit den Namen merowingischer und karolingischer Herrscher und Hausmeier im Liber Memorialis von Remiremont, hier im Anschluß an ein Meßformular und zugleich mit diesem eingeschrieheii ' I 6 . und die schon mehrfach zitierte MemorialÜberlieferung des Klosters Fiilda. die mehrere Königslisten enthält "'. 4. In großer formaler Nähe zu Aufzeichungen von Sukzessionslisten steht jener Typus mittelalterlicher Historiographie, den man herkömmlicherweise mit dem Begriff Gesra bezeichnet"*: die Ge.sta episcoporum und Geira abbarunz. Im Bereich der Aufzeichnungen über Äbte eines Klosters lassen sich zwischen einer bloßen Liste und ausführlichen 'Gesta' alle Zwischenstufen feststellenf19. Berühmt sind die 'Gesta abhatum' des Klosters S. Wandrille aus der Mitte des 9. Jahrhunderts; W. Levison hat sie als die 'älteste Klostergeschichte des Abendlandes' gewürdigt und ihre Entstehung mit dem 'gesteigerten geschichtlichen Sinn der Karolingerzeit' erklärtl'O. Ergeben sich hier Analogien zu der oben erörterten Debatte über die Bedingungen der Entstehung von 'Klosterchroniken' seit dem 11. Jahrhundert?l2I Eine genaue Untersuchung einzelner Beispiele könnte auch im Fall der 'Gesta abhatum' auf bisher übersehene Memoria-Funktionen aufmerksam machen"? Für die der reinen Ahtsliste noch sehr nahestehendenLz3"Gesta abbatum' des Klosters Fulda ist die Nähe zum Bereich der Memoria bereits enviesen '14. Vgl. dazu die umsichtige. grundlegende Untersuchung dci langobardischen Königslisten durch Mrchthiid Sandinanii. Sn~<iien zii l ~ ~ i i ~ « h o i - ~ l i . r c l i - i , < iHarndici-vci-eidi,~c!~~~~~ iii.s,$pii(Diss. pliil. Münster Wcstf.. 1'979). Fol. 3". vgl. Hlawiischka - Schmid - Tellenbach. Liher .Mo>,oi-iolis.p. 4 und dazu ebd. p. XVIlI. "' Die Kloriwgo>ieitarh"fi von F,,ido. I ((wie Anm. 45). p. 215 (AF) und 210 (AG): dazu Fia~iz-JosefJakobi. 'Zu den Amistiä~erlislen i n der Übeilicfcrun~dci Fuldaer Tatenannalen'. in Die Klo,~icrg'~,i~eiri>üehqfi i,on Fuicio. 2.2 (wie Anm. 40). pp. 505-525. vas gl. R.C. van Caenegem - F.L. Ganshof, Kurze Qiielleiikir~de<lerWesrn<ropöi.scl?e?? I f i i i e i n i i m (Görtingen. 1964). pp. 289s.: Herbert Grundmann. Gc.schichi«chieibe>~irn iMirrriair~~r. Kleine Vandcnhoeck-Reihe. 209!210. 2. Aufl. (Göltingen. 1969). pp. 38ss. Levison. 'Gesta abhatum'. p. 533. "O Ebd. p. 531 und 532. Vgl. F. Lohiei - J . Laporte. eds. Gesrn sancioruni palruni Fonro~irlie>ir~ coeuohii (Rouen-Paris. 1936). "' S. obcn p. -38s~. Vgl. dazu auch die Bemerkungen von Levison, ' G a l a abhatum'. p. 540 mir Anm. I Levison, 'Gesta abbaium'. p. 531. "'Die Klo,~rolq~niei~i.~cl~o/r ro>zFuldii. I (wie Anm. 45). p. 212s. "' "' l>lfi <i11CiiiN\\2AKT DER 10TI:S 45 Bekanntlich folgen die 'Gesta abbatum' aus S. Wandrille dem Vorbild ~, Wirkung sich auch an der des römischen 'Liber P ~ n t i f i c a l i s ' ' ~dessen Entstehung von 'Gesta episcoporum' seit dem 8. und 9. Jahrhundert ablesen läßt. Deutlicher vielleicht als die selteneren 'Gesta abbatum' zeigen die 'Gesta episcoporum' des Frühmittelalters den hier angenommenen Zusammenhang liturgischer Memoria und historischer Aufzeichnung. Es sei hingewiesen auf die 'Gesta' der Bischöfe von Metz, von V e ~ d u n ' ~von ~ , Le Mans; diese und andere Beispiele hat neuerdings M. Sot behandelt, der den Zusammenhang herausarbeitete, indem er zugleich auf die Analogien zwischen bischöflicher Sukzession und genealogischer Abfolge bei königlichen und adligen Geschlechtern im Denken frühmittelalterlicher Autoren hinwies: 'les Gesra comme les genealogies sont lies a une commemoration, a un culte en faveur des morts. et a des sepultures souvent reunies en ma~solees"~'. In der Tat ist höchst bemerkenswert, wie im 9. Jahrhundert an vielen Kathedralorten die Bemühungen um die Erstellung einer Bischofsliste Hand in Hand gehen mit der Aufzeichnung von 'Gesta episcoporum', und wie beide Bestrebungen begleitet und gefördert werden durch die Suche nach den Gräbern früher Bischöfe und dem Bestreben, deren Gebeine in großen Grablegen neu beizusetzen und für den Kult zugänglich zu m a ~ h e n " ~ . Die 'Gesta episcoporum' erfüllen also, wie M. Sot treffend festgestellt hat, 'une fonction de celebration: ils constituent le memorial de la saintete &pis~opale"'~.Grabort und 'Gesta', bauliche und narrative Memoria ergänzen einander: 'l'un et I'autre unifient la memoire de la succession episcopaleet I ' i l l ~ s t r e n t ' ' ~Dieselben ~. Phänomene zeigen sich Lcvison. 'Gesta abbatum'. p. 540. Der Verfasser der Gc,xia epi.scoporu,>,von Veidun ( I I . Jh.) bezeichnete als Ziel scinen Werks. er habe die Tatcn der Bischöfe von Verdun aufgeschiicbcn. iii roriini »ionoriri sit ,iobi.~cirinoercnin. yuorion ,ioi>ii,in iii co<,io ci.<.<iiitlaracicniii/ir<~r e3.v .sci.ii>iii ( M G H SC 4. p. 37). Zum 'Buch dcs Lehens' in der Liturgie Leo Koep. Drir hii,itiiii.~c/icB t d i iti A,ilik<, eird Ci~ri.~i<,,iium. Theophancia. 8 (Bonn. 1952). pp. I Ijss. "' Michel Sor. 'Historiographie Cpiscopaic et modile familial en Occident au [X' siicle'. Armalrr E. S. C.. 33 (1978). 433-449 (das Zitat p. 439). Zilni Folgenden auch Ders.. Ge.~inepi,~coponi»i.grrla nhhoti,»,. Typologie des sourccs dii moycn i g e occidental. 37 (Turnhout. 1981). Dies hat herausgeaibeiiet Michel Sol. 'Organisation de I'espace el historiographic ipiscopale dans quelqucs citCs de la Gaule caiolingienne', in Lc ,>zbiicr d'hiiiurim ni<rnoyo, äge (wie Anm. 78). pp. 31-43: "$1. Dens., 'Historiographie Cpiscopale'. p. 438s. Ferner die Hinweise bei Dubois. 'La composition des anciennes iistes ipiscopaics', pp. 955s. Ubcr entsprechende Maßnahmen in Le Mans und Sens: Deis.. 'Les listes Cpiscopales'. p. 21s. "9 Sol. 'Or@nisation de I'espace'. p. 40. Ebd. p. 43. 'iS "" 46 o C;. O E X L E aber auch in Familien und Verwandtengruppen des 8. und 9. Jahrhunderts, etwa bei den sogenannten 'Liudgeriden', wo man die Abfassung von 'Vitae' berühmter Verwandter und gleichzeitig die Anlage von Familiengrablegeu beobachten kann '" . 5. Es wird also deutlich, daß die Memoria als soziale Handlung im mittelalterlicheil Verständnis sich nicht nur in schriftlichen Aufzeichnungen ausdrückt, sondern selbstverständlich die Gestaltung von Bauten und Monumenten zur Folge hatte. Dies zu betonen ist angebracht, weil zum Beispiel die Zeugnisse der Memorialüberlieferung im engeren Sinn (Libri Memoriales, Nekrologien, Totenannalen U.a. m.) heute in Bibliotheken und Archiven aufbewahrt werden, wodurch der ursprüngliche Gebrauch dieser Aufzeichnungen bei ihrer Auswertung leicht vergessen wird. Die liturgische Funktion solcher Namenaufzeichnungen wird dort am unmittelbarsten sichtbar, wo nicht Buch und Pergament, sondern der Stein der Träger der Aufzeichnung ist, dort, wo die Namen im Kirchenraum selbst aufgezeichnet wurden. Ein frühes Beispiel aus dem nordalpinen Gebiet sind die spätantiken Graffiti und Nameneintragungen auf den Schrankenmauern der Südbasilika in Trier (4.15. Jahrhundert)"'. Berühmt ist das Nekrolog in der Apsiswand der Kathedrale von Parenzo (Istrien), mit Nameneinträgen des 6. bis 9. Jahrhunderts. Erwähnt sei ferner der Liber Memorialis auf einer Altarplatte aus Minerve (dep. Herault), ebenfalls mit Namen des 6. bis 9. Jahrhunderts, sowie das Marmorkalendarvon Neapel mit nekrologischen Einträgen neapolitanischer Bischöfe bis ins 9. Jahrhundert ' 3 3 . Eine Altarplatte mit Nameneinträgen des ausgehenden 10. und des 11. Jahrhunderts, in Form von Einritzungen und Tintenaufschriften, wurde 1976 in Reichenau-Nieder- "' Darüber Lutz V. Padbeig, Zur Bedcuiung von Vrri~.andrseimjiii>,/rÜh~niiielolierIichen Heiiigenuiien, Vortrag, gehalten beim Internen Colloquium des Sonderforschungsbereichs I in Münster am 8. Januar 1977: für die freundlich gewährte Einsicht in dieses Ms. habe ich dem Verfasser herrlich zu danken. Jetzt umfassend Ders.. Heilige und Fa~?zilic(wie Anm. 47). Zu den 'Liudgeriden' Ksri Schmid, 'Die 'Liudgeriden'. Erscheinung und Problematik einer AdelsPamilie'. in Feslschri/(Jiir Heinr Löivc (Köln-Wicn, 1978). pp. 71I01 (hier bes. p. 85s. und 88s.). '" H.Cüppers, 'Dom und Domfreiheit in spätrömischer und frühmittclalterlicher Zeit'. in Führer :ir vor- uiid /rÜhpecrbicii~lieii<.>i D<.>ikmöl<,rri12.1: Ti-icm (Mainz. 1977). pp. 104-114 (P. 109s). Oenle, 'Memoria'. p. 74s. Envähnt seien auch die jüngst entdeckten Nameneintragungen im Michaels-Heiligtum des Monte Gargano, vor allem aus der langobardischen Zeit ( 7 / 8 Jh.). über Namenaufieichnungen in erhaltenen Diptychen zuletzt Vezin, 'L'ivoire Barberini'. pp. 3 2 s . "' Zell gefunden'34. Von hier aus mag der Blick zurückgehen zu den Nameneintragungen auf frühchristlichen Agapentischen'". Die in der Namensnennung bewirkte Gegenwart der Toten wird vielfach durch eine bildliche Darstellung der Genannten noch verdeutlicht. Bilddarstellungen dieser Art können als 'Memorialbilder' bezeichnet werden'3h. Es ist damit nicht ein bestimmter Bildinhalt gemeint, nicht ein bestimmter ikonographischer Typus, sondern eine Bildfunktion: die Verwendung eines Bildes im Rahmen der Memoria. Überliefert sind solche Bilder in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen und ikonographischen Formen. Stifterbilder, also Darstellutigen adliger oder königlicher Verwandtengruppen oder Geschlechter, begegnen zum Beispiel in Libri Memoriales. aber auch in Traditionscodices 1 3 ' und darüber hinaus, außerhalb von Büchern, in Malerei, Glasmalerei und Plastik des Kirchenraums. aber auch an anderen Orten einer Klosteranlage. in Kapitelsaal und Kreuzgang. Von den zahlreichen Bildtypen sei hier nur die genealogische Darstellung mit Memoria-Funktion erwähnt, in der wiederum unterschiedliche Bildideen und -motive verwendet sein können, zum Beispiel das Motiv der aufsteigenden genealogischen Reihe in der Gestalt des B a u m e ~ ' ~ ~ . Schließlich ist darauf hinzuweisen. d a ß die Erstellung baulicher Memorien immer eine wesentliche Erscheinungsform der Memoria war. Im Zusammenhang mit der Verehrung der Märtyrer an ihren Gräbern trat sie schon in der Frühzeit des Christentums in E r s c h e i ~ u n g ' ~Die ~ . oben erwähnten Bemühungen von Bischöfen der Karolingerzeit um die Grä- "'Woifrang Erdrnann - Kar1 Sciirnid - Johanne Autenricih - Dieicr Geuenich - Heinz Rooscn-Runse, 'Zur heschriftetcn Altarplatte aus Sr. Peiei und Paui. Reichenau-Xiedcrzell'. Freibi<rgw Diöie,son-Ai-cliii,.98 (1978). 555-565. '" Henii Lecleicq. Art. 'Agapc'. Dic~ionnoiredArcli!o/ogieClirtiioi>iecl de Lilur,qie, I (1924). col. 775-848 (col. 823s). '""her erMcrnorialhildei' vorläufig Otto Gerhaid Ocxle. 'Welfische und staufische HausÜberlieferung in der Handschrift Fiiida D I I aus Weingarten'. in Von der Kloricrhiblioihck zur La>id<~.?hihlioihck. B<,iirir<,;ion ;ir<~iliir>i<i<7-1jiil?ri~~~i~ Br.srehe,i der H~~.ssi.~<ii~~,~ Lri,zd<~.~hihiioih<Xk F~rldn.cd. .4itur Brall (Stiiti;art. 1978). pp. 203-231 (hier p. 218s.) und demnächst ausführlich Ders.. 'Memoria und Memorialhild'. in K . Schrnid-J. Wollasch. eds. M<~,»ori<i.ß<.r,aer<iii</zilidieZ < ~ ~ l i i . ~ i i<I?.? - < ~Iilirr~i.silt~ii rl G<,i/<,,zhe,isin? M i ~ r r l n l l ~ ~ r (1 982. im Druck). '" S. ohcii p. 40. Oexlc. 'Welfische und staufische Hausüherlieferung'. pp. 221ss. und Ders.. 'Memaria und Mernoiialhild'. Abschnitt V. Is9 Köiting. ReIiquie>ikuli. pp. 1 3 s : J.B. Ward-Peikins. 'Mernoria. Maityr's Tomh 2nd Maiiyr's Chuich'. Akten des VII. I~~~erna~ion<iIoi K o ~ ~ ~ r c s . ~ e irbri.~iiiche ..f>ir Arcl~üiiologie. Siudi di Antichith Ciisiiana. 27 (Ciiti dcl Vaticano-Berlin. 1969). pp. 3-24. Vgl. untcn Abschnitt IV. "J ber ihrer Amtsvorgänger deuten auf denselben Sachverhalt14". Es ist ferner an die Königsgrablegen des früheren Mittelalters zu e r i n ~ ~ e r n ' ~ ' , sowie an die zahlreichen Grablegen adeliger Geschlechter, die im Hochmittelalter den Herrschaftssitzen, den Burgen zugeordnet waren und ein konstitutives Element adeliger Herrschaft d a r ~ t e l l e n ' ~Treffend 5 hat G. Duby unlängst die Zuordnung von Burg und Grablege in dem begrifflichen Parallelismiis 'risidence des vivants' / 'risidence des morts', Sitz der LebendenISitz der Toten ausgedrückt '43. Für die Beurteilung der mittelalterlichen Memoria ist entscheidend, daß sie in ihren wesentlichen Momenten bis in die Antike, die heidnische wie die christliche, zurückreicht. Im Zentrum des heidnisch-antiken Totenkultes steht die Totenspeisung, vor allem in der Form des toten mahl^'^'. Der Tote wird dabei als Handelnder gedacht und er wird von der Familie, den Verwandten, den Freunden, die an seinem Grab Totenmahl halten, als wirklicher Teilnehmer an dem gemeinsamen Mahl erlebt, für den Speisen, Geräte und Mobiliar bereitgestellt werden müssen. Diese Vorbereitungen 'sind für ihn das Zeichen, sich zum erwünschten Mahle zu nahen; ja sie zitieren und lokalisieren ihn, ... Fortan gilt für die volkstümliche Vorstellung der Satz: da, wo der Stuhl oder das Bett für den Toten aufgestellt ist, da ist er selbst"45. Aus dem Gedanken der Gegenwart des Toten beim TotenS. obcn p. 45. Krüger. K+nif.sgrahkirchem. bes. pp. 446 ss. '"' Schmid. 'Zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht'. bcs. pp. 44ss. Allgemein Ursula Lewald. 'Burg. Kloster. Stift'. in Die Burpoi im ~i~ieuischen Sprochroum, 1. Vorträge und Forschungen. 19.1 (Sigmaringen. 1976). pp. 155-180. I*' Georges Duby. Diskussionsbeitrag. in Gcoiges Duby - Jacques Lc Goff. eds, Faniille ri pareriiP dnnr I'Occide~i~ rn4diivo1, Collection de I'Ecole Fran~aisede Rome. 30 (Roma. 1977). p. 58. "'Darüber vor allcm Theodor Klausei. Die Crirhedr<iiti, Toier,ki<lider izeidnirchen i o r d chri.si/ichen A~>iiikr.Liturgiewissenschaftliche Qucllcn und Forschungen, 21. 2. Aufl. (Münstci/Westf.. 1971). bes. pp. 4 3 s und 1 2 3 s . sowie Ders., 'Das altchristliche Totenmahl nach dem heutigen Stande der Forschung'. in Den.. Gesoni»zcIie Arheiien (wie oben Anm. 100). pp. 114-120. Fcrnei und insbesondere zur heidnischen Antike: Erwin Rohde. P.~ychc.19/10. Aufl. (Tübingen. 1925). pp. 228~s.:Ebcrhard Friedrich Biuck. Toio,irilund Seelperäi in, griechirchen Rechi. Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte, 9 (München. 1926). pp. 279~s.:Franz Cumont. Lux perpeim (Paris. 1949). pp. 295s.: Rhea N . Thönges-Stringaiis. 'Das griechische Totenmahl', Mirieilrrngen </C.$ D~ci<isd,en Archüolo~ir~hen I>nrirui.~. Aih<.nisclie Ahicilunp. 80 (1965). 1-99. pp. 62ss. Klauser, Co!hedra. p. 55. Der Brauch des Totcnmahls widerlegt die Deutung des antiken Totenkults als apotropäischcm Abwehrzauber bei Aries. E.ssasaü. p. 25 und Dems., O'' "' "' mahl ergibt sich der in moderner Sicht befremdliche Sachverhalt, daß mit dem Essen und Trinken am Grab als ein zweites Element das Singen und Tanzen eng verknüpft war'4h; auch das Singen und Tanzen am Grab ist Ausdruck dessen, daß die Lebenden den Toten in ihre Gesellschaft einbeziehen, ihn an ihrem Leben teilhaben lassen I"'. In seiner Schrift De resrimor7io ani~nae.entsranden um 200, weist Tertullian auf das heidnische Totenmahl hin. bei dem die Toten 'gleichsam gegenwärtig sind und mit zu Tische sitzen"48. utn den Heiden zu verdeutlichen, daß ihnen der Glaube an ein Fortleben nach dem Tode im Grunde bereits völlig vertraut ist. Der Gedanke dieser Gegenwart der Toten unter den Lebenden war Tertullian offenbar ganz selbstverständlich. In der Tat wurde das Totenmahl als ein 'neutral-paganes""' soziales Phänomen in allen seinen Elementen vom frühen Christentum ü b e r n ~ r n m e n ' ~wobei ~ , vielleicht auch jüdische Vorbilder mitgewirkt L'honime dcvoni 10 mon. p. 37s. Pie Deutung des aniikcn Totenmahls als Ausdruck der Totenfurcht tindet sich außerdem bei Cumanr, a.a.0. p. 40. Arnold Vaii Gcnnep. .U<t<inurl d<,,folklorefmncois conio>,poroin. 1.2 (Paris. 1946). p. 778 deutcte das Totcnmahl als 'un rite d'ttape qui ritablit des relations entrc lcs vivants pai I'enclusion (!)du mori': ebenso wieder Chiffoleau. 'Charitt et assistance en Avignoii'. p. 71s. Die soziale Fiinktion des Torcnmahls in der hcidriischen und christlichcn Ai~tikeals Ausdruck der 'soci;ihiiite'. der Stabilität und Einheit sazialcr Giuppcii. wurde ncucrdings mit Recht abcrm;ils stark hcrvoigeliobcn von Paul-Albcrt Fivriei. 'A propos du repas furierairc: cuite ct saciabilite'. Cahicrr Arcli~ologiqu~~.~. 26 (1977). 29-45 (bcs. pp. -375s. und 435s.) Zum Problem der Deutung des Totcnmahles vgl. auch untcn Abschnitt V. ""azu Johannes Quasten, Murik ioid Gerntig in rlo, Kz<lie,.,ider hcid~iischoiAnrike w d clirisrliche,i Frül>;eii. Liturgiqeschichtliche Quellen und Forschungen. 25 (Münster:Wesif.. 1930), pp. 204ss.: Cail Andresen. 'Altchristliche Kritik an>Tanz - cin Ausschnitt aus dcm Kampf der Alten Kirche gcgen heidnische Sittc'. in Heinzgüntei Frohnes - - Uiue W. Knarr. eds.. Kirchetigesrliic1,ic01.7 Mi.ssi«>irgei.cI~ici,ie.I . Die Al,e Kirclic (München. 1974). pp. 344-376 (pp. 359s~). I*' Dazu treffend Kurt Ranke. Indogcrmri~ii.~c/te Torenrcrehrirtzg. I. F? Communications. 140 (Helsinki. 1951). p. 286. 294. 297. Terlullian. De !eriin,o,?io o>?i»i<re. C. 4 (CSEL 20. p. 139): . . i n co?iuiiiio eorutn (Sc. morruomm) quasi pr<ic,~e>iribl« er conrccumbeniibio sorrern suo»i c.~probr<ir<, noii l>o.r.si.s. dcber adir1oriprop;er. quos loeiiiir tliuir. Die engen Bindungen zwischen Totcn und Lebenden sind also nicht crst eine Folgc der christlichcn Lehre. wie AriCs. L,'liomz»i<~devoni 10 mori, p 38 annimmt: die von ihm behauptete 'trCs grande diErencc entre I'attitlide pdiennc el la nauvclle attitude chretiennc i I'Egard des morts' gibt es in dicscr Hinsicht nicht. Vgl. dazu oben Anm. 145 sowie auch die Übcileguiigen und Hinweise von Pctcr Stockmeier, 'Hei-rscherfrömmigkcit und Totenkult. Ko~isisntins Apostelkirchc und Antiochos' Hicrothesion'. in Fc.rIschrifi f i r B<,rnhardKöiring. Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsband. 8 (MünstcijWesti.. 1980). 105-113. " 9 S~uibei.Rcfrigeriuni inroim. p. 16. Klauser, Co,hedra. pp. 123ss. und 132s~.mit Hinweis aufdie mögliche Rechtfertigung durch Tob. 4, 18 und eine Fassung von Röm. 12, 13: Pers.. 'Das altchiistlichc Totenmahl', bes. p. 119s.: ferner Reicke, Diakonie, pp. IOlss.: Stuiber. Refryeriiim iriier-in?. pp. 120ss. Offen ist. ob diese Übernahme von Anfang an legeben war. oder ob sie nach haben'51. Auch unter Christen wurde der Tote zum Mahl 'förmlich eingeladen und zitiert"5? Seit der ersten Häifte des 3. Jahrhunderts. vielleicht schon früher, wurde das Totenmahl am Grab durch ein voraufgehendes eucharistisches Mahl ergänzt oder durch ein solches ganz ersetzt I s 3 An den Gräbern der Märtyrer hat man ebenfalls Totenmähler gehaltenLS4.und auch hier ist die Vorstellung wirksam, daß der Märtyrer 'irgendwie in seinem Grabe gegenwärtig ist und von hier aus wirksam werden kann'I5". Problematisch wurden diese Mähler offenbar erst von dem Moment an, als 'im Zusammenhang mit der steigenden Bewertung des Märtyrers' das Mahl an seiiiein Grab 'ciiieii iii der Gescliiclite des Totenmahles neuartigen Siiiii erliä!~"'". die Märtyrer also gewissermaßen aus der Schar der übrigen Toten herauswachsen. Mit diesem Vorgang hängt es zusammen, daß seit dem Ende des 4. Jahrhunderts, also zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt erst15', eine entschiedene Polemik gegen das Totenmahl als Form des Toten- und des Heiligenkults einsctzt ' ". Als ein Beispiel dafür soll Ambrosiiis erwähnt werden, der in Mailand Mahlzeiten an den Gräbern der Heiligen verbot, 11euI1a occario se i i z g ~ l r g i r u i ~ d ia r e r u r ebrio~i.?.er quiaU!!; yuasipareizralia s u p ~ r s r i t i o r z geniiliirin i esser~r.~inzil!irizu'~". Seinem Beispiei folgte Augucinei Phase der Distanzieiung erst in der Mitte des 2. Jh. erfolgt;. vgl. Köiiing. Reliquienkuli. p. 8 mit Anni 5. Dabei ist jedoch auch die Möglichkeii einer jüdischen Kontinuität des Toienmahls zu bedenken. auf dje Reicke hinwies ( s . Anm. 151). "' Dies bctonie Reicke. Di<ikotiie. pp. 103~s..I I Iss.. 117s. 'I' Klausei. Cniliedro. p. 135s. mii Hinweis auf Grabinschriften. die den Gedanken der Gegenwart dcs Toten ausdrücken. Fianz Jasef Dölger. ichi/~~.s. 2. Der heilige Fi.~c/iiti den uriiikoi Reiigio,ie>i an0 in? Clirisi~>,iuni.Te,vihritid (Münster;Westf.. $922). pp. 555~s.:Kötting. Reliquienki<li. p. 13: Klausei. (ail~erlr.<i.p. 140. 'I' Reicke. Dioko,,ic. pp. 131~s.:Richaid Krautheimer. 'Mensa-Cocmcterium-Mi$rlyrium'. Cahicr.~nrc/iL:ologiq,i<,.s, 1 1 (1960), 15-40: Kötting. Reliqui<~nkuli.p. I?. Zu den Toienmählcrn am Grab der Apostel in Rom: Klauser. Coihcdro. pp. 152~s.und 205s. sowie Ders.. 'Dcr Ursprung des Festes Petri Stuhlfeier arn 22. Februar'. in Ders.. G~~.sr.o»,»i<,Iie Arhcii<w,(wie Anm. 100). pp. 97-1 13. "I Thcodor Klauser. 'Chrisiiicher Mäiiyreikult. heidnischer ticroenkult und spätjüdische Heiligenverehiung. Neue Einsichren und Probleme', iii Deis.. Gc.~nm»,elieArh<.ii<mi (wie Anm. 100). pp. 221-229 (p. 222 und 225). Zugleich wird der Märtyrer natürlich auch als Fürsprecher beim Thron Gortes stehend gedacht. "' Klauser. C(i!hedrn. p. 135 Anm. 134. vgl. p. 141 ' I ' Man vergleiche damit die positive Sich1 der Totcnmähler mit dem Märtyrer noch bei Cyprian und Euscb: Reicke. Di<iko,~ie.p. 133s. I S SVgI. Zeno von Verona. iinei. I. 15 C . 6 (Migne PL 1 1 . col. 366): Gaudcntius von Brescia. Sermo 4 (Migne PL 20, col. 870s.): Pauliniis von Nola: Quasten. Murik u,id Geson~.p. 245 mit Anm. 39. 15' Ambiosius. De Heiin el jejunio 17.62 (CSEL 32.2. pp. 448~s.);Augusiinus. Cniif<~.~.~ioii~.~ VI. 2 (CSLL 333. pp. I l4ss.). das Zitat irn T t r t hici p. 115. "' stinus, der - noch als Priester - 395 in Hippo Regius das nächtliche Fest am Grab des Ortsheiligen. des früheren Bischofs Leonrius, durch eine liturgisch geordnete und vom Bischof beaufsichtigte Feier ersetzte und ähnliche Maßnahmen schon früher dem Bischof Aurelius von Karthago für die Feiern am Grab des heiligen Cyprian empfohlen hatte'"'. In Hippo Regius freilich gab es Schwierigkeiten. da die Gemeinde nicht begreifen konnte, d a ß nunmehr verboten sein solle, was bisher üblich und erlaubt gewesen war'"'. Von ~iuii an blieb die Einstellung der Gemeindeleitung, der Amtsträger im Blick auf die Totenmähler, das Essen und Trinken, das Tanzen und Singen am Grab negativ: dergleichen galt hitifort als Ausdruck heidnischer Gesiiiniing'62. In den frühmittelalterlichen Stellungnahmen zur Totenmemoria lind zum Totenmahl in Familie und Freundeskreis wird dieser Traditioiisstrom kirchlicher Verbote alsbald aufgenommen und weitergeführt '". Es ist zu fragen, wie dies beurteilt werden muß. ßezieheii sich diese frühmittelalterlichen Verbote etwa auf ncue Phinomcne heidnischen. das lieißt also: germanischen Totenkults? Oder handelt es sich im wesentlichen um Diffamierungen von Sozialformen laikaler Gruppen und Schichten aus der Sicht und den Einstellungen kirchlicher Amtsträger, die sich dieser Tradition bedienen? Wie im Abschnitt V dieser Untersuchung zu erläutern sein wird, sind diese Fragen für die Beurtei- '"" Auguriinus. ep. 29 und cp. 22 (CSEL .XI. pp. 1 l 4 s s und 54ss.). Wzirerc Tcxie bci Klausei. Cniiicdrii. p. 133s Dazu van der Meer. /liig~«ii,z~«..pp. 601s~.und 5 9 7 s sowie Andicscn. 'Kritik an? Tanz'. n. 363s. '" Ep. 29.8 (CSEL 34.1. p. 119). '" Mit dieiei Wendung- -eeecn - die Totenmähler um 400 hänet zosammen. d a 8 im 5. JIi. in Rom die Toicngedächtnisfeicr für Peirus ("Carhedia S. Peiri") unterdrückt wurde: Klauser. Caiiledra. p. 175 und 206. '" Vyl. zum Beispiel folgende Tradiiionsiinien: ( I ) Regisiri cccicriilc Corrhu~i,roirir <,,~c<,rpia. C. 60(CCL 149. p. 196s.). 5. Jh. = Burchaid von Worms. D e v . X. 36 = Ivo von Charrres. Decr. XI. 61: (2) Leo I , ep. 167. lnquir. 19 IMisnc P L 54, col. 1209) = Benedictus Levita. Knpiii<ioricnsonin~l~~~~g 1. 126 und 1. 133 ( M G H Leges 2.2. p. 52s.) = Burchard. Decr. X. 37 = luo. Decr. XI. 62: (3) Mariin von Braga (gescsi. 580). Krr~~nne.ssam»~iir~zg, C. 69. ed. Claudc W. Bsrlow (New Haren. 1950). p. 140 = Burchard. Dccr. X. 38 = Ivo. D e o XI. 63: (4) 'Admoniiio synodalis' des 9. Jh. ( = sog. 'Homilia Leonis IV.') C. 71. ed. Robcit Amiel. in Mcdi<i<,wiSiutli<~.v.26 (1964). p. 62: (5) PS: Bonifaiius. Scr»,o VI. I (Mignc PL 89. col. 855) = Tenr dcr sog. 'Karolinginchen Mustcrpredigi'. vgl. Dietcr Harmeninr. Siqerrriiio (Bcrlin. 1979). p. 160: (6) Hinkmar von Reims, Kapitular von 852. C . L4 (Migne PL 125, col. 116) = Regino von Piüm. Dc «;,iodoiihus cnir.xis 1. 216 = Burchard. De<r 11. 161 = lvo. D<air.VI. 252 = Gidtian. Decr. C. 7 D.XLIV. - Zur Kontinuiiät des Cathcdra-Festes (mit Torcnmahl) im Februar: Klauser. Cuiiicdrri. p. 174s. . ~~ lung des Totenkults im Mittelalter entscheidend. Hier bleibt zunächst festzuhalten, daß - trotz aller Verbote -- im Mittelalter das Totenmahl ein wesentlicher Bestandteil der Totenmemoria laikaler Gruppen, der Verwandtengruppen wie der freien Einungen und Gilden bleibt'64. Sogar im monastischen Bereich ist der Zusammenhang zwischen Totenmemoria und Mahl nicht aufgehoben worden, wie die caritas, das Erinneruugsmahl der Mönche bei der Feier eines Anniversars zeigt. Dieses Mahl ist eine Gegengabe für die Gabe des monastischen Gebets und wurde bei der Stiftung der Memoria mit begründet'65. Die Polemik der griechischen Kirchenväter gegen das Totenmahl war im Gegensatz zu den oben erwähnten Stellungnahmen westlicher Bischöfe und Theologen sehr viel gemilderter'"". Möglicherweise ist dies die Ursache für die erstaunliche Kontinuität des Totenmahls im Bereich des östlichen Christentums von der Antike nicht nur bis zum Ende des Mittelalters, sondern bis zur Gegenwart l h 7 . Aber nicht nur das Totenmahl an sich muß in die Überlegungen zur Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter im Bereich des Totenkults einbezogen werden. Typisch für das antike Totenmahl unter Heiden wie unter Christen war die enge Beziehung zwischen dem Essen mit dem Toten und der Speisung von Armen168. Ein Fresko in der Katakombe des Petrus und Marcellinus in Rom zeigt. ' wie Arme, die Hände bittend erhoben, mit Säcken versehen zum Totenmahl k ~ m m e n " ~ ' .Die Armen wurden als Teilnehmer zum Totenmahl geladen oder nach dem Mahl mit Lebensmitteln oder Geld beschenkt, 'um den Kreis der dem Toten ,<W Darüber Kyii. Tod. pp. 155~s.;Löfller, Toioihrnuehiui~,.pp. 247ss.: Oenle. 'Die mitteialtcilichen Gilden', p. 213s. Dic Kontinuiiät hat bereits Klauscr. Co,liedra. p. 146 betoni. '"' Vgi. dazu Werner Ogris. 'Die Konventuaienpfründe im rnitteialterlichen Kloster'. Ör~errciihi.~clze.sArchiv ,er Kir<l?enrccl,i. I3 (1962). 104.142 (pp. 123 ss.): Augusiinus Thiele. Eclii~~rnoch ioid Hini»,eror/, Forschungen zur Sozial- und Wirtschafisgeschichrc. 7 (Siuttgart, 1964). pp. 5 2 ~ s . :Beinhsrd Bischoff. 'Caritas-Licdei. in Den., Miiiel~lierliche Sii<die>i.2 (Stuttgart. 2967). pp. 56-77: Kyll. Tod. pp. 207~s.:Manfred Baizci, U>iicr.~i<chioigen -ur Gcrclti~hirder Gre>~~/bcrii;cs in der Poderhorticr Fcldniork, Münstersche MittelalterSchriften. 29 (München. 1977). pp. 156~s..170s. U. ö. '<'Q~arauf machte aufmerksam Andresen. 'Kritik am Tanz'. p. 364s. Vgl. auch Cumont. Lux pe,peiuo. p. 40s. '"' Reichhaltiges und meist überseheries Material dazu bietet Maihias Muiko. 'Das Giab als Tisch'. W ö r t o und Sorhoi. 2 (1910). 79-160: zahlreiche Hinweise ferner bei Ranke. Toicriwrel~rung.pp. 185s~. 'I'' Dazu vor allem Reicke. Dirikoriie. pp. LOlss.. bes. 1 4 7 s und 167~s..der die Vcrbindung von Mahl und Armenfürsorge treffend als Ausdruck der Festfreude deutete. Ferner Bruck. Toi<,,iied. pp. 296ss. und Deis., Kirc/ie,,r«ier. u>idso;iril<~.vErbrech, (BcrlinGöttingcn-Heidelbeic. 1956). pp. 365s. '"" Klauser, Cnihc<lr<i.p. 140 Anm. 150. Verpflichteten zur Befestigung und Ausbreitung seiner 1?7ernoria zu e r ~ e i t e r n " ' ~ .Dieser Form der Armenspeisung stand Augustinus durchaus positiv gegenüber"', ja er hat sie gefördert, um damit das Toten~ . gleichen Zeit etwa mahnten die mahl selbst z ~ r ü c k z u d r ä n g e n ' ~Zur syrischen 'Apostolischen Konstitutionen' zur Mäßigung beim Totenmahl und bestimmten, daß aus dem Besitz des Toten zur Erinnerung an ihn den Armen gegeben werden ~ 0 1 1 ~ ' ~ . Die Tendenz, die Totenmähler zugunsten der Armenspende einzuschränken, ist in kirchenrechtlichen Bestimmungen aus dem Mittelalter immer wieder nachweisbar In jedem Fall aber bleiben Totenmemoria und Armenspeisung eng verbunden"', was große sozialgeschichtliche Konsequenzen hatte, da die Memoria zum Beispiel die Klöster zu immer größeren sozialen Leistungen zwang. Dies konnte so weit gehen, daß schließlich die Subsistenz vieler Klöster in Frage gestellt wurde; 'die Toten begannen, in Gestalt der Armen die Lebenden auszuzehren"'". Auch in den Gilden begegnet die wechselseitige Bedingtheit von Totenmahl und Spende'". Man kann generell für die Sozialgeschichte der Antike, des Mittelalters und weitgehend auch der Neuzeit feststellen, daß diese wechselseitige Bedingtheit ein wesentliches Moment des Alltagslebens ist: das Mahl mit dem Toten und das Opfer für ihn in Form der Armenspende sind konstitutive Momente der T ~ t e n m e m o r i a ' ~ ' . Während im Totenmahl und in der damit verbundenen Armenspende Kontinuität sichtbar wird zwischen heidnischer und christlicher Antike und dem Mittelalter, so wird an einem anderen Phänomen des TotenEbd. p. 139. Aueustinus. De civiioic~Dei VIII. 27 (CSEL 401. D. 405s.): Coiife.v,~io>icrVI. 2 (CSEL 33rp. 115). :b, Ep. 22.6 ('SEL 14.1. p . 58s.). "' Didnsrolin m Co>rsri,iiiio~,~,~ opo.~iolorun,Vlll. 42.5 und VIII. 44.ed. F. X. Fuiik. I (Padcrboin. 1905), p. 554i556. "'KyII, Tod, P. I 575. und 203s. "' Dazu Kvll. Tod. .DD. . 2Olss. und Joachim Wollasch. 'Gemeinschaftsbcwußtsein lind soziale Leistung im Mitteialter'. Friihrniiielolrer/ichc Sflidicn. 9 (1975). 268-286. Woilasch. 'Gemeinschaftsbewußtsein', pp. 276~s..das Zitat p. 282. Analoges gilt z. B. auch für den spätmittelalterlichen Adcl und dessen Vermögen. w r a u f i m Anschiuß an R. Bo~itruchehingcwicscn hat Jacques Heers. I. 'Occide~iioiir XII"' <,I Xi'" .si@<l?.r.A.~p?ci.s ~ennorniqurr(1 S O C ~ ~ I L XNouvelle . Clio. 23. 3. Aufl. (Paris. 1970). p. 107s. "' Ocxie. 'Die mittelalterlichen Gilden'. p. 213s~.Ein Beispiel dafür bieten die Statuten der Kaufmannsgilde von Valenciennes aus dem I I . Jh.. cd. H. Cafiiaux. .t44»ioires dc 10 Sooeri ;\;orionolc tle.~ics~,iiiq<iair<.i. </C, Fra,i<<,. 38 (1877). pp. 26ss 8 3s. Hanns Koren. DieSpende(Gra2-Wien-Köln. 1954). p. 156: Ranke. Toienverci~runp. p. 224s.: Kyll, Tod. p. 201. Über die dahinterstehenden grundlegenden sozialen Haltungen "$1. Paul Veyne. LP Pni,i ci le Cirqiic (Paris. 1976) uiid AriCs. L%o,ni>ieilh?o>iija moi-1. pp. 187ss. "O "' kults deutlich, wie das Christentum gegenüber der heidnischen Antike neue Elemente geschaffen hat. Sie treten in einer Weise in Erscheinung, welche die soziale Beziehung zwischen Lebende11 und Toten unmittelbar betrifft. Bestattung und Grab sind nach griechischer wie römischer Auffassung Privatsache: es gilt nur die Regel, d a ß die Beisetzung oder Verbrennuns eines Toten innerhalb der Stadt nicht zulässig warli9; noch die christlichen Kaiser bis zu Theodosius (381) haben dieses Verbot erneuert 18'. Der Grabort entstammte jeweils dem Eigentum einer Fami; weniger Bemittelten konnten durch lie oder V e r w a n d t e n g r ~ p p e ' ~ 'die Beitritt zu einem der zahllosen Begräbiiisvereine (colle~iafimeraricia) vorsorgen18'. Ursprüiiglich waren auch in den christlichen Gemeinden die Begriäbnisplätze Privatbesitz einzelner. Aber nach christlicher Auffassung betraf der Tod des einzelnen Christen und sein Begräbnis Uie gesamte Gemeinde'? So lassen sich seit dem 3. Jahrhundert Gemeindefriedhöfe und Gemeindegrüfte nachweisenL84.Diese Cömeterien hatten also eine ganz andere soziale Bedeutsamkeit, was in der Folge auch in den Totenfeiern an den Gräbern der Märtyrer zum Ausdruck kam, die die ganze Gemeinde vereinigten. Staatliche Verbote. die im 3. Jahrhundert den Christen ihre Versammlungen auf den Cömeterien untersagten, änderten daran nichts185. Vielmehr entstanden. vor allem nach dem Ende der VerfolgungenLsh. Memorialhauten, alsbald aber auch die "' Zirölfiqfelge.seir X. I : Cicero. De lcgihu.~11. 23. 58. ed. Konrat Zicglei (Heidelbeig. 1950). p. 81. I g 0 Code.~TIieorloriant<iVllll. 17. 6. ed. Th. Mnmmscn. 1.2 (Berlin. 1862). p. 465. Natürlich gab es Ausnahmen: besonders zahlreich sind sie in der griechischen Wcll ('Heroengräbcr'). Der erste in dcr Siadt Rom beifesctzte Kaiser war Trajan : Kötting. Reliqoioikiiii. p. i I '"I Als Eigentümer des Grabes galt dci Tote: Fcrnand De Visscher. L e </roii d e . ~ ioniheaz,.~r-o>noi,ii.(Milano. 1963). pp. 55ss. und allgemein Okko Behiends, 'Grabraub und Grabficvei im römischen Rechi'. iii Ztmi Grobfiere1 (wie Anm. 63). pp. 85-106. In' Vgl. Francesco M. de Roheiris. Sioriri delle corpo>-ozio>ii c dcl r<,gi,?ieu.s.vocioriro ncl inovi<loror,io>,o.2 (Bari. 1971). pp. 5ss. '" Als Beispiel wirkte Apg. 8.2. Vgl. Ludwig Ruland. Die GercbiLiiir der kiich/iclt~~,i Lci<hen/izirr (Regensburg. 1901). pp. 325s. Das Begräbnis auch der Armen als Konsequenz der Brüderlichkeit und deshalb als Aufgabe der ganzen Gcmeinde betonten Aristides. Apologie XV. 8. vgl. I I . ed. J. Geffcken. Zi~~cigriccl~irchc Apologcio, (Leipzig-Berlin. 1907). p. 24s.. und Tertullisn. Apoiogciicuni C. 39.6 (CSEL 69. p. 92). Allgemein J . Kollwitz in: Art. 'Bcstattung'. Rc<i/l~~xiko>~liir A,,iikc und Chri.siei>is>ii,2 0954). col. 208ss.: Winfried Jung. Sinoi ioid Kirche in, kircliiicben Frir<llioTr~rer~n (Diss. jui. Göttingen. 1966). pp. 6ss.: Hüppi. Kumi. pp. 21ss und 47ss. J . Kollwitz. A n . 'Coemeieiiurn'. in Rcoilesiku>t Tür Amike ioid Cl,risioiii!ni. 3 (1957). col. 231-235 (col 231s.) Vgl. Fcrnand De Visscher, 'Le rhgime juridique des plus anciens cimctiCra chiiiienr i Rome'. A,io/ccia Bo/lo,irlir>no. 69 (1951). 39-54. '*' KoII~itz.Art. 'Coemelerium'. cal. 234: Kötting. Reliyuienkul~.p. 13. '8Q~sebius. De marr. Polocs~.. Jüngere Fassung. XI. 28. ed. G. Baidy. Sources chriiiennes. 55 (Paris. 1967). p. 167. großen Cömeterialbasiliken. Mit dem 4. Jahrhundert erlangten die Bestattungsplätze der christlichcn Gemeinden einen iiffeiitlichen Status, erreichten die Kirchen im Begrähniswesen eine Monopolstellung, die staatliche oder städtische Mitwirkung von vornherein ausschloßL". An die Stelle des religiös iiidiffcreiitcn röinischen Grabrcclits war das religiös exklusive der Christen getretenlRs. Aus der Zeit um 315 stammt das älteste bisher bekannte Beispiel fiir die Verbindung von Märtyrergrab. Kultraum und Grab des StiftersLS9. Infolge des Wunsches vieler Christen, in der Nähe der Märtyrer beigesetzt zu werden'"', wurden die großen Cömeterialbasiliken bald selbst zu großen Cömeterien, deren Boden mit Gräbern ganz bedeckt war19'. Bei den Memorien der Märtyrer begraben zu werden nütze dem Toten darin, ur con7rnaidans euni eriani n i a r r ~ i . u i npatrocinio o f i e c r ~ r rpro illo supplicario17i.r ougeaiirr, so hat Augustinus dieses Bedürfnis vieler Gemeindemitglieder begründet und gebilligt'"'. Seit der Mitte des 4. Jahrhunderts schon begann man, aus unterschiedlichen Gründen, mit der Translation von Märtyrergebeinen in städtische Kirchen: und vom Ende des 4. Jahrhunderts und aus dem 5. Jahrhundert kennen wir die ersten Beispiele für Beisetzungen 'ad sai7cros' in städtischen Kirchen; die Bischöfe sind dabei offenbar vorangegangen'93. Im 6. Jahrhundert schließlich hatte der Brauch, in innerstädtischen Kirchen Gräber anzulegen, allgemeine Verbreitung gefunden, wie wir aus entsprechenden kirchlichen Verboten wisse~i'~".Gleichzeitig ging man. beeinflußt oder mit beeinflußt durch äußere Umstände, mehr und mehr dazu über, die Toten überhaupt innerhalb der Stadtmauern beiz~setzen'~'.Der justinianische 'Codex' schärfte zwar noch einmal das Verbot des Begräbnisses in der Kirche ein, aber er untersagte nicht mehr das Begräbnis innerhalb der S t a d t m a ~ e r n ' Andererseits ~~. wurden die Cömeterialbasi- ''' Jung. Sia<ii ir~idKirche. p. 9s. Th. Mommsen. 'Ziirn römischen Grabrecht'. Zciirrhrili jiir Reciiispcrchichie. Roi~ranisi.A h r , 16 (1895). 203-220 (p. 218). Mangebend dafür wai das jüdische Vorbild. Kötting. Rcliquicnksli. p. 14: Hiippi. Xirnri. p. 54s. Dcleliaye. Lcs oi-i,oi~i<,.s dt< CUIIP < j < , ~, ~ O I . I ? ~p.. 131~s.:Kötring. R<iiiqi,i<~nki,/i. pp. 245s. ''' Kollwitr. Arr. 'Cocmeieriurn'. col. 234. '91 De cura pro »ioriuir gerendii. XVIII. 22 (CSEL 41. p. 659). I'" Kötting. Reliquieiikuli. pp. l5ss. und 2Xss. '*' Dagegen richicren sich in der zweiten Hälfte des 6. Jh. die Vcrboic der Synoden von Braga 563 (vollständige Entfernung dcr Gräber aus dem Kiichenraum) und Auxerie 5611605 (keine Begräbnisse in Baptisterien). 19' Kallwitz, A r 1 'Coerneterium'. col. 233s. I'<' Codci Iirr<;>riß>,ic; I 2.2. Corpmjuiis civilir. 2. ed. P. Krüger (Bcrlin. 1906). p. 12. "" "" liken in den suhirrhia ebenfalls Zentren von Siedlungen der Lebenden und bildeten hinfort ein wichtiges Moment in der städtischen Topographie19'. Der antike Gedanke von der Gegenwart der Toten unter den Lehenden hat durch diesen Wandel in der Wahl der Grahorte eine üherzeugende Eindringlichkeit erlangt: er ist räumlich anschaulich geworden. Um 900 begegnen die ersten Anordnungen, welche die Beisetzung der Toten bei einer Kirche gebietenm8. Die Bestattung im Kirchengebäude ist im Mittelalter etwas Alltägliches, obwohl das ganze Mittelalter hindurch immer wieder zugleich auch die alten Verbote und Einschränkungen des Brauchs wiederholt wurden'". Coemererium, quod dicirur morruor-um dornliroriu~z.esr EccIe.~iaegremium.so hat im 12. Jahrhundert Honorius Augustodunensis diese Entwicklung znsammengefaßt und zugleich spirituell gedeutet 2"o. Durch diesen grundlegenden Wandel wurde der Kirchhof mehr und "' VgI Jean Hubeil. 'Evolution dc la topogiaphie et dc i.aspcct des vilies de Gaule du V' ail X' sieclc'. in /J, ciiiN !i<,ll'nlio »z<,dioe,:o.Settimanc di Studio del Ccnlio italiano di studi sull' alto medioevo. 6 (Spolero. 1959). pp. 529-558 (pp. 542s.): Franr Petii, 'Die Anfinge des miuclalierlichen Städte\vnens in den Nicdeilanden iind dem angrenzenden Frankreich'. in Siurliei, ;ii d o ? Atifingcri des cirropöischen S,"dieiverens. Vorträge und Forschiingen. 4.4. Aufl. (Sigmaiinsen. 1975). pp. 227-295 (pp. 236ss.j: Cailrichard Brühl. Pal<iiiii»i wd Ciriinr. Sirdie,? :irr Pro{on,opoRrophie päianrikcr Civirriicr vom 3. hi.? ;un? 13. Joiirhteideri. 1 (Köln-Wien. 1975). 1 V 9 ~ Konzil s von Tiibui 895 (C. 15. Mansi 18. coi. 140) gebot dic Beisetzung aprrd eccleriani. uhi rede.$ e.71 ei>irc«pi oder bei einem Kloster oder Stift (wegen der Gebetshilfe) oder bei der Pfarrkirche. verwies aber zur Begründurig der Anordnung aufdic Not der Zcit: vgl. Hüppi. Krinri, p. 63. Dieser Kanon erscheint kurz danach bei Regino von Prüm. Lihri dtro de ~~ioiliiiihur c<iic;ir I. 128 led. F.G.A. Wassenchleben. Leipzig, 1840, p. 81) in dei prägnanten Fassung: U!. ri possii ficri. ,>iorrui non nlihi sepeIio,riirr procier nd ectleriani. '" Vsi. Kötiing. Reiiyuic~~kirli. pp. 3 2 s . ; überdie Gesetzgebung seit der Karolinperzeit Emile Lesne. Hirioire de 10 proprigil eecl~;sias!iqireen Fiancc. 3. Mkmoiies ct Travaux puhlies par des piofesseurs des Facultks catholiques de Lille. 44 (Lilie. 1936), pp. 123~s.: Kyll. Tod. pp. I O?ss. ' 0 ° Honorius Augustodunensis. Geninra nninrnc 1. 147 (Migne PL 172. col. 590). Ph. Arics (Esrais. pp. 41ss.. 53s.: LBonirncdevatti 10 mon. pp. 20lrs.) hat dieThese aufgestellt. daß wegen der Beisetzung der Toten auf dem Kirchhof und im Kirchengebäude seit dem 5 . und bis zum I I./12. Jh. der Grabolatz eieicheültie eewoidcn sei: diese 'Anonvmirät' der sich der neue Brauch der Beisetzune bei oder in der Kirche als Steirerune der Bedeutune .I<>cln2r.ln.n i;r>bp ~ i i r.::.i.cn , I S . > T ,:hiitei! . Zrie, Ti:s,c<.dian J ili ~ c r i . ! ~.m Iruhcren \Ii~'ii,.tci lie I -,ir.nn>cn>.,iii ni:li: :.>ll~,lti: . > x r piu,. h j l iridl~.tc..oii,iirn \isl-ichr Jic Aufzeichnune und das Festhalten iedej einzelnen Namens von konstitutiver Bcdeutunz .für sie war: dic Lihri Me~rrorialcr und die Nekrologien des früheren Mittelalters enthalten jeweils Tausende von Namen. die oft immer wieder neu kopiert und tradiert wurden. M a n achtete also genau auf die Individualität jedes einzelnen Toren. mehr auch zu einem Kernhezirk der städtischen und der ländlichen Siedl ~ n g e n ~Seine ~ ' . Bedeutunz im Alltagsleben lind im Recht kann kaum überschätzt werden2"" Der Kirchhof muß eingehegt sein2''. Er ist mit Asylrecht ausgestattet, er ist Ort für Versammlungen, für den Abschluß von Geschäften und für die Beurkundung von Rechtshandlungen, er ist Gerichtsort, er ist in vielen Fällen auch der befestigte, wehrhafte Mittelpunkt der Siedlung. Der Kirchhof als ein Platz, wo die Leute spielen, singen und tanzen, ist Gegenstand einer über Jahrhunderte hin anhaltenden kirchlichen Reglementier~ng*"~. Treffend stellte Ph. Aries dazu fest : 'la coexistence au mime endroit, dans le cimetiirc mediivai. des inhumations et. i la fois, des reunions publiques. des foires ou des commerces, des danses et des jeux mal fames, indiquait qu'on ne marquait pas aux morts le respect que nous croyons leur devoir aujourd'hui: on vivait avec eux dans une familiarite qui nous parait aujourd'hui presque i n d e ~ e n t e ' ~ ' ~ . Die enge Verbindung zwischen der Siedlung der Lebenden und jener der Toten seit der Spätantike kann geradezu als Indikator für die Kraft der darin zum Ausdruck kommenden Auffassung von der Gegenwart der Toten gelten. Im umgekehrten Sinne ist es dann zu deuten, wenn viele Jahrhunderte später die 'Kirchhöfe' durch außerhalb der Siedlungen angelegte 'Friedhöfe' ersetzt werden, ein Vorgang. der sich vor allem seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rasch und irreversibel vollzogen hat 2 0 6 . 'O' Die Integration der Totenstätten in die monastischen und geistlichen Siedlungen zeigen der St. Galler Klosierplan (9. Jh.) und der Plan von Canterhury ( I 2 Jh.). vgl. Irsne. Hirioire. pp. 1 2 9 s "' Karl Siegfried Bader, Do.7 miriclalrerliche Dorf 01s Friedem- und Rcc1,ishereich (Weimar, 1957). pp. 96s. und 125~s.;K.-C. Kramei, Art. 'Friedhof. Holond~önohuch:irr dcuisclicn Red,isgcrd8iclirc. 1 (1971). col. 1297.1298: Kyli. Tod. pp. 89ss. Zum Asylrecht pp. 89ss Fcincr Chiffoleau. La ro,~,piohilii6d? IUudes Friedhofs auch Hüppi. Kur~.~i, dcli (wie Anm. 2). pp. 1 5 4 s l o 3 Kyll, Tod. pp. 81ss. 'O" Zahlreiche Beispiele bei Jeannc Ferre. La rii, r<alijiiru~e donr I<,.$ciunpagn<,.fpparisiennes ((1622.1695) (Paris. 1962). p. 332s.; Hüppi. Kunsi. p. 130s.: Kyll. Tod. pp. 955s.: Lebrun, Les 18ommes e, la morr en Atvou, p. 478; Gabriel Le Bras. L'6gli.w ei le i.ilio,ge (Paris, 1976), pp. 70ss. 'Os Philippe Aries. 'Contiibution h I'ttude du culte des morts 3 I'epoque conternporaine', in Ders., Essnis. pp. 143-156. p. 147. Vgl. Dens., L%o>nmedevoni In rnori. p p 6855. Dazu unten Abschiiitr V. Zur geschichrlichen Bedingrheit der Terminologie 'KirchhoT,'Friedhof vgl. Hüppi. Kt,>iii. pp. 8 4 s und Aries. L%oniiii<~ <l<,rniir10 ,>ioii. pp. 58ss. In den bisher vorgetragenen Überlegungen wurde die Auffassung von der Gegenwart der Toten chronologisch zurückschreitend zunächst von neuzeitlichen Texten her erschlossen, im Blick auf die Formen der Memoria in monastischen, geistlichen und laikalen Gruppen während des Mittelalters verdeutlicht und schließlich auch als Grundlage für Grabbrauch und Totenmahl in der Antike nachgewiesen. Diese Sichtweise steht im Widerspruch zu anderen Deutungen des mittelalterlichen 'Totenbrauchtums '. In seinem 1972 erschieneiie~iBuch über Tod, Grub, Bcgrüb~iisplaiz. Torrn/cier hat N. Kyll den Totenkult des Mittelalters und der Neuzeit im Trierer Land und in Luxemburg untersucht und dabei auch auf die Vorstellungen von den Toten geachtet. Kyll zog eine scharfe Trennung zwischen traditionellen volkstümlichen, 'außerkirchlichen Brauchformen' und den 'kirchlichen Formen', zu denen er auch die monastischen stellte. Dem Gegensatz der Formen entspreche ein inhaltlicher: er drücke sich aus als Gegensatz zwischen germanisch-heidnischem und christlichem Toteiibrauchtum, und zwar dahingehend, da0 der christliche Totenkult vom Gedanken der Fürbitte für die Verstorbenen getragen gewesen sei, das 'bodenständige Brauchtum' germanischer Provenienz dagegen wesentlich apotropäischen Charakter gehabt habe, das heißt vom Gedanken der Abwehr des Toten bestimmt gewesen sei und den Schutz der Lebenden vor ihm bezweckt habe. Nach germanisch-mittelalterlicher Auffassung lebe der Tote in irgendeiner Form weiter, er gelte als böse und gefahrlich, Furcht vor dem Toten sei deshalb das dominierende Moment des 'volkstümlichen Totenkults'. Dieser sehe im Toten vor allem den 'Lebenden Leichnam'. 'Das Brauchtum um die ... aufgebahrte Leiche wird vom Gedanken der Gefährlichkeit des Toten beherrscht und führt zu Sicherheits- und Abwehrmaßnahmen', die dem 'volkseigeneii Glauben an den 'Lebenden Leichiiam'entspringen' "'.Auch die im Haus gehaltene 'familiäre Totenfeier' sei im Mittelalter wesentlich vom Glauben an den 'Lebenden Leichnam' und von der Furcht vor diesem beherrscht gewesen2''. Diese Auffassung, in der viele seit Jahrzehnten vorgetragene Forschungsthesen zusammengefaßt sind, soll im folgenden analysiert werden im Hinblick auf: (1) die Lehre vom 'Lebenden Leichnam' und von der lo7 'Os Kyll, Tod. p. 30. Vgl. p. 31 und 37. Ebd. p. 170s. und 199. Dominanz der Furcht vor dem Toten: (2) die These einer germanischen Kontinuität dabei: (3) die Lehre eines kontradiktorischen Gegensatzes zwischen 'volkstümlichem' und 'kirchlichem' Totenkult. Im Anschluß daran können dann (4) die Bedingungen für die Entstehung der Lehre vom 'Lebenden Leichnam' erörtert werden. 1. Der Vorstellung vom 'Lebenden Leichnam' sind wir in unseren Erörterungen über die Auffassung von der Gegenwart der Toten anhand neuzeitlicher, mittelalterlicher und antiker Texte bisher nicht begegnet209. Dies ist kein Zufall. Die Vorstellung vom Toten als einem gekhrlichen, dämonischen 'Lebenden Leichnam' erschließt sich nämlich nicht so sehr aus der Analyse geschichtlicher Zeugnisse, sondern vielmehr und in erster Linie aus begriffsgeschichtlichen und forschungsgeschichtlichen Analysen. Auf diesen Sachverhalt hat vor einiger Zeit G. Wiegelmann aufmerksam gemacht und bemerkt: 'Die Geschichte des Begriffs "lebender Leichnam" bietet ein lehrreiches Beispiel, wie neue Prägungen ... nicht nur klären, sondern auch neuen Irrtum stiften können'"'. Der Begriff ist noch sehr jung. E r entstand in den Auseinandersetzungen mit den 'Animismus'-Theorien des englischen Kulturanthropologeii E.B. Tylor(1871) und des deutschen Philosophen W. Wundt (1905/09)"', denen bald nach der Jahrhundertwende, vor allem in Deutschland, von Prähistorikern, Rechtshistorikerri, Ethnologen, Vö1kcrkundlern und Germanisten irn Zeichen dieses Begriffs 'präaiiimistische' Theorien entgegengesetzt wurden, die den Körper des Toten und die Furcht vor diesem in den Mittelpunkt rückten2". Der Begriff 'Lebender Leichnam' wurde damals so schnell rezipiert und verbreitet, d a ß er schon um 1930 'beinahe zum Schlagwort geworden' war"? Seine endgültige Prägung geht wohl auf den Rechtshistoriker H. Schreuer der 1916 seine verdienstvollen umfassenden Untersuchungen über die Vorstellungen vom Toten als Rechtssubjekt im Mittelalter in "' Vgl. dazu auch die Fesisiellungen von Ksrl Heinrich Krüger. 'Grabraub in erzählenden Quellen des frühen Miirclaiteis'. in Zutit Grnhfi-evei(wie Anm. 63). pp. 169-187 (P. 186s.). " O Güntei Wicgeimann. 'Dei "lebende Lcichnam" im Voiksbiauch'. Zeiischrif, jiii Volkskunde. 62 (1966). 161-183 (das Ziiat p. 161). "' Vgl. W.E. Mühlmann. Art. 'Animismus'. in Di? R~ligio>iin Ge.rc/iicliie und G e ~ o i i i a r l I.. 3. Aufl (1957). col. 389-391. Zur F~rschungsgeschichte vgl. Geiger. Art. 'Leiche'. in Hoithi.tjrrcrhue/i der ~IeuuchenAher~lnuhoü.5 (1932/33), col. 1024-1060. hier col. 1025~s.:Wiegelmann. 'Dcr "lebende Leichnam"'. pp. 161s~.Zur Entstehung des Begriffs 'Präanimismus' vgl. Ranke. fiie>tvcrehiung, p. 20 Anm. I So die Feststellung von Gcigei, Art. 'Lciche', col. 1025. Sachliche Vorbehalte gegen die 'präanimisrischen' Theorien äußerte schon Ranke, Toim>,erehru?ig.p p 20ss. "' diesem damals höchst aktuellen Begriff zusammenfaßte. Kennzeichnend für die Forschungsdiskussion über 'Animismus' und 'Präanimismus' ist, daß sich nicht die rechtshistorisch präzisen Beobachtungen und die einschränkende Verwendung des Begriffs bei Schreuer215durchsetzten, sondern vielmehr die ungenauen, generalisierenden Annahmen des Germanisten H. Naumann"? auf den sich auch N. Kyll beruft2". Allein schon dieser Sachverhalt gibt der kritischen Frage G. Wiegelmanns die Berechtigung, was an diesem 'literarischen Schwerpunkt' denn nun eigentlich 'der Wirklichkeit e n t ~ p r a c h ' ~ 'zumal ~, die Entstehung des Begriffs 'Lebender Leichnam' und sein erstaunlicher Erfolg im wesentlichen ein typisch deutsches Phänomen war. G. Wiegelmanns Hinweis auf die Verkettung der präanimistischen Thesen mit der 'Gemanenmode des frühen 20. Jahrhunderts' benennt deshalb einen bemerkenswerten Umstand219.Allein schon von daher ist die wissenschaftliche Tragfähigkeit des Begriffs 'Lebender Leichnam' fragwürdig. 2. Niemand wird leugnen, daß es im Mittelalter apotropäische Maßnahmen gegen die Möglichkeit einer Wiederkehr von Toten gegeben hat *" und da8 das Motiv des zurückkehrenden und deshalb fnrchterregenden Toten zum Beispiel in der nordischen Literatur des Mittelalters begegnet221.O b dafür der Begriff 'Lebender Leichnam' zutreffend ist, blieb indessen selbst innerhalb 'präanimistischer' Debatten kontroNiemand wird bestreiten, daß die Furcht vor dem Toten stets ein Element des Totenkultes ist. Fraglich ist hingegen. ob sie das dominierende Element des Totenkultes ist. Folgt man N. Kyll, so wäre 'die Frage, o b die Furcht vor dem Toten ein Urelement der Leichenbräuche oder erst späteren Ursprungs ist, ohne Bedeutung"*< Diese Annahme geht indessen über die schon 1951 von K. Ranke getroffene Feststellung "' Schieuei. 'Das Recht der Toten'. p. 352. Vgl. Geiger. Air. 'Leiche', col. 1027. Schreuer. 'Das Recht dcr Toten', p. 2 Anm. I "<' Hans Naumann. 'Primitiver Totcnglaube'. in Ders.. Primiiii,e Gonei,«kqfirka/iirr (Jena. 1921). pp. 18-60: einc forschungsgeschichrliche Sclbsrdcuiiingebd. p. 22 Anm. I . Zur Beurteilung bereits treffend Gcigei. Art. 'Leiche'. col. 1027 und neuerdings Wiegelniann. 'Dei "lebende Leichnam"'. p. 162s. "' Kyll. Tod, p. 30. "* Wiegelmann. 'Der "lebende Leichnam"'. p. 164. "" Ebd. p. 164. "' Vgl. Fischer. Sli.q(en. pp. 49ff. "' Hans-Joachim Klare. 'Die Toten in der altnordischen Literatur'. Acro ohilolo~ica Scnndinavico. 8 (1933i34). 1-56. Entzeeenzeseizle Auffassunzen darüber bei: Schreuer. 'Das Recht der Toten'. D. 2s. .. . Anm. I : Naumann. 'Primitiver Totenglaube': Klare, 'Die Toten': Geiger. Art. 'Tore (der)'. fiotidiiörierhucii des d<,t>irche,iAherg/auhe,rr. 8 (1936137). col. 1019-1034 (col. 1024s). Kyll. Tod. p. 30. "" "' hinweg, daß die Frage 'Furcht vor dem Toten oder Sympathie für ihn' von 'größter Bedeutung' seix4. Ranke hat diese Frage in seinen umfassenden Untersuchungen über die indogermanische Totenverehrung dahingehend beantwortet, daß der Ehrung des Toten und dem Gedanken der Verbundenheit mit ihm im europäischen Bereich, bei Griechen, Römern, Germanen und Slawen eine ungleich größere und bedeutendere Rolle zukomme als der Furcht vor den 'das starke Hereinragen der Totenwelt in die Verhältnisse der Lebenden ... ist nur möglich, wenn die Beziehungen zu den Verstorbenen keine ahwehrenden, gespannten oder auch nur gleichgültigen, sondern vertraute, d. h. nicht gemütliche, sondern auf Sitte und Gesetz aufgebaute waren'**'. Es geht hier also nicht um Gefühle, sondern um rechtliche Bindungen. Mit der Feststellung Rankes ist aber zugleich die Frage nach einer spezifisch germanischen Kontinuität apotropäischer Totenfurcht und Totenabwehr im 'volkstümlichen' Totenkult des Mittelalters negativ beantwortet. In den Totenmählern, wie sie im Mittelalter, bei den Griechen. den Römern, den frühen Christen begegnen, äußert sich eine freundschaftliche Verbundenheit mit dem Totenn2. Dies entspricht im übrigen dem Sinn des gemeinsamen Essens und Trinkens, das grundsätzlich und stets Verbundenheit und Versöhnung bedeutet und 3. Grundlage auch der mittelalterlichen Auffassung vom Recht der Toten ist nach H. SchreuerZz9der 'schlicht monistische' Gedanke des 'Lebenden Leichnams', aus dem sich durch 'fortschreitende Abspaltung', durch 'Spiritualisierung', die Seelen-Vorstellung entwickelt habe. Es ist deshalb nur konsequent, wenn Schreuer gerade diese 'Spiritualisierung' verantwortlich machte für das allmähliche 'Entschwinden des Verstorbenen aus dem Rechtsverkehr', für das Verblassen der Auffassung vom Ranke, Toien,,erehrung. p. 371. Ranke, Toiorverehrurig. p. 371s.: vgl. bereits Rohde, P.r?chc. p. 249. Feiner Karl Fiölich. 'Germanisches Totenrecht und Tatenbrauchlum im Spie;el neucrer Forschung'. Hesrische Blüricr/ür Volkskutide. 43 (1952). 41-63, bcs. p. 56s. '>"anke, Tolcnrerchrung. p. 372. "' Ranke, Torcnverebrung, pp. 185~s..bes. 189s.. 201. 270: das gemeinsame Mahl verbindet 'den Toten und die Hinterbliebenen zu lebendiger Einheit und Freundschaft'. Vgl. auch Günter Wiegelmann-G~rtrudFrauenknecht. 'Das Totcnmahl'. in Arlm dcjr deurscheu Volkskunde. Neue Folge. Eriüuerungcn. I (Maiburg. 195964). p. 393 $ I ; Löffler. Tore>throuchrum.p. 247s. Zu den Deutungen der Totenmahls im apotiopäischcn Sinn "$1. oben Anm. 145. (Tübingn. 1958). Vgl. Hans von Hentig, Voui tirii>rzu,:: </er H<~,ik<~rr»iiih/;cii pp. 2 6 4 s : K-S. Kramer. Art. 'Mahl und Trilnh'. f~ri>,ilir<irr<~r/i>tc/? zur </eui.v<hct,R ~ r h i g~,.~chi</ii<~. 17. Lief. (1978). col. 154.156. nq Vgl. Schreuer. 'Das Recht der Toten'. pp. 4255s. und die Zusammenfassung seiner Thesen in dem A n . 'Totenrecht' (wie oben Anm. 67): hiciaus die folgenden Zitate im Text. Toten als Person. Verantwortlich ist nach Schreuers Auffassung vor allem das Christentum. insbesondere die mittelalterliche 'Kirche'. dieden Totenkult und die Auffassung von der Rechtspersöiilichkeit des Toten für den Heiligen mit Zähigkeit verteidigt. jedoch 'für die übrigen Sterblichen zerstört' habeu0. Nun haben aber zahlreiche neuere Forschungen über die liturgische Totenmemoria in Klöstern und Stiften gezeigt2", da5 auch diese Memoria die Auffassung von dem Toten als Rechtssubjekt zur Grundlage hat. Freilich kann N. Kyll zur Begründung seiner Annahme eines Kontrasts zwischen 'volkstümlicher' Abwehr des bösen Toten uiid 'kirchlicher' Fürbitte für den Toten auf die kirchlichen Verbote hinweisen, die sich im Mittelalter üher Jahrhunderte hinweg gegen carmina diaholica super morruos, also gegen 'teuflische Gesänge' bei der Totenwache, gegen Tänze (salrariones).Scherze (ioca),lautes Gelächter (cacl~ini~r), gegen Essen und Trinken (hihere. nzanducare) in Gegenwart des Toten richtetenz3'; dergleichen wird in diesen Verboten stets als teuflisch und heidnisch bezeichnet. Ähnliche Verbote betreffen die Totenfeier im Kreis der Verwandten und die sacrificia nlorruoru~noder ohlarioiies adsepulcra nlorruorunl. das heißt die T ~ t e n m ä h l e rDie ~ ~ These, ~. hier handle es sich wirklich um germanische Bräuche apotropäischen Charakters kann zwar den Wortlaut zur Begründung anführen, sie Iä5t jedoch ganz außer acht, da5 dieser Wortlaut in einerspätantik-christlichen Tradition von Verboten steht. die seit dem 8. Jahrhundert wieder aufgegriffen und zitiert wird'". Diese Texte deuten also zunächst einmal auf eine Kontinuität von M e i n ~ n g e n *etwa ~ ~ üher das Totenmahl, und nicht zuerst auf die soziale Wirklichkeit mittelalterlicher Totenmähler selbst236.Eine Inter- '" SSchreuer. 'Das Rccht der Toteii'. p. 429. Vgl. die oben Anm. 55 genannten Arbeiten von K. Schmid iind J . Wollasch. "' Kyll. Tod. pp. 305s. "' Diese Begriffe in Papstbriefen des 8. Jh.: Die Briefe d m bciliycn Bo,iifniiu.~uiid Lnllur. ed. Michael Tangi. MGH Epp. seiectae I (Berlin. 1955). p. 69, 71, 100. 174. Nrn. 43s.. 56. 80; bei Regino. De.sjiiodn/ih~« coi«ir 1. 398 (ed. Wasserschieben. p. 180s.) und bei Burchaid von Worms. 'Coriecior' (Dccr. XIX. Migne PL 140. col. Y(*). Zur Interprctation: Kyll. Tod, pp. 17iss. und cbenso Werncr Danckeit. tinelirlirhc Leure(Bern-München, 1963). pp. Slss.: Hoiger Hornann. Der I ~ ~ < l i c tsupcr.~iiiionuni ~/u~ ri pogoiiiaru,>i und rer,iu~~dir Denkmülo (Diss. phil Göttingen, 1965). pp. 245s. Methodisch umsichtiger habcn das Problem behandelt Wilheim Boudriot. Die oli~ornonisclie Religion in der anulichcn kircbliclierz Liieroiirrde.~Ahoz<iiandec v o m 5 hii 11. Johrhiinder!. Untersuchungen zur allgemeinen Religionsgeschichte. 2 (Bonii, 1928). pp. 50s. und Hamening. Stlpenlirio (wie Anm. 163). pp. 160ss.. vgl. 197s. "'Vgl. die Nachweise oben p. 50s. niit Anrn 163. ''I Dazu neuerdings dic Unteisuchung von Hamening. Si,pcrsriiio. "'Auf einen analogen Sachverhalt in der Geschichte der miitelalteilichen Gilden und ihrer Beurteilunp von sciten kiichlichcr Autoren weist hin Oerle. 'Die mirtelaiteilichen "' des 17. Jahrhunderts das 'Leben' des 'toten' Körpers zunehmend Gegenstand gelehrter medizinischer Traktate wirdz4%Vor allem seit dem 18. Jahrhundert hat dieses Thema die Menschen immer mehr beschäftigt und zwar in der Gestalt des Entsetzen einflößenden lebenden Toten und der Gestalt des durch menschliche Machinationen belebten Leichn a m ~ Nekrophilie ~ ~ ~ . ist ein erst seit dem 18. Jahrhundert häutiger ~ . Furcht, lebendig begraben zu werden, werdendes P h ä n ~ m e n ' ~Die beginnt seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, vor allem aber seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Testamenten eine Rolle zu spielen und wird eine der großen Obsessionen des ausgehenden 18. und noch des 19. J a h r h u n d e r t ~ ' ~An ~ . die Stelle der Vertrautheit mit dem Toten ist die Befremdung getreten, die sich in einer auf die Leiche bezogenen dialektischen Verbindung von Abscheu und Faszination Ausdruck verschafft dies ist ein ausschließlich neuzeitliches, ein modernes P h ä n ~ m e n * ~ In '. der modernen juristischen Terminologie meint der Begriff des 'Toten' nur noch die Leiche248.Das moderne Friedhofs- und Bestattungsrecht wird 'maßgebend' nur noch von dem gesundheitspolizeilichen Gesichtspunkt bestimmt. 'die lebenden Menschen vor dem im Zersetzungsprozeß befindlichen Leichnam zu schützen, diesen also auf eine Art und Weise zu beseitigen, daß die in ihm liegende latente Gefahr nicht zum Ausbruch kommen kann'249. Die wissenschaftlichen Lehren vom 'Lebenden Leichnam' können als ein Teil dieses grundlegenden Mentalitätswandels aufgefaßt werdenZ50. Anders gesagt: die Kontroverse zwischen 'animistischen' und 'präanimistischen' (d. h. auf den 'Lebenden Leichnam' bezogenen) Theorien ist Ausdruck modernen DenkensZS1,dessen Distinktionen sich von mittel- "' Aiits. Llomn>ede,wi>,iio mori, pp. 3 4 7 s "* Ebd. pp. 363ss. und 382s. "' Ebd. pp. 3 6 7 s und 38Sss. Ariis. L'izomme derarir io mori, pp. 3 8 9 s ; Chaunu. La nrori 6 Paris, pp. 4 3 7 s : Favre. Lo nzori. pp. 3 6 5 s Ein Symptom ist der Bau von Leichenhäusern, der seit dem 18. Jh. propagiert wird: dazu aiich Hans-Kort Bochlke. 'Üher das AuRommcn der Leichcnhäusei'. in Wie iiic Alien rioi Tod y<~i>il<i<,t. W<i>iriiir>ig<,tid ~ r S<ai>irik,aikrtin<r . 1750.1850, Kasseler Studien zur Sepulkralkultur. I (Mainz. 1979). pp. 135-146. "' Aiiis. L'honime dewnr 10 niori, pp. 369 und 385ss. "' Strätz. Ziviirechiiiche A.~pekie.p. 7. "'Gacdke. Handbuch. p. 9: vgl. ebd. p. 18: 'Friedhöfe ... dicnen der Bestattung menschlicher Leichen und damit der Abwehr von Gefahren. welche der öffentlichen Ordnung andernfalls in gesundheitlicher. sittlicher und religiöser Beziehung drohen würden'. '" Auf den Zusammenhang dieser Lehre mit dem Vampirisrnus-Thema hat bereits hingewiesen Wiegelmann. 'Der "lebende Leichnam"', p. 164s. Vpl. dazu bereits dic Bemerkungen von Walter F. Otto. Die Monen oder Von den U"[orrncn des Toie>,giouho?s(Berlin, 1923). pp. 3 8 s '"<' alterlichen oder antiken Texten her gar nicht ergeben. Da diese Erkeiintnis von der historischen Gewordenheit und Bedingtheit der Theorie vom 'Lebenden Leichnam' nicht allgemein bewußt ist, sind auch heute noch Fiktionen möglich wie diese, daß es in Europa eine 'historische Entwicklung' gebe 'von der Leiche (!) als handlungsfähigem Agens zur Leiche als Ding'252. Mit diesen Beobachtungen ist abermals der Mentalitätswandel des 18. Jahrhunderts in den Blick gekommen, in dem sich die Auffassungen von den Toten und deren Status tiefgreifend veränderten. Abschließend seien deshalb in Kürze die vielfältigen Faktoren und Vorgänge erörtert, in denen das allmähliche Verblassen der Vorstellung von der Gegenwart der Toten zum Ausdruck kommt. Das Verblassen der Auffassung von der Gegenwart der Toten ist nicht Ergebnis eines plötzlichen Wandels, sondern eines langen WrindlungsProzesses, in dem die unterschiedlichsten Faktoren und Gegebenheiten einwirkten. Die Heterogenität dieser einzelnen Momente ist dabei besonders bemerkenswert. Der lange dauernde Prozeß hat freilich seine entscheidende Phase im 18. Jahrhundert erreicht, was in Goethes Walilverwandtscliaf~entreffend dokumentiert ist. Die großen Mortalitätskrisen des Spätmittelalters, vor allem die Pestepidemien des 14. J a h r h ~ n d e r t s *haben ~ ~ das Denken über den Tod und die Toten im Okzident tiefgreifend verändert? ES ist bekannt, daß die Menschen des 14. Jahrhunderts als eine besonders erschreckende Folge der Pest das Erlöschen aller Verpflichtungen gegenüber dem Mitmenschen, auch gegenüber den nächsten Verwandten feststellten2ss. SO Fuchs. Toderhiidcr. p. 148. Biraben, Les hornme.~r.1 lo pesic. Ein neuer Forschungsbericht von deutscher Seite: Neithard Bulst. 'Der Schwarze Tod'. Sneculuni. 30 (1979). 45-67. l" Zusammenfassend zuletzt Ruggieio Rornano - Alberto Tenenti. Die Gru>idIe~un~ d o modernen Weh. Fischer Weltgeschichte. 12 (Frankfuit a. M.. 1967). pp. I 16ss.: Werner Goez. 'Die Einstellung zum Tode im Mittelalter'. in Der Grcnzhereich zu-irclicn k h e n i i ~ d Tod(Göttingen, 1976). pp. I 11-1 53 (pp. 138ss. mit Hinweis auf die durch die Pesrepidemien seit dem 14. Jh. vcranlaßtcn oder mir bedingten neuen Phänomene. 'Totentanz' und 'Ars rnoriendi7. Vgl. auch AriCs. L%onime dei,ont 10 nrorl. pp. 112~s..dcr allerdings (pp. 125~s.) den Zusammenhang mit den Mortalitätskrisen des 14. Jh. teiliveisc in Frage steilt. Anders wiederum Chaunu, Lu mori U Poris, pp. 1 7 6 s ' s 5 Vgl. Goez. 'Die Einsieliung zum Tode'. p. 138s.: Bulst. 'Der Schwarze Tod', p. 57s. mir zahlreichen Nachweisen. 252 "' Grundlegend jetzt nicht auf der von den medizinischen Autori:äten damals vertretenen Theorie der 'verpesteten' Luft, sondern auf dem vom Erfahrungswissen des Alltags bestätigten praktischen Prinzip der Absonderung der Kranken, der Sterbenden, der Toten aus dem Kreis der Für die Pesttoten legte man schon 1348 und danach im Lauf des 14. und 15. Jahrhunderts noch oft in vielen Städten neue Friedhöfe außerhalb der Mauern an, weil der Platz nicht ausreichte oder aus Hygienegründen'"'. Auch in Tournai ordnete die Obrigkeit 1348 die Anlage zweier neuer Friedhöfe außerhaih der Stadt an. doch erhob sich dagegen heftiger Widerstand der Einwohner, die vom Begräbnis der Ihren auf den Pfarrkirchhöfen nicht lassen wolltenz6'. Die Behandlung der Toten wie Dinge, die Trennung der Toten von den Lebenden, zu denen sie gehörten'6', sind Folgen der Pestkrisen des Spätmittelalters. die spätere endgültige Entwicklungen bereits sichtbar werden lassen. Neben der Mortalität gehört die von der Pestfurcht ausgelöste Mobilität zu den charakteristischen Erscheinungen der spätmittelalterlichen Krisenzeit 2 6 3 . Die Flucht vieler Menschen aus ihrem Heimatort gefahrdete die Memoria, die sie ihren Toten schuldeten, oder machte diese unmöglich. Mortalität und Mobilität sind deshalb Ursachen dafür. daß die Sorge um die eigene Totenmemoria im Spätmittelalter einen immer größeren Raum im Denken der Menschen einnimmtx4. Deshalb wird im Zeichen der Pestepidemien nicht nur die Zahl der Testamente signifikant größer2'" sondern es wird auch die Sorge der Menschen um das rechte Begräbnis und die Eiiihaltung der Memoria ein bedeutsamer Gegenstand testamentarischer Regelungen: nicht das kleinste Detail "" Biiabcn. I2.s horii»x.r er ia pe.$ie. 2. pp. 1 6 7 s Le.7 l?o>?,m<,.s eei 10 pci,e. 2. pp. Ihirs. Zahlieichc Einreiheispiele bci Karl Lechncr. Das pro* Sierho, itt Dcair~it/o!~d iin <I<*,Jcihi-oi 1.748 his 1351 (Innsbruck. 1884). pp. hhss.: Hüppi. Xieui. pp. 7 8 s ~ Piiilip : Zicplcr. 7 . 1 ~Wric/<D<,o,h ( 0 . 0 .I<lil). pp. l56ss.: Harald Cl;iiii(. 'Fricdliöl'c in Xüriihcrg'. in, l l i ? <li<,liicli <lvii ~or>d,r~~I~il<k~! (wie Anrii. 246). pp. 171-172. 'b' Alfred Coville. 'Eciits coniempoiains sur la peste de 1348 i 1350'. in Hirioirc lii14rnire de la Fiance. 37 (Paris. 1938). pp. 325-390, p. 385 (Giiles i i Muisis). Ein ähnlicher Fall aus dem 17. Jh. hei Hüppi. Kunst. p. 206. ''2 Dic schon im Hochmitielalicr begegiiendcn Anldgcn von 'Eici>den'- uiid Lcprosenfricdhöfcn abseits (Hüppi. Ku!,rr. pp. 78ss.) gehöreii deshalb nicht in denscibcn Zusammenhang. '" Vgl. Birabeii. Le.7 hommer ei in pe.sie. I . pp. .;IOss. und 2. pp. l60ss. I"" Vg:. dazu den Beitrag von lacqiies Cliiffalcau in dicscni Rand iind Dcis.. Lu iotnpiuhiliri <I? i'ou-dein (wie Anm. 2). '<" Ahasver von Brandt. ~Miiiciolieriich~ Bürger-iesio»z<,t?ic.Siizungsbericiiic dcr Heidelbergei Akademie der Wiss., Phil.-hisi. Kiassc. Jahrgang 1973. 3. Ab11 (Hcidelhcrg. 1973). pp. 13ss. '" Dazu Biiöheii. erscheint überflüssig2"'. Außerdem Iäßt sich ein gesteigertes Verlangen nach einem Begräbnis im Kirchengebäude beobachten 267. Die 'Elendengilden', deren wichtigster Zweck die Fürsorge für Fremde im Leben und nach dem Tod war. und die seit Beginn des 14. Jahrhunderts 'fast gleichzeitig an den verschiedensten Ecken Deutschlands a~ftauchen"~', sind ebenfalls als unmittelbare Reaktion auf Mortalität und Mobilität im Spätmittelalter zu bewerten. Die Sorge um die Totenmemoria, die in Stiftungen wie in dcr Mitgliedschaft in Bruderschaften zum Ausdruck kommt, ist ein höchst charakteristisches Element der Sozialgeschichte des 14. und 15. Jahrhunderts; dies ist längst bekannt"? Aber erst die neuere intensive Erforschung der Krisen des Spätmittelalters hat den Blick für die Zusammenhänge zwischen Mortalitätskrisen, Religiosität und bestimmten Formen des Sozialverhaltens im Alltag dieser Zeit geschärft 2 7 0 . Bekanntlich sind es gerade diese Erscheinungsformen des Sozialverhaltens und der Religiosität: die Totenmemoria, die Stiftungen, die Bruderschaften, die dann am Beginn des 16. Jahrhunderts von Seiten der Reformatoren einer scharfen Kritik unterzogen wurden2". Die Deutung der spätmittelalter- '"" Maiic-ThiiCse Lorcin. 'Trois inaiiiCres d'entcriemcni d Lyon dc 1300 2 1500'. R e w e hii~oriqt~e. 261 (1979). 3-15, hcs. p. 6 und 15. '"'Michel Moilat. 'Notes sur la moitaliri i Paris au temps de la Pestc Noiic d'apies lcs comptes de i'ceuvrc de Saint-Germaiii-I'Auxerrois'. L e »>oi.et, <gc. 69 (1963). 505.827; Bulst. 'Dcr Schwarze Tod'. p. 63. ' e 9 ~ i ü b e idie (allerdings unbefriedigcndc) Monographie von Einst V . Moeiiei. Die Uende>rhrüdcr.rch(~/i<,t? (Leipzig. 1906). das Zitat hier p. 173. Neuerdings Richard Lauiner, 'Die "Elenden-Bruderschafi" zu Trier im 15. und 16. Jahrhundert‘. Johrhsri~.für>ic.sideuir<ii<Ilii~~le.~ge.schiilii~. 4 (1978). 221-237. '"' VgI. die klasiischc Darstellung von Willy Andieas. Dci<irch/<iridvor d o Re/<ir»,oiion. 5. A u f l (Stuttgait. 1948). pp. 1475s.: feinci Fiancis Rapp. l.'&/ise ei 10 vie rriiyi<mi;e epi Occide>i,U /<ifi,, dir tnovol üge. Nouvelle Clio. 25 (Paris. 1971). pp. 128s.. 152~s..3 0 3 s Grundlegend für die 'Bruderschahen' des Mittelalters ist jetzl G.G. Meersseman. Ordo f~r«er>,iio~i.%. 3 Bdc.. ltalia Cacra. 24-26 (Roma. 1977): ugi. A. Vauchez - R. Manselli. 'Ordo fiaiernitatir', Ril.i.wi di Siorio ~I~lIil C'/ii<,,~o in /,o/io. 32 (1978). 186-202. "" Anrcgungsreich dazu Feidinand Scibt. 'Die Krise der Frömmigkeit - - die Frömmigkeit aus der Krise. Zur Religiosität des späteren Mittelalters'. in 500 Jahre Ru.se>~hro,i; (Köln. 1975). pp. 11-29 Vgl. auch Heiko A. Oberman. 'The Shape of Lale Medieval Thought : the Biithpangs of the Moderii Eid'. in Charlcs Trinkaus - - Heiko A. Oberman, eds.. Tiie Pur.~i<i!qf H<ilinc.ss in h , c Mcdicval o>ir/ Ro,<ii.~.so>?cc Religion. Studies in Medieval arid Reformation Tliought. 10 (Lcidcn. 1974). p p 3-25 und Francis Rapp. 'La iiforrne religicuse er la midiiation de la moir 6 la iin d c moyen Zgc'. in La niori oe nioyo, üyr (wie Anm. 2). 53-66. > 7 a Allgemein Jean Delumeau. 'Les rCfomateurs cr la superstition'. in Acter dii Coiioyirc'L'iiiiiirai<lcColi~ni.e i ratz io>ip,~'(Paiis, 1974). pp. 4514287. Zur Auffassung von den Toten: Bcrnard Vogler. 'La ICgislation sur Ici sCpultures dans I'AIlemagne piotcsiönte au XVI' siecle'. Rcvitr d1isioii.e niodwne o co>ii~rnporai!w.22 (1975). 191-232. Zur lichen Totenmemoria, der Stiftungen und der Bruderschaften und die Frage nach ihrer Bedeutung für die Reformation sind deshalb nach wie vor ein zentraler Gegenstand der Refonnationsgeschichtsschrcibu~~'~~. In zwei frühen Schriften Martin Luthers aus dem Jahr 1519 wird deutlich, wie sich in der Konsequenz theologisch-religiöser Reflexionen die Auffassung von den Toten verändert. In dem Sermor, von der ßereituirg zum Sierheri stellt Luther die Verbindung des Sterbenden mit seinem Erlöser in den Vordergrund; die 'Werke', das heißt die sozialen Handlungen der Hilfe für den Sterbenden und den Toten treten zurück 2 7 3 . Komplementär dazu sind die Thesen des Serinoii von dein lrocllwürdigen Sakraineizi des heiligen Leichilan~sC l ~ r ~ sund i i voir rlei? Bruderschafteii aus demselben Jahr2'". der unter Verwendung alter amtskirchlicher Argumentationen 2 i V i e Bruderschaften wegen ihres 'heidnischen, ja säuischen Wesens' verurteilt und damit einen Pfeiler der Totenmemoria im Alltagsleben jener Zeit in Frage stellt. In diesen Zusammenhang gehört auch Luthers Äußerung über die Kirchhöfe in den Städten in seiner Schrift Oh inan vor dem S/erheriflieheir in@? von 1527, eine Antwort auf die entsprechende Anfrage des Reformators J . Heß während einer Pestepidemie in Breslau. Luther erinnert an die Auffassung der Ärzte seiner Zeit, wonach 'aus den grehern dunst odder dampff gehe. der die lufft verrücke', die - treffe sie zu - Grund genug sei, die Kirchhöfe aus der Stadt hinaus zu verlegen. Dies sei aber auch geboten durch das Beispiel der Juden und der Heiden und es sei nicht nur ein Gebot der Not, sondern vielmehr auch der 'andacht und ehrbarkeit'; denn 'ein begrebnis solt ja billich ein feiner stiller Ort sein, der abgesondert were von allen örten, darauff man mit andacht gehen und stehen kündte', während Wertung der Vorgänge vgl. Picrre Chaunu. 'L'histoire serielle. Bilan et perspectives'. Renic /,is,oriqur, 243 (1970). 297-320. p. 320. Dazu Joseph Lori-. Die Re/ormaiion in Dcuisch!nnd. 1. 4. Aufl. (Fieihuig-BasclWien. 1962). pp. 9 6 s : Jcan Delumcau. Noicronce ei afiir»ia,io>,dc !o Relbrme. Nouvelle Clio, 30 (Paris. 1965). pp. 48ss und 2 7 2 s : Rapp, ~ ' ~ , i iei. 10 ~ cvie rciisieu.%e,pp. l5Sss.. 315sr.. 3 4 7 s Zu den neuerdings wieder sehr lebhaften Debatten über die spätmittelalteiliche sog. 'Volksfrömmigkeit' vgl. Bernd Moeller. Frömmigkeit in Deutschland um 1500. Archiv f?r Re/orma~ion.~~escliici~ie. 56 (1965). 5-31 und jüngst dic methodisch weiterführenden Beitiäge von Hansgeoo Molitor. 'Frömmigkeit in Spätmittelalter und früher Neuzeit als historisch-methodisches Problem'. Fcriqabefir Erizri Waller Zeerlen. Reformarionsgcschichtliche Studien und Texte. Supplementband 2 (MünsleriWstf.. 1976). 1-20, und von Alphonse Dnpront. 'La religion populaire dans I'histoiie de I'Europc occidentale'. Revup d'Hirioire de l ' E ~ l i , de ~ c France. M (1978). 185-202. "' Luiherr Werke, Weimarci Ausgabe. 2 (1884). pp. 685-697. Dazu treffend Gocz. 'Die Einstellung zum Tode'. p. 144s. "'Luiherr WUIerke.Weimarer Ausgabe. 2 (1884). pp. 742-758. Oexle. 'Die mittelalterlichen Gilden', p. 212s. "' ''' Beziehungen zwischen Lebcndcn und Toten. für die Gegeiiwart der Toten. an deren Stelle jetzt freilich das Vergessen zu treten drolic'"'. Es ist dcrselbe Gedanke, den Morus Jahre zuvor in seiner Ufiiopin als charakteristisch für die Lebensformen der Utopier beschrieben hattezR' und dei: zur selben Zeit der jüngere Holbeiti. an? Hof Heinrichs Vlfl. tätig. in Bilderii ausgedrückt hat '". Bei der Bewertung der geistigen Auseinandersetzungen des heginnenden 16. Jahrhunderts über die Totenmemoria sollte man nicht vergessen, daß hier vielfach ältere Auffassungen zusammengefaßt und pointiert vorgetragen wurden. Die Ablehnung der Totenmemoria hat bei 'häretischen' Gruppen im ganzen Mittelalter eine bedeutsame Rolle gespielt, zumindest behaupteten dies ihre 'orthodoxen' Gegner2V Kritik an bestimmten Formen der Totenmemoria wurde im Spätmittelalter aber auch bei 'orthodoxen' Autoren laut, vor allem im Zusammenhang von Kritik an den Bruderschaftenzs6. Luthers Polemik gegen das 'heidnische, ja säuische Wesen' der Bruderschaften bedient sich, wie erwähiit. eines sehr alten Motivs kirchlicher Kritik an den Gilden und Bruderschaften. Es erscheint abermals im Zeichen der geg.enreforrnatorischen Erneuerung der Kirche287und wird dann im 18. Jahrhundert voii seiten des 'aufgeklärten' Episkopats erneut vorgetrageiiZ8'. In seinem Kampf gegen die Beisetzung im Kirchengebäude seit dem 16. Jahrhundert konnte der Episkopat unmittelbar an die spätantike und mittelalterliche kirchliche Gesetzgebung anknüpfen2". Das stufenweise Erlöschen älte- "'A.a.0. p. 288. 3345s.. bcs. 138s.: vgl. Maic'hadour p. 139. 262~s..b c i 273s. '" Vgl. ohcn Abschnitt 1. "" Vgl. z. B. die Darstelluns Heinrichs V11 und Heinrichs V l l l in der National Poitiail Gallery London. Trapp - Schulte Heibrüggen. 'Tii? K i n g i ChodSoi.nrii'. p. 48s. Ni. 71. Allgemein zu solchen Bildern Philippe AriCs. Geicliichie der K;>,dliei, (MünchenWicn. 1975). pp. 101s. und479si. und Ocxle. 'Mcmoria uiid Memorialhild'(ii.ie A n n i 136). Abschniitc V und VI. Vgl. den Bericht dci Annalen von Klosterrath übci die Lütticher Häretiker von 1135. MGH SS 16, p. 71 1 : den Bericht des Petius Venciahilis über Petei von Bruis. abgedruckt in Iames Feains. ed., K e ~ i c r iold Ko;crhekämp/ir~if in? Hoch>,iiiieiairei. Historische Texic. Mittelalter. 8 (Göttingen. 1968). p. 20; die Polcmik des Alanus von Lilie. Co~zirah a o ~ i i c o i1. 72 und 11. 12s. (Migne PL 210. col. 373s. und 388~s.). 18" Si die Beispiele bci Kyll. Tod. pp. I57ss Über die Kritik an dcn Biudenchaftcn Gabricl Le Bras. hiider de roeiologie reiigieuse. 2 (Paris. 1956). pp. 420ss. und 456ss. '*' Allgemein dazu Jean Delumcau. Le cßilioiicis>nc enrrc Lsr1,cr ei Volinii-c. Nouveile Clio. 30his (Paris. 1971). pp. 27.3~~. lind Dcis.. 'Les itforriiateiirs et la sopersiitio<. pp. 4 7 8 s Zahlreiche Hinweise dazu hei Maurice Agulhon. P@niie>,isei Fi-<i>tcs-.Ma~o~is dc i'ancioine Provence (Paris. 1968). pp. 120ss. und 1 2 4 s Philipp Hofmcistm. 'Das Gotteshaus als Bcgräbnisstätte'. A r c l i i ~ f i i rkniholircher Kircl>e>,reiiil. l i 1 (1931 ). 450487: AriCs. L'lzonin~edcmnr 10 »?ort. pp. 5 4 s rer Auffassungen im 18. Jahrhundert, ablesbar am Rückgang der Sorge um das eigene Begräbnis und die eigene Memoria, am Rückgang der Bedeutung der religiösen Gilden und Bruderschaften, an der Rückläufigkeit der mit der Memoria verbundenen Armenfürsorge hat neuerdings M. Vovelle in seinem Buch über Piere baroque ei d4chrisiianisarion en P r o v e i ~ c eau XVlll' .si;cle in der Auswertung von Testamenten sehr eenau beohachten können2''. Ein Netz jahrhundertealter Solidarität 29' hat sich damals unwiderruflich aufgelöst. Mit Recht hat man darauf hingewiesen, daß solche Vorgänge nicht so sehr unter dem Stichwort einer 'Säkularisierung' oder 'Entchristlichung' ('dechristianisation') behandelt werden sollten'92. Es handelt sich viel~ ~ , Auflösung bestimmter sozialer mehr um eine ' d e s o ~ i a l i s a t i o n ' ~eine Bindungen, ein Vorgang, der die soziale Sphäre grundsätzlich, also jenseits weltanschaulicher, religiöser oder gar nur konfessioneller Kontroversen bestimmte und veränderte und der - merkwürdig genug von führenden Vertretern der christlichen Konfessionen. auch vom Episkopat der römischen Kirche, befördert wurde. Den gravierendsten Ausdruck fand diese 'desocialisation' darin, daß vor allem seit dem Ende des 17. Jahrhunderts die Sitte des Begräbnisses in der Kirche mehr und mehr angefochten wurde und schließlich auch die Kirchhöfe ans den Siedlungen entfernt wurden, der 'Friedhof' an die Stelle des 'Kirchhofs' trat. 'La desocialisation du deces ... se traduit.. par un divorce, qui dissocie le village des vivants d'avec le village des morts', 'le peuple des vivants rompt avec le peuple des morts et avec celui des ~ a i n t s ' " ~ . Vor allem im Hinblick auf das 18. Jahrhundert hat die französische Forschung den Vorgang in vielen Einzelheiten erhellt, während die frühen. in das 17. und das 16. Jahrhundert zurückreichenden Zeugnisse dieses grundsätzlichen Wandels noch wenig bekannt sind 2 9 5 . F. Lebrun hat gezeigt, wie im Anjou schon seit dem Ende des 17. Jahrhunderts die - '" Vovellc. PihP hriroqire: vcl. auch Agulhon. P4>,iicnis:Delurneau. Le carholicisme enire Lzoher c i Vohairc. p. 316s. 19' Jean Delumeau. 'Au sujet de l a dkchris!ianisation', Revue d'1,icroire »todernc ei coiiimporiii>ie.22 (19751. 52-60 (p. 55). '"'Dazu Dclumeau. ' A u sujct de la d&chrislianisa!ion'. und Vovelle. 'Les artiiudes devani la rnoi:'. p. 123 und 128. '" Vgl. Chaunu. 'Un noureau champ'. bcs. pp. 118~s..und dazu Le Roy Ladurie, 'Chaunu. Lebrun. Vavellc'. p. 394s. und 401. sowie Vovelle. 'Les artitudes devant la moit'. p. 128. Le Roy Ladurie. 'Chaunu. Lebmn. Vovdle'. p. 396s. '"* Zahlreiche Hiriwcise hci Hüppi. Kiiirrr. pp. 8lss.: AriAs. L7>iioixi>zedevo>>iin ~nori. pp. 313s~. DIE <ill<;E\iWART DEll TOTES 73 Praxis der Beisetzung im Kirchengebäude mit theologischen und moralischen, aber auch mit gesundheitspolizeilichen Argumenten bekämpft wurde'96. Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat die Zahl der Bestattungen in der Kirche stark abgenommen und war seit 1750 auf einen kleinen Personenkreis (Pfarrer, Grundherr) beschränkt'". Seit Ende des 17. und Beginn des 18. Jahrhunderts begann die kirchliche Obrigkeit auch mehr und mehr, sich um die Ordnung auf den Kirchhöfen zu kGmmern, die deshalb in der Folge zu ausgegrenzten Bereichen werden, aus denen sich das Alltagsleben entfernt hat. Für das Anjou der Mitte des 18. Jahrhunderts hat Lehrun festgestellt: 'le champ des morts clos et hien tenu qui, un siecle plus tot, etait I'exception, est devenu La regle'298. Die kleinen Veränderungen im Alltagsleben gingen also den großen öffentlichen Debatten des 18. Jahrhunderts voraus. die schließlich seit den 1760er Jahren in Frankreich in eine prohibitive Gesetzgebung einmündeten299.Die Reflexionen über den vermuteten Zusammenhang zwischen Leichenvenvesung und Pestepidemien waren seit dem 16. Jahrhundert ein ständiges Thema der Mediziner gewesen3oo. Im Jahre 1737 hatte das Pariser Parlament eine Enquete über die Kirchhöfe der Hauptstadt veranlaßt, deren Ergebnisse 1738 veröffentlicht wurden; hier wie in zahlreichen medizinischen Stellungnahmen der gleichen Zeit steht wiederum das Problem der Hygiene im Vordergrund. 1763 und abermals 1765 wurde die Schließung der Kirchhöfe verfügt und das Begräbnis im Kirchenraum eingeschränkt; neue Friedhöfe außerhalb der Stadt seien Lehrun. P. 339. &.Y hommer er 10 rnorr erz AT+. p. 475s. Andere Beispiele bci Hüppi. Ku>i,sr. "' Lebrun. Les hotnmes er 10 morr en A!!iou. p. 482. Vgl. Arier. 'Contribution i l'ktudc du culte des morts', pp. 1 4 5 s Zur Deutung von Aries aber treffend Lebiun a.a.0. p. 480 Anm. I I I . '" Lebrun. Lfr honzrne.7 er lo morr en Anjou. p. 479. mit der Feststellung: 'li semble que les reformateurs catholiqucs du 17" sieclc n'aient vu qu'indicence et iirespect dans des habitudes qui. pour etre parfois inconvenantes. n'en erprimaieni pas moins de f a ~ o n concrete une familiaritk quotidienne avec la rnorl. une piofonde fidiliti A Ibgard des disparus associes ainsi etroitement i la vic des vivants. et au total u n certain sens religieux. En forcant peu a peu ces gens simples A iampre avec des habitudes siculaires sous pritexte de leur inculquer unc notion du sacrk. austere, abstraite et dipouillie, ces reforrnaieurs ont peut-etre manqui compiitement leur but et pikpark au contraire Ies dCsaffections ult&rieuies'(p.4 7 9 f Zu diesem Thema auch Ferte, Lo rie religieure. p. 104s. und Le Bras. L'gglisc er Ic village. pp. 7 1 s 19' Darüber Madeieine Foisil, 'Les attitudes devant la moit au XVIII"si&cie:skpultures et suppressions de sCpultures dans Ic cimetikre parisien des Sainrs-lnnocents'. Revue hirrorique, 251 (1974), 303-330, pp. 3 1 6 s ; Aries, L%o>nmedei,onr In nzorr. pp. 4 7 2 s : Chaunu. ia morr G. Paris. pp. 4 3 2 s Arie$, L%o>nmedei,oni In nzori. pp. 4 7 0 s einzurichten: in diesen dürften Epitaphien nicht mehr auf den Gräbern errichtet, sondern nur noch an der Umfassungsmauer angebracht werden3O'. Zahlreiche Gutachten von Ärzten wiesen damals darauf hin. daß verwesende Leichen die Luft verderben und dadurch die Ausbreitung von Epidemien gefördert werdeN0".Mit den Schlagwörtern 'proprete' und 'sante' hatte schon seit 1743 der Abbi Poree die Schließung der Kirchhöfe als ein Gebot des Fortschritts und der Kultur g e f ~ r d e r t " ~ . Daßdie traditionelle medizinische Miasma-Theorie. deren Unhaltbarkeit durch die Jahrhunderte anhaltenden Pestepidemien eigentlich ebenso erwiesen war wie durch die von ganz andcren Vorstellungen ausgehenden erfolgreichen Maßnahmen gegen die Pest und deren endgültige Widerlegung durch die neue Epidemiologie damals kurz bevorstand, noch einmal bemüht wurde, zeigt mit aller Deutlichkeit, daß diesen Debatten nicht neue zwingende Erkenntnisse über den Tod zugrundelagen, sondern daß sich die Einstellungen gegenüber den Toten irreversibel verändert hatten. Die Denkschrift der Pariser Pfarrgeistlichkeit gegen die Bestimmungen von 1763 und 1765 macht dies ganz deutlich304. Gleichwohl war es vor allem der Episkopat, der in Frankreich die neuen Denkweisen propagierte: die Bischöfe waren es' die im Juli 1775 für ganz Frankreich das Verbot der Beisetzung im Kirchengebäude und die Entfernung der Kirchhöfe vor allem aus den städtischen Siedlungen forderten und damit den Anlaß gaben für die entsprechende Deklaration Ludwigs XVI. vom März des folgenden JahresJ0'. Sogar im Denken des Episkopats war die Vorstellung von der Gegenwart der Toten und ihrer sozialen Beziehung zu den Lebenden, anschaulich geworden in der Verbindung von Pfarrei und Kirchhof, völlig verdrängt durch gesundheitspolizeiliche Erwägungen. Wohl an keinem anderen Sachverhalt könnte deutlicher gemacht werden, wie radikal die Vorstellung vom Toten als Person substituiert wurde durch die neue Vorstellung vom Hüppi. Kumi. p. 339. Foisii. 'Les attitudes devani la mart'. D. 319s.: AriCs. L%o»itiierlevonr 10 ,iiori, DD. .. 4 7 4 s : Favre. Lu nrori. pp. 2445s. und 25lss. Aufschiußrcich in dieser Hinsicht ist der Vergleich zwischen dem Art. 'CimetiCre (Jurispr.)' und dem Art. 'CimetiPre (MCdecine)' in der Encyclop~die(NouvcllcEdition. Geneve 1778. Bd. 8. pp. 91-95): aufder einen Seite eine nüchterne Bestandsaufnahme der rechtlichen Gegebenheiten. auf dcr anderen cin ernphatischer Plädoyer für 'Humanität' und 'Glück der Gesellschaft'. die durch die - mit der Miasma-Theorie begündcte Verlegung der Friedhöfe ~eförderiwüidsn. 'O' Foisil. 'Les attitudes devant la moit'. p. 320s.; Favre, Lu mori. pp. 2525s. "'Foisii. 'Les atiituds devani la mort-. p. 322s.: vgl. Lebrun. Les hom»te.s e, 10 tnori C,I Anjou. p. 480s. 'Or Lebrun. Lc.? homtirer ei io mori e>iA ~ j o i r .p. 480s.; Foisil, 'Les attitudes devant la mori'. p. 327: Favre. Lu mori. p. 255. '01 )Oi Toten als Leiche. deren Anwesenheit als störend, ja als gefährlich gilt und die deshalb entfernt werden muß306. Die vielfach laut werdenden, insgesamt aber doch geringen Widerstände gegen die neuen Gesetze und gegen die darin vorgebrachten Argumente3"' zeigen im übrigen, daß auch die Widerstrebenden oft im Bann der neuen Vorstellungen standen3"'. Auch in anderen Ländern vollzog sich dieser Wandel, wohl nicht ohne Beeinflussung durch die Vorgänge in Frankreich, seit den sechziger und siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts sehr rasch. Eingehende Untersuchungen stehen allerdings noch ausMq.In Österreich wurde bereits 1751 die Beisetzung in den Kirchen verboten; 1772 hat Joseph 11. abermals. 'aus allermildester Fürsorge für den allgemeinen Gesundheitszustand'. das Begräbnis in Pfarrkirchen eingeschränkt und durch gesundheitspolizeiliche Auflagen erschwert; ein Hofdekret befahl schließlich 1784 die Schließung aller Kirchhöfe innerhalb der Ortschaften und ordnete neue Anlagen außerhalh an' außerdem wurde die Errichtung von Grabdenkmälern auf dem Grab verboten - Monumente wurden nur an der Friedbofsmauer zugelassen"". Bereits 1775 war das Asylrecht der Kirchhöfe aufgehoben worden. In Preußen geschieht dies 1785311.Das preußische Allgemeine Landrecht bestimmt 1794: 'In den Kirchen und in bewohnten Gegenden der Städte sollen keine Leichen beerdigt werRegelunzen gab es in vielen anderen deutschen d e ~ ~ ' ~ Ähnliche '*. Territorien313. Zum ersten Mal in seiner Geschichte erscheint der "" Darii trrffei~dLcbril~i.Lcr hoi,iiiic,.r C I /C ~tiori~1 .liijorl. p. 481s.: vgl. ohcn Ahschliiti V . "'' Hüppi, Kzi~iiiri.p. -341s.: Arik. L'l?o»ene d?i-atir la mort. pp. 479s. Sehr anschaulich zu diesem Thema die Fallstudie von Alain Lottin. 'Lcs rnorts chassLs de la cirC. "Lumihes et PrkjugCs": les "Cmcures" n Liile (1779) er i Csmbiai (1786). lori du rransfeil des cimetieres'. R p r i i ~du Nord. 60 (1978). 73-103. 'Os Hüppi, Kumt. p. 341s.. 348: Lebrun. Ler hornme.~ci In »iorr o Anjou. p. 486. 'Oo Zahlreiche Hinweise bei Hüppi. Kumi. pp. 344ss.. bes. über die Schweiz. pp. 346ss. Eine prägnante Formuliemng der neuen Auffassungen stammt von dem Basler Bürger E. Burckhardi-lselin: 'Böhnen SicdenToien dcn Weg außen der Stadi. so verpflichten Sie die Lebenden durch gesundere Luft. und die Philosophie gewinnt wiedcr einen Schritt über das Vorurteil. Es sei mein Nachbar in der Erde. wer cr wiolle. vor Gott sind wir alle gleich. Epitapliieri. Ehiensäitleii in Kiicligängcn sind Schwiichlicitcn!' (zit bei Hüppi a.a.0. p. 347). "O Fritz Hawelka, Siudieri iuin iirierreiciiircben Frie<li,q/sreci,i, Wiencr Staatswisscnschaitliche Studien. 6 1 (Wien-Lcipzig. 1904). p. I2 Anm. 1: die ßcstimmungen von 1772 und 1784 sind abgedruckt in Wic die Alro, den Todgrhildei (wie Anm. 246). p. 232s. "' 1% die A l ~ c ndeki Todgehn'dci. p. 234: Hüppi. Kumt. p. 96. ' I 2 Der Text bei H e m a n n Schütze. ed., Friedliofi- und Bestnirii~~grrcd~i (Köln-Berlin. 1958). p. 118. 'I3 VgI. Kyll, Tod. p. 105s.; Edmund Gassner. 'Der Alte Friedhof in Bonn'. in Wiedie Alten den Todgg~hildei,pp. 159-166 (p. 160). Friedhof damit ganz und gar als ein Gegenstand des öffentlichen, d. h. des staatlichen und des kommunalen RechtsH4. Die aus den Siedlungen verbannten Friedhöfe werden dann aber, in Frankreich noch vor der Revolution, wie Ph. Ariis gezeigt hat, Gegenstand auch ganz anderer Überlegungen, die sich auf die Gestaltung der neuen Friedhöfe beziehen und in denen sich politisch-soziale Vorstellungen von einer idealen Ordnung der Gesellschaft spiegeln; ebenso zeigt sich jetzt auch das Bemühen, den Friedhof als einen Garten und als eine . in Deutschland wurden am Ende ideale Landschaft zu f ~ r m e n " ~Auch des 18. Jahrhunderts die Monumente der Kirchhöfe Gegenstand denkmalpflegeri~cherSorge~'~. wurde überhaupt die Gestaltungdes Friedhofs ein Element kameralistischer Bemühungen um 'Lande~ordnung'~". In wachsendem Maß hat seitdem der Friedhof neue Funktionen erhalten: er wurde zum öffentlichen Park3I8. Friedhof und Totenkult wurden damit zugleich auch Objekte einer neuen Sensibilität, einer 'romantischen' ZuwendungZL9. Die neue Deutung des Friedhofs als eines dem 'Andenken' der Toten gewidmeten Orts. der zugleich ästhetische. iiistorisch-antiquarische und ökonomische Reflexionen auf sich zieht3>"-dies alles wird in Goethes W a h l v e r ~ v a d t c h a e nprägnant vorgestellt und es wird zugleich der Kontrast zum Gedanken von der 'Gegenwart' der Toten verdeutlicht. An die Stelle des Toten als Person, als Rechtssubjekt und Subjekt von Beziehungen der menschlichen Gesellschaft ist nun die Leiche getreten, 'das Ding', wie man sagt, das übriggeblieben ist 3'L. Zugleich aber ist die Leiche doch kein 'Ding' wie andere Dinge. Die Rechtslage des Leich- '" Jung. Srooi u>idKir<I,e.pp. 12ss. Übcr erste Ansätze in dieser Richtung als Folgeder Reformation ebd. p. 10s. und Gaedke. Hnndhuch. pp. 5sr. "' Aries. Lirommi ~ l e v a ~lot ~~norr.pp. 493~s.:vgl. CM.pp. 4 9 9 s und 509ss. eine Analyse der Denkschriften, die in cinem 'Concours' des Institut dc Fiance 1801 eingereicht wurden, und des Dekrets vom 12. Juni 1804. 'I6 So in dci Denkmalschutzveroidnung von Hessen-Kassel vom 29. Doember 1780. V:!. Wie die Alren de,, Torlpehildci, p. 265 N r . 201 '" Ein frühes Beispiel von I807 wird erörtert in W-iedie Alren den Tod~ehildci.p. 239s. 'IS Dazu Hüppi. Kiuix. pp. 38% Vgl. auch die Debatten des 19. Jh.: AriPs, 'Coniiibution i l'ftude du culrc des morts', pp. l5Oss. VgI. oben Anm. 24 Übcr Chateaubriand. Dcr Eintritt des Friedhofs in die Poesie beginnt in England mit der 'Elegie' von Thomas Gray (1749), dazu Hüppi. Kun.~i. p. 326 und Aiits. L'hoi>imedc~,onilo mori. pp. 517s~. '" S. obcn Abschnitt ILZur ökonomischen Nutzung: zwar ist bereits aufdem St. Galler Klosterplan des 9. Jh. der klösierliche Friedhof mir Obstbäumen bepflanzt: es darf aber nicht übersehen weiden. daß der Baum hicr auch spirituelle Bcdcutungcn hatte (Paradiesthcma). vgl. Hüppi. Kumt. pp. 107~s..141~s. ''' So Fuchs. Tode.~bilder.p. 71 DIE <iECiENW2ART [>ER TOI'EN 77 nams bleibt juristisch umstritten, was ein geschichtlich bedingter Sachverhalt ist. Denn in den modernen Auffassungen von der Leiche wirken offenkundig die alteren Vorstellungen vom Toten in Spuren weiter: die Leiche gilt nämlich als 'herrenlos', sie gehört niemand, jedenfalls kann sie 'nicht Objekt dinglicher Rechte, insbesondere des Eigentums, sein"'2. Auch die Grabkunst des 19. und 20. Jahrhunderts, vor allem in den Ländern des südlichen und des westlichen Europa, manifestiert noch immer die zumindest latente Vitalität jener Vorstellungen von der Gegenwart der Toten323. 'I1 n'y a... qu'une science des hommes dans le temps et qui sans cesse a besoin d'unir 13&tudedes morts a celle des vivants', so äußerte sich M. Bloch über das Verhältnis von Geschichte und G e g e n ~ a r t ' ~Seine ~. Feststellung kann auch verstanden werden als Hinweis auf die Bedeutung einer 'Geschichte der Toten' für die Sozialgeschichte des europäischen Okzidents. Universität Hannover "' Gaedkc, Handbuch. p. 114 mit dem Zusatz: 'Ein Skelett ist kein Leichnam mehr' und 'Aschenreite gehören zu den Sachen im Sinne des $ 90 BGB'. Vgl. auch Strätz. Zivilrechtliehe Aspekte, pp. Ilss., bes. p. 14. Die These von der Rcchtssubjektivität der ieiche konnte als extreme Position noch neuerdings vertreten weiden. Strätz. p. l2ss. '2%ierru die eindrucksvolle Sammlung von Beispielen bei Michaei Ruetz. !Vekropoli.~. 100 Phorogrophien 1968-1976. A ~ s t e / i r r n g . ~ k o t o (Berlin. lg 1977): Dcis.. Nekropoli.~(München, 1978). "'Marc Bloch. Apoloyic poui. l'l?i.sioire08, »ißti<,r <i%i.r!ori<+,.7. Ailfl. (Paris. 1971). P. 50.