Notizen zu Herwig: âRelative oder absolute
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Notizen zu Herwig: âRelative oder absolute
Notizen zu Herwig: „Relative oder absolute Gleichheit?“ Aufbau des Textes: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Kurze Einleitung Darstellung der Position der Verfechter der „Demokratisierung“ Methodische Zwischenbemerkung über das weitere Vorgehen Begrifflich Klärung dessen, was man unter Gleichheit versteht Probleme der Gleichheit als Norm praktischen Handelns Anwendung der begrifflichen Klärung auf Art. 3.1 GG Gegenüberstellung der Gleichheitsverständnisse des GG und der Verfechter der Demokratisierung oder des Egalitarismus 1. Einleitung Im Zentrum des Aufsatzes steht die Fragestellung: In welchem Verhältnis stehen das Gleichheitsverständnis des GG und des Egalitarismus? Eine erste Antwort ergibt sich aus der polaren Überschrift: Relative oder absolute Gleichheit? 2. Darstellung der Position der Verfechter der Demokratisierung Demokratie wird nicht nur als „Regelsystem der politischen Ordnung“ verstanden, sondern als „inhaltliche Norm“ (S.2) Sie fordern die Orientierung an dem Postulat mehr Demokratie (z.B. Willi Brandt im Wahlkampf 1972 „Mehr Demokratie wagen“) Unter Demokratisierung wird mehr Gleichheit verstanden, nicht nur im Politischen, sondern in allen Lebensbereichen (S. 2) Erstrebt wird gleiche Freiheit für alle Einzelnen, wobei die Gleichheit die konkrete Bedingung allgemeiner Freiheit ist (S.2) Im Zentrum steht folgerichtig die Forderung nach Machtgleichheit, im Sinne faktischer Machtgleichheit der einzelnen Bürger der Gesellschaft, da „der Einzelne das Endresultat von Entscheidungen, die konkrete Lösung bestimmen soll“ (S. 3) Den Hintergrund bildet ein besonderes Menschenbild: Das wahre Ziel des Menschen ist die Selbstbestimmung als inhaltliche Bestimmung der Freiheit. (S.3) Daher auch der Ruf nach Mitbestimmung in allen Lebensbereichen (S.3) und nach Machtgleichheit, so dass sachliche Qualifikation und moralische Eigenschaften bei der Machtverteilung keine Rolle spielen. Folgerichtig wird der Vorrang der Quantität vor der Qualität gefordert (S.3) Bei der Verwirklichung sind jedoch zwei Probleme zu beachten: 1. reale Menschen sind verschieden 2. Macht ist kein Ding, das man beliebig zerteilen kann, sondern verdankt sich bestimmten Bedingungen wie Bildung, Wissen, Talent, Herkunft etc. Um Machtgleichheit gewährleisten zu können, wird logisch konsequent die Angleichung der 1 Lebensbedingungen angestrebt. Aus der Forderung nach Machtgleichheit als faktisches Ziel erwächst die Forderung nach Individualgleichheit (S.4) Den Autoren ist durchaus bewusst, dass das Grundgesetz diesen, ihren Ansprüchen nicht genügt. (S.4) 3. Methodische Zwischenbemerkung Nach dieser kurzen Skizze der Position des „Egalitarismus“ folgt eine methodische Zwischenbemerkung, die den weiteren Weg der Untersuchung offen legt und zu einer Klärung der strittigen Frage „relative oder absolute Gleichheit“ führen soll. Es wird das Verfahren einer begriffliche Klärung gewählt, um die Argumentation der Vertreter des Egalitarismus nach Maßgabe einer „rationalen Rechtfertigungsfähigkeit“ zu überprüfen. (S.5) Dazu soll im ersten Schritt erörtert werden, was „Gleichheit in prinzipiell-begrifflicher Hinsicht überhaupt bedeuten“ kann. (S.5) 4. Begriffliche Klärung ● ● Gleichheit ist eine Relation, keine Eigenschaft (S.5) Um vergleichen zu können, benötige ich ein Kriterium, ein „tertium comperationis“, welches für die zu untersuchenden Dinge identisch sein muss: z.B. Farbe (S.5) (deferentia spezifica: artenbildender Unterschied; genus proximum: Gattungsbegriff) „Gleichheit“ ist jedoch nicht das allein existierende Beurteilungskriterium, sondern es gibt auch andere Arten eines Beurteilungskriteriums wie „Ähnlichkeit“ oder Adäquanz“ (S.6) Logisch kann man drei Arten des Gleichheitsurteils unterscheiden: 1. relative Gleichheit 2. arithmetische Gleichheit 3. logische Gleichheit Die relative Gleichheit nimmt immer in Bezug auf eine spezifische Hinsicht und schließt wesentliche Unterschiede in anderer Hinsicht nicht aus. Die arithmetische Gleichheit wird auch als absolute Gleichheit bezeichnet und ist ein quantitativer Vergleich der Zahl nach. Hierbei ergibt sich kein Problem der Relativität, da die Hinsicht – also Quantität oder Menge – immer die selbe ist. (S.7) Die logische Gleichheit bedeutet prinzipielle Ununterscheidbarkeit in jeder Hinsicht. Folglich kann sie nicht über konkrete Dinge, sondern nur Aspekte oder Hinsichten der Untersuchung ausgesagt werden und gehört damit in die Sphäre des Denkens und der Logik. Eine Anwendung auf empirische Objekte ist folglich eine unzulässige, unlogische Operation (S.7) 5. Probleme der Gleichheit als Norm praktischen Handelns (S.7f.) 1. Gleichbehandlung 2. Zielgleichheit 2 Beide, Gleichbehandlung und Zielgleichheit, können unter folgenden Betrachtungsgesichtspunkten oder Hinsichten analysiert werden: a) Bedingungen b) Ziele c) Mittel Zur Gleichbehandlung Die Gleichbehandlung lässt sich wiederum in zwei Unterpunkte unterteilen: 1a) relative Gleichbehandlung 1b) arithmetisch/absolute Gleichbehandlung Beispiel 1: alle über 18 Jahre erhalten gleiche Rechte. Dies kann durchaus sinnvoll sein, trotz individueller Unterschiede der Menschen (Mündigkeit). Beispiel 2: Alle Menschen zahlen unabhängig vom Einkommen gleiche Steuern, was offensichtlich Unsinn ist, da die finanzielle Leistungsfähigkeit der Einzelnen sehr unterschiedlich ist. Aus den Beispielen wird ersichtlich, dass wir nur die Forderung nach Gleichheit eines erheben müssen, sondern eines weiteren Kriteriums bedürfen: der inhaltlichen Angemessenheit oder Adäquanz. Diese soll durch Beispiel 3 weiter erläutert werden. Ist der Sachverhalt, das alle 5 Mörder sind, das richtige Kriterium, um zu entscheiden, wie viel Äpfel ein jeder der 5 Mörder erhalten soll? Gesetzt den Fall, einer der Mörder hatte Tags zuvor eine Magenoperation, einer ist seit 17 Tagen im Hungerstreik, ein dritter leidet unter akutem Vitaminmangel, ein weiterer hat eine Apfelallergie, so wird rasch klar, das der vermeintliche Zusammenhang von „Mörder sein“ und „Apfel erhalten“ willkürlich und der Sache unangemessen ist und ein rein arithmetisches Verteilungsverfahren scheitert. Es wird deutlich, dass wir zu einer richtigen Verteilung der Äpfel nur gelangen können, wenn wir nicht nur ein Kriterium quantitativer oder arithmetischer Art anlegen, sondern ein qualitatives benötigen: Adäquanz, d.h. Angemessenheit oder Gerechtigkeit. (S.8) Gleichheit Mittel Ziel Voraussetzung Gerechtigkeit Würde, Leben, Gesundheit, etc. Die arithmetische Gleichbehandlung ist besonders in Bezug auf lebende Personen oft völlig unangemessen und damit ungerecht . (S.9) Zur Zielgleichheit Sie setzt logisch und faktisch Ungleichheit voraus, denn es soll Verschiedenheit in Gleichheit transformiert werden. Dazu gibt es bei Menschen zwei Möglichkeiten a) Alle werden einer Zielnorm angepasst b) Alle werden dem Durchschnitt der zu Transformierenden angepasst. In beiden Fällen ist diese Zielnorm der Maßstab oder das tertium comperationis. (S.9) 6. Anwendung der begrifflichen Klärung auf Art. 3.1 GG Grundsatz des BVerfG: „Gleiches soll gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden 3 behandelt werden“ , nach Maßgabe der Gerechtigkeit (S.9) Gleichheit soll Gerechtigkeit ermöglichen und sie ist folglich keine Zielnorm! Aber der Ungleichbehandlung sind Grenzen gesetzt durch das Willkürverbot (S.10) „Ein Verstoß... Das Grundgesetz vertritt die Position der relativen Gleichheit im Sinne der „Rechtsgleichheit“ (S.10) Recht oder Gesetz bedeutet in erster Linie Regelung nach normativen Kriterien, trotzdem folgen durchaus materielle Rechte, insbesondere die Diskriminierungsverbote: (S.10), da das Grundgesetz die für die Wesensbestimmung des Menschen entscheidenden Rechte jeder staatlichen Gewalt entzogen werden sollen: − Menschenwürde − Freiheits- und Gleichheitsrechte Die Maßgabe der Gerechtigkeit ergibt sich aus Art. 1 „Die Würde des Menschen ist unverletzlich“ Das Pendant zur Würde ist die rechtliche Stellung (S.11) 6. Gegenüberstellung der Gleichheitskonzepte des Grundgesetzes und der Verfechter der „Demokratisierung“ Die Überprüfung soll anhand zweier Kriterien rationaler Begründbarkeit erfolgen: zum einen formal, zu anderen sachlich. Dabei soll bei der formalen Überprüfung auf konsistenz und Widerspruchsfreiheit untersucht werden, bei der sachlichen zum einen inwieweit eine Konsistenz von Gleichheit und individueller Freiheit gewährleistet ist und zum anderen inwiefern Gleichheit als inhaltliche Norm logisch widerspruchsfrei gedacht werden kann. Die Position der Demokratisierungsstrategen, Gleichheit als Zielnorm zu gebrauchen, führt zum Konsenszwang, denn der Einzelne wird auf seinen Stimmenanteil reduziert und kann seine Interessen nur noch als Teil der Mehrheit durchsetzen. Daraus ergibt sie aber eine Machtungleichheit zwischen Mehrheit und Minderheit und somit gegen die Zielnorm selbst. Um dies zu verhindern, bleibt nur der Weg, Mehrheit und Minderheit durch Konsenszwang zu vereinen. (S.12) Es ergibt des weiteren der Aktivitätszwang, an allen Entscheidungen teilzunehmen, da sonst gegen die geforderte Machtgleichheit verstoßen wird. Daraus folgt aber eine Paradoxie in Bezug auf die Freiheit. (S.13), da niemand mehr die Freiheit hätte, nicht an Entscheidungen teilzunehmen. Die Botschaft ist schizoid und folglich zutiefst inhuman. Man muss sich darüber im klaren sein, das keine institutionelle Maßnahme Freiheit herstellen kann, aber institutionalisierte Rechtsgleichheit schützt zumindest vor staatlicher Willkür. Somit sichert die relative Gleichheitskonzeption des Grundgesetzes ein Spektrum von Möglichkeiten gegen Uniformität. (S.13) Absolute oder arithmetische Gleich und Freiheit sind also nicht vereinbar, relative und Freiheit schon. Zur Prüfung auf Widerspruchsfreiheit von Gleichheit als Zielnorm: 4 Die absolute Zielgleichheit bedeutet eine Bevorzugung einer bestimmten Vorstellung von Mensch gegenüber einer anderen, ein Widerspruch, da die Menschenbilder nicht gleich behandelt werden! (S.14) Die Gleichbehandlung von Ungleichen bei der Verteilung von Gütern führt zur Machtungleichheit, was unzulässig ist. Wenn man die Zielnorm Gleichheit politisch durchsetzen will, braucht man einen Machtapparat, der über mehr Macht verfügt als die anderen, was wiederum gegen die Zielnorm verstößt! (S.15) Fragen an den Text: Was verstehen die Verfechter der absoluten Gleichheit unter Demokratisierung? Was verstehen sie unter Gleichheit als Zielnorm? Welche Lebensbereiche soll die Gleichheit betreffen? Warum fordern sie einen Vorrang der Quantität vor der Qualität? Welche Konsequenzen hat dies für die Machtverteilung? Warum läuft ein Verständnis von Macht als ein Ding, dass man zerteilen kann in die irre? Welche Arten von Gleichheit gibt es? Was unterscheidet Adäquanz von Gleichheit? Welche logischen Probleme sind dem Begriff der Gleichheit verbunden? In welchem Zusammenhang stehen Gleichheit und Gerechtigkeit? Wieso setzt die Verwirklichung von Gleichheit ungleiche Machtverteilung voraus? Welches Gleicheitsverständnis liegt dem Grundgesetz zugrunde? Was bedeuten Willkürverbot und Begründungsgebot? Wann kann trotz Ungleichbehandlung kein Verstoß gegen Art. 3 GG vorliegen? Worin liegt der Unterschied zwischen „an Zielnormen“ angleichen und „an Zielnormen messen“? Welche anthropologischen Voraussetzungen liegen dem Gleichheitsverständnis des GG zugrunde? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Gleichheitspostulat, Menschenwürde und Gerechtigkeit im Grundgesetz? Welche Konsequenzen hat die Forderung nach Gleichheit als Zielnorm für die einzelnen Bürger? Lassen sich individuelle Freiheit und arithmetische Machtgleichheit vereinbaren? In welchen Verstoß gegen die eigene Norm gerät die „Demokratisierung? 5