Liebesbeziehungen junger Erwachsener aus Scheidungsfamilien

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Liebesbeziehungen junger Erwachsener aus Scheidungsfamilien
Kathrin Beckh, Sonja Bröning, Sabine Walper & Eva-Verena Wendt
Liebesbeziehungen junger Erwachsener aus
Scheidungsfamilien
Eine Beobachtungsstudie zur intergenerationalen Transmission des
Scheidungsrisikos
Romantic relationships of young adults from divorced families
An observational study on the intergenerational transmission of divorce
Zusammenfassung:
Diese Studie untersucht die Auswirkungen einer
elterlichen Trennung auf Persönlichkeitseigenschaften, Beziehungsqualität und das beobachtete
Konfliktverhalten von 42 jungen Paaren (Durchschnittsalter 22,86 J.; durchschnittliche Beziehungsdauer 3,04 J.). Für dyadische Analysen der
Paardaten wird das Actor-Partner-InterdependenceModel (APIM) herangezogen. Personen aus Trennungsfamilien schreiben sich selbst geringere Beziehungskompetenzen zu und erleben mehr Partnerschaftskonflikte als Personen aus Kernfamilien
(Actoreffekte). Partner von Personen aus Trennungsfamilien berichten einen geringeren Selbstwert und eine höhere Explosivität als Partner von
Personen aus Kernfamilien und erleben mehr Ambivalenzen sowie eine geringere Zufriedenheit in
der Beziehung (Partnereffekte). Neben weiteren
geschlechtsspezifischen Befunden zeigt sich, dass
die Beziehungsdauer viele Zusammenhänge moderiert. U.a. zeigen Männer aus Trennungsfamilien
weniger autonome Verbundenheit im beobachteten
Konfliktverhalten und dies insbesondere in längeren Beziehungen. Möglicherweise stellt die Partnerwahl einen wichtigen Faktor bei der intergenerationalen Transmission des Trennungsrisikos dar.
Abstract:
This study investigates the consequences of parental separation on personality variables, relationship quality and observed conflict behavior of
42 young German couples (average age = 22.86;
average relationship duration = 3.04). The actorpartner-interdependence model is used for dyadic
data analysis of couple data. Individuals from separated families report weaker relationship skills and
more relationship conflicts than individuals from
nuclear families (actor effects). Partners of individuals from separated families report less self-worth
and more explosiveness than partners of individuals from nuclear families and experience more
ambivalence and less satisfaction in their relationship (partner effects). Besides some gender-specific findings, the relationship duration moderates
the association of family type with many correlations. Among others, men from separated families
exhibit less autonomous relatedness in their observed conflict behaviour and this is more pronounced in long-term relationships. Our findings
suggest that mate selection could be an important
factor in the intergenerational transmission of
separation risks.
Schlagwörter: Scheidung, junges Erwachsenenalter, Beziehungsqualität, Interaktionsverhalten, intergenerationale Transmission, Dyadische Analysen, Partnerwahl
Key words: divorce, young adulthood, relationship
quality, interaction behavior, intergenerational
transmission, dyadic analyses, mate selection
Zeitschrift für Familienforschung, 25. Jahrg., 2013, Heft 3 – Journal of Family Research
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K. Beckh et al.: Liebesbeziehungen junger Erwachsener aus Scheidungsfamilien
Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass eine Trennung oder Scheidung der Eltern für die
betroffenen Kinder nicht nur einen Risikofaktor hinsichtlich ihres Wohlbefindens, ihrer
schulischen Leistungen und ihrer sozialen Beziehungen darstellt (z.B. Amato 2001;
Storksen et al. 2006), sondern zudem ein Belastungspotenzial für spätere Liebesbeziehungen im Erwachsenenalter birgt: Es gilt inzwischen als gut belegt, dass Kinder aus Trennungsfamilien auch selbst ein erhöhtes Scheidungsrisiko aufweisen (z.B. Amato/ DeBoer
2001; Diefenbach 2000; Diekmann/Engelhardt 2002; Dronkers/Härkönen 2008) und eine
geringere Beziehungsqualität erleben (z.B. Cui/Fincham 2010; Kunz 2001). Sie beschreiben
ihre Liebesbeziehungen als konfliktreicher (z.B. Booth/Edwards 1989; Tallman et al. 1999),
weniger vertrauensvoll (z.B. van Schaik/Stolberg 2001; Jacquet/Surra 2001) und haben weniger Zuversicht in die langfristige Stabilität ihrer Beziehungen (z.B. Whitton et al. 2008).
In einer Reihe von Studien lässt sich darüber hinaus ein geringeres Commitment sowie positivere Einstellungen gegenüber einer Scheidung nachweisen (z.B. Cui/Fincham 2010; Cui et
al. 2011; Miles/Servaty-Seib 2010; Riggio/Weiser 2008; Weigel 2007). Die Befundlage ist
jedoch keineswegs eindeutig, denn einige Studien finden keine Unterschiede hinsichtlich
der Intimität in Liebesbeziehungen von Personen aus Trennungsfamilien (z.B. van
Schaik/Stolberg 2001; Burns/Dunlop 2000) oder beziehungsrelevanten Einstellungen bzw.
Commitment (z.B. Booth/Edwards 1989; Jacquet/ Surra 2001; van Schaik/Stolberg 2001).
Somit ist eine differenzielle Sichtweise angezeigt, die nach zentralen Transmissionsmechanismen des Scheidungsrisikos fragt. Unser Blick richtet sich hierbei nicht nur auf
problematische individuelle Merkmale und Beziehungskompetenzen von Individuen aus
Trennungsfamilien, sondern auch auf das Interaktionsgeschehen in der Dyade.
1.
Erklärungsansätze zur Transmission des Scheidungsrisikos
Eine elterliche Trennung stellt eine Kumulation von Stressoren dar, die oft bereits lange vor
der Trennung sowie auch in belasteten Kernfamilien wirken (Amato 2010, 2000). Es ist daher weder möglich noch sinnvoll, die nachfolgend dargestellten Erklärungsansätze für die
Transmission des Trennungsrisikos voneinander zu „isolieren“. Während manche Ansätze
die Tatsache der elterlichen Trennung als eigenständigen Stressor für die betroffenen Kinder
betonen, stellen andere vor allem vermittelnde Variablen wie Erziehungsverhalten, elterliche Konflikte oder ökonomische Deprivation in den Vordergrund (Walper/Beckh 2006).
Diskutiert wird auch ein möglicherweise schwieriges genetisches Erbe, das eine Scheidung
durch die Weitergabe problematischer Persönlichkeitseigenschaften wahrscheinlich macht
(z.B. Jocklin et al. 1996). Mittlerweile gibt es jedoch Hinweise, dass der genetische Einfluss
z.B. bei externalisierendem und antisozialem Problemverhalten im Zusammenhang mit einer Trennung oder Scheidung der Eltern hinter dem Umwelteinfluss zurückbleibt (D’Onofrio 2004).
1.1 „Push-Faktor“ und ungünstige Partnerwahl
Scheidungsbedingte Stressoren wie ökonomische Deprivation, geringere elterliche Zuwendung und höhere Anforderungen an die Eigenständigkeit der Kinder (Sessa/Steinberg 1991)
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können dazu führen, dass die betroffenen Kinder früher die Schule verlassen, seltener studieren, und damit ökonomische Belastungen in ihren weiteren Lebensverlauf mitnehmen
(McLanahan/Bumpass 1988). Dieser „push-Faktor“ aus dem Elternhaus besteht auch auf
emotionaler Ebene. So wurden für Kinder aus Trennungsfamilien eine frühzeitige Aufnahme erster romantischer Beziehungen (Gray/Steinberg 1999), eine frühere Heirat (z.B.
Wallerstein/Lewis 2001), und eine erhöhte Anzahl an Sexualpartnern nachgewiesen (z.B.
Sinclair/Nelson 1998). Durch das frühzeitige Verlassen der Familie im sehr jungen Erwachsenenalter machen diese Personen häufig relativ frühe Erfahrungen in außerfamilialen Beziehungskontexten. Booth und Edwards (1989) sehen dies als möglichen Risikofaktor, da
Kinder geschiedener Eltern möglicherweise zu problematischen Partnerwahlstrategien neigen, indem sie jung heiraten und bei der Partnerwahl weniger selektiv vorgehen.
Aber auch die einer Partnerschaft zu Grunde gelegten Bewertungen könnten Einfluss
auf problematische Partnerwahlprozesse nehmen: Wer in seinem Elternhaus eine konfliktbehaftete und instabile Paarbeziehung beobachtet hat, besitzt möglicherweise niedrigere
Ansprüche an die Qualität und Stabilität der eigenen Paarbeziehung (Weigel 2007). Darüber
hinaus wird das Partnerwahlverhalten nicht nur durch die wahrgenommene Ähnlichkeit in
der Attraktivität eines Partners bestimmt, sondern auch durch das eigene Selbstbild: Wer
sich selbst mehr positive Eigenschaften zuschrieb, war auch in der Wahl des Partners selektiver (Buston/Emlen 2003). Da eine Scheidung oder Trennung der Eltern sich auch negativ
auf das Selbstbild auswirken kann (Walper/Beckh 2006), könnten Kinder aus Trennungsfamilien unbewusst weniger selektiv in ihrer Partnerwahl vorgehen, was wiederum das
Scheidungsrisiko erhöhen würde. Das Partnerwahlverhalten im Kontext von Trennung und
Scheidung ist bislang kaum erforscht (Erola et al. 2012), wobei es insbesondere an Untersuchungen mangelt, die auch Beziehungswahrnehmung und das Verhalten der Partner mit
einbeziehen.
1.2 Elterliche Konflikte als Sozialisationskontext
Die Auswirkungen von Partnerschaftsproblemen der Eltern auf Verhaltensprobleme der Kinder in deren Partnerschaft sind gut belegt (Amato/DeBoer 2001; Conger et al. 2000; Halford
et al. 2000; Herzog/Cooney 2002). Insbesondere elterliche Konflikte vor, während und nach
der Trennung scheinen eine problematische Entwicklung der Kinder zu begünstigen. So berichten Booth und Edwards (1989), dass der negative Einfluss unglücklich verheirateter Eltern auf die Partnerschaft der betroffenen Kinder wesentlich größer war als der Effekt der
Scheidung an sich. Elterliche Konflikte beeinträchtigen dabei die Eltern-Kind-Beziehung
(„spill-over“-Effekt; Stone et al. 2002; Walper/Schwarz 2001; Riggio 2004), was sich in einer geringeren Verhaltenskontrolle durch die Eltern, inkonsistentem Erziehungsverhalten, geringerer Wärme und emotionaler Verfügbarkeit sowie psychischen Kontrollmechanismen
wie intrusivem Erziehungsverhalten oder Koalitionsdruck äußern kann. Hieraus resultiert
häufig externalisierendes und internalisierendes Problemverhalten der Kinder (Davies et al.
2002), welches dann die spätere Gestaltung intimer Beziehungen unterminieren kann.
Die populäre Annahme vor dem Hintergrund sozial-kognitiver Lerntheorien, Kinder
übernähmen aggressiv-feindseliges Konfliktverhalten ihrer Eltern im Sinne des Modelllernens, konnte hingegen empirisch nicht bestätigt werden (Davies et al. 2002; Conger et
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al. 2000). Diese Annahme setzt voraus, dass das Verhalten vor allem bei guter Beziehung
zum Rollenvorbild imitiert wird. Stattdessen sind es neben der beeinträchtigten Beziehung zu den Eltern, vor allem die intensiven emotionalen Stressreaktionen der Kinder
bei elterlichen Auseinandersetzungen, welche die emotionale Sicherheit der Kinder beeinträchtigen und Ängste bezüglich der Stabilität von Beziehungen auslösen (Cummings/
Davies 1994). Warme und entwicklungsangemessene Erziehungspraktiken der Eltern sowie eine sichere Bindung an die Mutter fördern hingegen soziale und emotionale Kompetenzen und somit einen Interaktionsstil, der sich positiv auf die spätere Beziehungsgestaltung des Kindes auswirkt (Conger et al. 2000; Winter/Grossmann 2002).
1.3 Kognitionen und Einstellungen zu Partnerschaft und Familie
Obwohl elterliche Konflikte sich als starker Einflussfaktor erwiesen haben, sprechen einige
Befunde für eine zusätzliche Wirkung des Trennungsereignisses an sich. Walper und Beckh
(2006) berichten, dass die elterliche Trennung einen eigenständigen negativen Effekt auf die
Liebesbeziehungen Jugendlicher hatte, selbst wenn die Qualität der Beziehung zur Mutter
sowie elterliche Konflikte kontrolliert wurden. Amato und DeBoer (2001) zeigten in einer
Längsschnittstudie, dass Scheidungskinder ein erhöhtes Risiko für eine eigene Scheidung
aufwiesen, Kinder aus konfliktbehafteten Kernfamilien jedoch nicht. Hier war das Scheidungsrisiko für Kinder besonders hoch, wenn Eltern ein niedriges Konfliktniveau berichteten. Sie folgern daraus, dass die elterliche Scheidung als Möglichkeit zur Auflösung einer
Beziehung erlebt wird, so dass Beziehungen als weniger verlässlich eingeschätzt werden.
Daraus könnte eine niedrigere Bindung an die Ehe („Commitment“) resultieren, die wiederum für niedrigere Investitionen in das unsichere Lebensmodell „Ehe“ sorgt. Tatsächlich belegt eine Reihe von Untersuchungen ein geringeres Commitment für Scheidungskinder sowie eine positivere Einstellung gegenüber einer Scheidung (z.B. Cui/Fincham 2010; Cui et
al. 2011; Miles/Servaty-Seib 2010; Whitton et al. 2008). So findet eine Reihe von Studien
bei Scheidungskindern weniger positive Einstellungen zu Beziehungen und Familie
(Burns/Dunlop 2000; Cui/Fincham 2010; Riggio/Weiser 2008; Weigel 2007; Whitton et al.
2008). Insgesamt ist die Befundlage jedoch nicht eindeutig. So finden eine Reihe von Studien keine Unterschiede im Hinblick auf Commitment oder die Einstellungen zu Partnerschaft und Scheidung (z.B. Booth/Edwards 1989; Jacquet/Surra 2001; van Schaik/Stolberg
2001; Riggio 2004). Die vorsichtigere Einstellung, die Kinder aus Trennungsfamilien gegenüber Beziehungen an den Tag legen, muss aber nicht notwendigerweise im Sinne einer
sich selbst erfüllenden Prophezeiung wirken. Hetherington und Kelly (2003) stellen fest,
dass junge Menschen aus Trennungsfamilien sich zwar für „scheidungsgefährdet“ halten,
im Leben und in ihren Partnerschaften aber oft gut zurechtkommen. Vielleicht ist ihre
Wahrnehmung auch nur besonders sensibilisiert für das Auftreten von Beziehungsschwierigkeiten.
1.4 Prozessorientierung und dyadischer Blick
Wie die bislang berichteten Befunde zeigen, kann eine elterliche Trennung einen Risikofaktor sowohl für individuelle Merkmale von Erwachsenen aus Scheidungsfamilien als auch
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für die Partnerwahl und somit die Passung der Partner darstellen. Wenig Augenmerk wurde
bisher jedoch auf die Dynamik gerichtet, die sich in einer Beziehung zwischen den Partnern
über die Zeit hinweg entfaltet. Einige Autoren haben jedoch bereits darauf hingewiesen,
dass die Bedeutung von Einflüssen aus der Herkunftsfamilie sich mit der Eigendynamik von
Kommunikationsprozessen in Liebesbeziehungen im Laufe der Zeit wandelt. Schneewind
und Gerhard (2002) untersuchten über fünf Jahre den Einfluss von beziehungsrelevanten
Persönlichkeitsfaktoren (Beziehungskompetenz, Empathie und Vulnerabilität) und Konfliktlösungsmustern des Paares auf die Beziehungszufriedenheit. Ihre Befunde zeigen, dass
der Umgang mit Konflikten in der Partnerschaft über die gesamte Zeit stark durch die Persönlichkeit der Partner geprägt wird. Am Anfang der Beziehung hatten Persönlichkeitsfaktoren jedoch noch einen starken direkten Einfluss auf die partnerschaftliche Zufriedenheit,
während diese nach fünf Jahren ausschließlich durch den gemeinsamen Konfliktlösungsstil
mediiert wurden. Die Persönlichkeitsfaktoren korrelierten jedoch durchgehend stark mit den
Konfliktlösestilen, sodass von einem dauerhaft starken (wenn auch zunehmend indirekten)
Effekt gesprochen werden kann. In ähnlicher Weise fanden Karney und Bradbury (1997),
dass Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus nur zu Beginn auf die Beziehungszufriedenheit einwirkten, während nach vier Jahren nur noch die beobachtete Interaktion zwischen den Partnern die Zufriedenheit mit der Beziehung vorhersagte. Tallman et al. (1999)
stellten ebenfalls fest, dass sich individuelle Faktoren wie eine elterliche Scheidung, Erfahrungen im Elternhaus oder negatives Selbstbild nur im ersten Jahr frisch verheirateter Paare
einen direkten Einfluss auf die Häufigkeit und Intensität partnerschaftlicher Konflikte haben, während später vor allem dyadische Faktoren (Vertrauen, wahrgenommenes Ausmaß
des Konfliktes) eine Rolle spielten. In einer weiteren Studie zeigten sich Unterschiede zwischen Kindern aus Scheidungs- und aus Kernfamilien nur in kurzzeitigen Beziehungen,
nicht in längerfristigen Partnerschaften (Jacquet/Surra 2001). Die Autoren vermuten daher,
dass Beziehungen eine „heilende Funktion“ haben können, indem sie „Lerngelegenheiten“
für neue Verhaltensweisen bieten (Tallman et al. 1999).
Somit scheint nicht nur wichtig zu sein, was ein Individuum in eine Beziehung mitbringt, sondern auch auf wen es trifft. Owens et al. (1995) untersuchten die Beziehungsrepräsentation von Paaren zu ihren Eltern und zueinander und stellten fest, dass Menschen
mit einer sicheren Bindung zu ihren Eltern, die einen unsicher gebundenen Partner hatten,
innerhalb der Beziehung oft unsicher gebunden waren (genauso gab es auch den umgekehrten Effekt). Daher sprechen die Autoren von einer Ko-Konstruktion der Repräsentationen innerhalb der laufenden Partnerschaft. Zwar stellt das Verhalten den entscheidenden Mediator zwischen den Beziehungspersönlichkeiten beider Partner und der Beziehungsqualität dar, jedoch wird dieses nicht ausschließlich von der Herkunftsfamilie geprägt, sondern orientiert sich auch an dem Verhalten des jeweiligen Gegenübers. So weisen beispielsweise Robins, Caspi und Moffit (2000) nach, dass die Beziehungszufriedenheit von der Qualität der Emotionalität des Partners abhängt. Bisherige Befunde sprechen
dafür, dass insbesondere die Männer in der Partnerschaft durch die Familienkonstellation
der Frau in der Herkunftsfamilie geprägt werden So profitieren Männer aus Trennungsfamilien von einer Frau aus einer intakten Herkunftsfamilie und berichten dann über mehr
Vertrauen in der Partnerschaft (Jacquet/Surra 2001). Umgekehrt zeigen Männer von
Frauen aus Scheidungsfamilien mehr negatives Kommunikationsverhalten und weniger
konstruktives Problemlösen (Sanders et al. 1999).
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2.
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Forschungsfragen und Methode
2.1 Fragestellung
Vor dem Hintergrund des Zusammenspiels zwischen Persönlichkeitsmerkmalen, Kommunikationsmustern innerhalb der Beziehung, Partnerwahlprozessen und dem Einfluss der
Beziehungsdauer ergeben sich für unsere Untersuchung die folgenden Fragestellungen:
(1) Gibt es Zusammenhänge zwischen einer Trennung bzw. Scheidung der Eltern und a)
den Persönlichkeitsmerkmalen bzw. Persönlichkeitsmerkmalen des Partners (Partnerwahlprozesse), b) der Beziehungsqualität und c) dem beobachteten Interaktionsverhalten?
Aufgrund der bisherigen Befundlage wird davon ausgegangen, dass sich in Folge einer elterlichen Scheidung bei Paaren im jungen Erwachsenenalter negative Konsequenzen in allen drei genannten Bereichen nachweisen lassen.
(2) Explorativ werden bei allen Analysen Unterschiede in Abhängigkeit vom Geschlecht
überprüft. Dabei spricht die bisherige empirische Befundlage eher für eine stärkere
Belastung der Frauen aus Trennungsfamilien (Mustonen et al. 2011; Jacquet/Surra
2001; Herzog/Cooney 2002) bzw. für eine stärkere Belastung des Paarsystems, wenn
die Frau aus einer Scheidungsfamilie stammt (Sanders et al. 1999).
(3) Darüber hinaus wird explorativ untersucht, ob die Zusammenhänge zwischen einer
Trennung bzw. Scheidung der Eltern und Merkmalen der Partnerwahl, der Beziehungsqualität und des Interaktionsverhaltens durch die Partnerschaftsdauer moderiert
werden. Die empirische Befundlage spricht dabei eher für eine stärkere Belastung
aufgrund der elterlichen Trennung in kurzfristigen Beziehungen (z.B. Tallman et al.
1999; Jacquet/Surra 2001; Karney/Bradbury 1997).
Die Studie weist drei Besonderheiten im Vergleich mit ähnlichen Studien auf: Zum einen
stützt sie sich nicht nur auf Selbstauskünfte, sondern auch auf Beobachtungsdaten, geleitet von der Annahme, dass problematische Verhaltensmuster den Betroffenen möglicherweise nicht bewusst zugänglich sind. Zum anderen bezieht sie die Auskünfte und das beobachtete Verhalten der Partner mit ein, um zu prüfen, ob ein möglicher Transmissionsmechanismus von Scheidung in einer problematischen Partnerwahl begründet sein kann.
Und schließlich nimmt sie bei der Untersuchung der Beziehungsqualität auch die Beziehungsdauer in den Blick, mit deren Verlauf sich vielleicht auch der Einfluss der Herkunftsfamilie wandelt.
2.2 Stichprobe
Die Daten stammen aus dem DFG-Projekt „Familienentwicklung nach Trennung der Eltern“,
im Rahmen dessen die Entwicklungsverläufe von Jugendlichen aus Kern- und Trennungsfamilien über einen Zeitraum von sechs Jahren bis ins junge Erwachsenenalter verfolgt wurden
(Walper/Beckh 2006; Beckh/Walper 2007). Personen, die zum Zeitpunkt der 4. Erhebungswelle mindestens 18 Jahre alt waren und angaben, aktuell in einer Partnerschaft zu leben,
wurden gebeten, gemeinsam mit ihrem Partner/ihrer Partnerin an einer Intensivbefragung
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teilzunehmen, welche neben einer schriftlichen Befragung auch halbstrukturierte Interviews
sowie eine Interaktionsaufgabe umfasste. Vollständige Daten liegen für insgesamt 48 Paare
vor. Für die vorliegende Studie wurden 6 Paare ausgeschlossen, bei welchen einer der Partner einen Elternteil durch Tod (ohne vorhergehende Trennung) verloren hatte.
Bei den ausgewählten 42 Paaren erlebten insgesamt 39 Personen die Trennung/Scheidung der Eltern (18 Männer, 21 Frauen). Bei 13 Paaren wuchsen beide Partner in einer Kernfamilie auf, bei 10 Paaren erlebten beide Partner eine Trennung oder Scheidung der Eltern,
bei 11 Paaren stammt nur die Frau aus einer Trennungsfamilie, bei 8 Paaren nur der Mann
(Chi2 = .39, df = 1, n.s.). Die Beziehungsdauer betrug im Mittel 3.01 Jahre (SD = 3.74, Range: 0.76-7.50 Jahre), wobei die Trennung der Eltern keinen Einfluss auf die Beziehungsdauer
hatte. Das Alter der Teilnehmer(innen) lag im Schnitt bei 22.86 Jahren (SD = 3.75 Jahre). 12
Paare (28,6%) lebten in einem gemeinsamen Haushalt, wobei alle bis auf ein Paar kinderlos
waren. 73,8% der Teilnehmer(innen) hatten als höchsten Schulabschluss Abitur oder Fachabitur, 19,1% mittlere Reife und 6,0% Hauptschulabschluss oder keinen Schulabschluss.
2.3 Durchführung
Die Paare wurden aus erhebungstechnischen Gründen (v.a. Wegzug der Teilnehmer aus
den zentralen Befragungsorten München, Essen, Dresden, Leipzig und Halle/Saale) zum
Teil bei sich zu Hause, zum Teil in Räumen der Universität befragt. Nach einem gemeinsamen Interview mit beiden Partnern, erfolgte die Videoaufzeichnung eines zehnminütigen Konfliktgesprächs zwischen den Partnern. Im Anschluss daran wurden die Partner
nacheinander getrennt voneinander interviewt, während der jeweils andere Partner einen
Fragebogen ausfüllte.
2.4 Erhebungsinstrumente
Verhaltensbeobachtung
Per Videokamera wurde ein zehnminütiges Konfliktgespräch zwischen den Partnern gefilmt. Das Gespräch wurde mit folgender Frage eingeleitet: „In Partnerschaften gibt es immer wieder auch Meinungsverschiedenheiten. Uns interessiert, wie Sie beide sich bei einem
Konflikt oder einer Meinungsverschiedenheit verhalten. Bitte wählen Sie einen Konflikt
‚mittlerer Güte’, d.h. ein Thema, das bei Ihnen schon gelegentlich mal als problematisch
aufgetaucht ist, aber keines, über das Sie sich ständig in den Haaren haben und wo die Fronten verfestigt sind.“ Nachdem sich die Partner auf ein Thema geeinigt hatten, wurden sie
aufgefordert, sich in die Situation hineinzuversetzen und zehn Minuten über das Thema zu
diskutieren. Die/der Interviewer(in) verließ während des Konfliktgesprächs den Raum.
Die Konfliktgespräche wurden von vier Studentinnen transkribiert und unter Anleitung
ausgewertet, wobei diese keinerlei Informationen bezüglich der aktuellen oder längsschnittlichen Daten der Teilnehmer hatten (Kappa-Range = .70-.94). Der Auswertung lag eine von
Becker-Stoll und anderen (1996) übersetzte und modifizierte Version des „Autonomy and
Relatedness Coding System“ von Joseph Allen (1995) zugrunde. Dieses Auswertungssystem beurteilt jede Aussage der Interaktionsteilnehmer danach, ob sie Autonomie und Ver-
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bundenheit in der Beziehung fördern oder verhindern. Für die hier vorliegende Studie wurde
eine Reihe von Subskalen zu zwei Globalskalen zusammengefasst. Die Globalskala Autonome Verbundenheit setzt sich dabei aus den Subskalen „Argumentationsgüte“, „Selbstvertrauen beim Äußern von Meinungen“, „Zustimmung/Bestätigung“ und „konstruktiv engagierte Interaktion“ zusammen (Cronbach‘s Alpha = .71) und bildet ein positives, konstruktives Interaktionsverhalten ab. Die Globalskala Negatives Interaktionsverhalten setzt sich aus
den Subskalen „Vermengen von Sach- und Personebene“, „Druck ausüben/den anderen zur
Zustimmung drängen“ und „feindseliges Verhalten“ zusammen (Cronbach’s Alpha = .65).
Indikatoren aus dem Fragebogen
In Tabelle 1 sind alle für die folgenden Analysen ausgewählten Skalen aus dem Fragebogen
dargestellt.
Tabelle 1: Herangezogene Skalen aus dem Fragebogen
Skala
Zusammensetzung od. Beispielitem
Items Alpha1 Quelle
(1) Allgemeine und beziehungsbezogene Persönlichkeitseigenschaften
Allgemeine Persönlichkeitseigenschaften:
Selbstwert
Depressivität
Explosivität
„Ich bin genauso viel wert wie andere Men10
schen“
„Während der letzten Woche fühlte ich mich oft 15
einsam“
„Ich gerate schnell in Wut“
Beziehungsbezogene Persönlichkeitseigenschaften:
Negative Beziehungseigen- „Ich fühle mich schnell verletzt“
schaften – Selbst
Negative Beziehungseigen- „Er /sie fühlt sich schnell verletzt“
schaften – Partner2
.84
.86
5
.80
10
.67
10
.64
4
.73
9
.75
3
.76
3
.69
4
.79
Rosenberg Self-Esteem Scale
(1965)
Kurzform Allgemeine Depressionsskala (Hautzinger/Bailer
1993)
Melzer (Arbeitsgruppe Schulevaluation 1998)
Amato (1996); eigene
Übersetzung
Amato (1996); eigene
Übersetzung
(2) Beziehungsqualität
Gefühlte Sicherheit und Nähe
Ambivalenz
„Ich möchte gern mehr Zeit mit meinem Partner
verbringen, habe aber Angst, lästig zu sein“
Nähe
Zusammensetzung aus den 3 Skalen Intimität,
Wertschätzung, Verlässlichkeit mit je 3 Items
„Ich spreche mit meinem Partner über meine
Gefühle und Geheimnisse“
Beziehungsqualität
Konflikt
„Wir geraten in Streit“
Relative Macht
Zufriedenheit
„Bei Ihnen und Ihrem Partner/Ihrer Partnerin –
wer ist da eher der Chef in der Beziehung?“
„Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrer
Beziehung“
Münchner Individuationstest zur
Adoleszenz (Walper 1998)
Network of Relationships Inventory (Furman/ Buhrmester
1985)
Network of Relationships Inventory (Furman/ Buhrmester 1985)
Network of Relationships Inventory (Furman/ Buhrmester 1985)
Relationship Assessment Scale
von Hendrick in der Übersetzung
von Schneewind et al. (1989)
Anmerkungen: 1 Cronbach’s Alpha, 2 Wahrgenommene negative Beziehungseigenschaften beim Partner
(1) Allgemeine und beziehungsbezogene Persönlichkeitsmerkmale. Per Fragebogen wurden neben drei Skalen zu allgemeinen Persönlichkeitseigenschaften (Selbstwert, Depres-
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sivität und Explosivität) auch beziehungsbezogene Persönlichkeitseigenschaften erfasst.
Bei letzteren erfolgte dies in Form einer Selbsteinschätzung eigener negativer Beziehungseigenschaften sowie in der Abfrage der Einschätzung des Partners im Hinblick auf
dieselben Eigenschaften.
(2) Beziehungsqualität. Die gefühlte Sicherheit und Nähe in der Beziehung wurde durch
die Skala Ambivalenz sowie eine Globalskala Nähe in der Partnerschaft erfasst. Die Skala
Ambivalenz erfasst dabei die wahrgenommene Asymmetrie und dadurch entstehende
emotionale Unsicherheit in der Beziehung. Die Globalskala Nähe in der Partnerschaft
setzt sich aus den drei Subskalen Intimität, Verlässlichkeit und Wertschätzung aus dem
NRI (Furman/Buhrmester 1985) zusammen.
Die wahrgenommene Beziehungsqualität in der Partnerschaft wurde durch die Aspekte
Konflikt, Relative Macht und Beziehungszufriedenheit abgebildet. Die Skala Relative
Macht erfasst dabei das im Vergleich zum Partner wahrgenommene Ausmaß an Einfluss
und Kontrolle in der Beziehung, wobei hohe Werte einen subjektiv als hoch wahrgenommenen eigenen Einfluss widerspiegeln, niedrige Werte einen hohen Einfluss des Partners.
2.5 Die Analyse von dyadischen Daten
Ein wesentliches Ziel der hier vorliegenden Studie war es, die Daten nicht nur auf individueller Ebene zu analysieren, sondern auch Prozesse der gegenseitigen Beeinflussung
beider Partner abzubilden. Mittlerweile existiert eine Reihe von statistischen Verfahren,
die der gegenseitigen Abhängigkeit von dyadischen Daten gerecht werden. Eines davon
ist das Actor-Partner-Interdependence-Model (APIM; Cook/Kenny 2005), das auch in der
hier vorliegenden Studie zum Einsatz kommt. Dieses Verfahren bietet den Vorteil, dass
die Abhängigkeit der dyadischen Daten nicht nur statistisch kontrolliert wird, sondern
Prozesse der gegenseitigen Beeinflussung auch modelliert werden können. Das APIM
ermöglicht die Unterscheidung von Actor- und Partnereffekten, d.h. inwieweit ein bestimmtes Merkmal einer Person (z.B. die Trennung der Eltern) nicht nur Einfluss auf die
eigene Wahrnehmung oder das eigene Verhalten in der Partnerschaft hat, sondern auch
Wahrnehmung und Verhalten des Partners beeinflusst, wobei Ähnlichkeiten zwischen den
Partnern in einem Merkmal statistisch kontrolliert werden. Im Sinne eines Mehrebenenansatzes lassen sich sowohl Variablen, die zwischen den Personen variieren (z.B. die
Trennung der Eltern) als auch Variablen, die innerhalb eines Paares (z.B. Geschlecht) oder
zwischen den Paaren variieren (z.B. Beziehungsdauer) in das Modell einbeziehen.
Strukturgleichungsmodelle stellen eine Möglichkeit der Umsetzung des APIM dar. Das
für die folgenden Berechnungen zu Grunde gelegte Modell findet sich in Abbildung 1.
Actoreffekte (Pfade a in Abb. 1) beziehen sich auf den Einfluss, den das Erleben einer
Trennung und/oder Scheidung der Eltern in Kindheit oder Jugend auf die Persönlichkeit, die
wahrgenommene Partnerschaftsqualität sowie das beobachtete Interaktionsverhalten einer
Person hat. Partnereffekte (Pfade b in Abb. 1) beziehen sich dagegen auf den Einfluss, den
das Erleben einer Trennung der Eltern in der Herkunftsfamilie auf den Partner hat. Hierunter fallen Persönlichkeitsmerkmale des Partners (Partnerwahl), die Beschreibung der Beziehungsqualität durch den Partner, sowie das beobachtete Interaktionsverhalten des Partners.
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Neben Effekten einer Trennung oder Scheidung der Eltern beider Partner wurden auch Effekte der Beziehungsdauer (Pfade c) sowie die Interaktionen dieser beiden Variablen untereinander (Trennung x Beziehungsdauer) berücksichtigt (Pfade d und e).
Abbildung 1:
Zu Grunde gelegtes Modell zur Berechnung von Actor- und
Partnereffekten in Abhängigkeit von der Trennung der Eltern
a
Mann: Trennung der Eltern
b
b
Merkmal Mann
Frau: Trennung der Eltern
a
c
d
Frau: IA Trennung X
Beziehungsdauer
e1
c
Beziehungsdauer
Mann: IA Trennung X
Beziehungsdauer
-Persönlichkeit
-Beziehungsqualität
-Interaktionsverhalten
Merkmal Frau
e
e
e2
-Persönlichkeit
-Beziehungsqualität
-Interaktionsverhalten
d
Im Modell wurde die Korrelation aller unabhängigen Variablen miteinander zugelassen.
Der Übersichtlichkeit halber wurden in Abbildung 1 jedoch nur diejenigen Zusammenhänge aufgenommen, die inhaltlich von Interesse sind. Zusammenhänge zwischen den
Fehlervarianzen der abhängigen Variablen von Männern und Frauen wurden ebenfalls
zugelassen. Für alle abhängigen Variablen wurde darüber hinaus die Interaktion zwischen
dem Familientyp beider Partner getestet. Dies ermöglicht es der Frage nachzugehen, ob
möglicherweise eine bestimmte Konstellation speziell problematisch ist (beispielsweise
wenn beide Partner in ihrer Herkunftsfamilie die Trennung bzw. Scheidung der Eltern erlebt haben). Da sich diese Interaktion nur in sehr vereinzelten Analysen als signifikant
erwies, wurde diese Interaktion nicht in das Grundmodell aufgenommen.
Zur Testung von Geschlechtseffekten, wurden im ersten Schritt die Effekte für Männer
und Frauen als gleich angenommen. Diese Beschränkung wurde aufgehoben, wenn sich
dadurch die Modellanpassung verbessern ließ. Hier wurden separate Koeffizienten für
Männer und Frauen geschätzt. Alle signifikanten Geschlechtsunterschiede werden im Text
diskutiert.
Um die Modellanpassung zu testen wurden der Chi-Quadrat-Test, der Comparative
Fit Index (CFI) sowie der RMSEA herangezogen. Ein CFI von mindestens .95 sowie ein
RMSEA von maximal .05 sprechen für eine gute Modellanpassung.
Zeitschrift für Familienforschung, 25. Jahrg., Heft 3/2013, S. 309-330
3.
319
Ergebnisse
3.1 Vorabanalysen
Geschlechtsunterschiede
Alle betrachteten Merkmale wurden durch T-Tests für gepaarte Stichproben auf Geschlechtsunterschiede geprüft. Im Hinblick auf Persönlichkeitsmerkmale ergab sich lediglich ein tendenziell signifikanter Effekte für die Skala Depressivität, auf der Frauen höhere Werte erzielten als Männer (Männer: M=1.49, SD=.40, Frauen: M=-1.66, SD=.41;
t=1.85, df=41, p<.10). Bezogen auf die Beziehungsqualität berichteten Männer der Tendenz nach eine höhere Beziehungszufriedenheit als Frauen (Männer: M=4.26, SD=.63;
Frauen: M=4.07, SD=.72; t=1.81, df=40, p<.10) und zeigten während der Interaktionsbeobachtung signifikant weniger negative Verhaltensweisen als ihre Partnerinnen (Männer:
M=3.08, SD=1.11; Frauen: M=3.47, SD=1.05, t=-2.66, df=41, p<.05).
Zusammenhänge zwischen den Partnern
In Tabelle 2 finden sich die Korrelationen zwischen den Partnern im Hinblick auf Persönlichkeitsmerkmale, die wahrgenommene Beziehungsqualität sowie das beobachtete Interaktionsverhalten.
Tabelle 2: Zusammenhänge zwischen den Partnern im Hinblick auf Persönlichkeit,
wahrgenommene Beziehungsqualität und beobachtetes Interaktionsverhalten
Persönlichkeit
Beziehungsqualität
Interaktionsverhalten
Allg. Persönlichkeitseigenschaften
Selbstwert
-.10
Depressivität
-.09
Explosivität
.17
Beziehungsbezogene
Persönlichkeitseigenschaften
Neg. Beziehungseigen.14
schaften ‒ Selbsteinschätzung
Neg. Beziehungseigen.12
schaften – Partner1
Gefühlte Sicherheit und Nähe
Ambivalenz
-.07
Nähe
.03
Autonome Verbundenheit
Neg. Interaktionsverhalten
Beziehungsqualität
Konflikt
Relative Macht
Zufriedenheit
.45**
.46**
.45**
-.48**
.51**
*** p<.001; ** p<.01; * p<.05; + p<.10
Anmerkungen: 1 Wahrgenommene negative Beziehungseigenschaften beim Partner
Für keinen der hier betrachteten Aspekte der Persönlichkeit ließen sich signifikante Ähnlichkeiten zwischen den Partnern nachweisen. Auch in Bezug auf die Beziehungsqualität
fanden sich für die Wahrnehmung von Sicherheit und Nähe keine Ähnlichkeiten zwischen
den Partnern, möglicherweise, weil diese Merkmale ebenfalls stark auf die Persönlichkeit
zurückgehen. Signifikante positive Zusammenhänge ergaben sich jedoch für das wahrgenommene Ausmaß an Konflikten (r=.45**) sowie für die Beziehungszufriedenheit
(r=.51**). Für die wahrgenommene Relative Macht in der Beziehung erwies sich die Kor-
320
K. Beckh et al.: Liebesbeziehungen junger Erwachsener aus Scheidungsfamilien
relation als signifikant negativ (r=-.48**), wobei dieser Zusammenhang aufgrund der
Itemformulierung durchaus plausibel ist (siehe Methode). Die gegenseitige Beeinflussung
beider Partner zeigte sich erwartungsgemäß auch im Hinblick auf das beobachtete Interaktionsverhalten: Sowohl für autonome Verbundenheit (r=.45**) als auch für negative
Verhaltensweisen (r=.46**) fanden sich signifikant positive Korrelationen.
3.2 Dyadische Analysen
Fragestellung 1a): Einfluss der Trennung auf Persönlichkeitsmerkmale beider Partner:
Tabelle 3: Dyadische Analysen zum Einfluss der elterlichen Trennung/Scheidung auf
die Persönlichkeit
Selbstwert
Depressivität
Explosivität
Neg. Bez.-Eig.
Selbst
Wahrgenom. Neg. Bez.Eig. beim Partner
Trennung der Eltern
Actoreffekt
-.05
-.03
.22*
Partnereffekt
-.21*
M: -.25+
F: .09
.12
.29**
.07
M: .04
F: .24+
.39***
Beziehungsdauer
-.09
-.13
.05
.07+
.15
Trennung X Beziehungsdauer
Actor Interaktion
.14
Partner Interaktion
.24*
.03
-.10
-.01
-.22+
-.02
-.07
.02
-.09
-.12
3.24 (4)
.08 / .07
.26
2.03 (5)
.11 / .12
.08
.48(5)
.12 / .10
.02
3.45 (4)
.22 / 18
Korrelierte Fehler
Chi2 (df)
R2 Männer / Frauen
-.22
4.53 (5)
.12 / .12
Anmerkung: *** p<.001; ** p<.01; * p<.05; + p<.10; Für alle hier getesteten Modelle war der ChiQuadrat-Test nicht signifikant, der CFI betrug in allen Modellen 1.00, der RMSEA .00. Informationen
zum Modell: Kapitel 2.5
Die errechneten Actor- und Partnereffekte der elterlichen Trennung und der Beziehungsdauer sowie deren Interaktionen auf die Persönlichkeit beider Partner finden sich in Tabelle 3. Für die Gesamtstichprobe ergab sich nur ein signifikanter Actoreffekt: Männer
und Frauen aus Trennungsfamilien schätzten sich in ihren Beziehungseigenschaften selber negativer ein als Personen aus Kernfamilien (.22*). Frauen aus Trennungsfamilien
nahmen darüber hinaus auch bei ihrem Partner mehr negative Beziehungseigenschaften
wahr, d.h. sie beschrieben ihren Partner negativer (.24+). Männer aus Trennungsfamilien
berichteten eine der Tendenz nach geringere Depressivität als Männer aus Kernfamilien
(-.25+). Signifikante Partnereffekte zeigten sich für Selbstwert (-.21*) und Explosivität
(.29**). Der Partnereffekt auf die wahrgenommenen negativen Beziehungseigenschaften
des Partners (.39***) bestätigte zusätzlich den gefundenen Actoreffekt der elterlichen
Trennung auf die Selbsteinschätzung im Hinblick auf negative Beziehungseigenschaften
(.22*, s.o.): Hatte eine Person eine Trennung der Eltern erlebt, beschrieb sie sich nicht nur
selbst in ihren Beziehungseigenschaften als negativer, sondern wurde auch von ihrem
Partner als negativer beschrieben. Darüber hinaus berichteten die Partner von Personen
aus Trennungsfamilien ein signifikant niedrigeres Selbstwertgefühl (-.21*) sowie eine höhere Explosivität (.29**). Die für diese Merkmale ebenfalls (tendenziell) signifikante
Zeitschrift für Familienforschung, 25. Jahrg., Heft 3/2013, S. 309-330
321
Partner-Interaktion mit der Beziehungsdauer zeigte jedoch, dass diese Effekte vor allem
für Beziehungen mit kürzerer Beziehungsdauer gelten (.24* bzw. -.22+). Die Beziehungsdauer per se hatte kaum einen Einfluss auf die hier betrachteten Merkmale, lediglich die
Selbstwahrnehmung von negativen Beziehungseigenschaften erwies sich für längere Beziehungen als tendenziell höher (.07+).
Fragestellung 1b und 1c): Einfluss einer Trennung der Eltern auf die
Partnerschaftsqualität und das Interaktionsverhalten
Wie in Tabelle 4 ersichtlich, beschrieben Frauen und Männer aus Trennungsfamilien ihre
Partnerschaft nur in einzelnen Aspekten negativer als dies Personen aus Kernfamilien tun
(Actoreffekte): Männer und Frauen aus Trennungsfamilien berichteten eine signifikant
höhere Konfliktbelastung in ihrer Partnerschaft (.22*). Der signifikanten Actor-Interaktion mit der Beziehungsdauer zufolge traf dies jedoch nur auf relativ zur Gesamtstichprobe betrachtet kürzere Beziehungen zu (-.21**). Frauen aus Trennungsfamilien berichteten
über weniger Nähe in ihrer Partnerschaft (-.26+) und unabhängig vom Geschlecht schätzten Personen aus Trennungsfamilien ihre relative Macht in der Beziehung als signifikant
geringer ein (-.24*).
Tabelle 4: Dyadische Analysen zum Einfluss einer elterlichen Trennung/Scheidung auf
Merkmale der Partnerschaft
Beziehungsqualität – Einschätzung im Fragebogen
Sicherheit und Nähe
Ambivalenz
Nähe
Trennung der Eltern
Actoreffekt
.13
Partnereffekt
.22*
Beziehungsdauer
.10
Trennung X Beziehungsdauer
Actor-Interaktion
.01
Partner-Interaktion
Korrelierte Fehler
Chi2 (df)
R2 Männer/Frauen
.07
.07
.55(4)
.10 / .07
Beziehungsqualität
Konflikt
Relative
Zufriedenheit
Macht
M: .05
F: -.26+
M: .05
F: -.38**
.22*
-.24*
-.05
-.03
.27**
.15
.05
-.02
-.21**
-.15
-.15
1.81 (3)
.03 / .26
.01
.47**
3.32(5)
.18 / .12
Paarinteraktion
Konfliktverhalten
Autonome
Negatives
VerbunInteraktionsdenheit
verhalten
-.06
-.33*
M: -.27*
F: .09
.07
.08
-.00
.28+
-.04
M: -.02
F: .25
-.16
-.49**
1.83(3)
.16 / .12
.10
M: -.35*
F: -.14
-.05
.54**
1.50 (3)
.17 / .07
-.94
-.10
.54**
2.23(5)
.10 / .06
.01
-.29*
.45*
3.81 (5)
.11 / .08
Anmerkung: *** p<.001; ** p<.01; * p<.05; + p<.10; Für alle hier getesteten Modelle war der ChiQuadrat-Test nicht signifikant, der CFI betrug in allen Modellen 1.00, der RMSEA .00. Informationen
zum Modell Kapitel 2.5
Im Hinblick auf Partnereffekte zeigte sich, dass die Partner von Personen aus Trennungsfamilien signifikant mehr Ambivalenzen (.22*) und eine signifikant geringere Beziehungszufriedenheit (-.33*) berichteten als Partner von Personen aus Kernfamilien. Allerdings schrieben sich Partner von Personen aus Trennungsfamilien auch eine höhere rela-
322
K. Beckh et al.: Liebesbeziehungen junger Erwachsener aus Scheidungsfamilien
tive Macht in der Beziehung zu (.27**). Die Partner von Frauen aus Trennungsfamilien
erlebten in ihrer Beziehung weniger Nähe als Männer, deren Partnerinnen aus einer Kernfamilie kamen (-.38**). Die Beziehungsdauer hatte auf keines der betrachteten Merkmale
einen signifikanten Effekt.
Im Hinblick auf das beobachtete Interaktionsverhalten in der Partnerschaft zeigten
Männer aus Trennungsfamilien während der Interaktionsaufgabe weniger Autonome Verbundenheit als Männer aus Kernfamilien (-.27*), wobei die ebenfalls signifikante ActorInteraktion mit der Beziehungsdauer darauf hinweist, dass dieser Effekt in längeren Beziehungen noch stärker ausgeprägt war (-.35*). Bei Frauen hatte eine Trennung der Eltern
keinen Effekt auf das Ausmaß an autonomer Verbundenheit in der Interaktion mit ihrem
Partner. Bezogen auf das negative Interaktionsverhalten war lediglich die Partner-Interaktion mit der Beziehungsdauer signifikant: In kurzen Beziehungen zeigten die Partner
von Personen aus Trennungsfamilien mehr negatives Interaktionsverhalten, in längeren
Beziehungen dagegen sogar weniger negative Verhaltensweisen als Partner von Personen
aus Kernfamilien (-.29*). Tendenziell ging eine längere Beziehungsdauer mit mehr autonomer Verbundenheit in der Interaktion während der Konfliktaufgabe einher (.28+).
4.
Diskussion der Befunde
Unser Ziel war es, bei der Frage nach der Transmission des Risikos für Trennung und
Scheidung auf Kinder aus getrennten Familien eine ganzheitliche Perspektive einzunehmen. Wir wollten nicht nur in Erfahrung bringen, welche Zusammenhänge zwischen einer
elterlichen Trennung und der Persönlichkeit, der wahrgenommenen Beziehungsqualität
und dem Verhalten der erwachsenen Kinder bestehen, sondern auch, wie sich in Liebesbeziehungen das Zusammenspiel mit den Merkmalen, Einschätzungen und Verhaltensweisen ihrer Partner gestaltet. Die zentralen Befunde weisen darauf hin, dass (1) Personen, die eine Trennung oder Scheidung der Eltern erlebt haben, zwar ihre Beziehung
selbst nur in wenigen Aspekten negativer beschreiben als Personen, die in Kernfamilien
aufgewachsen sind, (2) eine negativere Beziehungswahrnehmung aber in den Einschätzungen der Partner von Personen aus Trennungsfamilien deutlich zum Ausdruck kommt,
wobei (3) die Effekte einer Trennung oder Scheidung durch die Partnerschaftsdauer moderiert werden. Die gefundenen Effekte können als ein Hinweis für problematische Partnerwahlstrategien bei Personen aus Trennungsfamilien gewertet werden. Im Folgenden
werden die Befunde einzeln diskutiert.
4.1 Actoreffekte
Erwachsene Scheidungskinder unterschieden sich auf geschlechtsunabhängiger Ebene lediglich dadurch von Kindern aus Kernfamilien, dass sie ihre eigene Beziehungsfähigkeit
vergleichsweise schlechter beurteilten, indem sie sich selbst mehr negative Beziehungseigenschaften zuschrieben. Darüber hinaus berichteten sie auch eine vergleichsweise geringere relative Macht in der Partnerschaft. Beide Befunde spiegelten sich auch in der Einschätzung der Partner wieder (siehe Partnereffekte). Dies könnte zum einen bedeuten,
Zeitschrift für Familienforschung, 25. Jahrg., Heft 3/2013, S. 309-330
323
dass diese Personen über eine niedrigere Beziehungskompetenz verfügen, zum anderen,
dass sie selbstkritischer sind und ihrer eigenen Beziehungsfähigkeit „misstrauen“. Auch
wenn solche Befunde meist zugunsten der ersten Interpretation ausgelegt worden sind,
spräche für die zweite Interpretation die Tatsache, dass Personen aus Trennungsfamilien
im klinischen Kontext oft von starken und anhaltenden seelischen Schmerzen („distress“)
in Bezug auf die Trennung ihrer Eltern berichten und die Befürchtung äußern, sie könnten
dadurch für ihre eigene Beziehungsfähigkeit bleibende Schäden davon getragen haben,
obwohl sie nach außen hin keine psychosozialen Anpassungsschwierigkeiten zeigen (Wallerstein/Blakeslee 1989; Laumann-Billings/Emery 2000). In einer früheren Studie berichteten junge Erwachsene aus Trennungsfamilien Befürchtungen, sie könnten ihrem Partner
aufgrund der elterlichen Scheidung weniger vertrauen, zeigten aber kein geringeres Vertrauen in den aktuellen Partner als Kinder aus Kernfamilien (Franklin et al. 1990). Ein
ähnlicher Mechanismus zeigte sich hier: Personen aus Scheidungsfamilien wiesen keine
geringere Beziehungszufriedenheit auf als Personen aus Kernfamilien und bewerteten ihre
Beziehung nur im Hinblick auf vermehrte Konflikte als schwieriger. In Bezug auf ihre
Beziehungskompetenzen schrieben sie sich jedoch eine erhöhte Vulnerabilität zu, die sich
jedoch auch nicht in einer negativeren Einschätzung allgemeiner Persönlichkeitseigenschaften oder der Befindlichkeit niederschlug (mit Ausnahme der tendenziell erhöhten
Depressionswerte von Männern aus Scheidungsfamilien). Auch andere Studien bestätigen, dass die Selbsteinschätzung im Hinblick auf Selbstwert und Depressivität von erwachsenen Scheidungskindern nicht negativer ist (z.B. Bernstein et al. 2012), wobei die
Befundlage auch im Hinblick auf Geschlechtsunterschiede hierzu nicht eindeutig ist (z.B.
Uphold-Carrier/Utz 2012; Mustonen et al. 2011).
Auf geschlechtsspezifischer Ebene zeigte sich, dass Männer ein geringeres Ausmaß
an autonomer Verbundenheit in der Interaktionsbeobachtung aufwiesen, und dies insbesondere in längeren Beziehungen. Frauen aus Trennungsfamilien sahen einzelne Beziehungsaspekte kritischer als Frauen aus Kernfamilien: Sie schrieben nicht nur sich selbst,
sondern auch ihrem Partner mehr negative Beziehungseigenschaften zu und schätzten
auch die erlebte Nähe in ihrer Partnerschaft als geringer ein. Empirische Befunde weisen
darauf hin, dass insbesondere bei Frauen die erlebte Beziehungsqualität durch die Trennung/Scheidung der Eltern beeinträchtig ist (Mustonen et al. 2011; Jacquet/Surra 2001;
Herzog/Cooney 2002). Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass nicht nur die subjektive
Wahrnehmung der Beziehungsqualität bei den Frauen beeinträchtigt ist, sondern dass sich
die elterliche Scheidung der Frau auch auf das Interaktionsverhalten beider Partner auswirkt (Sanders et al. 1999). Die elterliche Trennung scheint also geschlechtsspezifisch unterschiedliche Konsequenzen zu haben, möglicherweise auch in Abhängigkeit von der
Familienform, die der Trennung folgte. Für die meisten Kinder bedeutet die elterliche
Trennung – zumindest vorübergehend ‒ das Aufwachsen bei einer alleinerziehenden Mutter (BMFSFJ 2012). Bei den Männern könnte dies mit mehr Unsicherheit im Verhalten
gegenüber Frauen verbunden sein, während sich bei den Frauen eher eine kritischere Haltung gegenüber männlichen Partnern zu entwickeln scheint.
324
K. Beckh et al.: Liebesbeziehungen junger Erwachsener aus Scheidungsfamilien
4.2 Partnereffekte
Partnereffekte fanden sich sowohl auf der Ebene von Persönlichkeitsmerkmalen als auch
auf der Beziehungsebene. Auf der Persönlichkeitsebene berichteten Partner von Personen
aus Trennungsfamilien einen geringeren Selbstwert sowie eine höhere Explosivität. Dies
lässt auf problematische Partnerwahlstrategien von Personen aus Trennungsfamilien schließen, wobei diese Effekte durch die Beziehungsdauer moderiert wurden (siehe unten).
Darüber hinaus beurteilten Personen aus Trennungsfamilien sich nicht nur selbst kritischer hinsichtlich ihrer Beziehungsfähigkeit, sondern auch ihre Partner schrieben ihnen
mehr negative Beziehungseigenschaften zu. Im Hinblick auf die Beziehungsqualität berichteten ihre Partner zudem mehr Ambivalenz und waren insgesamt weniger zufrieden
mit der Beziehung. In den bisherigen wenigen Untersuchungen, die Einschätzungen der
Partner mit einbezogen haben, waren es vor allem die Frauen, bei denen sich ein solcher
Effekt zeigte (möglicherweise wegen der sozialisationsbedingten Rolle der Frau als „Beziehungspflegerin“): Wenn diese aus Trennungsfamilien kamen, vertrauten die Partner
ihnen weniger (Jacquet/Surra 2001), und beide Partner wiesen dann eine erhöhte Negativität im Umgang miteinander auf (Sanders et al. 1999).
Wieder stellt sich die Frage, ob diese Einschätzung der Beziehung mehr über die Urteilenden oder über die Beurteilten aussagt. Suchen sich Personen aus Trennungsfamilien
kritischere Partner, die dann auch negativer urteilen, oder haben sie einen „blinden Fleck“
was die Einschätzung ihrer aktuellen Beziehung angeht, möglicherweise resultierend aus
einer niedrigeren Erwartungshaltung an die Qualität von Beziehungen im Allgemeinen?
Diese Frage könnte im Prinzip nur eine dritte Instanz beurteilen, z.B. die aus der Verhaltensbeobachtung resultierende Einschätzung der Rater. Hier zeigte sich jedoch nur für die
Männer aus Trennungsfamilien ein signifikanter Effekt: Sie brachten in der Interaktion
mit ihrer Partnerin weniger autonome Verbundenheit zum Ausdruck.
4.3 Beziehungsdauer als moderierender Faktor
Eine weitere Fragestellung bezog sich auf den moderierenden Einfluss der Beziehungsdauer, d.h. das Zusammenspiel zwischen Actor- und Partnereffekten im Laufe der Entwicklung der Partnerschaft. Signifikante Interaktionseffekte zwischen einer Trennung der
Eltern und der Beziehungsdauer lassen einige Unterschiede zwischen kurzen und langen
Beziehungen erkennen. Entsprechend der empirischen Befundlage, die eine stärkere Belastung aufgrund der elterlichen Trennung in kurzfristigen Partnerschaften annimmt (z.B.
Tallman et al. 1999; Jacquet/Surra 2001), zeigten sich auch in dieser Studie nur in den im
Vergleich zur Gesamtstichprobe kürzeren Beziehungen mehr Konflikte für Personen mit
elterlicher Trennung. Nur in kürzeren Beziehungen hatten Personen mit elterlicher Trennung Partner, die ein geringeres Selbstwertgefühl und eine höhere Explosivität berichteten. Auf der Verhaltensebene zeigten die Partner von Scheidungskindern in kürzeren Beziehungen mehr negatives, Autonomie und Verbundenheit verhinderndes Interaktionsverhalten, d.h sie übten mehr Druck aus und waren feindseliger, während sich in längeren Beziehungen keine Unterschiede feststellen ließen. Für die Scheidungskinder fand
sich ein geschlechtsspezifischer Unterschied: Nur das Interaktionsverhalten der Männer
Zeitschrift für Familienforschung, 25. Jahrg., Heft 3/2013, S. 309-330
325
aus Scheidungs- oder Trennungsfamilien war durch weniger autonome Verbundenheit
gekennzeichnet, wobei dies ‒ im Gegensatz zu den Effekten auf Partnerebene ‒ in längeren Beziehungen sogar noch stärker zum Ausdruck kam.
Während also Partner von Scheidungskindern in kürzeren Beziehungen mehr Negativität und eine problematische Emotionsregulation aufwiesen, war dies in längeren Beziehungen nicht der Fall. Hinter diesem Befund steht möglicherweise eine problematische
Partnerwahl, welche, zusammen mit der erhöhten Vulnerabilität, die ein Kind getrennter
Eltern mit sich bringt, zu einer geringeren Zufriedenheit und Haltbarkeit dieser Beziehung
führt. Im Verhalten sind Scheidungskinder in der frühen Beziehungszeit möglicherweise
besonders vorsichtig, weil sie sich selbst Defizite in der Beziehungskompetenz zuschreiben und die Beziehung nicht gefährden möchten. In längeren Beziehungen zeigt sich dieses Defizit bei den Männern auch nach außen hin durch weniger Autonomie und Verbundenheit förderndes Verhalten, während sich die Partner in keiner Weise mehr von Partnern aus Trennungsfamilien unterscheiden.
Kürzere und längere Beziehungen unterscheiden sich unter anderem darin, dass nur
längerfristige Partnerschaften als echte „Bindungsbeziehungen“ aufgefasst werden können, da Bindung zu engen Bezugspersonen sich über die Zeit formieren muss (Fraley/
Shaver 2000). Sichere Bindungsbeziehungen im Erwachsenenalter sind vor allem dadurch
gekennzeichnet, dass die Partner einander als Quelle emotionaler Sicherheit nutzen, dass
also beide in adäquater Weise Fürsorge geben und empfangen können (Winter/Grossmann 2002). Die Befundlage zum Bindungsstil von Trennungskindern ist nicht einheitlich
– manche Studien finden bei ihnen vermehrt unsichere Bindung (z.B. Sprecher et al.
1998), andere nicht (z.B. Bernstein et al. 2012; Hayashi/Strickland 1998). Unser Befund,
dass zumindest die Männer aus Trennungsfamilien in Langzeitbeziehungen weniger autonome Verbundenheit im Interaktionsverhalten zeigen (für Frauen ist der Effekt nicht signifikant, geht jedoch in dieselbe Richtung) könnte für eine erhöhte Bindungsunsicherheit
bei Kindern aus Trennungsfamilien sprechen, die besonders in Bindungsbeziehungen
wirksam wird und unbewusst ist, d.h. sich nur begrenzt in den Selbstauskünften, sondern
eher im Interaktionsverhalten und den Auskünften des Partners widerspiegelt.
4.4 Einschränkungen
Wenngleich die zeitliche Abfolge der Ereignisse eine kausale Interpretation nahelegt, derzufolge das Erleben einer elterlichen Trennung Auswirkungen auf die spätere Partnerschaften der betroffenen Kinder und Jugendlichen hat, ist diese Frage im Rahmen einer
Querschnittstudie nicht zu beantworten und Alternativerklärungen wie beispielsweise genetische Gemeinsamkeiten oder Beziehungserfahrungen vor der Trennung der Eltern sind
nicht auszuschließen.
Weitere Einschränkungen ergeben sich durch die vergleichsweise geringe Stichprobegröße. So war es beispielsweise nicht möglich, zwischen verschiedenen Paarkonstellationen
zu differenzieren (beide Partner wuchsen in einer intakten Kernfamilie auf vs. beide Partner
haben eine Trennung der Eltern erlebt vs. nur der Mann oder die Frau hat eine Trennung der
Eltern erlebt). Insbesondere geschlechtsspezifische Actor- und Partnereffekte sollten deshalb mit Vorsicht interpretiert werden. Darüber hinaus war es auch nicht möglich, weitere
326
K. Beckh et al.: Liebesbeziehungen junger Erwachsener aus Scheidungsfamilien
Aspekte der Familienbiographie (z.B. Alter bei Trennung, neue Partnerschaft der Eltern,
Mehrfachtrennungserfahrungen, Beziehungsqualität vor und nach der Trennung) mit in die
Analysen einzubeziehen. Zu berücksichtigen ist außerdem das überdurchschnittlich hohe
Bildungsniveau der Stichprobe. Zwar wurde im Rahmen des Projekts ursprünglich eine bildungsheterogene Stichprobe mit einer Gleichverteilung von Kindern und Jugendlichen der
verschiedenen Schultypen angestrebt, Selektionseffekte ergaben sich jedoch durch die
längsschnittliche Teilnahmebereitschaft, das Vorhandensein eines Partners sowie die Teilnahmebereitschaft beider Partner an der Intensivstudie.
5.
Fazit und Ausblick
Die Daten der vorliegenden Studie legen nahe, dass sowohl mitgebrachte Persönlichkeitsund Beziehungseigenschaften, als auch die Partnerwahl, die Transmission des Trennungsrisikos begünstigen können und dass sich die Einflussstruktur dieser Variablen über den
Verlauf der Zeit ändern kann. Während am Anfang eher eine problematische Partnerwahl
zur Trennung führen kann, sind es später möglicherweise eingeschränkte Beziehungskompetenzen, welche die Beziehungsqualität stören. Für zukünftige Studien ist weiterhin ein
multimethodaler Zugang angezeigt, da sich ein vollständiges Bild nur aus Selbst-, Fremdund Drittauskünften (Beobachtungen) ergeben kann. Eine größere Stichprobe wäre hierbei
wünschenswert. Zudem kann nur eine längsschnittliche Begleitung der Beziehungsentwicklung von Personen aus getrennten Familien weiteren Aufschluss darüber geben, ob die hier
anhand unserer Querschnittsdaten getroffenen ersten Schlussfolgerungen zutreffen. Schließlich wurde deutlich, dass eine Liebesbeziehung ein neuer Sozialisationskontext neben dem
Elternhaus sein kann, mit positiven wie negativen Seiten. Dies ist insofern erfreulich, als es
eine deterministische Sichtweise auf die Wirkung elterlicher Scheidung auf Liebesbeziehungen verneint. Gleichzeitig lenkt es den Blick auf die Notwendigkeit frühzeitiger präventiver Arbeit mit jungen Erwachsenen in Liebesbeziehungen. Insbesondere stellt sich die
Frage, wie eine Fortsetzung negativer Erfahrungen im Elternhaus verhindert werden kann,
die sich durch eine schwierige Partnerwahl ergibt. Positive Beziehungserfahrungen hingegen könnten etwaige Defizite in der Beziehungskompetenz ausgleichen und langfristig
stabile Partnerschaften ermöglichen. Dass solche präventiven Maßnahmen für Personen aus
Trennungs- und aus Kernfamilien gleichermaßen nützlich wären, versteht sich von selbst.
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Eingereicht am/Submitted on: 13.05.2013
Angenommen am/Accepted on: 23.09.2013
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K. Beckh et al.: Liebesbeziehungen junger Erwachsener aus Scheidungsfamilien
Anschriften der Autorinnen/Addresses of the authors:
Dr. Kathrin Beckh (Korrespondenzautorin/Corresponding author)
Staatsinstitut für Frühpädagogik
Eckbau Nord
Winzererstraße 9
80797 München
Deutschland/Germany
Dr. Sonja Bröning
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Deutsches Zentrum für Suchtfragen
des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ)
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Deutschland/Germany
Prof. Dr. Sabine Walper
Dr. Eva-Verena Wendt
Deutsches Jugendinstitut (DJI)
Nockherstraße 2
81541 München
Deutschland/Germany
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