4.6 A_KIBBS_MeiÃner_Trauma_Dillingen_2015_Druckversion
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Traumatisierte Flüchtlinge und Asylbewerber an Schulen: Posttraumatische Belastungsstörungen verstehen, um pädagogisch sinnvoll handeln zu können Dillinger Symposium für die Schulaufsicht „Migration als Herausforderung und Chance für die Schule und die Schulaufsicht 20.3.2015 Petra Meißner, StDin Staatliche Schulberatungsstelle Unterfranken Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Erkennen und Verstehen 3 Ebenen Lebensgeschichtliche Erfahrungen Subjektive Erlebnismodi Szenische Informationen nach D. Zimmermann, 2012 Wissen über Traumatisierung Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Nutzen des Verstehens für die pädagogische Arbeit Ableitung traumpädagogischen Handelns von psychotraumatologischen Kenntnissen Notwendigkeit der Individualisierung des Handelns bzgl. der Lebenserfahrungen, Erlebnismodi und der kulturellen Unterschiede der Betroffenen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Grundlagen der Psychotraumatologie Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Was sind traumatische Ereignisse? Es sind Ereignisse, die Menschen ernsthaft (existenziell) bedrohen bzw. psychisch und/oder physisch schwer verletzen. Sie werden am eigenen Körper erlebt und/oder bei Mitmenschen beobachtet. Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Trauma-Klassifikationen Ursache einmalig anhaltend Naturkatastrophe Erdbeben, Tsunamis, Überschwemmung Heimatverlust, Verarmung Krankheiten, plötzlicher Verlust Unfälle Akute Erkrankungen, Operationen, Tod, Verkehrsunfälle Chronische Erkrankungen, Behinderungen fern Zug-, Flugzeug-, Schiffsunglück, Raubüberfall traumatisierenden Potenz Vom Zunahme stehendderKidnappen, Folter, Mord, Krieg, Vertreibung Mensch Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 verur- Geringere Anfälligkeit für Belastungsreaktionen: bei erstmaliger Traumatisierung sequentielle Traumatisierung bei weniger stark traumatisierenden Ereignissen Erleben, Miterleben, Mitwirkung bei Gewalttaten bei stabilem sozialen Netzwerk Verlust der Heimat und des sozialen Beziehungsgefüges bei guter physischer/psychischer Gesundheit fehlende medizinische Versorgung, Hunger, Armut bei aktiver, optimistischer Verhaltensneigung Überlebenswille, Überlebensstrategien bei vielfältigen persönlichen Bewältigungsstrategien Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Was ist ein Trauma ? Ein Trauma ist das Erleben plötzlicher und heftiger oder anhaltender äußerer und/oder innerer Bedrohung, das mit dem Gefühl von großer Furcht (Todesangst), Hilflosigkeit (Ohnmacht), Schutzlosigkeit (Ausgeliefert sein), oft auch mit körperlichem Schmerz und Verletzung einhergeht. (nach Lutz-Ulrich Besser, ZPTN) Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Die „Traumatische Zange“ Existenziell-bedrohliches Ereignis Bindungssystem Flucht No „F light Kampf No "F ight“ Hilflosigkeit Ohnmacht Ausgeliefert-Sein Erstarrung Täuschung Unterwerfung „F reeze“ Trauma „F ragments“ nach M. Huber, 2003 Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Fragmentierung (innere) Bilder Kognitionen Emotionen (Körper-) Wahrnehmung Beziehung nach M. Huber 2003 Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Welche Gehirnregionen sind betroffen? Cortex Denken/ Wahrnehmung Hippocampus Erregung Amygdala/ Mandelkern Gefühle/Körper empfindungen Broca-Areal Sprache Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Was geschieht im Gehirn? Cortex Hippocampus Amygdala/ Mandelkern nach M. Dr. Krüsmann Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Reaktionen Schockreaktion (x-Sekunden) Akute Stressreaktion (x-Minuten) Akute Belastungsreaktion (bis 48 Stunden) Akute Belastungsstörung (bis 4-6 Wochen) Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (nach 4-6 Wochen ) Chronifizierte Belastungsstörung (ab 3 Monate) Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Traumapädagogische Maßnahmen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Hyperarousal (Dauer-, Übererregung) Symptomatik Schreckhaftigkeit Hypervigilanz Konzentrationsstörungen Schlafstörungen Reizbarkeit, Irritierbarkeit pädagogische Maßnahmen Trigger identifizieren Reiz – Reaktion – Zusammenhang erklären die Gegenwart bewusst machen reizarme Umgebung schaffen beruhigen (Atmung, Bewegung, Musik) Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Trigger (Sinneseindrücke) Symptomatik pädagogische Maßnahmen lösen Reaktionen aus, als würde man wieder in der traumatischen Situation sein Trigger identifizieren löschen die reale aktuelle Situation aus dem Bewusstsein die Gegenwart bewusst machen Zusammenhang Reiz – Reaktion erklären reizarme Umgebung schaffen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Vermeidung Symptomatik pädagogische Maßnahmen … von Orten und Räumen das Maß der Annäherung an das Vermiedene selbst bestimmen lassen … von Gesprächen äußere Sicherheit geben … von Körperkontakt Fortschritte benennen … von (…) schrittweise Annäherung wertschätzen … von Situationen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Numbing (emotionale Taubheit) Symptomatik enge emotionale Beziehungen werden vermieden Empfindungslosigkeit, Einsamkeit, Entfremdung, werden erlebt pädagogische Maßnahmen das Maß des Kontakts selbst bestimmen lassen Vertrauen aufbauen Verlässlichkeit und Kontinuität bieten bei Konfliktlösung unterstützen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Dissoziation (Abspaltung) Symptomatik … von Gefühlen … von Erinnerung/Wissen (Amnesie) … von der Umgebung oder Teilen davon (Derealisierung) … von sich selbst oder Teilen davon (Depersonalisierung) pädagogische Maßnahmen beschreiben und erklären (Psychoedukation) in dissoziative Zustände eingreifen benennen, wo man ist Aufträge geben Sinne aktivieren Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Erstarrung (Freeze) Symptomatik pädagogische Maßnahmen ständiges Gefühl von Kälte, Frieren benennen und erklären (Psychoedukation) keine Freude an Bewegung wärmende Umgebung schaffen Bewegungslosigkeit in Bewegung bringen Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen, fördern Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Gestörte Körperwahrnehmung Symptomatik pädagogische Maßnahmen eigene Körpergrenzen und Abstand zu anderen können nur schwer oder gar nicht wahrgenommen bzw. eingeschätzt werden Körperübungen Körpersignale werden kaum oder nicht verstanden für Körperempfinden sensibilisieren selbstverletzendes/selbstgefährdendes Verhalten Selbstwahrnehmung schulen positive Erfahrungen mit dem eigenen Körper ermöglichen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Sprachverlust Symptomatik kaum Lernfortschritte in der neu zu lernenden Sprache in der Muttersprache verstummen zerstückelte Sprache keine Hilfsstellung annehmen pädagogische Maßnahmen Worte für Gefühle, Körperempfindungen geben Worte für Wünsche und Bedürfnisse geben Worte für Grenzen haben Geschichten einen Anfang und ein Ende geben Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Kontrollverlust Symptomatik Hilfe anderer kann oft nicht angenommen werde Unsicherheit wird mit Unruhe, Aktionismus, Destruktivität, Rückzug überspielt Konflikte können selten konstruktiv gelöst werden pädagogische Maßnahmen Sozial-emotionales Lernen notwendig Entscheidungen ermöglichen, wählen lassen den guten Grund eigenen Handelns erklären (Transparenz) klare Regeln (Konsequenz) Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Bindungsangst Symptomatik pädagogische Maßnahmen haben Angst vor Nähe/ Distanzlosigkeit gute Beziehungen aufbauen vermeiden stabilisierende Beziehungen verlässlich sein ehrlich sein provozieren (Schutzmantel) stellen bekannte traumatisierende Situationen her (Reinszenierung) Rituale (z.B. zur Begrüßung, zum Abschied) pflegen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Leistungsverhalten Symptomatik pädagogische Maßnahmen Leistungsschwierigkeiten Leistungsdruck nicht verstärken übermäßige Leistungsorientierung Leistungsdruck (der Familien) minimieren helfen, Prioritäten und angemessene Leistungsziele zu setzen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Verlagerte Reaktionen Angststörungen Zwanghaftigkeit Depression Suizidgefährdung Suchtverhalten Psychosomatische Beschwerden Essstörungen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Zusammenfassung Was brauchen lebensgeschichtlich belastete Kinder und Jugendliche? Die Schule als sicheren Ort … Die Unterstützung, den Alltag zu meistern … (Selbstwirksamkeit) Die Kontrolle über sich selbst wieder gewinnen … (Selbstbemächtigung und Selbstregulation) Eine Sprache … Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Übliche Reaktionen von Nicht-Traumatisierten Sympathie Verständnis Beruhigung Irritation Ungeduld Scham-Appell Ausgrenzung Angriffe Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Traumapädagogische Haltung „Respekt vor der (Über-)Lebensleistung der Kinder und Jugendlichen. Ihre Verhaltensweisen sind übliche Reaktionen auf eine extreme Stressbelastung. Sie haben für ihre Vorannahmen, Reaktionen und Verhaltensweisen einen guten Grund. Wir bieten Beziehung an und stellen unser Fachwissen zur Verfügung, die Kinder sind die Experten für ihr Leben.“ B. Wohlleber, S. Lojewski, 2015 Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Traumapädagogischer Ansatz „Selbstbemächtigung als Kernstück der Traumapädagogik bedeutet, dass Mädchen und Jungen mit Unterstützung ihrer Bezugspersonen Stück für Stück das Gefühl für sich selbst wiederfinden, sich, ihre Gefühle und Empfindungen wahrnehmen lernen und sich ihre Selbstregulation zurückholen.“ Wilma Weiß, 2013 Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Kooperation mit den Eltern betroffener SchülerInnen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Pfeiler der Elternarbeit Würdigung und Wertschätzung Bindung und Verlässlichkeit Innere und äußere Sicherheit Transparenz/Kontrolle Selbstwirksamkeit Entlastung: praktisch und psychisch Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Selbstreflexion und Selbstfürsorge der Lehrkräfte Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Selbstreflexion eigene Gefühle und Reaktionen Übertragung und Gegenübertragung Schuldgefühl als Zeuge Sekundäre Traumatisierung Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Selbstfürsorge erhöhte Selbstaufmerksamkeit für körperliche Signale Worte für die eigenen Erfahrungen und Gefühle finden lernen, eigene Gefühle zu regulieren eigene Ressourcen und Schutzmaßnahmen kennen sich selbst Gutes tun Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Arbeits- und Rahmenbedingungen Zeit und Kontinuität Austausch und Absprache zwischen den Bezugspersonen Teamkultur im Kollegium gemeinsame pädagogische Konzepte und Handlungsanleitungen Möglichkeiten spontaner Unterstützung Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Arbeits- und Rahmenbedingungen Räumlichkeiten: Rückzug, Nähe zu Unterstützung Fallbesprechung/Supervision stark belastende Arbeit nur für ein paar Jahre Wertschätzung, Unterstützung und Sicherheit seitens der Leitung Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Grundkompetenzen und Voraussetzungen für professionelles Handeln Sachkompetenz Handlungskompetenz Traumapädagogische Haltung Kompetenzen zur Kooperation mit Eltern Kompetenz zur Selbstreflexion Kompetenz zur Selbstfürsorge Förderliche Rahmen- und Arbeitsbedingungen Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Mein Dank gilt Suska Kollera, Schulpsychologin, Mitarbeiterin in KIBBS, Bettina Wohlleber und Susann Lojewski, Lehrerinnen, Traumapädagoginnen bei den Johannitern und den Lehrkräften und SchulpsychologInnen, den SchulleiterInnen und Schulräte/Innen in Unterfranken, die ihr fundiertes Fachwissen und ihre wertvollen Erfahrungen mit Flüchtlingen und Asylsuchenden in ihren Schulen in unsere gemeinsamen Fortbildungen einbrachten. Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015 Literaturhinweise Huber, Michaela: Trauma und die Folgen. Trauma und Traumabehandlung. Teil 1, 2009 Dies.: Trauma und Traumabehandlung. Wege der Traumabehandlung. Teil 2, 2009 Krüsmann, Marion: Dr.: Prävention von Traumafolgestörung im schulischen Kontext. Vortrag Dillingen, 2012 Weis, Wilma: Philipp sucht sein Ich. Zum pädagogischen Umgang mit Traumata in der Erziehungshilfe, 2013 Zimmermann, David: Migration und Trauma: pädagogisches Verstehen und Handeln in der Arbeit mit jungen Flüchtlingen, 2012 Petra Meißner, StDin, Staatliche Schulpsychologin, 3/2015