Der Musterfall

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Der Musterfall
25 Jahre Anschluss
25 JAHRE ANSCHLUSS
Spezial
Freitag/Sonnabend/Sonntag,
2./3./4. Oktober 2015, Nr. 229
Eine gemeinsame Beilage von
n Seite 2: Bei den Regierenden Belgiens ist die »Agenda 2010« sehr beliebt. Von Herwig Lerouge
n Seite 3: Erst die DDR, dann Europa. Von Vladimiro Giacché n Seite 4: Als die DDR gekidnappt wurde – eine
dänische Sicht. Von Enid Riemenschneider n Seite 5: Abgewickelt und dämonisiert. Von John Green n Seiten 6/7: Komplizierte Suche. Von Ekkehard Lieberam
Der Bundesadler, das deutsche Nationalwappen, als Metallskulptur
des Berliner Künstlers Herbert Fell
2005 im »Skulpturenpark Deutsche Einheit« bei Henneberg in
Thüringen
MARTIN SCHUTT/DPA
Der Musterfall
Enteignung, Zerstörung und Krieg: Wie die Bundesrepublik seit 1990 zur EU-Vormacht wurde. Von Arnold Schölzel
D
er 25. Jahrestag des DDR-Anschlusses an die BRD steht im Zeichen
eines triumphalen Aufstiegs der
erweiterten Bundesrepublik zur
Führungsmacht der EU. Aus der
noch nicht beendeten Finanz- und Wirtschaftskrise
seit 2007 ging das Land enorm
gestärkt hervor. Die EU-Politik
Berlins ist der konzentrierte Ausdruck von Interessen der Finanzindustrie und der deutschen Exportwirtschaft. 2015 wurde das am
Umgang mit der gewählten Regierung Griechenlands für jeden
nacherlebbar – bis hin zu deren
Kapitulation und Übergabe der
Souveränität. Die Ära der Postdemokratie wurde bereits 2011 eröffnet, als der damalige griechische Ministerpräsident
Giorgos Papandreou ein Referendum in Griechenland über die EU-Auflagen erwog und innerhalb
weniger Tage zum Rücktritt gezwungen wurde. Die
griechische Volksabstimmung vom 5. Juli 2015 galt
den »Institutionen« bereits als fast nebensächlich.
Der italienische Marxist und Wirtschaftswissen-
schaftler Vladimiro Giacché legt in seinem Beitrag
zu dieser Beilage dar, wie das Modell der DDREinverleibung in den 90er Jahren heute Pate bei den
Diktaten aus der Feder Berlins und Brüssels gegenüber den sogenannten EU-Krisenstaaten steht. Das
Muster ist älter. Blaupausen für ein Europa formal
gleichberechtigter Staaten bei tatsächlicher deutscher Hegemonie
finden sich bereits in der Frühzeit
des deutschen Imperialismus vor
über 100 Jahren. Nun scheint die
deutsche Forderung nach einem
»Platz an der Sonne« erfüllt. Nicht
ein einzelnes Land wurde wirtschaftlich und politisch in die Knie
gezwungen. Vielmehr sind die osteuropäischen EU-Staaten eine Art
deutscher Hinterhof, Italien oder
Frankreich fallen weit hinter die deutsche Vormacht
zurück.
Diese Situation lieferte den Anstoß für diese
Beilage. Sie enthält Sichtweisen aus anderen europäischen Ländern auf den DDR-Anschluss und
seine Folgen bis heute. Produziert wurde sie von jW
gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Ta-
geszeitungen Arbejderen (Kopenhagen), Morning
Star (London) und der Zeitung vum Lëtzebuerger
Vollek (Luxemburg) im Rahmen unserer Medienkooperation. Hinzugekommen ist ein Beitrag von der
belgischen digitalen Tageszeitung Solidaire sowie
der erwähnte von Vladimiro Giacché. Der Jurist
und Sozialwissenschaftler Ekkehard Lieberam untersucht, welche Lehren für die Sozialismustheorie
aus dem Aufbau, dem 40jährigen Bestehen und
dem Untergang der DDR zu ziehen sind.
Das Ende des ostdeutschen Staates war ökonomisch gesehen die »größte Enteignung eines
Volkes«, wie es der kürzlich verstorbene SPD-Politiker Egon Bahr einmal formulierte. Es genügen
einige Ziffern, um das zu illustrieren. Sie werden
bei keiner offiziellen Feier des DDR-Anschlusses genannt, obwohl sich mit ihnen sehr viel aus der
Geschichte der vergangenen 25 Jahre erklären lässt:
Nach der Privatisierung der DDR-Industrie waren
etwa 95 Prozent des ostdeutschen Wirtschaftskapitals in westdeutscher oder in ausländischer Hand,
fünf Prozent blieben bei Einheimischen. Dieses
»Modell« wird sich in kaum einem anderen Land
so durchsetzen lassen, die verheerenden Folgen –
Massenarbeitslosigkeit, Auswanderung, Zerstörung
der sozialen Sicherungssysteme – sind EU-weit
einander ähnlich.
In der Bundesrepublik verlief dieser Prozess
bislang ohne einen Widerstand, der die Herrschenden in größerem Maß beeindruckt hätte.
Ein Grund dafür ist die Rolle, welche die frühere
PDS, die 2007 in der Partei Die Linke aufging,
gespielt hat. Sie umschrieb der scheidende Fraktionsvorsitzende dieser Partei, Gregor Gysi, in
einem Interview, das am 30. September 2015 in
deutschen Zeitungen erschien, folgendermaßen:
»Ich bin stolz auf meinen Beitrag, große Teile
ostdeutscher Eliten mit in die Einheit geführt zu
haben«. Das steht für die Erfüllung einer Funktion. Die DDR-Zerstörung war ein Beispielfall des
seit 1990/91 entfesselten Regimes der Reichen
zur Herstellung von Armut und Barbarei weltweit. Krieg, Vertreibung und Flucht sind einkalkulierte Bestandteile dieser »Ordnung«.
In vielen Ländern Europas ist der Widerstand
gegen diese Diktatur des Wahnwitzes, die menschheitsbedrohend ist, weiter vorangeschritten als in
der Bundesrepublik, dem Musterland von Konterrevolution und Restauration. Auch davon berichten
die Beiträge dieser Beilage.
Der Musterfall
Die Bundesrepublik 25 Jahre danach – ihre
Stellung in der EU und ihr Einfluss auf die
wirtschaftliche Situation in anderen Mitgliedsstaaten. Beiträge aus Belgien, Dänemark, Großbritannien, Italien, Luxemburg
und Deutschland.
8 SEITEN EXTRA
GEGRÜNDET 1947 · FREITAG/SONNABEND/SONNTAG, 2./3./4. OKTOBER 2015 · NR. 229 · 1,80 EURO / 57 CZK · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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Rechte Agitation
Tödliche Geschäfte
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Schwarzer Tag
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CDU-Politiker wollen Hungerlöhne
für Flüchtlinge. Die Gewerkschaft NGG hält dagegen
Handelsblatt-Konferenz für Rüstungslobby: Die Weltlage steigert den
Profit. Von Sebastian Carlens
Studie: Die Digitalökonomie vertieft die Betrachtungen zur Konterrevolution
Ungleichheit in der Gesellschaft.
gegen den Sozialismus vor
Von Simon Zeise
25 Jahren. Von Patrik Köbele
Wir feiern:
50 Jahre Einheit
Russland setzt
­Luftangriffe in Syrien fort
Damaskus. Russische Kampfjets
haben ihre Luftangriffe in Syrien
fortgesetzt. Die Streitkräfte hätten in der Nacht zum Donnerstag
vier Stellungen des »Islamischen
Staates« (IS) bombardiert,
sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau
am Donnerstag. Russland habe
derzeit mehr als 50 Flugzeuge
und Militärhubschrauber in
Syrien stationiert, wurde er von
der Nachrichtenagentur Interfax
zitiert. Westliche Medien kolportierten, dass auch Stellungen der
»gemäßigten Opposition« beschossen worden seien. Moskau
dementierte dies. Präsident Wladimir Putin kritisierte diese Berichte als »Informationsangriffe«.
Er betonte zudem, dass Russland
sein Vorgehen in Syrien mit dem
Verteidigungsministerium und
den Geheimdiensten der USA koordiniere. (dpa/Reuters/jW)
Am 3. Oktober 1965 vereinigten sich die revolutionären Organisationen Kubas zur
Kommunistischen Partei. Von André Scheer
n Siehe Seiten 7 und 8
DPA-BILDFUNK
Immer mehr haben Angst
vor Flüchtlingen
Fidel Castro und Che Guevara 1960 bei einer Kundgebung in Havanna. Fünf Jahre später verlas Fidel den Abschiedsbrief des weltberühmten Guerillero
D
er 3. Oktober ist ein Tag zum
Feiern. Vor exakt 50 Jahren,
am 3. Oktober 1965, wurde in Havanna die Kommunistische
Partei Kubas gegründet. Damit war
die Vereinigung der drei Organisationen abgeschlossen, die gemeinsam
die von den USA gestützte Diktatur
Fulgencio Batistas beendet hatten.
Schon 1961 hatten sich die von Fidel
Castro geführte »Bewegung 26. Juli«, die marxistische »Sozialistische
Volkspartei« und die studentische
Widerstandsbewegung »Revolutionäres Direktorium 13. März« zu den
»Integrierten Revolutionären Organisationen« (ORI) zusammengeschlossen, aus denen am 26. März 1962
die Vereinte Partei der Sozialistischen
Revolution Kubas (PURSC) entstand.
Diese diente dazu, die organisatorischen und programmatischen Grund-
lagen für die neue Partei zu schaffen,
die dann am 3. Oktober 1965 mit der
Vorstellung des neuen Zentralkomitees durch Fidel Castro und der Entscheidung über den Namen offiziell
konstituiert wurde. An diesem Tag
vereinigten sich auch die Tageszeitungen Hoy und Revolución zur Granma,
die so ebenfalls auf ein halbes Jahrhundert ihrer Existenz zurückblicken
kann. Gefeiert wird das an diesem
Wochenende groß in den Redaktionsräumen an der Plaza de la Revolución
in Havanna.
Auf dem Kongress stellte Castro
die Frage, welchen Namen die neue
Partei tragen solle: »Wir sind an dem
glücklichen Punkt der Geschichte unseres revolutionären Prozesses angekommen, an dem wir sagen können,
dass es nur eine Art von Revolutionären gibt, und es ist notwendig, dass
der Name unserer Partei nicht aussagt, was wir gestern waren, sondern
was wir heute sind und morgen sein
werden.« Obwohl der Name schon am
Vorabend beschlossen worden war,
fragte er die Delegierten: »Wie also
soll unsere neue Partei heißen?« Lautstark rief es aus den Reihen zurück:
»Kommunistisch!« Castro erinnerte
daran, dass dieses Wort über die Jahrhunderte immer wieder verzerrt und
verleumdet wurde: »Alle Ausbeuter,
alle Privilegierten haben das Wort
›Kommunismus‹ immer gehasst,
als wäre es ein Verbrechen. Deshalb
haben Marx und Engels, als sie ihr
›Kommunistisches Manifest‹ schrieben und den Grundstein für eine neue
revolutionäre Theorie, eine wissenschaftliche Interpretation der menschlichen Gesellschaft und der Menschheitsgeschichte legten, gesagt: ›Ein
Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus.‹ Denn die
privilegierten Klassen nahmen diese
Ideen voller Angst auf, sie fürchteten
sich wie vor einem Gespenst.«
In Erinnerung blieb die historische
Tagung jedoch vor allem, weil Castro
an diesem Tag auch den Abschiedsbrief von Ernesto Che Guevara verlas,
der zu diesem Zeitpunkt im Kongo
kämpfte: »Ich spreche Kuba von jeder Verantwortung frei, außer der, ein
Beispiel zu sein.« Und Castro antwortete leidenschaftlich, dass sich dieses
kleine Volk nicht vor der Verantwortung fürchte, sondern die revolutionären Bewegungen der Welt unterstützen werde: »Gegenüber einem immer
mächtigeren Feind und angesichts der
schmerzhaften Spaltung der Revolutionäre in der Welt wird unsere Politik
die der größtmöglichen Einheit sein.«
Berlin. Angesichts der steigenden
Flüchtlingszahlen scheint die
Stimmung in der deutschen Bevölkerung allmählich umzuschlagen:
In einer Umfrage für den ARDDeutschlandtrend sagten Anfang
dieser Woche 51 Prozent der
Befragten, es mache ihnen Angst,
dass so viele Flüchtlinge nach
Deutschland kämen. Das seien
13 Punkte mehr als im Vormonat,
teilte der WDR am Donnerstag mit.
Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel verliert deutlich an Beliebtheit. Sie büßt demnach neun
Prozentpunkte ein und erreicht laut
WDR mit 54 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit Dezember 2011.
CSU-Chef Horst Seehofer legte
dagegen um elf Punkte auf 39 Prozent zu. (Reuters/jW)
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Möglichkeiten
Auund mannigfachen
eine
zu führen. Dazu
munteres Leben
wird herausgegeben von
1. 732 Genossinnen und
Genossen (Stand 1.10.2015)
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