2015 / 1 - Schmerztherapeutisches Kolloquium e.V.
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2015 / 1 - Schmerztherapeutisches Kolloquium e.V.
Februar 2015 | Jg. 31 | Nr. 1 SCHMERZMEDIZIN Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin Interdisziplinär • Patientenorientiert • Praxisnah Fortbildung: Clusterkopfschmerz Pro & Kontra LONTS 2 in der Diskussion Herzinsuffizienz und COPD Palliativversorgung bei kardiopulmonalen Erkrankungen? Diabetische Neuropathie Antikörper gegen den „Nerve Growth Factor“ Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. Deutsche Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie e. V. www.dgschmerztherapie.de www.dagst.de www.springermedizin.de/schmerzmedizin Editorial „Dem Menschen verpflichtet!“ Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. Dr. med. Ludwig Distler, 1. Vorsitzender der Deutschen Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie e.V. Gemeinsam für Schmerz- und Palliativpatienten Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie halten heute die erste Ausgabe einer neuen Zeitschrift in den Händen: SCHMERZMEDIZIN – Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin Schmerzmedizinische Versorgung wird sich in Deutschland nur flächendeckend etablieren, wenn alle Akteure ihre Kräfte bündeln, gemeinsam agieren und ihr vielfältiges Wissen breit streuen. Deshalb haben die Vorstände der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) und der Deutschen Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie e.V. (DAGST) beschlossen, zu kooperieren um mit einer gemeinsamen Zeitschrift eine größere Anzahl von Lesern mit einer umfangreicheren und inhaltlich vielfältigeren Publikation zu erreichen Chronische Schmerzen sind nach einer von Häuser et al. 2014 in „Der Schmerz“ publizierten epidemiologischen Untersuchung mit 23 Millionen Betroffenen eine der häufigsten Erkrankungen in Deutschland überhaupt. 2,2 Millionen dieser Patienten leiden unter schwersten lebensbeeinträchtigenden Schmerzerkrankungen. Allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz ist damit die Häufigkeit chronischer Schmerzen in Deutschland in den letzten Jahren nicht geringer geworden, sondern hat eher zugenommen. Chronische Schmerzen betreffen den ganzen Menschen mit all seinen körperlichen, psychischen und sozialen Aspekten, eine Problematik, die in den bisher existierenden Gebietsbezeichnungen nicht abgebildet ist und deshalb aktuell immer das Zusammenspiel verschiedener Fachgebiete erfordert. Neben einem Mangel an solchen interdisziplinären Einrichtungen und dem Fehlen von Ärzten, die im Sinne eines Querschnittsfaches Schmerzmedizin geschult werden, ist die Mangelversorgung auch Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Ausdruck von fehlender Bedarfsplanung, schmerzmedizinischer Versorgung wie auch eher zufälliger Kenntnisse schmerzmedizinischer Diagnostik- und Therapieprinzipien. Deshalb erscheint es essentiell, schmerzmedizinisches Wissen und aktuelle Forschung einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Der Zusammenschluss der Zeitschriften SCHMERZMEDIZIN und Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin resultiert in einer Zeitschrift, die mit einer breiten Themenpalette Hausärzte und Fachärzte in Praxis und Klinik wie auch Schmerz- und Palliativmediziner als Zielgruppe über aktuelle Forschungsergebnisse wie auch praktisches schmerz- und palliativmedizinisches Wissen informiert. Der deutlich größere Umfang gegenüber den Ursprungspublikationen und die zweimonatliche Erscheinungsweise erlauben nicht nur das Fortführen der Ihnen schon bekannten Rubriken wie „Medizin aktuell“, „Literatur kompakt“ und „zertifizierte Fortbildung“ sondern auch zahlreiche Neuerungen wie z.B. „Pro & Kontra“. SCHMERZMEDIZIN – Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin wird weiterhin Ver- bandsorgan der DGS wie auch der DAGST sein. Die Vorstände der DGS und der DAGST freuen sich auf Ihre Meinungen und Rückmeldungen. Gestalten Sie unsere neue Zeitschrift mit uns gemeinsam. Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS) Dr. med. Ludwig Distler 1. Vorsitzender der Deutschen Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie e. V. (DAGST) 3 Inhalt Schmerzmedizin 1 · 2015 Editorial Gemeinsam für Schmerz- und Palliativpatienten 3 Gerhard Müller-Schwefe, Ludwig Distler Panorama Medizin ak tuell 10 Pro & Kontra: LONTS-2 – alle Klarheiten beseitigt? Pro: Dogma? Wer sagt das? © picture alliance Meldungen 8 14 Stefan Wirz, Bad Honnef Kontra: Mögen Sie Leitlinien? Die vermehrte Aufnahme von Flüchtlingen erfordert eine Sensibilisierung der Ärzte in Deutschland für das Thema, da die Krankheitsbilder von Flüchtlingen nicht selten aus der erlittenen Gewalt in ihrer Heimat resultieren. In Argentinien wurde eine „Special Interest Group“ gegründet. Michael Überall, Nürnberg 14 Qualen, die niemals enden Schmerzbehandlung für Folter-, Gewalt- und Kriegsopfer Thomas Cegla 16 Qualen, die niemals enden Chronische Wunden bei Palliativpatienten Der Geruch ist ein großes Problem Im Gespräch mit Wundexpertin Kerstin Protz 18 Antikörper gegen NGF bei diabetischer Neuropathie 19 Neuropathie: Schmerzprofil berücksichtigen 19 Mehr schwere Hypoglykämien unter Tramadol 20 Prophylaxe häufiger episodischer Migräne: ALD403 20 Arzt-Patienten-Gespräch am Lebensende 22 CRC: Tumoroperation auch bei Palliativpatienten? 22 Phase-III-Studie: Naloxegol bei opioidinduzierter Obstipation For tbildung 23 Clusterkopfschmerzen Neuromodulation des Ganglion sphenopalatinum © fovito / fotolia.com Literatur kompak t 19 Hypoglykämien unter Tramadol Patienten, deren Schmerzen mit Tramadol behandelt werden, landen öfter mit einer Hypoglykämie im Krankenhaus als Patienten mit einer Codein-Therapie. Besonders riskant ist offenbar der Beginn der Therapie. Andreas Böger Unsere Organschaften: Verlagsredaktion springermedizin.de auf Twitter Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. Doris Berger, Dipl.-Biol. E-Mail: doris.berger@springer.com Das Zwitschern wird immer lauter: Werden Sie zum „Follower“ und „lauschen“ Sie unseren Springer-Medizin-Tweets auf www.twitter.com – oder mit dem Twitter-App auf Ihrem Smartphone. Deutsche Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie e. V. Berufsverband der Palliativmediziner in Westfalen-Lippe e. V. Dr. med. Kim Jené E-Mail: kim.jene@springer.com Verlag Urban & Vogel GmbH Aschauer Straße 30 81549 München Besuchen Sie uns online: www.springermedizin.de/schmerzmedizin springermedizin.de auf Twitter www.twitter.com/springermedizin Inhalt Schmerzmedizin 1 · 2015 26 Exazerbierende Schmerzsyndrome in der Praxis Angst vor dem Schmerz muss nicht sein Norbert Schürmann Zer tif izier te For tbildung © ChantalS / Fotolia 28 28 Herzinsuffizienz und COPD Palliativversorgung bei kardiopulmonalen Erkrankungen Christoph Gerhard Gesellschaf ten und Verbände Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) Herzinsuffizienz und COPD Patienten mit fortgeschrittener Insuffizienz des Herzens haben eine schlechtere Prognose als manche Tumorpatienten. Auch bei fortgeschrittener COPD ist Lebensqualität schlechter als bei Lungenkrebs. Dennoch erhalten Menschen mit kardiopulmonalen Erkrankungen selten Palliativversorgung. 34 Utopie oder Imperativ Der Facharzt für Schmerzmedizin 37 26. Deutscher interdisziplinärer Schmerz- und Palliativkongress Dem Leben Zukunft geben 39 DGS Innovationsforum Schmerzmedizin – Fakten, Hintergründe, Perspektiven 40 Veranstaltungen und Termine 41 25 Jahre Deutsche Schmerzliga (DSL) e. V. Schon viel erreicht, noch mehr zu tun! © Alexander Raths / fotolia.com Deutsche Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie e.V. (DAGST) 44 Typische Herausforderungen Schmerztherapie und Palliativmedizin sind feste Bestandteile der täglichen hausärztlichen Arbeit. Einige Beispiele aus der Praxis verdeutlichen mögliche Stolperfallen und typische Herausforderungen für Hausärzte in der schmerztherapeutischen und palliativmedizinischen Patientenversorgung. © Clemens Wawrzyniak / DGS Titel 42 Nachrichten, Veranstaltungen und Termine 44 Typische Beispiele aus der täglichen Praxis Schmerztherapie und Palliativmedizin in der hausärztlichen Versorgung Johannes Jäger Berufsverband der Palliativmediziner Westfalen-Lippe 49 Wir verneigen uns und trauern Praxis konkret 53 Internet im Wartezimmer und auf Station Sicherer WLAN-Zugang für Patienten Wir bitten um Beachtung Rubriken In diesem Heft finden Sie heftintegriert den Medizin Report aktuell „Opioide bei Nichttumorschmerzen – Retardiertes Oxycodon/ Naloxon von Vorteil“ (Seite 51). 32 CME-Fragebogen 52 Industrieforum 55 Impressum Panorama Unfälle Leichte Verletzungen – schwere Folgen — Australische Forscher befragten 364 Unfallopfer mit leichten bis mäßigen muskuloskeletalen Verletzungen (wie Schleudertraumata oder einfachen Frakturen) innerhalb von drei Monaten, 284 bzw. 252 Patienten auch nach einem und zwei Jahren [Gopinath B et al. Eur J Pain. 2014 Dec 8. (Epub ahead of print)]. Der Schmerzgrad änderte sich über die Zeit wenig. Subakute Beschwerden lagen auf einer numerischen Ratingskala (NRS) von 0 (kein Schmerz) bis 10 (maximaler Schmerz) im Durchschnitt bei 5,3 Punkten, nach zwölf Monaten bei 5,1 und nach 24 bei 4,5. Faktoren, die mit einer höheren Schmerzwertung korrelierten, waren: Alter über 45 Jahren, geringere Bildung, Untergewicht, mäßiger oder schlechter Gesundheitszustand, chronische Krankheit und Schmerzen vor dem Unfall. Auch Patienten mit Schleudertrauma, aber ohne Fraktur zeigten sich gefährdet. Ein Wert über 50 im Örebro Musculoskeletal Pain Screening Questionnaire (ÖMPSQ) ging ebenfalls mit höheren NRS-Werten einher. Negativ wirkte sich zudem ein die Schmerzen katastrophisierendes Verhalten während der subakuten Phase aus. Robert Bublak Hospizdienste Mehr Kooperation mit Pflegeheimen — Mit gezielten Beratungs- und Unterstüt- zungsangeboten will Nordrhein-Westfalen dazu beitragen, dass Hospizkultur und Palliativversorgung stärker als bisher in den stationären Pflegeeinrichtungen verankert werden. Die Pflegeheime sollen mit Hospizund Palliativdiensten zusammenarbeiten, um die Versorgung der Patienten zu verbessern und gleichzeitig die Pflegekräfte zu entlasten. Das Land stellt 2015 für die beiden „Ansprechstellen im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung“ (ALPHA) knapp 500.000 € zur Verfügung. Davon fließen 120.000–130.000 € in die Information und Unterstützung der Heime. „Wir wollen das, was wir in der Palliativversorgung an Vernetzung erreicht haben, in die Pflege bringen“, erläuterte Landesgesundheits- und Pflegeministerin Barbara Steffens (Grüne). Auch in den Pflegeeinrichtungen müsse eine adäquate Versorgung in der letzten Lebensphase sichergestellt werden. Um die Erkenntnisse aus der Palliativmedizin und der Hospizkultur in die Arbeit integrieren zu können, brauchten die ohnehin schon stark belasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Heimen Hil- festellung und Orientierung für konkrete Situationen, sagte Steffens. Das betreffe etwa den Umgang mit Bewohnern in der letzten Lebensphase, die die Nahrungsund Flüssigkeitsaufnahme verweigern. „Man muss den Menschen Sicherheit geben.“ Zurzeit begleitet eine Pflegekraft pro Jahr durchschnittlich 9 Sterbende. Diese Aufgabe sei für viele wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit, betonte Prof. Dr. Lukas Radbruch, Bonn. „Wir wollen nicht als weißer Ritter in die Heime preschen und alles selbst übernehmen, sondern die Mitarbeiter befähigen, die Dinge selbst zu machen.“ Bislang seien viele Heime noch sehr zurückhaltend, was die Zusammenarbeit mit Hospiz- und Palliativdiensten betriff t. „Wenn man ihnen gezielt erklärt, was die Dienste machen, steigt die Inanspruchnahme.“ Radbruch war federführend beteiligt an der Entwicklung des Konzepts „Gemeinsam auf dem Weg – Hospizkultur und Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen“. Dafür waren unter anderem Erfahrungen aus 29 Projekten ausgewertet worden. Über eine Art Baukastensystem wolle man den Heimen Hilfestellungen in den unterschiedlichsten Bereichen anbieten, erläuterte er. Ilse Schlingensiepen Migränetrigger Lachen, bis der Schädel brummt © chris-m / fotolia.com — Offenbar gibt es kaum eine menschliche Aktivität, die nicht auch Kopfschmerzen Migräne durch Lachen? Bei einigen Patienten ist das möglich. 8 verursachen kann. Nicht einmal das Lachen ist davon ausgenommen: Neurologen berichten nun von einer 46-jährigen Frau, die regelmäßig migräneartige Kopfschmerzen bekam, wenn sie spontan lachen musste [Shatti D et al. Headache. 2015;55(1):178-9]. Die Schmerzen hielten dann oft den Rest des Tages an und beeinträchtigten sie dermaßen, dass sie lustige Situationen vermied. Wie David Shatti und Mitarbeiter berichten, beschrieb die Frau den Schmerz als linksseitig und druckförmig, wobei bunte Sehstörungen auftraten. Begleitet wurde der Schmerz von einer Photophobie und von Übelkeit. In der Anamnese zeigten sich kaum Auffälligkeiten. Die Frau hatte bislang keine Migräne oder vergleichbare Kopfschmerzepisoden gehabt, sie berichtete lediglich über ein leichtes Schleudertrauma kurz vor Beginn ihrer Lachmigräne. Interessanterweise trat der Kopfschmerz nur beim spontanen Lachen auf. Sollte sie auf Kommando lachen, passierte nichts. Die Patientin lehnte eine medikamentöse Migräneprophylaxe ab und setzte lieber auf pflanzliche Präparate wie Mutterkraut sowie eine Vermeidungsstrategie. Nach einiger Zeit erlitt sie eine Kopfverletzung und entwickelte Depressionen, worauf ihr die Ärzte Nortriptylin verordneten. Zu dieser Zeit verschwanden dann auch die Kopfschmerzepisoden. Thomas Müller Schmerzmedizin 2015; 31 (1) © Comstock / thinkstockphotos.com Ärzte werden auch bei Feiern im privaten Kreis gern mal um ihren medizinischen Rat gebeten. Zwischen Tür und Angel lauern Gefahren Ärzte sollten Freunde nicht behandeln — Medizinische Fachorganisationen und Ethikkommissionen sprechen sich dagegen aus, dass Ärzte – von Notfällen abgesehen – Familienangehörige und Freunde behandeln. Denn: Mediziner neigen dazu, im privaten Umfeld bei der Abklärung geschilderter Beschwerden unstrukturiert vorzugehen. Nicht selten sei die zwischen Tür und Angel erhobene Anamnese unvollständig, die körperliche Untersuchung werde oft lückenhaft durchgeführt oder unterbleibe mangels geeigneter Örtlichkeiten komplett. Die emotionale Beziehung zu solchen „privaten Patienten“ könne zudem die objektive Bewertung von Nutzen und Risiken vorgeschlagener Maßnahmen beeinträchtigen. Unterdiagnostik sei ebenso möglich wie Überdiagnostik, zudem drohe eine Überschreitung des eigenen Fachgebiets, wie Katherine J. Gold und Kollegen in einer kürzlich publizierten Arbeit festgestellt haben [Gold KJ et al. N Engl J Med. 2014;371(13):12548]. Der Arzt arbeitet Komplikationen und Fehlbeurteilungen eventuell unsachlich auf, die Betreuung bleibt häufig formlos und undokumentiert. Dennoch: in einer Studie von 1991 gaben 99 % der befragten Ärzte an, dass sie in der Vergangenheit von Angehörigen und Freunden um Rat und Hilfe gebeten worden waren. Das Spektrum dieser „Freundschaftsdienste“ reiche von akuter und kurzer Beratung bis hin zu Behandlungen von schweren chronischen Erkankungen und invasiven Eingriffen. Die American Medical Association rät aus medizinischer und ethischer Sicht nachdrücklich davon ab, Angehörige und Freunde zu behandeln, betont auch Prof. Dr. Heinrich Holzgreve, München, in einem Kommentar in der Zeitschrift MMW-Fortschritte der Medizin. Doris Berger Terminservicestellen Keine Option für Patientenverband Die von der Bundesregierung geplanten Terminservicestellen werden nun auch von Patienten kritisiert. Der bundesweit tätige Verein SchmerzLos e. V. bezeichnete die Servicestellen als „unsinnig“. „Damit wird eine neue Bürokratie geschaffen, die die Probleme von Schmerzpatienten nicht ansatzweise lösen wird“, kommentierte der Vereinsvorsitzende Hartmut Wahl. Er hält es für wichtiger, dass mehr Ärzte eine schmerztherapeutische Ausbildung erhalten. Nach Wahrnehmung des Vereins verkürzen immer mehr Ärzte ihre Arbeitszeit im schmerztherapeutischen Bereich, weil die Leistungen nicht ausreichend honoriert werden. Folge seien Wartezeiten von bis zu einem Jahr für Menschen mit chronischen Schmerzen. Wahl schlug vor, die Vergütung für entsprechende Leistungen anzuheben. Dirk Schnack Schmerzmedizin 2015; 31 (1) 9 Medizin ak tuell Pro & Kontra Opioide bei Nichttumorschmerzen LONTS-2 – alle Klarheiten beseitigt? Sollen Patienten mit chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen Opioide erhalten? Wenn ja welche und für wie lange? Schon die erste Fassung der S3-Leitlinie LONTS hat diesbezüglich zu kontroversen Diskussionen geführt. Daran hat auch die Akualisierung nichts geändert. Pro: Dogma? Wer sagt das? D ie Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden zur Behandlung bei nicht tumorbedingten Schmerzen“ (LONTS) hat eine fast 13-jährige Geschichte. Nach einem Konsensuspapier 2002 wurde 2009 LONTS publiziert und 2014 die gründliche Überarbeitung, LONTS-2 mit 45 Konsenspunkten zu Indikation, Kontraindikation sowie Nutzen und möglichem Schaden von Opioiden zur Therapie von nicht tumorbedingten Schmerzen. Bei der Erstellung der Leitlinie wurde Wert darauf gelegt, nicht nur die bei der AWMF akkreditierten medizinischen und psychologischen Fachgesellschaften an den runden Tisch zu holen, sondern auch explizit mehrfach die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), Patientenvertreterorganisationen und zahlreiche Experten aus verschiedenen Bereichen. Man kann sich die Frage stellen, wozu denn eine solche Leitlinie überhaupt notwendig sei? Wozu dienen Leitlinien überhaupt? Sind sie unumstößliches Gesetz, dem der niedergelassene Hausarzt, Facharzt und Klinikarzt sklavisch folgen muss? Dazu sagt die Deutsche Schmerzgesellschaft: „Medizinische Leitlinien sind dem Stand der Wissenschaft entsprechende klinische Empfehlungen. Sie sollen Ärzten und Patienten bei der Entscheidung über Diagnostik und Therapie unterstützen. Abweichungen von diesen Empfehlungen sind in begründeten Einzelfällen möglich.“ Wir halten fest: Kein Arzt ist gezwungen, nach einer Leitlinie zu therapieren, denn Leitlinien sind juristisch nicht bindend, im Gegensatz zu Richtlinien oder 10 Gesetzen. Wir brauchen, einen kritisch lesenden Arzt, der sich im Sinne einer besseren Patientenversorgung fortbildet. Wir brauchen keine dogmatische a priori Verurteilung praxisrelevanter wissenschaft licher Erkenntnisse gemäß dem Leitspruch: „Das habe ich aber immer schon so gemacht.“ LONTS nützt den Bedürfnissen in der Praxis Ziel eines jeden Arztes sind doch die Verbesserung der Patientensicherheit, eine adäquate Therapieumsetzung, die Vermeidung von Fehlversorgung und die Verhinderung von Missbrauch. Dies erreicht man über eine gute Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. LONTS beschreibt diese Ebenen in gut nachvollziehbarer Weise und davon profitiert der Patient. Wo sollte der Kliniker nachschlagen, ohne dass man sich mit einer Flut von einzelnen Publikationen auseinandersetzen muss? LONTS dient den Bedürfnissen in der Praxis, z.B. als Orientierungshilfe in problematischen Situationen. Ein Beispiel: Wenn Patienten mit schwer zu therapierenden Krankheitsbildern, die lege artis nicht mit Opioiden behandelt werden sollten, den Arzt bewusst oder unbewusst drängen, diese zu verschreiben, braucht der Arzt einen einfach zugänglichen Referenzpunkt. So sei hier die somatoforme Schmerzstörung, die Fibromyalgieerkrankung oder viele Kopfschmerzerkrankungen genannt, wo der OpioidEinsatz nachweislich Schaden verursacht. Kollegen mit der Weiterbildung „Suchtmedizin“ werden dies bestätigen. Zudem liefert LONTS ist, dem klinisch tätigen Arzt nützliche Praxiswerkzeuge: welche Leitlinie hat jemals einen Handzettel zur Fahrtüchtigkeit, zum Vorgehen bei Niereninsuffizienz, der Behandlung der opioidinduzierten Obstipation, etc. etc. angeboten? Viele Schmerzmediziner nutzen das angebotene Material täglich. Ergo kann von einer mangelnden Anwendbarkeit dieser Leitlinie oder fehlenden Orientierung am Bedarf nicht die Rede sein. Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse Gemäß der hohen wissenschaft lichen Evidenz – S3-Leitlinie bedeutet das höchsterreichbare Niveau – kann sich der Anwender auf die Kernaussagen verlassen. Oder mal invers und polemisch ausgedrückt: Es handelt sich nicht um eine „facebook“-artige Abstimmung über die als „beste“ angesehene Therapie in Form einer Praxisleitlinie nach dem Motto „ich habe gute Erfahrungen mit …“, sondern um dass, was wir Ärzte wissen und auch anwenden sollten. Dies hat nichts mit einer Opioiphobie zu tun, denn Ziel ist es, möglichst viele schmerzkranke Menschen mit der im Jahre 2015 als wirksam erkannten Behandlungsmöglichkeit, auch mit Opioiden, zu versorgen. Nur muss die Indikation für Opioide auch gegeben sein! LONTS und ihre Autoren wurden in der Vergangenheit dafür kritisiert, dass es keine qualitativ hochwertige Evidenz für eine Wirksamkeit von Opioiden in der Langzeittherapie gäbe und die zugrunde liegenden Metaanalysen methoSchmerzmedizin 2015; 31 (1) dische Mängel aufwiesen. So werden immer wieder vermeintliche Widersprüche aufgelistet. Natürlich ist jeder angreifbar, der es wagt, auch unbequeme Aussagen abzugeben und wissenschaft lich nicht geklärte Sachverhalte auch so zu benennen. Alles andere wäre unseriös. Geradezu katastrophisierenden Charakter haben Verlautbarungen von dritter Seite, nach denen die KVen wegen LONTS bereits nach drei Monaten eine Opioiddauertherapie nicht mehr vergüten wollten! Cui bono? Solche gerne gepflegten Fehlinterpretationen können dem Anliegen der Schmerzmedizin nicht nutzen! Natürlich kann LONTS nur das wiedergeben, worauf man sich berufen kann. Alles andere kann dennoch „empfohlen“ werden. Widersprüche gibt es in der gesamten Literatur und wird es immer geben. Auf Grund von validen wissenschaft lichen Daten aus den USA, deutschen Analysen der Daten einzelner gesetzlicher Kostenträger und weiteren Leitlinien mit identischem Ergebnis von LONTS werden allerdings die Kernaussagen bestätigt. Lesen hilft, Katastrophisieren nicht! Gleichwohl muss man sich fragen, welchen Gehalt diese Kritik aufweist, was denn daran für die Gesamtbedeutung der Leitlinie so negativ sein soll und was daraus abzuleiten ist? Wird hier etwa eine wissenschaft liche Leitlinie zum Anlass genommen, künstlich einen Konflikt zu schüren? Im deutschen Fachorgan „Der Schmerz“ ist in der Vergangenheit mehrfach darauf eingegangen worden. So kommentiert Hardo Sorgatz: Schmerzmedizin 2015; 31 (1) „Die vorsichtige und vermutlich realistische, aber dennoch positive Wirkungsannahme rechtfertigt einen Therapieversuch mit Opioiden. Aber dieser ist nicht mit der Wirkungszunahme gegenüber anderen Therapieoptionen zu begründen, sondern mit der individuellen Vorgeschichte und dem Risikoprofi l des jeweiligen Patienten. Von daher wäre es absurd anzunehmen und inhaltlich wie juristisch nicht haltbar, aus den LONTSEmpfehlungen die Erstattungsfähigkeit von Opioiden bei chronischen Schmerzen zu bezweifeln.“ Also, keine Rede von einem Dogma oder gar Verbot. LONTS ist eine Synthese der besten verfügbaren Studien, dem Wissen von Experten und den Erfahrungen von Patienten für die Praxis. Darauf zu verzichten wäre ein Verlust. Fazit: Lesen hilft! LONTS nützt! Übrigens: miteinander sprechen statt übereinander auch. PD Dr. med. Stefan Wirz CURA - katholisches Krankenhaus im Siebengebirge, Bad Honnef stefan.wirz@cura.org Kontra: Mögen Sie Leitlinien? N un das ist wahrscheinlich die falsche Frage, schließlich muss man ja nicht gleich alles mögen, was gut, sinnvoll und richtig erscheint. Besser wäre also die Frage: Brauchen Sie Leitlinien? Können Ihnen Leitlinien in Ihrem Praxisalltag helfen? Können Ihnen Leitlinien bei der Behandlung ihrer Patienten konkret nützen? Die Antworten sind eindeutig: Ja, Ja und nochmals Ja! Leitlinien (wenn sie richtig gut gemacht sind) könn(t)en auch für die Schmerzmedizin eine echte Bereicherung darstellen, dann nämlich, wenn sie – den Vorgaben ihrer Entwicklungsväter folgend – transparent Einblicke in die aktuell verfügbare externe Evidenz geben, die real existierenden Gegebenheiten konkreter Versorgungssituationen (be)achten, den Notwendigkeiten individuell maßgeschneiderter Behandlungskonzepte und den ihnen zugrunde liegenden Besonderheiten bzw. Bedürfnissen Betroffener Tribut zollen und die interne Evidenz als Form des Erfahrungswissens hinterfragen – jedoch ihre Bedeutung nicht generell in Frage stellen würden. Dann – und nur dann! – so zumindest formulierte es einst David Sackett sind Leitlinien und das ihnen zugrunde liegende Konzept der „evidence-based medicine“ sinnvoll. Denn dann integrieren Leitlinien ärztliche Kunst und medizinisches Wissen zum Wohle des Patienten. Kontraproduktiv sind Leitlinien nach Sackett dann, wenn ihre Empfehlungen wie die Rezepte in einem „Kochbuch“ genutzt werden und ihre Aussagen von dem für Anfänger sinnvollen Optionscharakter (zur Erreichung/Sicherstellung einer gewissen Mindestqualität) hin zu obligat verpflichtenden bzw. allfälligen Kostenkontroll- und Qualitätssicherungsmaßnahmen permutieren, die letztlich erfah- 11 Medizin ak tuell renen Behandlern in der individuellen Optimierung ihrer Bemühungen zur Versorgung gerade chronisch schmerzkranker Menschen nicht unterstützen, sondern ihnen Grenzen setzen. Echte „evidence“ wäre also – zumindest in der ursprünglich zugrunde liegenden Intention und unter der Voraussetzung einer handwerklich einwandfreien Erstellung und wertfreien Berichterstattung – gerade für die Schmerzmedizin richtig, wichtig und sinnvoll. Was für tolle Optionen würden sich uns allen bieten, wenn wir auf der Grundlage guter Leitlinien die Möglichkeit geboten bekämen, unsere empirisch für sinnvoll gehaltenen und realisierten Behandlungskonzepte kontinuierlich zu hinterfragen und zum Wohle unserer Patienten zu optimieren – oder auch nicht! Und genau an diesem Anspruch scheitert auch die Neuauflage der S3-Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden in der Schmerztherapie LONTS-2. Sie formuliert auf Kochbuchniveau bekannte (und für Anfänger sicherlich hilfreiche) Allgemeinplätze der Behandlung mit Opioidanalgetika, macht jedoch neuerlich die diesbezüglich zugegebenermaßen unverändert begrenzt verfügbare externe Evidenz zum Maß aller Dinge. Und sie verklärt die sich durch die unzureichende Datenlage ergebenden Beschränkungen eigener Aussagen und Empfehlungen durch großzügige Publikationserstellungen in hauseigenen Journalen und durch bewusst hinters Licht führende Verallgemeinerungen. Ein Beispiel gefällig? Gerne: „In der Kurzzeittherapie (4–12 Wochen) von … Kreuzschmerz … sind Nichtopioidanalgetika Opioiden in Bezug auf die Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit und hinsichtlich der Verträglichkeit überlegen“ [Welsch P et al. Schmerz. 2014; online first; DOI 10.1007/s00482-014-1436-0]. Klare Ansage also: Buprenorphin, Fentanyl, Hydromorphon, Morphin, Oxycodon, Tapentadol, Tilidin und Tramadol – sie alle sind laut LONTS-2 schlechter wirksam und verträglich als die sonst bei dieser Indikation verordneten Wirkstoffe Paracetamol, Diclofenac, Ibuprofen, Coxibe, Metamizol, Flupirtin, diverse Muskelrelaxanzien, Antidepres- 12 Pro & Kontra siva und Antikonvulsiva, etc. Nun denn, wenn dem so ist. Ist aber nicht so! Grundlage dieser vollumfänglichen Aussage bzgl. der Behandlung eines der komplexesten Gesundheitsprobleme westlicher Industrienationen ist nämlich nur eine einzige (noch dazu von mir selbst veröffentlichte) Studie in der bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen ein schwach wirksames Opioid (Tramadol) einem muskeltonusmindernden Nichtopioidanalgetikum (Flupirtin) über vier Wochen bzgl. Wirkung und Verträglichkeit unterlegen war. Eine einzige Studie, ein Vergleich zweier Wirkstoffe, nur vier Wochen Beobachtungszeit! Und dann so eine Aussage? Verstehen Sie, was ich meine? Genau das ist es, was mich bei LONTS-2 zur Weißglut treibt: das Aussagenniveau der Leitlinie wird dem selbstgesetzten Anspruch nicht gerecht, unzureichende Daten werden verallgemeinert und verklausuliert, konkrete Fakten werden mit wie auch immer intendierten ideologischen Zielsetzungen zu einem kaum mehr zu durchschauenden Leitlinienkonstrukt verwoben und jegliche (dringend notwendige) wissenschaftliche Auseinandersetzung unter Verweis auf die „methodische Einwandfreiheit“, die „hohe wissenschaftliche Qualität“, „das Recht auf freie Meinungsäußerung“ und die institutionelle Beanspruchung der Deutungshoheit im Keim erstickt. So etwas ist für mich weder echte Wissenschaft, noch entspricht es meinem Verständnis von echter „evidence-based medicine“. So etwas hilft nicht bei der Versorgung chronisch schmerzkranker Menschen, sondern dient – getarnt als Instrument der Qualitätssicherung – allenfalls der Leistungsstandardisierung (auf kleinstem gemeinsamen Nenner) und der Kostenkontrolle, nicht jedoch unseren Patienten. PD Dr. med. Michael A. Überall Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie und Pädiatrie (IFNAP), Nürnberg Michael.Ueberall@ifnap. de Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Medizin ak tuell Im Fokus Qualen, die niemals enden Schmerzbehandlung für Folter-, Gewalt- und Kriegsopfer Die vermehrte Aufnahme von Flüchtlingen erfordert auch in Deutschland eine Sensibilisierung der Ärzteschaft für das Thema, da Krankheitsbilder von Flüchtlingen nicht selten auf erlittene Gewalt in ihren Heimatländern zurückzuführen sind. In Argentinien wurde daher eine „Special Interest Group“ gegründet. O bwohl die Genfer Konvention den Einsatz der Folter verbietet, gehört diese in vielen Ländern zum Alltag, zum Beispiel im Rahmen militärischer und polizeilicher Verhöre. Nicht selten sind sogar Mediziner an den Folterungen oder bei der Unterdrückung von Beweisen der Gewalt beteiligt. Den 15. World Congress on Pain, der im Oktober vergangenen Jahres in Buenos Aires, Argentinien, stattfand, nahmen zwölf Experten zum Anlass, über die Lage und die Möglichkeiten der Schmerzbehandlung von Folter-, Gewaltund Kriegsopfern zu diskutieren. Diese „Special Interest Group“ (SIG), in der sich auch Deutsche Kollegen en- gagieren, hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch Foltermethoden ausgelöste Erkrankungen und Schmerzen festzustellen und geeignete Therapieformen zu entwickeln. 51 Millionen Flüchtlinge weltweit Die Ausgangslage ist bedrückend: Von den rund 51 Millionen Flüchtlingen weltweit sind mehr als die Hälfte unter 18 Jahren alt. In 112 Ländern der Welt wird gefoltert. Vor diesem Hintergrund informierten Kollegen in Buenos Aires über ihre Erfahrungen in Krisengebieten: Chronisch Kranke, zu denen auch Schmerzkranke gehören, seien medizinisch unterversorgt, ihre Immobilität Informationen zur Special Interest Group (SIG) der International Association for the Study of Pain (IASP): © picture alliance / ZUMAPRESS.com SIG Pain Related to Torture, Organized Violence and War www.iasp-pain.org/ SIG/TOVW In Deutschland vertritt Dr. Thomas Cegla vom Krankenhaus St. Josef, Wuppertal, die SIG. Thomas.Cegla@ cellitinnen.de Für äußere Verletzungen ist oftmals rasche Hilfe vor Ort. Die Seele leidet weiter. Das gilt für die meisten Gewaltopfer. 14 verschlechtere ihren Gesundheitszustand. Den Helfern vor Ort seien Maßnahmen zur Vermeidung von Schmerzen oft nicht bekannt. Mit ihrer Arbeit wendet die SIG sich zukünft ig an die Helfer in den Krisenregionen und an die Ärzte in den Aufnahmeländern für Flüchtlinge. Absicht der Gruppe ist es, Kontakte zu Organisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International zu intensivieren und mit ihnen zu diskutieren, wie die schmerztherapeutische Behandlung vor Ort verbessert werden kann. Außerdem möchten die Mediziner Weiterbildungsangebote entwickeln und anbieten, die die medizinischen Notwendigkeiten der Schmerztherapieprophylaxe zum Thema haben. Dazu stellten die Teilnehmer der Arbeitsgruppe im Rahmen eines Workshops die Probleme klar heraus: — Einige moderne Foltermethoden, wie akustische Gewaltanwendung, Schlafentzug oder das häufig in den arabischen Staaten angewendete Schlagen auf die Fußsohlen (Falange), können Krankheitsbilder nach sich ziehen, die nicht direkt auf Folter schließen lassen. — Spezielle Traumatisierungen in den Herkunftsländern der Patienten können Schmerzen auslösen, deren Ursache nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist. An dieser Stelle möchte die SIG Aufk lärungsarbeit leisten und Ärzte dafür sensibilisieren, besonders bei Patienten aus Krisenregionen einen möglichen Folterhintergrund in die Anamnese einzubeziehen. Zukünft ig wird die Arbeitsgruppe Erfahrungsberichte sowie die vorhandene Literatur bündeln und die Ergebnisse auf Internetseiten mittels Verlinkungen öffentlich zugängig machen. Dr. med. Thomas Cegla, Wuppertal Thomas.Cegla@cellitinnen.de Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Medizin ak tuell Chronische Wunden bei Palliativpatienten Der Geruch ist ein großes Problem Die Versorgung von Palliativpatienten mit chronischen Wunden ist ein komplexes Gebiet. Daher ist es wichtig, offen und einfühlsam mit Patienten und Angehörigen zu reden. Wir sprachen mit Kerstin Protz, Referentin für Wundversorgungskonzepte und Fachberaterin für medizinische Einrichtungen. ? Frau Protz, im Mittelpunkt der pallia- tiven Wundversorgung steht die Lebensqualität des Patienten. Was macht diese Lebensqualität aus? Kerstin Protz: Für den Patienten ist es wichtig, dass er, soweit es geht, seine Selbstbestimmung und Würde bis zum Ende seines Lebens behält. Dazu gehört die Kontrolle der Schmerzen und zu versuchen, das Wundwachstum und den Wundzerfall sowie Komplikationen so weit wie möglich zu verzögern. Auch der Geruch ist ein großes Problem, das zu sozialer Isolation führt, gerade bei Tumorexulzerationen. Hinzu kommt, dass die Wunden oft sehr feucht sind. Das ist nach außen sichtbar und ebenfalls eine große Belastung für die Betroffenen. Weitere Probleme sind starke Blutungen und Juckreiz. Wichtig ist es bei, der Wundbehandlung auf die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten einzugehen. chen Wünschen des Patienten hintangestellt werden. ? Worin unterscheidet sich die Wundversorgung bei Palliativpatienten von der üblichen Wundversorgung? Protz: Wir müssen grundsätzlich differenzieren zwischen Wunden mit noch bestehenden Heilungschancen und Wunden ohne Heilungschance aufgrund einer unheilbaren Erkrankung. Für letztere ist die Reduktion von Einschränkungen und Komplikationen unter Erhaltung einer bestmöglichen Lebensqualität des Betroffenen das Ziel. Exulzerierende Tumorwunden sollten nicht mit folienbeschichteten Wundauflagen abgedeckt werden. Diese fördern und erhalten ein feucht-warmes Wundmilieu und unterstützen somit optimal das Zellwachstum. Gegebenenfalls ? Wie kann das gelingen angesichts die- „Wichtig ist es, bei der Wundbehandlung auf die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten einzugehen. “ ser sehr komplexen Situation? Protz: Als Pflegende und Betreuer müssen wir lernen, nicht primär unsere eigenen medizinischen und pflegerischen Ziele zu verfolgen. Es gilt, Sensibilität für die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten zu entwickeln und mit ihm und seinen Angehörigen offen darüber zu sprechen. Manche wollen zum Beispiel mit ihren Freunden einfach noch einmal einen Kaffee trinken gehen. Da kann es angebracht sein, eine Tumorexulzeration eben doch einmal mit einem Folienverband abzudecken, um Gerüche für diesen kurzen Ausflug zu minimieren, obwohl diese Versorgung eigentlich ungeeignet ist. Übliche Ziele der Pflege und Medizin müssen manchmal gegenüber persönli- 16 Kerstin Protz Selbständige Referentin für Wundversorgungskonzepte und Fachberaterin für medizinische Einrichtungen sowie Sachverständige für Pflege; Projektmanagerin Wundforschung am Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) sowie am Comprehensive Wound Center (CWC) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf kann damit das Wachstum der Tumorzellen gefördert werden. Daher ist hier eine konventionelle Sekundärabdeckung, wie Kompressen, zu bevorzugen. ? Inwiefern können Pflegende zur Kontrolle der Schmerzen bei den Patienten beitragen? Protz: Eine adäquate systemische Schmerztherapie ist unabdingbar. Es ist zu klären, ob die Schmerzmedikation ausreichend ist, ob Nebenwirkungen bestehen und ob gegebenenfalls ein Schmerztherapeut hinzugezogen werden muss. Werden die Präparate regelmäßig unter Beachtung des Wirkeintritts eingenommen? Ist die Bedarfsmedikation ausreichend? - Diese Fragen können Pflegende klären. ? Um zusätzliche Schmerzen zu vermei- den, soll der Verbandswechsel atraumatisch erfolgen. Wie sieht das aus? Protz: Ehrlicherweise müssen wir eher von einem schmerzarmen Verbandswechsel sprechen. Vorausgesetzt, der Patient hat zeitnah seine Schmerzmedikation erhalten, wird mit ihm konkret besprochen, was ansteht. Denn ein Patient, der nicht genau weiß, was passiert, hat noch mehr Angst vor der Prozedur. Schmerzerleben und -erwartung mindern seine Lebensqualität. Es ist hilfreich, Stopp-Signale zu vereinbaren, so dass der Betroffene das Tempo des Verbandswechsels mitbestimmen kann. Die Umgebung sollte so stressfrei wie möglich sein, Lärmquellen wie Radio und Fernseher sind auszuschalten, ebenso das Handy. Dinge wie Baulärm kann man nicht vermeiden – dann hilft es, darüber zu sprechen, so dass der Patient einfach mal Dampf ablassen kann. ? Offene Fenster sollten ja sowieso geschlossen werden – richtig? Protz: Ja, schon allein, um Zugluft zu vermeiden, weil diese an der offenen Wunde Schmerzreize setzt. Weiterhin achten wir darauf, dass der Patient so be- Schmerzmedizin 2015; 31 (1) quem wie möglich liegt, es nützt nichts, wenn ich gut an die Wunde herankomme, der Patient aber die Lagerung nicht toleriert, die zu Schonhaltung und Stressreaktionen führt. ? Sie sprachen das Tempo des Verbandwechsels an. Zeit ist natürlich aus mehreren Gründen ein kritischer Faktor... Protz: Generell soll der Verbandswechsel möglichst zügig ablaufen, ansonsten kann die Wunde auskühlen und austrocknen.Dies löst dann wiederum Schmerzen aus. Andererseits muss ich mich nach dem Patienten richten und Stopp-Signale akzeptieren. ? Was ist nach Entfernen des Verbandes in puncto Schmerzvermeidung zu beachten? Protz: Spüllösungen werden auf Körpertemperatur angewärmt, zum Beispiel im Wasserbad oder unter laufendem Warmwasser, kleinere Behältnisse passen in die Kitteltasche. Die Lösungen sollten keine aggressiven Stoffe wie Alkohol enthalten. Manchmal wird mit einem Lokalanästhetikum, der Emla®-Creme, gearbeitet, besonders wenn ein chirurgisches Débridement oder eine ausführlichere Wundreinigung ansteht. Wichtig ist die Abdeckung mit einer sterilen Folie, da eine Kompresse das Lokalanästhetikum aufsaugen würde. Nach einer Einwirkzeit von 45 bis 60 Minuten ist die volle anästhesierende Wirkung erreicht. Der Verbandswechsel muss also gut geplant werden. In der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) sind allerdings andere Budgets bzw. Vergütungen als in der Regelversorgung möglich. ? Das Verbandsmaterial soll für die Patienten bequem und akzeptabel sein. Was heißt das? Protz: Harte, starre Materialien, die womöglich noch die Geruchs- und Exsudatbildung fördern, werden vermieden zugunsten von weichen, anschmiegsamen und gut lösbaren Verbandsmaterialien wie Gittern oder Schäumen mit zum Beispiel Silikonbeschichtung. Diese lassen sich zudem relativ schmerzarm entfernen. Der Verband soll die Mobilität möglichst wenig behindern und Einschnürungen sind zu vermeiden. Zudem ist auf eine spannungsfreie Applikation zu achten. Empfehlenswert sind Produkte ohne Klebeflächen, um Nervenreizungen zu vermeiden. Sie werden mit Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Schlauchverbänden oder elastischen Mullbinden fixiert. ? Sie erwähnten eingangs die teilweise starke Exsudatbildung. Wie wird damit umgegangen? Protz: Deren Ursache ist bei Tumorexulzerationen nicht mehr kausal zu beseitigen. Wir benötigen also Material, dass das Exsudat so gut wie möglich bindet. Ein Schaumverband würde, sobald er erschöpft ist, Feuchtigkeit abgeben und damit Wundrand und -umgebung erheblich reizen. Es gibt windelähnliche Vlieskompressen mit so genannten Superabsorbern, die zum Teil mehrere hundert Milliliter Exsudat aufnehmen können. Die Wundumgebung bleibt damit relativ trocken und die Haut weitgehend intakt. Naturgemäß sind diese Verbände dann auch vergleichsweise schwer und in individuellen Abständen zeitnah, jedoch spätestens nach vier Tagen, zu wechseln. Nachteilig ist, dass diese Vlieskompressen mit Superabsorber beim Auflegen recht fest und hart sind. Erst beim Aufquellen werden sie weicher. Wichtig ist, einen guten Hautschutz einzusetzen, etwa transparente Hautschutzfilme, die eine Beurteilung der Wundumgebung ermöglichen und die Haut vor Exsudat und Ausscheidungen schützen. Die Verbände sollten so oft wie nötig und so selten wie möglich gewechselt werden. ? Exulzerierende Wunden können stark bluten. Was sind dabei geeignete Versorgungsstrategien? Protz: Zuallererst sollten diese Patienten dunkle und farbige Bettwäsche erhalten. Denn Blut auf weißer Bettwäsche löst bei Patienten und Angehörigen große Angst, ja teilweise dramatische Panikattacken aus. Ansonsten ist der Umgang damit wirklich eine Herausforderung. Gegebenenfalls ist im Bedarfsfall ein leichter Druckverband möglich oder eine milde Kühlung. Mit 0,1-prozentigem Adrenalin getränkte Kompressen, eine Off-Label-Therapie, sind in akuten Situationen anwendbar. Dies sollte wegen der möglichen systemischen Wirkung aber unter ärztlicher Kontrolle erfolgen. Und aus der Chirurgie kennen wir lokal anwendbare Hämostyptika wie Tabotamp®. Kalziumalginate reichen bei Palliativpatienten in der Regel nicht für die Blutstillung aus. ? Unangenehme Gerüche belasten den Patienten, stören sein Körperbild, sind aber auch ein Stressfaktor für die Pflegenden. Wie kann man sie vermeiden? Protz: Außer den Schmerzen ist der Geruch für die Patienten tatsächlich oft das Allerschlimmste! Manche ekeln sich vor sich selbst, und Angehörige wie Pflegende können entsprechende Reaktionen vor dem Patienten nicht verbergen. Deshalb kann ich nur empfehlen, auch in diesem Punkt offen miteinander umzugehen und dies zu besprechen. Für alle Beteiligten ist es berfeiend, darüber zu reden! Aktivkohlewundauflagen ohne und mit antibakteriell wirkendem Silber, die geruchsbindend sind können helfen, auch wenn das nicht immer ausreicht. Ein Schälchen mit Kaffeepulver im Zimmer kann unterstützend die Gerüche binden. Wirksam sind auch in Apotheken hergestellte zweiprozentige Chlorophyll-Lösungen auf wässriger Basis. Dieser werden auf die wundabgewandte Seite der Kompresse aufgetragen. Diese Lösungen sind jedoch nicht konserviert und müssen nach Anbruch innerhalb von ein bis drei Tagen aufgebraucht werden. Ein direkter Wundkontakt ist aufgrund der grünen Verfärbung zu vermeiden. Zudem gibt es Chlorophyll-Dragees (Stozzon®), die Mund- und Körpergerüche binden. Möglich ist auch der lokale Einsatz von Metronidazol, dies ist eine Off-LabelTherapie. Zeitgemäße lokale Antiseptika wie Polihexanid-Zubereitungen wie Serasept® oder mit Octenidin wie Octenisept® sind ebenfalls eine gute Unterstützung. Von Aromalämpchen mit ätherischen Ölen rate ich ab, weil daraus teilweise Übelkeit erregende Geruchskombinationen resultieren. Künstliche Geruchsbinder wie Nilodor® können helfen, verstärken aber manchmal auch das Geruchsproblem. ? Der Immunstatus von Palliativpatienten kann erheblich reduziert sein. Was bedeutet das für die Wundversorgung? Protz: Nach Empfehlungen des RobertKoch-Instituts (RKI) muss jede Wundspülung steril sein. Ringer- und physiologische Kochsalz-Lösungen sind die klassischen Wundspüllösungen, Reste müssen jedoch nach Anbruch verworfen werden, da diese Lösungen unkonserviert sind. Es gibt inzwischen mit Octenidin oder Polihexanid konservierte Spüllösungen, die über mehrere Wochen verwendet werden dürfen. Das Interview führte Thomas Meißner. 17 In der Rubrik „Literatur kompakt“ werden die wichtigsten Originalarbeiten aus der internationalen Fachliteratur referiert. © Mehmet Dilsiz / Fotolia.com Literatur kompak t Antikörper gegen NGF bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie Untersucht wurden Sicherheit und Verträglichkeit eines monoklonalen Antikörpers gegen den Nervenwachstumsfaktor bei schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie (PNP). E twa 16 % aller Diabetespatienten leiden an einer schmerzhaften PNP, die oft nicht auf die übliche schmerzlindernde Therapie anspricht. NGF (Nerve Growth Factor) ist stark schmerzerzeugend und seine Antagonisierung wirkt in Tiermodellen analgetisch. Fulranumab, ein rekombinanter Antikörper gegen NGF, war in einer Studie zu Schmerzen bei Osteoarthritis wirksam. Die randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie schloss Patienten mit mäßiger bis schwerer schmerzhafter diabetischer PNP ein, die auf die Standardtherapie nicht ansprachen. Sie erhielten entweder Placebo oder Fulranumab (1 mg, 3 mg oder 10 mg s. c. alle 4 Wochen) und wurden alle 4 Wochen klinisch evaluiert. Auf eine 5-wöchige Screening-Phase folgten eine 12-wöchige Doppelblind-, eine 40-wöchige doppelblinde Extensions- und eine 52-wöchige offene Extensionsphase. Die Studie sollte 200 Patienten einschließen, wurde aber nach Aufnahme von 77 Patienten abgebrochen, da die FDA alle Studien mit Anti-NGF-Antikörpern stoppte. Primärer Endpunkt war der Mittelwert der mittleren täglichen Schmerzstärke in Woche 12 minus dem gleichen Wert aus der 1-wöchigen Baseline-Phase. Von 312 gescreenten Patienten konnten 77 randomisiert werden. Davon beendeten 62 die Doppelblindphase bis Woche 12 und 13 die Doppelblind- 18 Extensionsphase. 12 Patienten begannen die offene Extensionsphase, mussten diese jedoch wegen des FDA-Stopps abbrechen. Nur unter der 10-mg-Dosis zeigte sich in Woche 12 eine signifikante Schmerzreduktion versus Baseline und versus Placebo. In der 10-mg-Gruppe gab es signifikant mehr Responder (mindestens 30 % Schmerzreduktion) als in der Placebogruppe. Eine Post-hoc-Analyse zeigte, dass ein Ansprechen wahrscheinlicher war, wenn im NPSI(Neuropathic Pain Symptom Inventory)-Fragebogen bei Baseline höhere Werte für brennende und drückende Spontanschmerzen erreicht wurden. Unerwünschte Wirkungen waren unter Placebo und Fulranumab ähnlich häufig. Fazit: Obwohl nur ein Drittel der geplanten Patienten analysiert werden konnte, führte Fulranumab 10 mg zu einer klinisch signifkanten Schmerzlinderung. Wang H et al. Fulranumab for treatment of diabetic peripheral neuropathic pain: A randomized controlled trial. Neurology. 2014;83(7): 628-37. Kommentar von Prof. Sommer NGF ist eine der stärksten natürlich vorkommenden schmerzvermittelnden Substanzen, besonders bei Entzündungsschmerz [McMahon SB. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 1996; 351(1338):431-40]. Nozizeptoren sind von NGF abhängig. Wenn NGF in der Entwicklung eines Organismus fehlt, können die Betroffenen keine Schmerzen empfinden, was zu massiver Beeinträchtigung und Behinderung führt [Indo Y. Eur J Neurosci. 2014; 39(3): 375-91]. Beim Gesunden verursacht die Injektion von NGF Schmerzen [Dyck PJ et al. Neurology. 1997;48(2):501-5]. Es liegt daher nahe, einen NGF-Antagonisten zum Analgetikum zu entwickeln. Die NGF-Antagonisten Fulranumab und Tanezumab sind in einer schon fortgeschrittenen Entwicklungsphase, während sich Fasinumab und ABT-110 noch in früheren Phasen befinden. In ersten Studien linderte Tanezumab die Schmerzen bei Osteoarthrose-Patienten deutlich, aber bei einigen, besonders in Kombination mit nicht steroidalen Antirheumatika, verschlimmerte sich die Arthrose. Dies wurde durch vermehrten Gebrauch der erkrankten Gelenke erklärt [Kumar V et al. J Pain Res. 2012;5:279-87]. Daraufhin stoppte die FDA Ende Juni 2010 alle Studien mit NGFAntagonisten. Der schmerzlindernde Effekt von Tanezumab und Fulranumab in den Studien mit Osteoarthrose war sehr ausgeprägt, sodass eine Weiterentwicklung der Substanzen für andere Indikationen wünschenswert wäre. Erfreulicherweise ergab sich in dieser Studie trotz der geringen Fallzahl ein positives Ergebnis für Fulranumab, ohne dass unerwünschte Wirkungen in Bezug auf den neurologischen Befund auftraten. Da es sich jedoch um die Antagonisierung eines NGF handelt, müsste in eventuellen Folgestudien die neurologische Funktion besonders wachsam verfolgt werden. Prof. Dr. med. Claudia Sommer Leitende Oberärztin, Neurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Neuropathie: Schmerzprofil berücksichtigen Es lohnt sich in der Therapie neuropathischer Schmerzen eventuell, das individuelle Schmerzprofil zu beachten, so das Ergebnis einer Post-hocAnalyse der COMBO-DN-Studie. mit 60 mg Duloxetin oder 300 mg Pregabalin und in der Hauptphase randomisiert entweder mit einer Kombination aus beiden Präparaten, oder das entsprechende Medikament aus der Vorphase allein, jedoch in doppelter Dosis. Auch die 339 Teilnehmer, bei denen die Monotherapie versagt hatte wurden in der Hauptphase behandelt. Der Therapieeffekt wurde mithilfe des NPSI (Neuropathic Pain Symptom Inventory) gemessen. Die in der Hauptphase erreichten Effekte waren nicht signifikant, zeigten aber gewisse Trends. Um die Therapieeffekte abhängig vom jeweiligen Schmerzmuster zu studieren, bildeten die Forscher drei Cluster: Cluster I (n = 232) für Schmerzintensitäten ≥ 6 in allen NPSIParameter; Cluster II (n = 280) für starke brennende Schmerzen sowie Parästhesien/Dysästhesien; Cluster III (n = 278) für B ei Patienten mit diabetischer Neuropathie gelingt es oft nicht, die Schmerzen mit nur einer Substanz zu kontrollieren. In der COMBO-DN-Studie hatte sich die Kombinationstherapie aus Duloxetin plus Pregabalin der Monotherapie allerdings auch nicht als überlegen erwiesen. Dies könne an der Heterogenität des Studienkollektivs in puncto Schmerzsymptomatik gelegen haben, vermuten die Forscher und führten eine Post-hocAnalyse der COMBO-DN-Studie durch. In der COMBO-DN-Studie waren insgesamt 804 Patienten behandelt worden. Während der Einleitungsphase entweder Mehr schwere Hypoglykämien unter Tramadol Patienten, deren Schmerzen mit Tramadol behandelt werden, landen öfter mit einer Hypoglykämie im Krankenhaus als Patienten mit einer Codein-Therapie. Besonders riskant ist offenbar der Therapiebeginn. E Schmerzmedizin 2015; 31 (1) ein, aber nur 1,4 % der Kontrollpatienten. Verglichen mit Codein und unter Rücksicht auf andere Einflüsse erhöhte Tramadol das Risiko für eine hypoglykämiebedingte Einweisung um 52 %. Am stärksten gefährdet waren Patienten unter Tramadol, deren Therapie in den letzten 30 Fazit: Die vorliegenden Daten bestätigen, dass sich die Schmerzprofile bei Patienten mit diabetischer Neuropathie individuell stark unterscheiden. Eine adäquate Schmerztherapie sollte dem Rechnung tragen, so die Forscher. Doris Berger Bouhassira D et al. Neuropathic pain phenotyping as a predictor of treatment response in painful diabetic neuropathy: Data from the randomized, double blind, COMBO-DN study. Pain. 2014;155(10):2171-9. Tagen begonnen wurde. Bei ihnen gab es 3,0, bei Patienten mit gleich langer Codein-Therapie nur 0,7 Klinikaufnahmen wegen Hypoglykämie pro 10.000 Personenmonate; das adjustierte Risiko war 2,6-mal so hoch. Lag der Therapiestart länger zurück, war das Risiko durch Tramadol nicht mehr signifikant gesteigert. Die Hypoglykämierate war auch abhängig von einer antiglykämische Therapie: Ohne Antidiabetika war die Quote mit Tramadol gut doppelt so hoch wie mit Codein, mit Einnahme war der Unterschied nicht signifikant. Ein fast gleiches Bild für die ersten 30 Tage zeigte der zusätzliche Abgleich der Ursachen für die Schmerztherapie: das Hypoglykämierisiko mit Klinikeinweisung war unter Tramadol 3,6-mal so hoch wie unter Codein. Fazit: Laut den Forschern erfordere der Beginn einer Tramadol-Therapie wegen des erhöhten Hypoglykämierisikos einen Klinikaufenthalt. Weitere Studien zu dieser seltenen, aber potenziell tödlichen Nebenwirkung seien nötig. Beate Schumacher © fovito / Fotolia.com ine große Fall-Kontroll-Studie untermauert den Verdacht, dass Tramadol mit schweren Hypoglykämien assoziiert sein könnte. Danach erfolgen unter der Therapie nicht krebsbedingter Schmerzen mit Tramadol mehr stationäre Aufnahmen wegen Hypoglykämien als unter Codein. In den ersten 30 Tagen ist das Risiko sogar mehr als verdoppelt. Zur Analyse wurden britische Daten eines Praxis- und eines Klinikregisters von 334.034 Patienten mit nicht krebsbedingten Schmerzen ausgewertet, bei denen eine Therapie mit Tramadol (n = 28.110) oder Codein (n = 305.924) begonnen worden war. Im mittleren Follow-up von 5 Jahren waren 1.105 von ihnen mit einer Hypoglykämie stationär aufgenommen worden; 112 Hypoglykämien waren letal verlaufen. Den 1.105 „Fällen“ wurden 11.019 „Kontrollen“ gegenübergestellt. 4,3 % der Patienten nahmen zum Zeitpunkt der Unterzuckerung Tramadol mäßig starke brennenden Schmerzen und Parästhesien/Dysästhesien sowie leichten evozierbaren paroxysmalen oder Druckschmerzen. Auch in dieser Analyse war keine Strategie der anderen überlegen. Nach Abschluss der Hauptphase war die Schmerzreduktion in Cluster I unter der Hochdosis-Monotherapie tendenziell stärker. In den beiden anderen Gruppen war ein Trend zugunsten der Kombination erkennbar, der Unterschied war aber auch nicht signifi kant. Schmerzpatienten, die Tramadol einnehmen, sollten auf ihren Blutzuckerspiegel achten. Fournier JP et al. Tramadol Use and the Risk of Hospitalization for Hypoglycemia in Patients With Noncancer Pain. JAMA Intern Med. 2015; 175(2):186-93 19 Literatur kompak t Prophylaxe häufiger episodischer Migräne: ALD403 auf dem Prüfstand Ist ALD403, ein genetisch hergestellter, humanisierter Antikörper gegen CGRP („calcitonin gene-related peptide“) in der Prävention der häufigen episodischen Migräne wirksam? C GRP spielt eine essenzielle Rolle in der Pathophysiologie der Migräne. Die Konzentrationen von CGRP sind während der Migräneattacke erhöht und die subkutane Gabe von Sumatriptan reduziert signifi kant die Serumspiegel von CGRP. Daher wurden zunächst CGRPAntagonisten eingeführt, die tatsächlich bei der Behandlung akuter Migräneattacken wirksam waren. Bei der Langzeitgabe von CGRP-Antagonisten kam es allerdings bei einzelnen Patienten zu Leberschäden, sodass diese Entwicklung eingestellt wurde. In der Folgezeit wurden humanisierte Antikörper entweder gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor entwickelt. ALD403 ist ein solcher Antikörper, der die Blut-Hirn-Schranke nicht überwindet und eine relativ lange Plasmahalbwertszeit von 31 Tagen hat. Die Substanz wurde jetzt erstmals im Rahmen einer Phase-II-Studie untersucht. Es handelt sich um eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Proof-of-Concept-Studie, in welche Patienten im Alter zwischen 18 und 55 Jahren mit fünf bis 14 Migränetagen pro Monat eingeschlossen wurden. Die Studienteilnehmer erhielten entweder über einen Zeitraum von zwölf Wochen alle zwei Wochen eine Infusion von 1.000 mg ALD403 oder Placebo. Die Studie war primär eine Sicherheitsstudie. Daneben sollte die Häufigkeit der Migränetage in den Wochen fünf bis acht im Vergleich zur Baseline untersucht werden. In die Studie wurden 82 Patienten in die Placebo- und 81 in die ALD403Gruppe randomisiert (mittleres Alter 39 Jahre, 80 % Frauen). Die durchschnittliche Zahl der Migränetage pro 28 Tage betrug im Mittel 8,5, die Anzahl der Migräneattacken lag zwischen 6,0 und 6,7. Nebenwirkungen gaben 46 Patienten (57 %) der ALD403- und 43 (52 %) der Placebogruppe an, unter ALD403 am häufigsten Husten, Schnupfen und Heiserkeit sowie Harnwegsinfektionen. Alle anderen Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen gleich häufig. Bei den Laborwerten zeigten sich keine Auff älligkeiten. Die mittlere Reduktion der Migränetage in den Wochen fünf bis acht betrug im Vergleich mit den Baseline-Werten -5,6 Tage für die ALD403-und -4,6 Tage für die Placebogruppe. Dieser Unterschied war statistisch signifi kant. F ür die Therapieplanung am Lebensende wurden international verschiedene Richtlinien erarbeitet. Kanadische Ärzte bezweifeln, ob man so den Erwartungen und Bedürfnissen terminal Kranker gerecht wird. Es fehle an Input von Patienten und Angehörigen. Nach ihrer Untersuchung wollen Menschen an ihrem Le- 20 Dodick DW et al. ALD403 Study investigators. Safety and efficacy of ALD403, an antibody to calcitonin gene-related peptide, for the prevention of frequent episodic migraine: a randomised, double-blind, placebocontrolled, exploratory phase 2 trial. Lancet Neurol. 2014;13(11):1100-7. Kommentar von Prof. Diener Die Antikörper gegen CGRP sind eine wichtige neue Entwicklung für die Prophylaxe der Migräne. Ein zwölfwöchiger Beobachtungszeitraum ist allerdings viel zu kurz, um auszuschließen, dass die Antikörper ähnlich wie die Antagonisten zu Nebenwirkungen führen können. Der klinische Effekt auf die Migränehäufigkeit war relativ gering. Hier müssen größere Phase-III-Studien zeigen, ob eine bessere Wirksamkeit erzielt werden kann. Solche Studien befinden sich im Moment in Vorbereitung. Prof. Dr. med. HansChristoph Diener Leiter der Neurologie an der Universitätsklinik Essen Fazit: ALD403 wird offenbar bei der Prävention der häufigen episodischen Mi- Arzt-Patienten-Gespräch am Lebensende Ärzte werden den Wünschen terminal Kranker bei der Absprache von Therapiezielen oft nicht gerecht, so das Ergebnis einer aktuellen Befragung. gräne über einen Zeitraum von zwölf Wochen gut vertragen. Die Studie zeigte einen geringen, aber statistisch signifikanten Effekt auf die Häufigkeit der Migränetage. bensende mit dem Arzt vor allem fünf Dinge besprechen: — das Vorgehen in der Klinik im Fall eines akut lebensbedrohlichen Zustands: Für 48,7 % der befragten 233 Patienten ist dieser Punkt „sehr wichtig“ oder „äußerst wichtig“; — persönliche Wertvorstellungen der Patienten (45,6 %); — Auskunft über die Prognose (76,2 % der befragten Angehörigen und 44,0 % der Patienten); — die Gelegenheit, Ängste und Sorgen anzusprechen (43,8 %); — gefragt zu werden, ob man etwas zu medizinischen Abläufen wissen möchte (43,8 %). Fazit: Die Wissenschaft ler um John J. You identifizierten ein spezifisches Kommunikationsdefizit bei terminalen Klinikpatienten. Sie haben hierzu einen Leitfaden herausgegeben: Unter dem Titel „Just Ask“ werden Klinikärzte ermutigt, die Patienten direkt auf ihre Erwartungen und Wünsche am Lebensende anzusprechen. Elke Oberhofer You JJ et al. What really matters in end-of-life discussions? Perspectives of patients in hospital with serious illness and their families. CMAJ. 2014;186(18):e679-87. Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Literatur kompak t CRC: Tumoroperation auch bei Palliativpatienten? Auch bei asymptomatischen Darmkrebspatienten in der Palliativsituation kann es offenbar sinnvoll sein, den Primärtumor zu entfernen. Ein Ärzteteam fand Hinweise für ein längeres Überleben nach der Resektion. B © I.Sasa/Panthermedia ei Patienten mit kolorektalen Karzinomen (CRC) im fortgeschrittenen Stadium ist eine komplette Resektion des Tumors inklusive Metastasen oft nicht mehr möglich. Profitieren Betroffene ohne krebsbedingte Beschwerden von der alleinigen Entfernung des Primärtumors im Darm? In der Palliativsituation ist diese Option bislang umstritten. Kolonkarzinom trotz inoperabler Metastasen resezieren? Ignazio Tarantino, Heidelberg, und sein Team haben nun in einer großen Langzeit-Kohortenstudie beide Situationen gegenübergestellt: Palliativpatienten, bei denen der Primärtumor entfernt worden war und solche, bei denen man auf den Eingriff verzichtet hatte. Als Grundlage diente das SEER-Register des National Cancer Institute in den USA. Daraus griff man die Daten von 37.793 Patienten heraus, bei denen zwischen 1998 und 2009 ein CRC im Stadium IV diagnostiziert worden war. 23.000 hatten sich einer Tumorresektion unterzogen. Den Forschern zufolge zeigte sich zweierlei: Die palliative Resektion des (symptomlosen) Primärtumors war signifikant mit einem Überlebensvorteil verknüpft. Über den gesamten Beobachtungszeitraum waren die krebsspezifische Mortalität um 61 % und die Gesamtmortalität um 60 % niedriger als bei den Patienten ohne Resektion. Dieser Effekt war über die Jahre konsistent geblieben, obwohl sich die Überlebensraten in beiden Gruppen insgesamt deutlich verbessert hatten. Die Häufigkeit der operativen Eingriffe zur Resektion des Primärtumors war im ausgewerteten Zeitraum jedoch deutlich zurückgegangen. Den Forschern zufolge unterschieden sich die Gruppen in einigen Basiskriterien deutlich: Patienten, bei denen man sich für die Resektion entschieden hatte, waren im Schnitt jünger, häufiger weiblich und verheiratet und hatten seltener ein Rektumkarzinom; außerdem war der Tumor in der Regel aggressiver. Diese möglichen Einflussfaktoren hatten die Forscher um Tarantino jedoch durch eine Methode namens „Propensity Score Matching“ herausgerechnet. Auch danach blieb die Tumorresektion ein signifikanter Prognosefaktor, für das Gesamt- sowie das tumorspezifische Überleben. Fazit: Das Dogma, demzufolge man einen symptomlosen Primärtumor bei Patienten mit irresektablen Metastasen eines Kolonkarzinoms nicht entfernen sollte, müsse nun hinterfragt werden, schreiben die Wissenschaftler. Elke Oberhofer Tarantino I et al. Prognostic Relevance of Palliative Primary Tumor Removal in 37,793 Metastatic Colorectal Cancer Patients. A PopulationBased, Propensity Score-Adjusted Trend Analysis. Ann Surg. 2014 Nov 4. [Epub ahead of print] Phase-III-Studie: Naloxegol bei opioidinduzierter Obstipation In zwei US-Studien konnte bei Patienten mit Nicht-Tumorschmerz eine opioidinduzierte Obstipation durch Naloxegol signifikant verbessert werden. N aloxegol ist ein oraler, peripher wirksamer μ-Opioidrezeptorantagonist. William Chey und Kollegen untersuchten seine Effektivität und Sicherheit zur Therapie der opioidinduzierten Obstipation bei Nichttumorpatienten: In zwei identischen Phase-III-Studien (KODIAC-04 und KODIAC-05) wurden insgesamt 1.337 ambulante Schmerzpatienten (18– 84 Jahre) mit opioidbedingter Obstipation (< 3 spontane Stühle/Woche plus mind. ein weiteres typisches Symptom) in eine von drei Gruppen randomisiert. 22 Die Probanden hatten täglich 30–1.000 mg Morphin bzw. Äquivalent (im Mittel 3,6–3,7 Jahre) oral eingenommen. Meist war ein Laxanziengebrauch vorausgegangen, der aber bei über 50 % der Patienten nicht ausreichte. Die Teilnehmer erhielten 1-mal täglich 12,5 mg bzw. 25 mg Naloxegol oder Placebo. Nach 12 Wochen lagen die Ansprechraten – u. a. definiert als ≥ 3 spontane Stühle/Woche ohne Laxanziengabe in den 24 Stunden zuvor – in den 25-mg-Gruppen signifikant über denen der Placebogruppen (44,4 vs. 29,4 % bzw. 39,7 vs. 29,3 %). In Studie 04 erwiesen sich schon 12,5 mg Naloxegol versus Placebo als signifikant wirksamer. Mit 25 mg Naloxegol war in beiden Studien die Zeit bis zum ersten spontanen Stuhlgang versus Placebo kürzer (5,9 bzw. 12 h vs. 38,8 bzw. 37,2 h), und die Probanden hatten an mehr Tagen/Woche Stuhlgang. Mit der 12,5 mg-Dosis gelang dies nur in Studie 04. Zum Studienabbruch führende unerwünschte Ereignisse traten vorwiegend in der 25-mg-Gruppe auf. Fazit: Mit Naloxegol wird verglichen mit Placebo eine signifikant höhere Ansprechrate erzielt. Die schmerzlindernde Opioidwirkung wird dadurch nicht beeinflusst. Dies zeigte sich in der Gesamtstudienpopulation sowie bei Patienten, bei denen Laxanzien zuvor nur wenig erfolgreich waren. Christine Starostzik Chey WD et al. Naloxegol for Opioid-Induced Constipation in Patients with Noncancer Pain. N Engl J Med 2014;370(25):2387-96. Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Fortbildung © Jupiterimages / Thinkstock Besonders Männer zwischen 20–40 Jahren leiden unter Clusterkopfschmerzen. Clusterkopfschmerzen Neuromodulation des Ganglion sphenopalatinum Andreas Böger Patienten mit Clusterkopfschmerzen leiden unter extremen Schmerzattacken. Bei einem kleinen Teil der Patienten ist die konservative Therapie nicht erfolgreich. Ihnen können neuromodulatorische Methoden wie die Implantation eines Mikrostimulators des Ganglion sphenopalatinum helfen. N ach der Klassifi kation der International Headache Society (IHS) unterscheidet man primäre und sekundäre Kopfschmerzen. Primäre Kopfschmerzen, bei denen keine andere Ursache für den Kopfschmerz vorliegt, gehören zu den häufigsten Erkrankungen – mit einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität. Die Gesamtprävalenz von Kopfschmerzerkrankun- Schmerzmedizin 2015; 31 (1) gen in der Bevölkerung liegt bei 46 %. Den größten Anteil hat dabei die Migräne, mit einer Prävalenz von circa 11 % [1]. Clusterkopfschmerzen sind deutlich seltener. So wird die 12-Monats-Prävalenz des Clusterkopfschmerzes in einer epidemiologischen Studie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) mit 0,15 % angeben. Für Deutschland wurde hieraus eine Zahl von etwa 120.000 Betroffenen errechnet [2]. Symptome des Clusterkopfschmerzes Der Clusterkopfschmerz ist die häufigste Form der trigeminoautonomen Kopfschmerzerkrankungen, zu denen auch das sehr seltene SUNCT-Syndrom (SUNCT, Short-lasting Unilateral Neuralgiform headache with Conjunctival injection and Tearing) und die paroxysmale Hemikranie gerechnet werden. Clusterkopfschmerzen sind gekennzeichnet durch extremste, einseitige Kopf- und/oder Gesichtsschmerzattacken mit ipsilateralen Begleitsymptomen. Es kommt zum Tränen des Auges, 23 Fortbildung Clusterkopfschmerzen Tab. 1: Therapie der Clusterkopfschmerzen Akuttherapie Mittel der 1. Wahl Mittel der 2. Wahl — Inhalation von Sauerstoff — Sumatriptan 6 mg subkutan — Zolmitriptan 5–10 mg nasal — Instillation von Lidocain-Nasenspray — bei langen Attacken: Sumatriptan nasal oder Zolmitriptan 5 mg per os Prophylaxe Mittel der 1. Wahl Mittel der 2. Wahl — Verapamil bis max. 960 mg unter EKGKontrolle — Kortikoide 100 mg, evtl. höher dosiert — Lithium nach Spiegel — Topiramat 100–200 mg Andere therapeutische Optionen und Einzelfallbeschreibungen — Methysergid 8–12 mg (internationale Apotheke) — Valproinsäure — Dihydroergotamin intravenös über Perfusor — 2 mg Ergotamin (oral, Supp.) zur Nacht — Pizotifen 3 × 0,73 mg — Triptane mit langer Halbwertzeit abends: Frovatriptan oder Naratriptan bei Patienten mit ausschließlich nächtlichen Attacken — Capsaicin-Salbe (0,5 %) topisch in das zum Schmerz ipsilaterale Nasenloch — ganglionäre lokale Opioidanalgesie (GLOA) des ipsilateralen Ganglion sphenopalatinum [nach 7] konjunktivaler Injektion, Rhinorrhö und/oder -kongestion, und einem Horner-Syndrom (Miosis, Ptosis, Enophthalmus). Typisch – und ein wichtiger differenzialdiagnostischer Unterschied zur Migräne – ist eine ausgeprägte psychomotorische Unruhe: Die Patienten laufen umher oder kriechen aufgrund der ex trem starken Schmerzen „auf allen Vieren“ auf dem Boden. Die ClusterAttacken dauern meist bis zu circa 45 Minuten, während die Schmerzanfälle bei SUNCT und paroxysmaler Hemikranie deutlich kürzer sind. die Aktivierung parasympathischer und trigeminaler Kerngebiete unterhalten [3, 4]. Die ursprüngliche neurovaskuläre Theorie eines inflammatorischen Prozesses am Sinus cavernosus konnte durch bildgebende Verfahren und Hormonuntersuchungen nicht bestätigt werden. Dem Ganglion sphenopalatinum („sphenopalatine ganglion“, SPG) wird dabei unter anderem die Rolle des Generators trigeminoautonomer Phänomene wie Lakrimation, Rhinorrhö und konjunktivale Injektion zugeschrieben [5, 6]. Pathogenese des Clusterkopfschmerzes Episodischer und chronischer Clusterkopfschmerz Unklar ist nach wie vor die Pathophysiologie des Clusterkopfschmerzes. Offenbar besteht eine übergeordnete zentrale Dysregulation, bei welcher der posteriore Hypothalamus eine Schlüsselrolle einnimmt. Dies könnte die zirkadiane und zirkanuale Rhythmik der Clusterepisoden erklären. Möglicherweise ist der Hypothalamus vor allem für die Initiierung der Attacken verantwortlich, der Schmerz wird aber durch Bei Clusterkopfschmerzen wird der Begriff „chronisch“ anders verwendet als zum Beispiel bei Migräne und Spannungskopfschmerz: Wenn Clusterkopfschmerzen über mindestens ein Jahr bestehen oder wenn die Pausen zwischen den Clusterepisoden kürzer als vier Wochen sind, spricht man von einem chronischen, ansonsten von einem episodischen Clusterkopfschmerz. Problematisch ist die noch immer lange Latenzzeit 24 bis zur korrekten Diagnosestellung, die in Deutschland durchschnittlich sieben Jahre beträgt. Konservative Therapieempfehlung Ist der Clusterkopfschmerz einmal diagnostiziert, können die meisten Patienten mit Sauerstoff und nasal oder subkutan applizierten Triptanen gut behandelt werden. Bei der Sauerstoffgabe ist auf eine ausreichende Fließgeschwindigkeit und eine adäquate Gesichtsmaske zu achten [7]. Während der Episoden ist eine medikamentöse Prophylaxe mit Verapamil in ausreichend hoher Dosis oft suffizient, nicht selten müssen 720 mg/d gegeben werden. Als Medikamente zweiter Wahl stehen Topiramat und Lithium zur Verfügung (Tab. 1). Indikation für die SPG-Stimulation und Ablauf des Eingriffs Bei etwa 10–15 % aller Patienten mit Clusterkopfschmerzen ist der Erfolg der konservativen Therapie unbefriedigend. In diesen Fällen liegt entweder ein chronischer Clusterkopfschmerz vor, bei dem die medikamentöse Prophylaxe nicht wirkt, nicht vertragen wird oder kontraindiziert ist. Oder die Attacken können mit Sauerstoff und Triptanen nicht kupiert werden [8]. Für diese Patienten kommen neuromodulatorische Verfahren infrage. Vergleichsweise gute Ergebnisse wurden mit der Stimulation des SPG erzielt. Die Indikation zur SPG-Stimulation muss von einem Neurologen bzw. Schmerztherapeuten überprüft werden, der auf die Diagnostik und Therapie von Clusterkopfschmerzen spezialisiert ist. In Deutschland gibt es vier SPG-Implantationseinrichtungen. Unter anderem führt das Kopfschmerzzentrum Nordhessen die Implantation des Mikrostimulators durch. Nach vorheriger 3-D-Rekonstruktion des Schädels erfolgt die Operation stationär in nasaler Intubationsnarkose unter Durchleuchtungskontrolle (Abb. 1). Der Mikrostimulator wird am seitlichen Oberkiefer über einen Zahnfleischrandschnitt eingesetzt (Abb. 2). Zehn Tage nach der Operation werden die Nähte entfernt. Ein komplikationsloser klinischer Heilungsverlauf zeigt sich vor allem an einer ungestörten Schmerzmedizin 2015; 31 (1) 75 Schmerzfreiheit Schmerzlinderung V G S V G S © Prof. Dr. Hendrik Terheyden, Rotes Kreuz Krankenhaus Kassel © ATI Abb. 2: Operationssitus einer SPG-Implantation Schmerzmedizin 2015; 31 (1) G S V G S 50 25 0 15 min 30 min 60 min 90 min Schmerzreaktion min = Minuten nach erfolgter Initiierung der jeweiligen SPG-Stimulation; V = volle SPG-Stimulation; G = geringe SPGStimulation; S = Schein-SPG-Stimulation Abb. 3: Effekt der SPG-Stimulation auf die Clusterkopfschmerz-Attacken tuell sind die Patientenzahlen noch zu klein, besonders auch im Hinblick auf die Langzeitergebnisse. Offenbar handelt es sich aber um eine Methode, die wenig Nebenwirkungen und wenig Komplikationen hervorruft. Fazit Abb. 1: Lage des Mikrostimulators in der 3-D-Rekonstruktion zur SPG-Implantation V Bei Patienten mit Clusterkopfschmerz, der durch konservative Maßnahmen nicht ausreichend beherrschbar ist, bietet die SPG-Stimulation eine vielversprechende Methode zur Therapieoptimierung. Die Indikationsstellung und Durchführung erfordern die enge Zusammenarbeit eines auf Clusterkopfschmerz spezialisierten Neurologen und eines erfahrenen Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen. Weder das konservative noch das operative Vorgehen sind banal. Auch die Nachbetreuung muss in einem spezialisierten Kopfschmerzzentrum erfolgen. Erste Ergebnisse sind vielversprechend, bedürfen aber der Bestätigung in einer größeren Kohorte. Insbesondere die Langzeitdaten werden interessant sein. Bewährt hat sich das Kasseler Modell eines von Neurologen und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen partnerschaft lich geleiteten Kopfschmerzzentrums. Nicht nur im Falle der SPG-Stimulation, sondern auch bei Migräne und craniomandibulärer Dysfunktion ergeben sich hier zahlreiche Synergien durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Literatur 1. Stovner Lj et al. The global burden of headache: a documentation of headache prevalence and disability worldwide. Cephalalgia. 2007;27(3):193-210. 2. Evers S et al. Prevalence of cluster headache in Germany: results of the epidemiological DMKG study. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2007;78(11):1289-90. 3. May A et al. Hypothalamic activation in cluster headache attacks. Lancet. 1998;352(9124):275-8. 4. May A. Cluster headache: pathogenesis, diagnosis, and management. Lancet. 2005; 366(9488):843-55. 5. Goadsby PJ. Pathophysiology of cluster headache: a trigeminal autonomic cephalgia. Lancet Neurol. 2002;1(4):251-7. 6. Eller M, Goadsby PJ. Trigeminal autonomic cephalalgias. Oral Dis. 2014 Jun 2. [Epub ahead of print] 7. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Clusterkopfschmerz und trigeminoautonome Kopfschmerzen. S1-Leitlinie. Stand: September 2012. AWMF-Registernummer: 030/036. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ ll/030-036. Zugang 16. Jan 2015. 8. Jürgens TP et al. Stimulation of the sphenopalatine ganglion in intractable cluster headache: expert consensus on patient selection and standards of care. Cephalalgia. 2014;34(13):1100-10. 9. Schoenen J et al. Stimulation of the sphenopalatine ganglion (SPG) for cluster headache treatment. Pathway CH-1: a randomized sham-controlled-study. Cephalalgia. 2013;33(10):816-30. Dr. med. Andreas Böger Klinik für Schmerzmedizin am Roten Kreuz Krankenhaus in Kassel Hansteinstraße 29 34121 Kassel boeger@rkh-kassel.de 25 © mod. nach Schoenen Jet al. Cephalalgia. 2013;33(10):816-30. Postoperative Weiterbehandlung Nach sechs Wochen wird der Stimulator erstmals aktiviert und in Zusammenarbeit mit der Herstellerfirma programmiert, um ein optimales Stimulationsergebnis zu erzielen. Dabei sind häufige – auch außerplanmäßige – Kontakte mit dem Patienten und ein hoher Betreuungsaufwand einzukalkulieren. Zunächst wird die übliche Medikation weiter verordnet. Sie kann im Erfolgsfall sukzessive reduziert werden. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass etwa zwei Drittel der Patienten von der Stimulation zur Attackenkupierung profitieren [9] (Abb. 3). Bei einem Teil der Patienten reduziert sich zusätzlich auch die Attackenfrequenz. Dieser Effekt ist noch nicht vollständig verstanden. Ak- 100 Attackenanzahl mit erfolgter Reaktion (%) Mundöff nung. Entzündliche Infi ltrate beziehungsweise Wundinfektionen sind aufgrund des intraoralen Zugangswegs möglich und werden lokal desinfi zierend und gegebenenfalls antibiotisch behandelt. Fortbildung Exazerbierende Schmerzsyndrome in der Praxis Angst vor dem Schmerz muss nicht sein Norbert Schürmann Viele Patienten mit Tumorerkrankungen haben noch immer große Angst, mit starken Schmerzen zu leben und zu sterben. Leider nicht zu unrecht – obwohl dies nicht sein müsste. Es stehen genügend Medikamente und Methoden zur Verfügung, um die Schmerzen zu lindern und damit die Lebensqualität zu verbessern. E xazerbierte Schmerzen sind vergleichbar mit einem Haus, das in Flammen steht. In einem solchen Fall würde man nicht nur etwas Wasser ungezielt in die Flammen schütten; vielmehr würde die Feuerwehr alarmiert, und diese würde den Brand mit gezieltem und ausreichend dosiertem Einsatz von Löschmitteln bekämpfen. des Medikaments, die Höhe der Dosis und die Applikationsform an. Die intravenöse Applikation von Opiaten wie Morphin oder Hydromorphon ist geeignet, einfach und effizient auch sehr starke exazerbierte Schmerzen schnell zu lindern. Morphin und Hydromorphon sind wasserlösliche Opiate. Sie kumulieren nicht so stark wie fettlösliche Opiate (z. B. Fentanyl); somit ist die Gefahr eines Rebounds („Refentanylisierung“) praktisch ausgeschlossen. Das brennende Haus Ähnlich in der Schmerztherapie: Die Behandlung mancher Tumorpatienten mit exazerbierten Schmerzen ist mit dem Löschen eines brennenden Hauses vergleichbar. Auch hier reicht es nicht, dem Patienten ein neues Opiat oder eine etwas höhere Dosis zu verschreiben und Tropfen ans Bett zu stellen – vielmehr muss eine gezielte Interventionstherapie erfolgen; dabei kommt es auf die Wahl 20 vor Titration mit Hydromorphon Exazerbierende Schmerzsyndrome in der Praxis In unserem Schmerzzentrum werden nahezu täglich Opiattitrationen bei exazerbierten Schmerzsyndromen durchgeführt. Beispielhaft werden hier kurz die Ergebnisse für eine Schmerztitration bei 54 Patienten mit Hydromorphon nach Titration mit Hydromorphon 20 Patienten (Anzahl) 17 15 14 12 10 10 9 7 5 5 0 0 0 0 0 1 5 3 2 1 0 2 3 1 1 0 4 5 6 7 Wert auf der visuellen Analogskala (VAS) 0 8 0 9 1 10 Abb. 1: Schmerzintensität vor (blaue Säulen) und nach (rote Säulen) der Titration mit Hydromorphon. Der vor der Behandlung erhobene Mittelwert lag bei 7,4 und konnte durch die Hydromorphontitration auf 2,6 gesenkt werden. Dies entspricht einer Schmerzreduktion von 60 % [2]. 26 dargestellt. Wegen der etwas besseren Verträglichkeit ziehen wir in unserer Praxis Hydromorphon dem Morphin vor [1, 2]. Die visuelle Analogskala Basis jeder Schmerzeinstellung ist die Schmerzmessung, z.B. anhand der visuellen Analogskala (VAS), wobei 0 für keinen und 10 für stärkstmöglichen Schmerz steht. Die VAS ist eine Möglichkeit, das qualitativ subjektive Erlebnis Schmerz zu messen. Entscheidend in der Behandlung des Schmerzes ist es, den starken Schmerz zu durchbrechen und so zu reduzieren, dass die vom Patienten angegebenen VAS-Werte deutlich geringer werden, so gering, dass der Patient sich mit dem Schmerz arrangieren und den Anforderungen des täglichen Lebens wieder gerecht werden kann. Damit steigt die Lebensqualität des Patienten deutlich. Die Opiattitration mit Hydromorphon Für eine intravenöse Opiattitration wird zunächst ein sicherer Zugang benötigt. Um einer opiatbedingten Übelkeit vorzubeugen, bekommt der Patient vorab prophylaktisch 10 mg Metoclopramid oder 4 mg Dexamethason intravenös als Kurzinfusion (z. B. in 100 ml NaCl 0,9 %). Zur Titration 10 ml einer 0,02%igen Hydromorphonlösung hergestellt (1 ml = 0,2 mg Hydromorphon). Für die Titration sollte der Patient mit erhöhtem Oberkörper im Bett oder auf der Liege liegen. Im Gespräch wird dem Patienten nun pro Minute 1 ml der Lösung verabreicht, bis der Schmerz einen VAS-Wert zwischen 3 und 5 erreicht hat. Die Schmerzeinstellung in diesem Bereich der VAS-Skala ist aus folgenden Gründen sinnvoll: 1. Eine Schmerzreduktion auf einen VAS-Wert unter 5 führt in den meisSchmerzmedizin 2015; 31 (1) Wieviel Opiat ist erforderlich? Die Titrationsmenge, die benötigt wird, um den Schmerz bis auf einen VAS-Wert zwischen 3–5 zu reduzieren, lag bei den hier behandelten Patienten zwischen 0,2 mg und 7,0 mg Hydromorphon intravenös. Bei den 94 % der Patienten wurde mit einer Titrationsmenge von maximal 2 mg eine ausreichende bis gute Analgesie erzielt (Abb. 2) [2]. Dies erscheint erstaunlich wenig, wenn man bedenkt, dass die meisten dieser Patienten bereits mit einer recht hohen Opiat-Basismedikation eingestellt werden. Der Schmerz ist wieder erträglich. Was nun? Anhand der applizierten Menge von Hydromorphon intravenös wird die Dosis in eine angepasste orale Opiatdosis umgerechnet. Das folgende Rechenbeispiel bezieht sich auf Hydromorphon; natürlich ist die Umrechnung auch auf andere Opiate der WHO-Stufe 3 möglich. Zur Umstellung „intravenöse auf orale Medikation“ benötigen wir den opiSchmerzmedizin 2015; 31 (1) 12 12 Patienten (Anzahl) ten Fällen zu einer guten Patientenzufriedenheit. 2. Ein leichter Restschmerz ist ein guter Atemstimulus und reduziert die Gefahr der gefürchteten Atemdepression. 3. Einen besseren Arzt-Patienten-Kontakt kann man kaum haben. In Anwesenheit des Patienten bekämpft und eliminiert der Arzt den Schmerz – jeder Patient ist dafür dankbar. Der Arzt-Patienten-Kontakt wird weiter verbessert durch situationsangepassten körperlichen Kontakt zum Patienten (Halten der Hand, Streicheln der Schulter). Der Patient fühlt sich ernst genommen und vor allem als Mensch wahrgenommen. Der Zeitaufwand für die Opiattitration beträgt gerade einmal 10–20 Minuten. Ziel ist eine deutliche und schnelle Schmerzreduktion auf einen VAS-Wert ≤ 5. Dies gelang bei fast allen Patienten (Abb. 1) [2]. Die Ergebnisse waren unabhängig vom Geschlecht. Die meisten Patienten haben nach der Titration einen VAS-Wert von 4. Insgesamt kann mit der Methode der Schmerz bei rund zwei Drittel der Patienten auf den VAS-Zielbereich von 3–5 gesenkt werden. 10 10 9 8 7 6 4 4 2 0 1 1 0 1 1 2 2 0 1 1 1 0 0 0 1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 3,0 3,2 4,0 5,0 6,0 7,0 Hydromorphon (mg) Abb. 2: Erforderliche Dosis Hydromorphon i. v. zur Schmerzreduktion auf einen VAS-Wert ≤ 5. atspezifischen Umrechnungsfaktor; dieser beträgt für Hydromorphon etwa 2 (es finden sich je nach Referenzwerk etwas divergierende Angaben zwischen 2 und 3). Wurden 9 ml Lösung (1,8 mg Hydromorphon) intravenös benötigt, um den Schmerz auf einen VAS-Wert ≤ 5 zu senken, entspricht die verabreichte intravenöse Dosis einer oralen Dosis von 3,6 mg Hydromorphon. Bei einer Wirkdauer des Hydromorphon von etwa vier Stunden ergibt sich somit pro Tag ein theoretischer Opiat(mehr)bedarf von 24 : 4 = 6 × 3,6 mg = 21,6 mg Hydromorphon oral. Aus Sicherheitsgründen sollten zur Dosisanpassung nur etwa 75 % dieser errechneten oralen Zusatzdosis verordnet werden, also in unserem Beispiel 16 mg Hydromorphon oral täglich, aufgeteilt in 2–3 Tagesdosen (z. B. 2 × 8 mg retardiertes Hydromorphon). Belastungsabhängiger Schmerz, Bedarfsmedikation Trotz der titrationsangepassten Opiatneueinstellung (= schmerztherapeutische Basismedikation), die zu einer ausreichenden Schmerzreduktion in Ruhe führt, können körperliche Aktivitäten, unter Umständen schon das Aufstehen zu den Mahlzeiten und der Gang zur Toilette, nach wie vor zu starken Schmerzen führen. Daher benötigen Tumorpatienten zusätzlich zur Basismedikation eine Bedarfsmedikation. Diese sollte ca. ein Sechstel der Gesamttagesopiatdosis betragen. In unserem Beispiel wäre dies 16 : 6 = 2,7 mg Hydromorphon oral bei Bedarf (z. B. 1 Tablette Hydromorphon 2,6). Die Einnahme sollte wenn möglich 20 bis 30 Minuten vor der Belastung erfolgen. Belastungsabhängiger Schmerz versus Durchbruchschmerz Wichtig ist die Unterscheidung des belastungsabhängigen Schmerzes vom Durchbruchschmerz. Den belastungsabhängigen Schmerz löst der Patient durch Belastung, z. B. den Gang zur Toilette, selbst aus. Dagegen kommt der oft sehr heftige Durchbruchschmerz sozusagen aus heiterem Himmel, hält meist etwa 5–30 Minuten an und flaut dann ebenso schnell wieder ab. Zur Therapie des Durchbruchschmerzes ist das schnell und kurz wirkende Opiat Fentanyl als Nasenspray oder Buccaltablette besonders geeignet. Fazit Die Hydromorphontitration ist rasch durchführbar und effizient. Bei fast allen Patienten verbessert sich die Schmerzsymptomatik innerhalb von 20 Minuten so deutlich, dass ein für den Patienten erträgliches Schmerzniveau erreicht wird. Die Hydromorphontitration ist im Krankenhaus, im Altenheim, in der Praxis oder zu Hause durchführbar – also überall dort, wo der Patient sie braucht. Literatur 1. 2. Schürmann N et al. Schmerztitration mit Morphin intravenös.Schmerz- und Palliativtag. 2012; Posterpräsentation. Schürmann N et al. Schmerztitration mit Hydromorphon intravenös.Schmerz- und Palliativtag. 2014; Posterpräsentation. Dr. med. Norbert Schürmann St. Josef Krankenhaus Asberger Str. 4 47441 Moers schmerzambulanz@ st-josef-moers.de 27 Während Sauerstoffgaben in anderen palliativen Situationen sinnlos sind, verlängern sie bei COPD das Überleben. Herzinsuffizienz und COPD Palliativversorgung bei kardiopulmonalen Erkrankungen Christoph Gerhard Herzinsuffizienz und COPD gehören zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. In fortgeschrittenen Stadien ist die Prognose der Herzinsuffizienz deutlich schlechter als bei zahlreichen Tumorerkrankungen. Patienten mit fortgeschrittener COPD haben eine eher schlechtere Lebensqualität als Lungenkrebspatienten. Dennoch erhalten Menschen mit kardiopulmonalen Erkrankungen selten Palliativversorgung. B ei kardiopulmonalen Erkrankungen sind Einbrüche durch Dekompensationen neben längeren stabilen Krankheitsphasen mit allmählichem Abbau typisch. Häufig sterben die Patienten plötzlich, z. B. aufgrund von Infekten. Eine streng palliative Phase lässt sich meist nicht abgrenzen. Besonders bei Patienten mit kardiopulmonalen Erkrankungen ist palliative Versorgung daher nicht nur in der Sterbephase erforderlich, sondern zeitgleich mit der kurativen Behandlung. Durch diese Parallelität werden andere Versorgungsstrukturen nötig, etwa Palliativkonsiliardienste im Krankenhaus oder eine konsiliarische Mitbehandlung durch Teams der SAPV (spezialisierte am- 28 bulante Palliativversorgung) oder AAPV (ambulante allgemeine Palliativversorgung). Eine enge Vernetzung der kurativ und palliativ Tätigen ist ebenso wichtig wie eine möglichst gute Basisausbildung der Primärversorger. Die beiden häufigsten kardiopulmonalen Erkrankungen mit palliativem Versorgungsbedarf sind die chronische Herzinsuffizienz und die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Diese Patienten leiden vor allem unter Luft not, Schwäche und übermäßiger Müdigkeit, aber gerade in fortgeschrittenen Stadien auch unter Schmerzen, Depressionen, Angstzuständen, Übelkeit und Kachexie [1]. Schmerzmedizin 2015; 31 (1) © ChantalS / Fotolia.com Zertifizierte Fortbildung Herzinsuffizienz Eine Herzinsuffizienz entwickelt sich infolge verschiedener kardiovaskulärer Erkrankungen, z. B. einer koronaren Herzkrankheit, einer arteriellen Hypertonie oder von Vitien. Sie war nach der chronischen ischämischen Herzkrankheit und dem akuten Myokardinfarkt im Jahr 2013 die dritthäufigste Todesursache in Deutschland [2]. Und: Die Zahl der Patienten, die an einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz leiden, wird in Zukunft weiter zunehmen; zum einen aufgrund des demografischen Wandels – Herzinsuffizienzen treten im Alter häufiger auf – zum anderen aufgrund der längeren Lebenserwartung vieler Herzkranker durch die verbesserten Therapiemöglichkeiten. Ab wann ist für diese Patienten eine palliativmedizinische Betreuung notwendig? Mindestens die Hälfte der Betroffenen stirbt plötzlich und unerwartet. Vage Hinweise auf einen nahenden Tod können — eine schlechte Auswurfleistung des Herzens bzw. eine schlechte funktionelle Kapazität des Herzens, — eine Erhöhung des natriuretischen Peptids (B-Typ), — eine ACE-Hemmer-Intoleranz oder — eine Verschlechterung der Nierenfunktion sein. Dennoch bleibt es ausgesprochen schwierig, eine Prognose zu stellen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die palliative Versorgung frühzeitig und eng mit der kurativen Behandlung verknüpft erfolgt. Differenziert nach dem Krankheitsstadium gemäß der „New York Heart Association“ (NYHA) variiert die 1-Jahres-Sterblichkeit von Herzinsuffizienzpatienten zwischen 5–60 % und liegt bei NYHA-Stadium IV sogar bei 50–60 % (Tab. 1) [1]. In den fortgeschrittenen Stadien ist die Prognose der Herzinsuffizienz damit sogar deutlich schlechter als bei zahlreichen Tumorerkrankungen. Nach dem deutschen Krebsregister liegt dagegen die 5-Jahres-Sterblichkeit für Krebserkrankungen im Durchschnitt bei nur etwa 40 % [3]. Häufige zu behandelnde Symptome bei Herzinsuffizienz sind: — Luft not, — Fatigue, — Angst, — Depressionen, — (thorakale) Schmerzen, — Schlafstörungen. Diese Symptome verstärken sich zum Teil gegenseitig, so kann z. B. Angst eine bestehende Luft not verschlechtern. Wichtig ist, dass die palliative Betreuung einschließlich Symptombehandlung nicht anstatt der kardialen Therapie mit Betablockern, Diuretika, ACE Hemmern etc. angeboten wird, sondern parallel zu dieser. Bei Patienten in weit fortgeschrittenen Krankheitsstadien oder in Todesnähe können manche Medikamente gegen die Herzinsuffizienz auf Applikationsformen umgestellt werden, die in der Versorgung von Patienten am Lebensende („end of life care“) üblich sind: so können z. B. Nitrate transdermal und Furosemid subkutan verabreicht werden. Die palliative bzw. kurative Therapie sollte sich immer daran ausrichten, was für den individuell Betroffenen am Besten ist. Den besonderen Bedürfnissen des Patienten gilt es, gerecht zu werden und eine geSchmerzmedizin 2015; 31 (1) meinsame, partizipative Entscheidungsfindung („shared decision making“) anzustreben. Ziel der palliativen Behandlung sollte die Verbesserung der „subjektiven“ Symptome sein. Gegenüber der kausalen Behandlung der Herzinsuffizienz, die sich an messbaren Parametern orientiert, ist dies ein Paradigmenwechsel. Luftnot Für die Behandlung von Luft not eignen sich Opioide am besten, die vorsichtig auft itriert werden sollten. Sie führen zu einer Ökonomisierung der Atmung, senken die Vorlast und können bei vorsichtiger Titration gefahrlos angewendet werden. Falls Opioide bereits zur Schmerztherapie genutzt werden, sollte ihre Dosis um circa 30–50 % erhöht werden. Spielt Angst eine erhebliche Rolle, kann die Opioidtherapie um Anxiolytika wie z. B. Lorazepam ergänzt werden. Wichtig sind auch bei Luft not nichtmedikamentöse Maßnahmen. Ein ruhiges Umfeld, das den Patienten nicht einengt, gemeinsames ruhiges atmen oder die Anleitung, sich mit Hilfsmitteln wie z. B. einem Handventilator selbst Luft zuzuführen, können dabei unterstützen (Tab. 2). Fatigue Medikamente, die eine Fatigue verstärken (z. B. Psychopharmaka), sollten entweder durch eine Substanz derselben Stoffklasse ausgetauscht oder weggelassen werden. Zur Behandlung der Fatigue verordnete Medikamente (antriebssteigernde Antidepressiva, Amantadin, Amphetaminabkömmlinge etc.) sind nach aktueller Datenlage nur moderat wirksam [1]. Von großer Tab. 1: 1-Jahres-Sterblichkeit bei Patienten mit Herzinsuffizienz abhängig von ihrem NYHA-Krankheitsstadium. Krankheitsstadium 1-Jahres-Sterblichkeit NYHA I 5–10 % NYHA II 15–30 % NYHA III 15–30 % NYHA IV 50–60 % NYHA = New York Heart Association, nach [1] Tab. 2: Nichtmedikamentöse Maßnahmen bei Luftnot Ruhige Umgebung schaffen: Selbst ruhig atmen Evidenzbasiert: Einsatz von Handventilatoren Benutzung eines Rollators Unwirksam: Sauerstoffapplikation 29 Zertifizierte Fortbildung Herzinsuffizienz und COPD Bedeutung in der Fatiguebehandlung ist die vorsichtige, aber stetige körperliche bzw. sportliche Betätigung trotz der Herzinsuffizienz. Moderate körperliche Belastung – wenn sie möglich ist – kann das Fortschreiten der körperlichen Schwäche verzögern und die Fatigue-Symptomatik bessern. Wichtig ist es, regelmäßig und nur bis zur Belastungsgrenze zu üben [4]. Dies erfordert Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Körper. Fälschlicherweise wird oft Schonung empfohlen, obwohl diese die körperliche Schwäche sogar verstärken kann. Depression Depressionen sollten sowohl medikamentös als auch mit psychosozialen Ansätzen behandelt werden. Für die medikamentöse Therapie sind neuere Präparate aus der Gruppe der Serotonin(und/oder Norardenalin)-Wiederaufnahmehemmer zu bevorzugen (z. B. Sertralin), weil sie geringere kardiale Nebenwirkungen verursachen als ältere Substanzen wie etwa das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin. Thoraxschmerz In der Regel handelt es sich bei Thoraxschmerzen pathophysiologisch um viszerale Nozizeptorschmerzen. Sie können nach den Prinzipien des WHO-Stufenschemas zur Tumorschmerztherapie behandelt werden. Allerdings sind die in Stufe 1 des WHO-Stufenschemas vorgesehenen nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAR) aufgrund der erhöhten Rate von Niereninsuffizienzen und gehäufter kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten mit Herzinsuffizienz meist kontraindiziert. Besser anwendbar sind Metamizol oder Paracetamol. Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) Bei der COPD wird, ähnlich wie bei Herzinsuffizienz, eine stetige Verschlechterung der Erkrankungssituation von Dekompensationen und Rekompensationen überlagert. Dass die Lebensqualität bei Patienten mit fortgeschrittener COPD stärker eingeschränkt sein kann als bei Patienten mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom hatte bereits eine Studie im Jahr 2000 gezeigt. Die Werte für das physische, soziale und emotionale Funktionieren sowie die Aktivitäten des täglichen Lebens waren bei den COPD-Patienten signifi kant schlechter (p < 0,05) [5]. Den Betroffenen stehen zwar gute Angebote zur Behandlung akuter Dekompensationen im Krankenhaus zur Verfügung, selten aber erhalten sie eine multidimensionale Langzeitversorgung, bei der auch ihre psychosozialen und spirituellen Bedürfnisse berücksichtigt werden. COPD-Patienten versterben zudem häufiger im Krankenhaus als Patienten mit Lungenkrebs [6]. Auch bei COPD-Patienten sollte die palliative Versorgung parallel zur kurativen bzw. verlaufsmodifizierenden Behandlung mit Betamimetika, Anticholinergika, Xanthinderivaten, Kortikosteroiden oder Sauerstoffgaben erfolgen. Eine gute Vernetzung und Teamarbeit, eventuell unterstützt von einem Case-Management, sind genauso wichtig wie die Weiterbildung der Primärbehandler (Hausärzte, Pflegende usw.) im Hinblick auf palliative Aspekte. Luftnot bei COPD-Patienten Das häufigste Symptom bei COPD ist Luft not. Wie bei der Herzinsuffizienz sollte diese mit Opioiden behandelt werden. In der Regel entsteht Luft not durch eine erhöhte Kohlendioxidkonzentration des Blutes. Während Sauerstoff bei einem COPD-Patienten in kurativer Intention verabreicht das Überleben verlängern kann, ist die zusätzliche Sauerstoff-Gabe in der letzten Lebensphase nicht mehr indiziert, denn die Atemnot verbessert sie nicht [7]. Sauerstoff trocknet zudem die Schleimhäute stark aus, deshalb sind eine gute Befeuchtung und Pflege der Mundregion wichtig. Im Gegensatz dazu zeigen Studien, dass der kühle Luftstrom von (kleinen) Handventilatoren das Symptom Atemnot zu lindern vermag [8]. Auch der Gebrauch eines Rollators zum Gehen wirkt bei Betroffenen mit chronischer Atemnot evidenzbasiert gegen die Luft not [8]. Wahrscheinlich ist dieser Effekt damit zu erklären, dass durch die stärker aufgerichtete Körperhaltung freier durchgeatmet werden kann. Angst und Depression, aber auch Fatigue, körperliche Schwäche und Schlafstörungen sind häufige Symptome von Patienten mit fortgeschrittener COPD, die oft übersehen werden. Wichtig Tab. 3: Symptomatische, palliativmedizinische Behandlung von Patienten mit kardialen und pulmonalen Erkrankungen Symptom Medikament (Dosierung) nicht medikamentös Luftnot Opioide (z. B. Morphin, initial 3-mal 10 mg; Hydromorphon, initial 2-mal 4 mg) akut Fentanyl (Off-Label-use) Ruhe bewahren, langsam atmen, nicht einengen Fatigue Antidepressiva? (z. B. Citalopram 10–40 mg) Amantadin? (100–200 mg) regelmäßig, achtsam Bewegung und Sport Depression Antidepressiva: SSRI (z. B. Citalopram 10–40 mg), SSNRI, NaSSA (Mirtazapin 15–45 mg) psychosoziale Begleitung, Psychotherapie Schmerz Nichtopioide (z. B. Metamizol 4- bis 6-mal 0,5–1 g) – NSAR vermeiden! Opioide nach dem WHO-Stufenschema (z. B. Morphin 3-mal 10 mg) Im Notfall Morphin progressive Muskelrelaxation Angst Benzodiazepine (z. B. Lorazepam 0,5–2 mg) Gespräche, progressive Muskelrelaxation Schlafstörungen Benzodiazepinagonisten (z. B. Zopiclon 3,75–7,5 mg) Rituale, Lagerung SSRI = selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; SSNRI = selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer; NaSSA = noradrenerge und selektiv serotonerge Antidepressiva 30 Schmerzmedizin 2015; 31 (1) ist das offene Gesprächsangebot – neben der Behandlung mit Antidepressiva und Anxiolytika, moderater körperlicher Belastung oder der Gabe schlafanstoßender Medikamente – wie im Abschnitt „Herzinsuffizienz“ beschrieben. Vorsorgeplanung, Autonomie und Lebensqualität Studien zeigen, dass viele Betroffene nicht ausreichend über den Krankheitsverlauf und die Sterbephase informiert sind [1]. Ein kontinuierlicher, offener Dialog über die Erkrankung, drohende Symptome, die weitere Prognose sowie Möglichkeiten der kurativen und palliativen Therapie ist daher ein sehr wichtiger Teil der Palliativversorgung. Nur durch diesen Dialog können die Betroffenen und ihre Angehörigen eine differenzierte Vorsorgeplanung umsetzen. Sie ist gerade angesichts der Frage nach einer Langzeitbeatmung sehr wichtig. Zudem sollte der mutmaßliche bzw. vorausverfügte Wille des Betroffenen besprochen werden, etwa bezüglich Krankenhauseinweisung, Intensivstation, Beatmung, Reanimation etc. Da viele Symptome (z. B. Luft not oder Thoraxschmerzen) plötzlich und unerwartet auft reten, müssen die Betroffenen in ihrem Umfeld mit entsprechenden Notfallmedikamenten zur Symptombehandlung ausgestattet werden (z. B. kurz und schnell wirksame Opioide für Luft notattacken), damit sie sich bei Exazerbationen dieser Symptome – etwa im Fall einer Dekompensation – rasch selbst helfen können. Nur so kann auch in fortgeschrittenen Krankheitsstadien möglichst viel Autonomie erhalten werden. Es zeigt sich deutlich, dass Autonomie relational (von Anderen abhängig) ist, das heißt Andere müssen Autonomie durch gute Aufk lärung, Hilfe bei der Vorsorgeplanung und gute stellvertretende Entscheidungen ermöglichen. Studien zeigen, dass Betroffene ein hohes Bedürfnis haben, mit ihren Ärzten über Aspekte des Krankheitsverlaufs bzw. der Prognose und insbesondere die Gestaltung der Sterbephase zu sprechen [1]. Offene Kommunikation und psychosoziale Begleitung haben daher einen besonders hohen Stellenwert. Die Lebensqualität wird durch die Erwartungen an die Krankheitssituation sowie die tatsächlich eintretende Situation beeinflusst. Maßnahmen der Symptombehandlung und der Begleitung dienen dazu, die tatsächlich eintretende Situation zu verbessern. In Diagnose- und Prognosegesprächen wird dem Patienten geholfen, seine Erwartungen möglichst gut an die Krankheitssituation anzupassen. Auch dadurch wird Lebensqualität geschaffen, wie das Konzept der „Calman Gap“ von Keneth C. Calman zeigt [9]. Nach dieser Theorie ist die Lebensqualität umso höher, je weniger sich die Erwartungen des Patienten und das tatsächlich Eintretende unterscheiden. Dieses Phänomen sollte aus dem Alltag bekannt sein: bei sehr hohen Erwartungen an eine gesundheitliche Behandlung folgt – vielleicht trotz guten Erfolges – Enttäuschung. Wichtig ist es daher nicht nur, z. B. die Symptome zu behandeln, sondern auch realistische Erwartungen bei den Betroffenen zu fördern. Einmal mehr zeigt sich hier der Wert ausführlicher und detaillierter Aufk lärungsgespräche. Für die pflegenden Angehörigen stellen kardiopulmonale Erkrankungen eine hohe Belastung dar. Die Belastung sollte mit ihnen thematisiert werden. Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Fazit: — Kardiopulmonale Erkrankungen sind häufige Todesursachen in Deutschland. — Aufgrund des besonderen Verlaufs von kardiopulmonalen Erkrankungen mit einer stetigen Verschlechterung, die durch Phasen der akuten Dekompensation und im besten Falle Rekompensation unterbrochen wird, stellt sich Palliativversorgung bei diesen Patienten anders dar. In Phasen intensivster Akutversorgung (evtl. einschließlich Intensivmedizin) zur Rekompensation besteht aufgrund der Symptomlast, von Ängsten und Todesnähe ggf. auch hoher palliativer Versorgungsbedarf. — Die parallele kurative und palliative Versorgung ist für die Behandler herausfordernd. — Gespräche über die Prognose und den Krankheitsverlauf unterbleiben oft, sind aber für die Betroffenen und ihre Angehörigen sehr wichtig. Literatur: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Gerhard C. Praxiswissen Palliativmedizin. Konzepte für unterschiedlichste palliative Versorgungssituationen. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2014. S. 83-5 und 174-7. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/ Todesursachen/Todesursachen2120400137004.pdf?__ blob=publicationFile. Abgerufen am 2.2.2015. http://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Krebs_gesamt/krebs_gesamt_node.html. Abgerufen am 2.2.2015. Johnson M, Lehman R (Hrsg.): Kardio-Palliative-Care. Deutschsprachig herausgegeben von Gerhard C. Bern: Hans Huber Verlag; 2013. Gore JM et al. How well do we care for patients with end stage chronic obstructive pulmonary disease (COPD)? A comparison of palliative care and quality of life in COPD and lung cancer. Thorax. 2000;55(12):1000-6. Janssen DJ et al. Dynamic preferences for site of death among patients with advanced chronic obstructive pulmonary disease, chronic heart failure, or chronic renal failure. J Pain Symptom Manage. 2013;46(6):826-36. Simon ST et al. Medikamentöse Therapie der refraktären Atemnot. Schmerz. 2012;26(5):515-22. Bausewein C, Simon ST. Atemnot und Husten bei Palliativpatienten. Dtsch Arztebl Int. 2013;110(33-34):563-72. Calman KC. Quality of life in cancer patients--an hypothesis. J Med Ethics. 1984;10(3):124-7. Dr. med. Christoph Gerhard Neurologische Klinik und Palliativkonsiliardienst, Kath. Kliniken Oberhausen Mülheimer Str. 83, 46045 Oberhausen c.gerhard@kk-ob.de Interessenkonflikt Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen. Der Verlag erklärt, dass die inhaltliche Qualität des Beitrags von zwei unabhängigen Gutachtern geprüft wurde. Werbung in dieser Zeitschriftenausgabe hat keinen Bezug zur CME-Fortbildung. Der Verlag garantiert, dass die CME-Fortbildung sowie die CME-Fragen frei sind von werblichen Aussagen und keinerlei Produktempfehlungen enthalten. Dies gilt insbesondere für Präparate, die zur Therapie des dargestellten Krankheitsbildes geeignet sind. 31 springermedizin.de/eAkademie CME-Fragebogen FIN: SP15015b gültig bis 17.03.2015 • als e.Med-Abonnent an allen Kursen der e.Akademie, • als Abonnent einer Fachzeitschrift an den Kursen der abonnierten Zeitschrift oder • als Leser dieses Magazins – zeitlich begrenzt – unter Verwendung der FIN. Bitte beachten Sie: • Die Teilnahme ist nur online unter www.springermedizin.de/eAkademie möglich. • Ausführliche Erläuterungen unter www.springermedizin.de/info-eakademie Diese CME-Fortbildungseinheit ist von der Bayerischen Landesärztekammer mit zwei Punkten in der Kategorie I zur zertifizierten Fortbildung anerkannt. Palliativversorgung bei kardiopulmonalen Erkrankungen Welches Symptom ist bei Menschen mit kardiopulmonaler Erkrankungen, die palliativ versorgt werden, nicht typisch? ☐ Fatigue ☐ Juckreiz ☐ Luftnot ☐ Schmerz ☐ Schwäche Für die palliative Versorgung bei Patienten mit kardiopulmonalen Erkrankungen gilt: ☐ Symptome treten hauptsächlich in der Sterbephase auf und sind dann zu behandeln. ☐ Die Versorgung sollte erst nach Abbruch kurativer Maßnahmen erfolgen. ☐ Physiotherapeutische Maßnahmen belasten die Patienten unnötig und sollten daher unterbleiben. ☐ Die Palliativversorgung sollte parallel zur kurativen Therapie initiiert werden. ☐ Die Palliativversorgung sollte primär durch spezialisierte Palliativteams erfolgen. 32 Was gilt nicht für Gespräche mit schwer kranken Patienten über Diagnose und Prognose? ☐ Derartige Gespräche sind häufig sehr belastend für den durchführenden Arzt. ☐ Bei solchen Gesprächen sollte die emotionale Reaktion des Patienten besonders berücksichtigt werden. ☐ Die Patienten profitieren davon, genau über ihre Diagnose und den Krankheitsverlauf aufgeklärt zu werden. ☐ Am besten ist es, vor allem die Angehörigen und weniger den Patienten zu informieren, da dies für ihn zu belastend ist. ☐ Patienten haben ein Recht darauf, ihre Diagnose mitgeteilt zu bekommen. Zur Behandlung der Fatigue von Patienten mit fortgeschrittenen kardiopulmonalen Erkrankungen ist folgende Aussage richtig: ☐ Medikamente sind der Hauptpfeiler der Therapie. ☐ Bewegungsübungen sind für kardiopulmonal Erkrankte in palliativer Behandlung zu anstrengend und sollten daher unterbleiben. ☐ Achtsame und regelmäßige sportliche Übungen wirken evidenzbasiert. ☐ Die Müdigkeit lässt sich bei Fatigue durch mehr Schlaf beheben. ☐ Stark aktivierende Medikamente wie z. B. Amphetamine sind sehr bedeutsam. Zur palliativen Behandlung der Luftnot von Patienten mit kardiopulmonalen Erkrankungen gilt: ☐ Sehr wichtig sind regelmäßige Sauerstoffgaben zur Linderung der Luftnot. ☐ Handventilatoren sind unwirksam. ☐ Luftnot lässt sich objektiv durch die Bestimmung der Blutgase einschätzen. ☐ Eine Opioidgabe ist wegen der atemdepressiven Wirkung zu gefährlich. ☐ Benzodiazepine lindern die begleitende Angst. Die Symptomlast ist bei fortgeschrittenen kardiopulmonalen Erkrankungen ... ☐ in der Regel niedriger als bei Tumorerkrankungen. ☐ nur für kurze Zeit am Lebensende hoch. ☐ vergleichbar mit der bei Tumorpatienten, aber länger vorhanden. ☐ trotz häufiger kognitiver Ausfälle in der Regel einfach zu erfassen. ☐ selten von „Symptomdurchbrüchen“ (z. B. Atemnotattacken) geprägt. Schmerzmedizin 2015; 31 (1) DOI 10.1007/s00940-015-0001-y Teilnehmen und Punkte sammeln, können Sie springermedizin.de/eAkademie Wie hoch ist die 1-Jahres-Sterblichkeit bei einer Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium IV? ☐ über 90 % ☐ ca. 75 % ☐ 50–60 % ☐ 89–90 % ☐ 20–30 % Was bewirken Opioide bei kardiopulmonalen Erkrankungen nicht? ☐ eine Verbesserung der Luftnot ☐ eine Linderung des Schmerzes ☐ eine Verbesserung der Herzfunktion (Vorlastsenkung) ☐ eine Linderung einer begleitenden Diarrhö ☐ eine Verkürzung des Lebens bei guter Symptomlinderung Im Umgang mit Menschen, die in palliativen Situationen an Luftnotattacken leiden, ist es besonders wichtig: ☐ Ruhe zu bewahren und bei dem Patienten zu bleiben. ☐ Den Patienten sofort auf die nächste Palliativstation einzuweisen. ☐ Sofort eine Sauerstoffmaske anzulegen. ☐ Die besorgten Angehörigen zu bitten, den Patienten alleine zu lassen, damit er zur Ruhe kommt. ☐ Die Fenster geschlossen zu halten. Bei einem bewusstlosen Patienten mit fortgeschrittener COPD wird überlegt, die Langzeitbeatmung entsprechend seiner Patientenverfügung zu beenden. Die aktive Beendigung der Beatmung ist nach der Nomenklatur des Strafrechts: ☐ indirekte Sterbehilfe ☐ Suizidbeihilfe ☐ aktive Sterbehilfe ☐ passive Sterbehilfe ☐ Tötung auf Verlangen Bitte beachten Sie: Diese zertifizierte Fortbildung ist zwölf Monate auf springermedizin.de/eakademie verfügbar. Dort erfahren Sie auch den genauen Teilnahmeschluss und erhalten bei technischen und inhaltlichen Fragen tutorielle Unterstützung. Pro Frage ist jeweils nur eine Antwortmöglichkeit (Richtig- oder Falschaussage) zutreffend. Sowohl die Fragen als auch die zugehörigen Antwortoptionen werden im Online-Fragebogen in zufälliger Reihenfolge ausgespielt, weshalb die Nummerierung von Fragen und Antworten im gedruckten Fragebogen unterbleibt. Prüfen Sie beim Übertragen der Lösungen aus dem Heft daher bitte die richtige Zuordnung. Top bewertet in der e.Akademie Xxxxxxxxxx Schmerztherapie Gleichzeitige Das intraduktale Verordnung Prostatakarzinom von Analgetika und Psychopharmaka: Welche aus: Uro-News Interaktionen 1/2013 sind relevant? aus: von: Angewandte Helmut Bonkhoff Schmerztherapie und Palliativmedizin 2/2014 ZertifiS.ziert von: Schmiedl, bis: 7.1.2014 V. Kohl, P. Thürmann Medienformat: Zertifi ziert bis: 4.6.2015 e.CME, e.Tutorial Medienformat: e.Tutorial Strahlentherapie des fortgeschrittenen und rezidivierenden Prostatakarzinoms Komplexes regionales Schmerzsyndrom – Eine aktuelle Übersicht aus: Der Schmerz Urologe 12/2012 3/2014 D. Maihöfner Böhmer von: C. 13.12.2013 Zertifiziert bis: 11.6.2015 Medienformat: e.CME, e.Tutorial Tumoren nach Nierentransplantation Nicht motorische Symptome: Aktuelle Strategien gegen Schmerzen aus:Morbus best practice onkologie 1/2013 bei Parkinson von: InFo M. Opgenoorth, Hugo aus: Neurologie &C.Psychiatrie 1/2015 ZertifiW. ziert bis: 27.2.2014 von: Grashorn Medienformat: e.CME, e.Tutorial Zertifi ziert bis: 26.1.2016 Medienformat: e.Tutorial Diese Fortbildungskurse finden Sie, indem Sie den Titel in die Suche auf www.springermedizin.de/eAkademie eingeben. Teilnahmemöglichkeit: Exklusiv im e.Med-Paket Mit e.Med können Sie diese und alle übrigen Fortbildungskurse der e.Akademie von Springer Medizin nutzen. In der e.Akademie werden neben dem Medienformat e.CME (Beitrags-PDF plus CMEFragebogen) zahlreiche Kurse auch als e.Tutorial angeboten. Dieses Medienformat ist speziell für die Online-Fortbildung konzipiert und didaktisch optimiert. e.Tutorials stehen ausschließlich im e.Med-Paket zur Verfügung. Weitere Informationen zum e.Med-Paket und Gratis-Testangebot unter www.springermedizin.de/eMed Schmerzmedizin 2015; 31 (1) 33 DGS Deutsche Gesellschaft Im Auftrag derfür Schmerzmedizin e. V. Schmerzfreiheit www.dgschmerztherapie.de Die wichtigsten Ziele der DGS: — Förderung der Schmerzmedizin in Forschung und Lehre — Entwicklung von Standards für die Aus-, Fort- und Weiterbildung in Schmerzmedizin — Entwicklung von Qualitätsstandards in der Schmerzmedizin — Weiterbildung auf allen Gebieten der Schmerzdiagnostik und therapie — Qualitative und quantitative Verbesserung der schmerzmedizinischen Patientenversorgung — Förderung der palliativmedizinischen Versorgen — Aufbau eines nationalen und internationalen Netzwerkes Schmerzmedizin — Versorgungsforschung im Bereich der Schmerzmedizin — Gründung regionaler Schmerzzentren und Schmerzkonferenzen — Wissenschaftliche und fachliche Beratung und Unterstützung von Ärzten, Psychologen und allen Berufsgruppen in der Patientenversorgung — Wissenschaftliche und fachliche Beratung öffentlich rechtlicher Körperschaften, Kostenträgern, Politik und Öffentlichkeit — Flächendeckende schmerzmedizinische Versorgung durch Etablierung eines Facharztes für Schmerzmedizin Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. Geschäftsstelle: Heike Ahrendt Adenauerallee 18 61440 Oberursel Tel. 0 61 71-28 60 61 Fax. 0 61 71-28 60 69 heike.ahrendt@dgschmerzmedizin.de Vorstand: Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe (Präsident) Dr. med. Oliver Emrich (Vizepräsident) Dr. med. Johannes Horlemann (Vizepräsident) Klaus H. Längler (Vizepräsident) Dr. Silvia Maurer (Vizepräsidentin) PD Dr. med. Michael A. Überall (Vizepräsident) www.dgschmerzmedizin.de 34 Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. Utopie oder Imperativ? Der Facharzt für Schmerzmedizin 1953 erhielt Werner Sauerwein seine Facharztanerkennung für Anästhesiologie. Damit hatte sich die Anästhesie erfolgreich von der Chirurgie getrennt. Nun ist die Schmerzmedizin dabei sich zu emanzipieren. Eine Trennung von der Anästhesie ist zum Wohle des chronisch Schmerzkranken unausweichlich. D ie Fachgesellschaften DGS und DSG/DGSS sowie der Berufsverband der Schmerztherapeuten BVSD und die Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga (DSL) haben in den letzten drei Jahren die Qualitätsstandards und Definitionen zur Schmerzmedizin in Deutschland debattiert und definiert. Qualität, Struktur, Qualifikation und ein (Facharzt-)Standard Schmerzmedizin waren die Themen. Auf der Endstrecke des breiten Konsens herrscht derzeit jedoch keine Einigkeit mehr: DGS und BVSD halten diesen neuen Facharzt für unbedingt nötig, die DSG/DGSS nicht. An dieser Frage scheiden sich die Geister, obwohl bei sachlicher Betrachtung eines klar ist: Ohne einen Facharzt für Schmerzmedizin wird es künftig nicht (mehr gut) gehen, ob die DSG/ DGSS dies will oder nicht. Warum? Die Schmerzmedizin hat sich, wie einst die Anästhesie von der Chirurgie, innerhalb der letzten Jahrzehnte von der Anästhesie emanzipiert. So wie die Anästhesie medizinhistorisch aus der Chirurgie entstanden ist, entwickelte sich die Schmerzmedizin aus der Anästhesie und schließlich die Palliativmedizin aus der Schmerzmedizin. Schmerzlinderung als erste Aufgabe Die Bedeutung der Linderung von Schmerz ist beiden Fächern immanent, der Anästhesie und der Schmerzmedizin – mehr als jedem anderen klinischen Fach. Die Linderung von Schmerz als globales medizinethisches Postulat hat keiner besser beschrieben als Albert Schweitzer 1931: „Wir müssen alle sterben, aber wenn ich in der Lage bin, Menschen vor Tagen höchster Qual zu bewahren, dann ist es das, was ich als großes und jeden Tag neues Privileg als Arzt erfühle. Schmerz ist ein schrecklicherer Herrscher der Menschheit als der Tod selbst.“ Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, bedarf es gerade bei komplizierten Verläufen von Schmerzkrankheiten einer besonderen Expertise. Die moderne Chirurgie ist ohne die Fortschritte der anästhesiologischen Verfahren zur Schmerzfreiheit während und nach operativen Eingriffen undenkbar. Dabei war die Linderung von Schmerzen und Schmerzfreiheit während Narkosen in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht unumstritten, sondern sah sich erheblichen moralischen Bedenken ausgesetzt. Denn Schmerz wurde vielfach als gottgewollt und als natürliche Bedingung des Lebens und von Lebenskrisen angesehen. Von der Chirurgie zur Anästhesiologie Die Emanzipation der Anästhesiologie von der Chirurgie vollzog sich zunächst über Methoden und erst später über Kompetenzzuweisung: Ausgehend von der Verwendung der gift igen und leicht entflammbaren Substanz Chloroform nahm sie eine stürmische Entwicklung und hat bis heute wesentlich bessere und verträglichere Anästhetika hervorgebracht. Auch der apparative Aufwand Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. www.dgschmerztherapie.de hat sich in einem solchen Umfang zu vollumfänglichen Sicherheitsstandards entwickelt, dass sich heute durchgeführte Narkosen auch als balancierte Anästhesie zusammen mit intravenös verabreichten Schmerz- und Schlafmitteln zu einer sehr sicheren, aber auch mit höchsten Anforderungen an den durchführenden Arzt verbundenen Form der Betäubung während Eingriffen und auch nach Unfällen entwickeln konnte. Anästhesie zwingend für Chirurgie Die prä-, peri- und postoperative Sicherheit des Patienten erforderte die Entwicklung des Fachgebiets der Anästhesie aus dem Fach Chirurgie heraus. Für die Sicherung der vitalen Lebensfunktionen des Patienten vor, während und nach chirurgischen und anderen medizinischen Eingriffen sowie von kritisch Kranken überhaupt, bis zur Notfall- und Rettungsmedizin hat sich ein neues Spezialgebiet der Medizin entwickelt. Der Facharzt für Anästhesiologie, der nicht mehr (gleichzeitig) operiert, war eine zwangsläufige Entwicklung. Der Anästhesist entwickelte sich vom Hilfsassistent chirurgischer Eingriffe im Operationssaal zum Spezialisten für die Narkose und Betreuung von Patienten in kritischen Lebenssituationen, vorzugsweise auch im Bereich der Unfallchirurgie, Chirurgie bis hin zur Inneren Medizin. Heute ist von der Universitätsklinik bis zum kleinsten Kreiskrankenhaus keine Klinik mehr ohne eine Fachabteilung für Anästhesie und Intensivmedizin denkbar. Als erster erhielt Werner Sauerwein vom Bürgerhospital Saarbrücken seine Facharzt-Anerkennung am 27. Mai 1953. Von der therapeutischen Lokalanästhesie zur Schmerztherapie Die Anästhesie verharrte jedoch nicht beim Einsatz leicht flüchtiger Gase zur Betäubung, sondern entwickelte sich weiter. Das historische Bindeglied zwischen der Schmerzmedizin, wie wir sie heute kennen, und der Anästhesie ist die therapeutische Lokalanästhesie. In den 40iger -Jahren, im „Golden Age of Local Anaesthesia“, hatte die Lokalanästhesie unter dem Namen „Neuraltherapie“ für operative Prozeduren sogar die übrigen Methoden der Anästhesie überflügelt. Bis in die 80iger-Jahre des 20. Jahrhunderts gab es Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Krankenhäuser, in denen die Anästhesieabteilung für faktisch alle operativen Eingriffe auch Lokalanästhetika als Ersatz für Vollnarkose oder zumindest adjuvant angewendet hat, gerade auch für die postoperative Schmerztherapie. In Krankenhausabteilungen, wo die Lokalanästhesie breit eingesetzt wurde, etablierten sich folgerichtig auch therapeutische Anwendungen, Abteilungen und Sprechstunden für Patienten mit chronischen Schmerzen. Die Erkenntnis, dass man durch eine Beeinflussung des Nervensystems chronische Schmerzen bekämpfen kann, führte letztlich zur Entwicklung der Methoden der modernen Schmerztherapie. Moderne Schmerztherapie In den 60iger- und 70iger-Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich aber auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht ausreicht, Patienten mit chronischen oder immer wiederkehrenden Schmerzen eine Lokalanästhesie zu verabreichen. Diese Patienten bedürfen einer ganzen Palette an Behandlungsmöglichkeiten, um anhaltende Erfolge zu erzielen. Mittlerweile ist die Liste der Erkrankungen lang, die ein speziell schmerzmedizinisches Vorgehen in Diagnostik und Therapie erfordern. Sie reicht von schlecht beeinflussbaren Rücken- und Kopfschmerzen, Zuständen nach fehlgeschlagenen Rückenoperationen über Nervenschmerzen nach Entzündungen oder Nervenverletzungen bis hin zu Tumorschmerzen. Diese Schmerzen erfordern mehr als anästhesiologische Fertigkeiten, Kenntnisse und Behandlungsstrukturen. Die Behandlung erfolgte nun auch nicht mehr im Operationssaal, Aufwachraum oder auf der Intensivstation, sondern in Schmerzambulanzen. In den USA entstanden sogar eigene Krankenhausabteilungen und Schmerzkrankenhäuser. Lehrstühle und Kongresse sowie die Entwicklung von Fachgesellschaften waren der Motor und die Folge. So wurde 1973 die IASP (International Association for the Study of Pain) gegründet. Nach und nach folgten „Local Chapters“ in vielen anderen Ländern dieser Erde, etwa 1975 die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS). Das Ziel: Methoden und Strukturen der Schmerztherapie zu defi nieren. Von der Schmerztherapie zur Schmerzmedizin Millionen von Menschen leiden unter akuten und chronischen Schmerzen, für die zwar immer mehr neue und wirksame Therapiestrategien entwickelt wurden, die aber bislang bei weitem nicht allen Menschen zugänglich gemacht werden konnten. In Deutschland nicht und anderswo schon gar nicht. Hierzulande fehlt es auch an Therapeuten und Einrichtungen. Dabei definiert sich der Anspruch an eine Versorgungswirklichkeit an den definierten Behandlungsstandards und über die Qualifi kation der Therapeuten. Auf Basis der Erkenntnis, dass biopsychosoziale Determinanten das chronische Schmerzempfinden eines Patienten bestimmen, hat sich die Schmerzmedizin zu einem komplexen Gebiet entwickelt, in dem Kenntnisse aus der Anästhesie, der Inneren Medizin, Rheumatologie, der Nervenheilkunde, der Psychotherapie, der Psychosomatik, der Neurochirurgie und andere Fertigkeiten von Nöten sind. Nur so kann man einem Patienten mit chronischen Schmerzen wirklich adäquat helfen. Viele der Methoden aus diesen Fächern, z. B. in Diagnostik und Therapie, müssen bei Patienten multimodal integriert angewendet werden, auch spezielle Kenntnisse der Pharmakologie mit Analgetika oder Medikamenten, die auf andere Weise Schmerzen bessern können. Dieses breite Feld haben Anästhesisten, mittlerweile auch Allgemeinärzte und Fachärzte anderer Gebiete, als spezielles Betätigungsfeld für sich erschlossen. Neben Fachärzten für Anästhesie, Allgemeinmedizin, Orthopädie, Neurologie, und Neurochirurgie sowie internistische Rheumatologie setzen interventionell tätige Neurochirurgen und gar Radiologen mit bildgebend gesteuerten Verfahren und Injektionstechniken, sowie Kathetertechniken und Nervenstimulationsverfahren Methodenschwerpunkte zur Therapie und Prävention von Schmerzen. Meilensteine der Schmerzmedizin Doch wie sollte man diese Spezialisten definieren, wie für Patienten kenntlich und zugänglich machen und wie etabliert man diese Spezialisierung im FacharztKanon der Behandlungsstrukturen? Die 35 DGS ersten Schmerzpraxen wurden von Dietrich Jungck in Hamburg und Thomas Flöter in Frankfurt gegründet, von Anästhesisten, die keine Narkosen mehr machten, sondern ausschließlich Schmerztherapie. 1984 gründeten sie zusammen mit dem damaligen Präsidenten der DGSS, Manfred Zimmermann, das schmerztherapeutische Kolloquium (StK). Ziel war es, auch im niedergelassenen Bereich Schmerztherapie verfügbar zu machen und zu definieren. In den 80iger-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde erreicht, dass die Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten in Spezialverträgen der Krankenkassen mit qualifizierten Ärzten zunehmend, wenn auch längst nicht ausreichend, vergütet wurde. 2005 wurde die Schmerztherapie in den Gebührenkatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen. 1996 wurde dann die Zusatzbezeichnung spezielle Schmerztherapie vom Deutschen Ärztetag eingeführt, die spezielle Weiterbildung zu den Fertigkeiten in einem Curriculum definiert, die chronische Schmerzkrankheiten erfordern. Seit 2014 sind Palliativmedizin und Schmerzmedizin als „Querschnittsfächer“ (Q13 und Q14) in die Ausbildungsordnung für Medizinstudenten aufgenommen. All dies demonstriert die wachsende eigenständige Bedeutung der Schmerzmedizin. Der Begriff „Querschnittsfach“ demonstriert allerdings auch die nicht eindeutige Fach-Zuweisung der Schmerzmedizin, die hier jedoch erstmals als eigene Begriffl ichkeit im Kontrast zu der Bezeichnung Schmerztherapie erscheint. Honoraraprofessuren für Palliativmedizin, gestiftet von der Pharmaindustrie, gibt es schon länger, allerdings bislang keine für Schmerzmedizin. Die Lehre wird indes innerhalb der Lehrorganisation der Anästhesie derzeit mehr oder weniger breitflächig installiert. Schmerzmedizin als Fachgebiet So wie sich die Anästhesie als „Hilfsfach“ für die Chirurgie zu einer eigenständigen Facharzt-Entität herausgebildet hat, so schält sich momentan auch die Schmerzmedizin als eigenständiges Fach heraus. Schmerzmedizin ist nicht mehr „nebenher“ von Fachärzten der Anästhesie, Neurologie, Neurochirurgie, Allgemeinmedi- 36 Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. zin und Orthopäde zu leisten. Als erstes Land hat Irland dieses Erfordernis wahrgenommen und umgesetzt: Den Facharzt für Schmerzmedizin. Hoher Versorgungsbedarf Die Notwendigkeit eines eigenständigen Facharztes für Schmerzmedizin erschließt sich dabei nicht allein im historischen Kontext, sondern resultiert aus der ärztlichen und psychologischen Versorgungswirklichkeit in Deutschland. Während im stationären Sektor Schmerzambulanzen auch interdisziplinär denkbar und organisierbar scheinen, ist dies gemäß der Systematik des deutschen Gesundheitswesens im ambulanten Bereich nicht darstellbar. Die Bedarfsplanung des Gesundheitswesens ist im ambulanten Bereich am FacharztStandard orientiert. Es gibt Planungsbereiche für Fachärzte, nicht für Zusatzbezeichnungen. Fachärzte bilden die Grundlage dafür, einen Bedarf festzustellen, das heißt den ärztlichen Versorgungsgrad eines Planungsbereichs. Darüber werden die Zulassungen für die Niederlassung und letztendlich auch die Bezahlung geregelt und gesteuert. Zu welchen Wild- und Auswüchsen dies bezogen auf Schmerzpraxen und Schmerzzentren führt, ist leidlich bekannt. Sitze können nicht ausgeschrieben werden, die Nachfolge ist nicht regelbar, Kooperationen sind erschwert und all dies nur, weil es keinen Facharzt-Standard für Schmerzmedizin gibt und weil Schmerzmedizin nicht als eigenständiges Fach gleichberechtigt neben den anderen Fachbereichen gelistet ist. Dies ist auch der Grund, warum – ganz abgesehen von der Diskussion um Art und Umfang des Schmerztherapie-Kapitels im EBM – Zuweisungen aus den Gesamthonorar-Töpfen unterschiedlich an Schmerzmediziner fließen – bei vergleichbarer Arbeit – und schon seit Jahrzehnten in sehr unterschiedlichem Ausmaß aber anhaltend ANlass zu Existenzsorgen geben. Doch es ist nicht nur dieses ordnungspolitische Problem, sondern vor allem auch die Anerkennung als gleichberechtigte Fachrichtung, die im Ablauf der medizinischen Versorgung atmosphärisch und in der gegenseitigen Anerkennung außerordentlich stört. Überweisungen werden fachgleich nur ungern ausgestellt (z. B. vom Allgemeinmediziner ohne „spezielle Schmerztherapie“ zum gleichen Fachgebiet mit „spezielle Schmerztherapie und/oder Zulassung zu Schmerztherapievereinbarung), in der ambulanten Versorgung, zu ermächtigten Ärzten, in Alten- und Pflegeheimen, in der Zuteilung als Gutachter bei Gericht und damit generell einfach als anerkannte Instanz und Entität auf Augenhöhe im Kanon der Facharztbezeichnungen. Fazit aus der Entwicklung Die eigenständige Bedeutung des Faches Schmerzmedizin leitet sich somit zwingend und aus der historischen Entwicklung sowie dem Versorgungserfordernis für dezidierte Patienten gleichermaßen ab. Ein eindeutiger Versorgungsauftrag und dessen Voraussetzungen sind nicht definiert. Die Qualitätsstandards, unter denen Schmerzmedizin heute stattfindet, wurden indes gerade von den Fachgesellschaften DGS und DSG/DGSS sowie dem Berufsverband BVSD in extenso formuliert und werden in Kürze veröffentlicht. Sie belegen klar die besonderen Anforderungen an Struktur, Qualität und Qualifikation eines Schmerzmediziners in der heutigen Zeit hier in Deutschland. Nicht zuletzt auch die Patienten selbst, die an chronischen Schmerzen leiden, formulieren für sich diesen Bedarf und rufen vernehmbar nach dem Facharzt für Schmerzmedizin. Die DSL macht die Lücken der Versorgung in der Zahl und Qualität der Schmerztherapeuten seit Jahren öffentlich. Das Forum der Betroffenen sollte Anlass genug sein, endlich das Engagement aller Fachgesellschaften zu notwendigen Innovationen ernsthaft umzusetzen. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin und der BVSD sind sich deshalb in der Forderung nach einem eigenständigen Facharzt für Schmerzmedizin einig, um dem jetzt klar definierbaren Umfang der Schmerzmedizin in Ausbildung, Lehre und Versorgung von Patienten wirklich gerecht zu werden und im Rahmen der hohen Standards des Gesundheitssystems der Bundesrepublik Deutschland einen neuen und notwendigen Akzent zu setzen. Dr. med. Oliver M.D. Emrich, Ludwigshafen, oliver.emrich@dgschmerzmedizin.de Schmerzmedizin 2015; 31 (1) DGS Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. 26. Deutscher interdisziplinärer Schmerz- und Palliativkongress Dem Leben Zukunft geben Von den in Deutschland lebenden Menschen leiden mindestens 160.000 an schweren chronischen Schmerzen und bedürfen einer speziellen Behandlung, um ihrem Leben eine Perspektive zu geben. Mit dem Motto „Dem Leben Zukunft geben“ stellt die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) dieses Anliegen auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in den Fokus. — Symposium: Ärzte im Konflikt: Lebenshilfe – Sterbehilfe Freitag, 6.3.2015; 15:45–17:15 Uhr Plenarsaal Harmonie Nahziele der DGS 2015; 31 (1) auch die nachhaltige Beschäft igung mit Schmerztherapie im Spannungsfeld zwischen Medizin, Ökonomie und Gesundheitspolitik. Was aber sind die Ziele der DGS für die nähere Zukunft? Schmerztherapie endlich besser verfügbar zu machen, hat als Ziel die oberste Priorität. Ein Markstein auf diesem Weg ist die Diskussion über Struktur und Qualität der Schmerzmedizin in der Zukunft. Der Facharzt für Schmerzmedizin ist dabei nur die vordergründig wichtigste Forderung. Viel wichtiger aber ist der nationale gesundheitspolitische Konsens darüber, schmerzmedizinische Standards in der Versorgung breit über alle Ebenen der Facharzt für Schmerzmedizin – Irland als Beispiel Camillus Power, Direktor des Pain Medicine Tallaght Hospital in Dublin, ist einer der ersten, oder gar der erste Facharzt für Schmerzmedizin in Europa. In Irland bereits Realität, könnte oder wird der Facharzt für Schmerzmedizin ein Modell für ganz Europa sein. Für die Versorgung von Schmerzpatienten ist der Facharzt für Schmerzmedizin ebenso notwendig wie die Bedarfsplanung mit qualifizierten Schmerzmedizinern. Dem stehen in Deutschland aber immer noch gewichtige Verbandsinteressen gegenüber. — Symposium: Wieviel Schmerzmedizin kann, wieviel Schmerzmedizin muss unsere Gesellschaft sich leisten? Donnerstag, 5.3.2015; 8:15–10:00 Uhr Plenarsaal Harmonie Ärzte im Konflikt: Lebenshilfe – Sterbehilfe Eine der brennendsten politischen Diskussionen: Ärzte im Konflikt: Lebenshilfe – Sterbehilfe. Die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit Sterbehilfe in der Diskussion. Mit dabei: Dr. Nikolaus Schneider, ehemaliger Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz und Dr. Thomas Sitte, Vorsitzender der © DGS D iesen 160.000 Schmerzpatienten stehen derzeit nur etwa 1.000 speziell qualifizierte Ärzte gegenüber, die diese schwer betroffenen Patienten behandeln sollen. Nur ca. 300 davon sind weit überwiegend oder ausschließlich in eigener Praxis vor Ort schmerzmedizinisch tätig und können jeweils nur maximal 400 Patienten pro Quartal behandeln. Dass diese Rechnung nicht aufgehen kann, sollte jedem vernünft ig kalkulierenden Gesundheitspolitiker klar sein. Das Motto „Dem Leben Zukunft geben“ zielt deshalb auf das Hauptproblem der praktischen Schmerzmedizin, die Verfügbarkeit und Sicherstellung einer hoch qualifizierten schmerzmedizinischen Versorgung in Deutschland. Die Betroffenen warten immer noch auf schlüssige Antworten für die Bewältigung alltäglicher Aufgaben in Beruf, Freizeit und Familie. Traditionsgemäß widmet sich der Schmerz- und Palliativtag den wichtigsten praktischen Themen in der Versorgung von Schmerzpatienten: den neuen Entwicklungen und Trends in der Therapie, der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) und der Versorgung in Hospizen, den ergänzenden oder alternativen Heilmethoden sowie allen anderen praktischen Problemen der schmerzmedizinischen, palliativmedizinischen Versorgung und ihrer wirtschaft lichen Kompensation, z. B. der Abrechnung und Qualitätssicherung in der Schmerzmedizin. „Dem Leben Zukunft geben“ meint für die Schmerzmedizin im Jahr 2015 aber Schmerzmedizin Deutschen Palliativstiftung. Eine extrem wichtige und spannende, aber ganz sicher nicht abschließende Diskussion wird erwartet. Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag hat Tradition (hier 2014): Schon zum 26. Mal treffen sich Deutschlands Schmerztherapeuten im Jahr 2015. 37 DGS Schmerzmedizin zu etablieren, vom Primärversoger, dem Hausarzt als wichtigster Station, über spezialisierte Fachärzte und spezialisierte ambulante Versorgungszentren bis hin zu Ambulanzen und Schmerzzentren an Kliniken und Universitäten. Vieles ist erreicht – vieles ist zu tun Viele Forderungen wurden auf der 30-jährigen nationalen Wegstrecke in der Schmerzmedizin umgesetzt: — 1996: die Zusatzbezeichnung „spezielle Schmerztherapie“, — 2005: die Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie und — 2014: der Eingang von Palliativmedizin und Schmerzmedizin in die Ausbildungsordnung (AO) von Medizinstudenten. Vieles bleibt aber zu tun, denn diese Marksteine sind noch lange nicht die Antwort auf die drängendste Frage: Wie sichern wir die schmerzmedizinische Versorgung in der Zukunft? Die Konturen einer Antwort werden indes klarer. Deshalb wird sich die DGS am 2. nationalen Schmerzforum in Berlin am 17. September 2015 im Schulterschluss mit der Deutschen Schmerzgesellschaft und dem Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland beteiligen und darüber hinaus im Herbst 2015 das 1. Nationale Versorgungsforum Schmerzmedizin (bisher „Innovationsforum“) in Berlin begehen. — Symposium: Versorgungsstärkungsgesetz – in 4 Wochen zum Schmerztherapeuten? Auswirkungen der Gesundheitsreform auf die Schmerzmedizin Samstag, 7.3.2014; 11:00–12:30 Uhr Plenarsaal Harmonie DGS-PraxisRegister und iDOCLive Ganz besondere Schwerpunkte werden das DGS-PraxisRegister Schmerzmedizin und das neue Internet-basierte Praxis-Dokumentationssystem Schmerz (iDocLive) bilden. Beide revolutionieren die bislang rudimentäre, sträflich vernachlässigte Versorgungsforschung in der Schmerzmedizin in Deutschland. iDOCLive ist das bislang modernste, beste und allumfassendste standardisierte Dokumentationssystem in der Schmerztherapie, einfach in der Anwen- 38 Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. dung für Arzt und Patient gleichermaßen und mit keinen fortlaufenden Kosten verbunden. iDOCLive ist genauso neu wie spannend und erleichtert essenziell und nachhaltig die Dokumentationspflicht in der Praxis und die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. — Anwenderseminar: Das DGS-PraxisRegister Schmerz und iDocLive® (1) – Versorgungsforschung und Doku-Stress im Praxisalltag einfach meistern Donnerstag, 5.3.2015; 14:15–15:45 Uhr Raum Spektrum 1 Praxistaugliche Leitlinien Das wichtigste laufende Projekt derzeit ist aber ohne Frage die Entwicklung von praxistauglichen Leitlinien in der Schmerzmedizin. Die Praxisleitlinien der DGS (PLLDGS, www.dgs-praxisleitlinien.de) sind für einige Bereiche der Schmerz- und Palliativmedizin bereits erstellt und konsentiert für Tumorschmerzen, tumorbedingte Durchbruchschmerzen, Kopfschmerzen und die gute Substitutionspraxis in der Schmerz- und Palliativmedizin. Eine umfassende Arzneimittelbewertung steht im Internet bereit und am Schmerztag 2015 gehen die Praxisleitlinien zur Anwendung von Botulinumtoxin bei chronischer Migräne sowie die Praxisleitlinie Fibromyalgiesyndrom an den Start, das heißt in die Konsentierungsphase und werden vorgestellt. Die Praxisleitlinie Kreuzschmerz ist beinahe fertiggestellt und weitere PLLs sind auf dem Weg. — Anwenderseminar: Der Fibromyalgiepatient: Differentialdiagnostik mit Fallbeschreibung/myofaszielles Schmerzsyndrom Freitag, 6.3.2014; 17:30–19:00 Uhr Raum Illusion 2 DGS-Kurse für Qualifikationen in der Schmerz- und Palliativmedizin Ein Schwerpunkt der DGS-Arbeit im Allgemeinen und des Schmerz- und Palliativtages 2015 im Besonderen sind die DGS-Kurse für den Erwerb von notwendigen und nützlichen Qualifi kationen in der Schmerz- und Palliativmedizin. Dies sind die Ärztekammer-anerkannten Curricula „80-Stundenkurs“ „spezielle Schmerztherapie“ und der Kurs „Palliativmedizin“. Darüber hi- naus finden die Qualifikationskurse Fachkunde Schmerzmedizin, algesiologische Fachassistenz (ALFA) für medizinische Fachangestellte, ein Kurs in Techniken der minimal invasiven Schmerztherapie (Lokal- und Regionalanästhesie), ein Kurs über die Besonderheiten der Schmerzmedizin im Alter, Psychosomatik für Schmerzmediziner und ein Kurs in den Techniken der neuroorthopädischen Untersuchung statt. Neu sind auch die Qualifi kationskurse für Apotheker und Physiotherapeuten, die das Schmerz-Kompetenz-Siegel der DGS erwerben können. Diese notwendigen Kooperationen waren längst überfällig und entwickeln sich derzeit zu einem Erfolgsmodell. Regionale Schmerzzentren DGS Alle 150 regionalen Schmerzzentren DGS in Deutschland, die im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin eine hochqualifizierte regionale Versorgung von Schmerzpatienten sicherstellen, sind am Schmerztag eingebunden. Nirgends wird dies so deutlich wie bei Schmerztherapie unter Extrembedingungen. Der DGS-Leiter Michael Petermeyer berichtet als Leiter der Rettungsaktion über die Rettung eines verschütteten und verletzten Höhlenforschers in der tiefsten und längsten bekannten Höhle in Deutschland, aus der Riesending-Höhle in der Nähe von Berchtesgaden, die der anteilnehmenden Öffentlichkeit den Atem stocken ließ. — Special Lecture: Schmerztherapie unter Extrembedingungen. Donnerstag, 4.3.2014; 18:00–19:30 Uhr Raum Fantasie 1+2 Genauso notwendig wie spannend die Arbeit in der DGS, ist damit der alljährliche Kongress „Der deutsche Schmerzund Palliativtag“ 2015 in Frankfurt. Der Vorstand der DGS und die Gemeinschaft der DGS-Leiter in Deutschland erwarten erneut eine rege Beteiligung und einen neuerlichen Besucherrekord. Dr. med. Oliver M.D. Emrich, Ludwigshafen, für den Vorstand und das OrganisationsKomitee des 26. Deutschen interdisziplinären Schmerz- und Palliativkongresses. oliver.emrich@dgschmerzmedizin.de Schmerzmedizin 2015; 31 (1) DGS Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. DGS-Innovationsforum Schmerzmedizin – Fakten, Hintergründe, Perspektiven „Innovationsforum Schmerzmedizin – Fakten, Hintergründe, Perspektiven“, unter diesem Titel informierte die Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS) über die aktuelle Versorgungssituation der Schmerzpatienten in Deutschland und ihre neuen Vorhaben. V iele im Zusammenhang mit der Schmerztherapie im Alltag relevante Fragen würden durch die existierenden Studien und evidenzbasierten Leitlinien nicht beantwortet, erläuterte DGS-Vizepräsident Dr. Michael Überall. Die DGS starte daher ein neues, bundesweites Praxisregister für die Versorgungsforschung bei Schmerzpatienten. Startschuss für DGS-PraxisRegister Schmerz Laut Überall gebe es derzeit einen durch die Gesundheitspolitik und auch durch die universitäre Forschung getriebenen Trend zu einer sich rein an randomisierten Studien orientierenden Schmerztherapie. An den tatsächlichen Bedürfnissen der Schmerzpatienten gingen diese Studien und damit auch die auf ihnen basierenden Leitlinien aber oft meilenweit vorbei, ergänzte Dr. Johannes Horlemann, ebenfalls DGS-Vizepräsident. Wie problematisch die evidenzbasierten Leitlinien zur Schmerztherapie seien, zeige sich schon daran, dass die Einschätzung zur Wirksamkeit der Opioide insbesondere bei Nichttumorschmerzen in den internationalen Leitlinien erheblich voneinander abweiche. Dabei benutzten alle Leitlinienautoren die gleichen Studien, so Horlemann. Deutliche Kritik äußerte er an den kürzlich vorgelegten deutSchmerzmedizin 2015; 31 (1) schen LONTS-2-Leitlinien zur Therapie von Patienten mit nicht krebsbedingten Schmerzen. Zwar seien einige besonders problematische Aussagen der vorausgehenden Version LONTS-1 entfernt worden, doch seien die Empfehlungen dieser Leitlinie weiterhin für den Alltag in der Schmerztherapie wenig hilfreich: Diese Leitlinie beantworte Fragen, die niemand gestellt habe. Von dem neuen DGS-PraxisRegister Schmerz, erhofft sich die DGS robuste Daten zum Einsatz, zur Wirksamkeit und zur Häufigkeit unerwünschter Wirkungen in der ambulanten Schmerztherapie. Die DGS hat dafür auf eigene Kosten ein Online-System in Auftrag gegeben, das der Öffentlichkeit präsentiert wurde und den Namen iDocLive® trägt. Es ist für Mitglieder der DGS kostenfrei nutzbar und unabhängig von pharmazeutischen Unternehmen. Mittelfristig erhoffe man sich eine Basisfinanzierung durch ein Förderkonsortium, so Überall. Für den Arzt ist das DGS PraxisRegister wenig aufwändig. Er kann die Stammdaten des Patienten aus seiner Praxissoftware übernehmen. Das dauert wenige Sekunden. Danach erfolgt die komplette Schmerzdokumentation und Folgedokumentation online durch die Patienten Nationales Versorgungsforum Schmerzmedizin 2015 am 13. und 14. November 2015 in Berlin, im Hotel Wyndham Garden Berlin Mitte Osloer Straße 116 a, 13359 Berlin Weitere Informationen: DGS e. V. Adenauerallee 18, 61440 Oberursel Tel +49 (0) 61 71 / 28 60 60 info@dgschmerzmedizin.de www.innovationsforum-schmerzmedizin. de selbst. Dazu könne der Desktop-Rechner, Tablet-PC oder Smartphone genutzt werden. Primär angesprochen seien zunächst die etwa 150 regionalen Schmerzzentren. Nach Überall könne aber auch jeder andere Arzt, der chronische Schmerzpatienten versorge, das System einsetzen und so zum Datenpool für die Versorgungsforschung beitragen. Die Auswertung soll in Kooperation mit Universitäten erfolgen. Details würden noch verhandelt. Plädoyer pro „Facharzt für Schmerzmedizin“ Um chronische Schmerzpatienten in der Breite besser zu versorgen, fordert die DGS nochmals nachdrücklich den Facharzt für Schmerzmedizin. Anders als bei Patienten mit schmerzhaften Erkrankungen, bei denen sich Spezialisten eines Fachgebiets um die jeweils schmerzauslösende Erkrankung kümmern und dem Schmerz damit begegnen, seien Patienten mit chronischem Schmerzsyndrom nicht ohne weiteres innerhalb der Grenzen eines Fachgebiets behandelbar, erklärte DGS-Präsident Dr. Gerhard MüllerSchwefe. Ein Behandlungserfolg stelle sich nur dann ein, wenn die unterschiedlichen körperlichen, sozialen und psychischen Probleme gleichzeitig adressiert würden. Einem einzelnen Arzt sei diese fächerübergreifende Behandlung innerhalb des hiesigen Versorgungssystems aber nicht gestattet – ein Dilemma, dass sich erst mit einem entsprechenden Facharzt löse. Neben der „Interdisziplinarität in Personalunion“ biete ein eigener Facharzt für Schmerzmedizin außerdem den Vorteil, dass dann auch der Sicherstellungsauftrag für die Schmerzmedizin gelte, und sie in der Bedarfsplanung berücksichtigt werden würde. Philipp Grätzel Bericht vom Innovationsforum am 24. November in Berlin 39 DGS Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle der DGS Tel.: 06171/286060, Fax: 06171/286069, E-Mail: info@dgschmerzmedizin.de oder im Internet unter www.dgschmerzmedizin.de März 2014 Update Rückenschmerzen – Update Migräne und Clusterkopfschmerz: neue Behandlungsverfahren 25.03.2015 in Kassel Regionales Schmerzzentrum DGS – Kassel Verhaltensveränderung: Alte Gewohnheiten sterben zuletzt – Wie können wir Veränderungen bei uns selbst und anderen bewirken? 29.03.2015 in Halle Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle Saale Craniomandibuläre Dysfunktion 22.04.2015 in Halle Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle/Saale Kopf- / Gesichtsschmerz meets Muskulatur 22.04.2015 in Euskirchen Regionales Schmerzzentrum DGS – Schleiden Eifel Wann und wie? Motivation zum Sport und Angst vor Bewegung - Wie passt das zusammen? 22.04.2015 in Wuppertal Regionales Schmerzzentrum DGS – Wuppertal Sankt Josef April 2015 Schmerztherapie in der Palliativmedizin 22.04.2015 in Hechingen Regionales Schmerzzentrum DGS – Albstadt CME-Update Schmerz: Sonografie gesteuerte Blockaden – Indikation und Durchführung 13.04.2015 in Ludwigshafen Regionales Schmerzzentrum DGS – Ludwigshafen Strukturelle Osteopathie und Sanfte Chiropraktik nach Dr. Ackermann 24.04.-28.04.2015 in München/Tegernsee Regionales Schmerzzentrum DGS – München Neurodynamik und ihre Bedeutung – Diagnostik und Therapie 15.04.2015 in Berlin Regionales Schmerzzentrum DGS – Berlin Mitte Wirkstoffunabhängige Wirkung der Arzneimitteltherapie – Welche Rolle spielt die Erwartung? 24.04.2015 in Wuppertal Regionales Schmerzzentrum DGS – Wuppertal Sankt Josef Hypnose / Hypnotherapie II 16.04.2015 in Bad Säckingen Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen Curriculum Algesiologische Fachassistenz (Kurs 2) 17.04.-18.04.2015 in Kassel Geschäftsstelle DGS Schmerztherapie-Praxisseminar: Triggerpunkte erkennen und behandeln – exakte Diagnosetechnik ermöglicht rationale Therapieansätze 17.04.-19.04.2015 in Göppingen Regionales Schmerzzentrum DGS – Göppingen Curriculum: Spezielle Schmerztherapie (Block D) 18.04.-19.04.2015 in Frankfurt am Main Geschäftsstelle DGS Opiate bei chronischen Rückenschmerzpatienten: Pro & Contra 20.04.2015 in Augsburg Regionales Schmerzzentrum DGS – Augsburg Ärztlich assistierter Suizid : Reflexionen der DPG und Diskussion 21.04.2015 in Solingen Regionales Schmerzzentrum DGS – Solingen 40 Diagnostik an Beispielen aus dem neurologisch / schmerzmedizinischen Alltag 04.05.2015 in Ludwigshafen Regionales Schmerzzentrum DGS - Ludwigshafen Ernährung und Genuss in der Schmerztherapie 06.05.2015 in Wiesbaden Regionales Schmerzzentrum DGS – Wiesbaden Methode der Verhaltensänderung – Motivation (Workshop Teil II) 06.05.2015 in Berlin-Prenzlauer Berg Regionales Schmerzzentrum DGS – Berlin Prenzlauer Berg Neuromodulation bei neuropatischen Schmerzen 06.05.2015 in Dinslaken Regionales Schmerzzentrum DGS – Dinslaken Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS / Biofeedback-Trainer DGS (Grundlagenseminar 1) 09.05.-10.05.2015 in Frankfurt am Main Geschäftsstelle DGS Myofasziale Schmerzsyndrome 13.05.2015 in Hürth Regionales Schmerzzentrum DGS – Köln Schmerztherapie mit Botulinumtoxin 25.04.2015 in München Regionales Schmerzzentrum DGS – München Schmerzen bei viralen Erkrankungen 14.05.2015 in Tübingen Regionales Schmerzzentrum DGS – Tübingen Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS / Biofeedback-Trainer DGS (Fachseminar 1 Migräne/KS) 25.04.-26.04.2015 in Frankfurt am Main Geschäftsstelle DGS Schmerztherapie bei neuropathischen Schmerzen – Systemisch oder topisch? 20.05.2015 in Bremen Regionales Schmerzzentrum DGS – Bremen Unterstützung geben – Gesundheitsberatung zur Verhaltensänderung motivieren (Vortrag und Workshop Teil I) 29.04.2015 in Berlin Regionales Schmerzzentrum DGS – Berlin Prenzlauer Berg Was hat das Becken mit dem Kopfschmerz zu tun? 29.04.2015 in Erfurt Regionales Schmerzzentrum DGS – Erfurt Mai 2015 CME-Update Schmerz: Neurologische Diagnostik von unklaren Schmerzsyndromen. Psychosomatik I 21.05.2015 in Bad Säckingen Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen Strukturelle Osteopathie und Sanfte Chiropraktik nach Dr. Ackermann 21.05.-24.05.2015 in Bad Salzschlirf/Fulda Regionales Schmerzzentrum DGS – Wuppertal Wann welches Analgetikum? NSAR vs. Opiate 27.05.2015 in Halle Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle Saale Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS / Biofeedback-Tariner DGS (Grundlagenseminar 2) 30.05.-31.05.2015 in Frankfurt am Main Geschäftsstelle DGS Schmerzmedizin 2015; 31 (1) © DSL © DSL Deutsche Schmerzliga im Fokus © DSL DGS Der Patient und seine Anliegen im Mittelpunkt – dafür engagiert sich die Deutsche Schmerzliga. 25 Jahre Deutsche Schmerzliga e. V. Schon viel erreicht, noch mehr zu tun! Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass sich eine kleine Gruppe von Menschen unterschiedlichster Herkunft, Ausbildung und Betroffenheit aufmachte, den besonderen Bedürfnissen chronischer Schmerzpatienten Gehör zu verschaffen. V or 25 Jahren wurde mit der Deutschen Schmerzliga (DSL) e. V. die erste und bis heute größte bundesweit aktive Selbsthilfeorganisation für Menschen mit chronischen Schmerzen gegründet: — 25 Jahre, die gekennzeichnet waren von Aufbruchstimmung, umfangreichen Aktivitäten auf regionaler und überregionaler Ebene sowie vielfältigsten gesundheitspolitischen Aktionen. — 25 Jahre, in denen die Geschicke der DLS ganz entscheidend getragen wurden vom ehrenamtlichen Engagement ihrer zahlreichen Mitglieder, Selbsthilfegruppen und Vorstände. — 25 Jahre voller Beharrungsvermögen, Ausdauer und Geduld. Aber auch 25 Jahre voller Enttäuschungen, Frustrationen und Unmut über die progrediente Schwerfälligkeit eines zunehmend technokratischen und verwissenschaft lichten Gesundheitssystems, welches in seinem Bestreben nach Qualitätsstandards, Evidenz und Ökonomie die individuellen Bedürfnisse der von einer chronischen Schmerzkrankheit Betroffenen immer mehr aus dem Blick verloren hat. Trotz aller Erfolge der DSL sind die anstehenden Herausforderungen seitens des Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Gesetzgebers, des Gemeinsamen Bundesausschusses, der ärztlichen Selbstverwaltungsorgane und der Krankenkassen (um nur einige beim Namen zu nennen) nicht weniger geworden. Hinzu kommen gesellschaftliche Entwicklungen sowie der Einfluss neuer Medien auf Kommunikationsverhalten und Interaktion, die für sich alleine betrachtet interessant sind. Zusammengenommen können sie aber für den Gedanken der Selbsthilfe gerade für chronisch Schmerzkranke fatale Auswirkungen haben, wenn man ihnen nicht in geeigneter Weise begegnet bzw. sie für die eigenen Ziele nutzt. Die DSL kann mit Stolz auf diese 25 Jahre zurückblicken. Gleichzeitig gilt es jedoch, den Blick nach vorne zu wenden und sich für die kommenden Herausforderungen zu wappnen. Nicht nur durch die betonte Fokussierung des Blickes aller gesundheitspolitisch Verantwortlicher auf die Bedürfnisse kranker Menschen in Deutschland (Stichwort: Versorgungsstärkungsgesetz), sondern auch angesichts der tsunamiartigen Zunahme gesetzlicher Regelungen für Patienten (Stichwort: Patientenrechtegesetz, Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, etc.) könnte einem regelrecht warm ums Herz werden – wäre da nicht, ja wäre da nicht dieses flaue Gefühl im Magen, dass hier der Gesetzgeber mal wieder berauscht von seiner sozialen Fürsorgepflicht weit übers Ziel hinaus schießt. Mit Gesetzen ist es letztlich so wie mit Medikamenten: die Dosis macht das Gift. Sind sie in niedriger Dosis und bei gezielter Anwendung hilfreich und gut, so mutieren sie bei flächendeckender vollumfänglicher Anwendung mitunter zu einem kaum mehr zu beherrschenden Kontrollmonster, dessen Freisetzung mehr Schaden verursacht als abwendet. Gerade chronische Schmerzpatienten wissen um die besondere Notwendigkeit individuell maßgeschneiderter Therapiekonzepte – eine Erfahrung, die angesichts der zunehmenden Qualitätssicherungsbestrebungen zur Gewährleistung einheitlicher Therapiestandards (auf kleinstem gemeinsamem Nenner) zunehmend seltener werden wird. Alles in allem also kein Grund für die DSL und ihre Mitglieder, sich lange auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Gemeinsam haben wir in den vergangenen 25 Jahren vieles erreicht, aber bereits in naher Zukunft müssen wir nicht mehr nur dafür Sorge tragen das bislang Erreichte zu sichern, sondern vor allem für Neues kämpfen. Somit gibt es noch viel zu tun für uns und für die Deutsche Schmerzliga – gemeinsam, miteinander, füreinander und stets für Menschen mit chronischen Schmerzen. PD Dr. med. Michael A. Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga Michael.Ueberall@ifnap.de 41 DAGST Deutsche Akademie für ganzheitliche Schmerztherapie e.V. Studienteilnehmer gesucht Studie zu nicht medikamentöser Behandlungsform der kindlichen Migräne. — Das Zentrum für Kinderschmerztherapie Die DAGST e.V. am Universitätsklinikum Homburg sucht für eine klinische Studie ab sofort Kinder im Unsere Ziele: — bessere Behandlung von Schmerzpatienten durch ganzheitlichen Ansatz — berufsbegleitende qualifizierte Schmerztherapie-Ausbildung mit Zertifikat zum Tätigkeitsschwerpunkt „Ganzheitliche Schmerzbehandlung“ — interaktive Vorträge mit Beteiligung des Auditoriums und Demonstration von Behandlungsverfahren — Umsetzung der Ergebnisse aktueller Schmerzforschung in die Ausbildung und Therapie — intensiver kollegialer Austausch sowie Bildung von interdisziplinären Netzwerken Deutsche Akademie für ganzheitliche Schmerztherapie e.V. 1. Vorsitzender Dr. med. Ludwig Distler 2. Vorsitzender Prof. Dr. med. Sven Gottschling (Schriftleitung) weitere Informationen: Fortbildungsbüro DAGST Amperstraße 20A 82296 Schöngeising Tel. 0 81 41 / 35 55 30-20 Fax. 0 81 41 / 35 55 30-27 E-Mail: kontakt@dagst.de Redaktion: Christine Höppner E-Mail: ch@orgaplanung.de www.dagst.de 42 © forestpath / fotolia.com ist eine originäre Schmerzgesellschaft und setzt sich seit Ihrer Gründung 2002 ausschließlich für eine qualitativ hochwertige Ausbildung in ganzheitlicher Schmerztherapie ein. Die Behandlung von Kindern mit Migräne ist eine Herausforderung. Eine Option ohne Pharmakotherapie wäre eine Bereicherung. Alter zwischen 8 und 17 Jahren, die an einer Migräne leiden und mindestens zwei Anfälle pro Monat haben. Die untersuchte Methode ist ein nicht medikamentöses Verfahren, bei dem die Wirkung eines Neurostimulationssystem eingesetzt werden wird. Konzipiert ist die Untersuchung ist als Doppelblindstudie. Nach Studienende soll auch den Patienten aus der Placebo-Gruppe eine kostenfreie Therapie mit dem echten Therapiegerät angeboten werden. Wir würden uns sehr über die Zuweisung von Patienten freuen. red. Genauere Informationen erhalten Sie über das Zentrum für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie: Tel. 06841 / 16-28510 Fax. 06841 / 16-28519 zentrum.palliativmedizin@uks.eu Alte Patienten Schmerzerfassung und Schmerztherapie in Alten- und Pflegeheimen — Das Universitätsklinikum Homburg wird mit den Zentren für Palliativmedizin und Allgemeinmedizin, sowie zusammen mit der pflegewissenschaftlichen Abteilung der Hochschule für Technik und Wirtschaft im Jahr 2015 systematisch in einer mehrstufigen Erhebung die Schmerzerfassung und Schmerztherapie in Alten- und Pflegeheimen im Saarland erfassen. Ziel ist es zum einen den Status quo festzustellen. Zum anderen sollen dann darauf „Schmerzen ohne Grund“ Die Häufigkeit von Leiden wie Fibromyalgie, chronische Rückenschmerzen, Neurasthenie oder Chronic-FatigueSyndrom, haben in den letzten Jahren zugenommen. Mit dem Buch „Müdigkeit, Erschöpfung und Schmerzen ohne ersichtlichen Grund“ beschreibt Peter Peel ein stufenweise durchgeführtes _ Behandlungskonzept, das edukative aufbauend spezifische Schulungsprogramme entwickelt werden, um nach einem gewissen zeitlichen Abstand Veränderungen/ Verbesserungen der Schmerzerfassung und Schmerztherapie bei mitteilungsfähigen sowie auch bei an Demenz erkrankten Bewohnern der Einrichtungen dokumentieren zu können. Projektleiter dieser Untersuchungen ist Prof. Dr. Sven Gottschling, stv. Vorsitzender der DAGST. red. Maßnahmen der kognitiven Verhaltenstherapie zum Ausgangspunkt hat. Keel, Peter Müdigkeit, Erschöpfung und Schmerzen ohne ersichtlichen Grund Springer Verlag Berlin, Heidelberg 2015 ISBN 978-3-642-55429-2 14,95 € Schmerzmedizin 2015; 31 (1) DAGST-Veranstaltungen Jetzt anmelden: Am 19. Juli 2014 findet in Homburg/Saar folgende Fortbildung statt: Länderübergreifende Umfrage Medizinischer Cannabis bei Kindern Palliativversorgung heute: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit © RRF Fotolia — Gefördert durch die DAGST wurde eine länderübergreifende Umfrage in Deutschland, Schweiz und Österreich über den ärztlich verordneten Einsatz von Dronabinol bei Kindern durchgeführt. Dazu wurden über 300 kinderonkologische und neuropädiatrische Abteilungen angeschrieben. Von den antwortenden Institutionen erklärte fast die Hälfte Dronabinol bei Kindern einzusetzen. Hauptanwendungsgebiete waren dabei Spastik, Schmerzen und Appetitverlust. Fast 90 % der Befragten berichteten über positive klinische Effekte wenige Tage nach Therapiestart. Deutlich wurde auch, dass vor allem zwei Gründe den Einsatz behindern: — einmal die unklare Erstattungslage durch die Krankenkassen sowie — ein generelles Informationsdefizit bezüglich der Indikationen und Dosierungen für Kinder darstellt. Die detaillierten Ergebnisse dieser Untersuchung werden auf dem europäischen Palliativkongress, dem EAPC 2015, im Mai in Kopenhagen vorgestellt werden. „3. Homburger Schmerz- und Palliativkongress“ Weitere Informationen unter: www.dagst.de Kursvorschau Datum Kursort Weiterbildungen Von den Ärztekammern anerkannt! Aufbaukurs Palliativmedizin; 120 h Fallseminar 06.05.–10.05.2015 Weinsberg (Heilbronn) Modul 1 26.06.–28.06.2015 Weinsberg (Heilbronn) Modul 1 04.09.–06.09.2015 Weinsberg (Heilbronn) Modul 2 06.11.–08.11.2015 Weinsberg (Heilbronn) Modul 2 05.02.–07.02.2016 Weinsberg (Heilbronn) Modul 3 16.04.–18.04.2016 Weinsberg (Heilbronn) Modul 3 06.05.–10.05.2015 Berlin 40 UE / 40 CME-Punkte 14.05.–17.05.2015 Berlin Block 1 / 40 UE / 40 CME-Punkte 25.06.–28.06.2015 Berlin Block 2 / 40 UE / 40 CME-Punkte Basiskurs Palliativmedizin; 40 h Spezielle Schmerztherapie; 2 Blockkurse à 40 h Fortbildungen Akupunktur und Schmerz Sven Gottschling 14.03.–15.03.2015 Berlin 18.07.2015 Homburg/Saar Praxisbezogene Konzepte der Körperakupunktur und französischen Ohrakupunktur in der Schmerztherapie /Dr. med. Karin Bushe-Centmayer; Hardy Gaus (Fallseminare) © Dmytro Sukharevskyy/Fotolia.com © manu / fotolia.com 4. Homburger Schmerz- und Palliativkongress DAGST e.V. mit dem Zentrum für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie, Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums des Saarlandes Kleingruppenseminare 24.04.2015 Straßberg RAC-kontrollierte Diagnose- und Therapietechniken in der Schmerzbehandlung / Hardy Gaus 20.06.2015 Ludwigsburg Therapeutische Lokalanästhetika (TLA) und Notfallmanagement in der Schmerztherapie / Alexander Philipp Programmänderungen vorbehalten Der medizinische Einsatz von Canabis wird derzeit vielfach diskutiert. Da gilt es, eine Datenbasis zu schaffen – auch über den Einsatz bei Kindern. Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Alle Kurse können Sie auch bequem online buchen unter www.dagst.de. ©[ M] Na ta- Lia /S hu t te rst oc k .c om 43 DAGST Deutsche Akademie für ganzheitliche Schmerztherapie e.V. Typische Beispiele aus der täglichen Praxis Schmerztherapie und Palliativmedizin in der hausärztlichen Versorgung Johannes Jäger Schmerztherapie und Palliativmedizin sind feste Bestandteile der täglichen hausärztlichen Arbeit. Einige Beispiele aus der Praxis verdeutlichen mögliche Stolperfallen und typische Herausforderungen für Hausärzte in der schmerztherapeutischen und palliativmedizinischen Versorgung von Patienten. I n einer saarländischen Grenzregion arbeite ich seit 25 Jahren als niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin. Ich betreue den großen Patientenstamm seit zehn Jahren gemeinsam mit einer Kollegin, die sich unter anderem palliativmedizinisch weitergebildet hat. Anhand einiger ausgewählter Beispiele aus unserer Praxis möchte ich darstellen, wie und wo sich Schmerztherapie und palliative Medizin in der hausärztlichen Tätigkeit darstellen, in welchen Bereichen es Besonderheiten oder gar Schwierigkeiten gibt oder geben kann. Ich bin mir sicher, dass viele Kollegen Ähnliches berichten können. Die Zahl der Beispiele könnte ich beliebig erweitern. Im Folgenden soll jedoch nur das Wesentliche für diesen Bereich der Patientenbetreuung gezeigt werden. blette geben dürfe. Am Telefon kann ich mich versichern, dass es keine anderen, neuen Ursachen für die starken Schmerzen gibt. Deshalb bejahe ich die Frage und bitte die Pflegende, eine vierte Tablette Oxycodon 10 mg zu verabreichen sowie mich danach zu informieren, ob es der älteren Dame besser geht. Die Pflegeschwester bedankt sich und weist mich darauf hin, dass sie dafür eine schrift liche Handlungsanweisung brauche. Entweder komme ich jetzt zu einem Hausbesuch ins Altenheim, um mein Namenskürzel in die Patientenakte einzutragen, oder ich fahre in meine Praxis, schreibe eine Handlungsanweisung und faxe sie dann ins Heim. Ich entscheide mich für Letzeres, weil es mich statt einer Stunde Zeit nur noch 20 Minuten kostet. Schmerztherapie in der stationären Pflege Schmerzmittel nach Sturz aus dem Bett: Morgens werde ich in der Sprechstunde von der schichtführenden Pflegenden eines Heimes angerufen: eine 76-jährige Bewohnerin war in der Nacht aus dem Bett gefallen. Nach Rücksprache mit dem ärztlichen Notdienst ließ die diensthabende Nachtschwester die Patientin mit dem Krankenwagen in ein nahe gelegenes Krankenhaus bringen, um mögliche knöcherne Verletzungen auszuschließen. Der Kollege im Krankenhaus schickte die Heimbewohnerin nach zahlreichen Röntgenaufnahmen und abschließendem Frakturausschluss wieder zurück. Heimbewohnerin benötigt stärkere Schmerzmedikation: Im ärztlichen Notdienst werde ich nachts von der diensthabenden Pflegerin eines Heimes wegen einer 87-jährigen Bewohnerin angerufen. Die alte Dame ist seit sechs Monaten wegen ihrer starken Schmerzen, verursacht durch Polyarthrose und eine diabetische Polyneuropathie, auf dreimal täglich 10 mg Oxycodon eingestellt. Weil sich die Bewohnerin im Tagesverlauf schon mehrfach wegen ihrer Schmerzen gemeldet habe, möchte die Pflegerin wissen, ob sie eine vierte Ta- 44 Nun klagt sie über Schmerzen im Bereich ihrer zahlreichen Prellmarken. Die schichtführende Pflegeschwester möchte von mir wissen, ob die Patientin ein Schmerzmittel bekommen dürfe (sie nimmt nur Medikamente gegen Diabetes und Bluthochdruck ein). Natürlich bejahe ich diese Frage und setze eine zeitlich begrenzte Schmerztherapie an. Bis die Patientin ihre Schmerzmedikation bekommt, werden aber noch mindestens zwei Tage vergehen: Das Heim darf keinen Vorrat an Bedarfsmedikation bereithalten und lässt alle Medikamente der Bewohner in einer 40 km entfernten Vertragsapotheke verblistern. Ich könnte den Vorgang jetzt beschleunigen, wenn ich das Rezept für das Schmerzmedikament direkt in die Apotheke faxen dürfte. Nach einem Gerichtsurteil aus jüngster Zeit ist dies jedoch für mich als Praxisarzt verboten. Ich muss warten, bis ein Bote des Pflegeheims das Rezept abholt und es ins Heim zurück bringt. Dort wird es dann per Fax (normalerweise per Post) an die Apotheke weitergeleitet. Diese wiederum schickt dann nach einiger Zeit die verblisterte Medikation zurück. Da sich die Patientin im Laufe des Vormittags immer häufiger wegen ihrer Schmerzen meldet, muss ich schließlich einen Hausbesuch machen, um ihr ein Schmerzmittel als Injektion zu verabreichen. Wenn ich Musterpackungen in der Praxis hätte, könnte ich auch noch Medikamente aus meinem Vorratsschrank Schmerzmedizin 2015; 31 (1) © giorgiomtb/fotolia.com Schmerztherapie in der hausärztlichen Sprechstunde Schmerztherapie im Pflegeheim: Durch Organisationsstrukturen erschwert. mitbringen. Dieser ist jedoch nur noch mit teuren, neuen Medikamenten für Bluthochdruck und Diabetes gefüllt. Kommentar In den letzten Jahren ist die ärztliche Tätigkeit in Pflegeheimen durch zunehmende und in meinen Augen ausufernde Bürokratie immer komplizierter geworden. Manchmal fühlt man sich eher dabei behindert als unterstützt, seine Hausarzttätigkeit auszuüben. Die regelmäßigen Begehungen der Pflegeheime durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erzeugen, getrieben von der Angst vor schlechten Benotungen, ein lähmendes Klima der Bürokratieversessenheit in den Einrichtungen. Die medizinische Betreuung der Heimbewohner scheint dabei nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Der MDK kontrolliert den BodyMass-Index (BMI) der Patienten und leitet daraus die Qualität der Pflege, aber auch der hausärztlichen Versorgung ab! In den Pflegeheimen ist jegliche akute ärztliche Therapie, vor allem die Behandlung von Schmerzen, fast unmöglich, weil es keine Bevorratung von Akutmedikamenten gibt. Die Zahl an Hausbesuchen, auch im ärztlichen Notdienst in der Nacht und am Wochenende, wird dadurch unnötigerweise in die Höhe getrieben; letztendlich ließen sich auch viele stationäre Einweisungen in der Nacht vermeiden, wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Patienten schnell und von Bürokratie ungehemmt schmerztherapeutisch zu betreuen. Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Patient mit Schmerzen und Panikattacken: Einer der wenigen männlichen Patienten in unserer Praxis, die unter Angst- und Panikattacken leiden, ist der 48-jährige Herr M. Leider konnte ich ihn noch nicht dazu bewegen, sich einer verhaltenstherapeutisch ausgerichteten Psychotherapie zu unterziehen. Er ist immer noch davon überzeugt in Wirklichkeit rein somatisch krank zu sein. Dies ist das Ergebnis seiner Patientengeschichte: Vor einigen Jahren wachte Herr M. erstmals nachts mit Schmerzen im Brustkorb auf. Seine Frau rief ohne zu Zögern den Notarzt, der ihn in die nächstgelegene Klinik brachte, in der die Möglichkeit der invasiven Diagnostik gegeben war. Nachdem ein Infarktgeschehen ausgeschlossen worden war, riet man Herrn M. trotzdem zu einer Koronarangiografie. Er hatte einen Bluthochdruck, ein grenzwertig hohes LDL und rauchte seit 25 Jahren täglich mindestens eine Schachtel Zigaretten. Nachdem in der Angiografie keine stenosierenden Plaques gefunden worden waren, entließ man Herrn M. mit einem ACE-Hemmer, einem Betablocker, einem Statin und ASS wieder nach Hause. In den nächsten Monaten veränderte sich Herr M. merklich. Er war verängstigt, spürte er doch immer wieder mal Stiche und Schmerzen im Brustkorb. Ungefähr drei Monate nach dem ersten Ereignis stellte ich ihn noch einmal ambulant bei einem Kardiologen vor. Dort war er in der Ergometrie bis 150 Watt belastbar und hatte einen unauff älligen Echokardiografiebefund. Nach weiteren drei Monaten kam es erneut wegen starker Schmerzen zu einer notfallmäßigen Einweisung ins Krankenhaus. Auch dieses Mal entschied man sich zur invasiven Diagnostik, die aber keine Befundänderung ergab. Man entließ Herrn M. mit der persönlichen Gewissheit, er sei bestimmt herzkrank, man fände es einfach nur nicht heraus. Nach zahlreichen Gesprächen konnte ich meinen Patienten dazu bewegen, meinen Darlegungen Glauben zu schenken, dass es auch andere mögliche Ursachen für Thoraxschmerz geben kann – selbst wenn er die typischen KHK-Risikofaktoren hat. Der schließlich mitbe- handelnde Orthopäde fand eine mäßige Osteochondrose der Brust- und Halswirbelsäule, aber keine Behandlungsmethode, die zur Besserung der Beschwerden von Herrn M. führte. Der Patient bat mich um eine Überweisung zu einem niedergelassenen Schmerztherapeuten, die ich ihm auch gerne gab. In den nun folgenden Monaten sah ich Herrn M. etwa alle drei bis vier Wochen in der Sprechstunde. Er wirkte immer verängstigter, schlief sehr schlecht. Der Schmerztherapeut stellte ihn bei jedem Kontakt auf ein anderes Medikament um, kombinierte auch mit einem Antidepressivum. Irgendwann sah ich meinen Patienten apathisch wirkend, verlangsamt, unter massiver Obstipation leidend. Er klebte alle drei Tage 100 µg/h Fentanyl als Pflaster. Ich sagte ihm, dass es so nicht weiter ginge und er auf dem falschen Weg sei. Nach langem Gespräch, im Beisein seiner Ehefrau, stimmte er der von mir vorgeschlagenen Aufnahme in eine psychiatrische Abteilung zu. Ich war sehr froh, dass es mir telefonisch gelang, zeitnah ein Bett auf einer offenen Station zu organisieren, und erleichtert, als Herr M. endlich stationär aufgenommen wurde. Meine Überraschung war aber umso größer, ihn bereits fünf Tage später wieder in der Sprechstunde vor mir zu sehen. Noch größer waren mein Zorn und meine Enttäuschung, als ich den vorläufigen Entlassungsbericht las: Dort war von einer „insuffizienten Schmerztherapie“ die Rede und dass ich doch bitte (eigentlich: gefälligst!) die Fentanyl-Dosis erhöhen solle. Ganz ohne Zweifel, und dies hatte man Herrn M. auch so mitgeteilt, war ich in der Therapie chronischer Schmerzen einfach nur inkompetent und würde immer noch glauben, man müsse bei Schmerzmitteln sparen! Kommentar Ein unter Angst- und Panikattacken leidender Patient wird durch häufige technisch-apparative Untersuchungen in seinem Krankheitsverlauf sicherlich nicht positiv beeinflusst, um es vorsichtig auszudrücken. Wie schwierig es aber für uns und unsere Kollegen ist, schmerztherapeutisch mit solchen Patienten umzugehen, zeigt dieses Beispiel in anschaulicher Weise. Hier kann man als 45 DAGST Hausarzt nur etwas erreichen, wenn man über ein kleines Netzwerk kompetenter Kollegen verfügt, mit denen man gut zusammenarbeitet. Ansonsten sind solche Patienten wie Herr M. verloren! Kollege habe sie geröntgt und an beiden Hüftgelenken bereits deutliche Arthrosezeichen festgestellt. Auf seine Frage, ob Frau B. einen empfindlichen Magen habe, antwortete sie ihm, dies sei zwar der Fall, sie nehme aber schon regelmäßig Pantoprazol als Magenschutz. Daraufhin verschrieb der Orthopäde eine Packung mit 50 Tabletten Ibuprofen 600 und verordnete der Patientin zweimal 600 mg am Tag bis man sich wieder sähe. An der Anmeldung der orthopädischen Praxis erhielt Frau B. einen neuen Termin in acht Wochen. Kommentar Ich denke, jeder Hausarzt war froh, als das unsäglich aufwändige und peinliche Einsammeln von 10 €-Scheinen zum Quartalsanfang endlich abgeschafft wurde. Leider wurde den Hausärzten damit aber gleichzeitig eine ganz wichtige Funktion genommen: wir wissen nun nicht mehr, bei wie vielen Spezialisten (oder auch anderen Hausärzten!) unsere Patienten sonst noch in Behandlung sind. Für viele Patienten mag dies eine neue Freiheit bedeuten, auf die sie lange gewartet haben. Erst wenn sie in unsere Sprechstunde kommen, um nicht vorhandene Fremdbefunde zu besprechen oder das Versorgungsamt oder die Rentenversicherung Anfragen mit dem Vermerk „keine Befunde vorhanden“ zurückgeschickt bekommen, – also zu spät – ahnen sie, dass sie für diese neue, scheinbare „Freiheit“ einen hohen Preis © Alexander Raths/fotolia.com Medikation von verschiedenen Ärzten verschrieben: Frau B. ist eine 67-jährige Patientin mit einem Diabetes mellitus vom Typ 2. Im Rahmen des sogenannten Disease-Management-Programms (DMP) wird sie alle drei Monate einbestellt, unter anderem zur regelmäßigen Laborkontrolle. Neben einem ACE-Hemmer nimmt sie eine Kombination aus Metformin und Saxagliptin, zusätzlich einmal täglich 100 mg ASS sowie 20 mg Pantoprazol ein. Bei der letzten Blutuntersuchung fiel auf, dass der Kreatininwert zum ersten Mal auf 1,7 mg % angestiegen war (in unserem Labor geht der Normalbereich bis 1,4 mg %). Frau B. wird nochmal zu einer Kontrolle einbestellt, die sogar ein noch höheres Ergebnis (1,8 mg %) ergibt. Daraufhin wird Frau B. gebeten, in die Sprechstunde zu kommen. Dort berichtet sie, dass sie sich seit einiger Zeit nicht wohl fühle; alles fiele ihr schwerer und die Beine trügen sie kaum noch. Auf den Rat ihrer Tochter hin ist sie seit vier Wochen bei einem Orthopäden in Behandlung. Auf meinen Einwand, davon wüsste ich ja gar nichts, entgegnet sie, man habe ihr bei der Terminvereinbarung am Telefon bereits gesagt, dass sie keine Überweisung mehr benötige. Der Deutsche Akademie für ganzheitliche Schmerztherapie e.V. Bei der hausärztlichen Versorgung von Patienten mit Schmerzen kann man über einige Fallstricke stolpern. 46 bezahlen. Geradezu in höchste Gefahr begeben sie sich, wenn sie sich nicht nur Art und Umfang irgendeiner Diagnostik selbst auswählen („Ich geh jetzt nur noch zu Dr. X in Z; der hat ein Ultraschallgerät mit einem riesigen Bildschirm.“), sondern es zulassen, von beliebig vielen Ärzten mit beliebig vielen Arten von Medikamenten behandelt zu werden. Früher gab es einmal auch unter Spezialisten das Gefühl, einer Fürsorgepflicht folgen zu müssen. Sicherlich gibt es glücklicherweise auch heute noch einige seltene Exemplare dieser Kollegen. Die allermeisten fühlen sich aber heute offenbar nur noch als Leistungserbringer und haben für sich die Arzt-Patienten-Beziehung als reines Konsum-Modell etabliert. Patient nutzt verschiedene Einzugsgebiete: Volker P. arbeitet in einem Fachmarkt für Elektronik und ist 42 Jahre alt. Vor zwei Jahren kam er mit einem Impingement-Syndrom der rechten Schulter zum ersten Mal in unsere Sprechstunde. Er arbeitet zwar im Saarland, wohnt aber in der Pfalz und damit nicht im Einzugsbereich unserer Praxis. Jeglicher Versuch einer konservativen Behandlung war gescheitert, als er sich letztendlich einer Operation seiner Schulter unterzog. Die Nachbehandlung gestaltete sich schwierig; trotz zahlreicher krankengymnastischer Behandlungseinheiten konnte Herr P. den Arm nicht mehr vollständig und schmerzfrei abduzieren. Der mitbehandelnde Chirurg begann mit einer begleitenden Schmerztherapie und verordnete Tilidin-Tropfen. Schließlich erklärte er seine Behandlung für beendet und verwies den Patienten an seinen Hausarzt. Als uns klar wurde, dass Volker P. bereits seit einem Dreivierteljahr Tilidin in Tropfenform konsumierte, versuchten wir eine Umstellung auf die retardierte Galenik. Dies misslang aus nicht zu klärenden Gründen. Herr P. war auch nicht bereit, ein anderes Schmerzmittel zu testen und bestand imperativ auf „seine“ Tilidin-Tropfen. Beim Drucken des obligatorischen BTM-Rezepts bemerkte er zu der Arzthelferin, dass „in der Pfalz die BTM-Rezepte anders aussehen“. Daraufhin bekam er zu Antwort: „Dann lassen Sie Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Kommentar Natürlich sehen die BTM-Rezepte in der Pfalz nicht anders aus als im Saarland. Sicherlicht ärgert sich Herr P. über seinen Lapsus grün und blau. Andererseits hat er nur bestätigt, was wir schon geahnt haben: er war längst Tilidin-abhängig geworden. Ohne ein Mitwirken des Patienten kann man als Hausarzt hier nichts erreichen. Solche Patienten wandern von Arzt zu Arzt und tauchen irgendwann in den auf rotem Papier gedruckten Warnhinweisen der Kassenärztlichen Vereinigungen wieder auf. Die Frage, die sich in dem vorliegenden Fall aber stellt, ist: Warum ist es überhaupt so weit gekommen? Meiner Meinung nach sollten auch operativ tätige Kollegen über Schmerztherapie besser informiert sein und zudem mit den Hausärzten besser zusammenarbeiten. Palliativmedizin im hausärztlichen Alltag Mangelnde Compliance bei starken Schmerzen: Bei unserem 75-jährigen Patienten wurde vor einem Jahr ein Lungenkarzinom festgestellt. Bereits weit fortgeschritten, konnte es nur noch palliativ angegangen werden. Nach einer entsprechenden Aufk lärung willigte der Patient ein und unterzog sich einer Bestrahlungs- und auch Chemotherapie. Zurzeit betreuen wir ihn zu Hause palliativ; eine weitere stationäre Therapie ist nicht vorgesehen. Aufgrund stärkster Schmerzen benötigt er mittlerweile kontinuierlich Morphine. Seltsamerweise erreichen wir keine Compliance – trotz zahlreicher erklärender Gespräche mit dem Patienten und seinen Angehörigen. Der Patient nimmt seine Medikamente trotz stärkster Schmerzen nicht regelmäßig oder gar ausreichend ein. Wir sind ratlos. Schließlich kommt Licht in die Angelegenheit: während einer turbulenten Montagmorgen-Sprechstunde ruft die Ehefrau des Patienten an und verlangt in vorwurfsvollem Ton, dass ich ihren Ehemann wegen seiner Schmerzen endlich stationär einweisen soll. Schließlich hätte ich ihm bisher keine richtigen Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Schmerzmittel verschrieben, sondern lediglich Betäubungsmittel. Dies habe ihr die Apothekenhelferin gesagt, als sie das Opiat-Rezept abgab: „Oh, das ist ja ein Betäubungsmittel-Rezept. Da muss ich die Chefin holen.“ Mein Versuch einer Erklärung am Telefon schlägt fehl. Kommentar Eigentlich: ohne Kommentar! Ich schäme mich, dass es mir nicht gelungen ist, Vertrauen zu gewinnen. Trotzdem: Muss das gelbe Rezept unbedingt „BTMRezept“ heißen? Wie wäre es z. B. mit „Schmerztherapie-Rezept“ (STR) oder „spezielles Schmerzmittel-Rezept“ (SSR)? Noch skurriler ist die Bezeichnung in Österreich. Dort heißen die Formulare ganz offiziell Suchtgift rezept! In der täglichen Sprechstunde ist ein typisches Problem die gängige Einstellung der meisten Patienten, dass man Schmerzmittel auf gar keinen Fall regelmäßig einnehmen sollte und auch nur so sparsam wie möglich. Schmerzpatienten bedürfen einer intensiven Betreuung. Diesen Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der täglichen Flut von Patienten und entsprechend knappen Zeitressourcen zu leisten, ist eine unserer täglichen Herausforderungen. Regressforderung wegen Off-LabelUse: Zusammen mit dem Team der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) betreuen wir eine 69-jährige Patientin mit amyotropher Lateralsklerose im Haus ihrer Tochter. Die Patientin wird über ein Tracheostoma beatmet. Weil sich sehr viel Bronchialsekret bildet, wird sie sehr häufig – bei Tag und Nacht – endotracheal abgesaugt. Nach zwei Behandlungsquartalen wurde unsere Praxis durch die zuständige Krankenkasse mit hohen Regressforderungen konfrontiert, die aus der regelmäßigen und sehr zahlreichen Verordnung von Scopolamin-Pflastern resultierten. Es war uns nicht bewusst, dass Scopolamin nur dazu verwendet wurde, den Speichelfluss der Patientin zu reduzieren. Da dies jedoch ein sogenannter Off-Label-Use ist, durfte das Pflaster nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Wir konnten uns noch mit viel Mühe vor einer Regresszahlung retten, müssen © Mark Bowden/bowdenimages/iStock sich also auch in der Pfalz Ihre Tropfen verschreiben?“ Der Patient kommt seitdem nicht mehr in die Praxis. Für häusliche, palliative Betreuung ist ein vertrauensvolles Verhältnis wichtig. jedoch das Pflaster ab sofort als Privatrezept verordnen. Die Angehörigen der Patientin zeigten sich überrascht und reagierten zunächst mit Unverständnis. Kommentar Die Zusammenarbeit mit SAPV-Teams und Pflegediensten funktioniert in der Regel hervorragend. Nicht nur diesen sehr betreuungsintensiven Fall könnten wir als Hausärzte allein nicht stemmen! Natürlich müssen wir fast täglich Verordnungen und Rezepte unterschreiben, die unsere Budgets für Medikamente, Heil- und Hilfsmittel bei weitem überschreiten würden. Wir haben deshalb rechtzeitig unsere besonderen Verordnungen bei der Kassenärztlichen Vereinigung angemeldet, damit diese aufgrund der Schwere der Erkrankung als nicht budgetrelevant herausgerechnet werden. Eine wirtschaft liche Sanktion wegen kostenintensive Behandlungen haben wir durch die Beachtung dieser „Spielregel“ in unserer Praxis noch nie erlebt. Trotzdem gibt es immer noch bestimmte Grenzen, wie der dargestellte Fall aufzeigt. Prof. Dr. med. Johannes Jäger, MME Zentrum Allgemeinmedizin Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes 66421 Homburg/Saar Johannes.Jaeger@uks.eu 47 Berufsverband der Palliativmediziner in Westfalen-Lippe e.V. © photos.com/Sergey Borisov Wir verneigen uns und trauern Im Gedenken an Peter Holtappels Dr. jur. Peter Holtappels hat den Berufsverband der Palliativmediziner in Westfalen-Lippe e. V. viele Jahre mit Rat und Tat unterstützt. Im Dezember 2014 ist er verstorben. Wir bewahren ihm ein ehrenvolles Gedenken in großer Herzlichkeit. A Unsere Ziele sind: — Qualitätsindikatoren in der ambulanten Palliativmedizin zu definieren und weiterzuentwickeln, — Betroffene und Angehörige über die Möglichkeiten einer fachgerechten palliativmedizinischen Versorgung zu informieren, — die Diskussion über ethische und rechtliche Fragestellungen am Lebensende anzustoßen und zu vertiefen, — ein langfristiger Kulturwandel im Umgang mit Tod und Sterben. Berufsverband der Palliativmediziner in Westfalen-Lippe e. V. Geschäftsstelle: Sabine Schäfer Dieckmannstraße 200 48161 Münster Tel. 02 51 / 5308-9960 E-Mail: info@bv-palliativmediziner.de Öffentlichkeitsarbeit: Dr. med. Eberhard A. Lux Klinik für Schmerz- und Palliativmedizin am Klinikum St.-Marien-Hospital Lünen Tel. 0 23 06 / 77-2920 Fax. 0 23 06 / 77-2921 E-Mail: drlux@web.de www.bv-palliativmediziner.de Schmerzmedizin 2015; 31 (1) m 10. Dezember 2014 verstarb Herr Dr. jur. Peter Holtappels im Alter von 79 Jahren in Hamburg. Uns Palliativmedizinern in WestfalenLippe war Peter Holtappels über viele Jahre ein enger Begleiter und lieber Freund. Ohne seine kompetente, unermüdliche und selbstlose Hilfe in juristischen und organisatorischen Fragen hätten wir unseren Weg hin zu etablierten ambulanten Palliativstrukturen nicht derart erfolgreich beschreiten können. Stets stand uns ein Vollblutjurist zur Seite – ausgestattet mit der tiefen Lebensweisheit eines Mannes, der sein Leben trotz seiner körperlichen Behinderung aktiv und vorwärtsstrebend meisterte. Nach einer bewegten und äußerst erfolgreichen Tätigkeit als Jurist (spezialisiert auf das Schiff fahrtsrecht) und Reeder gründete Dr. jur. Holtappels in Hamburg eine Anwaltskanzlei und leitete diese bis zu seiner Pensionierung 1989. Seitdem lag sein Fokus darauf, die junge, sich langsam entwickelnde Palliativmedizin zu unterstützen und die Rechte der Palliativpatienten zu fördern. In der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin stand die Sektion Rechtsberufe unter seiner Führung. Mit unermüdlichem Eifer begleitete er auch die Entwicklung ambulanter Palliativmedizin in Westfalen-Lippe, unterstützte uns in den Verhandlungen mit den Kostenträgern und hatte stets ein offenes Ohr für unsere vielfältigen Fragen. Sein hervorragendes ehrenamtliches Engagement war uns stets Vorbild und Ansporn. Getragen von seinem christlichen Weltbild und reich an menschlicher Erfahrung trieben ihn – wie viele von uns – die Gedanken zum Lebensende um. So entstanden in der Arbeitsgruppe Ethik unseres Berufsverbandes die Empfehlungen der Palliativmediziner in Westfalen-Lippe zu Entscheidungen am Lebensende. Sie boten den Auftakt zu einer breiten Diskussion über die Indikation von medizinischen Maßnahmen am Lebensende und auch den möglichen Verzicht auf Interventionen. Streitbarkeit und Liebenswürdigkeit, Seriosität und die Vertretung von Gruppen- und Einzelinteressen waren für Peter Holtappels keine Gegensätze. Für ihn war die Maxime „Würde“ kein abstrakter Begriff. Wir verneigen uns und trauern. Wir bedanken uns von ganzem Herzen für die vielen wunderbaren Gespräche und Gedanken. Seine Kompetenz und seine Streitbarkeit werden wir ebenso vermissen wie seinen einzigartigen Humor. Wir werden Peter Holtappels stets ein ehrenvolles Gedenken in großer Herzlichkeit bewahren. Für die Mitglieder des Berufsverbandes der Palliativmediziner Westfalen-Lippe, der Vorstand: Dr. Ulrike Hofmeister, Dr. Ulrich Weller, Dr. Bettina Classen, Dr. Regina Mansfeld-Nies, Dr. Alfons Gersmann, Dr. Eberhard Albert Lux, Dr. Dietmar Schlewing, Dr. Gerhard Weigl 49 SCHMERZMEDIZIN Medizin Repor t aktuell Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin Opioide bei Nichttumorschmerzen Retardiertes Oxycodon/Naloxon von Vorteil Bei Nichttumorschmerzen ist der Einsatz von Opioiden sinnvoll und ein integraler Bestandteil des multimodalen Therapiekonzeptes. Dies zeigen eine aktuelle Querschnittbefragung und eine nicht-interventionelle Studie der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS) [1, 2]. Beide Untersuchungen bestätigen zudem die Vorteile der Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und retardiertem Naloxon: Die analgetische Wirkung war stärker, Funktionalität und Lebensqualität besserten sich signifikant. Opioide: Ein Muss bei jedem Zweiten Laut der befragten Ärzte sinken bei zwei Drittel der Patienten die Schmerzen unter Opioiden um mindestens 50 %. Parallel dazu nehmen Einschränkungen des alltäglichen Lebens bei 64,8 % mindestens um die Hälfte ab. Die Lebensqualität steigt dadurch deutlich. In der alltäglichen Praxis profitieren viele Patienten mit Nichttumorschmerzen von einer Opioidtherapie, resümierte der Studienleiter PD Dr. Michael Überall, Nürnberg. Jeder zweite Patient hätte aus Sicht der behandelnden Ärzte ohne die Verordnung eines starken Opioids gar nicht behandelt werden können. Als häufigste unerwünschte Arzneimittelwirkung tritt in der Dauertherapie laut der Befragten Obstipation mit 49,1 % auf. Unter Morphin und Oxycodon treten Nebenwirkungen weit häufiger auf als unter retardiertem Oxycodon/Naloxon [1]. Opioide bei chronischen Rückenschmerzen Starke Opioide sind bei chronischem Rückenschmerz sinnvoll, belegt auch die von der DGS durchgeführte, nicht-interventionelle PROBE-Studie (prospectiv, ran- Schmerzintensität (VAS100) ▬▬ An der Querschnittbefragung CROSSECCO II [1] beteiligten sich 4.283 schmerztherapeutisch tätige Ärzte. 93,1 % der Befragten sehen Opioide als einen wichtigen Therapiebaustein bei Tumorschmerzen an. Bei degenerativen Gelenkerkrankungen halten 42,3 % der Ärzte Opioide für sinnvoll, bei Kreuz-/Rücken-/ Schulter-/Nackenschmerzen 23,5 % und bei neuropathischen Schmerzen 18,1 %. Morphin 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 0 1 Oxycodon 2 3 Oxycodon/Naloxon 4 5 6 7 Zeit (Woche) 8 9 10 11 12 Abb. 1: Vorteile für die retardierte Fixkombination Oxycodon/Naloxon bereits ab der 1. Woche [2] domisiert, offen mit verblindetem Endpunkt) [2]. Einbezogen wurden 901 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, deren Vortherapie mit Nicht-Opioiden oder schwachen Opioiden nicht ef effektiv war. In der zwölfwöchigen Beobachtungsphase erhielten sie entweder Morphin, Oxycodon oder die Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und Naloxon. Die Schmerzintensität verringerte sich in allen drei Gruppen bereits in der ersten Woche signifikant gegenüber der Vortherapie. Unter retardiertem Oxycodon/Naloxon sank die Schmerzintensität von 45,5 auf 17,8 auf der visuellen Analogskala (VAS) (0=keine Schmerzen, 100=stärkste vorstellbare Schmerzen). Das entspricht einer signifikanten Verbesserung von 60,9 % (p<0,001), unter Oxycodon von 47,5 % und unter Morphin von 46,1 % [2]. Opioide haben selbst bei schwer therapierbaren Patienten mit chronischen Rückenschmerzen eine starke analgetische Wirkung, erklärte Überall (Abb. 1). Wirksam und gut verträglich Neben der Wirksamkeit entscheidet die Verträglichkeit über den Therapieerfolg: Unter Oxycodon/Naloxon lag die mit dem Bowel Function Index (Leichtigkeit des Stuhlgangs, Gefühl der unvollständigen Darmentleerung sowie Beurteilung der Obstipation, Normbereich: unter 30) gemessene Darmfunktion zu Studienende bei 30,1 und somit weitgehend im Normbereich. Unter Morphin und Oxycodon war die Darmfunktion stark eingeschränkt (BFI-Werte 53,6 und 48,3). Daher brachen unter der Fixkombination deutlich weniger Patienten die Therapie ab (25,3 % vs. 43,0 % unter Morphin und 38,3% unter Oxycodon). Die Lebensqualität und die Fähigkeit, alltägliche Aktivitäten durchzuführen, verbesserten sich unter Oxycodon/Naloxon deutlicher als bei den Vergleichstherapien [2]. Literatur 1. Überall M et al., MMW-Fortschr. Med. Originalien III/2014 (156 Jg.): 98–105 2. Überall M et al., (Poster); 15th World Congress on Pain 2014 (IASP), PS-23 Impressum Literaturarbeit • Medizin Report aktuell Nr. 410920 in: Schmerzmedizin, Band 31, Heft 1, Februar 2015 • Autor: Stephanie Kraus, Haidholzen • Redaktion: Teresa Windelen • Leitung Corporate Publishing: Ulrike Hafner (verantwortlich) • Springer Medizin, Springer-Verlag GmbH, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg • © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 • Mit freundlicher Unterstützung der Mundipharma Deutschland GmbH & Co. KG, Limburg Die Herausgeber der Zeitschrift übernehmen keine Verantwortung für diese Rubrik. Industrieforum Muskulär bedingte Rückenschmerzen – Linderung durch Reduktion der Verspannung — Schmerzen im Bewegungssystem sind überwiegend durch langdauernde muskuläre Fehlhaltungen und -belastungen bedingt. Typischerweise seien myofasziale Schmerzen mit einer meist reversiblen Funktionsstörung assoziiert und würden durch somatische und psychosoziale Faktoren verstärkt, berichtete Prof. Dr. Hans-Raimund Casser, Mainz. Das pathophysiologische Korrelat einer myofaszialen Störung sind Triggerpunkte und reaktive Bindegewebsveränderungen. Primäres Therapieziel dieser Schmerzen sei es, die lokale Durchblutung zu verbessern und die Rigorkomplexe aufzubrechen, sagte Casser. Um die Patienten möglichst bald ak- tivierenden Maßnahmen zuführen zu können und eine Schmerzchronifizierung zu vermeiden, sind eine schnelle, effektive Analgesie und eine Lösung der verspannten Muskulatur erforderlich. „Das einzige Myotonolytikum mit nachgewiesenem Nutzen für die Therapie akuter muskulärer Schmerzen ist Flupirtin“, so Casser. Flupirtin in modifizierter Galenik zeigte in der SUPREME-Studie eine schnelle analgetische und muskelentspannende Wirkung [Überall MA et al. Curr Med Res Opin. 2012; 28(10):1617-34]. Die Europäische Arzneimittelagentur hat den Nutzen von Flupirtin für die Akutschmerztherapie über die Dauer Dresdener Wundsymposium 2014 — Der Mikrobiologe Dr. Matthias Hallhuber, Norderstedt, ging der Frage nach, ob Silber als antiseptischer Wirkstoff in der Wundversorgung eingesetzt werden sollte. Aufgrund der Datenlage rät der Experte dazu, Antiseptika den Vorzug zu geben. Anhand von Beispielen verdeutlichte die Wundmanagerin Marion Laubrich, Dresden, dass die Größenanpassung der Stomaplatte der zentrale Aspekt der Stomaversorgung ist. Hilfreich können Schablonen und Messkarten sein. Zudem kann der richtige Einsatz von Stomaprodukten dazu beitragen, Stomakomplikationen wie Malzerationen zu verhindern oder deren Abheilung zu unterstützen. Laubrich demonstrierte den Einsatz von Alginat, Silikonwundauflagen, Schaumverbänden und Hautschutz in Form von Sprays und Puder. Stomapatienten bräuchten keine spezielle Ernährung, so Laubrich. Mit einer guten Versorgung können sie zudem duschen, Sport treiben und reisen. Hiervon unterscheiden sich Tumorwunden wesentlich. „Das sind Wunden, die nicht von bis zu 14 Tagen unter Berücksichtigung der Anwendungsempfehlungen bestätigt. Neue Daten weisen laut Prof. Dr. Jürgen Borlak, Hannover, darauf hin, dass genetisch bedingte Störungen im Arzneimittelmetabolismus kein erhöhtes Risiko für eine Leberschädigung unter Flupirtin darstellen [Siegmund W et al. Br J Clin Pharmacol. 2014 Sep 29. (Epub ahead of print)]. Zudem ergab die Studie, dass unter Flupirtin retard gegenüber der schnell freisetzenden Form um bis 25 % weniger reaktive Metabolite anfallen, womit das Risiko einer Leberschädigung reduziert werden kann. Abdol A. Ameri Symposium „Muskuläre Schmerzen im Bewegungssystem – verstehen, erkennen, therapieren“ anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses, Hamburg, 24. Oktober 2014; Veranstalter: Teva mehr heilen, meist sehr großflächig sind und schnell und stark bluten“, so die Wundtherapeutin Simone Lorenz, Pirna. Bei Tumorwunden geht es laut Lorenz darum, die Patienten möglichst zu entlasten. Hierzu gehören die Wundreinigung mit Nassphasen, der Wundrandschutz, sowie der Einsatz von speziellen Auflagen, die sich gut vom Wundgrund lösen, gut saugen, keimreduzierend und geruchslindernd sind. Claudia-Viktoria Schwörer Dresdener Wundsymposium 2014, Dresden, 26. November 2014; Veranstalter: BSN medical in Kooperation mit der Akademie für Wundversorgung und der DGfW Tapentadol: Weniger Schmerzen, höhere Lebensqualität — Chronische Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Schmerzen in der hausärztlichen Praxis. Mit herkömmlichen Opioidanalgetika lassen sie sich häufig nicht verbessern. Ein Grund dafür sei, dass die zugrundeliegenden Schmerzmechanismen bei der Therapie nicht oder nicht adäquat adressiert würden, erläuterte Prof. Dr. Ralf Baron, Kiel. Da es sich bei Rückenschmerzen häufig um ein „Mixed Pain“-Syndrom handele, müsse besonders die neuropathische Schmerzkomponente bei der Therapieauswahl berücksichtigt werden. Der μ-Opiodrezeptoragonist und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Tapentadol retard (Palexia® retard) 52 wirke sowohl antinozizeptiv als auch antineuropathisch, so Baron. Nach neuen Daten profitieren opioidnaive Patienten mit starken chronischen Rückenschmerzen und ausgeprägter neuropathischer Schmerzkomponente von Tapentadol retard stärker als von einer Therapie mit Oxycodon/Naloxon [Baron R et al. PAIN Week. 2014;Abstr 121]. In dem mit Tapentadol retard behandelten Patientenkollektiv (n = 117) wurde eine um 37 % stärkere Schmerzreduktion im Vergleich zur Ausgangssituation erzielt als im Kontrollkollektiv (p = 0,001). Der Nutzen der Therapie zeigte sich auch in einer besseren Lebensqualität und körperli- chen Funktionfähigkeit [Schwittay A et al. PAIN Week. 2014;Abstr 121]. Die bessere Wirkung von Tapentadol retard gegenüber Oxycodon/Naloxon retard zeigte sich bei den meisten der mit dem Fragebogen SF 12 erfassten Kriterien zur Lebensqualität. Zudem war Tapentadol retard mit einer besseren gastrointestinalen Verträglichkeit, besonders einer geringeren Obstipationsrate assoziiert als der Opioid-Komparator (15,4 vs. 25,8 %; p = 0,045). Abdol A. Ameri Meet-the-Expert „Aktuelle Studie belegt: wirksam und verträglich“ anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses, Hamburg, 23. Oktober 2014; Veranstalter: Grünenthal Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Praxis konkret IT + online Internet im Wartezimmer und auf Station Sicherer WLAN-Zugang für Patienten Ärzte und Krankenhäuser, die Patienten in Wartezimmern oder auf der Station WLAN-Zugänge anbieten möchten, dürfen dabei technische und haftungsrechtliche Sicherheitsfragen nicht außer Acht lassen. Erfreulicherweise reagieren erste Anbieter auf diese Anforderungen – mit bezahlbaren, aber dennoch durchdachten Lösungen. D er Lesezirkel kommt allmählich in Bedrängnis: Gerade jüngere Patienten vertreiben sich die Zeit im Wartezimmer heute fast ausnahmslos mit ihren Smartphones. Und zu stationären Krankenhausaufenthalten bringen die Patienten nicht selten sogar ihre Tablets oder Notebooks mit. Dabei sind Arztpraxen und Krankenhäuser in puncto Mobilfunkempfang eher die problematische Umgebungen: Abschirmungen durch Bausubstanz und technische Einrichtungen verschlechtern den an vielen Standorten ohnehin schwierigen „InHouse-Empfang“ zusätzlich. Motiviert vom Servicegedanken überlegen manche Ärzte und Krankenhausbetreiber deshalb, ihren Patienten gezielt den kostenlosen Zugang in das Internet per WLAN (drahtloses lokales Netzwerk) anzubieten. © Palto / iStockphoto.com Praxis- und Krankenhaussysteme isolieren Das an sich naheliegende Internetangebot stellt die Betreiber bei näherer Prüfung jedoch vor neue Herausforderungen: Denn während die Patienten einen ungestörten und leistungsfähigen Zugang zum Internet schon fast als selbstverständlich voraussetzen, gilt es für Praxen und Krankenhäuser mehrere Fragen zu berücksichtigen: Wie lässt sich gewährleisten, dass der für die Patienten zugängliche Internetanschluss zuverlässig von den Daten- und Laufwerksfreigaben der Praxis- oder Krankenhaussysteme isoliert bleibt? Wie Schmerzmedizin 2015; 31 (1) kann man die WLAN-Versorgung technisch so auslegen, dass sie an den benötigten Empfangsorten wie im Wartezimmer oder auf Stationen auch mit ausreichender Qualität und Leistung zur Verfügung steht? Sicherheit durch Gastzugang für Patienten Kaum außer Acht zu lassen sind nicht unerhebliche haftungsrechtliche Aspekte. In Deutschland gilt das Prinzip der sogenannten Störerhaftung: Werden über einen Internetanschluss illegale Angebote abgerufen oder gar in das Netz eingestellt – wie etwa Raubkopien, verbotene pornografische oder politisch radikale Inhalte – und ist der tatsächlich verantwortliche Nutzer nicht zu ermitteln, können Polizei und Staatsanwaltschaft ersatzweise den Inhaber des Anschlusses in Anspruch nehmen. Dabei ist unerheblich, dass der Betreiber tatsächlich kaum eine Chance hat, den Rechtsverstoß zu verhindern, da er ihn meist überhaupt nicht bemerkt. Eine technische Lösung, mit der sich die geschilderten Probleme umschiffen lassen, ist die in manchen Routern beziehungsweise WLAN-Basisstationen angebotene Funktion „WLAN-Gastzugang“. In dieser Betriebsart erzeugt die WLAN-Basis ein eigenes Funknetz für die Nutzung durch die Patienten und sorgt mit speziell konfigurierten Filterbeziehungsweise Firewall-Funktionen dafür, dass dieses eigenständige WLAN vom restlichen Praxis- oder Krankenhausnetzwerk getrennt bleibt. Zudem können die Filterfunktionen den öffentlich nutzbaren Internetzugang so weit einschränken, dass der Betreiber vor den größten haftungsrechtlichen Risiken geschützt wird. Um dies zu erreichen, lässt sich das WLAN-Gastnetz so konfigurieren, dass die Patienten nur ganz bestimmte Internetfunktionen wie zum Beispiel E-Mail und Web-Zugriffe nutzen können. Problematische Funktionen wie der Download und Upload aus Filesharing-Börsen (also Plattformen zum Tausch von potenziell urheberrechtlich geschützten Medieninhalten wie Musik oder Filme) werden dagegen gesperrt. Sperrfunktion für bedenkliche Internetangebote Die Problematik des möglichen Zugriffs auf verbotene Inhalte im Web lässt sich auch über konfigurierbare Filter entschärfen, die von den Herstellern in erster Linie mit der Zielsetzung Kinderund Jugendschutz eingebaut wurden. Denn zu diesem Zweck veröffentlicht die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) eine schwarze Liste von bedenklichen Internetangeboten, die sich auch gut als Grundlage entsprechender Sperrfunktionen verwenden lässt. Um zu vermeiden, dass diese Liste mögliche Interessenten überhaupt erst 53 Praxis konkret auf „interessante“ Fundstellen aufmerksam macht, bleibt ihr Inhalt dabei unsichtbar und wird von der Sperrfunktion automatisch und im Hintergrund berücksichtigt. Ein praktisches Beispiel für die Implementierung von Gastzugang und Filter sind die Router vom Typ „Fritzbox“ des in Deutschland marktführenden Herstellers AVM aus Berlin. Dieser hat stark verbesserte Modi für den WLAN-Gastzugang und Inhaltsfi lter erst kürzlich im Rahmen eines Soft ware-Updates (FritzOS 6.20) für seine „Fritzboxen“ veröffentlicht. Selbst die Top-Geräte sind zum einmaligen Anschaff ungspreis zwischen 180 und 290 € erhältlich. Router lassen sich auch zwischenschalten Router lassen sich entweder zusätzlich zur bereits installierten Internettechnik der Praxis oder des Krankenhauses betreiben, wobei sie als „WLAN-AccessPoint“ die vorhandene Internetleitung IT + online mit benutzen. Oder sie können bei kleineren Praxen oder Krankenhäusern auch die komplette Internetversorgung übernehmen und dann neben dem separat betriebenen Patienten-WLAN auch Funk- und/oder Festnetzzugänge zum Datennetz für die ärztlich genutzten PC und Geräte bereitstellen. Dabei bietet die Betriebssoft ware der AVMRouter weitere für den beschriebenen Einsatz nützliche Funktionen. So lässt sich die Verfügbarkeit des Gastzugangs etwa auf bestimmte Zeiträume einschränken – zum Beispiel die Öff nungszeiten der Praxis, oder um die in einem Krankenhaus defi nierte Nachtruhe durchzusetzen. Zumindest in der Basisausstattung sehr ähnliche Funktionen bieten auch die Hersteller anderer WLAN-Router an. Eventuell kann der in der Praxis oder im Krankenhaus eingesetzte Router ebenfalls ein Gastnetz aufbauen – es lohnt sich also, beim Anbieter nachzuhaken. E-Health-Gesetz: Heiland oder Teufelskreis Die Erwartungen der eHealth-Community an das angekündigte deutsche E-Health-Gesetz sind hoch. Es gäbe viel zu regeln. arten auf den Heiland – diesen Eindruck kann bekommen, wer auf das in Deutschland angekündigte EHealth-Gesetz vertraut und hofft, dass dieses alle offenen Baustellen für einen sicheren und schnellen Informationsaustausch etwa zwischen Krankenhäusern und Arztpraxen schaffen wird. Wie die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte aber leidlich bewiesen hat, scheinen sich viele Herausforderungen auf dem Papier problemlos lösen zu lassen. Nur: Die Realität hinkt dem Wunschdenken immer wieder hinterher. Das zeigt nicht zuletzt der Knackpunkt Interoperabilität. Sage und schreibe mehr als 200 IT-Schnittstellen gibt es derzeit im Gesundheitswesen. Das allein kann schon das Todesurteil für ein Telemedizinprojekt bedeuten. Denn: Wer noch nicht einmal mit einem potenziellen Mitbehandler kommunizieren und systemübergreifend behand- 54 lungsrelevante Patientendaten austauschen kann, kann auch gleich jeden telemedizinischen Gedankenansatz begraben. Sicher kann das E-Health-Gesetz die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Aufbau einer telemedizingerechten Telematikinfrastruktur abstecken. Die Bewährungsprobe muss dann allerdings wieder in der Praxis erfolgen. Das kann zu einem circulus vitiosus führen. Matthias Wallenfels Schmerzmedizin 2015; 31 (1) © Beermedia / Fotolia.com W Impressum Ausgabe 02/15 erscheint am 10. April 2015 Spinalkanalstenose Der Patient im Fokus Opioide und Sucht Was bringen epidurale Glukokortikoide? Neues vom Schmerz- und Palliativtag 2015 Schmerzbehandlung bei Suchtproblemen Alle Beiträge aus dieser Zeitschrift finden Sie auch im Internet unter www.springermedizin.de/ schmerzmedizin Fotos: © (v.l.n.r) lofilolo / iStock / Thinkstock; Alexander Raths / fotolia.com; Elisanth / iStock / Thinkstock Änderungen vorbehalten SCHMERZMEDIZIN Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin 31. Jahrgang Organ der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) www.dgschmerzmedizin.de Organ der Deutschen Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie e. V. (DAGST) www.dagst.de Organ des Berufsverbands der Palliativmediziner in Westfalen-Lippe e. V. www.bv-palliativmediziner.de Schriftleitung Oliver Emrich, Ludwigshafen; Johannes Horlemann, Kevelaer; Klaus H. Längler, Wegberg; Silvia Maurer, Bad-Bergzabern; Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen; Michael A. Überall, Nürnberg; Ludwig Distler, Saarbrücken; Sven Gottschling, Homburg/Saar; Johannes Jäger, Homburg/Saar; Eberhard Albert Lux, Lünen Beirat Christoph Baerwald, Leipzig; Ralf Baron, Kiel; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Klaus Borchert, Greifswald; Burkhart Bromm, Kiel; Thomas Cegla, Wuppertal; Peter Engeser, Pforzheim; Gideon Franck, Petersberg; Ingunde Fischer, Halle; Gerd Geißlinger, Frankfurt am Main; Astrid Gendolla, Essen; Hartmut Göbel, Kiel; Olaf Günther, Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Hilmar Hüneburg, Bonn; Uwe Junker, Remscheid; Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Torsten Kupke, Dresden; Michael Küster, Bonn; Christof Müller-Busch, Berlin; Norbert Schürmann, Moers; Joachim Nadstawek, Bonn; Hans-Günter Nobis, Bad Salzuflen; Thomas Nolte, Wiesbaden; Manfred Oberling, Bad Camberg; Michael Petermeyer, Diez; Robert F. Schmidt, Würzburg; Thomas Schindler, Berlin; Günther Schütze, Iserlohn; Hanne Seemann, St. Leon-Rot; Ralph Spintge, Lüdenscheid; Matthias Strittmatter, Merzig; Reinhard Thoma, München; Thomas Tölle, München; Roland Wörz, Bad Schönborn; Kati Thieme, Marburg; Hans-Joachim Willenbrink, Bremen; Walter Zieglgänsberger, München; Manfred Zimmermann, Schriesheim Schmerzmedizin 2015; 31 (1) Redaktion Doris Berger, Dipl.-Biol. (db; Leitung), Dr. Kim Jené (hkj), Sabrina Graß, Dipl.-Biol. (sg, Redaktion) Christine Cramer, MA (cc) Christine Heckel (Assistenz) Tel.: 089/203 043-1402, Fax: 089 / 203 043-314 02) E-Mail: Christine.Heckel@springer.com Verlag Springer Medizin Urban & Vogel GmbH Aschauer Straße 30, 81549 München www.springerfachmedien-medizin.de Geschäftsführer Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Director Facharzt-Medizin Markus Seidl (es, verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes) Ressortleitung Doris Berger, Dipl.-Biol. 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