Regress im Schadensausgleichsrecht unter besonderer
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Regress im Schadensausgleichsrecht unter besonderer
Regress im Schadensausgleichsrecht unter besonderer Berücksichtigung des Privatversicherers DISSERTATION der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Rechtswissenschaft vorgelegt von Alexander Müller von Münchwilen (Thurgau) Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Vito Roberto und PD Dr. Hardy Landolt Dissertation Nr. 3174 D-Druck-Spescha Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. St. Gallen, den 17. Januar 2006 Der Rektor Prof. Ernst Mohr, PhD VORWORT Mein Dank gilt allen, die mich bei der vorliegenden Arbeit unterstützt haben. Herrn Prof. Dr. Vito Roberto danke ich für den mir vertrauensvoll gewährten Freiraum, den er mir bei der Bearbeitung des Themas einräumte. Für die Übernahme des Korreferates bin ich Herrn PD Dr. Hardy Landolt zu Dank verpflichtet. Den grössten Dank schulde ich jedoch meiner Mutter, die mir meine Ausbildung zum Rechtsanwalt ermöglicht und mich stets unterstützt hat. Ihr sei diese Arbeit gewidmet. Im weiteren danke ich Frau Dr. Ida Götte für die äusserst wertvolle und unermüdliche Korrektur des Manuskripts. Das Manuskript wurde im Dezember 2005 fertig gestellt. Literatur und Judikatur wurden bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt. Mörschwil, im Februar 2006 Alexander Müller INHALTSÜBERSICHT Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis Zusammenfassung I II XI XVI XXV EINLEITUNG 1 I. TEIL: 3 GRUNDLAGEN DES SCHADENSAUSGLEICHSRECHTS § 1. Schadensausgleichssysteme § 2. Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Schadensausgleichspflichtigen 13 § 3. Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Leistungspflichtigen 21 § 4. Ergebnis erster Teil 24 II. TEIL: 3 GRUNDLAGEN DES REGRESSRECHTS 26 § 5. Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen 26 § 6. Allgemeine Regressordnung 32 § 7. Einschränkungen des Regressrechts 60 § 8. Ergebnis zweiter Teil 88 III. TEIL: § 9. REGRESS DES PRIVATVERSICHERERS 90 Stellung des Privatversicherers in der Regressordnung 90 § 10. Regress des Sachversicherers 116 § 11. Regress des Haftpflichtversicherers 133 § 12. Besonderheiten des Privatversicherungsregresses 137 § 13. Gültigkeit von Versicherungsklauseln 153 § 14. Ergebnis dritter Teil 164 IV. TEIL: 166 SCHLUSSBETRACHTUNG § 15. Zusammenfassung und Reformvorschläge 166 ANHANG: 172 ALLGEMEINE VERSICHERUNGSBEDINGUNGEN 172 EMPFEHLUNGEN DES SVV 172 I INHALTSVERZEICHNIS RÉSUMÉ XXV EINLEITUNG 1 I. TEIL: 3 GRUNDLAGEN DES SCHADENSAUSGLEICHSRECHTS § 1. Schadensausgleichssysteme 3 I. Haftungssystem 3 1. 3 Privatrechtliche Haftung A. Allgemeines 3 B. Deliktshaftung 4 i. Allgemeines 4 ii. Rechtsnatur des Haftungsanspruchs 5 iii. Verhältnis zwischen Verschuldens- und Kausalhaftung C. Vertragshaftung 8 i. Allgemeines 8 ii. Rechtsnatur des Haftungsanspruchs 8 2. II. Staatshaftung I. 9 Versicherungssystem 10 1. 10 Privatversicherung A. Allgemeines 10 B. 10 2. § 2. 5 Rechtsnatur des Privatversicherungsverhältnisses Sozialversicherung 11 A. Allgemeines 11 B. 12 Rechtsnatur des Sozialversicherungsverhältnisses Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Schadensausgleichspflichtigen 13 Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtigen 13 1. 13 Anspruchskonkurrenz/Solidarität A. Echte und unechte Solidarität 13 B. 14 Relevanz der Unterscheidung i. Verjährungsunterbrechung und Subrogation 14 ii. Reduktionsgründe 15 iii. Stellungnahme 17 II C. Differenzierte Solidarität 17 i. Allgemeines 17 ii. Stellungnahme 19 2. Überentschädigungs- bzw. Bereicherungsverbot 19 Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und anderen Ersatzpflichtigen 20 § 3. Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Leistungspflichtigen 21 I. Anspruch aus Versicherungsvertrag 21 1. Einzel- und Kollektivversicherung 21 2. Eigen- und Fremdversicherung 21 3. Zusatzversicherung / Überobligatorische Versicherung 22 II. II. Anspruch aus Sozialversicherung 22 III. Anspruch aus Haftpflichtversicherung 22 IV. Anspruch aus Arbeitsvertrag 24 § 4. Ergebnis erster Teil 24 II. TEIL: GRUNDLAGEN DES REGRESSRECHTS 26 § 5. Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen 26 I. Allgemeines 26 II. Gesetzliches Rückgriffsrecht 27 III. Vertragliches Rückgriffsrecht 29 IV. Zwei Forderungen: originäre und derivative (subrogierte) 30 V. Keine Solidarität im Innenverhältnis 31 § 6. Allgemeine Regressordnung 32 I. OR 32 II. 1. Allgemeines 32 2. Entstehungsgeschichte 34 3. Stellungnahme 36 4. Rechtsvergleichende Betrachtung 38 A. Regressrecht in Deutschland 38 B. Regressrecht im Fürstentum Liechtenstein 39 C. Zwischenergebnis aus der Rechtsvergleichung 40 VVG 40 1. Allgemeines 40 2. Versicherungsarten 41 III A. Summen- vs. Schadensversicherung 41 B. Eigenschadensversicherung (Sach- und Personenversicherung) 42 C. Drittschadensversicherung (Haftpflichtversicherung) 42 3. Entstehungsgeschichte von Art. 72 VVG 43 4. Rechtsvergleichende Betrachtung 44 A. Regressrecht in Deutschland 44 B. Regressrecht im Fürstentum Liechtenstein 45 C. Zwischenergebnis aus der Rechtsvergleichung 46 5. III. Stellungnahme 46 Sozialversicherungsrecht 47 1. Allgemeines 47 2. Rückgriff gegen Dritte 47 3. Koordination der Rückgriffsansprüche innerhalb der Versicherungsträger nach ATSG 48 Koordination mit Rückgriffsansprüchen anderer Versicherer 48 4. IV. Nach SVG 50 1. Allgemeines 50 2. Begriff des Betriebes eines Motorfahrzeuges 51 A. Kurzdarstellung der heutigen Rechtsprechung 51 B. 52 3. Stellungnahme Haftungskollisionen innerhalb des SVG 53 A. Vorbemerkungen 53 B. 55 4. Kompensationstheorie oder sektorielle Verteilung? Haftungskollision SVG-Haftung mit allg. Haftungsnorm 56 A. Vorbemerkungen 56 B. 57 Lehre und Rechtsprechung i. Betriebsgefahr ist gegeben 57 ii. Ermässigung oder Ausschluss der Halterhaftung 58 iii. Betriebsgefahr ist nicht gegeben C. Zwei Fälle aus der Praxis 58 59 § 7. Einschränkungen des Regressrechts 60 I. Quotenvorrecht 60 1. Ausgangslage 60 2. Illustrierendes Beispiel zum Quotenvorrecht 61 IV 3. Sachliche Kongruenz in der Sachversicherung A. Ausgangslage 62 B. Illustrierendes Beispiel zum Gesamtschaden 63 C. Weitere Konstellationen zur sachlichen Kongruenz 65 D. Stellungnahme 4. 67 A. Ausgangslage 67 B. Lehre und Rechtsprechung 67 C. Stellungnahme 69 Selbstbehalt bei der Kaskoversicherung mit Zeitwertzusatz 70 A. Ausgangslage 70 B. Doktrin und Praxis 70 C. Stellungnahme 71 6. Quotenteilung 73 A. Vor Inkrafttreten des ATSG 73 B. Im Sozialversicherungsrecht de lege lata 73 C. Im Privatversicherungsrecht 73 Rechts- und Regresslage bei der Unterversicherung 74 1. Ausgangslage 74 2. Theorien in Lehre und Praxis 75 A. Der Zeitwert als Referenzgrösse 75 B. Der Neuwert als Referenzgrösse 75 C. Quotale Aufteilung der Differenz Zeitwert – Neuwert 76 3. III. 66 Fiktives Quotenvorrecht 5. II. 62 Stellungnahme 76 Haftungs- und Regressprivileg 77 1. Allgemeines 77 2. Entstehung des Privilegs 78 A. Im VVG 78 B. Im Sozialversicherungsrecht 79 C. Durch Vertrag 80 3. Rechtsfolge des Privilegs 80 A. Allgemeines 80 B. 81 i. Gestörte Solidargemeinschaft Allgemeines 81 V ii. Aus Sicht des Geschädigten 81 iii. Aus Sicht des subrogierenden Versicherers C. Probleme bei Grobfahrlässigkeit D. Regressprivileg und unmittelbares Forderungsrecht IV. 82 83 Einbezug freiwillig erbrachter Leistungen des Schadensversicherers in den Regress 84 1. Ausgangslage 84 2. Eigenschadensversicherung 85 A. Lehre und Rechtsprechung 85 B. 85 3. § 8. 81 Stellungnahme Haftpflichtversicherung 86 A. Lehre und Rechtsprechung 86 B. Stellungnahme 87 Ergebnis zweiter Teil 88 III. TEIL: REGRESS DES PRIVATVERSICHERERS 90 § 9. Stellung des Privatversicherers in der Regressordnung 90 I. „Gini/Durlemann-Praxis“ 90 1. Sachverhalt 90 2. Erwägungen 90 II. A. Bezüglich Beauftragtem (Gini) 90 B. 91 Bezüglich Hilfsperson (Durlemann) Analyse der „Gini/Durlemann-Praxis“ 92 1. 92 Auslegung A. Methodische Interpretation i. Sprachlich-grammatikalische Interpretation 92 ii. Teleologische Interpretation 93 iii. Historische Interpretation 94 iv. 95 B. 2. 3. 92 Systematische Interpretation Aktuelle Rechtsprechung 97 Deckungsausschlussklauseln 99 A. Allgemeines 99 B. 99 Ausschluss der „fehlerhaften baulichen Konstruktion“ Auswirkungen auf den verursachenden Arbeitnehmer A. Ausgangslage 101 101 VI B. Wortlaut der Klausel 102 C. BGE 128 III 76 ff. 103 i. Ausgangslage 103 ii. Erwägungen des Bundesgerichts 104 iii. Stellungnahme 4. Sog. Umkehrregress 107 A. Ausgangslage 107 B. 108 Rechtliche Auseinandersetzung i. Allgemeines 108 ii. Zum „umgekehrten Gini/Durlemann“ 109 iii. Zum Umkehrregress 110 iv. 111 C. III. 104 Aktiv- und Passivlegitimation beim Umkehrregress Ergebnis 112 Kritik an der geltenden Praxis 113 1. Allgemeines 113 2. Schadensversicherer als haftungsloser Leistungspflichtiger 114 3. Integrales Regressrecht für den Eigenschadensversicherer 114 § 10. Regress des Sachversicherers 116 I. Allgemeines 116 II. Regress des Gebäudeversicherers auf Mieter 116 1. Ausgangslage 116 2. Aus Sicht der Privatversicherer 117 A. Lehre und Rechtsprechung bezüglich leichtfahrlässiger Verursachung B. C. 117 Lehre und Rechtsprechung bezüglich grobfahrlässiger Verursachung 119 Stellungnahme 119 i. Vorbemerkungen 119 ii. Ad leichter Fahrlässigkeit 119 iii. Ad grober Fahrlässigkeit 3. 121 Aus Sicht der monopolisierten kantonalen Gebäudeversicherer 121 A. Das Monopol 121 B. Lehre und Rechtsprechung 122 C. Rechtsvergleichende Betrachtung 124 VII III. i. Deutschland 124 ii. Österreich 125 Regress des Kaskoversicherers auf berechtigte Lenker 126 1. Ausgangslage 126 2. Rechtslage und Praxis 126 A. Bei leichter Fahrlässigkeit 126 B. 127 3. IV. Bei grober Fahrlässigkeit Stellungnahme Regress auf Arbeitnehmer bzw. Hilfsperson 128 129 A. Allgemeines 129 B. 129 Verletzung eines Mitarbeiters i. Ausgangslage 129 ii. Rechtslage 130 C. 2. Verletzung eines Dritten Revision VVG 132 132 § 11. Regress des Haftpflichtversicherers 133 I. Allgemeines 133 II. Regress des Motorfahrzeughaftpflicht-Versicherers 133 1. Ausgangslage 133 2. Lehre und Rechtsprechung 134 A. Bei grober Fahrlässigkeit 134 B. 135 3. III. Bei leichter Fahrlässigkeit Stellungnahme 135 Regelung de lege ferenda 137 § 12. Besonderheiten des Privatversicherungsregresses 137 I. Koordinationsklauseln 137 1. Ausgangslage 137 2. Zession 137 3. Subsidiaritäts- und Komplementärklauseln 139 4. Regressausschlussklausel 140 II. Mehrfachversicherung 142 1. Ausgangslage 142 2. Doppelversicherung im Sinne des Gesetzes 143 3. Mehrfachversicherung im Sinne des SVV VIII 145 A. Mehrfachversicherung 145 i. Allgemeines 145 ii. Gleiches Rechtssubjekt 146 iii. Ungleiches Rechtssubjekt 4. III. IV. 146 Stellungnahme 148 Verjährung von Regressforderungen 148 1. Ausgangslage 148 2. Lehre und Rechtsprechung 149 A. Subrogation im Sinne von Art. 149 Abs. 1 OR 149 B. 150 Ausgleichsanspruch im Sinne von Art. 51 Abs. 2 OR Verrechnung von Regressforderungen 151 1. Ausgangslage 151 2. Versicherungsrechtliche Sicht 152 3. Stellungnahme 152 § 13. Gültigkeit von Versicherungsklauseln 153 I. Allgemeines 153 II. Umfang der AVB-Kontrolle 154 1. 154 Allgemeines A. Vorab: Genehmigungspflicht gemäss VAG 154 B. Geltungskontrolle 154 C. Auslegungskontrolle 155 D. Inhaltskontrolle 2. 156 Einzelne Klauseln 157 A. Deckungsausschluss in der Betriebshaftpflichtversicherung betreffend Regressansprüche gegen Arbeitnehmer und Hilfspersonen 157 i. Geltungskontrolle 157 ii. Auslegungskontrolle 157 iii. Inhaltskontrolle 158 iv. 160 B. Ergebnis Deckungsausschluss in der Privathaftpflichtversicherung betreffend sämtliche Regressansprüche 161 i. Geltungskontrolle 161 ii. Auslegungskontrolle 161 IX iii. Inhaltskontrolle 162 iv. 162 Ergebnis C. Assistance-Klausel 163 i. Geltungskontrolle 163 ii. Auslegungskontrolle 163 iii. Inhaltskontrolle 163 iv. 164 Ergebnis § 14. Ergebnis dritter Teil 164 IV. TEIL: 166 SCHLUSSBETRACHTUNG § 15. Zusammenfassung und Reformvorschläge 166 I. Konsolidierung VVG und OR 166 II. Stellung des Eigenschadensversicherers 166 1. Bemerkungen 166 2. Revisionsvorschlag 167 III. IV. V. Stellung des Haftpflichtversicherers 168 1. Bemerkungen 168 2. Revisionsvorschlag 168 Kein Deckungsausschluss in der Betriebshaftpflichtversicherung zulasten von Arbeitnehmern 170 1. Bemerkungen 170 2. Revisionsvorschlag 170 Zeitlicher Deckungsbereich in der Haftpflichtversicherung 170 1. Bemerkungen 170 2. Revisionsvorschlag 171 ANHANG: 172 ALLGEMEINE VERSICHERUNGSBEDINGUNGEN 172 EMPFEHLUNGEN DES SVV 172 X ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS a.A. anderer Ansicht a.a.O. am angegebenen Ort ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für das Fürstentum Liechtenstein vom 1. Juni 1811 (210.0) Abs. Absatz AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AHVG Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 20. Dezember 1946 (SR 831.10) AJP Aktuelle Juristische Praxis (St. Gallen) Anm. Anmerkung a.M. anderer Meinung ArG Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel vom 13. März 1964 (SR 822.11) ArGV1 Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz vom 10. Mai 2000 (SR 822.111) Art. Artikel ATSG Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (SR 830.1) ATSV Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 11. September 2002 (SR 830.11) AVB Allgemeine Versicherungsbedingungen AVIG Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 25. Juni 1982 (SR 837.0) Aufl. Auflage BBl Bundesblatt Bd. Band BG Bundesgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 (Deutschland) BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichtes, Amtliche Sammlung BGer Bundesgericht BGH Bundesgerichtshof (Deutschland) BJM Basler Juristische Mitteilungen (Basel) BK Berner Kommentar BPV Bundesamt für Privatversicherungswesen XI BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101) BVG Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 (SR 831.40) BZG Bundesgesetz über den Bevölkerungsschutz und den Zivilschutz vom 4. Oktober 2002 (SR 520.1) bzw. beziehungsweise dgl. dergleichen d.h. das heisst Dig. Digeste Diss. Dissertation E. Erwägung EHG Bundesgesetz über die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschifffahrtsunternehmungen und der Schweizerischen Post vom 28. März 1905 (SR 221.112.742) EleG Bundesgesetz betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen vom 24. Juni 1902 (SR 734.0) ELG Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung vom 19. März 1965 (SR 831.30) f., ff. folgende, fortfolgende Fn Fussnote gl.A. gleicher Ansicht gl.M. gleicher Meinung GSchG Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer vom 24. Januar 1991 (SR 814.20) GVA Gebäudeversicherungsanstalt GVP St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis HAVE Zeitschrift: Haftung und Versicherung HGer Handelsgericht Hrsg. Herausgeber insb. insbesondere i.S. in Sachen IVG Bundesgesetz über die Invalidenversicherung vom 19. Juni 1959 (SR 831.20) i.V.m. in Verbindung mit XII JSG Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel vom 20. Juni 1986 (SR 922.0) JT Journal des Tribunaux (Lausanne) Kap. Kapitel KGer Kantonsgericht KHG Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983 (SR 732.44) KUVG Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 13. Juni 1911, ersetzt durch das KVG KVG Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (SR 832.10) LFG Bundesgesetz über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948 (SR 748.0) MG Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung vom 3. Februar 1995 (SR 510.10) MVG Bundesgesetz über die Militärversicherung vom 19. Juni 1992 (SR 833.1) m.w.H. mit weiteren Hinweisen N Note (Randnote) NGF Nationaler Garantiefonds Schweiz NJW Neue juristische Wochenschrift (München) Nr. Nummer NR Nationalrat NVB Nationales Versicherungsbüro Schweiz NZZ Neue Zürcher Zeitung OGer Obergericht OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) OR Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (SR 220) PrHG Bundesgesetz über die Produktehaftpflicht vom 18. Juni 1993 (SR 221.112.944) Pra Die Praxis des Bundesgerichts (Basel) recht Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis (Bern) RJN Recueil de jurisprudence neuchâteloise RLG Bundesgesetz über Rohrleitungsanlagen zur Beförderung flüssiger oder gasförmiger Brenn- und Treibstoffe vom 4. Oktober 1963 (SR 746.1) S. Seite SchKG Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889 (SR 281.1) XIII SGW Sammelstelle Gerichtsentscheide: Haftpflicht- und Versicherungsrecht SIA Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-Verein SJZ Schweizerische Juristen-Zeitung (Zürich) SN Schweizer Norm sog. sogenannt SprstG Bundesgesetz über explosionsgefährliche Stoffe vom 25. März 1977 (SR 941.41) SR Systematische Sammlung des Bundesrechts Sten Bull Stenographisches Bulletin SUVA Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Luzern) SVA Entscheidungen schweizerischer Gerichte in privaten Versicherungsstreitigkeiten, herausgegeben vom BPV SVG Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SR 741.01) SVV Schweizerischer Versicherungsverband SVZ Schweizerische Versicherungszeitschrift (Bern) SZS Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung (Bern) SZW Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zürich) USG Bundesgesetz über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (SR 814.01) usw. und so weiter UVG Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 20. März 1981 (SR 832.20) UWG Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb vom 19. Dezember 1986 (SR 241) VAG Bundesgesetz betreffend die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen vom 23. Juni 1978 (SR 961.01) VE Vorentwurf VE-Brehm Vorentwurf Brehm VE HPG Vorentwurf betreffend die Haftpflichtrechtsrevision VE VVG Vorentwurf betreffend das Versicherungsvertragsgesetz VersR Versicherungsrecht; Juristische Rundschau für die Individualversicherung (Deutschland) VersVG Gesetz über den Versicherungsvertrag für das Fürstentum Liechtenstein vom 16. Mai 2001 (215.229.1) VG Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (SR 170.32) vgl. vergleiche XIV VPB Verwaltungspraxis der Bundesbehörden (Bern) vs. versus = gegen VVG Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908 (SR 221.229.1) VVG (D) Gesetz über den Versicherungsvertrag für Deutschland vom 30. Mai 1908 z.B. zum Beispiel ZBL Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht (Zürich) ZBJV Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins (Bern) ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210) Ziff. Ziffer zit. zitiert ZK Zürcher Kommentar ZMR Zeitschrift für Miet- und Raumrecht (Deutschland) ZR Blätter für Zürcherische Rechtsprechung (Zürich) ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht (Basel) ZWR Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung (Sion) XV LITERATURVERZEICHNIS BECK PETER, Der Regress auf Familienangehörige und Arbeitnehmer, in: Haftpflichtund Versicherungsrechtstagung, St. Gallen 1995, S. 115 ff. (zit. Beck, Regress). BECK PETER, Zusammenwirken von Schadenausgleichsystemen, in: Schaden-HaftungVersicherung, Handbücher für die Anwaltspraxis, Basel 1999 (zit. Beck, Schadenausgleichsysteme). BECK PETER, Die Regressbestimmungen des ATSG, in: Schriftenreihe des Instituts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG), Schaffhauser René/Kieser Ueli (Hrsg.), S. 121 ff., St. Gallen 2003 (zit. Beck, ATSG). BÖCKLI PETER, Schweizer Aktienrecht, 3. Aufl., Zürich 2004. 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Bei der Erörterung des Haftungssystems wird untersucht, inwieweit die Unterscheidung zwischen der Verschuldens- und der Kausalhaftung noch sinnvoll ist. Das schweizerische Versicherungssystem wird kurz behandelt. Das Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Schadensausgleichspflichtigen wird vom Prinzip der Anspruchskonkurrenz bzw. der Solidarität bestimmt. Nach der Analyse dieses Grundsatzes wird die Frage einer allfälligen Solidaritätsgrenze diskutiert. Überlegungen zum Rechtsverhältnis Geschädigte Leistungspflichtige schliessen den ersten Teil ab. Den Inhalt des zweiten Teils bilden die Grundlagen des Regressrechts. Es wird zunächst das Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen, also das sog. Regressverhältnis untersucht. Die historischen Interpretationen der Kaskadenordnung von Art. 51 Abs. 2 OR und der Subrogationsbestimmung von Art. 72 Abs. 1 VVG zeigt, dass die Regressordnung de lege lata zu nicht sachgerechten Ergebnissen führt. Dasselbe Resultat ergibt auch eine rechtsvergleichende Betrachtung. Unter dem Titel „Einschränkungen des Regressrechts“ wird das Quotenvorrecht dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der sachlichen Kongruenz in der Sachversicherung. Auch die Fragen des fiktiven Quotenvorrechts, der Quotenteilung und des Selbstbehaltes bei der Kaskoversicherung werden besprochen. Besteht eine Unterversicherung, so stellt sich die Frage, ob auch diesfalls das Quotenvorrecht gilt. Als weitere Einschränkung des Regressrechts ist das Haftungs- bzw. Regressprivileg zu nennen. Diese Problematik wird erörtert, bevor abschliessend die Regressmöglichkeit freiwillig erbrachter Leistungen des Schadensversicherers geklärt wird. Im dritten Teil steht der Regress des Privatversicherers im Zentrum. Aufgrund der Wichtigkeit der „Gini/Durlemann-Praxis“, welche vom Bundesgericht entwickelt wurde, nimmt sie in dieser Arbeit eine zentrale Stellung ein. Diese Praxis wird mittels einer methodischen Interpretation geprüft. In einem nächsten Schritt wird der Regress des Sachversicherers auf mögliche Haftpflichtige untersucht. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Regressmöglichkeit auf Arbeitnehmer bzw. HilfsperXXIII sonen. Unter dem Titel „Besonderheiten des Privatversicherungsrechts“ werden unter anderem die Koordinationsklauseln der Versicherer einer Synopse unterzogen. Ebenso fällt in dieses Kapitel die Problematik der Mehrfach- und Doppelversicherung. Mit der Verjährung und Verrechnung von Regressforderungen wird dieser Teil abgeschlossen. Im Rahmen einer Schlussbetrachtung werden Reformvorschläge gemacht, um eine Möglichkeit der Konsolidierung des Regressrechts des OR und des VVG aufzuzeigen. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse in dieser Arbeit wird unter anderem das integrale Regressrecht zugunsten des Eigenschadenversicherers vorgeschlagen. XXIV RÉSUMÉ La présente thèse a pour sujet "le droit de recours dans le cadre de la répartition des dommages entre plusieurs responsables". Le droit de la responsabilité civile étant étroitement lié à celui des assurances, la présente thèse mettra l’accent sur le rôle central joué par l’assurance privée en matière de recours. La première partie de l’étude présente les principes régissant la répartition des dommages entre plusieurs responsables. Dans le cadre de la description du système de responsabilités, l’étude aborde la question de la distinction opérée par le droit suisse entre les types de responsabilité pour faute et responsabilités causales et pose la question de la pertinence d’une telle distinction. Le système suisse de l’assurance est brièvement traité. Le rapport juridique entre le lésé et les sujets tenus à responsabilité est régi par le principe du concours de prétentions, respectivement par celui de la solidarité. Après l’analyse de ces principes, l’étude aborde la question de la limite de la solidarité. Enfin, la première partie s’achève sur une réflexion concernant le rapport juridique entre le lésé et les sujets tenus à prestations. Le contenu de la deuxième partie expose les principes régissant le droit de recours. En premier lieu, l’étude examine les rapports juridiques existant entre plusieurs sujets de responsabilité, c’est-à-dire les rapports régissant les recours. Les interprétations historiques de l’échelle des recours consacrée par l’article 51 al. 1 CO et de la norme de subrogation figurant à l’art. 72 al. 1 LCA montrent que la réglementation des recours conduit de lege lata à des résultats insatisfaisants. Une analyse du droit comparé aboutit au même résultat. Sous le titre "limitation du droit de recours" l’étude aborde le thème du droit préférentiel. Ce thème est traité plus particulièrement sous l’angle de la congruence matérielle dans l’assurance-chose. Les questions du droit préférentiel fictif, du principe de la répartition proportionnelle et de la franchise dans l’assurance-casco sont aussi abordées. De même, le présent travail examine la question du droit préférentiel en présence d’une sous-assurance. En outre, la problématique du privilège de responsabilité, respectivement du privilège de recours, en tant que facteur de limitation du droit de recours est également présentée. Enfin, cette partie s’achève avec une analyse de la question du recours de l’assureur-dommage suite à une prestation effectuée à bien plaire. Dans la troisième partie l’accent est mis sur le recours de l’assureur privé. En raison de l’importance de la pratique "Gini-Durlemann", laquelle fut élaborée par le Tribunal fédéral, celle-ci prend dans le cadre de ce travail une place centrale. A l’aide d’une interpréXXV tation méthodique, cette pratique fait l’objet d’un examen particulier. Dans une phase ultérieure l’étude se penche sur le recours de l’assureur-chose contre d’éventuels responsables. Dans le cadre de cet examen se pose notamment la question du recours contre l’employé, respectivement contre un auxiliaire. Sous le titre "Particularités du droit de l’assurance privée" sont entre autres examinées les clauses de coordination prévues par les assureurs. La problématique de la double assurance ainsi que celle de l’assurance multiple sont également regroupées dans ce chapitre. Pour conclure, les questions de la prescription et de la compensation des prétentions récursoires sont également développées. Dans le cadre de considérations finales des propositions de réforme sont présentées, destinées à consolider le droit de recours tel que prévu dans le CO ainsi que dans la LCA. Fort des connaissances acquises au long de cette étude, l’auteur propose de consacrer le droit de recours intégral de l’assureur-dommage. XXVI Einleitung Dem Haftpflicht- und Versicherungsrecht ist das Regressrecht immanent. Rein chronologisch betrachtet, steht der Regress bei einer Falllösung am Schluss. Man ist deshalb versucht, dieser Thematik erst zu einem späten Zeitpunkt die erforderliche Beachtung zu schenken. Wird hingegen die Regressproblematik zu Beginn eines Falles bedacht, kann in taktischer Hinsicht viel gewonnen werden. Das Regressrecht ist seit der Konzeption von Art. 51 Abs. 2 OR durch EUGEN HUBER mehr oder weniger ein Zankapfel, und ebenso hat sich in der Praxis gezeigt, dass die heutige gesetzliche Vorgabe schwierig zu handhaben ist. Überdies führt der (gescheiterte) Rückgriff oft zu unbefriedigenden Ergebnissen. Die schwankende bundesgerichtliche Rechtsprechung trägt zur Klärung wenig bei. Daran hat sich bis dato nichts geändert, weshalb sich eine genauere Betrachtung diesbezüglich durchaus lohnt, wenn nicht sogar aufdrängt. Eine Änderung des Regressrechts erhoffte man sich durch die Totalrevision des Haftpflichtrechts. Diese endete bekanntlich mit der Vernehmlassung des Vorentwurfs der Kommission Widmer/Wessmer.1 Der neu zusammengesetzte Bundesrat (2004) hat bei der Festlegung des Legislaturprogramms das Vorhaben der Totalrevision des Haftpflichtrechts aus der Traktandenliste gestrichen. Laut des Bundesamts für Justiz bedeutet dies, dass in den nächsten 4 Jahren der VE HPG nicht weiter verfolgt wird und somit die anstehende Revision an sich „beerdigt“ ist. Dieser Entscheid wird von vielen Seiten bedauert. Etwas Hoffnung besteht nun vor allem in der Hinsicht, dass in künftigen Teilrevisionen anderer Gesetze gewisse Problempunkte revidiert werden können. Zu denken ist etwa an die VVG-Totalrevision. Eine Kommission2 wurde dazu beauftragt, einen Vorentwurf auszuarbeiten. Die Frist war ursprünglich auf Ende 2004 gesetzt, wurde aber vom Bundesrat um ein Jahr verlängert.3 Überdies liegt schon ein Entwurf von Roland 1 2 3 Im Folgenden: VE HPG, abrufbar unter: <http://www.ofj.admin.ch/bj/de/home/themen/wirtschaft/ gesetzgebung/haftplicht.html> (besucht am 12. Dezember 2005). Sog. Kommission Schnyder. Eine Totalrevision des VVG dürfte erfahrungsgemäss etwa 5–6 Jahre in Anspruch nehmen. Der aktuelle Stand kann auch aus den Schreiben des BPV entnommen werden; vgl. dazu <http://www.finweb.admin.ch/pdf_neue_neue_Version/PDF-d/FS-TotalrevisionVVG_BPV_d.pdf > (besucht am 12. Dezember 2005). Nach Auskünften der Expertenkommission wird jedoch der Entwurf nicht vor Juni 2006 vorliegen. Aus diesem Grunde kann der VE VVG leider in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. 1 Brehm vor, der im Auftrag der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungsrecht erstellt wurde.4 Dies bedeutet für die vorliegende Arbeit, dass der VE HPG nicht berücksichtigt wird. Vielmehr wird das Hauptaugenmerk auf die Totalrevision des VVG gerichtet. Dabei geht es vordergründig um die Regressstellung des Privatversicherers, sei es als Eigenschadens- oder als Haftpflichtversicherer. Wegen der Solidarität5 im Aussenverhältnis kommt es regelmässig zur Überbeanspruchung eines Solidarschuldners. Der Ausgleich wird im Innenverhältnis mittels Regresse gesucht. So wird der Regress als Korrekturinstrument eingesetzt, um zu billigen und rechtmässigen Resultaten zu gelangen. Die vorliegende Dissertation handelt von diesem Innenverhältnis bzw. vom Regress, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Stellung des Privatversicherers im schweizerischen Regresssystem. Dabei wird das Ausgleichssystem im Sozialversicherungsrecht, welches neu im ATSG geregelt ist, nur so weit behandelt, wie es entweder auf die Regresse im Privatrecht Auswirkungen zeitigt oder deren Auslegung dienlich ist. Es wird von der These ausgegangen, dass die heutige „Gini/Durlemann-Praxis“, welche aus dem Bundesgerichtsentscheid 80 II 247 ff.6 abgeleitet wird, der Rechtsstellung des Privatversicherers im Ausgleichssystem nicht gerecht wird. Dies wirkt sich auch auf den Geschädigten aus. Um diese These zu überprüfen, werden in einem ersten Teil die Grundlagen des Schadensausgleichsrechts dargestellt. Im zweiten Teil werden die Grundlagen des Regressrechts erörtert, um dann anschliessend im dritten Teil den Regress des Privatversicherers zu analysieren. Im Rahmen einer Schlussbetrachtung werden Vorschläge für allfällige Gesetzesrevisionen gemacht. 4 5 6 Dieser Entwurf ist inkl. Kurzkommentar abgedruckt in: HAVE-Tagungsband „Retouchen und Reformen?“, Zürich 2004, S. 253 ff.; im Folgenden VE-Brehm. Zur Begriffserklärung m.w.H. vgl. hinten § 2 I 1. Pra (44) 1955, Nr. 18. 2 I. Teil: Grundlagen des Schadensausgleichsrechts § 1. Schadensausgleichssysteme I. Haftungssystem 1. Privatrechtliche Haftung A. Allgemeines Das Haftpflichtrecht bezweckt die Ausgleichung von zugefügten Schädigungen. Bereits im römischen Recht ist ein Ausgleichssystem zu finden. Neben dem Grundsatz casum sentit dominus galt schon damals als Gegenstück dazu ein culpa-orientiertes Deliktsrecht.7 Mit Einführung der Kausal- und später der Gefährdungshaftung8 wurde das reine culpa-Prinzip aufgegeben. Je nachdem aus welchem Rechtsverhältnis der Schadenersatzanspruch abgeleitet wird, sind unterschiedliche Voraussetzungen erforderlich, die erfüllt sein müssen. Der Begriff „Haftpflichtrecht“ wird regelmässig als Oberbegriff der ausservertraglichen Haftung verstanden. Darunter ist aber auch die Haftung aus Vertrag zu zählen.9 Während bei der ausservertraglichen Haftung irgendein Dritter in die subjektiven Rechte eines Rechtssubjektes eingreift und dadurch eine Obligation aus unerlaubter Handlung mit dem Geschädigten begründet, besteht bei der Vertragshaftung bereits vor der schädigenden Handlung ein Rechtsverhältnis inter partes. Als erste grosse Unterteilung des Haftpflichtrechtes ist die Unterscheidung in privatrechtliche und in öffentlich-rechtliche Normen zu nennen. Im Privatrecht gilt es weiter, ausservertragliche und vertragliche Haftungsnormen auseinander zu halten. Gestützt auf Art. 61 Abs. 1 OR existieren im öffentlichen Bereich neben den Bundesgesetzen auch kantonale Bestimmungen. Die Kantone sind jedoch nur für den Bereich der hoheitlichen Handlungen legitimiert, eigene Bestimmungen zu erlassen; betreffend gewerbliche Verrichtungen, also dort, wo der Staat dem Geschädigten gleichgeordnet ist, besteht nach 7 8 9 Rey, N 18 ff. Vgl. hinten § 1 I B. Vgl. etwa Oftinger/Stark, I, § 1 N 5; Rey, N 3 f.; Roberto, Haftpflichtrecht N 9; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 89 ff. 3 Art. 61 Abs. 2 OR keine Gesetzgebungskompetenz, weshalb in diesem Bereich die Bestimmungen des OR gelten.10 Im Folgenden werden die verschiedenen Haftungsansprüche lediglich summarisch dargestellt, um bei der späteren Auseinandersetzung in concreto darauf zurückgreifen zu können. B. Deliktshaftung i. Allgemeines In der Deliktshaftung gemäss Art. 41 ff. OR unterscheidet man gemeinhin zwischen der Verschuldens- und der Kausalhaftung.11 Letztere lässt sich weiter in eine einfache und eine strenge Kausalhaftung, die Gefährdungshaftung, unterteilen. Bei gewissen einfachen Kausalhaftungen besteht für den Verursacher die Möglichkeit, einen Entlastungsbeweis, Exzeptions-, oder auch Sorgfaltsbeweis genannt, zu erbringen. Diese Entlastungsmöglichkeit gilt beispielsweise bei der Tierhalterhaftung nach Art. 56 OR, bei der Geschäftsherrenhaftung gemäss Art. 55 OR oder bei der Haftung des Familienhauptes nach Art. 333 ZGB, nicht aber bei der Werkeigentümerhaftung im Sinne von Art. 58 OR, welche als „strengste Kausalhaftung“12 bezeichnet wird. Die Gefährdungshaftung knüpft an eine gefährliche Tätigkeit oder Anlage an. Das daraus resultierende Risiko ist zwar sozialpolitisch gebilligt, jedoch unter eine Gefährdungshaftung gestellt, meistens kombiniert mit einem Versicherungsobligatorium und einem direkten Forderungsrecht. Dadurch werden allfällige sich aus der Gefährdung ergebende Folgen abgemildert. Diese Unterscheidung ist nicht unbestritten. So wird von einem Teil der Lehre aus der Möglichkeit der Erbringung des Sorgfaltsbeweises abgeleitet, dass es sich hierbei um eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr handle.13 10 11 12 13 Statt aller: Roberto, Haftpflichtrecht, N 527. Vgl. etwa Oftinger/Stark, I, § 1 N 114 ff.; Rey, N 57 ff. Urteil des BGer vom 2. März 2005, 4C.386/2004, E. 2.2. Roberto, Haftpflichtrecht, N 35 f. m.w.H. 4 ii. Rechtsnatur des Haftungsanspruchs Der Haftungsanspruch aus Delikt ist ein privatrechtlicher Anspruch, da zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten durch den Eingriff in die subjektiven Rechte eine Obligation bzw. ein Schuldverhältnis14 entsteht. Sind die Haftungsvoraussetzungen15 erfüllt, so kann der Anspruch nach den zivilprozessrechtlichen Grundsätzen und/oder dem SchKG durchgesetzt werden. iii. Verhältnis zwischen Verschuldens- und Kausalhaftung In der Doktrin ist das Verhältnis zwischen der Verschuldenshaftung als Grundtatbestand und der Kausalhaftung als Spezialtatbestand seit jeher umstritten. Es stellt sich nämlich die Frage nach der anwendbaren Norm, d.h., ob neben einer Haftung aus Gesetz unter Umständen alternativ eine Verschuldenshaftung angerufen werden kann. Während ein Teil der Doktrin dem Grundsatz der Ausschliesslichkeit, auch Exklusivität genannt, den Vorzug gibt,16 verficht ein anderer Teil den Grundsatz der Alternativität, auch Konkurrenz genannt.17 Im ersten Fall schliesst ein Haftungsgrund den anderen aus, nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali. Im zweiten Fall kann der eine oder der andere Haftungsgrund geltend gemacht werden. Diese Frage ist vor allem wegen der „Gini/Durlemann-Praxis“18 von Bedeutung. Die Verfechter der Alternativität führen zu Recht aus, dass es verwirrend wäre, wenn eine Sonderbestimmung, die eine Kausalhaftung vorsieht und somit per definitionem die Rechtslage des Opfers verbessern wollte, letztlich im Regress zu deren Verschlimmerung führte.19 Selbst die Vertreter des Ausschliesslichkeitsprinzips schreiben diesem lediglich eine relative Tragweite zu und argumentieren, dass das Spezialgesetz nur so- 14 15 16 17 18 19 Hier ist das Schuldverhältnis in Sinne der Summe der Verpflichtungen zwischen Privaten gemeint, welche auf einen bestimmten Rechtsgrund zurückgehen. Vgl. zum Ganzen etwa Wiegand, S. 85 ff. Rechtswidrigkeit, Kausalzusammenhang, Schaden und je nachdem Verschulden oder Misslingen des Sorgfaltsbeweises. So etwa Oftinger/Stark, II/1, § 19 N 21 f.; Schnyder, OR I, Art. 58 N 3 f. Vgl. etwa BK-Brehm, Art. 51 N 55 f.; Keller/Gabi, 145; Maurer, Harmonisierung, S. 106; Oswald, S. 30; so bereits Hartmann, S. 63; ebenso BGE 107 II 496. BGE 80 II 247 ff. = Pra (44) 1955, Nr. 18. Bei diesem Entscheid wurde die Praxis entwickelt, den Schadensversicherer in die mittlere Stufe der Kaskade von Art. 51 Abs. 2 OR zu stellen und ihm den Regressanspruch gegen Vertragshaftende lediglich bei grobfahrlässiger Handlung zu gewähren; für weitere Einzelheiten vgl. hinten § 9 I ff. So etwa Portmann, SVZ, S. 35 m.w.H. 5 weit Vorrang vor der allgemeinen Bestimmung haben solle, als es die Haftungsbedingungen verschärfe. In BGE 80 II 247 ff. stellte das Bundesgericht fest, dass dort, wo ein Tatbestand von Art. 55 OR erfasst wird, allein diese Vorschrift anwendbar sei und nicht parallel dazu Art. 41 OR tangiert werde. Dem wird zum Teil entgegengehalten, dass dessen ungeachtet einem Geschäftsherrn ein Verschulden angelastet werden könne, wenn sein persönliches Verhalten als schuldhaft zu qualifizieren sei.20 Der BGE 108 II 55 ff. wird regelmässig von den Gegnern des Konkurrenzprinzips herangezogen, indem sie es so auslegen, dass ein allfälliges Verschulden des Werkeigentümers als zusätzliches Verschulden zu betrachten sei und damit das Bundesgericht stillschweigend die Exklusivität von Art. 58 OR als Spezialnorm bejaht habe. Dieses Urteil kann nach meinem Dafürhalten aber auch anders gelesen bzw. interpretiert werden, zumal das Bundesgericht ausführt, dass es z.B. bei der Kollision von Motorfahrzeugund Tierhalterhaftung üblich sei, von einer Aufteilung des Schadens im Verhältnis 2:3 bis 1:3 zulasten des Motorfahrzeughalters auszugehen. Werde zum Werkmangel ein zusätzliches Verschulden des Werkeigentümers in Betracht gezogen, so rechtfertige es sich, diesen mit zwei Dritteln des Schadens zu belasten. Daraus kann ebenso gut die Bekennung zur Alternativität gefolgert werden. Im BGE 107 II 496 erwähnt das Bundesgericht – der Vollständigkeit halber, wie es anmerkt –, dass im Fall der Kausalhaftpflicht mit der Frage des Regresses nach Art. 72 Abs. 1 VVG und Art. 51 Abs. 2 OR jeweils zu prüfen sei, ob dem Kausalhaftpflichtigen zusätzlich ein Verschulden angelastet werden könne. Treffe dies zu, stehe dem Versicherer, der Entschädigungsleistungen erbracht hat, der Rückgriff auf den Haftpflichtigen zu. In diese Richtung ging das Bundesgericht auch schon im BGE 104 II 28. In der Methodenlehre findet man überdies die Auffassung, dass dem Spezialitätsgrundsatz nicht unkritisch-mechanisch begegnet werden dürfe. Vielmehr müsse ein sog. Günstigkeitsvergleich angestellt werden.21 Aufgrund dieser Aussage und der obigen Ausführungen ist meines Erachtens Folgendes festzustellen: Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vergrössert sich die Haftungsquote, wenn den Werkeigentümer auch zusätzlich ein Verschulden trifft. Daraus lässt sich ableiten, dass es eine Differenzierung 20 21 Vgl. statt vieler: Oftinger, Bemerkungen, S. 172, wo er zudem festhält, dass es schwer einzusehen sei, dass in casu Gini nicht ebenfalls ein Verschulden treffe usw. So etwa Kramer, S. 113 ff. m.w.H. 6 zwischen der Kausalhaftung als solcher und der Verschuldenshaftung gibt. So war die Absicht des Gesetzgebers, durch die Schaffung von Spezialtatbeständen die Haftpflicht der Verursacher zu verschärfen. Die ratio legis liegt demnach in einer Besserstellung des Opfers, nicht aber in einer Diskriminierung des subrogierenden22 Leistungspflichtigen. Somit wäre es nicht richtig, wenn beispielsweise ein Sachversicherer nicht auf einen Werkeigentümer Regress nehmen könnte, wenn diesem kein zusätzliches Verschulden im Sinne von Art. 41 OR vorwerfbar wäre. Es ist anzunehmen, dass selbst die Vertreter der Exklusivität nicht an das Regressverhältnis dachten, sondern lediglich den Anspruch des Geschädigten in Betracht gezogen haben.23 In der Lehre wird eine neue Theorie für die systematische Einstufung vertreten: Die Idee liegt darin, dass die speziellen Haftungstatbestände des OR als Haftungen für vermutete Sorgfaltspflichtverletzungen qualifiziert werden.24 Dadurch werden diese Tatbestände als vermeintliche reine Kausalhaftungen dargestellt, da aufgrund dieser Auffassung auch die Kausalhaftungen unter die Verschuldenshaftung fallen. Somit handelt es sich um eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr.25 Bei der Tierhalter- und bei der Geschäftsherrenhaftpflicht ist von einer erforderlichen Sorgfalt die Rede. Anders bei der Werkeigentümerhaftung, bei welcher nach dem Wortlaut des Gesetzes die Sorgfalt nicht als Voraussetzung gilt. SCHWENZER führt insbesondere ins Feld, dass jede Haftpflicht, eben auch jene des Werkeigentümers, auf mangelhafter Sorgfalt beruhe, was faktisch einem Verschulden gleichkomme.26 In diese Richtung geht auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung, insbesondere im Zusammenhang mit der Verkehrssicherungspflicht bei Skipisten. In mehreren neueren Urteilen führt das Bundesgericht aus, es könne offen bleiben, auf welche Grundlage sich der Haftpflichtanspruch stütze. Vielmehr sei von Interesse, ob die Skipiste den massgebenden Sicherungsanforderungen entsprach.27 Indem im Weiteren jeweils auch die Verhältnismässigkeit und die Zumutbarkeit vorausgesetzt werden, geht die Rechtsprechung des Bundesgerichts in Richtung Zurechnung von Sorg- 22 23 24 25 26 27 Vgl. hinten § 2 I B. Im Ergebnis gl.M. Kramer, S. 117 f. Roberto, Haftpflichtrecht, N 296, 424, 554; Roberto, Verschuldenshaftung und einfache Kausalhaftungen: eine überholte Unterscheidung?, in: AJP 2005, S. 1325 ff.; Schwenzer, N 49.09; Honsell, Haftpflicht, § 1 N 23. Roberto, Haftpflichtrecht, N 35. Schwenzer, N 49.09; a.M. Honsell, Haftpflicht, § 1 N 23. BGE 130 III 195 f.; 126 III 116 = Pra (89) 2000, Nr. 185; vgl. ferner auch BGE 131 III 116 f., wonach die Frage, ob es sich bei der Tierhalterhaftung um eine gewöhnliche Kausalhaftung mit Befreiungsmöglichkeit oder um eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast handle, kaum praktische Bedeutung habe. 7 faltspflichten, welche wiederum lediglich beim Element Verschulden eingeordnet werden können. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass aufgrund der neueren Lehre und Rechtsprechung die Unterscheidung zwischen einfacher Kausal- und Verschuldenshaftung im Ergebnis zu Makulatur wird. Für die Einstufung der einfachen Kausalhaftung in die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR müsste dies infolgedessen zur Konsequenz haben, dass Vertragshaftende auch auf einfache Kausalhaftende Regress nehmen könnten. Dieser Feststellung steht jedoch die „Gini/Durlemann-Praxis“ und der Wortlaut von Art. 51 Abs. 2 OR entgegen.28 C. Vertragshaftung i. Allgemeines Mit der Vertragshaftung im Sinne des Haftpflichtrechtes sind die Tatbestände der positiven Vertragsverletzung, auch nichtgehörige Erfüllung genannt, sowie die Verletzung von Nebenpflichten wie Sorgfalts-, Treue- und Schutzpflichten gemeint.29 Der eine Kontrahent wird bei der Vertragserfüllung durch den Vertragspartner oder durch eine mangelhafte Sache bzw. einen Werkmangel in seinem Eigentum oder in seiner Integrität verletzt und dadurch geschädigt. Die Haftung richtet sich nach dem Grundtatbestand von Art. 97 OR. Nicht darunter zu subsumieren sind etwa die Verzugsregeln, die Nichterfüllung bzw. die Unmöglichkeit oder die Gewährleistung aus Kauf- und Werkvertrag. ii. Rechtsnatur des Haftungsanspruchs Zwischen der Vertragshaftung und der Deliktshaftung besteht Anspruchskonkurrenz.30 Der Vorteil der Vertragshaftung liegt bekanntlich in der Verschuldensvermutung mit Exkulpationsmöglichkeit und in den längeren Verjährungsfristen. Dadurch erklärt sich 28 29 30 Für weitere Ausführungen vgl. hinten § 9. Vgl. dazu Wiegand, S. 85 ff. Statt vieler: Bucher, S. 337. 8 auch die „Flucht ins Vertragsrecht“, wie manchmal in der Lehre31 das Aufkommen der Vertrauenshaftung32 genannt wird. Für den vorvertraglichen Bereich gilt das Rechtsinstitut der von RUDOLF VON JHERING entwickelten culpa in contrahendo.33 Auch hier ist höchst umstritten, ob der Anspruch ausservertraglicher oder vertraglicher Natur ist.34 In dieser Arbeit wird nicht näher auf diese Problematik eingegangen. 2. Staatshaftung Die Haftung des Bundes für den Bereich der hoheitlichen Tätigkeit wird durch Art. 146 BV bestimmt, worin eine Kausalhaftung für widerrechtliche Schädigung vorgesehen ist. Ebenso ist auch in den meisten Kantonsverfassungen eine Staatshaftung verankert.35 Sodann enthält Art. 61 Abs. 1 OR eine Gesetzgebungskompetenz zugunsten der Kantone und des Bundes. Für den Bund gilt grundsätzlich das VG. Vom Geltungsbereich des VG sind hingegen gemäss Art. 1 Abs. 2 VG die Angehörigen der Armee mit Bezug auf ihre militärische Stellung und ihre dienstlichen Pflichten ausgenommen. Die Haftung richtet sich diesfalls nach Art. 60 ff. BZG. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von weiteren Haftungsbestimmungen des Bundes, wie namentlich die Umwelthaftung nach Art. 59a USG oder ferner die subsidiäre Haftung des Bundes im Sinne von Art. 16 Abs. 1 KHG.36 Praktisch alle Kantone haben von ihrer Kompetenz Gebrauch gemacht und eigene Staatshaftungsgesetze erlassen. Die meisten Kantone und auch der Bund haben sich für das System der Kausalhaftung entschieden.37 Tritt der Staat nicht hoheitlich, sondern gewerblich auf,38 so kommen laut Art. 61 Abs. 2 OR die Haftpflichtbestimmungen des OR und des ZGB zur Anwendung. Von Bedeutung 31 32 33 34 35 36 37 38 Roberto, Haftpflichtrecht, N 275. Vgl. zu diesem Rechtsinstitut etwa Walter, Vertrauenshaftung im Umfeld des Vertrages, in: ZBJV 1996, S. 273; Kuzmic, „Haftung aus Konzernvertrauen“, Diss. Zürich 1998. Bucher, S. 277 ff. m.w.H. Vgl. zu diesem Rechtsinstitut etwa Roberto, Haftpflichtrecht, N 283, 569; Bucher, S. 277 ff.; Guhl/Koller, § 13 N 2 ff. Gross, Staatshaftung, S. 19. Es kann nicht weiter auf die einzelnen besonderen Haftungen des Bundes eingegangen werden; für eine umfassende Darstellung vgl. Gross, Staatshaftung, S. 24 ff. Für Einzelheiten vgl. statt vieler: Gross, Staatshaftung, S. 55 ff. Die Abgrenzung zwischen privat- und öffentlich-rechtlicher Haftung des Gemeinwesens bereitet unter Umständen Mühe; vgl. dazu Gross, Staatshaftung, S. 111 ff. 9 sind diesbezüglich die folgenden Tatbestände: die Geschäftsherrenhaftung nach Art. 55 OR, die Tierhalterhaftung nach Art. 56 OR, die Werkeigentümerhaftung nach Art. 58 OR, die auch für Strassen gilt, die Haftung des Anstaltsinhabers nach Art. 333 ZGB und die Grundeigentümerhaftung nach Art. 679 ZGB. Die Unterscheidung in öffentlichrechtliche und privatrechtliche Haftungsnormen ist vor allem bezüglich der unterschiedlichen Verfahrenswege39 und der Einstufung in die Regresskaskade von Bedeutung. II. Versicherungssystem 1. Privatversicherung A. Allgemeines Im Versicherungssystem ist das Solidaritätsprinzip verankert.40 Zahlreiche Personen schliessen sich durch Zahlung einer Prämie zu einer Gefahren- oder Risiko- bzw. einer Versichertengemeinschaft zusammen. Dabei steht die Prämienhöhe in Relation zur Höhe des versicherten Risikos. Aus volkswirtschaftlicher Sicht liegt eine Umverteilung von Volksvermögen vor, wenn Prämiengelder einem oder mehreren Versicherten bei Eintritt eines versicherten Ereignisses zukommen.41 In der Privatassekuranz können die unterschiedlichsten Risiken und Objekte bzw. Subjekte versichert werden. Bei den Sachversicherungen etwa Gebäude, Hausrat, Wertsachen, Geschäftsinventar, Motorfahrzeuge usw., bei den Personenversicherungen Heilungskosten, Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Tod usw. und bei den Vermögensversicherungen Befriedigung oder Abwehr von Schadenersatzforderungen, Reisezwischenfall, Rechtsschutz usw. B. Rechtsnatur des Privatversicherungsverhältnisses Das Versicherungsverhältnis zwischen einer natürlichen oder juristischen Person und einer Versicherungsgesellschaft entsteht durch Abschluss eines Vertrages gemäss den 39 40 41 Vgl. dazu und zum Rechtswidrigkeitsbegriff im Besonderen: Roberto, Haftpflichtrecht, S. 151 ff. Maurer, PVR, S. 41. Dieser Grundsatz gilt nicht für alle Versicherungsgebiete in gleichem Ausmass; nicht so ausgeprägt ist die Solidarität beispielsweise im Bereich der beruflichen Vorsorge. Vgl. dazu auch Maurer, PVR. S. 43 f. 10 Bestimmungen von Art. 1 ff. VVG und ergänzend, im Sinne der Subsidiarität gemäss Art. 100 VVG, auch gemäss den Bestimmungen von Art. 1 ff. OR. Daraus ergibt sich grundsätzlich die aus Art. 19 OR resultierende Vertrags- bzw. Abschlussfreiheit, mit gewissen Einschränkungen oder Auflagen: so etwa durch die Aufsicht des Bundes gemäss VAG oder durch die zwingenden Bestimmungen des VVG.42 Zudem setzt das Kartellrecht gewisse Schranken. Der Versicherungsvertrag ist grundsätzlich im VVG geregelt, wobei nicht jeder Versicherungsvertrag dem VVG untersteht. Der sachliche Geltungsbereich ist in Art. 101 VVG – mittels eines Negativkataloges – festgehalten. Für jene Rechtsverhältnisse, welche nicht unter den Anwendungsbereich des VVG fallen oder für die das VVG keine Vorschriften enthält, gilt nach Art. 101 Abs. 2 VVG bzw. Art. 100 VVG subsidiär das OR. Betreffend die Auslegung von Versicherungsverträgen gelten neben Art. 33 VVG die allgemein für das Privatrecht von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze und Auslegungsmethoden. Sie werden hier nicht weiter dargelegt.43 2. Sozialversicherung A. Allgemeines Die einzelnen Sozialversicherungszweige gründen einerseits auf den jeweiligen Bundesund Kantonsgesetzen und andererseits auf dem ATSG. Am 1. Januar 2003 ist das ATSG in Kraft getreten mit dem Ziel, bestimmte Sozialversicherungszweige zu vereinheitlichen. So gesehen ist das ATSG ein Rahmengesetz. Dies ergeht aus Art. 2 ATSG, wonach die Bestimmungen des ATSG auf bundesgesetzlich geregelte Sozialversicherungen anwendbar sind, soweit die einzelnen Sozialversicherungsgesetze es vorsehen und keine Spezialbestimmungen enthalten. Die Sozialversicherungsgesetze decken die wirtschaftlichen Folgen von eingetretenen Risiken, welche etwa die Folgenden sind: Krankheit (IVG, KVG, UVG, BVG), Unfall (IVG, UVG, MVG, KVG, BVG), Arbeitslosigkeit (AVIG), Alter (AHVG, BVG), Tod (IVG, UVG, MVG, BVG), fehlende Existenzmittel (ELG) usw. 42 43 Aufgelistet in Art. 97 Abs. 1 VVG. Vgl. für Einzelheiten etwa Kramer, S. 47 ff. 11 B. Rechtsnatur des Sozialversicherungsverhältnisses Das Rechtsverhältnis zwischen den versicherten Personen und den Trägern der Sozialversicherung ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen.44 Die Rechtsbeziehungen werden einerseits durch das Gesetz oder durch einen sog. Typenvertrag, beispielsweise geregelt in Art. 59 UVG, begründet. Einzelne Zweige – wie UVG, KVG, BVG – sehen Auffangeinrichtungen, namentlich in Form von Ersatzkassen, so etwa Art. 72 UVG, vor. Sodann ist eine freiwillige Versicherungsunterstellung möglich, vorgesehen beispielsweise in Art. 4 f. UVG. Es kommen die allgemeinen Verfassungsgrundsätze zur Anwendung: so das Legalitätsprinzip, das Gebot von Treu und Glauben, der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, die Gewährung des rechtlichen Gehörs, die Rechtsgleichheit und teilweise auch die Offizialmaxime gemäss Art. 43 ATSG. Die meisten Sozialversicherungsträger, sog. Verwaltungen, regeln den Einzelfall mit der versicherten Person bei gewichtigen Entscheiden mittels Verfügung. Eine Ausnahme bildet der Leistungsentscheid der beruflichen Vorsorgeeinrichtung. Das Verfahrensrecht richtet sich grundsätzlich nach den Art. 34 ff. ATSG. Solange das Verfahrensrecht im ATSG nicht abschliessend geregelt ist, kommt im Sozialversicherungsverfahren gemäss Art. 55 Abs. 1 ATSG subsidiär das VwVG zur Anwendung. Ebenfalls nach Art. 61 ATSG richtet sich das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht nach kantonalem Recht. Das kantonale Recht wird aber von einem grösseren Katalog von Verfahrensregeln, welche in Art. 61 lit. a–i ATSG geregelt sind, bestimmt.45 44 45 Locher, § 1 N 37. Vgl. dazu etwa Freivogel, S. 112 ff. 12 § 2. Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Schadensausgleichspflichtigen I. Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtigen 1. Anspruchskonkurrenz/Solidarität A. Echte und unechte Solidarität Das gemeinsame Einstehen für eine Gesamtschuld46 gegen aussen – das sog. Aussenverhältnis – war bereits im römischen Recht verankert.47 Als eine Art „ungeschriebener Rechtssatz“ wurde die Solidarität überliefert.48 Die solidarische Haftung einer Mehrheit wurde sodann von OFTINGER49 als ungeschriebener Fundamentalsatz des Haftpflichtrechts bezeichnet. Die Solidarität kann durch Willenserklärung oder ex lege entstehen. Heute ist im schweizerischen Privatrecht an verschiedensten Orten die Solidarität gesetzlich verankert.50 Entsteht ein solches Solidarschuldnerverhältnis, wird auch von einem gesetzlichen Schuldverhältnis gesprochen.51 Aufgrund der Systematik des OR unterscheidet das Bundesgericht zwischen echter und unechter Solidarität.52 Bezüglich des Haftpflichtrechts setzt die echte Solidarität ein gemeinsames Verschulden voraus, bei Haftung aus verschiedenen Rechtsgründen liegt gemäss Art. 51 Abs. 2 OR Anspruchskonkurrenz bzw. unechte Solidarität vor.53 Im Sinne der Solidarität entsteht eine Gemeinschaft der Haftpflichtigen, die sog. Solidarschuldnergemeinschaft. Davon gilt es allfällige neutrale Leistungspflichtige54 zu unterscheiden, welche neben dieser Haftungsgemeinschaft unter Umständen dazugehören. Primär sind darunter Versicherungen zu zählen, insbesondere Eigenschadensversiche- 46 47 48 49 50 51 52 53 54 Im Folgenden wird hauptsächlich von "Solidarität" gesprochen. Dabei geht es nicht um die Solidarität im volkswirtschaftlichen Sinne betreffend etwa die Sozialversicherungen. Dazu auch Nobel, S. 104. So etwa Oftinger, I, S. 337; Rey, N 1404 m.w.H. Oftinger, I, S. 337. So etwa in Art. 143 ff. OR, Art. 506 OR, Art. 544 Abs. 3 OR, Art. 568 Abs. 1 OR, Art. 603 Abs. 1 ZGB, Art. 60 Abs. 1 SVG usw. Schaer, Grundzüge, N 521 mit Bezugnahme auf die deutsche Lehre. Weitergehend dazu etwa Wiegand, S. 85 ff. BGE 119 II 131, 115 II 45, 112 II 143, 104 II 229 ff.; gegen diese Unterscheidung etwa Keller, Haftpflicht II, S. 176 f. Statt vieler: Bucher, S. 498 f. Schaer, Grundzüge, N 472 ff., spricht in diesem Zusammenhang von Gemeinschaft der Ersatzpflichtigen; in diesem Sinne auch Oftinger/Stark, I, § 11 N 65; vgl. dazu hinten § 9 III. 13 rungen55. Hier geht es primär um die Frage, ob die Versicherungsleistungen kumuliert werden dürfen oder nicht. Wenn nicht, dann gilt es in einem zweiten Schritt die Leistungen – unter Berücksichtigung der Überentschädigungsgrenze – zu koordinieren. Es wird also eine Koordinationsgemeinschaft gebildet. Um diese Schicksalsgemeinschaft zu regeln, existieren zahlreiche Instrumente: Zu denken ist beispielsweise an das Quotenvorrecht oder das Regressprivileg usw. BREHM hingegen vertritt die Ansicht, dass zwischen den Versicherungen und den Haftpflichtigen überhaupt keine Solidarität bestehe, dies mangels Identität des Schadens.56 Diese Lehrmeinung übersieht meines Erachtens, dass die vertragliche Leistungspflicht des Versicherers exakt der Schadenhöhe entspricht, sofern die versicherte Summe nicht überschritten wird. Das Regressrecht des Versicherers ist ohnehin unbestritten, weshalb dieser Auseinandersetzung über die Solidarität im Grunde genommen keine weitergehende Bedeutung zukommt. Im Folgenden wird es hauptsächlich darum gehen, wie diese Koordinationsgemeinschaft im Aussen- und im Innenverhältnis aussieht und welche Regeln zu gelten haben. Zudem wird in dieser Arbeit hauptsächlich die unechte Solidarität behandelt, da sie in der Praxis die zentrale Rolle spielt und vor allem hier die rechtlichen Probleme liegen. B. Relevanz der Unterscheidung i. Verjährungsunterbrechung und Subrogation Die Unterschiede zwischen der echten und der unechten Solidarität werden in der Doktrin als gering eingestuft – es wird gar von einem „fragwürdigen Wert“57 gesprochen. Die vordergründigen Unterschiede sind etwa die Verjährungsunterbrechung und die Subrogation58. Bei der echten Solidarität wirkt eine Unterbrechungshandlung gegenüber allen Mithaftenden im Sinne von Art. 136 OR. Diese Wirkung gilt nicht bei der Anspruchskonkurrenz59, da diese Bestimmung restriktiv auszulegen ist.60 Bei der Anspruchskonkurrenz erfolgt keine Subrogation der Forderung des Geschädigten gegenüber weiteren 55 56 57 58 59 60 Sach-, Hausrat-, Gebäude-, Kaskoversicherungen usw. Brehm, contrat, N 634 und N 637. So Bucher, S. 499. Mit der „Subrogation“ gehen die Ansprüche des Geschädigten von Gesetzes wegen auf einen Ersatzpflichtigen oder einen Versicherer über, der Zahlung geleistet hat; vgl. hinten § 5 I. BGE 69 II 162 ff.; 106 II 250 ff.; 112 II 138 ff. BK-Brehm, Art. 51 N 20 m.w.H. 14 Mitschuldnern auf den Leistenden. Vielmehr besitzt er – wie bereits gezeigt wurde61 – einen sog. Ausgleichsanspruch originärer Art. ii. Reduktionsgründe Das im Rahmen der Festsetzung der Schadenersatzhöhe eingeräumte richterliche Ermessen gemäss Art. 43 und 44 OR bereitet bei der Festsetzung der Solidaritätsgrenze erhebliche Schwierigkeiten. Unbestritten sind jene Umstände, für die der Geschädigte selbst einzustehen hat – wie Selbstverschulden, konstitutionelle Prädisposition usw.62 Dieser beim Geschädigten liegende Risikobereich bestimmt die Grenzen der Solidarität, analog der Situation, in welcher lediglich ein Haftpflichtiger den Schaden verursacht hat. Demgegenüber sind jene Umstände, welche den Schädiger betreffen, in der Doktrin höchst umstritten. Zahlreiche Autoren63 vertreten die Auffassung, dass die Mithaftung einerseits die eigene Haftpflicht nicht schmälert, die Solidarität aber andererseits nie dazu führt, dass eine Person wegen der Mithaftung anderer mehr leisten muss als ohne diese. Die Grenze der Solidarität bildet nach dieser Lehrmeinung die eigene persönliche Haftpflicht gegenüber dem Geschädigten, so wie sie bestünde, wenn er allein haften würde. Demgegenüber sehen die Gegner der vorgenannten Ansicht64 den Grundsatz der Solidarität erst dann verwirklicht, wenn im Aussenverhältnis jegliche Geltendmachung von Herabsetzungsgründen individueller Art ausgeschlossen ist. Während die Rechtsprechung bei der echten Solidarität einheitlich ist und die persönlichen Herabsetzungsgründe nicht zugelassen werden,65 ist das Bundesgericht bezüglich unechter Solidarität schwankend.66 Die folgende Kasuistik soll einen kleinen Überblick verschaffen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen: 61 62 63 64 65 66 Vgl. hinten § 5 IV. Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 877. Roberto, Haftpflichtrecht, N 550; Gauch/Schluep/Rey, Nr. 3941; Honsell, Haftpflicht, § 11 N 20; Keller/Gabi, S. 139 f.; Maurer, PVR, S. 416; Oftinger/Stark, I, § 10 N 33, und Oftinger, I, S. 345; Schaer, Grundzüge, N 503, Schaffhauser/Zellweger, N 1453; Spiro, S. 456 Anm. 9; Keller, Haftpflicht II, S. 179; Oswald, S. 25; Portmann, SVZ, S. 35. Statt vieler: BK-Brehm, Art. 50 N 43 m.w.H. auf die Doktrin; zurückhaltend OR-Schnyder, Art. 51 N 9. BGE 89 II 122 f.; 55 II 315. A.M. OR-Schnyder, Art. 51 N 9, wo aus der Bundesgerichtspraxis, insb. BGE 112 II 143 f. und BGE 113 II 330 f., geschlossen wird, dass zwischen echter und unechter Solidarität nicht mehr unterschieden werde; vgl. ferner auch ZWR, S. 60 ff., wo die Möglichkeit der Herabsetzung bei echter und unechter Solidarität grundsätzlich bejaht wurde. 15 In BGE 127 III 265 f. hält das Bundesgericht fest, dass die Herabsetzung nach Art. 43 Abs. 1 OR im externen Verhältnis der unechten Solidarität zwar nicht ausgeschlossen, dass dabei aber grosse Zurückhaltung angezeigt sei, weil andernfalls der Grundsatz der Solidarität in Frage gestellt würde. In BGE 93 II 333 ff. macht es im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zur Rechtskraftwirkung allgemeine Ausführungen hinsichtlich der Tragweite der Solidarität. Dabei äussert sich das Bundesgericht implizit für die persönlichen Herabsetzungsgründe bei der Solidarität, macht jedoch zugleich wieder darauf aufmerksam, dass die Solidarität Gläubiger- und nicht Schuldnerschutz sei. Man darf bei diesen Erörterungen aber nicht übersehen, dass es vorliegend um die Rechtskraft geht und nicht direkt um die Grenzen der Solidarität. In BGE 97 II 345 wird insbesondere erwähnt, dass das Selbstverschulden des Verletzten nicht stets dasselbe Gewicht habe, sondern je nach Haftungstatbestand mehr oder weniger ins Gewicht falle. Im vorliegenden Urteil ist vor allem interessant, dass ohne weitere Ausführungen völlig selbstverständlich die verschiedenen Haftungsquoten bereits im Aussenverhältnis individuell festgelegt wurden. Dabei darf ausser Acht gelassen werden, dass das Bundesgericht in casu auch das Innenverhältnis mit berücksichtigt hat. Dies geht aus E.6 hervor, in der die offene Differenz auf einen anderen Beklagten abgewälzt wurde. In BGE 90 II 12 f.67 hat das Bundesgericht das jugendliche Alter von 12 Jahren im Zusammenhang mit dem Lösen von Schraubenmuttern an einem Hochspannungsleitungsmasten zwar im Regress gewürdigt, auch wenn die exakte Reduktion nicht explizit dem Urteil zu entnehmen ist, zumal noch weitere Herabsetzungsgründe, welche dem Geschädigten zuzurechnen waren, eine Reduktion bewirkten. Zudem gilt es zu beachten, dass im vorliegenden Urteil der endgültige Ausgleich im Innenverhältnis angesprochen ist und nicht die Solidaritätsgrenze im Aussenverhältnis. Aus den Äusserungen des Bundesgerichts in BGE 130 III 603 geht hervor, dass es im Aussenverhältnis nur dann zu einer Haftungsreduktion kommen könne, wenn das Drittverschulden dem Geschädigten über die Hilfspersonenhaftung zuzurechnen sei. Daraus geht implizit hervor, dass reines Drittverschulden die Solidarität nicht zu schmälern vermag. 67 Pra (53) 1964, Nr. 57. 16 iii. Stellungnahme Auch wenn die Unterschiede zwischen echter und unechter Solidarität als gering eingestuft werden können, stellt sich meines Erachtens die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt ist, zwischen zwei Solidaritätstypen zu unterscheiden. Wenn schon keine echte Solidarität vorliegt, gelangen diesfalls überhaupt die Bestimmungen von Art. 143 ff. OR über die Solidarität mit all ihren Konsequenzen zur Anwendung? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Die Doktrin und auch die Judikatur haben das Problem zwar erkannt, begnügen sich aber mit der Argumentation, dass aufgrund des Gesetzeswortlauts „entsprechend“ die Solidarität per analogiam auch für die Anspruchskonkurrenz gelte.68 Dass mindestens eine analoge Anwendung vom Gesetzgeber gewollt war, lässt sich kaum bestreiten. Umso mehr drängt sich die Frage auf, weshalb, wie das Bundesgericht ausführt, die Subrogationswirkung gestützt auf Art. 149 OR nicht auf die unechte Solidarität angewendet werden könne. Dass diese Frage nicht bloss von akademischem Interesse ist, zeigt sich insbesondere bei der Diskussion über die Möglichkeit der Einrede der persönlichen Herabsetzungsgründe. Zudem ist in einem Haftpflichtprozess des Geschädigten gegen einen unechten Solidarschuldner von Interesse, ob die im Aussenverhältnis nicht in Anspruch genommenen Mitschuldner eine Solidargemeinschaft im Sinne von Art. 145 OR und somit in diesem Sinne auch eine Pflichtgemeinschaft zur Abwehr von Ansprüchen bilden.69 Die Haltung des Bundesgerichts ist inkonsequent, wenn die Regeln über die Solidarität an sich angewendet werden, gleichzeitig aber die Subrogationswirkung ausgeschlossen wird. C. Differenzierte Solidarität i. Allgemeines Im Aktienrecht ist in Art. 759 OR die sog. differenzierte Solidarität statuiert. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung geht die Verantwortlichkeit nur so weit, wie der Organperson „der Schaden aufgrund ihres eigenen Verschuldens und der Umstände persönlich zurechenbar ist“. Damit gilt zwar echte Solidarität im Aussenverhältnis. Der individuelle Ersatzan- 68 69 BK-Brehm, Art. 51 N 17; Oftinger/Stark, I, § 10 N 13 ff.; Fellmann, Regress und Subrogation, S. 8 f.; vgl. etwa BGE 112 II 143, 104 II 231 f., 97 II 343 f. Guldener, S. 313. 17 spruch des Verantwortlichen richtet sich jedoch nach dem eigenen Verschulden und der adäquat kausalen Verursachung.70 Das Besondere bei der aktienrechtlichen Regelung wird in Abs. 2 derselben Bestimmung verankert,71 in dem der Gesetzgeber eine Verfahrensregel vorgesehen hat, welche dem Aktionär die Verantwortlichkeitsklage erleichtern soll. Der Kläger kann nämlich mehrere Beteiligte gemeinsam für den Gesamtschaden72 einklagen und verlangen, dass der Richter im gleichen Verfahren die Ersatzpflicht jedes einzelnen Beklagten festsetzt. Dadurch wird der Kläger vom Prozessrisiko soweit befreit, dass er nicht schlechter dasteht, als wenn lediglich ein potenzieller Haftpflichtiger beklagt werden müsste. Der Gesetzgeber wollte de facto eine Entlastung für den Kläger erreichen. Das Bundesgericht hat in BGE 122 III 325 ff.73 geprüft und zugleich festgehalten, dass der Kläger, wenn er mehrere Beteiligte gemeinsam für den Gesamtschaden einklagt, das Risiko der Gerichts- und Prozesskosten nur gegenüber einer einzigen Gegenpartei und nicht gegenüber jedem Beklagten trägt.74 Diesen Grundsatz präzisierte das Bundesgericht in BGE 125 II 138 ff. dahingehend, dass eine differenzierte Parteientschädigung der Beklagten sich dann rechtfertige, wenn diese begründeten Anlass hatten, sich einzeln oder in Gruppen vertreten zu lassen. Mit diesem gesetzgeberischen Kunstgriff wird dem Kläger eindeutig eine komfortablere Prozessstellung eingeräumt, als wenn er sich der einfachen Streitgenossenschaft bedienen müsste. Vor dieser Bestimmung konnten mehrere potenziell Haftpflichtige zu einer einfachen Streitgenossenschaft zusammengefasst werden, zumal die Voraussetzungen – gleiche Zuständigkeit, gleiche Verfahrensart und innerer Zusammenhang – regelmässig gegeben waren. In diesem Fall trug aber der Kläger das Kostenrisiko gegenüber jedem ganz oder teilweise obsiegenden Beklagten.75 70 71 72 73 74 75 Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, § 36 N 107. Sog. Lex David. In dieser Arbeit wird die aktienrechtliche Verantwortlichkeit nicht weiter vertieft. Weitergehend etwa Nobel, S. 112 ff. Pra (86) 1997, Nr. 39; vgl. dazu die Bemerkungen von Vogel, SZW 1998, S. 146 ff. Diese Auslegung wird von Vogel, Die Rechtsprechung des BGer zum Zivilprozessrecht im Jahre 1996, in: ZBJV 1997, S. 773, als kühn bezeichnet; er räumt aber zugleich ein, dass sie dem Sinn des Gesetzgeberwillens entspreche. Vogel, SZW 1998, S. 148. 18 ii. Stellungnahme In der vorliegenden Problematik stellt sich die Frage, ob das Prinzip der in Art. 759 Abs. 1 OR festgelegten differenzierten Solidarität auch auf das allgemeine Haftpflichtrecht übernommen werden kann. Der Grundsatz, dass jede Person nach wie vor in erster Linie für den von ihr selbst sorgfaltswidrig verursachten Schaden persönlich haftet, kann meines Erachtens – der aufgezeigten, herrschenden Auffassung folgend – übernommen werden. Es entspricht einem Bedürfnis, die persönlichen Herabsetzungsgründe im Rahmen von Art. 43 und 44 OR – unbesehen allfälliger weiterer Haftpflichtiger – bereits im Aussenverhältnis geltend machen zu können. Der Geschädigte ist bei Klageeinreichung nicht in der Lage, die richtigen Haftungsquoten festzulegen. Um die Klage zu erleichtern, wäre eine analoge Regelung im Sinne von Art. 759 Abs. 2 OR zu legiferieren. Für den Haftpflichtfall sähe diesfalls die Lösung wie folgt aus: In einem ersten Schritt legt der Richter im Einheitsprozess die jeweiligen individuellen Quoten fest. Dies kann in der Regel ohne weiteres zur Folge haben, dass im Aussenverhältnis weit mehr als 100% des erlittenen Gesamtschadens zugeteilt werden. In der Lehre76 trifft man diesbezüglich den Begriff der sog. Überschussdeckung an, wonach das Bonitätsrisiko auf die Solidarschuldner abgewälzt wird. Die effektive endgültige Tragung der Einzelquote jedes Solidarschuldners ist dann in einem zweiten Schritt im gleichen Prozess zu bestimmen, nachdem der Geschädigte endgültig befriedigt ist. 2. Überentschädigungs- bzw. Bereicherungsverbot Es entspricht dem allgemeinen Grundsatz des Schadenersatzrechts, dass der Geschädigte durch den Schaden nicht bereichert werden darf.77 Dies entspricht dem sog. Überentschädigungsverbot, auch Bereicherungsverbot genannt, welches im Haftpflichtrecht unbestritten78 und für das Sozialversicherungsrecht in Art. 69 ATSG verankert ist. So muss sich der Geschädigte denn auch Leistungen des Schadensversicherers oder solche 76 77 78 Böckli, S. 1109. BGE 131 III 16 m.w.H.; Roberto, Haftpflichtrecht, N 592, 784 ff.; Schaer, Grundzüge, N 433, 485. Gegensätzlich ist das amerikanische Rechtssystem, bei welchem mittels punitive damages den Opfern ein Mehrfaches des tatsächlich erlittenen Schadens unter dem Begriff Schadenersatz ausgezahlt wird. Rey, N 13; BK-Brehm, Art. 43 N 25. 19 eines Solidarschuldners an die Ansprüche gegen die haftpflichtige Person oder weitere Haftpflichtige anrechnen lassen.79 Dieser Rechtsgrundsatz gilt heute für das gesamte Schadensausgleichsrecht, soweit nicht ausdrückliche Koordinationsregeln etwas Abweichendes vorsehen oder die Kumulation im Sinne von Art. 96 VVG vereinbart wurde.80 Die Berechnung des Schadens erfolgt grundsätzlich nach der sog. Differenztheorie.81 II. Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und anderen Ersatzpflichtigen Als Schadensausgleichspflichtige gelten neben den Haftpflichtigen grundsätzlich auch sämtliche Schadensversicherer. Da die Eigenschadensversicherung jedoch auch – wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird82 – Leistungspflichtige ist, wird das Versicherungsvertragsverhältnis an jener Stelle erörtert werden. In der Betriebsunterbruchsversicherung existieren Policen, in welchen schadensunabhängig, bei Eintritt eines gewissen Risikos, eine im Voraus bestimmte Versicherungssumme ausbezahlt wird. Der Versicherungsnehmer wird somit wie bei der Summenversicherung vom Schadensnachweis entlastet. Es wäre sachlich unkorrekt, bei einer solchen Versicherungsleistung per se von einer Schadensversicherung zu sprechen. Unklar ist jedoch, ob auch Sachversicherungen unter Art. 96 VVG subsumiert werden können, da in systematischer Hinsicht diese Bestimmung unter dem Titel „Besondere Bestimmungen über die Personenversicherung“ steht. Nach meinem Dafürhalten kann in concreto ein Regressausschluss, gestützt auf Art. 96 VVG, per analogiam auch für Sachversicherungen bejaht werden.83 Dies gilt umso mehr, als die Rechtsprechung im umgekehrten Fall auch Personenversicherungsleistungen unter das Regime von Art. 72 VVG stellt.84 Voraussetzung ist natürlich, dass die Parteien in der Versicherungspolice eine Anspruchskumulation vereinbart haben. 79 80 81 82 83 84 Zum Ganzen: insb. Schaer, Grundzüge, N 432 ff. mit detaillierten Ausführungen. Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 939 ff. Hier wird nicht weiter auf die Schadensberechnung eingegangen; für eine vertiefte Auseinandersetzung vgl. hierzu statt vieler: Roberto, Schadensrecht, S. 9 ff. Vgl. hinten § 9 II. Gl.M. Rapp, S. 152 f. Vgl. dazu die Ausführungen zur Summenversicherung, hinten § 6 II 2. 20 § 3. Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Leistungspflichtigen I. Anspruch aus Versicherungsvertrag 1. Einzel- und Kollektivversicherung Von einer Einzelversicherung ist dann die Rede, wenn eine einzelne Person, eine einzelne Sache oder ein einzelnes Vermögen versichert ist.85 Es versteht sich von selbst, dass der Versicherungsnehmer hier auch Anspruchsberechtigter ist. Von einer Kollektivversicherung wird dann gesprochen, wenn eine Mehrzahl von Personen, Sachen oder Vermögen Gegenstand des Versicherungsvertrages bildet.86 Dies sagt aber noch nichts aus über die Anspruchsberechtigung im Versicherungsfall. In der Kollektiv-Unfall- und Krankenversicherung steht dem Versicherten nach Art. 87 VVG ein selbständiges Forderungsrecht gegen die Versicherer zu. Dies ist in der KollektivLebensversicherung jedoch nicht zwingend so.87 2. Eigen- und Fremdversicherung Je nachdem, ob der Versicherungsnehmer seine eigenen subjektiven Rechte oder dritte Interessen versichert, handelt es sich um eine Eigen- oder um eine Fremdversicherung.88 Regelmässig wird ein kombinierter Vertrag abgeschlossen. Eine Fremdversicherung liegt beispielsweise auch bei der Hausratsversicherung betreffend die Obhutssachen vor. In der Sachversicherung wird fast durchwegs eine Neuwertdeckung vereinbart.89 Dieser Umstand führt in Schadenfällen, welche durch haftpflichtige Dritte zu vertreten sind, zu komplexen Fragestellungen im Regressverhältnis.90 85 86 87 88 89 90 Maurer, PVR, S. 177; VVG-Boll, Art. 48 N 17. Maurer, PVR, S. 177; VVG-Boll, Art. 48 N 17. Maurer, PVR, S. 175. Maurer, PVR, S. 179; VVG-Boll, Art. 48 N 19. Zum Neuwert vgl. Maurer, PVR, S. 500 ff. Vgl. dazu hinten § 7 I und II. 21 3. Zusatzversicherung / Überobligatorische Versicherung Ist in einem Versicherungsvertrag vorgesehen, dass die Leistungen jene eines anderen Versicherungsvertrages ergänzen sollen, so liegt eine Zusatzversicherung vor. Wird dadurch ein obligatorisches Versicherungsverhältnis ergänzt oder erweitert, so liegt eine überobligatorische Versicherung vor. Diese Zusatzversicherungen sind in der Personenversicherung, im Bereich UVG und KVG, zahlreich. Man spricht auch von Komplementärversicherungen.91 Auch wenn der obligatorische Teil regelmässig dem öffentlich-rechtlichen Bereich angehört, gründen die Leistungen aus solchen Zusatzversicherungen in aller Regel im Privatversicherungsrecht, weshalb hier das VVG zur Anwendung gelangt.92 Eine Ausnahme bildet etwa der ausserobligatorische Vorsorgevertrag, welcher als Innominatkontrakt unter die allgemeinen Regeln des OR fällt.93 II. Anspruch aus Sozialversicherung Es wurde bereits ausgeführt, dass sich der Leistungsanspruch aus einem öffentlichrechtlich normierten Versicherungsverhältnis ableitet.94 Auch hier sind selbständige und abgeleitete Ansprüche denkbar. Letztere stehen je nachdem überlebenden Personen zu, die unterhaltsberechtigt sind. Zu denken ist etwa an Renten und Abfindungen an überlebende Ehegatten und Eltern bzw. Renten an geschiedene überlebende Ehegatten oder Waisenrenten. III. Anspruch aus Haftpflichtversicherung Die Haftpflichtversicherung schützt das Vermögen, welches durch Schadenersatzansprüche und allenfalls durch Genugtuungsforderungen belastet werden kann. Der Haftpflichtversicherer garantiert im Versicherungsvertrag, den Versicherungsnehmer von diesen Haftungsansprüchen zu befreien (sog. Befreiungsanspruch) oder unberechtigte Ansprüche abzuwehren (sog. Abwehranspruch oder Rechtsschutzfunktion des Haft- 91 92 93 94 Maurer, PVR, S. 377; vgl. dazu auch hinten § 12 I. VVG-Nebel, Art. 101 N 53 ff. Maurer, PVR, S. 463 f. Fn 1210; VVG-Nebel, Art. 101 N 57. Locher, § 1 N 37 f. 22 pflichtversicherers). Der Befreiungsanspruch wandelt sich dann in einen Zahlungsanspruch, wenn der Haftpflichtige den Schadenersatz gegenüber dem Geschädigten bereits geleistet hat. Dabei gilt es zu beachten, dass die Haftpflichtversicherer in den AVB dem Versicherungsnehmer die Forderungsanerkennung verbieten. Die Missachtung dieses Verbots kann nach meinem Dafürhalten aber erst dann eine Deckungseinschränkung zur Folge haben, wenn der Haftpflichtversicherer zu beweisen vermag, dass er ein für ihn günstigeres Resultat hätte erzielen können. Dieser hypothetische Beweis wird je nach Konstellation schwierig zu erbringen sein. Steht aber fest, dass der Versicherungsnehmer leichtfertig seine Haftung anerkennt, wird er sich eine Kürzung infolge der Obliegenheitsverletzung „Schadensminderungspflicht“ im Sinne von Art. 61 VVG gefallen lassen müssen. Im Rahmen der Rechtsschutzfunktion handelt der Versicherer in aller Regel im Namen des Haftpflichtigen, es sei denn, ein Parteiwechsel werde veranlasst.95 Diese vertraglich vereinbarte Stellvertretung kann etwa dann zu schwierig zu lösenden Fragen führen, wenn die Haftpflichtversicherung in einem Haftpflichtfall eine im Deckungsbereich liegende Vergleichsofferte der Gegnerschaft ausschlägt und damit der Versicherte beklagt wird und das Gericht den Haftpflichtigen in der Folge zu einer Schadenersatzleistung verurteilt, welche über der versicherten Deckung liegt. Hat nun der Haftpflichtversicherer oder der Versicherungsnehmer den die Deckung übersteigenden Teil zu übernehmen? Auch wenn der zu beurteilende Haftpflichtfall häufig komplex sein mag, stellt sich die Frage, ob der Haftpflichtversicherer den Versicherungsvertrag schlecht erfüllt hat. Meines Erachtens kann diese Frage weder mit Ja noch mit Nein beantwortet werden, vielmehr ist der Umstand zu beachten, dass durch die vertragliche Pflicht der Versicherungsnehmer de facto gar nicht mehr in der Lage ist, den Schaden in eigener Regie zu regulieren, weshalb er auf die richtige Erledigung durch die Versicherung nach Art. 2 ZGB vertrauen darf und auch muss. E contrario übernimmt aber dadurch der Versicherer auch stillschweigend das Risiko eines ungünstigen Ergebnisses. Somit wird der Haftpflichtige nicht mit dem ungedeckten Teil belastet werden dürfen. 95 Ein Parteiwechsel ist in der Praxis jedoch eher die Ausnahme. 23 IV. Anspruch aus Arbeitsvertrag Der Arbeitnehmer, welcher aus persönlichen Gründen96 und ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert wird, hat gemäss Art. 324a OR über eine gewisse Zeit Anspruch auf Lohnfortzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber. Ist für die Arbeitsunfähigkeit ein Unfall ursächlich, leistet die Unfallversicherung des Arbeitnehmers ab dem dritten Unfalltag den Lohnausfall.97 Somit beschränkt sich diesbezüglich der arbeitsvertragliche Anspruch auf die ersten zwei Tage.98 Mit verschuldeter Arbeitsunfähigkeit ist lediglich ein offensichtliches Fehlverhalten und nicht bereits jede, insbesondere die leichte, Fahrlässigkeit gemeint.99 Dem für den Lohnausfall aufkommenden Arbeitgeber entsteht ein sog. Reflexschaden.100 Die Position des zahlenden Arbeitgebers im Regressverhältnis war lange Zeit unklar. Das Bundesgericht hat nun mit dem Entscheid BGE 126 III 521 ff. Klarheit geschaffen, indem es den Arbeitgeber aus der Kaskade von Art. 51 Abs. 2 OR herausnimmt und ihm im Ergebnis ein integrales Regressrecht einräumt. Weitere Ausführungen dazu erfolgen hinten in einem separaten Kapitel.101 § 4. Ergebnis erster Teil 1. § 1 diente vor allem der Klärung und Präzisierung von Begriffen und der ersten Feststellung von konfliktträchtigen Bereichen. Im Sinne einer Einleitung wurde das Schadensausgleichssystem dargestellt, welches aus diversen Rechtsinstituten besteht, wie etwa dem Haftpflichtrecht, worunter auch die Haftung aus Vertrag oder ebenso die Staatshaftung zu zählen sind. 96 97 98 99 100 101 Von diesen subjektiven Leistungshindernissen gilt es die objektiven zu unterscheiden, welche nicht unter die Lohnfortzahlungspflicht von Art. 324a OR fallen und somit im Risikobereich des Arbeitnehmers liegen. Vgl. dazu Art. 324b OR. Roberto, Schadensrecht, S. 41. OR-Rehbinder/Portmann, Art. 324a N 5 m.w.H. So zählt gar die Ausübung riskanter Sportarten im Zweifelsfall als unverschuldet. Statt vieler: Roberto, Schadensrecht, S. 38 ff. Vgl. hinten § 9 II. 24 Mit dem eigentlichen Haftungssystem korreliert der zweite wichtige Pfeiler, das Versicherungssystem, welches von privatrechtlichen als auch öffentlich-rechtlichen Bestimmungen und Prinzipien bestimmt wird. 2. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtigen wird durch das Aussenverhältnis bestimmt, was in § 2 behandelt wurde. Dabei bilden die Haftpflichtigen – aufgrund der Solidarität – eine Solidargemeinschaft. Dabei wurde erkannt, dass eine differenzierte Solidarität, analog zu Art. 759 Abs. 2 OR, das Aussenverhältnis am besten zu regeln vermag. 3. In § 3 ist das Verhältnis des Geschädigten zu den involvierten Leistungspflichtigen dargelegt worden. Neben dem Privat- und Sozialversicherer ist in diesem Zusammenhang auch an die aus dem Arbeitsverhältnis resultierende Lohnfortzahlungspflicht gemäss Art. 324a OR zu denken. 25 II. Teil: Grundlagen des Regressrechts § 5. Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen I. Allgemeines Hat der Schadensausgleich zwischen dem Geschädigten und der Solidargemeinschaft stattgefunden, geht es in einem zweiten Schritt um den Ausgleich zwischen den Solidarschuldnern und den involvierten Versicherern. Dies entspricht dem Regressverhältnis, auch Innenverhältnis genannt, welches über das Regime von Art. 51 OR und Art. 72 VVG geregelt wird. Wie die Rechtsvergleichung noch zeigen wird, handelt es sich bei der schweizerischen Lösung mit der Kaskadenordnung von Art. 51 Abs. 2 OR und der Subrogation von Art. 72 VVG um ein einmaliges und einzigartiges Konstrukt, welches aus einem schweizerischen „Kompromiss“ resultiert ist. Im Rahmen der Rechtsfindung gemäss Art. 1 ZGB und des gerichtlichen Ermessens gemäss Art. 4 ZGB wurden sodann diese beiden Bestimmungen mit- bzw. gegeneinander ausgelegt. Das Resultat ist die sog. Gini/Durlemann-Praxis102, welche nun seit Jahrzehnten mehr oder weniger oft angewendet wird, entgegen sämtlichen Bedenken der Doktrin, welche bis dato nicht verstummt sind.103 Mit dem Wort Subrogation wird der Forderungsübergang ex lege ausgedrückt, welcher damit per definitionem eine Legalzession ist.104 Dieser Forderungsübergang erfolgt unabhängig von einem Parteiwillen. Gesetzliche Subrogationsbestimmungen für das Haftpflichtrecht sind etwa in Art. 72 ATSG für das Sozialversicherungsrecht und in Art. 72 VVG für das Privatversicherungsrecht zu finden. Im Rahmen der Subrogation gehen sämtliche akzessorischen Vorzugs- und Nebenrechte des Haftpflichtanspruchs des Geschädigten, welche nicht untrennbar mit dessen Person verbunden sind, uneingeschränkt auf den (Sozial-)Versicherer über.105 Im Rahmen der Nebenrechte subrogieren auch das direkte Forderungsrecht der geschädigten Person gegen die Haftpflichtversicherung und ebenso der Einredeausschluss auf den Sozialversicherer. Dies ist in Art. 72 Abs. 4 ATSG vorgeschrieben, und wurde zuvor 102 103 104 105 BGE 80 II 247 ff.; detaillierte Ausführungen dazu erfolgen hinten § 9 I ff. Vgl. etwa Honsell, Regress, S. 569 ff. Art. 166 OR. Vgl. zum Ganzen etwa Bucher, S. 576 ff. Urteil des BGer vom 19. November 2002, 4C.208/2002, E. 2.1.1; statt vieler: Guhl/Koller, § 34 N 71. 26 vom Bundesgericht ebenfalls zugestanden.106 Es stellt sich daher die Frage, ob dies auch für den subrogierenden Schadensversicherer Gültigkeit hat oder ob hier das direkte Forderungsrecht als höchstpersönlich gilt. Während in der Doktrin beide Auffassungen vertreten werden107, bejahte das Bundesgericht, zwar nebenbei, aber immerhin, den Rechtsübergang dieses unmittelbaren (direkten) Forderungsrechts.108 Da Nebenrechte Bestandteile der subrogierenden Forderung und damit als akzessorisch zu betrachten sind, spricht nach meinem Dafürhalten nichts gegen den Rechtsübergang des direkten Forderungsrechts, zumal nicht ersichtlich ist, weshalb dieses Nebenrecht untrennbar mit der geschädigten Person verbunden sein soll. Zudem wäre eine unterschiedliche Regelung zum ATSG kaum zu begründen, da in beiden Fällen dieselbe Legalzession mitwirkt. II. Gesetzliches Rückgriffsrecht Im schweizerischen Recht sind, wie bereits erwähnt,109 an diversen Orten für das Innenverhältnis Regressrechte ex lege geregelt. Dabei sind diverse Ausgleichssysteme möglich. Im Einzelnen wird teilweise später darauf eingegangen.110 Die folgenden Ausführungen sollen einen kurzen Überblick verschaffen:111 Für das Privatrecht, betreffend echte Solidarität, stehen Art. 148 Abs. 1 und Art. 50 OR, für die unechte Solidarität gilt Art. 51 Abs. 2 OR. Im Privatversicherungsrecht gilt für die Schadensversicherer das durch die Subrogation verstärkte Regressrecht gemäss Art. 72 VVG. Nach der dispositiven Regelung von Art. 533 OR tragen die einfachen Gesellschafter die Belastung, soweit nichts anderes vereinbart ist, nach den Anteilen der Gewinn-und-Verlust-Beteiligung. Erben tragen die Erblasserschulden, mangels anderer Abreden, nach Art. 640 Abs. 3 ZGB unter sich im Verhältnis ihrer Erbanteile. Im Bereich des Sozialversicherungsrechts wird das Rückgriffsrecht durch das ATSG geregelt. Art. 72 ff. ATSG umschreibt den Regress im Detail. Als besonderes Merkmal 106 107 108 109 110 111 BGE 119 II 289 ff., 292 f. Bejahend etwa Oftinger/Stark, II/2, § 25 N 162; a.M. Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 956; Schaer, Grundzüge, N 551. BGE 105 II 209 ff.; 119 II 289 ff., 292 f.; Urteil des HGer des Kantons ZH vom 23. Juni 2003, in: ZR 103 (2004) Nr. 65, S. 258. Vgl. vorne § 5 I. Vgl. hinten § 6. Die folgende Aufzählung ist nicht abschliessend zu verstehen. 27 kann hier das integrale Regressrecht des Sozialversicherers hervorgehoben werden. Das BVG, welches dem ATSG nicht untersteht, hat jedoch dessen Regressbestimmungen mit Art. 34b BVG weitgehend übernommen. Im öffentlichen Recht sind zahlreiche Regressbestimmungen verankert. Zu denken ist etwa an das Regressrecht des Bundes gemäss Art. 7 VG gegen fehlbare Beamte, welche vorsätzlich oder grobfahrlässig einen Schaden verursacht haben. Aber auch in den öffentlich-rechtlichen Spezialgesetzen sind Rückgriffsbestimmungen zu finden; zu denken ist namentlich an Art. 60 Abs. 2 SVG, an Art. 59a Abs. 3 USG112, an Art. 3 Abs. 3 und 6 KHG oder an Art. 6 KHG, an Art. 34 Abs. 2 EleG und an Art. 37 Abs. 3 RLG.113 Bei der Haftung im Rahmen des SVG und des RLG gilt ein direktes Forderungsrecht des Geschädigten gegenüber dem Versicherer. Analoge Rückgriffsrechte sind in den kantonalen Verantwortlichkeitsgesetzen zu finden. In jenen Kantonen, in welchen die Gebäudeversicherung monopolisiert ist, sind regelmässig in den kantonalen Gesetzen über die Gebäudeversicherer auch entsprechende Regressbestimmungen vorgesehen. Ist der Bund bzw. der Staat haftpflichtig, können nach der Rechtsprechung die gesetzlichen Regressbestimmungen analog angewendet werden.114 Der Bund haftet gemäss Art. 135 Abs. 1 MG kausal für Schäden, die Angehörige der Armee oder Truppen Dritten widerrechtlich zufügen. Dabei steht dem vom Geschädigten in Anspruch genommenen Bund im Sinne von Art. 138 MG ein Rückgriff gegen Angehörige der Armee zu, die den Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig verursacht haben. Personen, die nach Art. 1a und Art. 2 MVG bei der Militärversicherung gegen Schäden versichert sind, können ihre Ansprüche im Rahmen von Art. 8 ff. MVG geltend machen. Ansprüche gegen den Bund sind hingegen gemäss Art. 135 Abs. 3 MG ausgeschlossen.115 Auch im Zusammenhang mit der Haftung für Umweltschäden, wenn mehrere Störer beteiligt sind, stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit der gesetzlichen Rückgriffsbestimmungen. Die Recht- 112 113 114 115 Hier wird auf die Haftpflicht- und Regressbestimmungen des OR verwiesen. Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung ist im KHG und im RLG obligatorisch. Im EHG und im EleG ist der Rückgriff auf Verschuldenshaftpflichtige beschränkt, während das KHG einen abschliessenden Katalog möglicher Regressaten vorsieht. In BGE 116 II 647 f. wird die analoge Anwendung von Art. 72 VVG bejaht. In VPB 1997, Nr. 90, S. 866 wird die Anwendung von Art. 72 VVG dem Grundsatze nach nicht ausgeschlossen, in concreto aber verneint, da keine Haftung aus Verschulden in Frage stand; der Ausgleichsanspruch gemäss Art. 51 Abs. 2 OR wurde hingegen bejaht. Vgl. ferner BJM 1973, S. 157 ff., wo im Rahmen von Art. 76 Abs. 2 aSVG die Anwendbarkeit von Art. 51 Abs. 2 OR verneint wurde. BGE 127 II 289 ff., 291 f.; vgl. dazu auch Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 77 ff. m.w.H. zur Einstufung der Militärversicherung. 28 sprechung der letzten Jahre ist einheitlich.116 Dabei wird zunächst festgehalten, dass bei einer Mehrheit von Störern die Behörde nicht einen einzelnen Störer mit der vollen Zahlungspflicht belasten könne.117 Dabei liessen sich die in Art. 50 Abs. 3 und Art. 51 Abs. 2 OR enthaltenen Wertungen bei der Kostenverteilung analog heranziehen.118 Die in Art. 51 Abs. 2 OR zum Ausdruck kommende Skala der ethischen Wertungen werde aber von einer wirtschaftlichen Interessenlage, dem Verursacherprinzip von Art. 8 GSchG, überlagert.119 III. Vertragliches Rückgriffsrecht Bei der vertraglichen Abänderung der Regressordnung gilt es zwischen Vereinbarungen zu unterscheiden, welche unter Ersatzpflichtigen geschlossen werden, und solchen Abmachungen, die zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer getroffen werden. Eine Regressvereinbarung zwischen den Ersatzpflichtigen im Rahmen von Art. 51 OR ist ohne weiteres möglich.120 Man wird jedoch einschränkend anmerken müssen, dass nicht gegen den Willen eines Solidarschuldners eine andere Ordnung bestimmt werden kann, da sonst ein Vertrag zulasten Dritter vorläge. Nach gefestigter Praxis des Bundesgerichts ist es hingegen nicht möglich, dass der Versicherer in Absprache mit dem Geschädigten die Regressordnung von Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 VVG mittels Vertrag und durch entsprechende Zession abändert.121 Als vertragliches Rückgriffsrecht kann auch ein allfälliger Regressverzicht des Versicherers aufgefasst werden. OFTINGER/STARK gestehen dem Versicherer ein solches Recht auch bereits vor dem Schadensfall zu, wobei sie auf die engen Grenzen der vertraglichen Abänderung hinweisen, ohne jedoch zu nennen, worin sie liegen.122 Meines Erachtens gilt es zu unterscheiden, zwischen welchen Parteien ein solcher Verzicht vereinbart wird: 116 117 118 119 120 121 122 Weitergehend etwa Fuhrer, Die Haftung für Umweltschäden und deren Versicherung, in: BJM 1992, S. 225 ff., 235. Urteil des BGer vom 12. Oktober 1990, in: SGW 1990 Nr. 64, S. 12; GVP 1997, Nr. 18, S. 46. Urteil des BGer vom 14. März 1975, in: ZBL 1976, S. 404; Urteil des BGer vom 30. April 1980, in: ZBL 1980, S. 540. Urteil des BGer vom 15. Dezember 1983, in: SGW 1983, Nr. 63, S. 6 f.; Urteil des BGer vom 12. Oktober 1990, in: SGW 1990, Nr. 64, S. 13; ferner Urteil des Regierungsrats AG vom 20. April 1994, in: ZBL 1996, S. 132. Oftinger/Stark, I, § 11 N 77. Letztmals BGE 115 II 25 f. = Pra (78) 1989, Nr. 172. Oftinger/Stark, I, § 11 N 17. 29 Verzichtet der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer auf allfällige Regresse, so ist dies im Rahmen der Vertragsfreiheit durchaus möglich; verzichtet der Versicherer hingegen gegenüber einem potenziellen Haftpflichtigen, so könnte man sich fragen, ob der Versicherer dazu überhaupt berechtigt ist. Dies gilt deshalb, weil der Versicherer an sich das Geld der Versicherungsnehmer, welches diese in Form von Prämien zur Verfügung stellen, zu verwalten hat. Handelt es sich um kleinere Regressbeträge, so kann ein Verzicht mit dem eingesparten Aufwand gerechtfertigt werden; dies ist nicht möglich, wenn es sich um eine namhafte Regressforderung handelt, auf welche verzichtet wird. Dies könnte unter Umständen als eine Sorgfaltspflichtverletzung im Versicherungsvertragsverhältnis ausgelegt werden, was theoretisch die anderen Versicherungsnehmer zu Schadenersatzforderungen berechtigen würde. IV. Zwei Forderungen: originäre und derivative (subrogierte) Was sich auf der Seite des Geschädigten als Anspruchskonkurrenz manifestiert, zeigt sich auf der Seite der Ersatzpflichtigen als Solidarität.123 Dabei gilt es – innerhalb der Solidargemeinschaft –, grundsätzlich zwischen zwei Forderungen zu unterscheiden. Dem vom Gläubiger in Anspruch genommenen Schuldner stehen im Rahmen der Solidarität unter Umständen zwei unterschiedliche Forderungen gegen seine solidarischen Mitschuldner zu: eine derivative und eine originäre Forderung. Der derivative Anspruch resultiert aus der Subrogation, welche bei der echten Solidarität nach Art. 149 OR und beispielsweise auch beim Versicherungsregress nach Art. 72 Abs. 1 VVG vorgesehen ist. Kraft Subrogation gehen die Ansprüche des Geschädigten bzw. des Gläubigers mit der Zahlung des Solidarschuldners auf diesen über. Der originäre Anspruch ist der Ausgleichsanspruch aus Art. 51 OR. Nach dem Bundesgericht kann sich – soweit kein Spezialgesetz die Subrogation vorsieht – der Regressierende „nur“ auf einen Ausgleichsanspruch stützen.124 Dies wird mit der bloss analogen Anwendung der Solidaritätsregelung von Art. 143 ff. OR begründet.125 123 124 125 Vgl. dazu vorne § 2 I. BGE 115 II 48. Statt vieler: BK-Brehm, Art. 51 N 17. 30 V. Keine Solidarität im Innenverhältnis Lehre und Rechtsprechung sind sich weitgehend einig, dass im Regressverhältnis keine Solidarität besteht, mit der Konsequenz, dass im Innenverhältnis nur eine anteilsmässige Leistungs- bzw. Ersatzpflicht besteht.126 Dieser Grundsatz ist für das Haftpflichtrecht sachgerecht, denn die Schädiger bedürfen nicht des gleichen Schutzes wie der Geschädigte. Bis zum Inkrafttreten des ATSG war diese Frage im Sozialversicherungsrecht hingegen umstritten. Ein gewichtiger Teil der Doktrin stellte den Sozialversicherer ins Innenverhältnis zu den Haftpflichtigen, was sich in einer umfangreichen Kontroverse niederschlug.127 Erst mit Inkrafttreten des ATSG wurde restlos Klarheit geschaffen. Nach Art. 72 Abs. 2 ATSG herrscht nun auch im Innenverhältnis Solidarität unter den Haftpflichtigen bezüglich den dem ATSG unterstellten Sozialversicherern. Das Bundesgericht hat noch kurz zuvor zugunsten der Sozialversicherer die bis dahin umstrittene Frage entschieden.128 Somit gehört der Sozialversicherer nicht ins Innenverhältnis der anderen Solidarschuldner. Ob dieser Grundsatz, der im Sozialversicherungsrecht seine Berechtigung hat, ins Privatversicherungsrecht transferiert werden kann, bedarf der genaueren Betrachtung. Nach der heutigen Auslegung der Subrogation im Sinne von Art. 72 Abs. 1 VVG129 wird man das Innenverhältnis de lege lata nicht als Solidargemeinschaft bezeichnen können, zumal der Schadensversicherer, wenn auch zu Unrecht, in diese Gemeinschaft gedrängt und die Subrogation sehr eingeschränkt gewährt wird. Diese Auffassung wird zudem durch den Grundsatz des Regressprozesses gestützt, wonach dessen Urteile keine Rechtskraftwirkung gegenüber Dritten zu zeitigen vermögen.130 Bekennt man sich jedoch zum integralen Regressrecht, so ist es konsequent, den leistenden Versicherer zum Kreis der Solidarschuldner zu zählen. An die Stelle des Geschädigten, welcher gegenüber der Solidargemeinschaft anspruchsberechtigt ist, tritt der Schadensversicherer. Diese Lösung gilt es de lege ferenda zu verfolgen. 126 127 128 129 130 Roberto, Haftpflichtrecht, N 551; Oftinger/Stark, I, § 10 N 79; BK-Brehm, Art. 51 N 81 und 89 ff.; ORSchnyder, Art. 51 N 18; Koller, Solidarität, S. 5; von Tuhr/Escher, S. 316; Stein, S. 716; BGE 103 II 139; a.A. Hartmann, S. 66 ff.; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 892. Dazu wird in dieser Arbeit nicht näher eingegangen. Für weitere Hinweise sei auf die Ausführungen von Läubli, Koordination, S. 172 ff.; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 917.; Oftinger/Stark, I, § 10 N 45 ff., verwiesen. Urteil des BGer vom 19. November 2002, 4C.208/2002, E. 2. Vgl. die folgenden Ausführungen hinten § 9. BGE 93 II 333. 31 Die Konsequenz des Prinzips „keine Solidarität im Regressverhältnis“ liegt hauptsächlich darin, dass keine Anschlussregresse im Innenverhältnis stattfinden, d.h. kein sog. Kettenregress bzw. keine zweite „Regressrunde“ zugelassen wird, sondern dass die Aufteilung nach den effektiven Quoten zu erfolgen hat.131 Der Kausalhaftpflichtige kann sich somit nicht an den aus Vertrag Haftenden, sondern muss sich direkt an den Verschuldenshaftpflichtigen halten. Nach BREHM trägt damit der Kausalhaftpflichtige ein allfälliges Insolvenzrisiko des aus Verschulden Haftpflichtigen, sofern er im Aussenverhältnis vom Geschädigten zuerst ins Recht gefasst wird.132 In einem zweiten Schritt gewährt der Autor dem Kausalhaftpflichtigen dennoch einen Regress gegen den aus Vertrag Haftenden, indem er Art. 148 Abs. 3 OR analog anwendet.133 Der Regress kann aber nach meinem Dafürhalten in diesem Fall kein vollständiger sein, da Art. 148 Abs. 3 OR von einer gleichmässigen Verteilung spricht. Demgegenüber schränken OFTINGER/STARK den Grundsatz „keine Solidarität im Innenverhältnis“ ein, und zwar im Falle der Insolvenz des Solidarschuldners, welcher aus Art. 41 OR haftet. Sie sprechen in diesem Fall von der Ausfallshaftung, was zum Regress gegen den aus Vertrag Haftenden berechtigt.134 Die Lösung über die analoge Anwendung von Art. 148 Abs. 3 OR überzeugt, zumal es nicht korrekt wäre, wenn nur einer der beiden Solidarschuldner den Ausfall des aus Verschulden Haftenden tragen würde. Dadurch wird das Schicksal der Solidargemeinschaft nicht der Willkür des Geschädigten überlassen. § 6. Allgemeine Regressordnung I. OR 1. Allgemeines Im OR sind an verschiedensten Stellen Regressbestimmungen verankert: so etwa in Art. 50 und 51, Art. 144 usw. In dieser Arbeit werden einzig die unechte Solidarität und ihr Innenverhältnis verfolgt, zumal vor allem hier viele Unsicherheiten und Probleme bestehen. Die herrschende Doktrin und die Rechtsprechung sehen bei der unechten Solidarität 131 132 133 134 Gl.M. Oftinger/Stark, I, § 10 N 80; a.M. Rey N 1514. BK-Brehm, Art. 51 N 90. BK-Brehm, Art. 51 N 91 f. m.w.H. auf die Doktrin. Oftinger/Stark, I, § 10 N 80. 32 keine Subrogation begründet, weshalb es sich – wie bereits erwähnt – um einen reinen, originären Ausgleichsanspruch handelt.135 Artikel 51 Abs. 2 OR sieht bekanntlich folgende culpa-orientierte Regressordnung vor, welche an sich lediglich in der Regel ihre Anwendung finden sollte.136 Danach hat in erster Linie der aus Verschulden Haftpflichtige, in zweiter Linie jener aus Vertrag Haftpflichtige und in letzter Linie derjenige, der kausal haftet, den Schaden zu liquidieren. Was der Gesetzgeber einmal als offene Orientierungshilfe verankert hatte, wurde im Laufe der Zeit von der Rechtsprechung zur fast unumstösslichen Regel umfunktioniert.137 Die Rechtsprechung hält sich konsequent an diese Regressordnung, auch wenn das Bundesgericht138 die Möglichkeit der Regelabweichung aus Gerechtigkeitsgründen grundsätzlich zulässt.139 Die Recherche in der amtlichen Sammlung der Bundesgerichtsentscheide ergibt, dass es keine von dieser Kaskadenordnung abweichenden publizierten Urteile gibt. So kann auch BGE 116 II 645 ff. nicht als Entscheid für die Regelabweichung von Art. 51 Abs. 2 OR dienen, zumal es in diesem Entscheid um eine Haftungsverteilung unter mehreren Haftpflichtigen geht. Der Haftpflichtversicherer wurde lediglich aufgrund des direkten Forderungsrechtes zur unmittelbaren Leistung gezwungen. Einige nicht amtlich publizierte Urteile, welche von der Kaskadenordnung abweichen, bestehen dennoch.140 Die Ansichten über diese Stufenordnung sind in der Lehre äusserst kontrovers.141 In der Praxis kann man feststellen, dass zwar heute einige Versicherungsgesellschaften nicht mehr hinter dieser Regressordnung stehen, sich aber kaum für eine Praxisänderung einsetzen. Dies zeigt sich darin, dass, meiner Kenntnis nach, in letzter Zeit weder ein Musterprozess dagegen geführt noch je ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben wurde. Die 135 136 137 138 139 140 141 BGE 115 II 48; Oftinger/Stark, I, § 10 N 75; Rey, N 1493 ff.; Roberto, Haftpflichtrecht, N 551. Oftinger/Stark, I, § 10 N 50, 66, 73 m.w.H.; Roberto, Haftpflichtrecht, N 555. So auch etwa Schiedsgutachten von A. Keller vom 13. Februar 1998, in: SGW 1998 Nr. 16, S. 9 ff. In diesem Schiedsgutachten schliesst sich Keller der neueren Lehre an, wonach die Regel von Art. 51 Abs. 2 OR nicht als starr zu betrachten sei und auch Art. 72 Abs. 1 VVG nicht lediglich ein Regressrecht auf Haftpflichtige aus Art. 41 OR zulasse. BGE 115 II 28 = Pra (78) 1989, Nr. 172. Vgl. etwa Urteil des Appellationshofs des Kantons BE, III. Zivilkammer, vom 8. März 1988, in: SGW 1988 Nr. 9, S. 2 ff.; Urteil des HGer des Kantons SG vom 2. Juni 1999, in: SGW 1999 Nr. 38, S. 5 ff. ZR 1956, S. 119 ff.; JT 1941 I, S. 363 ff.; Urteil des BGer vom 5. Mai 1987 i.S. Michaud gegen Eidgenossenschaft, in: SGW 1987 Nr. 25, S. 27 ff. oder als Urteilsanmerkung von Stark Emil W. in: ZBJV 1992, S. 223; etwas unklar im Urteil des BGer vom 29. Januar 1980 Tonossi c. Gaudin & Morand, in: SGW 1980 Nr. 4, S. 10 ff.. Oftinger, Bemerkungen, S. 172, spricht im Zusammenhang mit Art. 51 Abs. 2 OR von einer "wohl abgewogenen, ethisch fundierten – wenn auch unvollständigen – Regressordnung"; vgl. statt vieler etwa BKBrehm, Art. 51 N 144 ff. m.w.H.; Roberto, Haftpflichtrecht, N 554; Rey, N 1515. 33 schärfste Kritik in den letzten Jahren kam von SCHAER, OFTINGER/STARK und später von RUMO-JUNGO.142 So wird in der Lehre denn auch mehrheitlich von einer „blossen“ Richtschnur im Zusammenhang mit der Regresskaskade gesprochen.143 OFTINGER/STARK schlagen für eine befriedigende Lösung die sektorielle Verteilung vor, wonach die Schadensquote auf die einzelnen Ersatzpflichtigen nach den Umständen festzulegen ist.144 2. Entstehungsgeschichte Die Entstehungsgeschichte der in Art. 51 Abs. 2 OR verankerten Regresskaskade wird unter anderem von SCHAER überzeugend dargelegt.145 Der gesetzgeberische Wille, welcher der Entstehung dieser Kaskade zugrunde liegt, wird so weit dargelegt, als er für die folgende Auslegung Anknüpfungspunkte ergibt. Bei einer historischen Auslegung tritt bald der BGE 35 II 238 ff.146 in den amtlichen Materialien in Erscheinung. Aus den Bulletins des National- und des Ständerates geht explizit hervor, dass der Sachverhalt und das Ergebnis dieses Urteils wegleitend für das Schicksal des Regresses unter den unechten Solidarschuldnern waren. Welcher Sachverhalt liegt diesem besagten Urteil zugrunde? B ist Eigentümer eines im Jahre 1892 erbauten Hauses in Bern geworden. Dieses Haus hat eine turmartig ausgestaltete Ecke, welche ein steil aufsteigendes Schieferdach trägt. Kurz nach Erwerb des Eigentums hatte B zur Überprüfung des Daches einen Dachdecker- und Spenglermeister beauftragt, das Dach zu untersuchen und alle notwendigen Reparaturen daran vorzunehmen. Bei der Ausführung dieser Arbeit ist ein Arbeitnehmer der beauftragten Firma mit einer Leiter, welche er an einem im oberen Teil des Schieferdaches angebrachten Leiterhaken anhängte, auf das Dach hinaufgestiegen. Als der Arbeiter auf der Leiter war, gab der Haken nach, und der 142 143 144 145 146 Schaer, Grundzüge, N 472 ff.; Oftinger/Stark, I, § 10 N 65; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1071 ff.; RumoJungo, Zusammenspiel, S. 616 ff. Nach BK-Brehm, Art. 51 N 146, sollte Art. 51 II keine Zwangsjacke sein. Oftinger/Stark, I, § 10 N 65; zur sektoriellen Verteilung vgl. hinten § 6 IV. Schaer, Grundzüge, N 844 ff.; ebenso: Brühlmann, S. 105 ff.; Hartmann, S. 43 ff.; Stein, S. 708 f. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird in der vorliegenden Arbeit nur noch summarisch auf die Entstehungsgeschichte eingegangen. Sog. Leiterhaken-Fall, Urteil Bühler/Hermann. 34 Arbeiter ist von einer Höhe von ungefähr 15 m zur Erde gefallen, wo er infolge der schweren Kopfverletzungen das Leben verlor. Aufgrund einer Expertise konnte festgestellt werden, dass der Haken lediglich mit einem 5 cm langen geschmiedeten Nagel befestigt worden war, was nach Ansicht der Experten ein „furchtbarer Leichtsinn“ gewesen sei. In der Folge verurteilte das Bundesgericht den neuen Eigentümer B zu Schadenersatz, gestützt auf die kausale Werkeigentümerhaftung. Die damalige Unfallversicherung schob die Anspruchssteller an den Gebäudeeigentümer ab. Dieses Urteil wurde als höchst unbillig empfunden. Bei der Revision des OR von 1881 vom 30. März 1911 versuchten einige Parlamentarier, die Werkeigentümerhaftung in eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast oder gar in eine Subsidiärhaftung147 umzuwandeln.148 Das Missbehagen gegen dieses Resultat stammte nicht zuletzt auch aus dem Vergleich, welcher die Personenversicherung mit der Witwe des Verunfallten geschlossen hatte. Dieser Vergleich verpflichtete die Klägerin, den Ersatz des entstandenen Schadens vorab auf dem Prozesswege gegen den Hauseigentümer bzw. den Auftraggeber geltend zu machen. Im Gegenzug übernahm die Versicherung neben dem Prozessrisiko auch eine Subsidiärdeckung für den Fall des Unterliegens.149 Zur Rettung der Werkeigentümerhaftung als Kausalhaftung konstruierte EUGEN HUBER die heutige Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR150, um die zum Teil als zu weitgehend empfundenen Wirkungen einer Kausalhaftung durch das Innenverhältnis zu mildern. Damit könne dem Gebäudeeigentümer, „welcher für den Schaden persönlich nichts kann, ein Rückgriffsrecht auf jene gewährt werden, die aus unerlaubter Handlung, aus Delikt, den Schaden tragen oder vertraglich die Deckung des Schadens übernommen haben, also auf die Versicherungsgesellschaft [...]“. Überdies gewichtete der historische Gesetzgeber ein schuldhaftes Verhalten viel schwerer als die Kausalhaftung und sprach gar von einer verdienten Strafe als Sanktion.151 Der Gesetzgeber war sich jedenfalls einig, dass diese neu gestaltete Regressordnung einer vernünftigen Interpretation durch 147 148 149 150 151 Der Werkeigentümer wäre diesfalls so lange von der Haftung befreit gewesen, als der Geschädigte noch von anderen Haftpflichtigen Schadenersatz hätte fordern können. Müri, Sten Bull NR 1909, S. 741, 501. BGE 35 II 238. Vgl. Huber, Sten Bull NR 1909, S. 520 f. Aus diesem Grunde die culpa-orientierte Gesetzgebung; vgl. dazu etwa Hartmann, S. 59. 35 einsichtige Richter bedürfe.152 Aufgrund der heutigen Technologisierung und Automatisierung und der dazu geschaffenen Gefährdungshaftungen bedarf die Ansicht des historischen Gesetzgebers jedoch einer erneuten Überprüfung.153 3. Stellungnahme Vorab ist festzuhalten, dass das Sozialversicherungssystem, welches vor etwa 100 Jahren galt, weitgehend nicht dem heutigen System entspricht. So ereignete sich der erwähnte Leiterhaken-Fall zeitlich vor dem Inkrafttreten des KUVG.154 Der Arbeitgeber hatte für den Verunfallten eine private Unfallversicherung abgeschlossen, welche vermutungsweise nur eine subsidiäre Leistungspflicht beinhaltete. Auch wenn nach SCHAER155 die Art der Versicherung in concreto unklar ist, so kann meines Erachtens immerhin festgestellt werden, dass es sich offensichtlich um eine Art private Personenversicherung handelte, welche in der vom Bundesgericht verstandenen Regresstreppe de lege lata in die mittlere Stufe einzuordnen ist. Diese Folgerung deckt sich eigentlich auch mit dem Willen des Gesetzgebers, wenn – wie oben ausgeführt – der in die Haftung genommene Werkeigentümer einen Regressanspruch, gestützt auf Art. 51 Abs. 2 OR, gegen die Versicherung haben soll. Damit steht der gesetzgeberische Wille an sich fest: Der Eigenschadensversicherer sollte in die mittlere Kaskadenstufe von Art. 51 Abs. 2 OR gestellt werden. In der moderneren Methodenlehre, welche auch vom Bundesgericht verfolgt wird, gilt grundsätzlich der Methodenpluralismus.156 Darüber hinaus besteht weitgehend Einigkeit, dass der gesetzgeberische Wille insbesondere dann zu überdenken und unter Umständen entsprechend zu relativieren ist, wenn es sich um ein älteres Gesetz handelt oder sich die Umstände, die gesellschaftliche Auffassung oder die Rahmenbedingungen geändert haben. So führt das Bundesgericht in BGE 81 I 282 aus: Es „ist nicht massgebend, was in den Gesetzesmaterialien steht oder was bei der Gesetzesberatung in der gesetzgebenden Behörde gesagt wurde, sondern was dem Gesetz im Lichte allgemeiner Rechtsanschauungen zu entnehmen ist, wobei die gegenwärtigen Verhältnisse zu berücksichtigen 152 153 154 155 156 Brühlmann, S. 121. Vgl. dazu hinten § 6 V. Für Einzelheiten vgl. etwa Locher, § 3 N 1 ff. Schaer, Grundzüge, N 844. Kramer, S. 151 ff.; Hausheer/Jaun, Einleitungsartikel, 2.84. 36 sind“.157 Genau diese Umstände liegen hier vor: So wurde zum einen seit damals ein sehr ausgewogenes Sozialversicherungssystem entwickelt; zum anderen hat sich die gesellschaftliche Auffassung hinsichtlich des Verursacherprinzips wesentlich geändert, da nicht mehr das Prinzip casum sentit dominus im Zentrum steht. Vielmehr hat sich eine Anspruchshaltung der Geschädigten gegenüber den Verursachern eingestellt. In diesem Sinne hat bereits VON TUHR158 zutreffend festgehalten: „Da nun die Auslegung des Gesetzes nicht nach den aus den Materialien ersichtlichen Absichten der Beteiligten zu erfolgen hat, sondern nach dem objektiven Sinn und dem inneren Zusammenhang der im fertigen Gesetz enthaltenen Rechtssätze, so erscheint es mir unzulässig, aus dem wohlüberlegten und fest gefügten Versicherungsgesetz eine wichtige Vorschrift herauszubrechen, weil bei der Beratung des OR an diesen bereits bestehenden Rechtssatz nicht gedacht worden ist. Man muss meines Erachtens unter Aufrechterhaltung des Art. 72 Versicherungsgesetz den Art. 51 OR auf andere Verträge beschränken, durch welche jemand die Haftung für einen Schaden übernimmt.“ Diesen Ausführungen VON TUHRS ist im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vollumfänglich zuzustimmen, zumal das VVG zum einen lex specialis159 ist und zum anderen der Schadensversicherer nicht Haftpflichtiger, sondern Leistungspflichtiger160 ist. Zudem war beim „Leiterhaken-Fall“ die Haftung des Werkeigentümers verfehlt. Ein Handwerker, der für die Kontrolle und die Instandsetzung des Daches beauftragt ist, übernimmt in der Regel vertraglich dieses Risiko und kann somit die Werkeigentümerhaftung nicht geltend machen. So kommt die Werkeigentümerhaftung nach Art. 58 OR sowohl beim Bau eines Werkes als auch bei Reparatur- oder Umbauarbeiten an einem Werk nicht zur Anwendung. Vielmehr wird Art. 41 und 55 OR tangiert.161 Der verunfallte Unternehmer hatte Kenntnis vom renovationsbedürftigen Dach. Aus eben diesem Grunde wurde er beauftragt, dieses zu reparieren. In solchen Konstellationen kann die Werkeigentümerhaftung nicht greifen. Andernfalls wäre der Werkeigentümer ausser Stande, eine Reparatur oder einen Werkmangel beseitigen zu lassen, ohne nicht gleich- 157 158 159 160 161 Siehe auch Kramer, S. 104 ff., m.H. auf den Theorienstreit Objektivismus vs. Subjektivismus; Hausheer/Jaun, Einleitungsartikel, 2.58 ff. von Tuhr, S. 233 f. So bereits Portmann, SVZ, S. 34; ebenso Vaverka, S. 250. Ebenso Honsell, Haftpflicht, § 24 N 9; vgl. dazu auch hinten § 9 II. Statt vieler: Roberto, Haftpflichtrecht, N 398; Oftinger/Stark, II/1, § 19 N 82; BGE 108 II 184 ff.; a.M. Schwenzer, N 53.22. 37 zeitig Gefahr zu laufen, trotzdem infolge dieses Werkmangels noch haftpflichtig zu werden. Bereits an dieser Stelle kann festgehalten werden, dass die heutige Regressordnung Resultat eines für unbillig empfundenen Bundesgerichtsentscheides ist. Meines Erachtens kann gar von einer Überreaktion des Gesetzgebers gesprochen werden, auch wenn gleichzeitig an das richterliche Ermessen appelliert wurde. So bemerkte EUGEN HUBER, dass man bei der Anwendung des Ermessensprinzips genügend Spielraum gewähren müsse, um in den verschiedensten Fällen jeweils die billigste Lösung finden zu können.162 Somit hätte für das Bundesgericht durchaus die Möglichkeit bestanden, im Sinne einer teleologischen und systematischen Auslegung, vom Willen des Gesetzgebers abzuweichen und damit ein fein abgestuftes Regresssystem zu entwickeln,163 beispielsweise im Sinne des Vorschlags der sektoriellen Verteilung, wie von OFTINGER/STARK vorgeschlagen. Dabei hätte auch die Subrogationsbestimmung von Art. 72 Abs. 1 VVG durchaus entsprechend einbezogen werden können. 4. Rechtsvergleichende Betrachtung A. Regressrecht in Deutschland Die Solidarität von Gesamtschuldnern wird im Allgemeinen in § 421 BGB und für das Deliktsrecht in § 840 BGB festgehalten. In § 426 Abs. 1 BGB findet anschliessend die Ausgleichspflicht unter den Gesamtschuldnern Eingang. Demnach sind die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. In Abs. 2 wird sodann eine allfällige Ausgleichung unter den Schuldnern vorgesehen. Mittels Subrogation geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf den leistenden Schuldner über. Diese Bestimmung des allgemeinen Teils ist auch im Deliktsrecht Anspruchsgrundlage für den Innenausgleich, während § 840 BGB eine Scharnierfunktion zwischen den Haftungsnormen des Deliktsrechts und den allgemeinen Regeln der Gesamtschuld bildet.164 162 163 164 Huber, Sten Bull NR 1909, S. 520 ff. Gl.M. Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1073; vgl. auch hinten § 9 II. Wagner, § 840 N 1, 13. 38 Die Lehre in Deutschland lehnt bezüglich des Versicherers und des Dritthaftpflichtigen die Anwendung eines Gesamtschuldverhältnisses ab.165 Die Doktrin gibt dem VVG, welches als lex specialis gegenüber dem BGB eingestuft wird, ohnehin den Vorrang, selbst wenn diesbezüglich ein Gesamtschuldverhältnis angenommen werden müsste.166 Diese Einstufung ist begrüssenswert und lässt zugleich die Frage aufkommen, weshalb eine solche Auslegung nicht auch im schweizerischen Recht möglich sein soll, zumal die gesetzliche Systematik mit jener in Deutschland praktisch identisch ist: Das VVG der Schweiz ist ebenso ein Spezialgesetz wie jenes von Deutschland. B. Regressrecht im Fürstentum Liechtenstein Die Regelung des liechtensteinischen Schadenersatzrechtes bezüglich mehrerer Haftpflichtigen, § 1302 ABGB167, bedarf einer besonderen Erwähnung, da eine volle Solidarität – also das Einstehenmüssen für den ganzen Schaden, ohne Möglichkeit der Geltendmachung persönlicher Herabsetzungsgründe – vorgesehen ist. Dies gilt jedoch lediglich für vorsätzlich verursachte Schäden. Resultiert der Schaden aus einer Fahrlässigkeitshandlung, so hat jeder Teilnehmer einzig für seinen kausal verursachten Schaden einzustehen. Unabhängig davon, ob man für oder gegen die Geltendmachung persönlicher Herabsetzungsgründe ist, hat diese Regelung den Vorteil der Rechtsklarheit. Im Übrigen scheint es – ohne näher darauf eingehen zu wollen – auch einleuchtend, dass der vorsätzlich handelnde Täter nicht noch persönliche Herabsetzungsgründe168 zulasten des Geschädigten einbringen kann, während dem fahrlässig Handelnden, welcher unter Umständen unbewusst sorgfaltswidrig gehandelt hat, durchaus mehr Spielraum gewährt werden kann. 165 166 167 168 Selb, § 421 N 16; so bereits Karrer, S. 61. Wohl implizit Weyers/Wandt, § 67 N 725 ff.; Karrer, S. 61. Wortlaut von § 1302 ABGB: „In einem solchen Falle [Verursachung durch mehrere Teilnehmer] verantwortet, wenn die Beschädigung in einem Versehen gegründet ist, und die Anteile sich bestimmen lassen, jeder nur den durch sein Versehen verursachten Schaden. Wenn aber der Schaden vorsätzlich zugefügt worden ist oder, wenn die Anteile der Einzelnen an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen, so haften alle für einen und einer für alle; doch bleibt demjenigen, welcher den Schaden ersetzt hat, der Rückersatz gegen die übrigen vorbehalten.“ Vgl. dazu vorne § 2 I. 39 C. Zwischenergebnis aus der Rechtsvergleichung Aus der kurzen Rechtsvergleichung resultiert, dass die Regressordnungen der verglichenen Rechtsstaaten einfach und klar sind. Deshalb existieren vergleichbare Schwierigkeiten in der Praxis wie im schweizerischen Recht nicht. Zudem kam zum Vorschein, dass die schweizerische Regressordnung im Privatrecht sehr komplex, teilweise auch unlogisch ist und dass die meisten Schwierigkeiten somit „hausgemacht“ sind.169 Die Probleme lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR führt zu sachlich unlösbaren Rechtsproblemen, da das Verhältnis zur Spezialnorm Art. 72 VVG nicht geklärt wurde. Dieser Feststellung wird im Folgenden und dann ausführlich im Teil III nachgegangen. II. VVG 1. Allgemeines Das VVG sieht in Art. 72 Abs. 1 die Subrogation vor, also einen derivativen Forderungsübergang vom Geschädigten zum leistenden Schadensversicherer. Die ratio legis dieser Bestimmung besteht einerseits im Bereicherungsverbot, was sich in der Anspruchskonkurrenz niederschlägt, und andererseits darin, dass durch die Leistungspflicht des Schadensversicherers gegenüber dem Geschädigten nicht der Haftpflichtige entlastet bzw. befreit werden soll.170 Die Wirkungen der Subrogation sind umfassend: Der Forderungserwerb erfolgt in der Höhe, in welcher der Versicherer seine vertraglichen Leistungen erbracht hat. Inbegriffen sind sämtliche mit der Forderung akzessorischen Nebenrechte, wie Sicherheiten und Vorrechte, aber auch Einreden usw.171 Der Haftpflichtige wird gegenüber dem Opfer in der Höhe der Versicherungsleistungen befreit;172 im Gegenzug verliert das Opfer den Ersatzanspruch gegen den Verursacher. 169 170 171 172 Gl.M. Schaer/Duc/Keller, Bossard/Daxelhoffer/Jaeger, S. 308; Maurer, Harmonisierung, S. 106. So auch Honsell, Regress, S. 577. Zum direkten Forderungsrecht als Nebenrecht vgl. vorne § 5 I. Im Sinne von Art. 167 OR. 40 2. Versicherungsarten A. Summen- vs. Schadensversicherung Im Versicherungsrecht wird zwischen der Schadens- und der Summenversicherung unterschieden.173 Während die Schadensversicherung schadensausgleichenden Charakter hat und damit an das Vorliegen eines Schadens anknüpft, wird die Leistung bei der Summenversicherung schadenunabhängig erbracht. Bei der Summenversicherung spricht man auch von abstrakter Bedarfsdeckung, da nicht primär bezweckt wird, einen konkreten Schaden zu decken. Die Relevanz der Unterscheidung liegt darin, ob auf den leistenden Versicherer die Subrogationsbestimmungen gemäss Art. 72 Abs. 1 VVG anwendbar sind oder nicht. Bis zum Contacta-Urteil, BGE 104 II 44 ff., wurde bei Personenversicherungen Art. 96 VVG uneingeschränkt angewendet und damit der Summenversicherung unterstellt. Mit diesem Urteil wurde die bisherige Konstanz durchbrochen und in BGE 119 II 361 ff.174 bestätigt. Dabei stellt das Bundesgericht für die Abgrenzung darauf ab, „ob die betreffende Leistung einen konkreten Schaden deckt oder ob sie unabhängig vom Vorhandensein eines Schadens zu leisten ist“.175 Zur Bejahung einer Schadensversicherung müssen die Vertragsparteien, so das Bundesgericht weiter, die vermögensrechtliche Einbusse als eine selbständige Bedingung des Anspruchs auf Leistung gemacht haben. Daneben sei stets eine Gesamtwürdigung der rechtlichen Natur der in Frage stehenden konkreten Versicherungsleistungen vorzunehmen. In der Lehre wird demgegenüber mehrheitlich für die Lösung plädiert, auf den Inhalt und den Zweck der Leistungen abzustellen.176 Sach- und Vermögensversicherungen sind von ihrer Natur her grundsätzlich als Schadensversicherungen ausgestaltet, zumal die Leistungspflicht und die Entschädigungshöhe stets vom Schaden abhängen. In der Gebäude- und Fahrhabeversicherung ist praktisch ausnahmslos eine Neuwertdeckung vereinbart, und zwar unabhängig von einer allfälligen Amortisation. In der Kaskoversicherung von Fahrzeugen ist ein Zeitwertzusatz vereinbart, welcher regelmässig den Zeitwert des entsprechenden Fahrzeuges übersteigt, wiederum unabhängig von der individuellen Abnutzung. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob bezüglich der Differenz Zeitwert – Neuwert eine Summenversicherung vor173 174 175 176 Für eine vertiefe Auseinandersetzung vgl. etwa Rütsche/Ducksch, S. 39 ff.; ferner auch Stoessel, S. 503 ff.; Gutachten von Emil W. Stark vom 9. März 1995, in: SGW 1995 Nr. 10. Pra (83) 1994, Nr. 163. BGE 119 II 364 f. = Pra (83) 1994, Nr. 163. Rütsche/Ducksch, S. 52; gl.M. Nigg, S. 879 f. 41 liegt.177 Die Doktrin geht in diesem Zusammenhang von einer Kombination Sach/Vermögensversicherung aus.178 Diese Überlegungen setzen jedoch die analoge Anwendung von Art. 96 VVG auf Sachversicherungen voraus.179 B. Eigenschadensversicherung (Sach- und Personenversicherung) Das VVG unterscheidet zwischen Schadens- und Personenversicherung. Diese Unterscheidung ist auf eine Ungenauigkeit des Gesetzgebers zurückzuführen,180 da das Regressrecht des Schadensversicherers gemäss Art. 72 VVG nicht nur auf die Sachversicherung zugeschnitten wurde,181 sondern unter Umständen auch auf Personenversicherungen anwendbar ist. Lediglich dann, wenn die Personenversicherung konkret als Summenversicherung ausgestaltet ist, entfällt eine Subrogation im Sinne von Art. 72 Abs. 1 VVG. C. Drittschadensversicherung (Haftpflichtversicherung) Auf den Haftpflichtversicherer kann nach herrschender Lehre Art. 72 VVG keine direkte Anwendung finden, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens wird eingewendet, Art. 72 VVG beziehe sich lediglich auf die Eigenschadensversicherung. Zudem werde lediglich ein Rückgriff auf verschuldenshaftpflichtige Personen zugelassen, und es mangle an der Identität des Schadens.182 Dann wird aber doch auf die Subrogationsbestimmung von Art. 72 VVG zurückgegriffen, wenn auch nur per analogiam.183 Durch diese analoge Anwendung sei es auch möglich, gegebenenfalls einen Regress auf Kausalhaftpflichtige zuzulassen, „denn die Subrogation umfasst die gleichen Rechte, wie sie der versicherte Haftpflichtige gegenüber möglichen Mithaftpflichtigen hätte geltend machen können“184. 177 178 179 180 181 182 183 184 Bejahend etwa Stoessel, S. 519 f. Koenig, PVR, S. 535 f., was aber Maurer, PVR, S. 502, kritisiert, ohne jedoch einen Gegenvorschlag zu liefern. Vgl. dazu hinten § 7 I. Stoessel, S. 507 m.w.H. Maurer, PVR, S. 417. BK-Brehm, Art. 51 N 65; Koenig, PVR, S. 289; Maurer, PVR, S. 422. BGE 116 II 647 = Pra (80) 1991, Nr. 45, E. 2; Oftinger/Stark, I, § 11 N 102; Schaffhauser/Zellweger, N 1476. BGE 116 II 647 f.; so auch schon BGE 79 II 407 ff. = Pra (43) 1954, Nr. 36; vgl. ferner auch Schiedsgericht H. Oswald vom 22. Februar 1983 in: SGW 1983 Nr. 9, S. 26. 42 Dies entspricht der sog. Alter-ego-Praxis. Damit tritt der Haftpflichtversicherer in die Rechtsstellung des versicherten Haftpflichtigen, mit der Konsequenz, dass sich der Versicherer in der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR dort einzuordnen hat, wo sich sein haftpflichtiger Versicherungsnehmer befindet bzw. befand. Diese Einstufung des Haftpflichtversicherers ist im Ergebnis richtig, zumal es sowohl sachlich als auch dogmatisch nachvollziehbar ist. Bedauerlich ist einzig der Umstand, dass ein derart zentraler Tatbestand bis dato nicht gesetzgeberisch festgehalten wurde. 3. Entstehungsgeschichte von Art. 72 VVG Das VVG vom 2. April 1908 trat am 1. Januar 1910 in Kraft und ist damit zeitlich vor der Bestimmung des Art. 51 Abs. 2 OR185 entstanden, was diesem Gesetz zum Teil den Ruf des antiquierten VVG einbrachte.186 Das Problem bei der Auslegung der Subrogationsbestimmung des Art. 72 VVG liegt in der Frage, was der Gesetzgeber mit dem Ausdruck „unerlaubte Handlung“ gemeint haben könnte. Die überwiegende Lehre und auch die Rechtsprechung subsumieren unter den Ausdruck „unerlaubte Handlung“ lediglich die Verschuldenshaftung, womit ein Regress auf Kausalhaftpflichtige ausser Betracht bleibt.187 Die juristische Subkommission beschränkte offenbar den Regressanspruch auf den Fall, wo „ein delictischer Ersatzanspruch gegen einen Dritten“ besteht. Zudem wurde in den Materialien festgehalten, dass auch bei „kontraktlicher Haftung“ bei gleichzeitiger Haftung aus Delikt ein Regressanspruch gegeben sein soll.188 Weitere Details, welche eine schlüssigere Interpretation zuliessen, sind aus den Gesetzesmaterialien kaum zu entnehmen. Was wollte die Kommission mit dem zweiten Satz festhalten? TUHR189 folgerte daraus, dass das Verschulden nicht Voraussetzung des Versicherungsregresses sei. Diese Auslegung von Art. 72 VVG würde im Ergebnis ein integrales Regressrecht bedeuten. In diese Richtung geht auch die neuere Doktrin.190 Wie in diesem VON 185 186 187 188 189 190 OR vom 30. März 1911; in Kraft getreten per 1. Januar 1912. Gauch, VVG, S. 62. Vgl. statt vieler: Oftinger/Stark, I, § 11 N 31; Portmann, SVZ, S. 33; BGE 62 II 181. Vgl. Protokoll der juristischen Subkommission 1898, S. 54 ff. von Tuhr, SJZ 1922, S. 233 ff. So etwa Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1083 ff. 43 Absatz kurz dargelegt, versteht hingegen die herrschende, aber ältere Lehre diese Bestimmung in der Weise, dass ein Regress des Versicherers nur bei Vorliegen eines Verschuldens möglich sein soll. In diesem Zusammenhang gilt es auch den Umstand zu beachten, dass während der Zeit der Entstehung des VVG die Geschäftsherren-, die Tierhalterhaftpflicht und auch die Haftung des Familienhauptes als Verschuldenshaftungen aufgefasst wurden.191 Daraus wird teilweise gefolgert, dass zu diesem Zeitpunkt unter dem Begriff der unerlaubten Handlungen lediglich die Verschuldenshaftungstatbestände zu subsumieren waren.192 Dies liesse meines Erachtens aber auch den Schluss zu, dass der Gesetzgeber die Subrogation des Versicherers eben viel weiter fassen wollte. Er wählte bewusst den Begriff „unerlaubte Handlung“ und nicht „aus Verschulden“, um gerade auch die Kausalhaftung des Werkeigentümers zu erfassen. Die Regressordnung des Art. 72 VVG allein gäbe genügend Anlass für eine Revision dieses Gesetzes. Dies wurde bereits am Juristentag 1962 erkannt.193 Zurzeit gleicht das Versicherungsrecht einer Grossbaustelle: So wird sowohl das VAG als auch das VVG revidiert. Das VVG wird in einem ersten Schritt teilrevidiert,194 wobei auch längerfristig eine Totalrevision ins Auge gefasst wird.195 Die Botschaft des teilrevidierten VVG ist bereits im Parlament beraten und tritt per 1. Januar 2006 in Kraft. 4. Rechtsvergleichende Betrachtung A. Regressrecht in Deutschland Das Regressrecht des deutschen Schadensversicherers wird in § 67 VVG (D) geregelt. Ein Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten geht auf den Versicherer über, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt hat. Auch im deutschen VVG hat somit die Subrogation Eingang gefunden. § 67 Abs. 1 VVG (D) lautet wie folgt: 191 192 193 194 195 Schaer, Grundzüge, N 917 m.w.H. Dazu etwa Roelli/Jaeger, Art. 72 N 5. Dazu Gauch, VVG, S. 62. Das teilrevidierte VVG ist per 1. Januar 2006 in Kraft getreten. Kernpunkte der Teilrevision waren die Einführung einer Informationspflicht der Versicherungsgesellschaft, die Neuregelung der Anzeigepflichtverletzung, die Teilbarkeit der Prämie bei vorzeitiger Beendigung des Versicherungsvertrages sowie das Vertragsschicksal bei einer Handänderung des versicherten Gegenstandes. Vgl. auch vorne Einleitung. 44 „Steht dem Versicherungsnehmer ein Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen einen Dritten zu, so geht der Anspruch auf den Versicherer über, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden. Gibt der Versicherungsnehmer seinen Anspruch gegen den Dritten oder ein zur Sicherung des Anspruchs dienendes Recht auf, so wird der Versicherer von seiner Ersatzpflicht insoweit frei, als er aus dem Anspruch oder dem Recht hätte Ersatz erlangen können.“ Danach wird dem leistenden Versicherer ein integrales, umfassendes Regressrecht gegen alle beteiligten Haftpflichtigen eingeräumt – unter Vorbehalt des Quotenvorrechts, welches hier ganz offensichtlich nicht bloss auf leichte Fahrlässigkeit beschränkt ist.196 Diese Lösung mit dem integralen Regressrecht ist sachgerecht und dient darüber hinaus der Rechtssicherheit.197 Dies zeigt sich auch darin, dass die Literatur bezüglich des Regresses weniger umfangreich ausfällt. Von § 67 VVG (D) werden auch die Ausgleichsansprüche von Haftpflichtversicherern erfasst.198 B. Regressrecht im Fürstentum Liechtenstein Das Versicherungsvertragsgesetz (VersVG)199 von Liechtenstein regelt das Regressrecht des Versicherers in Art. 53 Abs. 1, wo die Subrogation wie folgt bestimmt wird: „Auf das Versicherungsunternehmen geht insoweit, als es Entschädigung geleistet hat, der Ersatzanspruch über, der dem Anspruchsberechtigten gegen Dritte zusteht.“ Diese Regelung erinnert stark an die schweizerische Regelung im VVG, ist doch der Satz bzw. der Wortlaut identisch mit Art. 72 VVG, mit der Ausnahme, dass bei Letzterem bekanntlich die Anspruchsberechtigung auf die „unerlaubte Handlung“ reduziert ist. 196 197 198 199 Vgl. dazu Weyers/Wandt, § 67 N 735 ff., wo zum Ausdruck kommt, dass § 67 VVG weit auszulegen sei. Vgl. dazu hinten § 9 III 3. Weyers/Wandt, § 67 N 736. Gesetz vom 16. Mai 2001 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VersVG), 215.229.1. 45 Demnach steht den liechtensteinischen Schadensversicherern – wie in Deutschland und Österreich – ein integrales Regressrecht gegen sämtliche Haftpflichtige zu, und zwar ohne Einschränkung. Diese Regelung ist klar und eindeutig, auch wenn an dieser Stelle nochmals betont werden muss, dass an sich unter den Begriff „unerlaubte Handlung“ ohne weiteres auch Kausalhaftungstatbestände subsumiert werden könnten, zumal unter diesem Titel im OR sämtliche ausservertraglichen Haftungstatbestände figurieren. C. Zwischenergebnis aus der Rechtsvergleichung Durch die unterlassene Koordination zwischen VVG und OR und dem unklaren Ausdruck „unerlaubte Handlung“ wurde die Handhabung des schweizerischen Regressrechtes unnötig erschwert. Dies im Gegensatz zum ausländischen Recht, bei welchem einerseits teilweise explizit auf den Vorrang des VVG hingewiesen und andererseits eine klare Subrogationsnorm statuiert wird. 5. Stellungnahme Die Schwierigkeiten hinsichtlich der aus Art. 72 Abs. 1 VVG resultierenden Subrogation, im Zusammenhang mit der Kaskade von Art. 51 Abs. 2 OR, gründen in einer Unterlassung des Gesetzgebers, der es versäumt hat, das Verhältnis der Spezialgesetze zum allgemeinen neueren Regressrecht des OR zu regeln bzw. anzupassen. Dies mag daran liegen, dass nicht schon zu Beginn der Beratung die Revision des Art. 51 OR geplant war und somit eine Anpassung der speziellen Regressnormen untergegangen ist.200 Zudem ist hinsichtlich der Regressaten der Ausdruck „unerlaubte Handlung“ nicht allzu glücklich ausgefallen. Es entbehrt jeglicher Logik, wenn die aus Kausalhaftpflicht oder aus Vertrag Haftenden nicht zu den möglichen Regressschuldnern von Art. 72 Abs. 1 VVG gezählt werden. Überdies galt damals wie heute die Werkeigentümerhaftung als unerlaubte Handlung, weshalb es keinen Grund gibt, den gesetzgeberischen Willen so auszulegen, dass die unerlaubte Handlung dem Verschulden gleichzustellen wäre. Wäh- 200 Hartmann, S. 81. 46 rend die unerlaubte Handlung als Oberbegriff für eine Art der Obligationsentstehung dient, versteht sich das Verschulden als Tatbestandselement einzelner Haftungsarten. Nach dem allgemeinen Verständnis ist es Zweck einer Eigenschadensversicherung, den Schaden einer bestimmten Art zu ersetzen, und zwar unabhängig davon, ob dem Geschädigten für diesen Schaden ein Dritter haftet. Dadurch sollen dem Versicherungsnehmer die Mühe und das Risiko eines Prozesses gegen den Dritten erspart bleiben. Hingegen wollte meines Erachtens der Geschädigte mit dem Abschluss seiner Eigenschadensversicherung kaum den haftpflichtigen Dritten begünstigen. Wäre dem so, würde es sich – wohl stillschweigend – um Versicherungen zugunsten Dritter handeln. Davon spricht aber bei Sach- und Kaskopolicen zu Recht niemand.201 III. Sozialversicherungsrecht 1. Allgemeines Mehrere Ersatzpflichtige bilden bezüglich kongruenter Leistungen eine Koordinationsgemeinschaft. Bei der Beteiligung von Sozialversicherern gilt es neben dem Rückgriff gegenüber einem Dritten auch den Ausgleich innerhalb der Koordinationsgemeinschaft zu berücksichtigen. Ausserdem ist zwischen solchen Gemeinschaften zu unterscheiden, welche einzig aus dem ATSG unterstellten Versicherungsträgern bestehen, und solchen, bei denen zusätzlich auch Privatversicherer nach VVG involviert sind. Je nachdem ändert sich die Rückgriffsregelung. Dabei geht es ausschliesslich um die Koordination des Rückgriffs und nicht um jene der Leistungen.202 Dies wird im Folgenden kurz dargelegt. 2. Rückgriff gegen Dritte In Art. 72 Abs. 1 ATSG ist ein integrales Regressrecht statuiert, basierend auf dem Prinzip des „neutralen Ersatzpflichtigen“203. Der Versicherungsträger tritt zum Zeitpunkt des Ereignisses in die Ansprüche der versicherten Person und ihrer Hinterlassenen ein, wel- 201 202 203 Honsell, Regress, S. 572 hält fest, dass das Regressergebnis nicht vom zufälligen Umstand abhängen soll, ob der Geschädigte eine Eigenschadenversicherung abgeschlossen hat. Betreffend Leistungskoordination vgl. Art. 63 ff. ATSG. Mit diesem Begriff sind Ersatzpflichtige, welche keine Schadenursache zu vertreten haben, gemeint; vgl. dazu etwa Beck, ATSG, S. 130. 47 che diese gegenüber Dritten besitzen. Diese Regelung bezieht sich demnach auf Rückgriffe gegen Haftpflichtige oder ihren Haftpflichtversicherer. Als Besonderheit gilt es speziell die solidarische Haftung mehrerer Haftpflichtiger gegenüber den regressierenden Versicherungsträgern gemäss Art. 72 Abs. 2 ATSG zu erwähnen. Dadurch wird teilweise der Schluss gezogen, dass die Sozialversicherer gar nicht mehr zur Anspruchskonkurrenz zählen und damit eine Unterscheidung zwischen Aussen- und Innenverhältnis obsolet wird.204 Sodann umfasst die Subrogation nach ATSG auch ein allfälliges direktes Forderungsrecht der geschädigten Person, welches ihr gegenüber dem Haftpflichtversicherer zusteht. Umfang, Kongruenzen und Regressprivilegien werden in den darauf folgenden Art. 73–75 ATSG geregelt.205 Regressberechtigte im Sinne des ATSG sind nur jene Sozialversicherungsträger, welche diesem Gesetz unterstellt sind. Die berufliche Vorsorge untersteht nicht dem ATSG. Mit der 1. BVG-Revision, welche per 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, sind jedoch die Regressbestimmungen direkt im BVG dem ATSG angeglichen worden.206 3. Koordination der Rückgriffsansprüche innerhalb der Versicherungsträger nach ATSG Das Regressverhältnis mehrerer dem ATSG unterstellter Sozialversicherer wird durch Art. 16 ATSV geregelt. Danach werden die beteiligten Sozialversicherungsträger zu einer Gesamtgläubigerschaft zusammengeschlossen. Innerhalb dieser Gemeinschaft werden sie im Verhältnis der von ihnen zu erbringenden kongruenten Leistungen ausgleichspflichtig. Es findet demnach eine proportionale Aufteilung statt. 4. Koordination mit Rückgriffsansprüchen anderer Versicherer Beinhaltet die Koordinationsgemeinschaft sowohl Sozialversicherer nach ATSG als auch Versicherer nach VVG, so stellt sich die Frage, wie eine allfällige Ausgleichung zu er- 204 205 206 So etwa Beck, ATSG, S. 131 f.; ebenso bereits schon vor Inkrafttreten des ATSG Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 917, wo von fingierter Anspruchskonkurrenz die Rede ist. Die entsprechenden Artikel werden bei der Darlegung der jeweiligen Themen weiter herangezogen und gegebenenfalls behandelt. Art. 34b BVG. 48 folgen hat, zumal eine gesetzliche Regelung nirgends verankert ist. In der Doktrin werden drei Theorien vertreten:207 1. Proportional-Methode: Bei dieser Methode bilden alle beteiligten Versicherer eine Gesamtgläubigerschaft. Innerhalb dieser Gemeinschaft stehen sich alle Regressforderungen gleichberechtigt gegenüber. Die Aufteilung der Forderungen erfolgt sodann im Verhältnis der jeweilig erbrachten Versicherungsleistungen. Diese Meinung wird von der überwiegenden Lehre vertreten.208 2. Rangfolge-Methode: Diese Methode richtet sich nach der zeitlichen Entstehung der jeweiligen Subrogation. Damit werden die Sozialversicherer, infolge der unmittelbaren Subrogation, gegenüber den Privatversicherern bevorzugt, welche erst bei Erbringen der Leistung in die Geschädigtenansprüche subrogieren. 3. Entflechtungs-Methode: Diese Theorie wird vor allem von DENGER verfochten.209 Hier werden die zwei Kategorien von Versicherern berücksichtigt, indem zweiphasig verfahren wird. In einer ersten Stufe werde das Regresssubstrat für die Sozialversicherer nach ATSG ermittelt, wobei der Brutto-Direktanspruch des Versicherten als Basis diene. Das verbleibende Substrat, welches den Brutto-Direktanspruch darstelle, werde auf die zweite Kategorie von Versicherern, jenen nach VVG, aufgeteilt. Für die Proportionalmethode spricht meines Erachtens vor allem das Prinzip der Gleichbehandlung, auch wenn aufgrund der Neukonzeption des Art. 72 Abs. 2 ATSG, wonach mehrere Haftpflichtige gegenüber den Versicherungsträgern solidarisch haften, auch die Rangfolgemethode eine gewisse Berechtigung erlangt hat. Die Entflechtungsmethode ist deshalb abzulehnen, weil die Sozialversicherer davon profitieren, wenn der Geschädigte eine Zusatzversicherung210 nach VVG abgeschlossen hat.211 Diesfalls wird der BruttoDirektschaden kleiner und damit das Regresssubstrat der Versicherer der ersten Kategorie grösser. Der dadurch erzielte Profit geht dann zulasten der Versicherer der zweiten Kategorie. 207 208 209 210 211 Die Darstellung erfolgt lediglich summarisch, da es vor allem ein sozialversicherungsrechtliches Problem betrifft. Für weitere Ausführungen vgl. etwa Schaer/Duc/Keller, Denger, S. 339 ff.; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1100 ff. So etwa Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1108 m.w.H.; Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 627 ff.; Schaer, Hard cases, S. 20 f. Schaer/Duc/Keller, Denger, S. 340 ff., wo auch zwei Beispiele dargestellt werden. Z.B. eine Auto-Insassenversicherung. Ebenfalls ablehnend Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 626 Fn 73. 49 IV. Nach SVG 1. Allgemeines Dieses Kapitel behandelt die Rechtslage, wenn eine Haftung nach SVG mit anderen Haftungsnormen kollidiert. Auf die weiteren Gefährdungshaftungen212 wird nicht eingegangen. Die im SVG statuierte Gefährdungshaftung von Art. 58 Abs. 1 kommt nur dann zur Anwendung, wenn das Fahrzeug in Betrieb war und sich diese Betriebsgefahr auch auf den Schaden ausgewirkt hat. Ist der Betrieb nicht gegeben, kommt eine Verschuldenshaftung gemäss Art. 58 Abs. 2 SVG in Betracht. Somit ist die Bejahung des Betriebes bei der Gefährdungshaftung von zentraler Bedeutung, weshalb dieser Frage im folgenden Abschnitt kurz nachgegangen wird.213 Das SVG sieht als Spezialgesetz eine eigene Regressordnung vor. Dies ergibt auch Sinn, da es sich beim vorliegenden Gesetz um eine Gefährdungshaftung handelt, bei welcher die Betriebsgefahr in besonderer Weise zu berücksichtigen ist. Dabei wird aber lediglich die Haftungskollision mehrer Halter geregelt, während das Verhältnis zu anderen Haftpflichtigen, welche aus anderen Rechtsgründen haften, keine spezielle Regelung erfährt. Die Bestimmung von Art. 60 SVG verankert zunächst in Abs. 1 die Solidarität gegenüber Dritten, und zwar handelt es sich dabei um die echte Solidarität. Dies ist unproblematisch. Die Schadensverteilung im Innenverhältnis wird von Abs. 2 bestimmt. Entsprechend wird der Schaden unter den beteiligten Haftpflichtigen, unter Würdigung aller Umstände, verteilt. Als Richtlinie wird bestimmt, dass mehrere Motorfahrzeughalter nach Massgabe des von ihnen zu vertretenden Verschuldens den Schaden tragen, wenn nicht besondere Umstände, namentlich die Betriebsgefahren, eine andere Verteilung rechtfertigen. Dieser viel diskutierte Abs. 2 hat zu zwei Methoden geführt: der Kompensationsmethode und der sektoriellen Verteilung.214 Betreffend Schaden unter Haltern gibt Art. 61 SVG Auskunft. Zunächst fällt auf, dass hier zwischen Personen- und Sachschäden unterschieden wird. Dies ist nach überwiegender Meinung nicht sachgerecht und entbehrt jeglicher Logik.215 Hinsichtlich der Personenschäden ist Abs. 1 im Ergebnis praktisch identisch mit der Bestimmung von 212 213 214 215 Zu denken ist etwa an folgende Gefährdungshaftungen: Art. 1 PrHG, Art. 64 LFG, Art. 1 EHG, Art. 3 KHG, Art. 27 EleG, Art. 33 RLG, Art. 27 SprstG, Art. 15 JSG, Art. 59a-b USG. Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Art. 60 und 61 SVG vgl. etwa Hulliger. Zu den Einzelheiten vgl. hinten § 6 IV. So noch das EHG. 50 Art. 60 SVG. Hingegen wird in Abs. 2 betreffend Sachschäden unter Haltern eine Verschuldenshaftung statuiert. Sodann wird hier der guten Ordnung halber festgehalten, dass Art. 60 ff. SVG lex specialis zu den allgemeinen Normen des OR sind. Dennoch wird von einem Teil der Lehre die Anwendbarkeit der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR für das SVG bejaht, dies im Sinne von Art. 4 ZGB, da das Gesetz dem Richter die Würdigung aller Umstände auferlege.216 Kollidiert eine Haftung aus SVG mit anderen Haftungsnormen, so bleibt die Frage von Seiten des Gesetzes unbeantwortet, nach welchen Regeln der Schaden im Innenverhältnis aufzuteilen ist. Diese Problematik wird in einem eigenen Abschnitt erörtert.217 2. Begriff des Betriebes eines Motorfahrzeuges A. Kurzdarstellung der heutigen Rechtsprechung Damit die Haftungskollisionen bzw. der Regress nach SVG untersucht werden können, bedarf es vorab der kurzen Klärung des Begriffs „Betrieb eines Motorfahrzeuges“218, zumal damit die Gefährdungshaftung steht oder fällt. Der Betriebsbegriff wird in BGE 63 II 269 ff.219 wie folgt umschrieben: „Das Motorfahrzeug ist im Betrieb, wenn seine maschinellen Einrichtungen, welche die dem Motorfahrzeugverkehr eigentümliche Gefahrenquelle darstellen, also namentlich Motor und Scheinwerfer, im Gange sind, wobei der Fortbewegung des Fahrzeuges durch den Motor diejenige durch die eigene Schwerkraft zum mindesten bei bewusster Ausnutzung gleichgestellt werden muss.“ Zwischen dem Betrieb des Motorfahrzeugs bzw. seiner spezifischen Betriebsgefahr und dem Unfall muss zudem ein Kausalzusammenhang bestehen. Nach Bundesgericht ist dieser Zusammenhang dann zu bejahen, „wenn eine dem Betrieb des Fahrzeuges eigene 216 217 218 219 So etwa Giger, Art. 60 Ziff. 2a. Vgl. hinten Ziff. 4. Ausführlich etwa A. Keller, Rechtsgutachten für den Nationalen Garantiefonds Schweiz und das Nationale Versicherungsbüro Schweiz zum Bagger-Küde-Fall, in: HAVE 2003, I, S. 18 ff. Bestätigt etwa in BGE 82 II 47; 88 II 458. 51 Gefahr sich auswirkt, dagegen zu verneinen, wenn bloss anlässlich des Betriebes eines solchen Fahrzeuges Schaden entsteht“220. Somit kann festgehalten werden, dass ein Betrieb im Sinne von Art. 58 Abs. 1 SVG dann nicht vorliegt, wenn die motorischen Kräfte nicht zur Fortbewegung, sondern ausschliesslich zur Arbeitsleistung verwendet werden.221 Es wird auch gefordert, dass die Betriebsgefahren nicht abstrakt, sondern konkret, nach den jeweiligen Umständen, zu beurteilen sind, wie sie sich im Einzelfall verwirklicht oder ausgewirkt haben.222 Diesbezüglich darf nicht übersehen werden, dass das Bundesgericht mit seiner Rechtsprechung manchmal auch die abstrakte Betriebsgefahr genügen lässt: die sog. latente Betriebsgefahr; beispielsweise dort, wo der Motor läuft, aber das Fahrzeug nicht in Bewegung ist. Dieses Problem ist in der Praxis als Sonderfall der stillstehenden Fahrzeuge bekannt. Dabei stellt das Bundesgericht auf eine Gesamtbetrachtung ab, worin sich auch eine zeitliche Komponente widerspiegelt.223 Tendenziell bejaht das Bundesgericht bei stillstehenden Fahrzeugen auf der Fahrbahn den Betrieb.224 B. Stellungnahme Obschon das Bundesgericht die Betriebsgefahr zu Recht nicht extensiv auslegt, kann diese Praxis zu nicht sachgerechten Resultaten führen. Aus diesem Grunde wird versucht, eine Lösung aufzuzeigen, welche mit relativ einfachen Mitteln eine Haftungsbeurteilung nach SVG zulässt. Aus den obigen Ausführungen und der dargelegten Kasuistik kann gefolgert werden, dass auf die beim Unfall konkret ausgewirkten Energien abgestellt werden könnte. Dies entspricht auch der ratio legis, die Betriebsgefahr unter die Gefährdungshaftung zu stellen. Die von einem Motorfahrzeug ausgehende Gefahr korreliert mit der entsprechenden kinetischen Energie, welche bekanntlich nach der Formel: E = (m*v2)/2 berechnet wird. Ist die Energie gleich Null, so kann sich die Betriebsgefahr grundsätzlich nicht ausgewirkt haben und darf bei der Schadensaufteilung keine Berücksichtigung finden. Eine 220 221 222 223 224 BGE 107 II 271; 114 II 379. So auch das Urteil des KGer SG, in: SJZ 1969, S. 12; a.M. Keller, Haftpflicht I, S. 292. BGE 85 II 521 f.; 105 II 213 E. 4b; Schaffhauser/Zellweger, N 1321 u. N 1336. So etwa BGE 64 II 237 ff. Der Betrieb wurde vom BGer bejaht, in: BGE 113 II 323 ff.; 95 II 635; 81 II 554; 64 II 240; 63 II 339. Betrieb verneint, in: BGE 114 II 382; 107 II 273; 102 II 281; 100 II 49; 97 II 161 ff.; 78 II 161; 72 II 217 ff. 52 Ausnahme dieser Regel würde etwa der Fall bilden, bei welchem ein Motorfahrzeug kurz anhält, um einen Zusammenstoss mit einem anderen Strassenbenützer zu verhindern. Hier darf nicht auf die Kollisionsenergien, sondern auf jene vor dem sich anbahnenden Unfall abgestellt werden. Wissenschaftliche Genauigkeit ist beim Ganzen zwar nicht verlangt, meines Erachtens auch nicht erstrebenswert und im Übrigen auch nicht möglich. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass die Geschwindigkeit sich quadratisch auswirkt. Die physikalische Energieformel wird – unter Anrufung der konkreten Berechnung, wie hier vorgeschlagen – bis dato jedoch mehrheitlich abgelehnt.225 Eine scharfe Kausalhaftung lässt sich meines Erachtens nur dadurch rechtfertigen, dass eine Haftung mitunter für jene Fälle begründet wird, bei welchen sich die tatsächliche Gefahr auch verwirklicht hat. So ist nicht einzusehen, weshalb ein zwar in den Verkehr eingegliedertes Fahrzeug, welches vor dem auf Rot stehenden Lichtsignal seit einigen Sekunden oder Minuten steht, plötzlich mit einer Haftung belastet wird, bloss weil ihm ein anderer Verkehrsteilnehmer – Auto oder Fahrrad – aufgefahren ist. Die tote Masse, wie das Bundesgericht zu sagen pflegt,226 hätte ja auch ein Stein oder sonst ein Hindernis sein können. 3. Haftungskollisionen innerhalb des SVG A. Vorbemerkungen Einleitend und Bezug nehmend auf die vorherigen Ausführungen wird die Problematik der bundesgerichtlichen Rechtsprechung betreffend die Betriebsgefahr anhand eines Sachverhaltes dargelegt: Halter A hält korrekt vor dem roten Lichtsignal. Dies macht hinter A auch das Fahrzeug B. Das dritte Fahrzeug C kann nicht mehr rechtzeitig anhalten und fährt B von hinten auf, so dass Letzterer auf A gestossen wird. Dabei wird die Beifahrerin des Fahrzeuges B, die Ehefrau des Halters B, schwer verletzt. C begeht Fahrerflucht, 225 226 Statt vieler etwa Hulliger, S. 98 f., wo er das Beispiel eines Motorrades anführt, welches in einen Reisebus prallt. Der dabei ausgewirkte physikalische Stoss, m1*v1 = m2*v2, kann meines Erachtens dabei niemals alleine den Bus den Abhang hinunterstossen, sondern da muss ein weiterer Umstand in der Kausalkette hinzutreten. BGE 97 II 166. 53 und es gelingt in der Folge nicht, ihn zu finden. Die Beifahrerin des B wird von der UVG-Versicherung schadlos gehalten. Letztere macht Regress, aber auf wen? Ebenso möchte B seinen Fahrzeugschaden geltend machen. Bemerkungen: C ist nicht auffindbar, weshalb gegen ihn de facto keine Ansprüche gestellt werden können. Dass der nationale Garantiefonds hinsichtlich des Personenschadens nicht zur Anwendung gelangt, ergeht aus Art. 76 Abs. 4 SVG, worin eine subsidiäre Deckung227 statuiert ist. Dasselbe gilt für den Fahrzeugschaden des B, wenn er eine Kaskoversicherung besitzt. Somit muss vorab nach anderen Ersatzpflichtigen gesucht werden. Halter B fällt unter das Haftungs- bzw. neu das Regressprivileg nach ATSG. Die Frage, ob der subrogierende Versicherer trotzdem Regress auf den an sich privilegierten Schädiger nehmen kann, ist eine Frage der gestörten Solidargemeinschaft. Diese Frage wird in einem separaten Kapitel erörtert.228 Wird der herkömmlichen Auffassung gefolgt, so bleibt B auch im Regress privilegiert, weshalb lediglich noch Halter A in Betracht kommt. Da das Fahrzeug noch in den Verkehr eingegliedert ist, würde nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Haftung vollumfänglich auf den unschuldigen A fallen. Dieses Resultat kann nach meinem Dafürhalten nicht richtig sein. Dies zeigt sich auch dadurch, dass anstelle des Fahrzeuges A ebenso gut ein Stein – eben eine tote Masse – hinzugedacht werden kann, für welchen logischerweise keine Gefährdungshaftung besteht. Nach der hier vorgeschlagenen Lösung ginge die Beifahrerin B nicht leer aus, sondern für den erlittenen Schaden käme der nationale Garantiefonds zum Zuge, da keine Haftpflichtigen vorhanden sind. Dem steht meines Erachtens auch Art. 59 SVG nicht entgegen, wonach lediglich die höhere Gewalt, nicht aber der blosse Zufall einen Haftungsausschlussgrund darstellt, stellt man auf die sich beim Unfall ausgewirkte Energie ab. 227 228 Vgl. dazu hinten § 12 I 3. Vgl. hinten § 7 III. 54 B. Kompensationstheorie oder sektorielle Verteilung? In der Doktrin werden in Bezug auf die quotale Aufteilung des Schadens zwei verschiedene Methoden vertreten: die sog. sektorielle Verteilung229 und die sog. Kompensationsmethode230. Bei der sektoriellen Verteilung231 werden alle relevanten Ursachen zusammen als Kreis oder Kuchen dargestellt, womit jede Ursache in Form eines Sektors abgebildet wird.232 Je gewichtiger die Relevanz der Teilursache, desto grösser wird das „Kuchenstück“. Der gesamte Kreis bzw. Kuchen entspricht dem Gesamtschaden im Sinne von Art. 42 OR. Die Veränderung des einen Sektors wirkt sich auf sämtliche anderen im Kreis enthaltenen Sektoren aus. Wird ein Sektor vernachlässigbar klein, so scheidet er sogar aus der Verteilung aus.233 Ist im Innenverhältnis ein Versicherer beteiligt, so nehmen OFTINGER/STARK diesen aus dem Solidarschuldnerverhältnis heraus und gewähren ihm ein Rückgriffsrecht gegen alle Haftpflichtigen. Die Autoren rufen auch in Erinnerung, dass Art. 51 Abs. 2 OR keinen zwingenden Charakter habe.234 Diese Lösung entspricht im Ergebnis einem integralen Regressrecht. Bei der Kompensations- bzw. Neutralisationsmethode werden gleichartige Ursachen, welche miteinander kollidieren, aus der Rechnung gestrichen bzw. neutralisiert.235 Die Quoten der verbleibenden Ursachen werden dadurch erhöht. Dabei können sowohl Verschuldensquoten als auch Betriebsgefahren neutralisiert werden. Eine Kompensation der Betriebsgefahren findet nach Bundesgericht dann nicht statt, wenn keiner der ersatzpflichtigen Halter ein Verschulden zu vertreten hat.236 Diesfalls werden die Schäden nach der Grösse der Betriebsgefahren verteilt. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat sich bis dato noch auf keine Methode wirklich festgelegt. Hinsichtlich des Regresses unter Motorfahrzeughaltern wird jedoch tendenziell die Kompensationsmethode favorisiert.237 Bei der Verschuldenskompensation 229 230 231 232 233 234 235 236 237 Vgl. etwa: Oftinger/Stark, I, § 9 N 12 ff.; Roberto, Schadensrecht, S. 319 m.w.H. So etwa Guhl/Koller, § 10 N 74, 78. Auch "Kuchenprinzip" genannt. Oftinger/Stark, I, § 9, N 13. Oftinger/Stark, I, § 9 N 14; nach dem Prinzip "minima non curat Praetor". Oftinger/Stark, I, § 11 N 74 ff. Oftinger/Stark, I, § 9 N 15. BGE 105 II 209 ff. BGE 99 II 95 ff.; BBl 1973 II 1199. 55 werden die beiden Methoden etwa gleich oft angewendet.238 Das Bundesgericht führt im Entscheid BGE 113 II 329239 aus, dass die beiden Halter dem Lenker oder seiner Hinterbliebenen solidarisch nach Art. 60 Abs. 1 SVG haften. Die Kompensation findet nach Auffassung des höchsten Gerichtes nur unter Haltern statt, weshalb die zum Teil in der Lehre geäusserten Bedenken hinsichtlich Kompensation der beteiligten Betriebsgefahren bei der Kollision mit allgemeinen Haftungstatbeständen obsolet geworden sind.240 Eine Kompensation der Betriebsgefahren findet nach der Rechtsprechung auch dann nicht statt, wenn beide Halter schuldlos sind. In diesem Fall wird der Schaden nach den von den beteiligten Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren aufgeteilt.241 Es ist zu bedauern, dass sich das Bundesgericht bis heute nicht für eine einheitliche Praxis entschieden hat. 4. Haftungskollision SVG-Haftung mit allg. Haftungsnorm A. Vorbemerkungen Die Einordnung der Gefährdungshaftung in die Regressordnung bereitet seit jeher Probleme, und eine entsprechende konsequente Praxis existiert dazu nicht. Wie die historische Auslegung gezeigt hat, stammt die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR aus einer Zeit, in der die Gefährdungshaftungstatbestände erst im Aufkommen waren und der Gesetzgeber diese bei der Konzeption nicht bedacht hatte.242 Seither wird versucht, die Gefährdungshaftung ins geltende Recht einzuordnen, was jedoch nicht einfach ist, zumal bei der Gefährdungshaftung sich lediglich die konkrete Gefahr, welche an sich sozialadäquat gebilligt wird, verwirklicht hat. 238 239 240 241 242 Für Verschuldenskompensation: BGE 116 II 737; 116 II 427; 97 II 345; 67 II 188. Gegen eine Neutralisierung der Verschulden: BGE 113 II 328; 95 II 581; 92 II 44; 63 II 224; 60 II 199. Sog. Ebenrain-Tunnel-Fall. Dazu noch etwa Oftinger/Stark, II/2, § 25 Fn 1162. BGE 123 III 279; Oftinger/Stark, II/2, § 25 N 661. Vgl. vorne § 6 I 2. 56 B. Lehre und Rechtsprechung i. Betriebsgefahr ist gegeben Nach der herrschenden Lehre soll die Gefährdungshaftung auf die Gesetzesstufe von Art. 51 Abs. 2 OR gestellt werden, mit der zusätzlichen Einschränkung des Prinzips der Vorwegtragung eines Regressteils für die Verwirklichung der Betriebsgefahr.243 OFTIN244 GER/STARK wollen die sektorielle Methode angewendet wissen. Eine andere Meinung geht dahin, die Gefährdungs- mit der Kausalhaftung im Innenverhältnis gleichzustellen.245 Diese Lösung basiert auf der Überlegung, dass die strenge Haftung für die Betriebsgefahr lediglich als Schutz für den Geschädigten im Aussenverhältnis statuiert wurde, sich aber im Innenverhältnis, aufgrund des fehlenden tadelnswerten Verhaltens, ein weiteres Festhalten an dieser scharfen Haftung nicht rechtfertigen lasse. Das Bundesgericht hat sich in BGE 116 II 645 diesbezüglich gegen die Anwendung von Art. 51 Abs. 2 OR ausgesprochen, indem es diesen Fall als Ausnahme von der aufgestellten Kaskade einstuft und die Regelung vielmehr dem Grundsatz von Art. 60 Abs. 2 Satz 1 unterstellt, wonach der Schaden auf die beteiligten Haftpflichtigen unter Würdigung aller Umstände zu verteilen sei.246 Die bereits erwähnte Kompensationsmethode betreffend die kollidierenden Betriebsgefahren findet somit spätestens dort ihr Ende, wo Haftpflichtige aus SVG-fremden Haftungsgründen beteiligt sind, da sonst mittels Kompensation der Betriebsgefahren diese meistens zur Nichtberücksichtigung führen würden.247 Meines Erachtens führt sowohl das Prinzip der Vorwegtragung eines Haftungsteils betreffend die Betriebsgefahr als auch die bundesgerichtliche Lösung zum gleichen Ergebnis: Es entspricht nämlich der von OFTINGER/STARK vorgeschlagenen Lösung der sektoriellen Methode. 243 244 245 246 247 Rey, N 1523; eher kritisch: Schaer, Grundzüge, N 869 ff.; Oftinger/Stark, I, § 10 N 51; Oftinger/Stark, II/2, § 25 N 714; Schaffhauser/Zellweger, N 1467. Oftinger/Stark, II/2, § 25 N 711. BK-Brehm, Art. 71 N 133 m.w.H. BGE 116 II 649 E.3b. So auch Oftinger/Stark, II/2, § 25 Fn 1162. 57 ii. Ermässigung oder Ausschluss der Halterhaftung Die Relevanz der Betriebsgefahr kann durch ein grobes Drittverschulden oder durch ein grobes Selbstverschulden derart in den Hintergrund gedrängt werden, dass es den Kausalzusammenhang hinsichtlich der Betriebsgefahr zu unterbrechen vermag.248 Gemäss Art. 59 Abs. 1 SVG ist jedoch vorausgesetzt, dass kein zusätzliches Verschulden des Halters bzw. des Lenkers mitgewirkt und ebenso keine fehlerhafte Beschaffenheit des Fahrzeuges zum Unfall beigetragen hat. Sind diese Bedingungen erfüllt, wird der Halter gemäss Art. 59 Abs. 1 SVG von der Haftung befreit. Trifft nun der Kausalhaftpflichtige, welcher ein zusätzliches Verschulden zu vertreten hat, mit einer aus Gefährdung haftenden Person zusammen, so verteilen sich die Sektoren des Gesamtschadens auf mehrere Komponenten.249 Kann der Halter den Beweis des grobfahrlässigen Selbstverschuldens des Geschädigten nicht erbringen, so kann seine Haftung dennoch gemäss Art. 59 Abs. 2 SVG gemildert werden. Ein eigenes Verschulden des Halters oder Lenkers wird nach Rechtsprechung des Bundesgerichts mit dem Selbstverschulden kompensiert.250 Diese Lösung liegt aufgrund des Gesetzeswortlautes nicht zwingend auf der Hand. Auf weitere Einzelheiten kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden. iii. Betriebsgefahr ist nicht gegeben Ist die Betriebsgefahr nicht gegeben, so haftet der Fahrzeughalter einzig dann, wenn ihm ein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Wenn dies der Fall ist, so fällt er in der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR auf die unterste Stufe. Wird ein parkiertes Fahrzeug von einem Tier oder infolge eines Werkmangels beschädigt, und ist alternativ zur Kausalhaftung ein zusätzliches Verschulden gegeben, so stellt sich wiederum die Frage, wie der für den Schaden aufgekommene Teilkaskoversicherer regressieren kann. Nach der Regresskaskade steht dem Teilkaskoversicherer grundsätzlich ein Regressanspruch gegen den Haftpflichtigen aus Art. 41 OR zu. Wendet man hingegen die sektorielle Verteilung an – wie oben dargelegt –, so gilt es zu beachten, 248 249 250 Vgl. dazu eindrücklich Urteil des BGer vom 24. August 2001, 4C.141/2001. Vgl. dazu etwa Hulliger, S. 84 ff., wo versucht wird, die verschiedenen Konstellationen, unter Berücksichtigung der Verschuldenshöhe, zu katalogisieren. BGE 64 II 237; 64 II 312. 58 dass diesfalls der Kaskoversicherer aus dem Innenverhältnis herauszunehmen und ihm damit keine Quote zuzuteilen ist.251 C. Zwei Fälle aus der Praxis Betreffend Kollision zwischen Tierhalter- und Motorfahrzeughaftung hat das Bundesgericht252 beispielsweise eine Haftungsquote des Tierhalters von 75% für rechtmässig erklärt. Der Tierhalter hatte ein leichtes, zusätzliches Verschulden zu vertreten, während dem Motorfahrzeughalter lediglich die Betriebsgefahr angelastet werden konnte. Hinsichtlich der Haftungskollision zwischen Werkeigentümer- und Motorfahrzeughaftung beurteilte das höchste Gericht253 die Aufteilung in der Weise, dass ohne jegliches Verschulden eine Aufteilung 1:3 zu 2:3 zulasten des Motorfahrzeughalters gerechtfertigt sei. Treffe den Werkeigentümer ein zusätzliches Verschulden, so sei dieselbe Aufteilung, jedoch zulasten des Werkeigentümers, rechtmässig. Wird ein aus OR Haftpflichtiger vom Geschädigten im Aussenverhältnis belangt, so hat er aufgrund der Solidarität für den kausal verursachten Schaden grundsätzlich vollen Ersatz zu leisten. Im Innenverhältnis hat er sich an die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR zu halten. Davon nicht betroffen sind Haftungssubjekte aus SVG, welche eine Betriebsgefahr zu vertreten haben. Gegen solche Haftpflichtige wird der Regress des beispielsweise Verschuldenshaftpflichtigen zugelassen, eben mit der Begründung, dass die Betriebsgefahr stets ihren Anteil zu übernehmen hat. Eine umfangreiche Kasuistik betreffend die Kollision von Halterhaftung und Verschuldenshaftung, inklusive graphischer Darstellung, ist bei EMMENEGGER/GEISSELER254 zu finden. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird in dieser Arbeit lediglich darauf verwiesen. 251 252 253 254 Oftinger/Stark, I, § 11 N 74. BGE 85 II 243 ff. = Pra (48) 1959, Nr. 174. BGE 108 II 57 f. Emmenegger/Geisseler, Ausgewählte Fragen der SVG-Haftung in: Strassenverkehrsrechts-Tagung 2004, S. 3 ff., insb. S. 30 ff. und Anhang. 59 § 7. Einschränkungen des Regressrechts I. Quotenvorrecht 1. Ausgangslage Kommt für einen Schadensfall eine Schadensversicherung auf, wird aber durch ihre Leistung nicht der ganze erlittene Schaden gedeckt, so stellt sich die Frage, ob der Geschädigte seine Direktansprüche weiterhin gegenüber dem Haftpflichtigen durchsetzen kann, ungeachtet eines Regressanspruchs der leistenden Versicherung. Nach der tradierten Rechtsparömie nemo subrogat contra se darf der subrogierende Versicherer nicht zulasten des Geschädigten regressieren. Letzterem verbleibt dadurch die sog. Direktschadensforderung gegenüber dem Haftpflichtigen, welche er grundsätzlich255 vorweg geltend machen kann. Mit anderen Worten: Die Subrogation ist mit dem Vorbehalt des Quotenvorrechts des Geschädigten belastet. Es gibt zwei Ursachen, weshalb nicht der ganze Schadenersatz eingebracht werden kann: Liegt ein Reduktionsgrund gemäss Art. 43 oder Art. 44 OR vor, also ein herabgesetzter Schadenersatzanspruch infolge Selbstverschuldens, mitwirkender Betriebsgefahr, jugendlichen Alters, Gefälligkeit, Zufall oder Billigkeit usw., so kommt das sog. Verteilungsvorrecht256 zur Anwendung. Besteht bei der Haftpflichtversicherung eine ungenügende Deckung oder ist die haftpflichtige Person insolvent, so wird das sog. Befriedigungsvorrecht257 tangiert. Somit ist das Quotenvorrecht als Oberbegriff aufzufassen. Beim Quotenvorrecht des Geschädigten handelt es sich um einen wichtigen, von der Rechtsprechung258 aufgrund des Art. 88 SVG entwickelten allgemeinen Grundsatz, der bei teilweiser Haftung und/oder ungenügender Deckungssumme zur Anwendung kommt und sich über das gesamte Haftpflichtrecht erstreckt. Dieser Grundsatz wird von Lehre und Judikatur259 allgemein anerkannt, jedoch nur im Rahmen der leichten Fahrlässigkeit. Bei grobfahrlässigem Selbstverschulden – sofern es nicht die adäquate Kausalität zu 255 256 257 258 259 Eine Ausnahme besteht bei grobfahrlässigem Selbstverschulden; vgl. dazu die folgenden Ausführungen. Für das Sozialversicherungsrecht in Art. 73 Abs. 1 ATSG. Art. 73 Abs. 3 ATSG. BGE 96 II 355. BK-Brehm, Art. 51 N 135 ff.; Maurer, PVR, S. 419; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 38; Oftinger/Stark, I, § 11 N 46; Rey, N 1565 ff.; Schaer, Grundzüge, N 934 ff.; im Urteil des BGer vom 29. Juni 2004, 4C.101/2004 ging bei der Direktschadensberechnung das Quotenvorrecht des Geschädigten offenbar vergessen. 60 unterbrechen vermag – wird, in Anlehnung an das ATSG, die Quotenteilung vorgenommen.260 Der Regress des subrogierenden Versicherers bezieht sich immer nur auf identische Schadensposten.261 Man spricht dabei auch von sachlicher Kongruenz, womit ausgedrückt wird, dass sich die Versicherungsleistung immer auf einen Einzelschaden richtet.262 Auf der Seite des Versicherers bedeutet dies, dass er infolge dieses Grundsatzes nur in jene Haftpflichtansprüche subrogieren kann, für welche er selbst auch eine Leistung erbracht hat. Auf der Seite des Geschädigten hat das Quotenvorrecht zur Konsequenz, dass der Versicherer nur so weit hinter die Direktschadensforderung zurücktritt, als die Ersatzforderung des Geschädigten gleichartig mit den versicherten Schäden ist;263 auf die nichtkongruenten Schadensposten wird somit das Quotenvorrecht nicht gewährt – mit der Konsequenz, dass der Geschädigte auf diese nichtkongruenten Schadenskategorien nicht mehr und nicht weniger erhält, als der Verursacher hierfür ersatzpflichtig ist. 2. Illustrierendes Beispiel zum Quotenvorrecht Da sich das Quotenvorrecht am besten an einem Beispiel erklären lässt, wird anhand eines Verkehrsunfalles eine Berechnung dargelegt, welche auf folgendem Sachverhalt basiert: A beschädigt das Fahrzeug des B. Ersteren trifft, als Folge eines Selbstverschuldens von B, eine Haftungsquote von 50%. B erleidet einen Schaden am Fahrzeug von CHF 6000.-. Er benötigt aus beruflichen Gründen einen Ersatzwagen und bezahlt dafür CHF 1200.-. In der Vollkaskoversicherung von B, bei welcher ein Selbstbehalt von CHF 1000.- vorgesehen ist, sind die Ersatzwagenkosten nicht gedeckt. 260 261 262 263 Vgl. Art. 73 Abs. 2 ATSG, früher etwa Art. 42 Abs. 2 aUVG. Oftinger/Stark, I, § 11 N 43 f.; Maurer, PVR, S. 399; Koenig, PVR, S. 288; Beck, Schadenausgleichsysteme, S. 301. Im Sozialversicherungsrecht werden folgende Kongruenzen unterschieden: ereignisbezogene, personelle, sachliche und zeitliche; ausführlich dazu etwa Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 980 ff. Dies gilt grundsätzlich auch in der Sachversicherung, wobei einzig die sachliche Kongruenz von Relevanz ist, da die anderen kaum zu Diskussionen Anlass geben dürften. Die personelle Kongruenz ist auch bei einem Gebäudeschaden eines Mehrfamilienhauses unter den Stockwerkeigentümern abzulehnen; zur sachlichen Kongruenz vgl. unten Ziff. 3. So auch Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1015. 61 Die entsprechende Lösung sieht wie folgt aus: Der gesamte Schaden von B beträgt CHF 7200.- (Schaden am Auto: CHF 6000.- plus Ersatzwagen: CHF 1200.-). Vom Kaskoversicherer erhält er CHF 5000.-; sein ungedeckter Schaden ist demnach CHF 2200.-. Die haftpflichtrechtlich geschuldete Entschädigung beträgt CHF 3600.- (50% des Schadens: CHF 3000.- plus 50% Ersatzwagenkosten: CHF 600.-). Hier gilt nun eben das Quotenvorrecht: Der Geschädigte darf den Haftpflichtanspruch so weit geltend machen, bis er zusammen mit der Leistung seiner Versicherung den ganzen Schaden gedeckt erhält. In concreto heisst das also: B kann seinen Selbstbehalt von CHF 1000.- und CHF 600.- für die Ersatzwagenkosten vom Haftpflichtversicherer bzw. vom Haftpflichtigen selbst fordern. Der Kaskoversicherer kann nur auf den Rest der aus der Haftpflicht geschuldeten Entschädigung regressieren, d.h. ihm verbleiben CHF 2000.-. Es bleibt Folgendes anzumerken: Wie die Lösung zeigt, hat der Geschädigte nicht die ganzen Ersatzwagenkosten erhalten. Der Grund liegt im bereits erwähnten Grundsatz der identischen Schadensposten, der sog. sachlichen Kongruenz. Der Kaskoversicherer kann auf die Schadensposition „Mietwagenkosten“ nicht regressieren, da diese in der Kaskoversicherung nicht gedeckt sind. Der Geschädigte wiederum muss sich aus demselben Grunde mit dem haftpflichtrechtlich geschuldeten Teil der Mietwagenkosten begnügen und kann ihn nicht mit anderen Posten verrechnen. Diese Lösung stützt sich lediglich auf die Praxis ab, zumal ausserhalb der Sozialversicherungen264 keine Urteile diesbezüglich existieren. Dennoch bezieht sich nach der hier vertretenen Ansicht auch im Bereich der Privatversicherungen das Quotenvorrecht nur auf kongruente Schadensposten. 3. Sachliche Kongruenz in der Sachversicherung A. Ausgangslage Im Bereich der Sozialversicherungen ist die sachliche Kongruenz ausdrücklich geregelt,265 wodurch eine weitere Differenzierung gleichartiger Schadensposten gemacht wird. Im Haftpflichtrecht – wie auch in der Versicherungswirtschaft – wird pauschal nur zwischen Personen-, Sach- und Vermögensschäden unterschieden.266 Innerhalb der Sachversicherungen werden die versicherten Leistungsarten weiter unterteilt in Gebäu- 264 265 266 Ad Sozialversicherung etwa BGE 119 II 361 ff. Art. 74 ATSG, inklusive namentlicher, nicht abschliessender Aufzählung in Abs. 2. Maurer, PVR, S. 539 f. 62 de-, Fahrhabe- und Vermögensschäden. Letztere lassen sich materiell in weitere Kategorien unterteilen, wie Schäden infolge Betriebsunterbruchs, Chômage, Schlossänderungskosten, Freilegungskosten, Lebenshaltungskosten usw. Es drängt sich deshalb die Frage auf, ob in Analogie zum Sozialversicherungsrecht auch in der Sachversicherung eine Unterscheidung in Leistungen gleicher Art – bezüglich dieser Versicherungsobjekte und ihren Unterkategorien – angezeigt ist, zumal teilweise die Gebäude-, die Fahrhabe- und die Vermögensversicherung in einer und derselben Police vertraglich geregelt werden. Eine solche Regelung ist weder im Gesetz noch in der Judikatur zu finden. Würde nämlich die sachliche Kongruenz zwischen den verschiedenen Versicherungsleistungen bejaht, würden – soweit auch die personelle Kongruenz gegeben ist – sämtliche Sachund Vermögensschäden pro Ereignis als ein Gesamtschaden gelten. Aufgrund des Quotenvorrechts des Geschädigten würde sich dies bei einer Teilhaftung positiv auf den Geschädigten auswirken, weshalb diese Frage nicht nur akademischer Natur ist. B. Illustrierendes Beispiel zum Gesamtschaden Eine solche sachliche Gleichartigkeit könnte beispielsweise aus dem Zusammentreffen von einem Fahrhabe- mit einem Gebäudeschaden oder von einer Chômage mit einem Mietzinsausfall resultieren. Zur Verdeutlichung der Problematik diene folgendes Beispiel: Ein Gebäudeeigentümer (E) erleidet einen Wasserschaden, welcher teilweise der Unternehmer (U) zu vertreten hat. Aufgrund der fehlerhaften, von E gelieferten Pläne entsteht ein Baumangel, weshalb eine quotale Haftung des U von 20% resultiert. Der Gebäudeschaden verursacht Reparaturkosten über CHF 8000.-; für den Fahrhabeschaden belaufen sich die Reinigungskosten auf CHF 3000.-. In der Gebäudeversicherungspolice ist ein Selbstbehalt von CHF 2000.- und bei der Hausratversicherungspolice kein Selbstbehalt vereinbart. Lösung: a) Gebäudeschaden-Abrechnung: Gebäudeschaden (Zeitwert): Entschädigung Sachversicherer: Direktschaden: CHF 8000.CHF 6000.CHF 2000.- 63 Ersatzpflichtiger Schaden (20%): Quotenvorrecht des Geschädigten: Verbleibender Regressanspruch: CHF 1600.CHF 1600.CHF 0.- b) Fahrhabeschaden-Abrechnung: Fahrhabeschaden (Zeitwert): Entschädigung Sachversicherer: Direktschaden: Ersatzpflichtiger Schaden (20%): CHF 3000.CHF 3000.CHF 0.CHF 600.- Kann nun der Geschädigte E seinen trotz des Quotenvorrechts verbleibenden Direktschaden betreffend das Gebäude von CHF 400.- im Fahrhabeschaden geltend machen? Grundsätzlich stellen sowohl der Gebäude- wie auch der Fahrhabeschaden einen Sachschaden im Rechtssinne dar. Auf den ersten Blick könnte man nunmehr sachliche Kongruenz annehmen, was zur Folge hätte, dass der Geschädigte seinen Direktschaden vom Haftpflichtigen vorrangig geltend machen könnte. Wonach definiert sich aber die sachliche Kongruenz: aus der haftpflichtrechtlichen Definition des Sachschadens,267 aus den sachenrechtlichen Abgrenzungskriterien,268 aus der Deckungszuständigkeit bzw. der entsprechenden Subrogation der involvierten Sachversicherer oder etwa aus den Abgrenzungsnormen von kantonalen Gebäudeassekuranzen?269 Zur Verdeutlichung der anstehenden Problematik stelle man sich etwa vor, dass im vorerwähnten Beispiel zusätzlich auch das Motorfahrzeug in der Garage am Standort Schaden genommen hätte. Je nach Auffassung, ob die sachliche Kongruenz bejaht wird oder nicht, ergeben sich folgende Resultate: 267 268 269 Vgl. etwa Keller, Haftpflicht II, S. 103 m.w.H., wonach als Sachschaden die Beschädigung, die Zerstörung oder der Verlust einer Sache verstanden wird. Im Sinne von Art. 642 und ferner Art. 655 ZGB. Danach gilt als Entscheidungskriterium die „am Orte übliche Auffassung“. Gemäss BGer wird dieser Ortsgebrauch nur in Zweifelsfällen als Kriterium herangezogen, so etwa in BGE 106 II 333 ff. Vgl. etwa die Zuteilungstabelle der GVA St. Gallen vom 1. Januar 2005. 64 Kongruenz bejaht Quotenvorrecht Geschädigten Verbleibender schaden Regressanspruch Versicherungen Kongruenz verneint des Gebäudevers. + Fahrhabevers.: 1'600.- + 400.- = 2'000. Direkt- 0.- Nur Gebäudevers.: 1'600.400.- der Gesamtsch. – Quotenvorr. von E 2’200.- – 2'000.- = 200.- Gebäudevers. 0.Fahrhabevers. 600.- Aufteilung: Gebäudevers. CHF 133.30 (2/3) Fahrhabevers. CHF 66.70 (1/3) (im Verhältnis der erbrachten Leistungen, analog Art. 16 ATSV) C. Weitere Konstellationen zur sachlichen Kongruenz Eine weitere Konstellation in diesem Zusammenhang stellt sich etwa bei einem Fahrzeug, das nach einer Reparatur infolge Kollision einen merkantilen Minderwert aufweist. Sind die Reparaturkosten mit dem entstandenen Minderwert kongruent? Der Minderwert ist in der Kaskoversicherung nicht versichert, stellt aber haftpflichtrechtlich einen ersatzpflichtigen Schaden dar.270 Bei einer Teilhaftung stellt sich nun die Frage des Quotenvorrechts hinsichtlich dieses Minderwertes. OFTINGER/STARK und SCHAER verneinen die Kongruenz zwischen Minderwert und Reparaturkosten.271 SCHAER argumentiert über die Substanzbeeinträchtigung, welche nur bei der Reparatur, nicht aber beim Minderwert behoben werde. Demnach würde sich das Quotenvorrecht des Geschädigten lediglich auf die Reparaturkosten beziehen, nicht aber auf den Minderwert, welchen er nur im Rahmen der Haftungsquote ersetzt erhielte. Der Versicherer hingegen subrogierte nicht in den Schadensposten Minderwert, weshalb er gegenüber dem Haftpflichtigen auch nur im Rahmen der Haftungsquote die erbrachten Reparaturkosten regressieren könnte. Im Weiteren bejaht SCHAER die Kongruenz zwischen den Reparatur- und den Abschleppkosten, den Gutachter- und den Prüfkosten, nicht aber zwischen den Reparaturkosten und dem Nutzungsausfall oder den Ersatzbeschaffungskosten.272 Während die 270 271 272 Roberto, Schadensrecht, S. 43, 163 ff. m.w.H. Oftinger/Stark, I, § 11 N 43.; Schaer, Grundzüge, N 1176. Schaer, Grundzüge, N 1175 ff. 65 Reparatur auf den Substanzschaden gerichtet sei, stelle der Nutzungsausfall und die Ersatzbeschaffung reinen Vermögensschaden dar. D. Stellungnahme Wenn bei Personenschäden – wohl zu Recht – die Kongruenzen als Voraussetzungen für das Quotenvorrecht herangezogen werden, so hat dies grundsätzlich auch bei den Sachschäden zu gelten. In Anlehnung an den römisch-rechtlichen Grundsatz nemo subrogat contra se wäre eine Regelung in dubio pro Geschädigten denkbar, da der Gesetzgeber darüber schweigt. Betrachtet man hingegen die Gesamtgläubigerschaft, zu der auch die Versicherer zu zählen sind, so wird deutlich, dass bei Bejahung der sachlichen Kongruenz beispielsweise der Gebäudeversicherer in Ansprüche des Geschädigten subrogieren könnte, für die er keine (bezüglich des Hausrats) oder nur anteilsmässige (Anteil am Gesamtschaden) Deckung gewährt. Auf den obigen Fall bezogen bedeutet dies Folgendes: Bei Bejahung der sachlichen Kongruenz beliefe sich der Gesamtschaden auf CHF 11 000.-, wovon 20%, also CHF 2200.-, ersatzpflichtig wären. Nach Abzug des Direktschadens verbliebe ein Regresssubstrat von CHF 200.-, das sich Gebäude- und Hausratversicherung im Rahmen der Gesamtgläubigerschaft unter sich aufteilen könnten. Dies kann meines Erachtens nicht sein, weshalb also die Kongruenz in den obigen Beispielen zu verneinen ist, analog der filigranen Unterteilung bei Personenschäden.273 Ohne auf Einzelheiten der Sozialversicherungsregresse einzugehen, sei in diesem Zusammenhang auf ein neueres, im Ergebnis fragwürdiges Urteil des Bundesgerichts hingewiesen,274 bei welchem die sachliche Kongruenz zwischen Erwerbs- und Haushaltsschaden bejaht und dadurch von einem Gesamtschaden ausgegangen wurde. Im Falle einer Teilhaftung profitiert dadurch der Geschädigte, indem das Quotenvorrecht auf eine grössere Quote anwendbar wird, zulasten der Sozialversicherer, insbesondere der Invalidenversicherung.275 Die von SCHAER angewandten Kriterien der Substanzbeeinträchtigung und des reinen Vermögensschadens können nur teilweise überzeugen. Während bei einem Personenschaden der rasche Transport ins Spital der Schadensminderung und damit der Heilung 273 274 275 Vgl. Art. 74 ATSG. BGE 131 III 17 f. E. 7.3. Vgl. dazu die Kritik von Studhalter, Personen-Schaden-Forum 2005, Zürich 2005, S. 63 ff., insb. Beiblatt „Vertiefungen und Diskussionen“, S. 3 f. 66 dient, trägt der Transport des beschädigten Fahrzeugs in die Reparaturstätte nichts zur Wiederherstellung der Substanz bei. Gleiches gilt auch für die Gutachter- und Prüfkosten. Deshalb ist auch bei diesen Schadensposten die sachliche Kongruenz zu verneinen. Aus den angestellten Überlegungen resultiert somit, dass die sachliche Kongruenz auch in der Sachversicherung durchaus einer Prüfung und Berücksichtigung bedarf. Wünschenswert wäre, dass diese Problematik in einer künftigen VVG-Revision Eingang fände und gesetzgeberisch geregelt würde. 4. Fiktives Quotenvorrecht A. Ausgangslage Die Situation des sog. fiktiven Quotenvorrechts276 kann aus zwei Gründen entstehen: Der Geschädigte schöpft seinen Direktanspruch gegenüber dem Haftpflichtigen nicht vollständig aus. Diesfalls stellt sich die Frage, ob der Haftpflichtversicherer dennoch das Quotenvorrecht – eben ein fiktives – entgegenhalten kann, selbst dann, wenn der Anspruch bereits verjährt ist. Die gleiche Frage stellt sich auch, wenn ein Sozialversicherer auf allfällige Regressforderungen verzichtet hat. Wer profitiert davon, allfällige andere Sozialversicherer oder die Haftpflichtversicherung? B. Lehre und Rechtsprechung Eine gesetzliche Regelung fehlt im ATSG, zumal Art. 73 ATSG lediglich von den effektiven Ansprüchen spricht. Während sich das Bundesgericht mit dieser Frage bis dato meines Wissens noch nicht zu befassen hatte, gibt es ein paar kantonale Entscheide über das fiktive Quotenvorrecht.277 Die Doktrin nimmt wie folgt zu dieser Problematik Stellung: 276 277 Auch abstraktes Quotenvorrecht genannt. Vgl. dazu Kolly, S. 303 m.H. auf die kantonale Rechtsprechung. Der Autor stellt jedoch fest, dass die beiden Urteile, ohne weitere Begründung, unterschiedlich ausgefallen sind. 67 RUMO-JUNGO278 lässt den Sozialversicherer nicht subsidiär in die Geschädigtenrechte treten, wenn die geschädigte Person ihre Direktforderung nicht geltend macht; die Autorin lässt damit den Einwand des fiktiven Quotenvorrechts des Haftpflichtversicherers zu. OFTINGER/STARK279 bejahen das fiktive Quotenvorrecht aufgrund des Gesetzeswortlauts von aUVG 42 I, indem sie ausführen, dass die gegenteilige Lösung contra legem wäre. KELLER280 berücksichtigt ebenfalls die nicht geltend gemachten Ansprüche der geschädigten Person und stellt dabei auf die gesetzliche Formulierung „vom Dritten geschuldeter Ersatz“ ab. Er betrachtet das Verhältnis Haftpflichtiger – Geschädigter als reine Interpartes-Beziehung. SCHATZMANN281 und BECK282 schliessen sich – jedoch ohne Begründung – den oben erwähnten Meinungen an, welche sich für das fiktive Quotenvorrecht aussprechen. Aus diesen Lehrmeinungen geht – vor allem gestützt auf den Wortlaut des Gesetzes – einhellig hervor, dass es das abstrakte Quotenvorrecht gibt und es somit nicht auf die Geltendmachung des Direktschadens ankommt. Der Direktschaden muss einzig ausgewiesen werden können; auf die gehemmte Durchsetzung einer Naturalobligation, welche sich unter Umständen aus der Verjährung ergibt, wird nicht abgestellt. Gegen die herrschende Auffassung plädiert vor allem KOLLY283. Das abstrakte Forderungsrecht sei aus Gründen der ratio legis des integralen Regressrechts und des Quotenvorrechts zu verneinen. Die Subrogation benachteilige den Geschädigten auch dann nicht, wenn er seine ihm zustehende Direktforderung nicht geltend mache. Bis das Bundesgericht diese Rechtsfrage entschieden habe, schlägt der Autor die folgende pragmatische Lösung vor: Der Haftpflichtversicherer informiert den Geschädigten über dessen ihm zustehenden Direktansprüche. Unterlässt der Haftpflichtversicherer dies, so kann das abstrakte Quotenvorrecht nicht eingewendet werden, wenn die Geschädigtenforderung verjährt ist.284 Wenn der Geschädigte trotz Hinweis auf seine Rechte der Geltend- 278 279 280 281 282 283 284 Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1016. Oftinger/Stark, I, § 11, Fn 251. Keller, Haftpflicht II, S. 225. Schatzmann, S. 103. Beck, Schadenausgleichsysteme, S. 302. Kolly, S. 302 ff. Gemäss Auskünften des Autors handelt es sich um ein Versehen, indem der Invalidenversicherung im aufgeführten Beispiel lediglich CHF 100'000.- und nicht CHF 500'000.- zugesprochen wurden. 68 machung verzichtet und seine Forderungen verjähren lässt, soll der entsprechende Betrag zwischen dem Haftpflicht- und dem Sozialversicherer hälftig geteilt werden. C. Stellungnahme Die zentrale Frage ist: Wer soll von der Nichtgeltendmachung einer Forderung profitieren, der Schadens- bzw. der Sozialversicherer oder der Haftpflichtversicherer? Solange der Anspruch des Geschädigten noch nicht untergegangen ist,285 muss die Haftpflichtversicherung de jure noch damit rechnen, irgendwann dafür belangt zu werden. Wenn der Anspruch jedoch verjährt ist, so wäre rein theoretisch nur noch, aber immerhin, eine Verrechnung denkbar, zumal die Konnexität286 keine Voraussetzung der Verrechnung bildet. Ohne den Anspruch einer definitiven Lösung erheben zu wollen, scheint es mir sachlogisch, darauf zu achten, weshalb denn der Geschädigte seinen Direktanspruch nicht voll ausgeschöpft hat. Liegt es nämlich im Verhandlungsgeschick des Haftpflichtversicherers, dass er einen für sich vorteilhaften Vergleich ausgehandelt hat, so wäre es meines Erachtens stossend, wenn dennoch das Regresssubstrat für den Eigenschadensversicherer gleich bliebe. Zudem ist es bekanntlich gerade bei komplexen Personenschäden praktisch nicht möglich, eine exakte Schadensberechnung mit Kapitalisierung zu bewerkstelligen. Ebenso hat unter Umständen der Geschädigte auch aufgrund immanenter Prozessrisiken auf eine vollständige Durchsetzung seines Anspruches verzichtet. Diese Tatsachen sind ebenfalls zu berücksichtigen. Die von KOLLY vorgeschlagene Lösung ist nach meinem Dafürhalten abzulehnen, da der Haftpflichtversicherer in erster Linie vertragliche Pflichten inter partes, also gegenüber seinem Versicherungsnehmer, wahren muss und nicht zum Rechtsschutzversicherer des Geschädigten umfunktioniert werden darf. Der Haftpflichtversicherer hat die Interessen des Verursachers zu vertreten. Zudem ist die gewählte Terminologie verwirrend, zumal das Gegenteil des abstrakten bzw. fiktiven nicht das konkrete Quotenvorrecht ist. Vielmehr findet bei Ablehnung des fiktiven Quotenvorrechts, was KOLLY verficht, das Vorrecht des Geschädigten gar keine Anwendung. 285 286 Ein Untergang wäre beispielsweise durch eine Verzichtserklärung oder durch einen Vergleich mit „SaldoKlausel“ denkbar. Vgl. dazu hinten § 12 IV. 69 Hat der Geschädigte oder ein Sozialversicherer hingegen wider besseres Wissen auf seine Rechte verzichtet und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr damit zu rechnen, dass auf die verzichteten Ansprüche zurückgekommen werden kann, so wäre nach meinem Dafürhalten das fiktive Quotenvorrecht in concreto zu verneinen. 5. Selbstbehalt bei der Kaskoversicherung mit Zeitwertzusatz A. Ausgangslage Die Kaskoversicherungen sind heute praktisch ausnahmslos mit einem sog. Zeitwertzusatz ausgestaltet. Dabei ist unklar, wie weit die Subrogation des Versicherers geht. Die Frage bezieht sich auf den Selbstbehalt bei der Kaskoversicherung: Inwieweit hat der Geschädigte ein Vorrecht darauf, diesen Selbstbehalt ersetzt zu erhalten? Ausgangslage bildet folgender Sachverhalt:287 Fahrzeughalter S kollidiert mit Fahrzeughalter G. S trifft eine Haftungsquote von 100%. G hat eine Vollkaskoversicherung mit Zeitwertzusatz beim Versicherer K. Letzterer leistet CHF 17 000.-, wovon der Selbstbehalt von CHF 1000.- bereits in Abzug gebracht worden ist. Der Zeitwert des Fahrzeugs des S beträgt CHF 14 000.-. Kann nun G seinen Selbstbehalt vom Haftpflichtversicherer H des S vorweg geltend machen? B. Doktrin und Praxis Wie bereits erwähnt, erfolgt die Subrogation des leistenden Versicherers nur in kongruente Leistungen.288 Bezieht man diesen Grundsatz auf den Selbstbehalt in der Kaskoversicherung, so entsteht in der Praxis Uneinigkeit darüber, ob bei dieser „Schadensposition“ das Quotenvorrecht zum Tragen kommt. Die Lehre greift zwar diesen Sachverhalt auf, erachtet es aber als selbstverständlich, dass der Geschädigte den Selbstbehalt vorweg beim Haftpflichtversicherer geltend machen 287 288 Dieser Sachverhalt bildet die Grundlage der SVV-Empfehlung Nr. 2/2001. Vgl. dazu vorne § 7 I 3. 70 kann.289 Über diese Lösung gibt es keine Auseinandersetzung. Dies erstaunt umso mehr, als der SVV eine Empfehlung290 für diese Problematik abgegeben hat.291 Der SVV splittet die Leistung des Kaskoversicherers in den Zeitwert und den Zeitwertzusatz. Dadurch kann hinsichtlich des Zeitwertes die Kongruenz bejaht werden, da es sich um gleichartige Leistungen von Haftpflicht- und Sachversicherung handelt. Das Quotenvorrecht wird deshalb gewährt, so dass im oben aufgeführten Fall G von H CHF 1000.- fordern kann und K im Regress noch ein Substrat in der Höhe von CHF 13 000.- verbleibt. Dieser Lösung des SVV steht ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich entgegen.292 Darin wird Bezug auf KELLER293 genommen, wonach Leistungen, die über den Schaden hinausgehen – wie es bei der Neuwertversicherung der Fall ist –, keinen Einfluss auf den Rückgriff und das Quotenvorrecht haben.294 C. Stellungnahme Betrachtet man den Teil, der den Zeitwert übersteigt, d.h. den Zeitwertzusatz, als Summenversicherung295, so subrogiert der Kaskoversicherer von vornherein nur in die Zeitwertquote. Diesfalls steht für den Rückgriff und damit für das Quotenvorrecht lediglich der haftpflichtrechtlich geschuldete Zeitwert zur Verfügung. Die Zusatzentschädigung fällt diesfalls vollumfänglich dem Versicherungsnehmer zu. Da die Qualifizierung des Zeitwertzusatzes umstritten ist, drängen sich noch weitere Überlegungen auf. Unbestritten ist, dass haftpflichtrechtlich mindestens der Zeitwert des Fahrzeuges geschuldet ist. Mit Blick auf die Differenztheorie könnte man sich aber auch fragen, ob nicht der Selbstbehalt als Schaden zu werten ist, zumal der Geschädigte durch den Unfall keine Vermögenseinbusse erleiden darf. Damit ist nicht von vornherein klar, was nun die vom Obergericht des Kantons Zürich erwähnte haftpflichtrechtliche Quote de jure aus- 289 290 291 292 293 294 295 Vgl. Maurer, PVR. S. 419; VVG-Graber, Art. 72 N 40 m.H. auf ein kant. Urteil. Unter den SVV-Gesellschaften werden vornehmlich Empfehlungen abgegeben, welche dann in abkommensähnlicher Weise verwendet werden. Die in der vorliegenden Arbeit angesprochenen oder behandelten Empfehlungen sind im Anhang abgedruckt. SVV-Empfehlung Nr. 2/2001 vom 26. Juni 2001. OGer ZH, Entscheid vom 13. April 1989, in: SGW 1989 Nr. 19 S. 2 f. Keller, Haftpflicht II, S. 184. Zweifelsfrei gehört ein Bonusverlust des Geschädigten nie in eine Quotenvorrechtsberechnung, da sowohl die sachliche als auch die zeitliche Kongruenz fehlt. Vorausgesetzt, Art. 96 VVG sei analog auf Sachversicherungen anwendbar; vgl. dazu vorne § 6 II. 71 macht. Der Geschädigte bezahlt für seine Zeitwertzusatzversicherungs-Deckung eine Prämie. Würde er sich diese finanziellen Aufwendungen sparen, bekäme er einfach den Zeitwert entschädigt. Wie hoch dieser Zeitwert ist, bestimmt sich entweder nach dem Marktwert oder nach dem Neuwert abzüglich Amortisation.296 Dieser Ersatz ist häufig niedriger als der Wert eines adäquaten Fahrzeugs auf dem Markt.297 Der Vorteil liegt in der Differenz Zeitwert – Zeitwertzusatz, für welche unter anderem die Versicherungsprämie erbracht wird. Der Kaskovertrag wird aber nicht nur aus diesem Grunde stipuliert, sondern es wird an Fälle gedacht, die leichtfahrlässig durch den Versicherungsnehmer selbst verursacht werden und damit zu seinen Lasten gehen. Somit ist die Aussage, der Geschädigte bezahle die Prämie für die Zeitzusatzdeckung, nur die halbe Wahrheit. Der in der Police vereinbarte Selbstbehalt ist zwar Vertragsbestandteil und nur inter partes gültig, ist aber dennoch durch den Verursacher kausal ausgelöst worden. Somit ist dieser Selbstbehalt haftpflichtrechtlich nicht geschuldet. Demgegenüber ist aber auch anzumerken, dass der sog. Skalenwert in der Kaskoversicherung in der Regel sehr grosszügig ausgelegt ist. Dadurch geht der Geschädigte, kauft er sich ein gleichwertiges Fahrzeug auf dem Markt, nicht selten mit einem finanziellen Gewinn aus dem Schadensfall heraus. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist im Ergebnis der Lösung des SVV grundsätzlich zuzustimmen. Meines Erachtens ist es jedoch in concreto nicht primär eine Frage der identischen Schadensposten, sondern eine Frage des haftpflichtrechtlich geschuldeten Schadens. Erst in einem zweiten Schritt kommt dann das Quotenvorrecht des Geschädigten zum Zuge, wodurch der Geschädigte den Haftpflichtanspruch so weit selbst geltend machen kann, bis er zusammen mit den Versicherungsleistungen seinen ganzen erlittenen Schaden gedeckt hat. Zum gleichen Ergebnis gelangt man auch über die Qualifikation der Zeitwertzusatzquote als Summenversicherung. 296 297 In der Praxis ist in aller Regel der sog. Eurotax-Wert massgebend. Oftinger/Stark, I, § 6 N 361. 72 6. Quotenteilung A. Vor Inkrafttreten des ATSG Das Quotenvorrecht soll dann nicht gelten, wenn der Geschädigte grobfahrlässig den Schaden verursacht hat, da er sonst von der Kürzung des Sozialversicherers kaum betroffen würde. Das wäre nach OFTINGER/STARK298 nicht vernünftig und inakzeptabel. So sah beispielsweise das aUVG in Art. 42 Abs. 2 die sog. Methode der Quotenteilung vor. Danach gehen die Ansprüche des Versicherten und seiner Hinterlassenen entsprechend dem Verhältnis der Versicherungsleistungen zum Schaden auf den Versicherer über. Somit wird die Schadenersatzleistung proportional im Verhältnis der erbrachten Leistungen zum Gesamtschaden aufgeteilt und die Sozialversicherung subrogiert in diese Quote. B. Im Sozialversicherungsrecht de lege lata Mit Inkrafttreten des ATSG, in concreto mit Art. 73 Abs. 2, hat sich zweierlei geändert: einerseits die Berechnungsmethode und andererseits die Anwendbarkeit des Quotenvorrechts. Nach neuer Berechnungsmethode wird die Summe sämtlicher im Einzelfall gegebenen Haftpflichtansprüche der geschädigten Person um den Kürzungsbetrag der Sozialversicherung vermindert. Das Quotenvorrecht wird nach Art. 73 Abs. 2 ATSG nur noch dann nicht angewendet, wenn der Versicherungsträger seine Leistungen im Sinne von Art. 21 Abs. 1 oder 2 gekürzt hat. Dadurch ist die Anwendung der neuen Quotenteilung auf Fälle mit Vorsätzlichkeitskürzungen beschränkt.299 C. Im Privatversicherungsrecht Man kann sich fragen, inwieweit diese neue Berechnungsform auch für die Schadensversicherung gemäss VVG Gültigkeit zu entfalten vermag. Oder gilt im Privatversicherungsbereich noch weiterhin der herkömmliche Begriff der Quotenteilung? Die Antwort 298 299 Oftinger/Stark, I, § 11 N 210. Kieser, ATSG, Art. 73 N 7. 73 kann zurzeit kaum gegeben werden. Es wird sich zeigen, wie die Gerichte damit umgehen. Meines Erachtens könnte es durchaus sein, dass die neue Regel des ATSG per analogiam auf das Privatversicherungsrecht Anwendung finden wird, zumal auch das VVG diesbezüglich keine eigene Bestimmung enthält. Zwei differente Berechnungsmethoden in ein und demselben Fall wären nämlich kaum vertretbar. II. Rechts- und Regresslage bei der Unterversicherung 1. Ausgangslage Übersteigt der Ersatzwert die vertraglich vereinbarte Versicherungssumme der Eigenschadensversicherung, so besteht eine Unterversicherung.300 Bei einem Teilschaden sieht Art. 69 Abs. 2 VVG vor, dass „der Schaden in dem Verhältnis zu ersetzen ist, in dem die Versicherungssumme zum Ersatzwert steht“. Dadurch resultiert eine Kürzung, welche nach der sog. Proportionalregel301 berechnet wird. Ist der Schaden durch einen Haftpflichtigen zu vertreten, so tritt neben die Eigenschadensversicherung auch ein Haftpflichtanspruch, welcher jedoch höchstens dem Zeitwert der beschädigten Sache entspricht. Wie gezeigt wurde, kommt im Falle ungenügender Deckung oder bei einer Teilhaftung das Quotenvorrecht gegenüber dem Haftpflichtversicherer grundsätzlich zum Tragen. Die Sachversicherungsverträge sehen vornehmlich eine Neuwertdeckung vor, während bekanntlich der haftpflichtrechtlich relevante Schaden sich lediglich auf den Zeitwert bzw. die Reparaturkosten bezieht.302 Im Falle der Unterversicherung im Zusammenhang mit der Neuwertdeckung gilt der Grundsatz des Quotenvorrechts hingegen nicht per se uneingeschränkt. Es stellt sich somit die Frage, wie die Differenz zwischen Neuwert und Zeitwert zu verteilen ist, da unklar ist, ob sich das Quotenvorrecht auf die ganze versicherte Summe oder lediglich auf den Zeitwert bezieht.303 Um die Problematik zu verdeutlichen, wird wiederum ein Beispiel herangezogen. Die möglichen Lösungen werden im folgenden Abschnitt dargestellt. 300 301 302 303 Maurer, PVR, S. 505. Berechnungsformel: Entschädigung des Versicherers = Schaden x Versicherungssumme / Ersatzwert. Pro memoria: Übersteigen die Reparaturkosten den Zeitwert der beschädigten Sache, so liegt ein Totalschaden vor. Analog der Problematik des Zeitwertzusatzes in der Kaskoversicherung, vgl. vorne I 5. 74 X hat eine Mobiliarneuwertversicherung bei Z. Der Neuwert beträgt CHF 10 000.-. Der Zeitwert liegt bei CHF 8000.-. Die versicherte Summe beträgt CHF 8000.-, weshalb eine Unterversicherung besteht. X erleidet an seiner Fahrhabe einen Totalschaden, welcher durch Y verursacht wurde. Die Haftungsquote liegt bei 25%, d.h. in concreto sind CHF 2500.- haftpflichtrechtlich geschuldet. 2. Theorien in Lehre und Praxis A. Der Zeitwert als Referenzgrösse Nach der ersten Variante werden dem Versicherungsnehmer Leistungen mindestens in der Höhe des Zeitwertes garantiert. Für den Fall, dass die Versicherungssumme den Zeitwert übertrifft, gilt die versicherte Summe als Referenzgrösse. Auf den obigen Sachverhalt angewendet, bedeutet es Folgendes: Der Versicherungsnehmer X erhält aus seiner Versicherungspolice bei Z die Summe von CHF 8000.-. Damit hat er haftpflichtrechtlich betrachtet keinen ungedeckten Schaden, weshalb die Z bei Y die ganzen CHF 2500.- regressieren kann. Hätte X lediglich einen Teilschaden erlitten, so wäre kraft der Proportionalregel vom Sachversicherer unter Umständen nicht einmal der Zeitwert entschädigt worden. Hier hätte aber das Quotenvorrecht – aufgrund der identischen Schadensposten – bis zum Ausgleich des Zeitwerts durchgeschlagen. Hier wird etwa dahingehend argumentiert, dass X bewusst eine Unterversicherung in Kauf genommen habe und damit rein nach den haftpflichtrechtlichen Grundsätzen entschädigt werden darf und soll. Der Neuwert spiele somit keine Rolle. B. Der Neuwert als Referenzgrösse Wie gezeigt, könnte bei der Kaskoversicherung der Zeitwertzusatz als Summenversicherung eingestuft werden. Da der Zeitwertzusatz mit der Differenz Neuwert – Zeitwert vergleichbar ist, kann in concreto analog argumentiert werden mit dem Ergebnis, dass bei dieser Differenz, welche eben als Summenversicherung gilt, die Subrogation keine Anwendung findet. Aufgrund der kongruenten Schadensposten innerhalb des Zeitwertes kommt hier das Quotenvorrecht voll zum Tragen. Das Resultat ist somit versicherungsnehmerfreundlich, zumal der Geschädigte zunächst die versicherte Leistung oder bei Teilschaden die gesetzlich geschuldete Quote nach Art. 69 Abs. 2 VVG vom Eigenschadensversicherer erhält und für den Rest bis auf die Höhe des Neuwerts das Quotenvor75 recht gegenüber dem Haftpflichtigen durchsetzen kann.304 Im eingangs genannten Beispiel würde somit der Sachversicherer vorab CHF 8000.- an den Versicherungsnehmer leisten. Letzterem stünde zudem ein Vorrecht gegenüber dem Haftpflichtigen zu, weshalb er von den haftpflichtrechtlich geschuldeten CHF 2500.- den Direktschaden von CHF 2000.- für sich in Anspruch nehmen könnte. Z wäre infolgedessen noch zu CHF 500.- regressberechtigt. C. Quotale Aufteilung der Differenz Zeitwert – Neuwert Eine Zwischenlösung kann mit der quotalen Aufteilung der Differenz Zeitwert – Neuwert erreicht werden. Sie erinnert an die sog. Entflechtungsmethode, welche bei der Koordination von Versicherungsleistungen anzutreffen ist.305 Dieser Begriff wird sowohl hier als auch im Folgenden verwendet. Es wird zweistufig vorgegangen, indem in einem ersten Schritt der Zeitwert festgesetzt wird. Die Differenz zwischen Zeitwert und Neuwert wird dann in einem zweiten Schritt prozentual im Verhältnis Zeitwert zu Neuwert errechnet und entschädigt.306 Auf das Anfangsbeispiel angewendet, bedeutet es Folgendes: Z leistet einmal die volle Summe von CHF 8000.- an X. Die Differenz zwischen Neuwert und Zeitwert, also in casu CHF 2000.-, wird prozentual Neuwert zu Zeitwert aufgeteilt. Im vorliegenden Fall entspricht der Zeitwert 4/5 des Neuwertes, weshalb der Versicherungsnehmer auch in diesem Verhältnis am Quotenvorrecht partizipieren soll, was in concreto 4/5 von CHF 2000.- bzw. CHF 1600.- ausmacht. Damit erstreckt sich der Regressanspruch von Z auf CHF 400.-. 3. Stellungnahme Vorab ist festzustellen, dass es für den vorliegenden Fall rein dogmatisch keine richtige Lösung gibt: Trägt der Versicherungsnehmer die Differenz, so zieht er keinerlei Vorteile aus der abgeschlossenen Eigenschadensversicherung, weshalb seine Prämien umsonst entrichtet wurden, zumal ihm der Zeitwert ja ohnehin vom Haftpflichtigen bzw. dessen Versicherer ersetzt worden wäre. Wird das Quotenvorrecht vollumfänglich gewährt, so sind unter Umständen all jene Versicherungsnehmer benachteiligt, welche die ganze 304 305 306 So auch Ostertag, Art. 72 N 3; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 38. Vgl. dazu Schaer/Duc/Keller, Denger, S. 340 ff.; hinten § 6 III. Im Ergebnis ebenso VVG-Graber, Art. 72 N 38. 76 Versicherungssumme ins Risiko mit eingeschlossen und dafür Prämien bezahlt haben. Somit drängt sich die Lösung nach der quotalen Aufteilung der Differenz Zeitwert – Neuwert auf. Dies gilt es genauer zu untersuchen: Nur wenn die Unterversicherung so gross ist, dass die Versicherungssumme unterhalb des Zeitwerts liegt, kommt das Quotenvorrecht des Geschädigten zur Anwendung. Entspricht die versicherte Summe mindestens dem Zeitwert, so entsteht dem Geschädigten an sich gar kein haftpflichtrechtlicher Direktschaden, weshalb auch das Quotenvorrecht nicht bemüht werden muss. Ausgehend von der These, dass die Differenz Zeitwert – Neuwert einer Summenversicherung gleichkommt, gelangt man unter gleichzeitiger Anwendung von Art. 69 Abs. 2 VVG zur Entflechtungsmethode. Dadurch wird die Differenz nicht einfach einer Seite gutgeschrieben, sondern es wird nach dem quotalen Verhältnis zwischen versicherter Summe und Ersatzwert geteilt. Nach meinem Dafürhalten entspricht diese Lösung der ratio legis von Art. 69 Abs. 2 VVG, welche darin liegt, die Relation zwischen Leistung und Gegenleistung zu wahren.307 Diesem gesetzgeberischen Willen wird die quotale Aufteilung gerecht. Deshalb ist es legitim, in teleologischer Auslegung die These der Entflechtungsmethode auch hier anzuwenden. III. Haftungs- und Regressprivileg 1. Allgemeines Ein Privileg im Sinne des Haftpflichtrechtes hat die Bedeutung, dass eine haftpflichtige Person, welche an sich unter allgemeinen Voraussetzungen für einen Schadenersatz oder für einen Regressanspruch einzustehen hätte, von den Ansprüchen befreit wird. Begründung hierfür ist eine bestimmte enge Beziehung zwischen der ersatzpflichtigen und der geschädigten Person.308 Aufgrund des Haftungsprivilegs kann die geschädigte Person gegenüber dem Haftpflichtigen keine Schadenersatzansprüche geltend machen. Indem das Regressprivileg lediglich Regressansprüche des involvierten Versicherers gegenüber dem Haftpflichtigen versagt, nicht aber allfällige Direktansprüche verhindert, geht es nicht so weit wie das Haftungsprivileg. 307 308 VVG-Bolly, Art. 69 N 6. Kieser, ATSG, Art. 75 N 2. 77 Die Voraussetzungen für ein Privileg sind kumulativ: leichtes Verschulden und häusliche Gemeinschaft, Ehegatten oder Hilfsperson.309 2. Entstehung des Privilegs A. Im VVG Im Privatversicherungsrecht ist ein Regressprivileg in Art. 72 Abs. 3 VVG stipuliert, welches im Zusammenhang mit Art. 14 Abs. 4 VVG steht.310 Hier haftet der Versicherer in vollem Umfang, wenn der Versicherungsnehmer, der Anspruchsberechtigte oder eine in Art. 14 Abs. 3 VVG aufgeführte Person den Schaden leichtfahrlässig herbeigeführt hat. In Art. 72 Abs. 3 VVG ist der privilegierte Personenkreis zum einen auf Personen beschränkt, die mit dem Anspruchsberechtigten in häuslicher Gemeinschaft leben. Es müssen Hausgenossen im Sinne von Art. 331 ZGB sein, welche eine Wohngemeinschaft gemäss Art. 162 ZGB bilden.311 Zum anderen werden jene Personen in den bevorzugten Kreis subsumiert, für deren Handlungen der Anspruchsberechtigte einstehen muss. Darunter sind primär Hilfspersonen zu zählen. Aber auch andere Verhältnisse sind denkbar, wie etwa das Halter-Lenker-Verhältnis.312 Bei dieser zweiten Kategorie wird denn auch von einer Gefahrengemeinschaft gesprochen.313 Wann diese Sondereigenschaft zwischen Geschädigtem und Schädiger bestehen muss, um das Privileg zu tangieren, wird vom Gesetz nicht bestimmt. In der Doktrin wird entweder auf den Zeitpunkt der Entstehung der Schadenersatzforderung und/oder auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Schädigers abgestellt.314 Nach meinem Dafürhalten überzeugt einzig das Abstellen auf den Zeitpunkt der Entstehung des Geschädigtenanspruchs, zumal beim Abstellen auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme die Anwendbarkeit des Privilegs unter Umständen lediglich vom Zeitpunkt der Geltendmachung des 309 310 311 312 313 314 Auf Einzelheiten wird vorliegend nicht eingegangen. VVG-Graber, Art. 72 N 55. Beck, Regress, S. 121 f. Davon gilt es den Fall des berechtigten Lenkers zu unterscheiden, welcher ins Garagentor des Halters fährt. Dieser kann von der Gebäudeversicherung nicht belangt werden, solange die Handlung als leichtfahrlässig eingestuft werden kann. Das Gleiche gilt auch für den Kaskoversicherer. So etwa Beck, Regress, S. 122 f. Roelli/Jaeger, Art. 72 N 63, plädieren für die Anwendbarkeit in beiden Fällen; für den Zeitpunkt der Inanspruchnahme VVG-Graber, Art. 72 N 62. 78 Schadenersatzanspruchs abhängig wird. Diesfalls wäre der Versicherer gut beraten, möglichst schnell den Anspruch durchzusetzen, damit er nicht Gefahr läuft, dass der Schädiger in der Zwischenzeit Hausgenosse oder Hilfsperson des Geschädigten wird. B. Im Sozialversicherungsrecht Historisch geht das Haftungs- und Regressprivileg auf das KUVG vom 13. Juni 1911 zurück, welches per 1. April 1918 in Kraft trat. Diese Sonderstellung gewisser Haftpflichtiger fand in der Folge in zahlreichen weiteren Bundesgesetzen Eingang, wie etwa im aUVG, im aAHVG usw. Mit Schaffung des ATSG und seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2003 wurde ein einheitliches Regressprivileg geschaffen, welches die einzelgesetzlichen Regelungen ablöst. Das altrechtliche und hinsichtlich Wirkungen ins Privatrecht nicht unbestrittene Haftungsprivileg wurde damit aufgegeben. In Art. 75 ATSG ist somit de lege lata lediglich noch ein Regressprivileg für alle bundesrechtlich geregelten Sozialversicherungszweige, mit Ausnahme der beruflichen Vorsorge, statuiert.315 Damit dürfte auch die beinahe endlose Diskussion obsolet sein, ob es nun im Haftpflichtrecht ein Haftungsprivileg, als eine Art „allgemeinen Rechtsgrundsatz“ gebe, was im Übrigen vom Bundesgericht schon früher abgelehnt wurde, mit der Begründung, es bedürfe hierfür einer Gesetzesänderung.316 Dies ist nun mit Schaffung des ATSG geschehen. Das darin vorgesehene Privileg kommt nur bei leichtfahrlässiger Schadensverursachung zur Anwendung. Im Falle von Absicht oder Grobfahrlässigkeit kann grundsätzlich ein voller Regress durchgesetzt werden. Ebenso privilegiert sollen nach der Doktrin und der Rechtsprechung offenbar auch die Kausalhaftpflichtigen werden.317 Da der Begriff Kausalhaftpflicht als Oberbegriff der verschuldens-unabhängigen Haftungstatbestände gilt, zählen darunter auch die Gefährdungshaftungstatbestände als sog. scharfe Kausalhaftungen.318 In diesem Sinn ist meines Erachtens auch der BGE 4C.286/2003 zu lesen, bei welchem explizit die gewöhnlichen Kausalhaftungen unter 315 316 317 318 Der Wegfall des Haftungsprivilegs bedeutet, dass bei einem Arbeitsunfall der Arbeitgeber dem geschädigten Arbeitnehmer gegenüber für jedes Verschulden sowie für Kausalhaftungstatbestände für Direktansprüche einzustehen hat. BGE 117 II 617; a.A. etwa Beck, Regress, S. 127 f. So etwa Kieser, ATSG, Art. 75 N 7; Oftinger/Stark, I, § 11 N 222; bestätigt im Urteil des BGer vom 18. Februar 2004, 4C.286/2003. Statt vieler: Roberto, Haftpflichtrecht, N 34. 79 das Privileg subsumiert werden. Der privilegierte Personenkreis umfasst im Übrigen Familienangehörige und Arbeitgeber. C. Durch Vertrag Grundsätzlich wäre eine vertragliche Privilegierung aufgrund der Vertragsfreiheit durchaus möglich. Durch Art. 72 Abs. 2 VVG wird diese Möglichkeit jedoch eingeschränkt, indem der Geschädigte und Versicherungsnehmer die Rückgriffsrechte des leistenden und subrogierenden Schadensversicherers nicht durch Vereinbarungen schmälern darf, will er nicht aus dem Versicherungsvertragsverhältnis schadenersatzpflichtig werden. Ob nur Handlungen319 des Versicherten zu dieser Rechtsfolge führen können oder ob auch unterlassene Handlungen320, die zur Wahrung eines Rechtes erforderlich sind, dazu geeignet sind, ist in der Lehre umstritten.321 Zudem ist zu überlegen, ob durch eine vertragliche Privilegierung ein Vertrag zulasten Dritter geschlossen würde. Dies wäre dann der Fall, wenn die Privilegierung zulasten der anderen Solidarschuldner ginge. Dies ist eine Frage der „gestörten Solidargemeinschaft“, welche im Folgenden behandelt wird. 3. Rechtsfolge des Privilegs A. Allgemeines Die Rechtsfolge ist sowohl im ATSG als auch im VVG dieselbe: Sind sämtliche Voraussetzungen erfüllt, so findet keine Subrogation statt und der Versicherer hat den Schaden abschliessend zu tragen. 319 320 321 Zu denken ist etwa an Saldoquittungen und dgl. Zu denken ist etwa an unterlassene Handlungen betreffend Verjährungsunterbrechung. Vgl. dazu auch VVG-Graber, Art. 72 N 50. 80 B. Gestörte Solidargemeinschaft i. Allgemeines Fällt ein Haftpflichtiger infolge eines Privilegs oder wegen Insolvenz aus der Solidaritätsgemeinschaft aus, so stellt sich die Frage, zu wessen Lasten die ausfallende Quote geht. Dies ist die Problematik der sog. gestörten Solidargemeinschaft. Dabei gilt es zu unterscheiden, ob dieser Ausfall den Geschädigten selbst oder ob er einen Sozialversicherungsträger tangiert. ii. Aus Sicht des Geschädigten Im Verhältnis zwischen den Solidarschuldnern und dem Geschädigten kommt allenfalls das Haftungsprivileg in Betracht, welches jedoch mit Inkrafttreten des ATSG – wie bereits erwähnt – aufgehoben wurde.322 Nach Ausführungen des Bundesgerichts dürfen die Folgen eines Ausscheidens eines Haftpflichtigen aus der Solidargemeinschaft nicht dem Geschädigten aufgebürdet werden.323 iii. Aus Sicht des subrogierenden Versicherers Tritt an die Stelle des Geschädigten ein subrogierender Sozialversicherer, wird in der Doktrin mehrheitlich die Ansicht vertreten, dass sich das Regresssubstrat des leistenden Versicherers um diesen ausscheidenden Teil reduziere.324 Als Gründe werden etwa genannt: das Verbot der Verträge zulasten Dritter; keine Solidarität im Innenverhältnis; der Wille des Gesetzgebers und, dass im anderen Fall den regressbelasteten Schädigern ein Regressanspruch, gestützt auf Art. 148 Abs. 2 OR, zustünde. Das Verbot der Verträge zulasten Dritter vermag nur für Fälle zu überzeugen, bei denen das Privileg vertraglich vereinbart wurde, nicht hingegen beim gesetzlichen Privileg. 322 323 324 Vgl. dazu vorne § 7 III 2 B. BGE 113 II 331; offengelassen noch in BGE 104 II 307; vgl. ferner auch ZWR 1984, S. 136 ff. So auch etwa Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 901. VVG-Graber, Art. 72 N 65; Oftinger/Stark, I, § 11 N 53; Schaer, Grundzüge, N 982 f.; Keller, Haftpflicht II, S. 178; Frei, S. 140 f.; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 55; a.M. Läubli, Koordination, S. 174; Koller, Privileg, S. 25 ff., 29; Vogel/Bichsel, S. 331 ff., welche innerhalb des direkten Forderungsrechts von Art. 65 Abs. 1 SVG dem obligatorischen Haftpflichtversicherer die Berufung auf das Privileg gänzlich versagen. 81 Dieses Argument wird durch die Rechtsfolgen betreffend Vereitelung der Subrogation gemäss Art. 72 Abs. 2 VVG geschmälert. Der Einwand, im Innenverhältnis gebe es keine Solidarität, ist beachtenswert; nicht hingegen die Argumentation, gestützt auf Art. 148 Abs. 2 OR, zumal die unechte Solidargemeinschaft gerade nicht unter die allgemeinen Bestimmungen von Art. 143 ff. OR fällt. Weshalb zudem ein voller Regress auch Art. 14 Abs. 4 VVG widersprechen sollte,325 ist nicht ersichtlich, stehen die anderen Haftpflichtigen doch in keiner Weise in einer Art „Sonderbeziehung“ zum Geschädigten. Im obgenannten Entscheid326 hat sich das Bundesgericht auf die Seite des Geschädigten gestellt. Diese Begünstigung steht nicht im Zentrum der Diskussion, vielmehr ist die Frage umstritten, wie weit die Subrogation zu reichen vermag. Unabhängig vom Resultat der oben dargelegten Auseinandersetzung gilt es die neue Regelung von Art. 72 Abs. 2 ATSG zu beachten, wonach auch für das Innenverhältnis Solidarität statuiert wurde.327 Die Meinungen in der Literatur sind bereits heute geteilt.328 Nimmt man den Grundsatz der Subrogation ernst, so wird man meines Erachtens kaum darum herumkommen, dem subrogierenden Versicherer die Rechtsposition des Geschädigten einzuräumen. Es bleibt somit abzuwarten, wie die Rechtsprechung die Regressordnung des ATSG diesbezüglich auslegen wird.329 C. Probleme bei Grobfahrlässigkeit Nun ist im Zusammenhang mit einer allfälligen Privilegierung von Gesetzes wegen stets die Rede von leichter Fahrlässigkeit. Wie sieht aber die Rechtslage aus, wenn ein Familienmitglied oder ein Arbeitnehmer grobfahrlässig seinen Hausgenossen oder seinen Arbeitgeber geschädigt hat? Zur Verdeutlichung der Problematik mag der folgende Fall dienen: Der Arbeitnehmer X beschädigt grobfahrlässig während der Verrichtung seiner Arbeit eine Maschine des Arbeitgebers Y. Die Sachversicherung Z des Y hält Letzte- 325 326 327 328 329 Vertreten von Roelli/Jaeger, Art. 72 N 55. BGE 113 II 331. Leider wird hier nicht weiter auf die Solidarität im Innenverhältnis eingegangen. Für eine Beibehaltung der heutigen Rechtsprechung: Frei, S. 140 f.; a.M. Läubli, Koordination, S. 174; Vogel/Bichsel, S. 331 ff. So auch Koller, Privileg, S. 27 ff. 82 ren schadlos, da ihm keine grobfahrlässige Handlung im Rahmen von Art. 14 Abs. 3 VVG vorgeworfen werden kann. Hätte X leichtfahrlässig gehandelt, käme ein Regress im Sinne des Privilegs gemäss Art. 72 Abs. 3 VVG ohnehin nicht in Betracht. Würde nun der Regress des Schadensversicherers bei grobfahrlässiger Verursachung vollumfänglich dem an sich privilegierten Verursacher zugestanden, stünde dies im Widerspruch zur wirtschaftlichen Einheit von Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer.330 Die Versicherung Z würde diesfalls Y einerseits eine ungekürzte Leistung erbringen, aber andererseits diese wieder bei X regressweise zurückfordern. Die wirtschaftliche Einheit im Arbeitsverhältnis ist auch in Art. 14 Abs. 3 VVG verkörpert. Wenn der Arbeitgeber in der Beaufsichtigung des Arbeitnehmers grobfahrlässig gehandelt hätte, wäre einzig eine quotale Kürzung der Versicherungsleistung in Frage gekommen. Ein darauf anschliessender Regress auf den Arbeitnehmer wäre bei dieser Konstellation ausgeblieben. Somit wäre es nicht korrekt, wenn der Versicherer im einen Fall keine Schadenbelastung zu verzeichnen hätte, im anderen hingegen schon. Aus diesem Grunde wird auch hier – wie bereits SCHAER vorgeschlagen hat331 – ein quotaler Regress favorisiert, indem dem Versicherer der Regress nur soweit zugestanden wird, als dies der Kürzung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 VVG bezüglich des Direktschadens entsprochen hätte. Mit anderen Worten: Es darf nicht darauf ankommen, ob der Versicherer dem Anspruchberechtigten gegenüber eine Grobfahrlässigkeitskürzung vornimmt oder ob er vorab die Leistungen vollumfänglich erbringt und dann in einem zweiten Schritt regressweise beim Schädiger wieder ausgleicht. D. Regressprivileg und unmittelbares Forderungsrecht Im Zusammenhang mit dem Regressprivileg stellt sich die Frage, ob der Haftpflichtversicherer des privilegierten Schadenverursachers sich ebenfalls auf Art. 72 Abs. 3 VVG berufen kann. Diese Frage ergibt sich aber nur dann, wenn dem Geschädigten ein direktes Forderungsrecht gewährt wird, wie beispielsweise in Art. 65 Abs. 1 SVG, und dieses direkte Forderungsrecht auf den leistenden Versicherer übergeht. 330 331 Gl.M. Schaer, Grundzüge, N 991. Schaer, Grundzüge, N 991. 83 Es wurde erwähnt, dass die Subrogation auch das unmittelbare Forderungsrecht erfasst und es sich dabei nicht um ein höchstpersönliches Recht handelt, sondern um ein mit der Haftpflichtforderung verbundenes Vorzugsrecht.332 Die Rechtsprechung gewährt dem Haftpflichtversicherer auch im Zusammenhang mit dem direkten Forderungsrecht die Berufung auf das Regressprivileg.333 Das überzeugt vor allem deshalb, weil das direkte Forderungsrecht dem Geschädigten die Durchsetzung seines Anspruches gegenüber dem Haftpflichtversicherer erleichtern und nicht den subrogierenden Versicherer begünstigen soll. IV. Einbezug freiwillig erbrachter Leistungen des Schadensversicherers in den Regress 1. Ausgangslage Im Schadensfall kann es aus verschiedenen Gründen dazu kommen, dass der Versicherer auch Leistungen erbringt, welche die vertragliche Pflicht übersteigen. Dies ist einerseits möglich durch Nichterheben von Einreden, insbesondere von Kürzungsmöglichkeiten gemäss Art. 14 Abs. 3 VVG. Die Frage, ob eine Subrogation erfolgen kann, stellt sich zum Beispiel, wenn der Kaskoversicherer dem Halter eine ungekürzte Entschädigung leistet, obwohl der berechtigte Lenker das kaskoversicherte Fahrzeug grobfahrlässig beschädigt hat. Die gleiche Frage stellt sich, wenn der Eigenschadensversicherer Leistungen erbringt, die vom Vertragsinhalt nicht abgedeckt sind.334 Diese Kulanz führt zur nicht einfachen Frage der Regressmöglichkeit einer solchen Leistung, oder anders gefragt: Fallen auch solche Leistungen, die ohne vertragliche Pflicht erbracht werden, unter die Subrogationsbestimmungen des VVG? Bei der Beurteilung dieser Problematik gilt es zwischen dem Eigenschadens- und dem Haftpflichtversicherer zu unterscheiden. 332 333 334 Vgl. vorne § 5 I. Urteil des HGer des Kantons ZH vom 23. Juni 2003, in: ZR 103 (2004) Nr. 65, S. 258 f.; ferner BGE 127 III 583 wo jedoch das Haftungsprivileg in Frage stand. Zu denken ist etwa an Schäden infolge fehlerhafter baulicher Konstruktion, welche von der Schadensversicherungsdeckung ausgeschlossen sind. 84 2. Eigenschadensversicherung A. Lehre und Rechtsprechung In der Lehre besteht Einigkeit darüber, dass bei Leistungen, die ausserhalb des Deckungsbereiches liegen, keine Subrogation gemäss Art. 72 Abs. 1 VVG stattfindet.335 Hinsichtlich der dem Geschädigten nicht entgegengehaltenen Kürzungsmöglichkeiten im Sinne von Art. 14 Abs. 3 VVG entschied das Bundesgericht, dass der Rechtsübergang nach Art. 72 VVG auch dann eintritt, wenn die Versicherung aus reiner Kulanz bezahlt hat.336 Diese Ansicht wurde bereits von der älteren Lehre vertreten, auf welche sich das Bundesgericht auch abgestützt hat.337 Während ein Teil der neueren Doktrin die Auffassung des Bundesgerichts teilt,338 verneint SCHAER den Rechtsübergang mit dem Argument, dass eine Nichtschuld bezahlt worden sei.339 B. Stellungnahme Grundsätzlich ist der Auffassung beizupflichten, wonach auf erbrachte Leistungen, welche ausserhalb des Deckungsbereiches liegen, die Subrogation nicht stattfindet. Es handelt sich somit um eine „echte Kulanzleistung“. Wenn eine solche Kulanzleistung vorliegt, der Versicherer also einen stichhaltigen Ausschlussgrund ins Feld führen könnte und trotzdem leistet, so darf meines Erachtens eine Subrogation deshalb nicht erfolgen, weil sonst dadurch ein Vertrag zulasten Dritter – nämlich zulasten des Haftpflichtigen – geschlossen würde.340 Die Schwierigkeit der Durchsetzbarkeit der Forderung und der Beweislasten erfordern in der Regel juristisches beziehungsweise fachliches Wissen und finanzielle Mittel. Da der Schadensversicherer über diese Mittel verfügt, steht er in einer günstigeren Position als ein geschädigter Laie. Da die Versicherungsgesellschaft in aller Regel über weit grössere finanzielle Ressourcen verfügt als eine Privatperson, ist dadurch das in jedem Zivilprozess inhärente Prozessrisiko ungleich verteilt. Ein privater 335 336 337 338 339 340 Schaer, Schadensversicherer, S. 111; ebenso auch VVG-Graber, Art. 72 N 35. BGE 120 II 63. Roelli/Jaeger, Art. 72 N 33. VVG-Graber, Art. 72 N 35. Schaer, Schadensversicherer, S. 110 f.; so wohl auch Honsell, Regress, S. 576, und Hausheer, Die privatrechtliche Rechtsprechung des BGer im Jahre 1994, in: ZBJV 1996, S. 396 ff., wobei der Rezensent die Frage am Ende offen lässt. Im Ergebnis gleich: Keller, Haftpflicht II, S. 209 f. mit Verweis auf BGE 107 II 498. 85 Geschädigter würde eher von einem schwierigen und aufwendigen Prozess absehen als ein Versicherer. Durch das Erbringen einer echten freiwilligen Leistung, welche im Anschluss noch unter die Subrogationsbestimmung von Art. 72 Abs. 1 VVG fiele, würde der Schadensversicherer indirekt zu einer Art Rechtsschutzversicherung umfunktioniert. Bei beiden Versicherungsarten würde das Kostenrisiko eines Zivilverfahrens durch einen Versicherer übernommen. Dadurch könnten Bestimmungen der Verordnung über die Rechtsschutzversicherung341 tangiert und unter Umständen auch verletzt werden. Aufgrund des auslegungsbedürftigen Wortlauts von AVB-Klauseln besteht für den Versicherer, der sich auf einen allfälligen Deckungseinwand beruft, stets die Ungewissheit der Vertragsauslegung in dubio contra stipulatorem. Dieser Grundsatz ist in Art. 33 VVG verankert. Demgegenüber ist die Wahrscheinlichkeit eines durch den Verursacher veranlassten Prozesses, welcher die Grobfahrlässigkeitskürzung anfechten möchte, wesentlich kleiner. Mit anderen Worten: Nicht jede Kulanzleistung hat de facto den gleichen Beweggrund. Der Versicherer kauft sich in gewissen Fällen eher das Risiko eines allfällig drohenden Prozesses aus, als dass er kulant sein will. In diesem Fall liegt eine „unechte Kulanzleistung“ vor. Bei einem derartigen Risikoauskauf wäre meines Erachtens die Subrogation zu bejahen. Dies gilt deshalb, weil der leistende Schadensversicherer einwenden kann, dass der Haftpflichtige oder sein Versicherer ja ohnehin für den Schaden aufkommen müssten. Dieses Argument ist betreffend Risikoauskauf richtig, vermag aber für Leistungen ausserhalb des klaren Deckungsbereiches nicht zu überzeugen. 3. Haftpflichtversicherung A. Lehre und Rechtsprechung Erbringt der Haftpflichtversicherer gegenüber dem Geschädigten eine Leistung, ohne Bestehen einer Haftpflicht oder eines haftpflichtrechtlich relevanten Schadens, so wird in der Lehre der Regressanspruch bzw. die Subrogation verneint.342 Die Kulanzleistung, welche auf Nichterheben von Einreden wie Kürzungsgründe im Sinne von Art. 14 Abs. 2 341 342 SR 961.22; zu denken ist insb. an Art. 3 betreffend Kompositversicherer. Auf Haftpflichtversicherer ist gemäss Art. 2a diese Verordnung nicht anwendbar. VVG-Graber, Art. 72 N 35. 86 und 3 VVG beruht, wird in der Lehre nicht erörtert. Die Rechtsprechung hatte sich meines Wissens mit dieser Konstellation bis dato nicht zu befassen. B. Stellungnahme Meines Erachtens können die beim Eigenschadensversicherer gemachten Überlegungen nicht per se übernommen werden, zumal das Versicherungsvertragsverhältnis inter partes und deren Nebenpflichten tangiert werden. Im Übrigen kann von einer freiwillig erbrachten Leistung des Haftpflichtversicherers nur in Fällen gesprochen werden, in welchen dem Geschädigten kein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Versicherer zusteht. Im ersten Fall, bei welchem der Haftpflichtversicherer Leistungen erbringt, ohne dass der Versicherungsnehmer haftpflichtig ist oder ohne dass ein haftpflichtrechtlicher Schaden vorhanden ist, begeht der Versicherer eine Schlechterfüllung des Versicherungsvertrags. Anstelle eines Rückgriffes auf den Haftpflichtigen kann dieser, resultiert ihm daraus ein Schaden, Haftungsansprüche gegenüber dem Versicherer geltend machen. Im zweiten Fall, bei welchem der Versicherer die volle Leistung erbringt, obschon er Kürzungsgründe geltend machen könnte, sind folgende Überlegungen anzustellen: Zunächst kommt es nach meinem Dafürhalten nicht darauf an, ob es sich um einen Fall von Art. 14 Abs. 2 oder von Abs. 3 VVG handelt, zumal Hilfspersonen als mitversicherte Personen in der Haftpflichtversicherungspolice aufzufassen sind, soweit der Versicherungsnehmer für ihre Handlungen einzustehen hat. Betrachtet man die Rechtslage rein formaljuristisch, so ist das Ergebnis in beiden Fällen dasselbe: Der gegenüber dem Geschädigten haftpflichtige Versicherungsnehmer schuldet den Schadenersatz X, egal, ob die Kürzung zunächst einredeweise geltend gemacht wird oder nicht. Aus vor allem taktischen Überlegungen kann man sich jedoch fragen, ob der Haftpflichtige nicht um gewisse Chancen betreffend Verhandlungsgeschick und Prozesstaktik gebracht wird. Diese Problematik ist mit der Frage der sog. „perte d’une chance“ vergleichbar,343 zumal in einer Vergleichsvereinbarung zwischen dem Haftpflichtversicherer und dem Geschädigten ein Vertrag zulasten eines Dritten gesehen werden kann, was ein rechtswidriger Eingriff in die geschützte Rechtsposition des Haftpflichtigen darstellt. Letzterer kann 343 Vgl. dazu etwa Roberto, Haftpflichtrecht, N 778 ff.; für eine vertiefte Auseinandersetzung: Müller Christoph, La Perte d’une chance, Diss. Neuenburg 2002; Müller Christoph, Schadenersatz für verlorene Chancen – Ei des Kolumbus oder Trojanisches Pferd?, in: AJP 2002, S. 389 ff. 87 geltend machen, dass er dadurch der Wahrscheinlichkeit einer hypothetisch günstigeren Vermögensentwicklung verlustig gegangen sei: Unter Umständen hätte der Geschädigte auf einen umständlichen und aufwendigen Prozess verzichtet oder der Haftpflichtige hätte einfach den Prozess besser geführt. Überdies hat der Haftpflichtversicherer gegenüber seinen Versicherungsnehmern gewisse aus der Rechtsschutzfunktion der Haftpflichtversicherung resultierende Treuepflichten zu beachten, welche nach meinem Dafürhalten gerade darin liegen, im konkreten Fall die günstigste Lösung für den haftpflichtigen Versicherungsnehmer zu erzielen. Aus diesen Gründen sollte im Falle freiwillig erbrachter Leistungen dem Haftpflichtversicherer der Regress aufgrund „eventuell verpasster Kürzungsmöglichkeit“ gegen seine Versicherungsnehmer verwehrt sein. § 8. Ergebnis zweiter Teil 1. In § 5 wurde das Innenverhältnis, d.h. das Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen, erörtert. Dieses Verhältnis wird hauptsächlich durch gesetzliche Rückgriffsrechte geregelt: einerseits durch das originäre Regressrecht gemäss Art. 51 Abs. 2 OR und andererseits durch den derivativen Regressanspruch gemäss Art. 72 Abs. 1 VVG oder Art. 72 ff. ATSG. Überdies ist auch ein vertraglich vereinbartes Rückgriffsrecht denkbar. 2. Im Innenverhältnis gilt grundsätzlich keine Solidarität; als Ausnahme gilt die Bestimmung von Art. 72 Abs. 2 ATSG. Somit sind Kettenregresse ausgeschlossen. 3. In entstehungsgeschichtlicher Betrachtung konnte festgestellt werden, dass der Gesetzgeber von Art. 51 Abs. 2 OR den Eigenschadensversicherer – geleitet durch den „Leiterhaken-Fall“ – in die mittlere Stufe der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR stellen wollte. Eine methodologische Auseinandersetzung brachte zum Vorschein, dass der Sinn und Zweck dieser Bestimmung verfehlt wird, wenn der Schadensversicherer in die Regresskaskade gestellt wird. Überdies sieht – bei entsprechender Auslegung – Art. 72 Abs. 1 VVG als lex specialis ein integrales Regressrecht vor. 4. Ebenso darf auch das VVG nicht einer rein historischen Auslegung unterzogen werden, mit dem Resultat, dass der Begriff „unerlaubte Handlung“ nicht auf die Haftung nach Verschulden reduziert werden darf. Diese Lösung entspricht auch der Rechtsstellung des Versicherers nach deutschem, österreichischem oder fürstentumliechtensteinischem Versicherungsvertragsgesetz. 88 5. Im Sozialversicherungsrecht ist die Koordination der Rückgriffsansprüche dreigeteilt: Gegenüber dem Haftpflichtigen besteht ein integrales Regressrecht gemäss Art. 72 Abs. 1 ATSG. Das Regressverhältnis zwischen mehreren Sozialversicherern wird im Sinne einer Gesamtgläubigerschaft geregelt. Die Koordination zwischen Sozialversicherern nach ATSG und solchen nach VVG ist hingegen gesetzlich nicht geregelt. Die von der herrschenden Lehre verfochtene Proportionalmethode bewirkt die sachgerechteste Lösung. 6. Ist eine Gefährdungshaftung beteiligt, bedarf es im Regressverhältnis einer besonderen Berücksichtigung der Betriebsgefahr, welche zu berücksichtigen ist, bevor ein Ausgleich nach Art. 51 Abs. 2 OR erfolgt. Die Beurteilung danach, ob die Betriebsgefahr sich überhaupt ausgewirkt hat, ist eine umstrittene Frage. In der vorliegenden Arbeit wird vorgeschlagen, grundsätzlich die Betriebsgefahr über die Energieformel zu gewichten. Das SVG sieht eigene Haftungskollisionsregeln vor. Dabei ist umstritten, ob die endgültige Schadensaufteilung nach der Kompensationsmethode oder nach der sektoriellen Methode zu erfolgen hat, wobei sich eine Tendenz pro Kompensation abzeichnet. 7. Das Regressrecht findet gewisse Einschränkungen. Eine der wichtigsten resultiert aus dem Quotenvorrecht. Dabei ist bis heute strittig, ob es auch ein sog. fiktives Quotenvorrecht gibt. Im Zusammenhang mit dem Zeitwertzusatz in der Kaskoversicherung wurde der Frage nachgegangen, ob auch hier das Quotenvorrecht bezüglich des Selbstbehaltes tangiert wird. Das Ergebnis fällt zugunsten des Versicherungsnehmers aus. Auch im Falle der Unterversicherung wird das Regressrecht des Eigenschadensversicherers eingeschränkt, folgt man der hier favorisierten Lösung der Entflechtungsmethode. Als weitere Regresseinschränkung gilt es, das Regressprivileg zu erwähnen. Diesbezüglich wirft insbesondere die gestörte Solidargemeinschaft die schwierige Frage auf, zu wessen Lasten der Ausfall eines privilegierten Solidarschuldners zu erfolgen hat. Selbst unter der Bestimmung von Art. 72 Abs. 2 ATSG bleibt die Rechtslage umstritten. Hinsichtlich der Regressmöglichkeit freiwilliger Leistungen resultierte eine differenzierte Lösung, da einerseits zwischen der Haftpflicht- und der Eigenschadensversicherung und andererseits zwischen echten und unechten Kulanzleistungen unterschieden werden muss. 89 III. Teil: Regress des Privatversicherers § 9. Stellung des Privatversicherers in der Regressordnung I. „Gini/Durlemann-Praxis“ 1. Sachverhalt In der Versicherungswirtschaft zählt der sog. Gini/Durlemann-Entscheid344 zu den einschneidendsten und somit auch zu den prominentesten Urteilen der letzten Jahrzehnte.345 Da dieses Urteil für das Regress- und das Versicherungsrecht von hoher Bedeutung ist und es auch heute noch – aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung – Beachtung geniesst, drängt sich eine vertiefte Auseinandersetzung auf, zumal in der vorliegenden Arbeit darauf immer wieder Bezug genommen wird. Dem Urteil liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Gini war von Peroni beauftragt, eine Dépendance seiner Villa neu zu streichen. Ginis Angestellter Durlemann hatte die Aufgabe, mittels einer Schweisslampe die Aussenwand aus Holz von alter Farbe zu befreien. Bei einer Türe konnte das Feuer ins Innere dringen, so dass das ganze Haus abbrannte. Der Sachversicherer wollte auf Gini und Durlemann regressieren. 2. Erwägungen A. Bezüglich Beauftragtem (Gini) Der Sachversicherer liegt laut Bundesgericht mit der Ansicht falsch, eine versäumte oder ungenügende Instruktion und Überwachung führe neben der Haftung von Art. 55 OR auch zu einer solchen aus Art. 41 OR, weil diese Unterlassungen eine unerlaubte Handlung darstellten. Die Haftungsvoraussetzungen von Art. 55 OR seien nicht mit dem Verschulden im Sinne von Art. 41 OR gleichzusetzen. Im Übrigen seien sie vorliegend ohnehin nicht erfüllt, da es sich um Routinearbeiten handelte und Durlemann ein erfahrener Arbeiter sei. Gini sei darüber hinaus kein persönliches Verschulden vorwerfbar, er hafte 344 345 BGE 80 II 247 ff. = Pra (44) 1955, Nr. 18. Bestätigt in BGE 93 II 353. 90 nur über Art. 101 OR für das leichte Verschulden seines Arbeiters Durlemann bei der Vertragsausführung, so das Bundesgericht. Damit bestehe bei Gini keine Deliktshaftung, und Art. 101 OR führe zu einer vertraglichen Haftung. Die vom Sachversicherer vorgelegte Zession über die Ansprüche von Peroni gegen Gini und Durlemann ist nach Bundesgericht nicht beachtlich, da sie Art. 51 OR derogiert.346 Die gewichtigste Feststellung liegt in der folgenden Aussage: Der Sachversicherer und der aus Vertrag Haftpflichtige stehen laut Bundesgericht, gestützt auf Art. 51 Abs. 2 OR, grundsätzlich auf derselben Stufe, da beide aus Vertrag haften. Da für diesen Fall Art. 51 Abs. 2 OR keine Lösung vorsehe, wird Art. 51 Abs. 1 OR und damit Art. 50 Abs. 2 OR herangezogen: Dadurch wird der Richter ermächtigt, den Regress und dessen Umfang nach Ermessen zu bestimmen. Dabei gibt das Bundesgericht Folgendes zu bedenken: Mit der Einführung von Art. 51 OR habe der Gesetzgeber dem Versicherer nicht eine neue Regressmöglichkeit schaffen wollen, welche er nicht bereits mit Art. 72 VVG innegehabt hätte. Andererseits sei unter der alleinigen Regressregel von Art. 72 VVG die Zedierung der Haftpflichtansprüche an den Sachversicherer möglich gewesen. Deshalb soll mit Art. 51 Abs. 2 OR auch nicht jeder Regressanspruch des Sachversicherers auf den vertraglich Haftenden ausgeschlossen sein. Allerdings rechtfertige es sich, diesen Regress bezüglich der Vertragshaftung einzuschränken, und zwar für Fälle, bei welchen die Vertragsverletzung grobfahrlässig erfolgte. Diese Lösung dränge sich auch im Lichte von Art. 14 Abs. 4 VVG auf: Wenn der Sachversicherer bei leichtfahrlässiger Herbeiführung des Ereignisses nicht kürzen dürfe, sei es nicht ersichtlich, warum er regressieren können soll, wenn diese leichte Fahrlässigkeit den Vertragspartner des Versicherungsnehmers treffe. B. Bezüglich Hilfsperson (Durlemann) Die Haftung von Durlemann wurde im Sinne von Art. 41 OR in kurzen Zügen bejaht und die Fahrlässigkeit als leicht eingestuft. Durlemann wurde deshalb zur Leistung von CHF 4000.- verurteilt. Anmerkung: Dies erstaunt im Lichte der heutigen Brandschutzvorschriften. Meines Erachtens hat Durlemann mit seinem Handeln elementarste Vorsichtsgebote verletzt und 346 So bereits schon BGE 45 II 645. 91 damit grobfahrlässig gehandelt.347 Der zu leistende Schadenersatz wurde um 80% gekürzt, was unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Durlemann erfolgte. Die Kürzung erscheint auf den ersten Blick erheblich. Betrachtet man aber den im Jahre 1954 höchstversicherbaren Lohn in der Unfallversicherung, so zeigt sich, dass Durlemann mit der Schadenersatzzahlung erheblich belastet wurde.348 II. Analyse der „Gini/Durlemann-Praxis“ 1. Auslegung A. Methodische Interpretation i. Sprachlich-grammatikalische Interpretation Sowohl in Art. 51 Abs. 2 OR als auch in Art. 72 Abs. 1 VVG wird der Ausdruck „unerlaubte Handlung“ verwendet. Es ist im Folgenden zu prüfen, ob mit diesem Ausdruck de jure auch dasselbe gemeint ist: Die Bestimmung von Art. 51 Abs. 2 OR lautet: „[...] durch unerlaubte Handlung verschuldet [...].“ Durch diese Ausdrucksweise gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass mit dem Ausdruck „unerlaubte Handlung“ nicht bereits klar ist, welche Haftung gemeint war. Wenn „unerlaubte Handlung“ mit der „Haftung aus Verschulden“ gleichzusetzen wäre, so würde es sich bei der obigen Bestimmung um einen Pleonasmus handeln. Bezüglich des Art. 72 Abs. 1 VVG gilt es zu prüfen, ob unter den Begriff „unerlaubte Handlung“ nicht auch Haftpflichtige aus Vertrag fallen. Mit dem aus dem Haftpflichtrecht stammenden Ausdruck „unerlaubte Handlung“ sind zwar die Vertragshaftenden nicht explizit mit eingeschlossen. Fallen jedoch unter diesen Ausdruck selbst gewöhnliche Kausalhaftpflichtige, so sind nach meinem Dafürhalten erst recht auch Haftende aus Vertrag, welche in einer Sonderstellung zum Geschädigten stehen, mit einzubeziehen. Es lässt sich sachlich nicht begründen, weshalb eine ausservertraglich haftpflichtige Person ohne jede Sonderbindung349 vor einem Vertragspartner gegenüber einem Dritten einzustehen hat. Wer sich nämlich vertraglich bindet, der schenkt dem Kontrahenten ein er- 347 348 349 Ebenfalls zweifelnd Oftinger, Bemerkungen, S. 171. Höchstversicherbarer Lohn 1954: CHF 9'000.-. Höchstversicherbarer Lohn 2004: CHF 106'800.-. Vgl. dazu die neuere Doktrin zum gesetzlichen Schuldverhältnis; so etwa Wiegand, S. 85 ff. 92 höhtes Vertrauen. Wird dieses verletzt, so muss der dafür verantwortliche Vertragspartner billigerweise auch für die Vertragsverletzung einstehen. ii. Teleologische Interpretation Im Versicherungsvertrag verspricht die Versicherungsgesellschaft Deckung für einen Schaden für den Fall, dass sich das versicherte Risiko de facto verwirklichen sollte. Für diese Leistung zahlt der Versicherungsnehmer eine entsprechende risikobezogene Prämie, weshalb beim Versicherungsvertrag von einem synallagmatischen Vertrag gesprochen werden kann.350 Der Versicherungsnehmer schliesst eine Sachversicherung primär deshalb ab, um im Schadensfall möglichst einfach an eine Ersatzleistung zu gelangen, um nicht gegen allfällige Haftpflichtige rechtlich vorgehen zu müssen.351 Somit handelt es sich bei der Versicherungsleistung nicht um eine Haftung, sondern um eine Vertragserfüllung, welche der primären Leistungspflicht, in concreto der Risikodeckung, entspricht und nichts mit dem Schadenersatz – auch sekundäre Leistung genannt – zu tun hat. Eine Sekundärleistung liegt denn auch bei denjenigen Haftungssubjekten vor, welche aus Vertrag haften.352 Daran ändert sich auch aufgrund der teilweise unpräzisen Ausdrucksweise des Gesetzgebers im VVG nichts, wo zum Teil von einer Haftung des Versicherers die Rede ist.353 Der Wortlaut eines Gesetzes ist grundsätzlich primärer Anknüpfungspunkt bei dessen Auslegung. Was aber nach der heutigen Methodenlehre vielmehr entscheidend ist, ist die Teleologie eines Gesetzes.354 Meines Erachtens ist die Formulierung des VVG diesbezüglich unklar. Richtigerweise müsste in diesem Zusammenhang von einer Leistungspflicht gesprochen werden. Somit darf die Terminologie nicht überbewertet werden, sie ist vielmehr als gesetzgeberisches Versehen einzustufen.355 Der Vergleich des Bundesgerichts mit Art. 14 Abs. 4 VVG vermag ebenso wenig zu überzeugen, da die ratio legis dieser Bestimmung darin liegt, den Versicherungsnehmer 350 351 352 353 354 355 Maurer, PVR, S. 211 m.w.H. Daneben gibt es regelmässig den Vorteil der sog. Neuwertentschädigung. Gl.M. Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1079; Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 619; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 3; Honsell, Haftpflicht, § 24 N 8; a.M. wohl das BGer, BGE 63 II 150, wonach diese beiden Ansprüche identisch seien; Brühlmann, S. 139. So etwa in Art. 14 Abs. 1 VVG. Statt vieler: Kramer, S. 152. So mahnte bereits der römische Jurist Celsus daran, sich nicht an die Worte zu klammern, sondern sich ihrer Kraft und Macht bewusst zu werden (Dig. 1, 3, 17). 93 bzw. den Prämienzahler nicht mit Schäden zu belasten, deren Risiko er gerade versichern wollte. Somit betrifft dieser Kürzungsausschluss die Beziehung inter partes. Haftpflichtige Dritte stehen aber gerade nicht in einer solchen Beziehung, weshalb es auch nicht nachvollziehbar ist, wenn Dritte von Art. 14 Abs. 4 VVG profitieren könnten. Zudem wirken sich diese entgangenen Regresseinnahmen wiederum bei der Prämienrechnung des Geschädigten aus.356 iii. Historische Interpretation Wie bereits gezeigt,357 gründet diese Fehlentwicklung358 des schweizerischen Regressrechts im „Leiterhaken-Fall“359. Bei diesem Urteil haftete der Werkeigentümer – wie heute – kausal, was als ungerecht, ja gar unbillig aufgefasst wurde. Dadurch stand die Werkeigentümerhaftung in der Ausgestaltung einer Kausalhaftung in Frage. EUGEN HUBER „rettete“ mit der Schaffung der Regresskaskade die Werkeigentümerhaftung in der heutigen Form, wollte aber mit Art. 51 Abs. 2 OR keine starre Ordnung aufstellen, sondern mit dem Ausdruck „in der Regel“ vielmehr eine Orientierungshilfe geben.360 Es haben also gewisse Zufälligkeiten bei der Gesetzgebung dieser Regressbestimmung mitgewirkt, welche es rechtfertigen, diese Norm extensiv, soweit überhaupt erforderlich, auszulegen.361 Das Bundesgericht hat sich in BGE 63 II 155 f. bereits einmal ausführlich mit der Entstehungsgeschichte des Art. 51 Abs. 2 OR auseinander gesetzt und ist dabei zum Schluss gekommen, dass der Gesetzgeber dem aus Gesetz haftenden Werkeigentümer zwar einen Regressanspruch gegen den Versicherer einräumen wollte. Es sei aber nicht entscheidend, was der Gesetzgeber bei Erlass der Bestimmung gewollt habe, sondern was dem Gesetz im Lichte allgemeiner Rechtsanschauung zu entnehmen sei.362 Daraus folgerte das Bundesgericht weiter, dass nicht einzusehen sei, wieso vom Versicherungsvertrag des Geschädigten ein Dritter, nach Gesetz Haftender, profitieren sollte, ohne dafür Prä- 356 357 358 359 360 361 362 Ebenso Haller, S. 367 f. Vgl. vorne § 6 I 2. Schaer, Grundzüge, N 842, spricht sogar von einer fehlerhaften Wertungsanleitung. BGE 35 II 238 ff. Sten Bull NR 1909, S. 737. Gl.M. Oftinger/Stark, I, § 10 N 73. BGE 63 II 155 f. E. 7. 94 mien bezahlt zu haben.363 Im Ergebnis schützte somit das Bundesgericht den Regressanspruch des Personenversicherers gegen den aus Gesetz haftenden Werkeigentümer. Dadurch wurde das integrale Regressrecht des Schadensversicherers im Sinne von Art. 72 VVG zu Recht bejaht. Weshalb dasselbe Gericht rund 17 Jahre später im „Gini/Durlemann-Entscheid“ zu einer anderen Auslegung gelangte, ist nicht nachvollziehbar. Der Einfluss von Art. 51 Abs. 2 OR auf Art. 72 VVG und der Zusammenhang der beiden Artikel kann aufgrund des Resultats der historischen Auslegung kaum bezweifelt werden. Dennoch drängt sich die Frage nach der derogatorischen Kraft des Spezialgesetzes auf. Das Argument des Bundesgerichts im „Gini/Durlemann-Entscheid“364, wonach der Gesetzgeber die Stellung des Versicherers durch die Schaffung von Art. 51 Abs. 2 OR nicht habe verbessern wollen, mag durchaus dem gesetzgeberischen Willen entsprechen. Das bedeutet aber nicht zugleich, dass der Gesetzgeber die Versicherungen im Regressverhältnis benachteiligen wollte. iv. Systematische Interpretation In systematischer Hinsicht fällt auf, dass das OR im zweiten Abschnitt den Begriff „unerlaubte Handlung“ als Entstehungsgrund einer Obligation im Titel aufführt. Unter diesem zweiten Abschnitt sind sodann sämtliche ausservertraglichen Haftungstatbestände, also auch die Kausalhaftung wie die Tierhalter- oder die Werkeigentümerhaftpflicht, zu finden. Wenn nun Art. 72 Abs. 1 VVG die Subrogation von Ersatzansprüchen aus „unerlaubter Handlung“ vorsieht, ist meines Erachtens der Schluss legitim, dass dadurch auf den Titel des zweiten Abschnittes des OR verwiesen wird und nicht bloss auf die Verschuldenshaftung.365 Überdies existierten auch schon im aOR von 1881 gewisse Kausalhaftungstatbestände. Hätte der Gesetzgeber die Subrogation für Kausalhaftungen ausschliessen wollen, hätte er anstelle des Begriffs „unerlaubte Handlung“ den Ausdruck „Verschuldenshaftung“ gewählt. Die Anwendung der Prioritätenregel lex posterior derogat legi priori kann hier nicht in dem vom Bundesgericht verwendeten Sinne herangezogen werden. Überdies lässt sich 363 364 365 BGE 63 II 156 E. 7; so etwa auch Oftinger/Stark, I, § 11 N 65 ff.; a.M. wohl Oswald, S. 28. BGE 80 II 255. Gl.M. Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 622. 95 dieser Grundsatz nicht ohne weiteres neben dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali anwenden.366 Die zeitliche Gesetzeskonkurrenz wirkt meines Erachtens vielmehr nur dort, wo gleichrangige Gesetze nebeneinander stehen. Das VVG ist aber – wie bereits ausgeführt wurde – das Spezialgesetz zum OR und muss daher Letzterem vorgehen.367 Bei der Konkurrenz der beiden Rechtsgrundsätze kann damit der Ansicht VON TUHRS368 gefolgt werden, wonach der Grundsatz lex posterior generalis non derogat priori speciali gilt. Dadurch hätte das Bundesgericht in der Revision des OR keinen Anlass sehen dürfen, den Willen des Gesetzgebers in die Richtung zu interpretieren, dieser habe implizit auch das Spezialgesetz VVG ändern wollen. Mit der Revision eines allgemeinen Gesetzes wird meines Erachtens per se kein Spezialgesetz tangiert. Wenn man Änderungen auf solche Gesetze bewirken möchte, braucht es bekanntlich bei den Schlussbestimmungen deren Nennung inkl. des neuen, geänderten Gesetzestextes. Dies erfolgte jedoch bei der Revision des OR nicht. Im Sinne der systematischen Interpretation ist die Rechtsordnung als „Einheit“ aufzufassen, weshalb auch eine disziplinenübergreifende Berücksichtigung möglich ist.369 Der Begriff „unerlaubte Handlung“ ist auch im Gesellschaftsrecht, in Art. 567 Abs. 3 OR betreffend die Kollektivgesellschaft und in Art. 722 OR betreffend die Aktiengesellschaft, anzutreffen. In beiden Fällen haftet die Gesellschaft für den Schaden aus unerlaubten Handlungen, die ein Gesellschafter in Ausübung seiner geschäftlichen Verrichtung begeht. Für die Auslegung von Art. 72 Abs. 1 VVG ist es demnach von gewissem Interesse, welche Haftungsnormen im Gesellschaftsrecht unter diesen Begriff subsumiert werden. Die Doktrin äussert sich nur teilweise zum Inhalt des Begriffs „unerlaubte Handlung“, und wenn, dann nur nebenbei.370 Das gilt deshalb, weil offenbar im Gesellschaftsrecht dies nicht die gleiche Tragweite hat wie im Regressrecht. Das Bundesgericht erwähnt in BGE 124 III 299 zur „unerlaubten Handlung“ in Klammern den Art. 41 OR. Ob dadurch eine vertragliche Haftung ausgeschlossen wird, bleibt meines Erachtens jedoch offen. Dennoch kann festgehalten werden, dass die überwiegende Lehre den Begriff „unerlaubte Handlung“ im Gesellschaftsrecht extensiv auslegt. Somit fällt in 366 367 368 369 370 Dazu etwa Kramer, S. 101 f. m.w.H. So schon von Tuhr, S. 234; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 2; a.A. Hartmann, S. 108; Rütsche/Ducksch, S. 46. Betreffend Regressregeln des SVG als Spezialgesetz vgl. etwa Hulliger, S. 68. von Tuhr, S. 234. Kramer, S. 78. Extensive Interpretation etwa von ZK-Siegwart, Art. 567 N 6; Böckli, S. 1603; Meier-Hayoz/Forstmoser, § 2 N 21; Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 622 Fn 56; offengelassen von ZK-Homburger, Art. 722 N 1185 ff.; Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, § 21 N 9 ff.; BK-Hartmann, Art. 567 N 7. 96 diesem Rechtsgebiet ebenso die vertragliche Haftung als auch die Kausalhaftung unter den Begriff „unerlaubte Handlung“.371 Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung drängt sich dieselbe Interpretation für Art. 72 Abs. 1 VVG auf, zumal es keine sachlichen Gründe gibt, weshalb unter „unerlaubter Handlung“ je nachdem etwas anderes zu verstehen wäre. Hätte Gini selber gehandelt, so wäre er Peroni gegenüber – im Sinne der Anspruchskonkurrenz – sowohl aus Werkvertrag als auch aus Art. 41 OR haftbar gewesen. Im Sachversicherungsregress verhilft bei leichtfahrlässiger Handlung hingegen lediglich die ausservertragliche Haftung zu einem Anspruch. Es ist nicht einleuchtend, dass bei gleicher Handlung, gleichem Verschulden und demselben Schaden ein unterschiedliches Regressergebnis resultiert, je nachdem, welches Haftungssubjekt angesprochen wird. Nach HALLER ist der Regress bei jeder Fahrlässigkeit zuzulassen, wodurch er sich nicht gänzlich zum integralen Regressrecht bekennt.372 B. Aktuelle Rechtsprechung Ein neuer Entscheid des Bundesgerichts lässt gewisse Hoffnungen aufkommen, dass eine Änderung der Rechtsprechung im Gange ist, und zwar in Richtung integrales Regressrecht. Im Mittelpunkt steht der bekannte BGE 126 III 521 ff., bei dem der Regress des Arbeitgebers betreffend die vertraglich geschuldete Lohnfortzahlung aus regressrechtlicher Sicht zu beurteilen war. Bis zu diesem Urteil war die Einordnung des Rückgriffs des Arbeitgebers bezüglich dieser Lohnfortzahlungsfälle umstritten, da er als Reflexgeschädigter keine widerrechtliche Schädigung erlitten hatte.373 Das Bundesgericht macht folgende Ausführungen: „Da der Arbeitgeber seinen Vertrag erfüllt und nicht aus Schlechterfüllung für den entstandenen Schaden haftet, kann die in Art. 51 Abs. 2 OR vorgesehene Abstufung […] nicht auf die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers übertragen werden.“374 Weiter führt das Bundesgericht aus, und dies ist nun für die vorliegende Arbeit von grossem Interesse: „Der Arbeitgeber ist diesbezüglich den subrogierenden Sozial- und Schadensversicherern gleichzustellen, auch wenn diese ihre 371 372 373 374 In diesem Sinne auch Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 622. Haller, S. 371. Statt vieler: Roberto, Schadensrecht, S. 41 m.w.H. zum Stand der Doktrin vor dem BGE 126 III 521 ff. BGE 127 III 523. So auch Roberto, Schadensrecht, S. 41. 97 Rechtsstellung bereits im Unfallzeitpunkt erlangt haben.“375 Somit steht fest, dass sowohl eine direkte als auch eine analoge Anwendung der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR keine Anwendung auf Lohnfortzahlungsfälle finden kann. Der im Aussenverhältnis stehende Arbeitgeber wird als haftungsloser Leistungspflichtiger im Innenverhältnis aus der Solidargemeinschaft herausgenommen, und es wird ihm ein integrales Regressrecht gewährt.376 Indem das Bundesgericht für diese Auslegung auf die Subrogation des Sozial- und Schadensversicherers zurückgreift und diese beiden Versicherer gleich behandelt, gesteht es Letzteren implizit ein integrales Regressrecht zu. Ob das Bundesgericht damit eine Änderung der Rechtsprechung in Aussicht gestellt hat oder ob es sich um ein Versehen handelt, ist zurzeit fraglich. Es erstaunt, dass dieses Urteil in der Doktrin noch nicht die meines Erachtens adäquate Aufmerksamkeit gefunden hat.377 HAUSHEER/JAUN interpretieren das Urteil im Ergebnis als eine Praxisänderung. RUMO-JUNGO erwartet nun den gleichen Schritt auch für die privaten Versicherungen. PORTMANN schliesst aus der höchstrichterlichen Aussage einzig, dass damit „die Sozialversicherer gemeint sind, entgegen der Meinung des Bundesgerichts aber nicht die (privaten) Schadensversicherer“. Auch nach der hier vertretenen Meinung ist die Leistungspflicht des Arbeitgebers durchaus mit jener des Schadensversicherers vergleichbar, handelt es sich doch bei beiden um eine vertragliche Hauptleistungspflicht und nicht um eine sekundäre Pflicht bzw. um einen Schadenersatz.378 Der einzig relevante Unterschied besteht darin, dass der Arbeitgeber trotz seiner weiterdauernden Leistungspflicht keine Gegenleistung, welche in der Arbeitsleistung seines Arbeitnehmers liegt, mehr erhält. Demgegenüber hat der Sachversicherer für dieses Risiko eine Leistung in Form der Prämie erhalten. Diese Prämie steht aber eben gerade in Relation mit den aus dieser Branche zu zahlenden Schäden. Aus diesen und den bereits genannten Gründen besteht meines Erachtens begründete Hoffnung, dass die Gerichte das integrale Regressrecht des Eigenschadensversicherers künftig anerkennen werden. Da es sich aber eben noch nicht um eine gefestigte Rechtsprechung handelt und damit eine Rückkehr zur „Gini/Durlemann-Praxis“ nicht ausgeschlossen ist, ist die Darlegung der weiteren Konsequenzen des BGE 80 II 247 ff. berechtigt; 375 376 377 378 BGE 126 III 523 E. 2b. Ebenso Weber/Schaetzle, S. 101 ff. Vgl. dazu etwa Hausheer/Jaun, ZBJV 2001, S. 927 ff.; Weber/Schaetzle, S. 101 ff.; Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 621; Portmann, ARV, S. 113. Gl.M. BK-Brehm, Art. 41 N 31; Hausheer/Jaun, ZBJV 2001, S. 929. 98 dies gilt umso mehr, als zwischen den beteiligten Regressparteien alles andere als Konsens in der Regressdogmatik herrscht. 2. Deckungsausschlussklauseln A. Allgemeines In der Versicherungspraxis hat sich über die Jahrzehnte ein äusserst feines System von Deckungsausschlussklauseln entwickelt, um präventiv unliebsamen Aktiv- als auch Passivregressen entgegenzuwirken, welche teilweise aus der ungünstigen „Gini/Durlemann-Praxis“ resultieren. Bestünde ein integrales Regressrecht für den Schadensversicherer, so wären solche Präventivmassnahmen weitgehend unnötig. Die AGBKontrolle wird später in dieser Arbeit diskutiert.379 B. Ausschluss der „fehlerhaften baulichen Konstruktion“ In der Sachversicherung wird in den AVB praktisch ausnahmslos ein Deckungsausschluss betreffend die fehlerhafte bauliche Konstruktion380 vorgesehen.381 Das heisst, dass immer dann, wenn die Konstruktion als solche nicht normgerecht382, nicht vorschriftsgemäss383 oder nicht den Regeln der Baukunst entsprechend bewerkstelligt wurde, daraus resultierende Wasser- und auch Elementarschäden in der entsprechenden Versicherungspolice nicht gedeckt sind. Zu einer solchen fehlerhaften Konstruktion kann es sowohl infolge fehlerhafter Planung als auch infolge mangelhafter Ausführung kommen. Die Wasserversicherung384 lehnt, gestützt auf diese Klausel, jegliche Leistungen ab, zumal nicht beabsichtigt wird, den Versicherungsnehmer Prämien für „Dritte“ bezahlen zu lassen. Vielmehr steht dem Geschädigten, meistens dem Bauherrn, ein Gewähr- 379 380 381 382 383 384 Vgl. hinten § 13. Zwar fehlt in der Praxis eine klare Definition, was eine „fehlerhafte bauliche Konstruktion“ ist. Dennoch ist in der Praxis folgende Umschreibung üblich: „Unter baulicher Konstruktion sind sowohl der planerische als auch der ausführungstechnische Teil eines Werkes zu verstehen.“ Über den Begriff „Fehler“ wird vorliegend nicht eingegangen, um den Rahmen nicht zu sprengen. Vgl. im Anhang die entsprechende AVB-Klausel. So etwa nach den SIA-Normen oder einfach den Schweizer Normen (SN). Anweisungen von Herstellern usw. Mit dem Ausdruck Wasserversicherung wird eine private Sachversicherung bezeichnet, welche das Risiko Wasser deckt. 99 leistungs- und Schadenersatzanspruch gegen den Verursacher bzw. den fehlbaren Unternehmer zu, welchen es auch zu beanspruchen gilt. Würde nämlich der geschädigte Versicherungsnehmer ohne diesen Deckungsausschluss die Leistung aus seiner Sachversicherungspolice geltend machen, fiele die Regressnahme des Sachversicherers unter die ungünstige Regressordnung. Dies hätte wiederum Auswirkungen auf die Prämiengestaltung der Sachversicherung. Zur Praxiserleichterung hat der SVV eine Empfehlung385 herausgegeben, nach welcher Schadenfälle, die aus einer fehlerhaften baulichen Konstruktion resultieren, grundsätzlich zwischen Sach- und Betriebshaftpflichtversicherer hälftig zu teilen sind. Darunter fallen lediglich Schäden, deren Zeitwert höchstens CHF 50 000.- beträgt. Ebenso genügt eine adäquate Schadensverursachung, weshalb Exkulpationsbeweise ausgeschlossen sind. Obschon diese Empfehlung eine Vereinfachung der Rechtslage sein sollte, gibt es in der Praxis erhebliche Diskussionen über ihre Auslegung. Eine eingehende Auseinandersetzung kann hier nicht erfolgen, jedoch werden die wichtigsten Diskussionspunkte kurz genannt: Zunächst wird darüber diskutiert, was de jure eine fehlerhafte bauliche Konstruktion ist; fällt etwa ein Produktemangel auch unter diesen Begriff? Betreffend die Limite von CHF 50 000.- ist unklar, ob sie für den Gesamtschaden, welcher aus den Schadenskategorien Gebäude, Fahrhabe und Betriebsunterbrechung bestehen kann, kumuliert oder für jede Kategorie einzeln gilt. Des Weiteren ist der Kreis der möglichen Haftpflichtigen diskussionswürdig, zumal unklar ist, ob beispielsweise auch Planer und Architekten zu diesem Kreis zählen. Aufgrund dieser Schwierigkeiten ist der SVV gefordert, diese Empfehlung entweder zu revidieren oder ausser Kraft zu setzen.386 Aus dem gleichen Grunde wird heute in der Praxis vermehrt der geschädigte Kunde auch bei Schäden infolge positiver Vertragsverletzung387 bereits vor der Leistungserbringung auf die Regressschwierigkeiten hingewiesen. Dadurch kann der Geschädigte besser entscheiden, ob er tatsächlich gewillt ist, auf allfällige Direktansprüche zu verzichten. Der geschädigte Versicherungskunde wird für ein solches Vorgehen nur dann zu begeistern sein, wenn der Zeitwert seines erlittenen Schadens etwa dem Neuwert388 entspricht, zumal haftpflichtrechtlich lediglich der Schaden nach Zeitwert geschuldet ist. Dies ist 385 386 387 388 SVV-Empfehlung Nr. 2/1994; vgl. Anhang. Zu diesem Problembereich existiert weder Literatur noch Judikatur. Die pos. Vertragsverletzung bzw. die Schlechterfüllung ist nicht als "fehlerhafte bauliche Konstruktion" zu qualifizieren, zumal lediglich etwas bereits Bestehendes bei der Vertragserfüllung beschädigt wird. Die Mehrheit der Eigenschadensversicherer sieht eine sog. Neuwertdeckung vor. 100 nicht selten der Fall, da sich solche fehlerhaften Konstruktionen vor allem zu Beginn der Inbetriebnahme manifestieren und damit regelmässig Neubauten betroffen sind. 3. Auswirkungen auf den verursachenden Arbeitnehmer A. Ausgangslage Als Kernpunkt der höchstrichterlichen Ausführungen im „Gini/Durlemann-Entscheid“ muss die Einstufung der Sachversicherung in die mittlere Stufe der haftpflichtrechtlich geprägten Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR bezeichnet werden.389 Die zweite wichtige Aussage besteht darin, dass dem Sachversicherer, obschon er auf der gleichen Stufe wie der Werkvertragshaftende steht, lediglich gegen Letzteren ein Regressrecht zugestanden wird, wenn die schadensverursachende Handlung als grobfahrlässig einzustufen ist.390 Dadurch wird ein Regress des Sachversicherers im Falle von leichter Fahrlässigkeit nur gestützt auf Art. 41 OR möglich, da über die Werkvertragshaftung im Sinne von Art. 368 i.V.m. Art. 101 OR in diesem Fall keine Regressmöglichkeit besteht. Hinsichtlich Versicherungsschutz sehen die AVB der Versicherungen eine empfindliche Unterscheidung vor:391 In der Haftpflichtversicherung wird zwischen den Regressansprüchen gegenüber den Arbeitnehmern und gegenüber jenen Personen unterschieden, die mit der Leitung oder der Beaufsichtigung des Betriebes betraut sind. Dies gilt in Anlehnung an die Regelung von Art. 59 VVG, welche bei der Betriebshaftpflichtversicherung den „gewöhnlichen“ Arbeitnehmer nicht mit einschliesst. Für diese Personengruppe besteht ex lege keine Deckung für Direktansprüche des Geschädigten, zumal Art. 59 VVG lediglich für den Versicherungsnehmer selbst und seine Vertreter sowie für jene Personengruppe, die mit der Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes betraut ist, also für sog. Repräsentanten, wie sie in der Lehre392 auch genannt werden, Deckung vorsieht. Praktisch sämtliche AVB der schweizerischen Versicherungsgesellschaften ziehen den Personenkreis jedoch weiter und schliessen die Deckung für Haftpflichtansprüche gegen die Arbeitnehmer zwar mit ein,393 sehen hingegen zugleich einen Regressausschluss dieser Personengruppe vor. Im Kommentar der damaligen Unfalldirektorenkonferenz 389 390 391 392 393 BGE 80 II 250. BGE 80 II 255 f. Der genaue Wortlaut der Klauseln ist im nächsten Abschnitt B oder hinten im Anhang zu finden. Koenig, PVR, S. 501. Maurer, PVR, S. 538 f. 101 wird ausgeführt, dass dieser Regressausschluss aufgenommen worden sei, um vor allem den immer häufiger werdenden Regressansprüchen der Sachversicherer und der SUVA gegenüber Angestellten und Arbeitern zu begegnen.394 Etwas anderes gilt etwa dann, wenn der Arbeitnehmer zugleich dem Verwaltungsrat derselben Firma angehört. Wird ein Arbeitnehmer in den Verwaltungsrat gewählt, so gehört er aus versicherungsrechtlicher Sicht zu den oben angeführten Personen, welche mit der Leitung des Betriebes betraut sind. Folglich sind Regressansprüche anderer Versicherer gegen diesen Arbeitnehmer, welcher auch Verwaltungsrat ist, grundsätzlich von der Betriebshaftpflichtversicherung zu decken. Durch die Doppelstellung des Arbeitnehmers verschlechtert sich demnach die Stellung des Betriebshaftpflichtversicherers, während jene des Arbeitnehmers letztlich verbessert wird. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass, wenn der Geschädigte gegen den Arbeitgeber direkt vertragliche Haftungsansprüche geltend macht, der Arbeitnehmer für diese sog. Direktansprüche durch die Betriebshaftpflichtpolice gedeckt ist. Hält sich hingegen der Geschädigte vorab an seine Sachversicherung, da diese beispielsweise ihm den Neuwert entschädigt, so beruft sich der Betriebshaftpflichtversicherer des Arbeitgebers im Regress auf die AVB-Klausel „Regress und Ausgleichsansprüche Dritter“. Inwieweit ein solcher Ausschluss überhaupt vor einer AGB-Auslegung standhält, insbesondere hinsichtlich einer allfällig analogen Anwendung von Art. 321e OR betreffend die gefahrengeneigte Tätigkeit, ist höchst fraglich und wurde vom Bundesgericht bis dato nicht explizit entschieden.395 Trotzdem sieht der VE-Brehm die Beibehaltung des Art. 59 VVG vor. B. Wortlaut der Klausel Aufgrund der Wichtigkeit dieser Klausel wird auch an dieser Stelle der allgemeine Wortlaut wiedergegeben: 394 395 Kommentar der Unfalldirektorenkonferenz zu den AVB allgemeine Betriebshaftpflichtversicherung vom 22. März 1966. An dieser Stelle sei jedoch auf das Gutachten von Th. Koller verwiesen, welches die SUVA in Auftrag gegeben hat; auszugsweise zu finden in: recht 1999, S. 43 ff.; bejahend Müller, S. 99; ebenso Gross, Haftpflichtversicherung, S. 56 f. Diese beiden Autoren gehen von einer stillschweigenden Abmachung unter den Gesellschaften aus, in der Regel, aus sozialen Gründen, auf solche Arbeitnehmerregresse zu verzichten. Ein solches Entgegenkommen der Versicherer basiert auf reiner Kulanz und lässt sich in keiner Vereinbarung des SVV finden; vgl. dazu auch hinten § 13. 102 „Versichert ist die Haftpflicht … – des Versicherungsnehmers als Betriebsinhaber … – des Vertreters des Versicherungsnehmers sowie der mit der Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes betrauten Personen … – der Arbeitnehmer und übrigen Hilfspersonen des Versicherungsnehmers aus ihren Verrichtungen für den versicherten Betrieb und aus ihrer Tätigkeit im Zusammenhang mit den versicherten Grundstücken, Gebäuden, Räumlichkeiten und Anlagen. Nicht versichert sind Regress- und Ausgleichsansprüche Dritter für Leistungen, die sie den Geschädigten ausgerichtet haben.“ C. BGE 128 III 76 ff. i. Ausgangslage Die vom Bundesgericht im Entscheid 128 III 80396 gemachten Ausführungen zur Organhaftung im Sinne von Art. 55 Abs. 2 ZGB gilt es im Folgenden genauer zu untersuchen, zumal unter anderem SCHAER397aus dem Urteil den Schluss zieht, dass Art. 59 VVG dadurch zur Makulatur werde. Dies hätte wiederum Auswirkungen auf die hier in Frage stehende Regressausschlussklausel. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Bei der Reinigung eines vom kantonalen Landwirtschaftsinstitut des Kantons Jura betriebenen Stalles wurde ein Landwirtschaftslehrling, welcher sich dazu auf einem 4 m hohen Rollgerüst befand, durch einen entweichenden jungen Stier heruntergestossen. Im Stall befanden sich zu diesem Zeitpunkt acht junge Stiere, die von einem weiteren Lehrling mit einer Heugabel in einer Ecke hätten gehalten werden sollen. Ein Stier konnte entweichen und das Rollgerüst so unglücklich berühren, dass der Lehrling vom Gerüst stürzte, was zu schweren Verletzungen führte. Das Gerüst war 396 397 Pra (91) 2002, Nr. 56. Vgl. dazu die Urteilsbesprechung von Beck P., in: HAVE 2002, S. 215 ff. CaseTex Nr. 4683 zu finden in: <http://www.legalnet/content.html> (besucht am 12. Dezember 2005). 103 nicht mit Bremsen versehen. Zudem hatte es der Betriebschef bzw. der dazu beauftragte Mitarbeiter unterlassen, den Lehrling zu instruieren und zu überwachen. ii. Erwägungen des Bundesgerichts Das Bundesgericht hatte sich in erster Linie mit der in casu gültigen Rechtsgrundlage bzw. mit dem Verhältnis zwischen kantonalem öffentlichem Staatshaftungsrecht und dem UVG auseinander zu setzen. Darauf wird hier nicht näher eingegangen. In einem weiteren Schritt geht das Bundesgericht – für die Prüfung des Regressprivilegs – auf die Organhaftung des Art. 55 Abs. 2 ZGB ein. Das Bundesgericht argumentiert etwa dahingehend, dass dann, wenn der Arbeitgeber wie im vorliegenden Fall eine juristischen Person sei, ihm die Handlungen der Organe zuzurechnen seien. Übertrage der Betriebsleiter (in casu Organ) seine Befugnisse an seinen Mitarbeiter, werde dieser gestützt auf diese Delegation ein Organ des Arbeitgebers.398 Genau diese Ausführungen könnten unter Umständen für die Auslegung von Art. 59 VVG entscheidend sein, was es im Folgenden zu untersuchen gilt. iii. Stellungnahme Der guten Ordnung halber wird vom Bundesgericht zunächst festgehalten, dass Handlungen von Organen einer juristischen Person Letzterer auch zugerechnet werden. Viel interessanter hingegen ist die Aussage über die Delegation von Organkompetenzen: Wenn ein Organ seine Befugnisse an einen seiner Mitarbeiter überträgt, werde dieser, gestützt auf diese Delegation, selbst zum Organ des Arbeitgebers bzw. der juristischen Person. Jede andere rechtliche Konstruktion käme – laut Bundesgericht – der Aussage gleich, dass eine hierarchische Struktur genüge, um die Haftung des Arbeitgebers abzuschwächen, was nicht annehmbar sei. Aufgrund dieser Feststellung des Bundesgerichts drängen sich folgende Fragen auf: Wo liegt in haftpflichtrechtlicher Sicht noch der Unterschied zwischen einem Organ und einer Hilfsperson? Sind nicht am Ende sämtliche Aufgaben, welche Arbeitnehmer ausführen, an sich „delegierte Aufgaben“? Zunächst gilt es zu überlegen, weshalb denn nicht einfach Art. 55 OR angewendet und stattdessen der Weg über die Organhaftung eingeschlagen wurde? Nach meinem Dafürhalten wäre die ausservertragliche Hilfspersonenhaftung gemäss Art. 55 OR ohne weite- 398 BGE 128 III 80. 104 res als Haftungsgrundlage zur Verfügung gestanden, hätte jedoch in concreto nicht weitergeholfen, da das Privileg des Arbeitgebers den Regress verhindert hätte.399 Da die Handlung des beauftragten Mitarbeiters sogar als grobfahrlässig eingestuft wurde und damit das Regressprivileg an sich nicht in Betracht gekommen wäre, musste eine Haftungsnorm herangezogen werden, bei welcher ein persönliches Verschulden dem Arbeitgeber zugerechnet werden konnte: Dafür eignete sich eben lediglich die Organhaftung im Sinne von Art. 55 ZGB, welche dann vom Bundesgericht auch bemüht wurde. Eine extensive Anwendung – etwa auf Hilfspersonen – von Art. 55 Abs. 2 ZGB wird jedoch von der Doktrin teilweise abgelehnt.400 So werde jemand, welcher lediglich als Vertreter oder Hilfsperson für die juristische Peron tätig werde, nicht Organ, sondern unselbständiger Weisungsempfänger.401 Des Weiteren drängt sich die Frage auf, weshalb denn nicht die Arbeitgeberhaftung auf Art. 101 i.V.m. Art. 328 OR abgestützt wurde, da meines Erachtens bei einem Lehrling kaum an der Hilfspersonenqualität gezweifelt werden kann. Die Antwort liegt nicht direkt auf der Hand. Der Kreis muss über die Haftung hinaus erweitert werden, und zwar zur Deckung der Haftpflichtversicherung. Wie noch an anderer Stelle zu zeigen sein wird,402 fällt die Zurechnungsnorm von Art. 101 OR unter das Kürzungsregime von Art. 14 Abs. 2 VVG, im Gegensatz zur Geschäftsherrenhaftung gemäss Art. 55 OR, welche unter Art. 14 Abs. 3 VVG subsumiert wird. Bei letzterer Kürzungsbestimmung wird für eine Leistungsherabsetzung des Versicherers vorausgesetzt, dass die Hilfsperson grobfahrlässig gehandelt und der Anspruchsberechtigte bzw. der Arbeitgeber in der Beaufsichtigung, in der Anstellung oder durch die Aufnahme der Hilfsperson elementarste Vorsichtsgebote missachtet hat. Dies wurde im vorliegenden Bundesgerichtsentscheid stillschweigend verneint, während die Haftung nach Art. 101 i.V.m. Art. 328 OR über Art. 14 Abs. 2 VVG zu einer Leistungskürzung bzw. zu einem Leistungsausschluss geführt hätte und dadurch der Geschädigte der Bonität der Organe ausgesetzt gewesen wäre. Die Vermutung liegt nahe, dass deshalb die Lösung über die vertragliche Haftung nicht in Betracht kam und somit die Organhaftung herangezogen werden musste. 399 400 401 402 Das schuldhafte Verhalten der Hilfsperson im Sinne von Art. 41 OR hätte meines Erachtens mit keiner juristischen Konstruktion auf den Arbeitgeber projiziert werden können, auch wenn man von der Alternativität zwischen Art. 55 und Art. 41 OR ausgeht. Zum Regressprivileg vgl. vorne § 7 III. Vgl. dazu Oftinger/Stark, II/1, § 20 N 19; ZGB-Huguenin, Art. 54/55 N 17 m.w.H. ZGB-Huguenin, Art. 54/55 N 17. Vgl. hinten § 10 IV. 105 Im Weiteren fragt sich, ob durch diese doch auf einen weiten Personenkreis angewendete Organhaftung nicht eine unwillkommene Vermischung zwischen Organ- und Hilfspersonenhaftung erfolgt ist. Die vom Bundesgericht angesprochenen, delegierten Aufgaben werden in der Urteilsbegründung nicht weiter umschrieben, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass sämtliche Aufgaben, welche an Arbeitnehmer delegiert werden, dem Grundsatze nach Arbeitgeberaufgaben sind, da Letzterer sich sowohl vertraglich verpflichtet als auch ausservertraglich für seine Hilfspersonen im Rahmen des sog. funktionellen Zusammenhangs gegenüber Dritten einstehen muss. Bis dato unterschied die Doktrin jedoch Art. 55 Abs. 2 ZGB von Art. 55 OR gerade mithilfe des Begriffs des Organs der juristischen Person und dem Begriff der Hilfsperson.403 Zudem wird davon ausgegangen, dass sich die Eigenschaften eines Organs und einer Hilfsperson ausschliessen.404 Als vertretungsrechtliche Organe werden jene Funktionäre einer juristischen Person bezeichnet, die nach Gesetz, nach Statuten oder gemäss einem von diesen abgeleiteten Reglement zur Erfüllung gewisser Aufgaben bestimmt sind, oder auch jene, die de facto solche Aufgaben in erkennbarer Weise selbständig erfüllen405 – ein sog. faktisches Organ bzw. ein sog. faktischer Verwaltungsrat. Angewendet auf das hier zur Diskussion stehende Urteil bedeutet dies eine Ausdehnung der Hilfspersonenhaftung im Sinne von Art. 55 OR auf all jene Fälle, bei welchen das Verschulden bewiesen werden kann. Ob diese Konsequenz de jure vom Bundesgericht so gewollt war, ist meines Erachtens zurzeit fraglich, und es bleibt abzuwarten, ob dieses Urteil bestätigt wird. Jedenfalls sollte nicht vorschnell der Schluss gezogen werden, dass dadurch Art. 59 VVG zur Makulatur werde, obschon – wie aus den bereits erfolgten Ausführungen mehrfach resultiert – ein solches Ergebnis an sich wünschenswert wäre. Nichtsdestoweniger darf dennoch davon ausgegangen werden, dass das Bundesgericht durchaus gewillt ist, gewünschte Ergebnisse auch in den Gesetzen de lege lata zu konstruieren, obschon an sich andere Haftungsnormen zur Auswahl ständen, aber in casu zu keiner oder zu keiner befriedigenden Geldleistung geführt hätten. 403 404 405 Statt vieler: Oftinger/Stark, II/1, § 20 N 14. Oftinger/Stark, II/1, § 20 N 14; Rey, N 971. Oftinger/Stark, II/1, § 20 N 15 mit weitergehenden Ausführungen. 106 4. Sog. Umkehrregress A. Ausgangslage In der Versicherungswirtschaft versteht man unter dem sog. Umkehrregress zweierlei: Weil der Versicherer wegen des „Gini/Durlemann-Urteils“ auf die Stufe der aus Vertrag Haftenden gesetzt worden war, kam die Idee auf, diese Einstufung müsse per se gelten, sodass einerseits bei Vorliegen einer leichten Fahrlässigkeit des Unternehmers oder seiner Hilfspersonen stets der Sachversicherungsvertrag zu belasten sei, selbst dann, wenn dessen Betriebshaftpflichtversicherer den Schaden zuerst reguliert hat. Diese Ansicht figuriert unter dem Begriff des sog. umgekehrten Gini/Durlemann. Andererseits führt eine extensive Auslegung des „Gini/Durlemann-Entscheides“ teilweise zur Überzeugung, dass der Kausalhaftpflichtige oder sein Haftpflichtversicherer auf den Sachversicherer regressieren könne und dies auch entgegen dem Willen des geschädigten Versicherungsnehmers. Dies entspricht dem sog. Umkehrregress. Die folgenden Sachverhalte sollen die beiden Konstellationen verdeutlichen: 1. Regress des Tierhalters auf den Kaskoversicherer oder die private Krankenversicherung: Das Tier des Halters X verletzt das Kind Y schwer. Vorausgesetzt, es kommt Art. 41 OR alternativ zu Art. 56 OR nicht in Betracht, versucht der in Anspruch genommene Haftpflichtversicherer Regress auf die private Krankenkasse zu nehmen. 2. Regress des Werkeigentümers auf den Kaskoversicherer: In einem Autobahntunnel fällt plötzlich eine Beleuchtung auf das Fahrzeug des X. Der aufgrund von Art. 58 OR leistende Betriebshaftpflichtversicherer versucht, den Schaden regressweise auf die Kaskoversicherung abzuwälzen. 3. Regress des Produktehaftpflichtversicherers auf die Feuerversicherung: Infolge eines technischen Defekts eines neuen Fernsehgeräts kommt es zu einem Brandschaden an Gebäude und Fahrhabe des Geräteeigentümers. Die Produktehaftpflichtversicherung des Herstellers hält den Geschädigten im Rahmen des Zeitwertes schadlos und versucht nun, die erbrachten Leistungen regressweise bei der Gebäude- bzw. bei der Fahrhabeversicherung geltend zu machen. 4. Regress des Betriebshaftpflichtversicherers auf die Wasserversicherung: Der Handwerker Z bohrt versehentlich in eine Wasserleitung. Die Betriebshaftpflichtversi107 cherung des Arbeitgebers des Z will – gestützt auf den „Gini/Durlemann-Entscheid“ – Regress auf die Wasserversicherung des Gebäudeeigentümers nehmen mit dem Argument, wenn Letztere als Erste geleistet hätte, ihr der Regress bei leichter Fahrlässigkeit ja auch nicht zugestanden hätte. B. Rechtliche Auseinandersetzung i. Allgemeines Die obigen Beispiele haben alle zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen trägt letztlich immer der Geschädigte selbst, zwar über seine Versicherungspolice, den erlittenen Schaden, und zum andern anerbietet sich eine Regressmöglichkeit nur bei Vorhandensein einer Eigenschadensversicherung seitens des Geschädigten. Die Beispiele zeigen die heutigen Missstände im privatrechtlichen Regresssystem deutlich auf. Es ergibt nämlich keinen Sinn, die Regressmöglichkeit von der Zufälligkeit abhängig zu machen, ob der Geschädigte selbst gegen den Schaden versichert ist oder nicht. Der Geschädigte schloss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine Eigenschadensversicherung nicht für Ereignisse ab, bei denen er einen Haftpflichtigen belangen könnte, sondern für jene Risiken, die sich ohne haftpflichtbegründeten Dritteinfluss verwirklicht haben. Zu denken ist namentlich an Schäden infolge von Elementarereignissen, aufgrund defekter Gebäudeteile oder leichten Selbstverschuldens. Der Gedanke des Bundesgerichts, durch haftpflichtige Dritte verursachte Schäden seien bei der Prämienkalkulation mit berücksichtigt, greift zu kurz, zumal die Prämie der Preis dafür ist, dass der Versicherer als Gegenleistung die Gewährung des Versicherungsschutzes eines bestimmten Risikos übernimmt.406 Die Prämie wird dabei nach den Gesetzen der Statistik berechnet, unter Berücksichtigung der Gesamtheit der in einem Risikokollektiv versicherten Personen. Diese Personengruppe bringt durch Leistung ihrer Prämien das Kapital für Schäden auf, welche durch das beschriebene Risiko entstanden sind. Aus diesen Grundsätzen ist unzweifelhaft die Relation zwischen der Prämienhöhe und der Anzahl der eingetretenen Schäden ersichtlich.407 Werden somit noch Schäden, welche durch haftpflichtige Dritte verursacht wurden, gedeckt, so gibt es eine ungewollte Verschiebung von der Haftpflichtversicherungs- auf die Sachversicherungsseite, welche 406 407 Vgl. etwa Maurer, PVR, S. 288 ff. Gl.M. war auch das BGer im BGE 63 II 156. 108 letztlich nicht von den Versicherern, sondern von den Versicherungsnehmern zu tragen ist.408 Indem nun eindeutige Haftpflichttatbestände über eine Eigenschadensversicherung endgültig reguliert werden, müssen mehr und grössere Risiken gezeichnet werden. Dadurch steigt die Prämienbelastung der einzelnen Versicherungsnehmer an – oder der Versicherungsnehmer geht gar eines Schadenfreiheitsrabatts verlustig. Dies ist letztlich ein Zirkelschluss: Kausalhaftpflichtfälle und leichtfahrlässig verursachte Schäden werden dadurch auf die Eigentümer bzw. die Besteller abgewälzt. Dieses Resultat entbehrt meines Erachtens jeglicher Gerechtigkeit, und ebenso fehlt die Logik. Dies entspricht kaum dem Willen des Gesetzgebers.409 Zudem erhält der Haftpflichtversicherer auch eine Prämie für die Risikoabdeckung von Vermögenseinbussen seines Versicherungsnehmers infolge verursachter Schäden. ii. Zum „umgekehrten Gini/Durlemann“ Das Hauptargument, welches hier von den Befürwortern ins Feld geführt wird, liegt darin, dass der Sachversicherer, hätte er als Erster geleistet, bei Vorliegen einer leichtfahrlässigen Handlung der Hilfsperson ja auch nicht hätte regressieren können. Da – wie bereits an anderer Stelle aufgeführt410 – der Versicherer nur schlecht in die Regressordnung von Art. 51 Abs. 2 OR hineinpasst und der gesetzgeberische Wille aufgrund der veränderten Sozialversicherungssysteme sich nicht mehr so eindeutig für die heutige Zeit interpretieren lässt, wäre es nicht einzusehen, dass man den Regress des Betriebshaftpflichtversicherers des leichtfahrlässig handelnden Handwerkers auf den Sachversicherer zuliesse; dies – notabene – alles gestützt auf den „Gini/DurlemannEntscheid“. Im Übrigen wird in diesem Zusammenhang übersehen, dass sich die Hilfsperson selbst haftpflichtig im Sinne von Art. 41 OR gemacht hat. Dass der Werkvertrag i.V.m. Art. 101 OR überhaupt bemüht werden muss, gründet, wie bereits ausgeführt, darin, dass Regress- und Ausgleichsansprüche Dritter nicht zugelassen werden. Gerade schon in der begründeten Verschuldenshaftung des Verursachers ist der Widerspruch zur Theorie des „umgekehrten Gini/Durlemann“ ersichtlich und einleuchtend. 408 409 410 So auch Oftinger/Stark, I, § 11 N 74, Fn 81. Aus Sicht der Sozialversicherung (SUVA) so auch Läubli, Deckungsausschlüsse, S. 30. Vg. Vorne § 9. 109 iii. Zum Umkehrregress Vorab kann festgehalten werden, dass in all jenen Fällen, in welchen der kausalhaftpflichtige Verursacher ein zusätzliches Verschulden411 zu vertreten hat, ein Regress des Kausalhaftpflichtigen nicht in Frage kommt, vorausgesetzt, man vertritt, wie in der vorliegenden Arbeit favorisiert, das Prinzip der Alternativität. Diese Ansichten über die Rechtsstellung des Privatversicherers im Regress sind bekanntlich kontrovers, und die obige, extensive Auslegung des „Gini/Durlemann-Entscheides“ steht auch im Widerspruch zur allgemeinen, sich verstärkenden ablehnenden Haltung gegenüber diesem Urteil und ebenso gegenüber der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR. Der Sachversicherer wird sodann – wie noch zu zeigen sein wird – als ursachenloser Ersatzpflichtiger betrachtet, weil lediglich eine Leistungs-, jedoch keine Haftpflicht besteht.412 Das Bundesgericht äusserte sich im BGE 114 II 345 zur vorliegenden Problematik in dem Sinne, dass es den Regress des aus Vertrag Haftpflichtigen auf den Versicherer grundsätzlich zuliesse. Diese Äusserung darf aber nicht ohne Berücksichtigung des Kontextes gelesen werden, handelt es sich doch beim vorliegenden Urteil um einen Spezialfall. Der Vermieter hat nämlich den Kaskoversicherungsvertrag zugunsten des Mieters abgeschlossen, was sich im Übrigen auch darin zeigt, dass der Mieter für die Prämien aufzukommen hat. Auch das vor wenigen Jahren ergangene Urteil BGE 126 III 521 ff. zeigt deutlich, dass vertraglich Leistungspflichtige – in casu der Arbeitgeber – zwar im Aussenverhältnis als mögliche Schuldner ins Recht gefasst werden können, aber im Innenverhältnis nicht in die Kaskadenordnung von Art. 51 Abs. 2 OR subsumiert werden dürfen. Dieses Urteil lässt den Analogieschluss zum Versicherungsvertrag ohne weiteres zu mit dem Resultat, dass auch der Sachversicherer als ursachenloser Leistungspflichtiger keine Solidargemeinschaft im Sinne des OR bildet.413 Ebenso darf nach meinem Dafürhalten der Wille des Geschädigten nicht umgangen oder gar missachtet werden: Wenn der Geschädigte sich für den beschwerlicheren Weg der Durchsetzung des Haftpflichtanspruches entscheidet, wäre es unbillig oder rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 2 ZGB, wenn der belangte Haftpflichtversicherer den Geschädigten in einem zweiten Schritt wieder via Eigenschadensversicherung „belangen“ 411 412 413 Vgl. dazu vorne § 1 I. Vgl. dazu § 9 III 2. Vgl. hinten § 9 III 2. 110 könnte. Ein solcher Umkehrregress käme einer Schadloshaltung des Haftenden zulasten der freiwilligen Vorsorgeabsicherung des Geschädigten gleich. iv. Aktiv- und Passivlegitimation beim Umkehrregress Im Folgenden gilt es zu prüfen, ob der Sachversicherer im Regressprozess des subrogierenden Haftpflichtversicherers passivlegitimiert ist, also bezüglich des strittigen Rechts überhaupt beklagt werden kann. Oder anders gefragt: Ist der Haftpflichtversicherer für den Regressprozess aktivlegitimiert? Die Prüfung der Legitimation erfolgt frei und von Amtes wegen.414 Die Passivlegitimation ist dann zu bejahen, wenn die klagende Partei einen Anspruch direkt gegenüber dem Beklagten hat. Ob im Fall des BGE 114 II 342 ff. de jure eine Subrogation stattgefunden hat oder ob vielmehr dem Mieter ein eigener Versicherungsanspruch zugestanden wurde, resultiert nicht schlüssig aus der Urteilsbegründung. Somit kann festgehalten werden, dass mit BGE 114 II 342 ff. der Regress auf den Kaskoversicherer zugelassen worden wäre, die Frage nach der Passivlegitimation jedoch nicht explizit bejaht wurde. Der Tribunal Cantonal JU nimmt zu einem Schadenversicherungsregress gegen einen aus Art. 58 SVG Haftpflichtigen im Urteil vom 29. September 1989415 wie folgt Stellung: „Il ne s’agit pas à proprement parler d’un problème de qualité pour défendre, mais d’une répartition interne des responsablilités.“ Aus dem Kontext dieser Aussage könnte gefolgert werden, dass Streitigkeiten im Innenverhältnis nie mit einer Passivlegitimation zu tun haben. Meines Erachtens darf jedoch dieser Satz nicht für den umgekehrten Fall verwendet werden: den Regress des Kausalhaftpflichtigen auf den Versicherungsvertrag. Das Gericht spricht auch nicht von einer Allgemeingültigkeit. Der Geschädigte, welcher auf die Geltendmachung der Sachversicherungsleistungen „verzichtet“ und stattdessen den Haftpflichtigen in Anspruch nimmt, gibt dadurch mindestens konkludent zum Ausdruck, dass er das Rendement seiner Versicherungspolice nicht belasten möchte. Dies ist für alle Beteiligten nach Treu und Glauben ohne weiteres ersichtlich, weshalb es dem Vertrauensgrundsatz widerspräche, wenn man den Umkehrregress oder den „umgekehrten Gini/Durlemann“ zulassen würde. Nach meinem Dafür- 414 415 BGE 126 III 63. Tribunal Cantonal JU, Entscheid vom 29. September 1989, in: SGW 1989, Nr. 56, S. 4 f. 111 halten ist der Sachversicherer sogar aus dem Versicherungsvertragsverhältnis – im Sinne der Nebenpflichten (Sorgfalts- und Treuepflichten) – gehalten, den Willen des Versicherungsnehmers zu respektieren. Wird dennoch gegen dessen Willen gehandelt, läge unter Umständen gar eine Vertragsverletzung gemäss Art. 97 OR vor. Zudem bestünde bei Bejahung des Umkehrregresses für den Geschädigten die Ungewissheit, inwieweit der Selbstbehalt, welcher durch die Zahlung des Sachversicherers ausgelöst würde, unter das Quotenvorrecht fiele.416 C. Ergebnis Wie aus den obigen Darlegungen resultiert, sind sich die Lehre und auch die Rechtsprechung zum Umkehrregress nicht schlüssig. Aufgrund des neuesten Urteils BGE 126 III 521 ff. kann jedoch gefolgert werden, dass analog zum Arbeitgeber der Sachversicherer im Aussenverhältnis zwar wie ein Solidarschuldner mit einzubeziehen ist, im Innenverhältnis hingegen nicht mehr belangt werden kann. Umgekehrt kann der aus dem Versicherungsvertrag belangte Versicherer jedoch ohne weiteres Ansprüche gegen andere Haftpflichtige regressweise geltend machen. Ebenso dürfte in einem Regressprozess die Passivlegitimation des Sachversicherers grundsätzlich nicht gegeben sein. Eine Ausnahme besteht etwa dann, wenn der leichtfahrlässig handelnde Haftpflichtige die Prämien mindestens mitbezahlt hat. Zusammenfassend werden im Folgenden „Pro und Contra“ des Umkehrregresses zusammengestellt: Contra Umkehrregress: a) Der Sachversicherer ist neutraler Leistungspflichtiger und nicht Haftpflichtiger im Sinne des Haftpflichtrechts, weshalb eine Zuteilung auf die Stufe Vertrag im Sinne von Art. 51 Abs. 2 OR nicht sachgerecht ist. Eine extensive Auslegung von BGE 80 II 247 ff. ist weder gerechtfertigt noch je vom Bundesgericht so interpretiert worden. Im Gegenteil: Das Bundesgericht hat in BGE 63 II 156 einen Regress des Eigenschadensversicherers auf den aus Art. 58 OR Haftpflichtigen explizit bejaht. 416 Diese Frage wird vorne in § 7 I 5 erörtert. 112 b) Das Bundesgericht lässt in analogen Situationen für vertraglich Leistungspflichtige das integrale Regressrecht zu. c) Der Wille des Geschädigten ist zu respektieren und darf nicht über das Regressrecht umgangen werden. d) Der vertragliche Anspruch des Geschädigten gegenüber seinem Versicherer aus der Versicherungspolice subrogiert nicht. Der Haftpflichtversicherer tritt vielmehr in die Position seines Versicherungsnehmers als alter ego. Pro Umkehrregress: a) Das VVG selbst spricht im Zusammenhang mit den Leistungen des Schadensversicherers von Haftpflicht. b) Durch die Einstufung des Schadensversicherers in Art. 51 Abs. 2 OR resultiert ein Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis. III. Kritik an der geltenden Praxis 1. Allgemeines Aus der obigen Darlegung und Auseinandersetzung geht eindeutig hervor, dass die heutige Regresspraxis nicht zu befriedigen vermag, obschon durch den BGE 126 III 521 ff. durchaus Hoffnung auf eine Praxisänderung besteht. Sowohl der Eigenschadensversicherer bzw. der Versicherungsnehmer als auch der Arbeitnehmer werden erheblich benachteiligt. Das Nebeneinander von einer allgemeinen Regressregel und einer spezialgesetzlichen Subrogationsnorm verhindert de facto eine sachgerechte Lösung, was aber de jure nicht so sein müsste. Der Gesetzgeber ist gefordert, das Regressrecht im Bereich des Privatrechts zu koordinieren.417 Aufgrund der erfolgten Analyse können die folgenden zwei Thesen aufgestellt werden: 417 Ebenso OR-Schnyder, Art. 51 N 23. 113 2. Schadensversicherer als haftungsloser Leistungspflichtiger In systematischer Sicht steht die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR unter dem Titel „unerlaubte Handlung“. Diese Gesetzesbestimmung regelt die Regressordnung bzw. das Innenverhältnis unter den Haftpflichtigen, welche den Schaden verursacht haben. Der Eigenschadensversicherer ist für den Schaden haftpflichtrechtlich nicht verantwortlich, sondern hat vielmehr die Übernahme eines genau umschriebenen Risikos versprochen, was der vertraglichen Leistungspflicht des Versicherers entspricht. Oft wird hingegen fälschlicherweise davon gesprochen, der Versicherer hafte gegenüber dem Geschädigten.418 Richtigerweise spricht SCHAER hinsichtlich des Schadensversicherers auch vom neutralen Ersatzpflichtigen.419 Auch der Sozialversicherer wird in der Doktrin als neutraler Ersatzpflichtiger bezeichnet.420 Meines Erachtens ist dieser Begriff von SCHAER im Resultat zwar richtig, aber nicht ganz korrekt. Dies gilt deshalb, weil der Versicherer nicht ersatzpflichtig ist. Ein Ersatzpflichtiger leistet entweder im Rahmen des Deliktrechts, also ausservertraglich, oder er erbringt eine vertragliche Sekundärleistung. Der Eigenschadensversicherer erbringt bei Realisierung des übernommenen Risikos eine Vertragsleistung, die sog. Primärleistung.421 Deshalb ist nach meinem Dafürhalten dem Begriff „haftungsloser oder neutraler Leistungspflichtiger“ den Vorzug zu geben. Auf jeden Fall steht fest, dass solche Vertragspflichtige nicht in die Regresskaskade unter die Haftpflichtigen subsumiert werden können, wozu denn auch kein Anlass bestünde, sieht doch das Spezialgesetz in Art. 72 VVG den Rückgriff des Schadensversicherers vor. 3. Integrales Regressrecht für den Eigenschadensversicherer Die bisherigen Ausführungen zeigen zweierlei: Zum einen kann festgehalten werden, dass die Auslegung des derzeitigen Regressrechts hinsichtlich des Eigenschadensversicherers nicht sachgerecht ist. Zum anderen ist ein integrales Regressrecht bereits de lege 418 419 420 421 So etwa Stein, S. 708. Schaer, Grundzüge, N 477 ff. Läubli, Koordination, S. 172.; ferner auch Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1085. Die gesetzliche Ersatzpflicht des Sozialversicherers ist wohl ebenfalls als Leistungspflicht aufzufassen. Hier spielt die Unterscheidung im Ergebnis keine Rolle, da das integrale Regressrecht in Art. 72 ATSG statuiert ist. 114 lata mittels entsprechender Auslegung von Art. 72 Abs. 1 VVG denkbar, analog der Rechtsstellung des Sozialversicherers gemäss Art. 72 ff. ATSG. Die Subrogation hat hingegen – im Gegensatz zur Stellung des Sozialversicherers – nicht bereits zum Zeitpunkt des Ereignisses zu erfolgen, sondern mit Erbringung der Leistung. Dies ist der eine Weg für ein integrales Rückgriffsrecht de lege lata, welcher unter Umständen auch vom Bundesgericht beschritten wird. Einen anderen Weg gehen OFTINGER/STARK mit der sektoriellen Verteilung, wonach alle rechtlich relevanten Ursachen zusammen in einem Kreis berücksichtigt werden und jeder Ursache, nach Massgabe des Einflusses auf den Schaden, ein Sektor zugeteilt wird.422 Dabei werden die Schadensversicherer im Innenverhältnis aus diesem Kreis herausgenommen, und es wird ihnen ein Regressrecht gegen sämtliche Haftpflichtigen zugestanden.423 Dieser Weg entspricht im Ergebnis dem integralen Regressrecht. In ähnlicher Weise plädiert RUMO-JUNGO für ein integrales Regressrecht, indem die Autorin den Wortlaut von Art. 51 Abs. 2 OR als Hinweis für eine verhältnismässige Verteilung des Schadens und nicht als ausschliessliche Zuteilungsnorm versteht.424 BREHM macht den Lösungsvorschlag, den Regress beim entgeltlichen Vertrag grundsätzlich zuzulassen, wobei er für eine gleichmässige Teilung zwischen dem nicht schuldigen Vertragspartner des Geschädigten und dem Versicherer plädiert. Kein Regressrecht soll hingegen beim unentgeltlichen Vertrag gewährt werden.425 Dieser Vorschlag ist ein Fortschritt gegenüber der heutigen Praxis, lässt aber im Ergebnis den Verursacher trotzdem von einer Versicherungsleistung profitieren, deren Prämien er nicht mitfinanziert hat.426 STEIN legt zunächst den heutigen Stand der Lehre bezüglich der Regressmöglichkeit des Schadensversicherers dar427 und begrüsst im Ergebnis seiner Abhandlung die im VE HPG vorgeschlagene Regressbestimmung.428 422 423 424 425 426 427 428 Oftinger/Stark, I, § 9 N 12 ff. Oftinger/Stark, I, § 11 N 74 f.; vgl. dazu auch vorne § 6 IV. Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 617; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1087. BK-Brehm, Art. 51 N 124 ff. Ablehnend auch Stein, S. 710 m.w.H. Stein, S. 710. Stein, 715 f. 115 Um Klarheit zu schaffen, ist eine Modifizierung der Regressbestimmungen des VVG erforderlich. § 10. Regress des Sachversicherers I. Allgemeines Als Schadensversicherer fällt der Sachversicherer unter die Regressbestimmung von Art. 72 Abs. 1 VVG. Der Sachversicherer ist Eigenschadensversicherer. Im Zusammenhang mit Fahrzeugen spricht man diesbezüglich von der Kaskoversicherung.429 Die Regressproblematik des Eigenschadensversicherers wurde bereits ausführlich dargelegt.430 Im Folgenden werden spezielle Regress- bzw. Versicherungsvertragskonstellationen aufgezeigt, und es wird nach einer Lösung gesucht. II. Regress des Gebäudeversicherers auf Mieter 1. Ausgangslage Eine spezielle Regresskonstellation zwischen Gebäudeversicherern und Mietern ergibt sich dann, wenn der Mieter die ihm durch Mietvertrag anvertraute Sache infolge einer fahrlässigen Handlung beschädigt und dadurch die mietvertraglichen Sorgfaltspflichten verletzt. Für gewisse Schäden, insbesondere Brand- und Wasserschäden, besteht Deckung bei einer Gebäudeversicherung, welche durch den vermietenden Eigentümer abgeschlossen wurde. Das Besondere daran ist, dass sich der Mieter realiter regelmässig über den Mietzins – bewusst oder unbewusst – an dieser Sachversicherung bezüglich des gemieteten Objekts finanziell beteiligt, zumal kein wirtschaftlich handelnder Eigentümer und Vermieter diesen Aufwand nicht in den Mietzins mit einbezieht.431 Soweit die Abwälzung über den Mietzins erfolgt, ist in mietrechtlicher Sicht dagegen nichts einzuwenden, zumal die Versicherungsprämien als Betriebskosten des Vermieters gelten, die zusammen mit weiteren Liegenschaftskosten durch den Mietzins auf die Mieterschaft 429 430 431 Maurer, PVR, S. 519. Vgl. vorne § 5 ff. So auch KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7). 116 überwälzt werden können;432 einzig über die Nebenkosten dürfen die Gebäudeversicherungsprämien dem Mieter nicht belastet werden.433 Durch diese Mitfinanzierung der Versicherungsprämie ist der Mieter nicht irgendein Dritter in Bezug zum Eigentümer und zu dessen Versicherer, sondern steht in einem Vertragsverhältnis. Beschädigt der Mieter fahrlässig die gemietete Sache, so stellt sich die Frage, inwieweit sich diese Art Sonderbeziehung auf die Haftpflicht und den Regress auswirkt.434 2. Aus Sicht der Privatversicherer A. Lehre und Rechtsprechung bezüglich leichtfahrlässiger Verursachung Bis Ende März 2005 existierte eine Empfehlung des SVV, wonach der Sachversicherer keine Regresse auf den schadenverursachenden Mieter durchführt, soweit eine leichtfahrlässige Schadensverursachung in Frage steht.435 Diese Praxis basiert auf der obgenannten Überlegung, dass der Mieter regelmässig mit dem Mietzins die Prämie der Gebäudeversicherung seines Vermieters mitfinanziert. Dadurch wird der Gebäudeversicherungsvertrag de facto zu einem Vertrag zugunsten Dritter436, bzw. der Mieter ist analog zum Versicherungsnehmer bzw. zum Eigentümer im Sinne von Art. 14 VVG zu behandeln. Auch wenn diese Empfehlung heute nicht mehr in Kraft ist, so darf davon ausgegangen werden, dass die meisten Privatversicherer auch weiterhin dieselbe Praxis wie vor der Aufhebung verfolgen werden. Das Bundesgericht hat in BGE 65 II 262 den bis heute geltenden unbestrittenen Grundsatz im Schadensausgleichsrecht festgelegt, wonach ein ermächtigter Besitzer einer Sache, welcher die Prämien für die Schadensversicherung selbst bezahlt, durch diesen eigenfinanzierten Versicherungsschutz so weit von der Haftung befreit wird, als die Versicherung für den Schaden aufkommen muss. Das Bundesgericht hat diese Praxis in 432 433 434 435 436 Lachat/Stoll/Brunner, S. 298. Statt vieler: Lachat/Stoll/Brunner, S. 214 f. Wenn im Folgenden die Rede von Schäden am Mietobjekt ist, so sind nur jene gemeint, welche unter die Deckung der Gebäudeversicherung fallen. Vgl. Empfehlung Nr. 17/1999 im Anhang. Vgl. Art. 112 OR. 117 BGE 114 II 342 ff.437 bestätigt, wenn auch etwas verschlüsselt. Diesem Entscheid liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Die X SA vermietet Y ein Auto, wobei eine Kaskoversicherung abgeschlossen wurde. Y verursacht schuldhaft einen Schaden am gemieteten Fahrzeug. Die X SA weigert sich, den Schaden über die Kaskoversicherung zu regulieren und macht Y direkt haftbar. Das Bundesgericht hiess den Schadenersatzanspruch gegen Y gut, bejahte jedoch grundsätzlich den Regressanspruch des Mieters gegen den Kaskoversicherer. Dies rechtfertige sich umso mehr, als im Mietzins nach allgemeiner Lebenserfahrung die Kaskoversicherungsprämien mit berücksichtigt seien. Dieser Entscheid kann im Grundsatz per Analogieschluss auch auf andere Mietverhältnisse – insbesondere auf Wohnungsmieten – angewendet werden.438 In der Lehre wird der Regress auf einen haftpflichtigen Dritten, welcher die Versicherungsprämie bezahlt hat, ebenfalls mehrheitlich abgelehnt, soweit der Schaden auf einer leichtfahrlässigen Handlung basiert: So wird regelmässig von einem stillschweigenden Regressverzicht ausgegangen. Ein Regress des Sachversicherers wäre nach OFTIN439 GER/STARK sogar rechtsmissbräuchlich. Gemäss SCHAER ist es gar „eine Selbstverständlichkeit und bedarf keiner weiteren Rechtfertigungsgründe“, dass dem Mieter, welcher die Prämien für die Schadensversicherung bezahlt, die vom Schadensversicherer erbrachten Leistungen an eine allfällige Haftpflichtforderung anzurechnen sind.440 Ebenso ist es für HONSELL mit der geltenden Rechtsordnung unvereinbar, „denjenigen mit der Regressforderung zu belasten, der die Prämie bezahlt hat“.441 437 438 439 440 441 Pra (79) 1990, Nr. 168. A.M. KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7). Oftinger/Stark, I, § 11 N 58. Sich an diese Auffassung anlehnend auch BK-Brehm, Art. 51 N 82a. Schaer, Schadensversicherer, S. 106. Honsell, Regress, S. 577. 118 B. Lehre und Rechtsprechung bezüglich grobfahrlässiger Verursachung Verursacht der Mieter den Schaden am Mietobjekt grobfahrlässig, so ist grundsätzlich unbestritten, dass aufgrund der Subrogation ein Regress des leistenden Eigenschadensversicherers möglich ist. Fraglich ist einzig, in welchem Umfang der Rückgriff zu erfolgen hat. Bei konsequenter Anwendung des obigen Analogieschlusses zwischen Mieter und Eigentümer drängt sich überdies die Frage auf, ob sich die Haftung tatsächlich auf die ganze erbrachte Leistung nach Zeitwert oder ob sich der Regress nicht vielmehr lediglich auf den Umfang der Kürzungsmöglichkeit nach Art. 14 Abs. 2 VVG erstreckt.442 Ist der Mieter haftpflichtversichert, wird der Versicherer überdies, im Sinne von Art. 14 Abs. 2 VVG und gestützt auf die AVB, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Grobfahrlässigkeitskürzung anbringen. C. Stellungnahme i. Vorbemerkungen Nach meinem Dafürhalten beschränkt sich die vorliegende Diskussion auf jene gemieteten Objekte und Räume, welche auch de jure im Besitz bzw. in der Sachherrschaft des Mieters sind. Nur hier finanziert der Mieter die Gebäudeversicherungsprämie mit. Somit kommen etwa in Frage: die Mietwohnung und die in einem Mehrfamilienhaus gemeinschaftlich genutzten Räume; nicht aber Wohnungen Dritter innerhalb desselben Gebäudes. ii. Ad leichter Fahrlässigkeit Die ehemalige Regelung des SVV überzeugt und hält auch – wie dargelegt – einer teleologischen Auslegung und entsprechend analogen Anwendung von Art. 14 VVG stand, zumal unter anderem Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist, den leichtfahrlässig handelnden Versicherungsnehmer nicht mit Kürzungen zu belasten. Zudem begründet meines Erachtens die vertragliche Sonderbeziehung zwischen Mieter und Eigentümer ein 442 So etwa Schaer, Schadensversicherer, S. 104, 110, wo von „virtueller Grobfahrlässigkeitskürzung“ die Rede ist. 119 Regressprivileg gemäss Art. 72 Abs. 3 VVG, da der Eigentümer für die Handlungen des Mieters, im Sinne der Hilfspersonenhaftung von Art. 101 OR, einzustehen hat.443 Deshalb korrespondiert Art. 72 Abs. 3 VVG mit der Bestimmung von Art. 14 Abs. 3 und 4 VVG. Es verändert die Stellung des Schadensversicherers ja nicht, ob nun der Versicherungsnehmer selbst oder ein berechtigter Dritter den Schaden leichtfahrlässig angerichtet hat. Würde man diesen Regress auf den Mieter zulassen, so hätte dies eine Risikoverminderung zur Folge, jedoch bei gleich bleibender Prämie. Bewohnt der Eigentümer das Mietobjekt nicht selbst, so kämen alle Risiken, welche vom Benutzer ausgehen, nicht mehr in Betracht. Somit würde der Versicherer alleine von der Tatsache der Vermietung des Objektes profitieren, ohne dass dadurch der Versicherungsnehmer eine Prämienreduktion erfahren würde.444 Wird ein Mieter bei der Nutzung seines Mietobjektes gestört, so steht ihm grundsätzlich eine Klage aus Besitzesstörung gemäss Art. 928 ZGB zu. Er wird in aller Regel diesen Rechtsbehelf der Verantwortlichkeitsklage im Sinne von Art. 679 ZGB vorziehen, da einige Kantone für den Besitzesschutzprozess ein summarisches Verfahren vorsehen.445 Dennoch ist für die vorliegende Problematik von Interesse, dass bezüglich Art. 679 ff. ZGB, indem vom Nachbarn oder vom Eigentümer die Rede ist, der Nachbarbegriff weit gefasst wird.446 So wird die Aktiv- und die Passivlegitimation neben dem Grundeigentümer ebenso auf jene Personen ausgedehnt, welche ein beschränktes dingliches oder ein obligatorisches Recht an der Immissionsquelle haben.447 Würde man streng der grammatikalischen Auslegung folgen, wären Mieter nicht legitimiert. Was jedoch im ZGB als gefestigtes Recht gilt, wird in anderen Rechtsgebieten noch bestritten, dies, obschon die beiden Sachverhalte vergleichbar sind. Somit kann festgehalten werden, dass es sachgerecht ist, den Mieter, welcher leichtfahrlässig das gemietete Objekt beschädigt, bezüglich der Regresse des Sachversicherers analog dem Eigentümer des Objektes zu behandeln. 443 444 445 446 447 Gl.M. VVG-Graber, Art. 72 N 60. Das Privileg basiert nicht auf einer häuslichen Gemeinschaft, was vom KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7), zu Recht abgelehnt wird. So auch Honsell, Regress, S. 577 f., wonach Art. 72 VVG eben einer interessengerechten Interpretation unterzogen werden müsse. Schmid/Hürlimann-Kaup, N 250. So etwa Schmid/Hürlimann-Kaup, N 958 ff. Für die Passivlegitimation vgl. BGE 104 II 19 ff. Für die Aktivlegitimation vgl. BGE 109 II 304; Schmid/Hürlimann-Kaup, N 959. 120 iii. Ad grober Fahrlässigkeit Hat der Mieter grobfahrlässig das Mietobjekt beschädigt, so kommt das Regressprivileg von Art. 72 Abs. 3 VVG nicht zur Anwendung. Damit ist aber nicht gesagt, wie weit die Subrogation des Eigenschadensversicherers reicht. Aus den obigen Darlegungen resultiert unter anderem, dass der Eigenschadensversicherer am Ende weder besser noch schlechter gestellt werden darf, egal ob der Schaden durch den Versicherungsnehmer selbst oder durch seinen Mieter verursacht wurde. Bei konsequenter Anwendung des obigen Analogieschlusses bedeutet dies, dass die Höhe der Haftpflicht des Mieters der Kürzungsquote von Art. 14 Abs. 2 VVG entspricht, so wie sie bestanden hätte, wenn der Versicherungsnehmer selbst gehandelt hätte. Dies entspricht demnach auch der Regressquote des Eigenschadensversicherers.448 Ist der Mieter haftpflichtversichert, so wird seine Versicherung den Regress des Gebäudeversicherers wiederum gemäss Art. 14 Abs. 2 VVG und gestützt auf die zugrunde liegenden AVB kürzen. Diesen gekürzten Teil wird die Gebäudeversicherung direkt beim Mieter regressweise einfordern müssen. Diese Lösung ist auch deshalb gerecht, da der Mieter bei einer grobfahrlässigen Handlung eine Quote des Schadens tragen soll, in Konsequenz der analogen Behandlung des Versicherungsnehmers. 3. Aus Sicht der monopolisierten kantonalen Gebäudeversicherer A. Das Monopol In gewissen Kantonen sind die obligatorischen Gebäudeversicherungen für Feuer- und Elementarschäden monopolisiert.449 Nur nebenbei sei erwähnt, dass das Bundesgericht die Verhältnismässigkeit kantonaler Gebäudeversicherungsmonopole erst kürzlich wieder bestätigt hat.450 Hat das Faktum eines solchen Monopols eine Auswirkung auf die anwendbaren Regressnormen? Die Frage ist mit „ja – aber“ zu beantworten. Die Gründe werden im Folgenden dargestellt: 448 449 450 Vgl. dazu auch die Regelung des sankt-gallischen Gebäudeversicherungsgesetzes, Art. 33 Abs. 2, wonach gegenüber dem Versicherungsnehmer eine Kürzung infolge grobfahrlässiger Herbeiführung des Schadens von höchstens 50% vorgesehen ist. Nicht monopolisiert in den Kantonen: AI, GE, OW, SZ, TI, UR, VS. Hier wird über die Privatassekuranz versichert. BGE 124 I 25 ff. 121 Aufgrund von Art. 103 Abs. 2 VVG ist das VVG nicht auf die monopolisierten kantonalen Gebäudeversicherungen anwendbar. In diesen Kantonen sind in den Gebäudeversicherungsgesetzen eigene Regressbestimmungen statuiert worden. Es ist aber kein Zufall, dass die Bestimmungen der Regelung von Art. 51 Abs. 2 OR sehr ähnlich sind. Denn nach Lehre und Rechtsprechung dürfen die kantonalen Regressbestimmungen betreffend Gebäudeassekuranzen die Rechtsstellung der Haftpflichtigen nicht schwächen und wären andernfalls bundesrechtswidrig, zumal die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR zwingendes Recht ist.451 Danach kann das Rückgriffsrecht einer kantonalen Gebäudeversicherungsanstalt gegen den Schädiger nicht durch kantonale Subrogationsbestimmungen ausgedehnt bzw. erweitert werden.452 So entspricht zum Beispiel Art. 51 Gesetz über die Gebäudeversicherung des Kantons St. Gallen453 jener Regressordnung von Art. 72 VVG, wenn man – wohl unkorrekterweise, aber der Rechtsprechung folgend – den Begriff „unerlaubte Handlung“ mit Verschulden gleichsetzt. Die Regelung des Kantons Aargau sieht hingegen eine umfassendere Regressmöglichkeit vor, indem in § 51 GebVG454 uneingeschränkt von fehlbaren Dritten die Rede ist. Die meisten übrigen kantonalen Gesetze über die Gebäudeversicherung verweisen einfach auf die Bestimmungen des OR.455 B. Lehre und Rechtsprechung Bezüglich Mieterregresse stellt sich die Frage, ob die oben dargelegte Praxis zwischen den Privatversicherern auch auf die monopolisierten kantonalen Gebäudeversicherer angewendet werden kann. Dies ist zurzeit heftig umstritten.456 Dabei geht es zunächst um 451 452 453 454 455 456 GVP 1972, Nr. 11, S. 36 ff.; GVP 1989, Nr. 30. S. 63; OR-Schnyder, Art. 51 N 4; VVG-Graber, Art. 72 N 14; Gauch/Aepli/Stöckli, Art. 50-51 N 2. BGE 103 II 337 = Pra (67) 1978, Nr. 89.; 96 II 175; gegen diese Einstufung plädieren Schaer/Duc/Keller, Bossard/Daxelhoffer/Jaeger, S. 303 f. Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 26. Dezember 1960, sGS 873.1. Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 15. Januar 1934, SAR 673.100. So etwa die Gesetze der folgenden Kantone: AR, Art. 33 Gesetz über die Gebäude- und Grundstückversicherung vom 30. April 1995, 862.1; BE, Art. 42 Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 6. Juni 1971, 873.11; BL, § 50 Gesetz über die Versicherung von Gebäuden und Grundstücken vom 12. Januar 1981, SGS 350; BS, § 26 Gebäudeversicherungsgesetz vom 22. März 1973, 695.100; GL, Art. 43 Sachversicherungsgesetz vom 2. Mai 1993, V D/1; LU, § 36 Gebäudeversicherungsgesetz vom 29. Juni 1976, SLR 750; NW, Art. 86 Sachversicherungsgesetz vom 27. April 1986, 867.1; SH, Art. 32 Gebäudeversicherungsgesetz vom 8. Dezember 2003, SHR 960.100; SO, § 56 Gesetz über die Gebäudeversicherung, Brandverhütung, Feuerwehr und Elementarschadenhilfe vom 24. September 1972, 618.111; TG, § 40 Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 23. August 1976, 956.1; ZG, § 41 Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 20. Dezember 1979, 722.11; ZH, § 72 Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 2. März 1975, 862.1. Dazu sind einige Prozesse hängig. 122 die Frage, ob das VVG bei Bedarf analog herangezogen werden kann, und wenn ja, welcher Auslegungsmethode der Vorzug gegeben wird. Im reinen Wortlaut der meisten kantonalen Gebäudeversicherungsgesetze wird der Mieter nirgends explizit erwähnt. Dadurch wäre der Regress an sich möglich. Fragt man hingegen nach der Teleologie der betreffenden Bestimmungen, so kann das Resultat, um es vorwegzunehmen, nicht anders als bei den Privatversicherern lauten. Dies bedarf im Folgenden einer genaueren Erörterung: Das Kantonsgericht St. Gallen hatte sich im Jahre 2004 mit dieser Thematik zu befassen.457 Der zu beurteilenden Regressforderung der GVA St. Gallen lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine 79-jährige Nutzniesserin einer Wohnung vergass das aufgesetzte Teewasser in der Küche, als sie zwischendurch die Post holen ging und dabei in ein Gespräch mit dem Hausmeister kam. Es entstand ein Wohnungsbrand mit grossem Sachschaden, welcher von der GVA St. Gallen reguliert wurde. Bei der Beurteilung der Regressforderung der GVA St. Gallen gegen die Mieterin wird die Auslegung nach dem Wortlaut in den Vordergrund gestellt. Das Gericht führt dazu aus, dass nach Art. 11 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 3 des Gebäudeversicherungsgesetzes des Kantons St. Gallen der Eigentümer sowohl einziger Versicherungsnehmer als auch einziger Versicherter sein kann, obschon es einräumt, dass ohne weiteres davon auszugehen sei, dass die Verursacherin wirtschaftlich für die Prämien aufkomme. Für das Wohnrecht ergibt sich das bereits aus Art. 778 ZGB, wonach der Berechtigte die Lasten des gewöhnlichen Unterhaltes trägt. Weshalb nicht nach dem Sinn und Zweck ausgelegt wird, bleibt in der Begründung leider offen. Zudem setzt sich das Gericht einzig mit der Lehrmeinung von HONSELL auseinander und blendet offenbar die oben dargelegte Doktrin aus. Da im zu beurteilenden Fall die Wohnberechtigte den Gebäudebrand grobfahrlässig verursacht hatte, wurde die Regressforderung der Gebäudeversicherung St. Gallen schon deshalb gutgeheissen. Das Obergericht des Kantons Thurgau hatte sich kürzlich ebenfalls mit dieser Problematik auseinanderzusetzen.458 Das vom Mieter zu vertretende Verhalten gründet darin, dass er eine Matratze beim Verlassen des Zimmers direkt am Elektrospeicherofen liegen liess, was zu einem Hitzestau und in der Folge zum Brandausbruch führte. Zunächst lässt das Gericht das Argument nicht gelten, dass die Mieterregresse zu einer Prämiensenkung führten, zumal die Gebäudeversicherung Thurgau keinen einzigen Zahlungseingang 457 458 KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7). OGer TG, Entscheid vom 20. April 2004 (ZBO.2003.7). 123 eines Mieterregresses ausweisen konnte. Das Obergericht sieht hingegen für eine analoge Anwendung des VVG in concreto keinen Raum. Zwar wird im Urteil die dazu gängige Doktrin dargelegt; eine diesbezügliche Auseinandersetzung findet hingegen nicht statt, indem am Ende kurzum festgestellt wird, dass das VVG auf den Gebäudeversicherungsvertrag keine Anwendung finde. Die Auslegung des kantonalen Gebäudeversicherungsgesetzes erfolgt somit nach rein grammatikalischer Methode. Im Ergebnis wird auch hier die Regressforderung gegen den Mieter geschützt. Der Gerichtskreis VIII Bern-Laupen befasste sich im Entscheid vom 10. Juni 2005459 ebenfalls mit dem Regressanspruch des kantonalen Gebäudeversicherers gegen einen Mieter. Zu beurteilen war ein leichtfahrlässiges Verhalten des Mieters. Im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Urteilen wird hier die Klage des Gebäudeversicherers abgewiesen. Das Gericht folgt dabei vollumfänglich der vorne bezüglich Privatversicherer dargelegten Argumentation.460 C. Rechtsvergleichende Betrachtung i. Deutschland Vergleicht man Lehre und Rechtsprechung in Deutschland, so fällt auf, dass die vorliegende Thematik weit stärker Eingang in eine vertiefte Auseinandersetzung gefunden hat als bei uns. In Deutschland wird nach neuester Rechtsprechung der Mieter, der leichtfahrlässig den Versicherungsfall herbeiführt, vor Regressansprüchen des Versicherers geschützt. Damit wurde die nicht unbestrittene Lösung über einen allfälligen Haftungsverzicht des Vermieters aufgegeben.461 Der deutsche Bundesgerichtshof bekennt sich neuerdings zur Lösung des konkludenten Regressverzichts.462 Vorausgesetzt, der Schaden ist leichtfahrlässig durch den Mieter verursacht worden, wird zunächst eine Vertragslücke in den AVB gesucht, die in einem nächsten Schritt durch den konkludenten Regressverzicht geschlossen wird.463 In Deutschland existiert zudem ein Regressver- 459 460 461 462 463 Z 04 5007 HOJ. Vgl. vorne III B. Weitergehend etwa Armbrüster, Zur Haftung des Mieters für Sachschäden bei bestehender Sachversicherung des Vermieters, in: NJW 1997, S. 177 ff.; Armbrüster, Zum vertraglichen und gesetzlichen Schutz des Haftpflichtigen vor einem Regress des Sachversicherers, in: VersR 1994, S. 893. BGH, Urteil vom 14. Februar 2001 (VIII ZR 292/98). Vgl. dazu Plassmann, S. 87, wo die Lehre über eine konkludente Vereinbarung des Regressverzichts dargelegt wird; ebenso Oftinger/Stark, I, § 11 N 58. 124 zichtsabkommen der Feuerversicherungen, unter das auch die Mieter fallen und so davon profitieren.464 Im Zusammenhang mit einem Regress des Gebäudeversicherers auf einen Stockwerkeigentümer, welcher Sondereigentum leichtfahrlässig beschädigt hatte, kam ihm der Bundesgerichtshof mit der Konstruktion des sog. Sachersatzinteresses zu Hilfe, welches mitversichert sei.465 Somit kann festgehalten werden, dass die Rechtslage in Deutschland – neben einer klaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – durch ein Abkommen geklärt ist. Weshalb, wie das Kantonsgericht St. Gallen ausführt, der Rechtsvergleich in casu unbrauchbar sein soll, wird bedauerlicherweise ebenfalls nicht erläutert.466 ii. Österreich Auch der österreichische Oberste Gerichtshof hatte sich mit einer Regressforderung des Gebäudeversicherers gegen einen Mieter auseinanderzusetzen.467 Speziell bei diesem Sachverhalt ist die in den AVB vereinbarte Klausel, Art. 12 Abs. 1 AWB 1986: Darin wird ein Regressverzicht auf den leichtfahrlässig handelnden Wohnungsmieter festgehalten, welcher ganz oder teilweise die Prämie für das versicherte Wohngebäude trägt. Der Gerichtshof hiess dennoch die Regressklage gut, und zwar deshalb, weil es sich im vorliegenden Fall um eine Geschäftsraummiete handelte. Meines Erachtens hätte die Klage vielmehr deshalb geschützt werden können, weil der beschädigte Raum zum Nachbarobjekt zählte, für welches der haftpflichtige Mieter gerade keine Prämien bezahlt hatte. Aus dieser Ausgangslage kann vor allem die Erkenntnis geschöpft werden, dass der Regress auf den Mieter eben nicht einfach ein Regress auf irgendeinen Dritten ist, weshalb denn auch sogar die Versicherungsbedingungen diesbezüglich einen Regressverzicht vorsehen. Weshalb die Einschränkung auf Wohnungsmieter gemacht wird, ist bei genauerer Betrachtung nicht nachvollziehbar. 464 465 466 467 Plassmann, S. 89. BGH, Urteil vom 28. März 2001 (IV ZR 163/99); vgl. dazu die Abhandlung von Armbrüster, Sachersatzinteresse im Gebäudeversicherungsvertrag, in: ZMR, 2001, S. 717 ff. KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7). OGH, Entscheid vom 7. April 2000 (7Ob34/99x). 125 III. Regress des Kaskoversicherers auf berechtigte Lenker 1. Ausgangslage Ein analoges Schicksal zu dem des Mieters trifft auch den berechtigten Lenker, welcher das ausgeliehene Fahrzeug infolge einer fahrlässigen Handlung beschädigt. Während der Halter gegenüber Dritten aus Art. 58 Abs. 4 SVG haftpflichtig wird, hat der fehlbare Lenker den Schaden, gestützt auf Art. 41 OR, zu übernehmen. Hat der Lenker das Fahrzeug gemietet, so gelten die vorhergehenden Ausführungen in Kapitel II sinngemäss. Im vorliegenden Kapitel geht es um die unentgeltliche, leihweise Überlassung eines Fahrzeuges an einen Dritten, welcher nicht zwingend unter das Regressprivileg von Art. 72 Abs. 3 VVG zu fallen hat. Dem für den Eigenschaden aufkommenden Kaskoversicherer des Halters stellt sich die Frage, ob er entweder gegenüber dem Halter eine Kürzungsmöglichkeit hat oder ob er sonst im Sinne von Art. 72 Abs. 1 VVG auf den fehlbaren Lenker regressieren kann. 2. Rechtslage und Praxis A. Bei leichter Fahrlässigkeit Es ist vorwegzunehmen, dass die Versicherer in der Schweiz praktisch nie auf einen leichtfahrlässig handelnden Lenker Rückgriff nehmen, obschon in den meisten AVB ein entsprechender Regressverzicht fehlt. Ebenso wird regelmässig in den Privathaftpflichtpolicen, welche Schäden beim Lenken fremder Fahrzeuge mitversichern, der Regress des Kaskoversicherers ausgeschlossen oder mit einer Subsidiärklausel versehen. Es sei angemerkt, dass eine Kürzung gegenüber dem Halter im Sinne von Art. 14 Abs. 3 VVG nicht möglich ist, da der Lenker nicht grobfahrlässig handelte. Somit fehlt auch eine gesetzliche Regelung. In der Lehre wurde diese Frage meines Wissens einzig von SCHAER468 eingehend erörtert. Er versucht, die Lösung unter verschiedenen juristischen Theorien bzw. Konstruktionen zu finden. Dabei greift er unter anderem rechtsvergleichend auf den in Deutschland bestehenden Rechtsstreit „Sacherhaltungs- contra Sachersatztheorie“ zurück, welcher jedoch durch eine entsprechende AVB-Regelung gelöst wurde, und zwar in der Weise, 468 Schaer, Schadensversicherer, S. 99 ff.; vgl. dazu auch die diesbezügliche Rezension von Nigg, S. 880. 126 dass der Versicherer auf die berechtigten Benutzer nur im Falle der vorsätzlichen oder grobfahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles regressieren kann. Die Konstruktion der stillschweigenden Übernahme eines solchen Regressverzichtes, beim Fehlen einer expliziten Klausel, hängt gemäss SCHAER vom gesunden Menschenverstand ab. Hilfskonstruktionen über die Fremd- oder Mitversicherung helfen im Ergebnis – so auch seine Ausführungen – auch nicht direkt weiter. Dasselbe ergibt sich aufgrund der sog. Repräsentantentheorie, wonach der Mieter – berechtigt durch seinen Mietvertrag – in Bezug auf das versicherte Risiko an die Stelle des Versicherungsnehmers tritt. Ein Regressausschluss auf der Grundlage eines stillschweigend vereinbarten Haftungsverzichtes zwischen Halter und Lenker scheitert an Art. 72 Abs. 2 VVG, wonach der Anspruchsberechtigte das Rückgriffsrecht des Versicherers nicht schmälern darf. Finanziert der ermächtigte Lenker oder der Besitzer die Prämien für die Kaskoversicherung, so führen dieselben Überlegungen wie beim Mieter einer Liegenschaft oder Wohnung zum Regressausschluss bei leichter Fahrlässigkeit. Dies wird jedoch bei einer altruistischen Überlassung kaum je zutreffen. Aber auch bei der gewöhnlichen Gebrauchsleihe, bei welcher der Lenker sachimmanenterweise die Prämienfinanzierung nicht trägt, sollte das Ergebnis nicht anders lauten.469 B. Bei grober Fahrlässigkeit Verursachte der Lenker den Unfall infolge schweren Verschuldens, so steht dem Kaskoversicherer grundsätzlich ein Regressrecht gegenüber dem Lenker, welcher aus Art. 41 OR haftpflichtig ist, ohne weiteres zu. Eine Kürzungsmöglichkeit direkt gegenüber dem anspruchsberechtigten Versicherungsnehmer ist lediglich im Rahmen von Art. 14 Abs. 3 VVG möglich. Sind dessen Voraussetzungen nicht erfüllt, so kann der Halter die volle Entschädigung beanspruchen. In diesem Fall stellt sich die Frage der Regressquote gegenüber dem fehlbaren Lenker. Sind indes die Voraussetzungen für eine Kürzung erfüllt, wird diese jedoch gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht einredeweise entgegengehalten, so liegt eine freiwillig erbrachte Leistung vor. Ob sich in diesem Fall der Versicherer auf die Subrogation berufen kann, wird in einem eigenen Kapitel behandelt.470 469 470 Vgl. dazu unten die Stellungnahmen in Ziff 3. Vgl. vorne § 7 IV. 127 Das Kantonsgericht Wallis471 hiess einen Regress auf den grobfahrlässig handelnden Lenker in der Höhe von 30% gut. Dabei stützt sich das kantonale Gericht auf Art. 72 Abs. 1 VVG und nicht etwa auf Art. 14 Abs. 2 VVG. Das Obergericht Zürich472 lässt den Regress des leistenden Kaskoversicherers auf den Sohn des Halters – in Anlehnung an Art. 14 Abs. 2 VVG und gestützt auf Art. 72 Abs. 1 VVG – zu, und zwar in der Höhe von 20%. Der Umstand, dass der Sohn ein relativ neues Luxusfahrzeug auf einer öffentlichen Strasse in Mailand längere Zeit unbeaufsichtigt stehen gelassen hatte, wurde als grobfahrlässig gewertet. Das Bundesgericht473 schliesslich schützt den Regress des Kaskoversicherers auf ein Organ, welches grobfahrlässig mit dem Firmenfahrzeug einen Unfall verursacht hat. Dabei wird eine Quote von 25% gutgeheissen. Das Gericht führt dabei aus, dass der Versicherer bei voller Entschädigung auf den Schädiger zurückgreifen könne, wie das der Versicherungsnehmer selber gekonnt hätte, da das Organ gemäss Art. 55 Abs. 3 ZGB für sein Verschulden persönlich verantwortlich sei.474 3. Stellungnahme Für die Regressbeurteilung sind meines Erachtens folgende Überlegungen anzubringen: Artikel 58 Abs. 4 SVG statuiert ein kausales Einstehenmüssen des Halters für fremdes Verhalten. Diese Bestimmung ist eine Haftung für Hilfspersonen im Sinne des Regressprivilegs von Art. 72 Abs. 2 VVG. Danach sind unter anderem Personen privilegiert, „für deren Handlungen der Anspruchsberechtigte einstehen muss“. Unter diesen Personenkreis ist auch der Lenker zu subsumieren, wonach sich schon daraus das Rückgriffsverbot auf den leichtfahrlässig handelnden Lenker ergibt.475 Somit kommt es nicht darauf an, ob der Lenker mit dem Halter in häuslicher Gemeinschaft lebt. Weshalb diese Konstruktion Art. 72 Abs. 3 VVG i.V.m. Art. 58 Abs. 4 SVG nicht auch in der Rechtsprechung als Grundlage heranzog, ist nicht nachvollziehbar. Aufgrund dieses Regressprivilegs kommt ein Regress auf den berechtigten Lenker lediglich bei grobfahrlässigem Verhalten in Betracht. Betreffend die Quote sind dieselben 471 472 473 474 475 KGer VS, Entscheid vom 6. Juni 1984, in: SVA XV Nr. 88. OGer ZH, Entscheid vom 1. Juni 1993, in: SGW 1993 Nr. 23. BGE 120 II 58 ff., 64. A.M. Honsell, Regress, S. 576. Der Autor betrachtet das Organ nicht als Dritten, sondern als Repräsentanten der AG, weshalb der Anspruch der AG gemäss Art. 14 Abs. 2 hätte gekürzt werden müssen. Gl.M. Oftinger/Stark, I, § 11 Fn 72; VVG-Graber, Art. 72 N 60; offenbar a.A. BGE 91 II 234 betreffend Auslegung von Art. 14 Abs. 3 VVG. 128 Grundsätze heranzuziehen, die beim Regress auf den Mieter erörtert wurden. Somit richtet sich die Rückgriffsquote nach dem Verschulden des Lenkers, weshalb sich, in Anlehnung an Art. 14 Abs. 2 VVG, eine Quote in der Höhe der Kürzungsmöglichkeit ergibt.476 Diese Auffassung dürfte auch jener in den oben aufgeführten Urteilen entsprechen. IV. Regress auf Arbeitnehmer bzw. Hilfsperson A. Allgemeines Hinsichtlich des Arbeitnehmerregresses wurden die diesbezüglichen Schwierigkeiten bereits erörtert.477 Aufgrund von Deckungslücken in der Betriebshaftpflichtversicherung können aus sozialpolitischer Sicht ungewollte Härtefälle entstehen.478 Im vorliegenden Abschnitt wird die Regressmöglichkeit des Unfallversicherers im überobligatorischen Bereich bei Arbeitsunfällen abgehandelt. B. Verletzung eines Mitarbeiters i. Ausgangslage In Bezug auf die Arbeitsunfälle stellt sich immer wieder die heikle Frage des Regressrechtes des privaten Unfallversicherers auf den schuldhaft handelnden Arbeitnehmer bzw. dessen Arbeitgeber.479 Für die anschliessende Auseinandersetzung soll der folgende Sachverhalt die Grundlage bilden: Während der Verrichtung der Arbeit verletzt ein Arbeitnehmer seinen Arbeitskollegen durch eine grobfahrlässige Handlung. Beide arbeiten im Unternehmen X. Der private Unfallversicherer erbringt Leistungen, welche er auf dem Regresswege vom Betriebshaftpflichtversicherer des Unternehmens X wieder hereinholen möchte. 476 477 478 479 So auch Schaer, Schadensversicherer, S. 104 ff. Vgl. dazu vorne § 9 II 2. Vgl. dazu vorne § 9 II. Auf das integrale Regressrecht im Sinne des ATSG wird – wie einleitend bemerkt – nicht eingegangen. 129 Vorweg sei angemerkt, dass bei leichtfahrlässiger Verursachung und auch bei einer Haftung aus Art. 55 OR das Regressprivileg gemäss Art. 72 Abs. 3 VVG tangiert würde, weshalb sich die Problematik einzig auf die Grobfahrlässigkeit beschränkt.480 ii. Rechtslage Der private Unfallversicherer erbringt seine vertraglich geschuldete Leistung. Die ungünstige Regressordnung im Sinne der „Gini/Durlemann-Praxis“ spielt hier keine Rolle, da die Handlung grobfahrlässig war, weshalb der Arbeitgeber im Sinne von Art. 101 OR für seine Arbeitnehmer einstehen muss. Wenn also ein Arbeitnehmer einen seiner Betriebskollegen grobfahrlässig schädigt, hat der Geschädigte oder der subrogierende Unfallversicherer grundsätzlich einen vertraglichen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber seinem Arbeitgeber, welcher sich aus den Arbeitgeberpflichten im Sinne von Art. 328 OR ergibt. Für diesen Schaden wird die Betriebshaftpflichtversicherung grundsätzlich einstehen müssen, liegen doch keine Deckungseinwände vor. Damit ist aber noch nicht gesagt, in welcher Höhe die Leistung auszufallen hat. Es stellt sich mit anderen Worten die folgende Frage: Kann der Haftpflichtversicherer eine Kürzung infolge Grobfahrlässigkeit im Sinne von Art. 14 VVG vornehmen und den Personenversicherer für den Restbetrag auf das Unternehmen direkt verweisen? Eine Kürzung kommt entweder aufgrund von Art. 14 Abs. 2 VVG oder im Sinne von Art. 14 Abs. 3 VVG in Betracht. Letztere Bestimmung berechtigt den Versicherer zur Leistungskürzung, wenn der Versicherungsfall durch eine Person herbeigeführt wurde, die selbst nicht Versicherungsnehmer ist, zu diesem Zeitpunkt aber in einer engen faktischen oder rechtlichen Beziehung zum Versicherungsnehmer stand.481 Das Gesetz fasst den Personenkreis in zwei Personengruppen, nämlich in jene der Hausgenossen und in jene der Personen, für deren Handlungen der Versicherte einzustehen hat. Diese Aufzählung ist abschliessend.482 In casu kommt nur die zweite Gruppe in Frage. Aufgrund des Wortlauts wird für eine Leistungskürzung kumulativ ein schweres Verschulden der Hilfsperson und des Versicherungsnehmers vorausgesetzt: bei der Hilfsperson in Bezug auf die Verursachung des Schadens und beim Anspruchsberechtigten hinsichtlich der Aufnahme, Anstellung oder Beaufsichtigung der Hilfsperson. Demgegenüber hält Art. 480 481 482 Auf das Regressprivileg wird ausführlich in § 7 III eingegangen. Vgl. etwa VVG-Hönger/Süsskind, Art. 14 N 24. VVG-Hönger/Süsskind, Art. 14 N 24. 130 14 Abs. 2 VVG eine Leistungskürzungsmöglichkeit für Fälle bereit, in denen der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte selbst das Ereignis grobfahrlässig herbeigeführt haben. In der hier zur Diskussion stehenden Ausgangslage handelte aber eine Hilfsperson des Versicherungsnehmers bzw. Arbeitgebers. Die Handlungen der Hilfsperson werden gemäss Art. 101 OR dem Arbeitgeber zugerechnet. Herrschende Lehre und Rechtsprechung gehen davon aus, dass Art. 101 OR eine „blosse“ Zurechnungsnorm ist und nicht etwa eine eigene Haftungsgrundlage bildet, weshalb das Verhalten des Gehilfen dem Geschäftsherrn zuzurechnen ist. Dies entspricht der hypothetischen Vorwerfbarkeit.483 Als Zwischenfazit kann somit festgehalten werden, dass Art. 14 Abs. 2 VVG Handlungen des Versicherungsnehmers oder ihm zugerechnete Handlungen sanktioniert und mit Art. 14 Abs. 3 VVG Handlungen von Hilfsperson gemeint sind. Aus diesem Grunde ist die zentrale Frage hier, welche Art von Haftung für Hilfspersonen damit gemeint ist. Fällt nämlich der Erfüllungsgehilfe gemäss Art. 101 OR nicht unter Art. 14 Abs. 3 VVG, so muss der Arbeitgeber im Sinne von Art. 14 Abs. 2 VVG eine Kürzung hinnehmen, wie wenn er die Handlung selbst ausgeführt hätte. Die gleiche Frage stellt sich bei der juristischen Person, die für das Verhalten ihrer Organe im Sinne von Art. 55 Abs. 2 ZGB einzustehen hat. Somit unterscheidet sich Art. 101 OR ganz deutlich von der ausservertraglichen Hilfspersonenhaftung gemäss Art. 55 OR, welche eine eigene Haftungsnorm ist. Während die Botschaft des Bundesrates zum VVG484 und die ältere Lehre485 noch Art. 101 OR und Art. 55 OR unter Art. 14 Abs. 3 VVG subsumierten, plädieren die jüngere Lehre486 und implizit auch die Rechtsprechung487 dafür, lediglich die ausservertragliche Hilfspersonenhaftung darunter zu zählen und somit die vertragliche Hilfspersonenhaftung unter das Regime von Art. 14 Abs. 2 VVG zu stellen. Da in der Regel beide Bestimmungen, also Art. 101 und Art. 55 OR erfüllt sein werden, kann der Betriebshaftpflichtversicherer einen Grobfahrlässigkeitsabzug durchaus geltend machen, und zwar unabhängig davon, ob dem Geschäftsherrn selbst betreffend die Auf- 483 484 485 486 487 Vgl. dazu OR-Wiegand, Art. 101 N 11 ff.; Gauch/Aepli/Stöckli, Art. 101 N 6; Guhl/Koller, § 31 N 33 ff.; Schwenzer, N 23.10; BGE 92 II 19; 113 II 426; 117 II 67; 119 II 338. BBl 1904 I 287. So etwa Roelli/Keller, S. 244 f. Koenig, PVR, S. 297; Keller, Hilfsperson, S. 4, beide m.w.H. hinsichtlich der historischen und teleologischen Auslegung. So aber auch schon Ostertag, Art. 14 N 9. BGE 91 II 234. 131 nahme, die Anstellung oder die Beaufsichtigung der Hilfsperson grobfahrlässiges Handeln vorgeworfen werden kann. Es genügt, wenn der Angestellte selbst die elementarsten Vorsichtsgebote missachtet und dadurch Schaden verursacht hat. Das heisst aber nicht, dass der Arbeitgeber die Kürzungsfolgen, welche darin liegen, dass er vom Geschädigten oder von dessen Versicherer für die Differenz in Anspruch genommen wird, selbst tragen muss. Ihm steht vielmehr ein Anspruch aus Art. 321e OR gegenüber dem fehlbaren Arbeitnehmer zu. C. Verletzung eines Dritten Wird durch einen Arbeitnehmer bei der Vertragserfüllung ein Dritter oder gar der Vertragspartner verletzt, so kommt das Regressprivileg nicht zur Anwendung. Vielmehr liegt hier ein gewöhnliches Haftungsverhältnis vor. So richtet sich auch der Regress des Unfallversicherers nach den Prinzipien von Art. 72 VVG und Art. 51 Abs. 2 OR. 2. Revision VVG Im VE-Brehm wird vorgeschlagen, Art. 72 Abs. 1 VVG zu streichen und den Sachversicherer generell der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR unterzuordnen. Dies ist jedoch lediglich dem Kommentar zum VE-Brehm, jedoch nicht dem Gesetzesentwurf selbst zu entnehmen.488 Aufgrund der vorhergehenden Ausführungen in dieser Arbeit ist diese Regelung nicht sachgerecht. Im Übrigen würde dieser Lösung wiederum die Einmaligkeit bzw. Einzigartigkeit anhaften, zumal mindestens in den Nachbarländern dem Schadensversicherer ein integrales Regressrecht zugestanden wird. Dieser Entwurf entspricht nicht der heute herrschenden Doktrin und Praxis, da an sich weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR nicht mehr zeitgemäss ist und in keiner Art und Weise der heutigen Rechtsauffassung entspricht. Weshalb der Geschädigte eine Versicherung für haftpflichtige Dritte abschliessen soll, ist unersichtlich. 488 Brehm, Entwurf, S. 313. 132 § 11. Regress des Haftpflichtversicherers I. Allgemeines Das VVG hält für den Haftpflichtversicherer keine direktanwendbare Regressbestimmung bereit. Die herrschende Lehre und das Bundesgericht wenden jedoch die Subrogationsbestimmung von Art. 72 VVG analog an. Dies erlaubt denn auch die „Alter-egoPraxis“489, die dem Haftpflichtversicherer dieselbe Regressposition zugesteht, wie sie seinem Versicherungsnehmer vor der Leistungserbringung zugestanden hat. Da das VVG dem Geschädigten kein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Haftpflichtversicherer gewährt, können allfällige Einreden aus dem Versicherungsverhältnis und eventuelle Grobfahrlässigkeitsabzüge im Sinne von Art. 14 Abs. 2 und 3 VVG direkt dem Geschädigten entgegengehalten werden. Dies lässt viele Regressfälle erst gar nicht entstehen, es sei denn, der Haftpflichtversicherer erbringe den vollen, ungekürzten Schadenersatz und beabsichtige, die Differenz, die sich infolge des Abzugs gemäss Art. 14 VVG ergibt, beim Versicherungsnehmer bzw. bei seiner Hilfsperson einzuverlangen.490 Etwas anderes gilt im Falle des direkten Forderungsrechts.491 II. Regress des Motorfahrzeughaftpflicht-Versicherers 1. Ausgangslage Aufgrund des unmittelbaren Forderungsrechtes des Geschädigten gegenüber dem Motorfahrzeugversicherer gemäss Art. 65 Abs. 1 SVG kann der leistende Versicherer allfällige Kürzungsgründe nicht einredeweise geltend machen. Der Ausgleich wird in einem zweiten Schritt durch das in Art. 65 Abs. 3 SVG eingeräumte Regressrecht geschaffen. Danach hat der Versicherer ein Rückgriffsrecht gegen den Versicherungsnehmer oder den Versicherten in der Weise, als er zur Ablehnung oder Kürzung seiner Leistung im Sinne des VVG befugt wäre. Dadurch ist die Bestimmung von Art. 14 VVG angesprochen. Nach Art. 63 Abs. 2 SVG deckt die Versicherung „die Haftpflicht des Halters und der Personen, für die er nach diesem Gesetz verantwortlich ist“. Die Verantwortung des 489 490 491 Vgl. dazu vorne § 6 II 2 C. Dies ist eine Frage der Regressmöglichkeit freiwillig erbrachter Leistungen, welche bereits vorne in § 7 IV behandelt wurde. Vgl. etwa Art. 65 Abs. 1 SVG. 133 Halters für den Lenker ergibt sich aus Art. 58 Abs. 4 SVG. Somit ist der Lenker auch anspruchsberechtigt im Sinne von Art. 14 VVG. Indem in der MotorfahrzeughaftpflichtVersicherung neben dem Halter auch die mitwirkenden Hilfspersonen von Gesetzes wegen mitversichert sind, wird teilweise davon ausgegangen, dass es sich dabei um zwei Versicherungsverhältnisse handle, wie wenn die Halter- und die Lenkerversicherung in verschiedenen Verträgen geregelt wären.492 In einem nächsten Schritt werden dann der Halter und der Lenker in eine Solidargemeinschaft gestellt. Beide, sowohl Halter als auch Lenker, seien anspruchsberechtigt.493 Somit ist der Lenker zwar nicht Versicherungsnehmer, aber mitversicherte Person und damit Versicherter.494 Hat der Halter den Unfall verursacht, steht dem leistenden Haftpflichtversicherer gemäss Art. 65 Abs. 3 SVG i.V.m. Art. 14 Abs. 2 VVG ein Rückgriff in der Höhe des Kürzungsrechts zu. War hingegen ein berechtigter Dritter Lenker und Unfallverursacher, stellt sich für den Haftpflichtversicherer die Frage, ob er neben dem Lenker, welcher aus Art. 41 OR haftet, auch auf den Halter, gestützt auf Art. 58 Abs. 4 SVG und Art. 65 Abs. 3 SVG, Regress nehmen kann. Dabei gilt es zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit zu unterscheiden. 2. Lehre und Rechtsprechung A. Bei grober Fahrlässigkeit Gemäss Art. 58 Abs. 4 SVG haftet der Halter nicht nur für sein eigenes, sondern auch für fremdes Verhalten. Darunter ist sowohl das Verhalten des berechtigten Lenkers, der Hilfsperson als auch jenes des Strolches495 zu zählen. Hier ist einzig die Konstellation bezüglich des berechtigten Lenkers von Interesse. In diesem Zusammenhang ist nun in der Doktrin umstritten, ob der Halter auch für das grobfahrlässige Verhalten des berechtigten Lenkers regressweise in Anspruch genommen werden kann. Das Bundesgericht hat mit dem Entscheid BGE 91 II 233 f. der Diskussion an sich ein Ende gesetzt, indem es den Regress auf den Halter nur zulässt, wenn ihm ein eigenes 492 493 494 495 Vgl. hierzu Maurer, PVR, S. 364; BGE 91 II 233. Vgl. dazu Keller, Hilfsperson, S. 8. Statt vieler: Maurer, PVR, S. 173 f.; VVG-Hönger/Süsskind, Art. 14 N 31, sprechen von einer Doppelstellung des Lenkers. Gemäss Art. 75 SVG. Danach haftet der Halter zwar mit dem Strolch solidarisch. Der Versicherer darf aber den Halter finanziell nicht belasten, wenn letzteren an der Entwendung keine Schuld trifft (Abs. 3). 134 kausales oder hinsichtlich Auswahl, Instruktion oder Überwachung des Lenkers grobfahrlässiges Verschulden vorgeworfen werden muss. Diese Lösung wird von der Lehre mehrheitlich vertreten.496 Ausgegangen wird dabei von der Annahme des unterschiedlichen Versicherungsverhältnisses von Halter und Lenker: „[…] die eine deckt die Haftpflicht des Halters und schützt diesen gegen den ihm drohenden Eingriff in sein Vermögen, während die andere die persönliche Pflicht der in Art. 63 Abs. 2 genannten Personen deckt und in entsprechendem Sinn ihrem Schutze dient.“497 Die stärkste Kritik gegen diese Argumentation liefert KELLER498. In seiner Analyse zu Art. 14 VVG – wonach Haftung und Versicherungsdeckung eine funktionelle, strukturelle und auch inhaltliche Einheit bilden sollen – kommt der Autor zum Schluss, dass es sachgerecht sei, wenn der Haftpflichtversicherer sowohl gegen den Lenker als auch gegen den Halter die Kürzungsgründe regressweise geltend machen könne.499 B. Bei leichter Fahrlässigkeit Die Ausführungen betreffend Kaskoversicherer können nicht einfach analog herangezogen werden, da bei der Haftpflichtversicherung der Lenker versicherte Person ist. Aufgrund dessen ist es dem Haftpflichtversicherer im Sinne der zwingenden Bestimmung von Art. 14 Abs. 4 VVG verwehrt, gegen den Halter als Versicherungsnehmer und ebenso auf den berechtigten Lenker zu regressieren. Dies gilt selbstverständlich nicht für den Strolchenfahrer, gegen den in Art. 75 Abs. 2 SVG ein Regressrecht zugunsten des Halters und seines Haftpflichtversicherers statuiert ist. 3. Stellungnahme Betrachtet man den Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 oder 2 VVG, so entsteht der Eindruck, der Versicherer könne unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte den Schaden verursacht hat, kürzen. Dies gilt meines Erachtens indes nur dann, wenn der Anspruchsberechtigte zum Personenkreis von Art. 14 Abs. 3 VVG 496 497 498 499 Oftinger/Stark, II/2, § 26 N 226 f.; Maurer, PVR, S. 364 f.; VVG-Hönger/Süsskind, Art. 14 N 33 m.H. auf die in diesem Sinne anschliessende kantonale Rechtsprechung; a.M. Keller, Hilfsperson, S. 8 ff.; Giger, Art. 58 Ziff. IV. BGE 91 II 233. Keller, Hilfsperson, S. 1 ff., S. 8 ff. Gl.M. etwa Giger, Art. 58 Ziff. IV m.w.H. 135 zählt, zumal die beiden Absätze 1 und 2 gegenüber Abs. 3 lediglich subsidiären Charakter aufweisen. In der Doktrin wird dieser Umstand übersehen, indem beispielsweise ausgeführt wird, dass Art. 14 Abs. 3 VVG dann zur Anwendung komme, wenn nicht der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte, sondern eine Drittperson das befürchtete Ereignis schuldhaft herbeigeführt habe.500 In Abs. 3 wird jedoch nicht von irgendeinem Dritten gesprochen, sondern ebenfalls vom Anspruchsberechtigten. Dies lässt den Schluss zu, dass erst dann, wenn die persönlichen Voraussetzungen des Anspruchsberechtigten im Sinne der Spezialbestimmung von Abs. 3 nicht vorliegen, die allgemeine Kürzungsbestimmung gemäss Abs. 1 oder 2 angerufen werden kann. Im Sinne des Vorranges von Art. 14 Abs. 3 VVG verdient die vom Bundesgericht verfolgte Lösung eindeutig den Vorzug. Der Haftpflichtversicherer übernimmt das Risiko, welches aus der Betriebsgefahr eines Motorfahrzeuges und eines allfälligen schuldhaften Verhaltens des Lenkenden resultiert. Ist dem Lenker eine grobfahrlässige Handlung vorwerfbar, so steht der Haftpflichtversicherer nicht schlechter da, als wenn der Halter das Fahrzeug gelenkt hätte, da der aus Art. 41 OR haftende Lenker Regressschuldner wird. Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn der Halter von der regelmässig grobfahrlässigen Fahrweise oder der Angetrunkenheit des Lenkers Kenntnis hat und ihm trotzdem sein Fahrzeug anvertraut. Diesfalls ist es gerechtfertigt, den Halter mit dem Verhalten des Lenkers regressweise zu belasten. Die Gegenargumente von KELLER sind wenig überzeugend und basieren im Übrigen auf einer „ergänzenden Auslegung“501, weshalb sein vorgeschlagenes Ergebnis nicht direkt auf Art. 14 Abs. 3 VVG basiert. Insbesondere übersieht der Autor, wenn er den Schutz des Versicherers in den Mittelpunkt stellt, dass der Versicherer nicht schlechter gestellt wird, wenn ihm lediglich ein Regressanspruch gegen den Lenker zugestanden wird. Vielmehr würde der Haftpflichtversicherer besser gestellt, wenn anstelle des Halters der Lenker gehandelt hätte, da er diesfalls zwei Regressaten in Anspruch nehmen könnte. Zudem ist die Verknüpfung der beiden Deckungen bezüglich Halter und Lenker unzulässig, was zu einer Vermischung von Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigtem führt. Anspruchsberechtigt ist, wer aus der Versicherungspolice legitimiert ist, den daraus resultierenden Anspruch durchzusetzen.502 Dies ist in aller Regel der Versicherungsnehmer als Vertragspartei. 500 501 502 So etwa Maurer, PVR, S. 361. Keller, Hilfsperson, S. 7. Maurer, PVR, S. 175. 136 III. Regelung de lege ferenda Der VE-Brehm sieht in Art. 53 Abs. 2 vor, dass der Haftpflichtversicherer im Rahmen seiner Leistungen in die Rechte des Versicherten gegen allfällige Mithaftpflichtige eintritt. Dies entspricht – wie dargelegt – der heutigen, mehrheitlich unangefochtenen Rechtsprechung des Bundesgerichts. Es wäre bestimmt zu begrüssen, wenn die heutige „Alter-ego-Praxis“ des Haftpflichtversicherers eine gesetzliche Verankerung erfahren würde. § 12. Besonderheiten des Privatversicherungsregresses I. Koordinationsklauseln 1. Ausgangslage Immer wieder wurde der Versuch unternommen, die gesetzliche, als starr empfundene Regressordnung mittels vertraglicher Koordinationsregeln, häufig kombiniert mit einer vertraglichen Zession, zu modifizieren. Unter Zuhilfenahme von Subsidiaritäts-, Komplementär- oder Regressausschlussklauseln sollte unter Umständen ein Rückgriff gänzlich ausgeschlossen werden. Dabei wird teilweise nicht nur über das Ziel hinausgeschossen, sondern gegen die geltende, teilweise zwingende Rechtsordnung verstossen. Überdies können dadurch empfindliche Deckungslücken entstehen. 2. Zession Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die gesetzliche Regressordnung immer dann durch eine vertraglich vereinbarte Zession geändert werden kann, wenn es sich dabei nicht um zwingendes Recht handelt, welches dadurch umgangen wird.503 Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass eine Abtretung ex post ins Leere läuft, nachdem der Anspruchsberechtigte bereits befriedigt wurde, zumal dadurch – zum Zeitpunkt der Leistung – sein Anspruch untergegangen ist.504 Eine Regressvereinbarung ist nach einem Teil der Lehre nur dann zulässig, wenn die Abmachung zwischen den verschiedenen Ersatz- 503 504 So schon Oswald, S. 13; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 69. Gl.M. Schaer, Grundzüge, N 961. 137 pflichtigen sich auf diese selbst bezieht, nicht aber dann, wenn die Abmachung zwischen dem Geschädigten und einem Ersatzpflichtigen getroffen wird.505 Dies ist meines Erachtens einleuchtend, wäre doch Letzteres ein Vertrag zulasten Dritter im Sinne von Art. 111 OR. Das Bundesgericht hat im „Gini/Durlemann-Entscheid“ bereits festgehalten, dass die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR nicht durch eine Abtretung abgeändert oder umgangen werden könne.506 Dasselbe gilt für Art. 72 Abs. 1 VVG, bei welchem es nicht zulässig ist, die Subrogation zugunsten des Versicherers auf andere Haftpflichtige auszudehnen.507 Im Sinne der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht wäre dies auch nicht nötig, spricht doch das Spezialgesetz VVG von „unerlaubter Handlung“ und nicht von einer Verschuldenshaftung. Damit der Bauwesenversicherer508 nicht als Haftpflichtiger in die mittlere Stufe von Art. 51 Abs. 2 OR subsumiert werden kann, behilft man sich mit folgendem Passus in den AVB: „Die Bauwesenversicherung hat nicht für Schäden aufzukommen, welche durch den Haftpflichtversicherer eines am Bau des Werkes Beteiligten getragen werden müssen. Sie leistet jedoch einen Kostenvorschuss. Der Bauherr ist im Umfang des geleisteten Vorschusses verpflichtet, seine Forderung gegen den Haftpflichtigen abzutreten.“ Das Kantonsgericht Neuenburg509 hat eine Abtretung im Sinne dieser Klausel gutgeheissen. In einem nicht publizierten Entscheid hat das Bundesgericht eine gegen dieses Urteil gerichtete Berufung abgewiesen.510 Diese Zession, welche nach Art. 164 OR gültig zustande gekommen war, hatte jedoch nur deshalb Bestand, weil die vereinbarte Versicherungsleistung nicht als definitive, sondern als vorübergehende Leistung ausgestaltet war. Somit fehlte es für die unechte Solidarität an der erforderlichen Voraussetzung der Leistungsidentität. Nach überwiegender Lehre ist die Abtretung des Befreiungsanspruches des Versicherten an den Geschädigten, welcher ihm aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag zusteht, 505 506 507 508 509 510 Oftinger/Stark, I, § 10 N 92. BGE 80 II 252 f.; bestätigt in BGE 119 II 131 f.; so schon BGE 45 II 645. A.M. Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 622. Gegenstand der Bauwesenversicherung ist die Versicherung von Bauleistungen gegen das Risiko der sog. Bauunfälle und des Diebstahls neuer Bauteile, die mit dem Bauwerk fest verbunden sind. So im Entscheid des KGer NE, Entschied vom 29. September 1997, in: RJN 1998, S. 76 ff. Vgl. dazu den Kommentar von Koller, Solidarität, S. 2 ff. Koller, Solidarität, S. 2. 138 nicht ausgeschlossen.511 Das Bundesgericht lässt die Zession des aus der Haftpflichtversicherungspolice garantierten Befreiungsanspruches im Sinne von Art. 164 Abs. 1 OR zu, auch wenn die Haftpflicht noch nicht rechtskräftig feststeht.512 Im Rahmen der Rechtsprechung513, wonach auch die Abtretbarkeit künftiger Forderungen bejaht wird, selbst dann, wenn das Grundverhältnis zum Zeitpunkt der Abtretung noch nicht besteht, ist meines Erachtens dieser Befreiungsanspruch ohne weiteres abtretbar. Aufgrund der oben dargelegten Doktrin und Rechtsprechung bleibt nach meinem Dafürhalten nur ein kleiner Anwendungsbereich für eine rechtsgültige Zession innerhalb des Regressverhältnisses, zumal gerade die gesetzlich verankerte Regresskaskade nicht umgangen werden kann. Eine Abtretung der Ansprüche ist dann sinnvoll, wenn der Versicherer lediglich seine Leistung im Rahmen eines Kostenvorschusses oder im Sinne einer Kreditfunktion erbringt oder seine Leistung ohne vertragliche bzw. gesetzliche Pflicht erfolgte. Bei all diesen Fällen kommen – mangels Leistungsidentität – die Subrogationsund Regressbestimmungen nicht zur Anwendung. Deshalb hat der Versicherer ohne eine rechtsgültige Abtretungserklärung, welche natürlich den Formvorschriften von Art. 165 Abs. 2 OR unterliegt, keinerlei Regressmöglichkeiten. 3. Subsidiaritäts- und Komplementärklauseln Von einer Subsidiärdeckung ist immer dann die Rede, wenn eine Versicherungsleistung lediglich in untergeordneter Weise bestehen soll, also nur dann, wenn nicht noch durch eine andere Versicherungspolice die gleiche Gefahr bzw. das gleiche Interesse versichert ist.514 Soll die Leistung einer Versicherungspolice nur eine andere Versicherungsleistung ergänzen, so spricht man von einer Zusatz- oder Komplementärdeckung. In den AVB sind häufig Klauseln anzutreffen, die eine Leistungspflicht bzw. die Schadensdeckung immer dann ausschliessen, wenn der Versicherte anderweitig Leistungen erhalten kann. Das BPV steht den Subsidiärklauseln zurückhaltend gegenüber, während 511 512 513 514 Abtretbarkeit bejahend etwa Maurer, PVR, S. 380, 541 f.; a.M. Roelli/Jaeger, Art. 59 N 24. BGE 115 II 264 ff., 266 f. mit Hinweisen auf die kantonale Rechtsprechung, die in dieser Frage nicht einheitlich ist. BGE 41 II 135; 84 II 363. Maurer, PVR, S. 372 ff., wo auch eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Klauseln erfolgt. Dies wird in dieser Arbeit nicht aufgegriffen, um nicht den Rahmen zu sprengen. 139 es die Komplementärklauseln grundsätzlich gutheisst.515 Das Bundesgericht bejahte hingegen unter der Geltung des KUVG die Zulässigkeit von Subsidiärklauseln mit Zessionspflicht.516 Gerade hinsichtlich sog. Assistance-Versicherungen bestehen regelmässig solche Klauseln, weil in dieser Versicherungsbranche sehr oft Doppelversicherungsverhältnisse517 bestehen, welche an sich nach Art. 53 VVG bzw. Art. 71 VVG zu regeln wären.518 Die AVB verlangen, dass Leistungen nur erbracht werden, wenn der Unfall der eigenen Notrufzentrale gemeldet wurde und diese die Hilfeleistung auch geregelt hat. Ist eine solche Praxis haltbar? Gerichtlich wurde diese Angelegenheit bis dato nicht beurteilt, weshalb auch diese AVB-Klauseln einer AVB-Kontrolle zu unterziehen sind.519 4. Regressausschlussklausel Die härteste Art, allfällige Regresse abzuweisen, ist die Deckungsausschlussklausel520. Die Ausschlussklausel betreffend Regress- und Ausgleichsansprüche wurde bezüglich der Betriebshaftpflichtversicherung bereits eingehend erörtert.521 Neuerdings sind jedoch auch vollumfängliche Regressausschlussklauseln in Privathaftpflichtversicherungs-AVB zu finden, was zu unliebsamen Überraschungen für die Versicherungsnehmer führen kann, welche sich hinsichtlich sämtlicher möglicher Haftungsansprüche abgesichert wähnen.522 515 516 517 518 519 520 521 522 Aus einer nicht veröffentlichten Stellungnahme des BPV vom 12. Januar 1998 geht hervor, dass das Bundesamt den Subsidiärklauseln grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, sich jedoch bewusst ist, dass regelmässig AVB solche Klauseln enthalten, da viele Versicherungsprodukte nicht mehr genehmigungspflichtig sind. Gegen Komplementärklauseln hat das BPV nichts einzuwenden; vgl. zum Ganzen Maurer, PVR, S. 376 f. Urteil des EVG vom 15. August 1988, in: SGW1988 Nr. 44, S. 4. Vgl. dazu auch vorne § 12 II. Die Doppelversicherungsverhältnisse entstehen in dieser Branche oft deshalb, weil der Versicherungsnehmer regelmässig einerseits über die Krankenkasse und andererseits über eine Personen-Assistance oder Rechtsschutzversicherung versichert ist. Dadurch entstehen zwangsläufig Überschneidungen. Vgl. dazu hinten § 13. Vgl. beispielsweise in der Sachversicherung den wohl prominentesten Deckungsausschluss, "fehlerhafte bauliche Konstruktion". Vgl. vorne § 9 II 3. Auszug einer AVB einer Privatversicherung: „Von der Versicherung ausgeschlossen sind: [...] sämtliche Regress- und Ausschlussansprüche Dritter, wie insb. von anderen Haftpflichtigen, Versicherern, Arbeitgebern, Verbänden, Clubs, Stiftungen, Kassen usw. für Leistungen, die sie den Geschädigten ausgerichtet haben [...]“. 140 Aufgrund der nicht unerheblichen Relevanz in der Praxis und der Tatsache, dass bereits im VE-Brehm die Beibehaltung von Art. 59 VVG propagiert wird,523 drängt sich eine AGB-Kontrolle dieser Bestimmung geradezu auf. Die Argumentation im VE-Brehm überzeugt aufgrund der in dieser Arbeit vorgebrachten Erläuterungen in keiner Weise. Der Sachversicherer soll und darf nach der hier vertretenen Auffassung nur dann belastet werden, wenn kein haftpflichtiger Dritter belangt werden kann. Im Übrigen übersieht der VE-Brehm bei der Aussage, die Versicherer würden in der Regel auf leichtfahrlässig handelnde Arbeitnehmer nicht regressieren, dass dies einzig und alleine von der Politik und der Kulanz der jeweiligen Gesellschaft abhängig ist. Auch aus einer sehr einschneidenden Kürzung des Schadenersatzanspruches können äusserst harte, wenn nicht gar unbillige Ergebnisse resultieren. Ohne das Ergebnis der noch folgenden AGB-Kontrolle vorwegnehmen zu wollen, kann bemerkt werden, dass eine vollumfängliche Regressausschlussklausel gegen Treu und Glauben verstossen könnte. Zudem kann deren Durchsetzung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB unter Umständen rechtsmissbräuchlich sein.524 Die Klausel richtet sich primär gegen die Unfallversicherungen, insbesondere gegen die SUVA525, wodurch im Ergebnis sämtliche Regresse aus Personenschäden abgeblockt werden sollten, dies, obschon eine Haftpflicht besteht. Darüber hinaus darf der Versicherungsnehmer, wohl zu Recht, davon ausgehen, dass er durch seine Haftpflichtversicherung auch für solche Risiken Deckung geniesst. Gerade hinsichtlich der Personenschäden, bei welchen die Unfallversicherer eine gesetzlich verankerte Vorleistungspflicht trifft, diese im Gegenzug aber per Unfallzeitpunkt ein integrales Regressrecht eingeräumt erhalten, wird durch eine solche Ausschlussklausel die Haftpflichtversicherung obsolet. Die Praxis zeigt, dass insbesondere Personenschäden immense Kosten generieren. Ein solcher Regressausschluss ist für einen Schädiger existenzgefährdend. Dass eine Gerichtspraxis dazu fehlt, liegt einzig und alleine in der Kulanz der Unfallversicherer, welche nämlich mit nicht unerheblichen Prozesschancen einen Regressanspruch gegen den Verursacher gerichtlich durchsetzen könnten. 523 524 525 Brehm, Entwurf, S. 310 f. In diesem Sinne auch Läubli, Deckungsausschlüsse, S. 30. Solche und ähnliche Klauseln werden deshalb auch SUVA-Klauseln genannt. 141 II. Mehrfachversicherung 1. Ausgangslage Unter Doppelversicherung ist gemäss Art. 53 Abs. 1 VVG die Versicherung des gleichen Gegenstandes, gegen die gleiche Gefahr, für die gleiche Zeit, oder bei zwei oder mehreren Versicherern zu verstehen, wobei das Total der Versicherungssummen höher als der Versicherungswert ist.526 Es müssen also zwei oder mehrere Vollwertversicherungen bestehen, damit von einer Doppelversicherung gesprochen wird. Liegen zwei Versicherungsverträge auf erstes Risiko vor, so wird von einer sog. uneigentlichen Doppelversicherung oder auch von einer Mehrfachversicherung gesprochen, wobei nach einem Teil der Doktrin auch diesfalls von einer analogen Anwendung der VVG-Regeln ausgegangen wird.527 Unter den Versicherern wird bei Beteiligung einer Teilwertversicherung von Mehrfachversicherung und nicht von Doppelversicherung gesprochen.528 Die Mehrfachversicherung ist gesetzlich nicht geregelt. Damit hat sich eine Lösung inter partes aufgedrängt, was denn unter den SVV-Gesellschaften auch geschehen ist, indem der SVV Empfehlungen herausgegeben hat. Liegt eine Doppelversicherung vor, so besteht implizit nach dem Wortlaut von Art. 71 Abs. 1 VVG zwischen den Versicherern keine Solidarität, denn sie schulden aus Vertrag nur anteilsmässig. Somit ist der reine Doppelversicherungsfall nach VVG streng genommen gar kein regressrechtliches Thema, da bei der anteilsmässigen Deckung theoretisch keine Regresskonstellation entstehen kann. In der Praxis ist es jedoch aus Gründen der Praktikabilität häufig so, dass der eine Versicherer den Fall reguliert und den nach Art. 71 VVG übersteigenden Teil vom anderen Versicherer zurückfordert. Der Anspruch wird sich dabei auf die ungerechtfertigte Bereicherung gemäss Art. 62 ff. OR abstützen. Des Weiteren gilt es noch zwischen Aussen- und Fremdversicherung zu unterscheiden: Unter Aussenversicherung versteht man die Deckung für Schäden am Eigentum, welche ausserhalb des Standortes gemäss Police entstehen. Die Aussendeckung ist regelmässig als Teilwertversicherung ausgestaltet. Bei der Fremdversicherung werden fremde Perso- 526 527 528 Maurer, PVR, S. 403; Koenig, PVR, S. 322. VVG-Boll, Art. 71 N 9; Roelli/Jaeger, Art. 71 N 3. In der Literatur werden teilweise die Begriffe unterschiedlich definiert, so etwa: Hauswirth/Suter, S. 117 f. 142 nen, fremdes Vermögen oder Dritteigentum mit eingeschlossen,529 welche sich in der Obhut des Versicherungsnehmers der Standortversicherung befinden. Hat der eine Versicherer mit oder ohne Kenntnis eines Mehrfach- bzw. Doppelversicherungsverhältnisses geleistet, so entsteht unter Umständen ein Rückgriffsverhältnis, welches jedoch, wie erwähnt, einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Gerade aufgrund der unterschiedlichen Terminologie und der lediglich rudimentären gesetzlichen Regelung kann in der Praxis – trotz gewisser Empfehlungen usw. – keine Auffassung als die herrschende bezeichnet werden. Die Regeln von Art. 53 und Art. 71 Abs. 1 VVG sind nach Art. 97 Abs. 1 VVG zwingendes Recht, womit festgehalten werden kann, dass reine Doppelversicherungsverhältnisse der Vertragsautonomie entzogen sind. 2. Doppelversicherung im Sinne des Gesetzes Bei der reinen Doppelversicherung wird der Schaden im Sinne der nach Art. 97 Abs. 1 VVG für zwingend erklärten Bestimmung von Art. 71 Abs. 1 VVG im Verhältnis der Versicherungssummen geteilt. Auch hier gilt das Prinzip des Überentschädigungsverbots, wonach selbst bei gutgläubiger Doppelversicherung nicht mehr als der entstandene Sachschaden vergütet werden soll.530 Die Bestimmung von Art. 71 Abs. 1 VVG ist auf die Sachversicherung zugeschnitten, weshalb diese lediglich sinngemäss auf die Haftpflichtversicherung angewendet werden kann.531 Damit eine Doppelversicherung de jure vorliegt, müssen kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Die Versicherungssummen beider Versicherer zusammen müssen den Versicherungswert übersteigen. 2. Es muss das gleiche Interesse bzw. das gleiche Objekt betroffen sein. 3. Die Deckung muss sich auf dieselbe Gefahr beziehen. 4. In zeitlicher Hinsicht müssen beide Versicherungen während des Schadendatums laufen. Liegen sämtliche Voraussetzungen vor, so bestimmt das VVG, dass eine „Pro-rataDeckung“ erfolgt; d.h., jeder Versicherer leistet in dem Verhältnis für den Schaden, in dem seine Versicherungssumme zur gesamten Versicherungssumme beider Versicherungen steht. Jeder Versicherer leistet demnach seine Quote an den Geschädigten und nicht etwa das Ganze und nimmt für die auf den anderen Versicherer entfallende Quote 529 530 531 Maurer, PVR, S. 313. Koenig, PVR, S. 326. In diesem Zusammenhang unterscheidet der Autor zwischen bösgläubiger und gutgläubiger Doppelversicherung. In der vorliegenden Arbeit wird auf diese Unterscheidung verzichtet. Maurer, PVR, S. 407. 143 Regress. Dies ist deshalb so, weil nach schweizerischem Recht nach Art. 71 VVG kein Regressrecht unter den Versicherern besteht.532 Bestehen zwei Versicherungsverträge für denselben Haftpflichtfall, so wird nicht auf die Versicherungssumme im Sinne von Art. 71 VVG abgestellt, sondern auf die Leistung, die der Haftpflichtversicherer im Versicherungsfall zu erbringen hätte, wenn keine andere Haftpflichtversicherung daneben bestehen würde.533 Dies führe zur hälftigen Teilung des Schadens.534 Diese Lösung ist nicht kundenfreundlich, muss der Geschädigte doch bei zwei Versicherern um Leistung ersuchen. Zudem besteht dadurch eher das Risiko der Überentschädigung. Um dies zu verhindern, müssen sich die beiden Versicherungsgesellschaften ohnehin absprechen, zumal in der Praxis die Schadensberechnung meistens nicht mathematisch exakt erfolgen kann (Amortisation, Neuwert usw.). Reguliert eine Gesellschaft den Schaden vorab, kommt lediglich ein originäres Regressrecht in Frage, ist doch die Legalzession im Spezialgesetz nirgends erwähnt. Damit ist aber auch konkludent gesagt, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers gegenüber der nicht leistenden Versicherung nicht auf die leistende Versicherung übergeht. Für die Konstruktion eines Regressanspruches käme unter anderem die Anwendung der Art. 143 ff. OR in Frage. Gegen diese Anwendung spricht primär, dass die beiden Versicherer nicht solidarisch haften, sondern dass beide unabhängig voneinander eine vertragliche Leistungspflicht innehaben. Somit scheidet eine direkte Anwendung aus. Aber aufgrund der ratio legis der Bestimmungen der Art. 143 ff. OR, die nämlich darin besteht, allgemeine Regeln betreffend „gemeinsames Zusammenstehen für eine Schuld“ aufzustellen, ist es meines Erachtens legitim, diese Regeln per analogiam trotzdem heranzuziehen, zumal durch Art. 71 VVG eben ein besonderes Verhältnis unter den Versicherern geschaffen wird.535 Gestützt auf diese Auslegung wäre Art. 148 OR heranzuziehen, wo das Rechtsverhältnis unter den Solidarschuldnern geregelt wird. Diesfalls käme nicht eine hälftige Teilung in Betracht, sondern die Aufteilung aus dem Rechtsverhältnis im Sinne von Art. 71 VVG. Für den geleisteten Mehrbetrag gewährt Art. 148 Abs. 2 OR ein Rückgriffsrecht. Diese dargelegte Lösung ist meines Erachtens sachlich gerechtfertigt und entspricht auch der Teleologie der Doppelversicherung, welche ja in keiner Art und Weise von einer Trennung der beteiligten Versicherungen spricht und auch keine solche beabsichtigt. 532 533 534 535 Koenig, PVR, S. 327; vgl. auch vorne § 12 II 1. Maurer, PVR, S. 407; Schiedsgericht H. Oswald vom 13. Januar 1981, in: SGW 1981 Nr. 1, S. 24 f. Schiedsgericht H. Oswald vom 13. Januar 1981, in: SGW 1981 Nr. 1, S. 25. Einer analogen Auslegung von Art. 71 Abs. 1 VVG widerspricht meines Erachtens auch nicht der zwingende Charakter dieser Bestimmung, da im Ergebnis nicht von der gesetzgeberischen Lösung abgewichen wird; ähnlich auch VVG-Graber, Art. 72 N 17. 144 Eine Frage gilt es jedoch so oder anders zu klären, und zwar jene der Selbstbehalte. Beide Versicherer vereinbaren regelmässig einen Selbstbehalt. Würden nun beide Versicherer unabhängig voneinander ihren vertraglich vereinbarten Selbstbehalt dem Kunden gegenüber in Abzug bringen, so würde der geschädigte Versicherungsnehmer schlechter gestellt, als wenn er keine Doppelversicherung abgeschlossen hätte. Es fällt bei der Durchsicht der Literatur auf, dass dieses Problem bis dato nicht erörtert wurde. Umso mehr drängt sich hier eine Darstellung bzw. ein Lösungsvorschlag auf. Der Versicherungsnehmer bezahlt eine doppelte Prämie zur Abdeckung eines bestimmten Risikos. Tritt dieses versicherte Risiko ein, so profitieren die beteiligten Versicherer, welche nur anteilsmässig ihre Leistungen erbringen müssen, obschon sie Prämien für den Fall einer vollen Leistung erhalten haben. Dies gilt es grundsätzlich zu akzeptieren, zumal die Regelung des VVG diesen Vorteil konkludent billigt. Aufgrund dieses Resultats ist es aber richtig, den Versicherungsnehmer wenigstens im Rahmen des Selbstbehaltes profitieren zu lassen, und zwar so, dass er in einem Doppelversicherungsfall keine Selbstbehalte zu tragen hat. Den Ausfall des vereinbarten Selbstbehaltes hat jede Gesellschaft, unabhängig von der anderen, selbst zu übernehmen. 3. Mehrfachversicherung im Sinne des SVV A. Mehrfachversicherung i. Allgemeines Bevor die Regelungen des SVV erörtert werden, gilt es nochmals daran zu erinnern, dass ein Handlungsspielraum lediglich ausserhalb der eigentlichen Doppelversicherungen besteht. Also dann, wenn mindestens eine Teilwertversicherung beteiligt ist. Ist ein Versicherungsnehmer am Mehrfachversicherungsverhältnis beteiligt, so kommt die Empfehlung des SVV Nr. 2.02.02 zur Anwendung. Sind mehrere Versicherungsnehmer involviert, so wird die Empfehlung des SVV Nr. 2.02.01 tangiert. Dies gilt es im Folgenden zu analysieren. 145 ii. Gleiches Rechtssubjekt Nach der Empfehlung Nr. 2.02.02536 ist der Schaden wie folgt aufzuteilen: „Jeder Versicherer bezahlt vorweg die Hälfte des Betrages, den er ohne Vorhandensein einer mehrfachen Versicherung zu leisten hätte. Der ungedeckt bleibende Restbetrag wird anschliessend von den beteiligten Versicherern zu gleichen Teilen übernommen.“537 Dabei wird stillschweigend davon ausgegangen, dass der Teilwertversicherer nicht mehr leisten muss, als er vertraglich zugesichert hat. Denn liegt der Schaden etwas höher als der im Beispiel der SVV-Empfehlung aufgeführte, so wird der versicherte Teilwert leicht überstiegen. Diesfalls wird meines Erachtens keine den versicherten Teilwert übersteigende Leistung verlangt werden dürfen, auch wenn die Empfehlung sich dazu in keiner Weise äussert. Betreffend den Selbstbehalt fällt die Entlastung des Versicherungsnehmers auf, indem er im Ergebnis keinen solchen zu tragen hat. Dies ist aus denselben Gründen wie bei der Doppelversicherung sachgerecht, zahlt doch der Versicherungsnehmer zu viel Prämie. Davon sollen nicht nur die Versicherer profitieren. iii. Ungleiches Rechtssubjekt Folgendes Beispiel soll der Verdeutlichung dienen: Ein Hotelgast G übernachtet bei Hotelier H. G ist bei der X hausratversichert, und H hat bei der Betriebsversicherung, welche er bei Y abgeschlossen hat, auch Gästeeffekte in die Deckung miteingeschlossen. Während des Aufenthaltes von G wird in sein Zimmer eingebrochen. Dabei wird ihm eine Fotokamera gestohlen. Welche Versicherungsgesellschaft muss den Schaden übernehmen? Sind zwei Rechtssubjekte im Spiel, kommt die SVV-Empfehlung Fremd- vor Aussenversicherung538 zur Anwendung. Nach den Ausführungen des SVV gilt dies jedoch nur 536 537 538 SVV-Empfehlung Nr. 2.02.02 vom 1. Januar 1997. Vgl. dazu das Beispiel in der Empfehlung 2.02.02 im Anhang. SVV-Empfehlung Nr. 2.02.01 vom 1. Januar 1997. 146 dann, wenn es sich um eine Doppelversicherung handelt, also zwei Vollwertversicherungen tangiert werden. Diese Einschränkung auf Vollwertversicherungen kann nicht gewollt sein, zumal dies contra legem wäre, ist doch Art. 71 Abs. 1 VVG gemäss Art. 97 Abs. 1 VVG zwingender Natur. Vielmehr ist die Anwendung dieser Empfehlung auf Teilwertversicherungen beschränkt. Kommt die Empfehlung Nr. 2.02.01 zur Anwendung, so gilt die Regel, dass zulasten der Standortpolice zu 100% zu entschädigen ist, d.h. mit anderen Worten, dass die Fremdversicherung grundsätzlich zu belasten ist. Eine Einschränkung gilt dann, wenn die restliche Versicherungssumme der Standortpolice noch genügend Deckung aufweist. Die ratio legis liegt darin, dass diese Regel nicht zu einer Benachteiligung des Fremdversicherungsnehmers (H) führen soll. Sofern also die Ansprüche der Dritteigentümer (G) zunächst über deren Aussenversicherungsdeckung abgewickelt werden, da sie ja grundsätzlich einen Deckungsanspruch aus ihrer eigenen Police besitzen, so hat der Standortversicherer die volle Deckung zu übernehmen. Auf das obige Beispiel angewendet bedeutet dies, dass G den Schaden über die Y abwickeln kann, sofern die versicherte Summe für den Gesamtschaden ausreicht. Eine Ausnahme wird lediglich bei Motorfahrzeugen gemacht, bei welchen die Aussendeckung – welche bei der Teilkasko enthalten ist – der Fremdversicherung vorgeht. Ein solcher Fall kann sich beispielsweise bei einem Fahrzeug ereignen, das, während es in der Obhut des Garagisten ist, aus dessen Räumlichkeiten gestohlen wird. Diesfalls hat also die Teilkaskoversicherung den Diebstahlsschaden letztlich zu übernehmen. Weshalb bei Motorfahrzeugen gerade die umgekehrte Regelung gewählt wurde, bleibt ungeklärt und lässt sich offenbar auch nicht beantworten. Die Teilkaskoversicherung kann versuchen, auf den Garagisten gemäss Art. 72 Abs. 1 VVG zu regressieren, wenn es gelingt, Letzterem eine vertragliche Sorgfaltspflichtverletzung zu beweisen. In der Praxis wird intensiv darüber diskutiert, was unter dem Begriff „Standortversicherer“ zu verstehen ist: Entgegen einer gelegentlich vertretenen Ansicht ist im Rahmen der Fremdversicherung unter Standortversicherung auch die Aussendeckung zu subsumieren. Das Ergebnis ist sehr entscheidend, denn bei der gegenteiligen Auffassung liegt eine gewöhnliche Mehrfach- oder Doppelversicherung vor, welche nach der Empfehlung Nr. 2.02.02 oder nach Art. 71 Abs. 1 VVG zu teilen wäre, während sonst die Empfehlung Nr. 2.02.01 zur Anwendung gelangt, mit dem Resultat einer 100%igen Leistungspflicht der Fremdversicherung. Meines Erachtens darf der Ausdruck „Standortversicherer“ nicht alleine gemäss dem Wortlaut ausgelegt werden, vielmehr ist nach der Teleologie zu 147 fragen. Sinn und Zweck der primären Regulierung über den Fremdversicherer liegen darin, dass der Versicherungsnehmer seine Police beanspruchen soll, welche den Sachgewahrsam innehat und den Nutzen der Sache realisieren kann. Somit ist der Begriff „Standortversicherer“ extensiv auszulegen, so dass auch die Aussendeckung darunter fällt. Zudem wäre es nicht korrekt, wenn die Empfehlung Nr. 2.02.02 auch bei Beteiligung zweier Rechtssubjekte zur Anwendung käme, mit dem Ergebnis, dass beide Versicherungsnehmer keinen Selbstbehalt zu tragen hätten. 4. Stellungnahme Wie aus den vorhergehenden Darlegungen resultiert, sind die Doppel- bzw. die Mehrfachversicherungsverhältnisse sehr komplex und verwirrend. Viele Diskussionen könnten im Keim erstickt werden, würde man sämtliche Mehrfachversicherungsverhältnisse, unabhängig einer Voll- oder Teilwertversicherung, unter einer Bestimmung regeln. Dabei wäre die Lösung des heutigen Art. 71 VVG an sich richtig, wenn in der Praxis auch etwas schwerfällig zu handhaben. Um jedoch extreme Missverhältnisse zu vermeiden, welche durch unterschiedliche Versicherungssummen entstehen könnten, ist an der quotalen Aufteilung auch de lege ferenda festzuhalten. In einem zweiten Teil ist hingegen ein Regressrecht für jene Versicherung zu gewähren, welche den Schaden vorab reguliert und dabei im Ergebnis zu viel geleistet hat. Die vertraglich vorgesehenen Selbstbehalte sind meines Erachtens bei sämtlichen Mehrfachversicherungskonstellationen ausser Acht zu lassen, zumal der Versicherungsnehmer durch die mehrfache Versicherung ja auch weit mehr Prämien bezahlt hat, als an sich für die Abdeckung seiner Risikos nötig gewesen wäre. Der Versicherer leistet somit im Ergebnis seine proportionale Quote, welche aufgrund der beiden Versicherungssummen bestimmt wird, aber ohne Abzug des Selbstbehaltes. III. Verjährung von Regressforderungen 1. Ausgangslage Das vor allem im Versicherungsregress resultierende Nebeneinander von subrogierter Forderung, im Sinne von Art. 72 Abs. 1 VVG, und dem Ausgleichsanspruch im Sinne von Art. 51 Abs. 2 OR wurde vorne aufgezeigt. Die Wirkungen und die zum Teil 148 nachteiligen Konsequenzen dieser komplexen Regresssystematik de lege lata schlagen sich auch im Verjährungsrecht nieder. Diese Problematik ist Gegenstand des vorliegenden Abschnitts. Beim Regress auf der Grundlage der Subrogation ist die Rechtslage unbestritten: Die subrogierende Forderung des Geschädigten gegenüber dem Schädiger trägt dasselbe Schicksal wie der Direktanspruch, von welchem sie abgeleitet wird, weshalb im Zeitpunkt der Legalzession die Verjährungsfrist bereits schon zu laufen begonnen hat.539 Demgegenüber kann beim originären Ausgleichsanspruch die Frist erst dann zu laufen beginnen, wenn die Forderung überhaupt entstanden ist. Dennoch gilt es festzuhalten, dass das geltende Recht die Verjährung des Ausgleichsanspruches nicht durch eine allgemeine Bestimmung regelt. Deshalb wäre eine starre Übernahme dieser Ausgangslage etwas gewagt, und die Gefahr von ungerechten Härtefällen wäre gross, zumal sich Haftpflichtige dadurch noch nach Jahren über die eigene Verjährungsfrist hinaus mit Ausgleichsansprüchen konfrontiert sähen. Eine Lösung ist in den Spezialgesetzen Art. 83 Abs. 3 SVG und Art. 39 Abs. 3 RLG vorgesehen. Danach verjährt der Rückgriff innert zwei Jahren ab dem Tag, an dem die Leistung voll erbracht wurde und die haftpflichtige Person bekannt war. 2. Lehre und Rechtsprechung A. Subrogation im Sinne von Art. 149 Abs. 1 OR Der Fristenlauf des subrogierten Anspruches des Geschädigten beginnt nach den Regeln des Art. 60 OR, also mit Erlangung der Kenntnis über Schaden und Schädiger, wenn es sich um einen ausservertraglichen Anspruch handelt. Dabei ist auch die unter Umständen längere strafrechtliche Verjährungsfrist auf die subrogierende Forderung anwendbar. Ist der Anspruch vertraglicher Natur, so richtet sich die Verjährung nach den allgemeinen Verjährungsregeln des OR. 539 Statt vieler: Roberto, Haftpflichtrecht, N 575; Oftinger/Stark, I, § 11 N 161; a.M. offenbar Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 957; Rumo-Jungo, Subrogation, S. 416 f., wonach die Verjährung erst bei erfolgter Subrogation zu laufen beginne. Leider ist nicht ersichtlich, worauf sich die Autorin tatsächlich abstützt, zumal der Verweis auf Oftinger/Stark, I, § 11 N 161, nicht korrekt ist. 149 B. Ausgleichsanspruch im Sinne von Art. 51 Abs. 2 OR Hier beginnt die Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Rückgriffsberechtigte seine Leistung an den Geschädigten erbringt,540 da erst dadurch ein Ausgleich unter den Solidarschuldnern erforderlich wird. Dabei wird von einem Teil der Lehre die Verjährung des Bereicherungsrechts analog herangezogen, also Art. 67 OR. Dies führt zu einer relativen Frist von einem Jahr und einer absoluten Frist von zehn Jahren.541 Ein anderer Teil der Lehre verficht die Ansicht, dass sich die Dauer der Verjährung nach dem Anspruch richtet, den der Geschädigte gegen den haftpflichtigen Dritten besass.542 Eine herrschende Lehre hat sich bis dato nicht abgezeichnet. Das Bundesgericht jedoch hat entschieden, dass das Rückgriffsrecht erst zu dem Zeitpunkt entsteht, in dem die haftpflichtige Person das Opfer entschädigt hat.543 Somit ist es grundsätzlich möglich, dass ein Solidarschuldner zwar im Aussenverhältnis vom Geschädigten nicht mehr belangt werden kann, aber im Innenverhältnis durchaus noch mit einer Regressforderung zu rechnen hat. Obschon das Bundesgericht diesen originären Ausgleichsanspruch als selbständiges Recht anerkennt und somit der Fristenlauf an sich erst mit der Zahlung der Ersatzpflicht an den Geschädigten beginnt, versagt es dem Regressberechtigten unter gewissen Umständen die Durchsetzung eines solchen Ausgleichsanspruches. Dies gilt dann, wenn der Regressberechtigte von der Möglichkeit auf einen anderen Haftpflichtigen zurückzugreifen, was mittels Streitverkündung möglich wäre, rechtzeitig Kenntnis erhalten, aber dennoch nichts unternommen hat.544 Somit übernimmt das Bundesgericht den von der Lehre vorgeschlagenen Analogieschluss, baut hingegen zugleich eine Rechtsmissbrauchsschranke im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB ein, indem es das zu lange Zuwarten mit der Erhebung eines Anspruches als eine rechtsmissbräuchliche Verzögerung betrachtet. Voraussetzung ist, dass der Regressberechtigte von der Möglichkeit, auf einen anderen Haftpflichtigen zurückzugreifen, rechtzeitig Kenntnis erhält, aber dennoch untätig bleibt und dadurch die Position des anderen Haftpflichtigen grundlos verschlechtert. Das Bundesgericht schlägt als geeignete Massnahme etwa die Streitverkündung vor. Dadurch erhält der Regressat die Möglich- 540 541 542 543 544 Siehe dazu BK-Brehm, Art. 51 N 141. Vgl. etwa BK-Brehm, Art. 51 N 143; kritisch zur analogen Anwendung Rey, N 1723. Oswald, S. 12; Oftinger/Stark, II/1, § 16 N 389. BGE 115 II 48 ff. BGE 115 II 49; bestätigt in BGE 127 III 266 f. Zum letzteren Entscheid vgl. auch Fellmann, Verjährung, S. 113. ff. Vgl. dazu auch die Ausführungen im Kap. IV. 150 keit, beispielsweise als Nebenintervenient, oder gar als Hauptpartei, in den Prozess einzutreten, um so seine Interessen und Rechte umfassend zu wahren. Im gleichen Entscheid wurde hingegen die nicht unerhebliche Frage offen gelassen, wie die Rechtslage aussieht, wenn der Regressberechtigte vor der Verjährung konkurrierender Forderungen des Geschädigten gegen andere Mitschuldner keinerlei Veranlassung hatte, seinen Ausgleichsanspruch zu erheben, weil er von der Rückgriffsmöglichkeit keine Kenntnis erlangt hat. Immerhin verrät das Bundesgericht de fine so viel, dass diesfalls kein treuwidriges Verhalten vorgehalten werden könne. Ob daraus geschlossen werden kann, dass die Verjährungseinrede diesfalls nicht gehört würde, ist meines Erachtens fraglich.545 IV. Verrechnung von Regressforderungen 1. Ausgangslage Unter den Versicherungsgesellschaften kommt die Frage der Verrechnungsmöglichkeit von gegenseitigen Regressforderungen im Sinne von Art. 120 ff. OR auf. Dadurch könnte unter Umständen „elegant“ eine eigene Schuld durch Preisgabe einer gleichartigen Gegenforderung kompensiert werden.546 Damit eine Forderung verrechnet werden kann, müssen kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Gegenseitigkeit der Forderung, 2. Durchsetzbarkeit (Fälligkeit und Klagbarkeit) der Verrechnungsforderung, 3. Erfüllbarkeit der Hauptforderung und 4. Gleichartigkeit der Leistungen. Ohne in dieser Arbeit auf Einzelheiten eingehen zu können, kann hier festgehalten werden, dass gerade betreffend Regressforderungen die Vorraussetzungen regelmässig erfüllt sein dürften, zumal es sich stets um Geldforderungen handelt, welche praktisch immer erfüllbar und ebenso auch gegenseitig und gleichartig sind. Die Konnexität ist nach herrschender Lehre und Rechtsprechung kein Erfordernis der Verrechnung.547 545 546 547 So jedoch Fellmann, Verjährung, S. 119. Grundlegend zur Verrechnung vgl. etwa Bucher, S. 428 ff. Statt vieler: Guhl/Koller, § 37 N 15; Schwenzer, N 77.11; BGE 91 II 213 ff.; 63 II 133. 151 2. Versicherungsrechtliche Sicht An sich wäre auch unter den Versicherern die gegenseitige Verrechnung von Forderungen möglich. Nun existiert unter den dem SVV angeschlossenen Gesellschaften ein Regresskodex548. Darunter zählt unter anderem auch ein Verrechnungsverbot, das bestimmt, dass jeder „Einzelfall individuell beurteilt und erledigt“ wird. Dieses Verbot basiert auf der Überlegung, dass ohne dieses Verbot der Willkür jedes Bearbeiters Tür und Tor geöffnet wäre, zumal ja auch strittige Forderungen verrechnet werden könnten. Das Verrechnungsrecht ist gemäss Art. 126 OR dispositives Recht, weshalb ein solches Verrechnungsverbot durch Parteivereinbarung durchaus möglich ist. Ebenso hat es sich auch in der Praxis bewährt. 3. Stellungnahme Das Verrechnungsverbot unter den SVV-Gesellschaften hat unbestreitbar den Vorteil der Einzelfalllösung. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass in der Praxis dieses Verrechnungsverbot in gewisser Weise auch missbraucht werden kann, indem es der Regressat ausnützt und zudem damit rechnet, dass die andere Versicherungsgesellschaft nicht vorschnell gegen ihn Klage beim Gericht erhebt. Auf die Nichtklageerhebung kann teilweise vertraut werden, da es Usanz ist, vorab in Vergleichsverhandlungen549, bei welchen mehrere strittige Fälle zusammengenommen werden, eine Lösung zu finden. Erst wenn auch dieser Vergleichsversuch gescheitert ist, steht gewissermassen der Weg ans Gericht offen. Diese Umstände verhindern oftmals eine sachliche und effiziente Regressbearbeitung. Dennoch ist meines Erachtens am Verrechnungsverbot grundsätzlich festzuhalten, um eben nicht der Willkür freien Lauf zu gewähren. Eine Ausnahme könnte man etwa dann vorsehen, wenn eine Forderung durch eine Hinhaltetaktik des Regressaten, welche gegen Art. 2 ZGB verstösst, verjährt ist, aber eben im Sinne von Art. 120 Abs. 3 OR noch mit einer Gegenforderung verrechenbar wäre. 548 549 Vgl. Anhang. Sog. Direktionsregressbesprechungen. 152 § 13. Gültigkeit von Versicherungsklauseln I. Allgemeines Es wurde bereits mehrfach auf die in der Versicherungswirtschaft verwendete umfangreiche AVB-Praxis hingewiesen.550 Versicherungsverträge wären ohne Standardisierung kaum denkbar. Die Versicherer sind zum einen darauf angewiesen, das zu übernehmende Risiko möglichst eingrenzen und auch kalkulieren zu können. Zum anderen drängt sich aus ökonomischen Gesichtspunkten auf, diesen doch komplexen Vertragsinhalt zu standardisieren. Es darf aber nicht übersehen werden, dass durch den Beizug von AVB eine Risikoverlagerung bewirkt werden kann.551 Überdies versteht sich von selbst, dass die einzelnen Policen nicht ausgehandelt werden können und damit der Deckungsumfang grundsätzlich nicht zur Disposition steht. Über die Jahre sind indes nicht nur komplexe und teilweise schwer verständliche AVB-Werke entwickelt worden, sondern es haben sich in gewissen Bereichen auch Deckungslücken und heikle Ausschlüsse eingeschlichen.552 Für das Versicherungsvertragsrecht sieht Art. 33 VVG eine Unklarheitsregel vor. Nach überwiegender Auffassung bezieht sich diese Norm ausschliesslich auf die Anwendung von gefahrenbeschränkenden Abreden, also auf Ausschlussbestimmungen.553 Im allgemeinen AGB-Recht hat die Rechtsprechung aus dem Vertrauensprinzip eine allgemeingültige Unklarheitsregel abgeleitet554 und auch auf Versicherungsverträge angewendet, weshalb die Unterscheidung zur Makulatur wird.555 Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern verfügt die Schweiz bis heute über kein eigenes AGB-Gesetz. Einzig in Art. 8 UWG wird eine entsprechende Lösung für die Inhaltskontrolle bereitgehalten. Wie noch zu zeigen sein wird, handelt es sich dabei um eine nicht griffige Bestimmung. Im Folgenden geht es darum, die allgemeinen, von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der allgemeinen AGB-Kontrolle darzulegen. Da es nicht primär ein Regressproblem darstellt, wird lediglich summarisch darauf eingegangen.556 In einem 550 551 552 553 554 555 556 Vgl. vorne § 9 II 2; § 12 I. Zum Ganzen statt vieler: VVG-Fuhrer, Art. 33 N 1 ff. m.H. auf die historische Entwicklung. Vgl. vorne § 12 I. Roelli/Keller, S. 457; Koenig, PVR, S. 169 So etwa BGE 115 II 268 ff. Gl.M. etwa VVG-Fuhrer, Art. 33 N 19 ff. Für eine vertiefte Auseinandersetzung hinsichtlich dieser Problematik, auf Versicherungsverträge bezogen, vgl. insb. VVG-Fuhrer, Art. 33 N 1 ff. 153 zweiten Schritt werden die vorne behandelten AVB-Klauseln dieser Kontrolle unterzogen. II. Umfang der AVB-Kontrolle 1. Allgemeines A. Vorab: Genehmigungspflicht gemäss VAG Die AVB unterstehen der Genehmigungspflicht des BPV. Dies ergibt sich aus dem Zweck des VAG, insbesondere aus Art. 17 VAG, wonach das BPV die Geschäftstätigkeit hinsichtlich Beachtung des schweizerischen Rechts überwacht.557 Artikel 9 VAG ist so zu verstehen, dass die Genehmigung nur dann versagt werden kann, wenn die AVB gegen zwingendes Recht verstossen. Die einmal erfolgte Genehmigung der AVB bedeutet jedoch nicht, dass diese in einem Zivilprozess nicht anfechtbar bzw. mittels einer AGB-Kontrolle überprüfbar wäre. B. Geltungskontrolle Mit der Geltungskontrolle wird der Vertragsinhalt ermittelt. Dabei wird zweistufig vorgegangen: In einer ersten Stufe wird geprüft, ob die AVB als Ganzes rechtsgültiger Bestandteil des Einzelvertrages wurden. Ist dies zu bejahen, wird in einer zweiten Stufe abgeklärt, ob die einzelnen Klauseln der AVB Gültigkeit erlangen. AVB werden, aufgrund des regelmässig vorliegenden faktischen Machtgefälles zwischen den Parteien, meistens global übernommen und vorab vom Versicherungsnehmer nicht gelesen. Für die Konsensbildung ist auf jeden Fall wichtig, vor oder bei Vertragsschluss explizit auf den Beizug der AVB hinzuweisen. Dies entspricht der Globalübernahme.558 Diese stillschweigende Übernahme von AGB wird – unter Berücksichtigung des Ver- 557 558 Koenig, PVR, S. 26. BGE 108 II 418 E. 1b. Von der Globalübernahme wird die sog. Vollübernahme unterschieden, bei welcher die Vertragspartner die AGB in voller Kenntnis über Inhalt und Tragweite übernehmen. Insbesondere bei Versicherungsverträgen bildet die Globalübernahme die Regel, da der Versicherungsnehmer in der Regel die AVB beim ersten Durchlesen kaum vollumfänglich verstehen kann. Im Schadensfall wird er kein Interesse daran haben, mit einem Dissens den Vertrag zu Fall zu bringen und überhaupt keine Deckung zu geniessen; vgl. dazu auch VVG-Fuhrer, Art. 33 N 47. 154 trauensprinzips – von Lehre und Rechtsprechung zugelassen.559 Somit wird auch Ungelesenes in einem Vertrag grundsätzlich vom normativen Konsens erfasst. Ist festgestellt, dass die AVB integrierender Bestandteil des vorliegenden Versicherungsvertrages bilden, sind die einzelnen Klauseln danach zu prüfen, ob sie dem Vertrauensprinzip Genüge tun. Dies erfolgt anhand der vom Bundesgericht entwickelten Ungewöhnlichkeitsregel. Diese besagt, dass alle ungewöhnlichen Klauseln von der globalen Zustimmung zu AGB herauszunehmen sind, auf deren Vorhandensein die schwächere oder weniger geschäftserfahrene Partei nicht besonders aufmerksam gemacht worden ist.560 Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass potenziell kritische oder in ihrer Auswirkung einschneidende Klauseln mittels Fettschrift hervorgehoben werden. Damit erübrigt sich häufig die Auseinandersetzung darüber, ob nun die Klausel ungewöhnlich ist, denn durch die Hervorhebung ist die fragliche Bestimmung ohne weiteres zunächst einmal Vertragsinhalt geworden. C. Auslegungskontrolle Da der Globalübernahme regelmässig bloss ein normativer Konsens zugrunde liegt, ist damit noch nicht gesagt, dass sich die Parteien über den Inhalt der Klausel einig sind bzw. diesen auch so gewollt haben. Dazu sind die AVB-Bestimmungen zunächst nach den Grundsätzen der allgemeinen Vertragsauslegung zu prüfen, wodurch der wirkliche Parteiwille erforscht wird.561 In Zweifelsfällen wird, und zwar in subsidiärer Weise, die Unklarheitsregel (in dubio contra stipulatorem) zur Anwendung gebracht. Danach gehen Unklarheiten zulasten des Aufstellers von AGB.562 Das Bundesgericht präzisiert diese Regel dahin, dass die Unklarheitsregel erst dann Platz greife, wenn nach umfassender Auslegung, unter Berücksichtigung von Treu und Glauben, die Unklarheit noch immer besteht.563 Die Unklarheitsregel von Art. 33 VVG findet – wie erwähnt – lediglich auf Ausschlussbestimmungen Anwendung. Da aber die allgemein geltende Unklarheitsregel auch für Versicherungsverträge Geltung hat, spielt diese Einschränkung kaum eine Rolle. 559 560 561 562 563 Guhl/Koller, § 13 N 50. BGE 109 II 452 ff.; 119 II 443 ff. BGE 122 III 121. BGE 115 II 264 ff. BGE 122 III 118. 155 Im Zusammenhang mit der Auslegungskontrolle wird sodann das Restriktionsprinzip erwähnt, wonach Klauseln, die einen schützenswerten Vertragspartner schlechter stellen, eng auszulegen seien.564 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Risikoeinschränkungen zuungunsten des Versicherers auszulegen, womit es das Restriktionsprinzip, ohne es so zu benennen, zur Anwendung bringt.565 Zudem verlange das Aushöhlungsverbot – so SCHAER im unveröffentlichten Gutachten566 –, dass Formulierungen in den AVB nicht den Zweck einer Versicherungsdeckung gefährden dürfen. Diese beiden Prinzipien lassen sich meines Erachtens ohne weiteres unter Art. 2 ZGB subsumieren. Ob jedoch das Restriktionsprinzip nicht bereits in der Unklarheitsregel enthalten ist, bleibt fraglich. D. Inhaltskontrolle Mit der Inhaltskontrolle soll der Konsument vor unangemessenen, gegen Treu und Glauben verstossenden Klauseln geschützt werden, auch wenn die AGB rechtsgültig in den Vertrag einbezogen wurden und ihr Inhalt auch vor der Auslegungskontrolle standhält.567 Als Grundlage für eine Inhaltskontrolle kann Art. 8 UWG genannt werden. Da dieser Artikel, neben der Voraussetzung der erheblichen Abweichung, das Zusatzerfordernis der Irreführung vorsieht, hat er praktisch kaum Bedeutung, zumal die erheblichen Mängel der AVB in irreführender Weise verschleiert werden müssen.568 Überdies ist der Beweis der Irreführung äusserst schwierig zu erbringen. Dadurch wurden dem an sich richtigen Kontrollinstrument „die Zähne“ gezogen.569 Dennoch wurde im BGE 119 II 443 ff., in einem obiter dictum, die Irreführung und damit die Voraussetzung von Art. 8 UWG bejaht. Eine AVB-Regel kann hingegen im Sinne der Generalklausel von Art. 2 UWG unlauter sein.570 564 565 566 567 568 569 570 So etwa VVG-Fuhrer, Art. 33 N 178 ff., m.w.H. auf die spärliche Kasuistik. Der Autor versagt das Restriktionsprinzip zwar nicht, misst ihm indes neben der Unklarheitsregel keine eigenständige Bedeutung zu; Läubli, Deckungsausschlüsse, S. 27, mit Verweis auf ein unveröffentlichtes Gutachten von R. Schaer im Auftrage der SUVA vom 12. März 2000. BGE 110 II 403 ff. Gutachten im Auftrage der SUVA vom 12. März 2000. VVG-Fuhrer, Art. 33 N 185. Huguenin, S. 86 und 87 f., mit einem Plädoyer für eine offene Inhaltskontrolle; Pedrazzini/ Pedrazzini, N 12.13; ebenso noch von Büren/Marbach, N 1072 in der ersten Aufl. Guhl/Koller, § 14 N 53, wo von einer stumpfen Waffe gesprochen wird. von Büren/Marbach, N 951. 156 Nach der Privatautonomie gäbe es an sich keine Inhaltskontrolle, denn es gilt der Grundsatz pacta sunt servanda. Heute wird indes von einem Teil der Doktrin verlangt, bei AGB weitgehend auch der Vertragsgerechtigkeit Rechnung zu tragen.571 Die Lehre fordert mehrheitlich eine offene Inhaltskontrolle, wonach in Konsumentenverträge bzw. deren AGB eingegriffen werden kann, obschon ihr Wortlaut und Inhalt eindeutig feststellbar ist.572 Nach überwiegender Meinung ist als Rechtsgrundlage de lege lata Art. 19 Abs. 2 OR heranzuziehen.573 Hingegen lässt das Bundesgericht lediglich eine verdeckte Inhaltskontrolle zu, was sich in der Geltungs- und Auslegungskontrolle niederschlägt, aber kein eigentliches zusätzliches Kontrollinstrument darstellt.574 2. Einzelne Klauseln A. Deckungsausschluss in der Betriebshaftpflichtversicherung betreffend Regressansprüche gegen Arbeitnehmer und Hilfspersonen i. Geltungskontrolle Diese Klausel lässt sich ausnahmslos in sämtlichen AVB der Betriebshaftpflichtversicherer finden und ist ebenso ausschliesslich mit Fettdruck oder anderen grafischen Darstellungen besonders hervorgehoben. Aus diesem Grunde kann festgehalten werden, dass diese Klausel, auch wenn sie und ihre Folgen für den Leser ungewöhnlich anmuten, mittels Globalübernahme rechtsgültig zum Vertragsinhalt wird. Die Geltungskontrolle wird somit die Klausel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu Fall bringen. ii. Auslegungskontrolle Die in Frage stehende Klausel ist – auch wenn der Wortlaut etwas schwer leserlich bzw. verständlich ist – grundsätzlich nicht unklar. Der Versicherer dehnt die in Art. 59 VVG vorgeschriebene Haftung im persönlichen Geltungsbereich aus, indem auch Hilfsperso- 571 572 573 574 Vgl. etwa Huguenin, S. 87 f. m.w.H. In diesem Zusammenhang sei auf das AGB-Gesetz von Deutschland hingewiesen, wonach eine umfassende Inhaltskontrolle möglich gemacht wird. Obschon in der Schweiz mehrfach Bestrebungen in diese Richtung unternommen wurden, konnte bis heute kein Durchbruch für ein AGB-Gesetz verzeichnet werden. VVG-Fuhrer, Art. 188 ff., wo die verschiedenen Lehrmeinungen und Rechtsgrundlagen dargelegt werden. BGE 109 II 452 ff.; 119 II 443 ff.; BGE 115 II 268; Guhl/Koller, § 14 N 53; Huguenin, S. 86 ff. m.w.H. 157 nen des Versicherungsnehmers grundsätzlich versichert werden; dies allerdings unter der Einschränkung auf Direktansprüche. Fraglich könnte dennoch sein, wer unter den Begriff „mit der Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes betraute Person“ zu subsumieren ist. Die Versicherer ziehen den Personenkreis derer, welche zu dieser Kategorie zu zählen sind, sehr eng. Diese Auslegung deckt sich sodann mit der Doktrin und der Praxis575 zum Art. 3 lit. d ArG i.V.m. Art. 9 ArGV1. Danach übt eine solche höhere leitende Tätigkeit aus, „wer aufgrund seiner Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des Betriebes über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügt oder Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung eines Betriebes oder Betriebsteils einen nachhaltigen Einfluss nehmen kann“576. Im Sinne des ArG und der ArGV dürfte diese Klausel auch der Unklarheitsregel Genüge tun. iii. Inhaltskontrolle Im Sinne einer offenen Inhaltskontrolle wird im Folgenden versucht, einen Ausweg aus der für den Arbeitnehmer ausweglosen Situation577 zu finden, unter der Annahme, dass der bereits besprochene BGE 128 III 76 ff. nicht als gefestigte Praxis betrachtet werden darf bzw. kann und dass eine offene Inhaltskontrolle überhaupt justiziabel ist. Die Idee des Auswegs aus diesem Dilemma liegt im Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Wird der Arbeitnehmer vom Geschädigten direkt belangt, was Letzterem denn auch freigestellt ist zu tun, so soll der Arbeitnehmer grundsätzlich einen solchen Freistellungsanspruch geltend machen können. Er kann mit anderen Worten vom Arbeitgeber beanspruchen, von diesen Ersatzansprüchen befreit zu werden. Leistet der Arbeitnehmer selbst, so wandelt sich nach derselben Lehre dieser Anspruch in einen Anspruch auf Ersatzleistung. Obwohl eine solche Regelung im Gesetz 575 576 577 Vgl. etwa BGE 126 III 337 ff. Art. 9 ArGV1. Die Situation entsteht durch die Regressnahme der Sachversicherung auf den Arbeitnehmer, der keine entsprechende Deckung in einer Haftpflichtversicherung geniesst. 158 nirgends Niederschlag gefunden hat, wird dieser Anspruch von einem gewichtigen Teil der Lehre bejaht.578 Dieser Freistellungsanspruch gründet in der ratio legis von Art. 321e OR, wonach sich das Mass der Sorgfalt, für die ein Arbeitnehmer einzustehen hat, nach dem konkreten Arbeitsverhältnis richtet, unter Berücksichtigung des Bildungsgrades und des Berufsrisikos. Daraus hat die Doktrin die schadensgeneigte Arbeit abgeleitet.579 Dieses Betriebsrisiko – im Rahmen der leichten Fahrlässigkeit – hat letztlich der Arbeitgeber und nicht der Arbeitnehmer zu tragen.580 Dabei gilt es stets die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung zu beachten. Während ein Teil der Lehre und die ältere Rechtsprechung581 noch von einem dreigeteilten Fahrlässigkeitsbegriff ausgehen, wird heute weitgehend dessen Unterteilung, mit Verweis auf das Gesetz, auf leichte und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.582 Dies ist meines Erachtens auch sachgerecht, fällt doch in der Praxis bereits die Unterscheidung in leichte und grobe Fahrlässigkeit in Einzelfällen nicht leicht.583 Für die Problematik in concreto genügt denn auch diese Unterscheidungsfeinheit, zumal ein Freistellungsanspruch lediglich bei leichter Fahrlässigkeit besteht und im Übrigen bei Grobfahrlässigkeit der Arbeitgeber bzw. der Unternehmer über die Betriebshaftpflichtversicherung grundsätzlich Deckung geniesst.584 Mit anderen Worten kann festgehalten werden, dass der Arbeitgeber letztlich für den durch seinen Angestellten leichtfahrlässig verursachten Schaden einzustehen hat, und zwar unbesehen davon, ob er über seine Betriebshaftpflichtpolice Deckung beanspruchen kann. Aus dieser Warte betrachtet, stellt man jedoch fest, dass das Ergebnis immer noch nicht stimmen kann, denn der Arbeitgeber hat eine Vermögensversicherung abgeschlossen, welche nun die Leistung verweigert, bloss weil die Forderung auf dem Regresswege und nicht als Direktanspruch gestellt wird. Dieser Freistellungsanspruch 578 579 580 581 582 583 584 Roberto, Arbeitnehmerhaftung, S. 94 f.; BK-Rehbinder, Art. 321e N 27; Rehbinder, Arbeitsrecht, § 8 N 150; Schaer, Schadensversicherer, S. 101 f.; Vaverka, S. 248. Vgl. dazu OR-Rehbinder/Portmann, Art. 321e N 5; Roberto, Arbeitnehmerhaftung, S. 95 ff. m.w.H. auf die deutsche Lehre und Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang plädiert der Autor für eine Ausweitung der Haftungsbeschränkung betreffend schadensgeneigter Arbeit. So auch OR-Rehbinder/Portmann, Art. 321e N 5. BGE 100 II 338; OR-Rehbinder/Portmann, Art. 321e N 5. Vgl. statt vieler: Roberto, Arbeitnehmerhaftung, S. 104 f. Auf weitere Ausführungen wird in dieser Arbeit verzichtet, zumal es für die vorliegende Problematik kaum Relevanz hat. Die Deckung kann jedoch unter Umständen im Sinne von Art. 14 Abs. 3 VVG gekürzt werden. Sodann geniesst der grobfahrlässig handelnde Arbeitnehmer das Regressprivileg von Art. 72 Abs. 3 VVG nicht mehr, weshalb ein Arbeitnehmerregress nicht ausgeschlossen wäre, wenn er auch in der Praxis selten durchgeführt wird. 159 schlägt sich in der Bilanz des Unternehmers auf der Passivseite nieder, und für dies hat die Haftpflichtversicherung die Deckung vertraglich übernommen und auch Prämien erhalten. Auch aufgrund des Aushöhlungsverbots darf der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer darauf vertrauen, dass er auch für Regressansprüche gegen seine Arbeitnehmer, welche am Ende in seiner Bilanz zu Buche schlagen könnten, Deckung geniesst. Unlauter im Sinne der Generalklausel von Art. 2 UWG dürfte dieser Deckungsausschluss nicht sein, und zwar deshalb, weil die Betriebshaftpflichtversicherer dennoch über die gesetzlich geforderte Deckung (Art. 59 VVG) hinausgehen. iv. Ergebnis So gesehen handelt es sich meines Erachtens bei dieser fraglichen Deckungsausschlussklausel um einen „Papiertiger“, welcher bis dato leider noch nie angefochten wurde. Dies mag hauptsächlich daran liegen, dass die SUVA und die Sachversicherer mehrheitlich aus sozialen Gründen in der Praxis auf Arbeitnehmerregresse verzichten. Zudem ist auf beiden Seiten der Respekt vor einem für sie ungünstigen Präzedenzfall nicht zu übersehen, was die Verhandlungs- und Vergleichsbereitschaft nicht unwesentlich steigert. Dennoch dürfte – aufgrund des BGE 128 II 76 ff. – in nächster Zeit mit einem solchen Prozess zu rechnen sein, bei welchem diese fragliche Klausel angefochten wird. Ebenso ist es nur schwer vorstellbar, dass ein Gericht den leichtfahrlässig handelnden Arbeitnehmer heute noch zu einer Schadenersatzforderung verurteilen würde, welche ihn unter Umständen in existenzielle Schwierigkeiten bringen könnte. Dennoch sei nochmals daran erinnert, dass das Bundesgericht im „Gini/Durlemann-Entscheid“ diesen schwerwiegenden Schritt getan hat. Man kann jedoch heute davon ausgehen, dass sich die sozialpolitischen Wertanschauungen gewandelt haben, so dass Hoffnung auf eine gewisse Milde des Gerichts besteht.585 585 So etwa die Basler Gerichtspraxis, BJM 1974, S. 253, welche bei leichter Fahrlässigkeit die "Faustregel" entwickelt hat, dass der Arbeitnehmer nicht mehr als einen Monatslohn für den Schaden leisten soll; vgl. dazu Roberto, Arbeitnehmerhaftung, S. 98 f. 160 B. Deckungsausschluss in der Privathaftpflichtversicherung betreffend sämtliche Regressansprüche i. Geltungskontrolle Seit wenigen Jahren wird von einer Privathaftpflichtversicherung versucht, sämtliche Regress- und Ausgleichsansprüche von der Deckung auszuschliessen.586 Aufgrund der Globalübernahme werden solche Klauseln vorerst einmal – meist stillschweigend – zum Vertragsinhalt. Der Versicherungsnehmer, welcher jedoch mit dem Versicherungsvertragsabschluss das Risiko sämtlicher Vermögensschäden, welche aus einem von ihm zu vertretenden Haftpflichtfall resultieren, abdecken möchte, muss nicht mit einer derartig einschneidenden Deckungseinschränkung rechnen. Gerade gegenüber den Regressansprüchen der Sozialversicherer, welchen von Gesetzes wegen eine Vorleistungspflicht auferlegt ist, geniesst er in concreto keine Deckung. Da der Versicherungsnehmer nach Art. 2 ZGB darauf vertrauen darf, dass seine Police den üblichen Deckungsumfang gewährt, so wie ansonsten bei allen anderen Versicherungsgesellschaften, kommt hier die Ungewöhnlichkeitsregel zur Anwendung. Somit bedarf es für die Gültigkeit dieser Klausel einer besonderen Hervorhebung. Dieser Voraussetzung werden aber die besagten AVB in keiner Art und Weise gerecht. Somit scheitert dieser Regressausschluss bereits an der Geltungskontrolle. Da eine grafische Änderung für künftige Policen jedoch leicht zu bewerkstelligen ist, ist es angezeigt, auch die weiteren Kontrollinstrumente näher zu prüfen. ii. Auslegungskontrolle So wie bereits der Regressausschluss bei der Betriebshaftpflichtversicherung ist die Klausel nicht als unklar oder schwer leserlich zu qualifizieren, es wird sogar noch eine nicht abschliessende Aufzählung der ausgeschlossenen Regressanten aufgeführt. Somit vermag die Auslegungskontrolle die Klausel nicht zu Fall zu bringen. 586 Vgl. dazu auch Läubli, Deckungsausschlüsse, S. 29 f. Der Wortlaut ist in Fn 522 wiedergegeben. 161 iii. Inhaltskontrolle Im Rahmen der Inhaltskontrolle erkennt man bald, dass die vorliegende Klausel realiter den Konsumenten bzw. den Versicherungsnehmer nur sehr lückenhaft vor Vermögensschäden infolge Haftpflichtfälle schützt. Da der Versicherungsnehmer jedoch nach Treu und Glauben auf einen umfassenden Versicherungsschutz, welcher der Versicherungsusanz entspricht, vertrauen darf, stellt sich die Frage, ob eine solche Verwendung unlauter im Sinne des UWG ist. Da der gravierende Deckungsausschluss nicht verschleiert wird, ist die Voraussetzung der Irreführung gemäss Art. 8 UWG nicht erfüllt. Durch die bereits erwähnte Verletzung von Treu und Glauben wird hingegen die Generalklausel von Art. 2 UWG tangiert. Gestützt auf diese Bestimmung stehen die Prozesschancen nicht schlecht, dass ein Gericht die Klausel für nichtig erklärt, obschon es an die bis dato fehlende offene Inhaltskontrolle zu erinnern gilt. In prozessualer Hinsicht ist es aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, dass ein Gericht den versicherten Haftpflichtigen einfach so den Regressansprüchen des Geschädigten ausgesetzt sein lässt. Der Haftpflichtige, welcher beispielsweise von einer regressierenden Unfallversicherung gerichtlich belangt wird, geniesst nicht einmal die Deckung „Abwehr unberechtigter Ansprüche“ bei der Haftpflichtversicherung, welche sämtliche Regressansprüche nicht deckt. Somit ist der beklagte Haftpflichtige gut beraten, wenn er der Haftpflichtversicherung zusätzlich den Streit verkündet. Spätestens in einem Zweitprozess, je nach kantonaler Prozessordnung auch bereits früher, könnte dann die entsprechende AVB-Kontrolle erfolgen. iv. Ergebnis Aus der AVB-Kontrolle resultiert, dass ein genereller Regressausschluss in der Privathaftpflichtversicherung unlauter und damit kaum durchsetzbar ist. Es bleibt abzuwarten, ob die dafür verantwortliche Haftpflichtversicherungsgesellschaft an einer solchen Klausel tatsächlich festhalten oder gar diesbezüglich einen Prozess in Kauf nehmen will. 162 C. Assistance-Klausel i. Geltungskontrolle Im Sinne der Schadensminderungspflicht, welche aus Art. 61 VVG resultiert, dürfte eine solche Klausel587 kaum als ungewöhnlich zu qualifizieren sein, ist doch der Versicherungsnehmer dazu angehalten, das Schadensausmass möglichst gering zu halten. Dennoch wäre es für den Versicherer ratsam, will er die Klausel mit Sicherheit im Vertragsinhalt wissen, mittels besonderer Hervorhebung auf diese Klausel hinzuweisen. Dies wird jedoch in der Praxis unterschiedlich gehandhabt. ii. Auslegungskontrolle Die in Frage stehende Klausel ist meines Erachtens, dem Wortlaut nach betrachtet, nicht unklar. Auch der Sinn und Zweck geht unzweideutig aus der Bestimmung hervor, wird doch eine klare Bedingung für die Leistungserbringung vorausgesetzt. Somit dürfte der Bestimmung von Art. 33 VVG rechtsgenüglich Folge geleistet worden sein. iii. Inhaltskontrolle Auch hier wird die Inhaltskontrolle im Sinne einer offenen gehandhabt. Vorab gilt es noch der Frage nachzugehen, ob denn in concreto eine Subsidiärklausel vorliegt. Betrachtet man die konkrete Formulierung, so lässt sich erkennen, dass dadurch vielmehr eine Bedingung (condicio) gesetzt wird, welche für eine Leistungserbringung erfüllt sein muss. Somit erübrigt sich meines Erachtens die Frage, ob das BPV, welches Subsidiaritätsklauseln mit grösster Zurückhaltung bewilligt,588 im vorliegenden Fall eine solche Bestimmung gutheissen würde. An Bedingungen geknüpfte Leistungen verstossen im Privatversicherungswesen meines Erachtens kaum gegen zwingendes Recht. Bei den Assistance-Klauseln hat alleine der Zufall, welche Notrufnummer dem Versicherungsnehmer zuerst in den Sinn gekommen ist bzw. welche er zuerst vorliegen gehabt hatte, gewirkt. Aus diesem Grunde drängt sich die Frage auf, ob nicht mit einer hypothe- 587 588 Vgl. auch vorne § 12 I 3. Maurer, PVR, S. 373, N 962. 163 tischen Einwilligung, welche aus dem Behandlungsvertrag zwischen Arzt bzw. Spital und Patient bekannt ist, argumentiert werden könnte. Mit dieser Konstruktion der hypothetischen Einwilligung des Patienten kann der infolge nicht rechtsgenüglicher Aufklärung erfolgte und damit rechtswidrige Eingriff gerechtfertigt werden. Auf die vorliegende Problematik bezogen, bedeutet dies Folgendes: Hätte die vom Versicherungsnehmer avisierte Versicherungsgesellschaft nämlich Kenntnis über eine Doppelversicherung gehabt, so wäre die Einholung der Einwilligung bzw. eine Koordination erfolgt. Diesfalls müsste ein Regress durchsetzbar sein. Für den Fall der Unkenntnis über die andere Versicherung könnte argumentiert werden, dass diese ohnehin eingewilligt hätte, weil sie aus Vertrag dazu verpflichtet gewesen wäre. Dies entspricht meines Erachtens einer hypothetischen Einwilligung. Zum gleichen Ergebnis führt eine analoge Anwendung der Regelung über die Geschäftsführung ohne Auftrag gemäss Art. 419 ff. OR. In diesem Sinne ist die organisierende Versicherung der Geschäftsführer und die passive Notfallzentrale der Geschäftsherr. Gemäss Art. 422 OR steht diesfalls ein sog. Verwendungsersatzanspruch zu, wonach der Geschäftsführer alle Aufwände, die notwendig, nützlich und den Verhältnissen angemessen waren, ersetzt erhält. iv. Ergebnis Lässt man die offene Inhaltskontrolle zu und zieht diesfalls das dispositive Recht zu Rate, gelangt man mit entsprechender Auslegung zum Ergebnis, dass die AssistanceKlausel ungültig und damit anfechtbar ist. Es bleibt abzuwarten, ob die Versicherer diese Ungereimtheit bereinigen werden. § 14. Ergebnis dritter Teil 1. In § 9 stand die „Gini/Durlemann-Praxis“ im Zentrum, da dadurch die Stellung des Privatversicherers nachhaltig bestimmt wird. Die Analyse dieser Praxis zeigte nicht unerhebliche Auswirkungen für den haftpflichtigen Arbeitnehmer auf, zumal dieser bei leichtfahrlässig verursachten Schäden den Regressansprüchen schutzlos gegenübersteht. Aufgrund einer methodologischen Interpretation der beiden Regressbestimmungen von Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 Abs. 1 VVG konnte festgestellt werden, dass die „Gini/Durlemann-Praxis“ systemfremd ist und auf einer falschen Auslegung des Begriffs 164 „unerlaubte Handlung“ basiert. Es besteht Hoffnung, dass dies nun auch das Bundesgericht erkannt hat, was sich aus BGE 126 III 521 ff. ableiten lässt. Damit würden auch die Diskussionen um den sog. Umkehrregress obsolet. 2. Als Hauptergebnis dieses dritten Abschnittes gilt die Feststellung, dass den Interessen der Eigenschadensversicherer und ihrer Versicherungsnehmer einzig ein integrales Regressrecht gerecht wird. Es konnten aber auf der anderen Seite auch Grenzen des Regresses von Schadensversicherern aufgezeigt werden: so etwa der Regress des Gebäudeversicherers auf den leichtfahrlässig handelnden Mieter oder der Regress des Kaskoversicherers auf den leichtfahrlässig handelnden Lenker. Analoge Überlegungen galt es auch betreffend den Motorfahrzeughaftpflichtversicherer anzustellen. Ob auch der Halter für grobfahrlässiges Verhalten des berechtigten Lenkers einzustehen hat, wurde hier im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung beantwortet: Der Halter kann nur dann regressweise belangt werden, wenn das Anvertrauen seines Fahrzeuges als grobfahrlässig zu betrachten ist. 3. Unter besonderer Beachtung des Privatversicherungsregresses wurde der Frage der Koordinationsklauseln nachgegangen. Dabei tritt eine der Deckungsausschlussklauseln in den Vordergrund. Es ist der Deckungsausschluss betreffend Hilfspersonen in der Betriebshaftpflichtversicherung. Die AGB-Kontrolle zeigt, dass dieser Klausel vor allem mit einer Inhaltskontrolle begegnet werden kann. Als weitere Besonderheiten gelten etwa die Mehrfachversicherung, die Verjährung und die Verrechnung. Gerade bei den letzten beiden Rechtsinstituten zeigte sich unter anderem, wie revisionsbedürftig die schweizerische Regressordnung ist. 165 IV. Teil: Schlussbetrachtung § 15. Zusammenfassung und Reformvorschläge I. Konsolidierung VVG und OR In dieser Arbeit ist unter anderem zum Ausdruck gekommen, dass die Vermischung von versicherungsrechtlichen Teilen mit jenen des allgemeinen Haftpflichtrechtes in der Vergangenheit als nicht geglückt eingestuft werden muss. Dies liegt nicht primär an einer verfehlten Gesetzgebung als solcher, sondern die Crux gründet in der Rechtsanwendung, wo vom Grundsatz der lex specialis abgewichen wurde. An der Lex-specialis-Lösung im Sinne von Art. 72 VVG ist meines Erachtens zwingend festzuhalten. Eine Trennung des Sachversicherungs- und des Haftpflichtversicherungsregresses drängt sich de lege ferenda auf. Da die Revision des Haftpflichtrechts nicht mehr weiter verfolgt wird, werden in dieser Arbeit lediglich Revisionsvorschläge hinsichtlich der hängigen VVG-Revision unterbreitet. Wie aus den erfolgten Erörterungen resultiert, wäre eine Beibehaltung der heutigen Regressregelung gemäss Art. 50 f. OR nicht zwingend negativ, liesse deren Auslegung aufgrund des Ausdrucks „in der Regel“ genügend Spielraum für eine gerechte Lösung. II. Stellung des Eigenschadensversicherers 1. Bemerkungen Das im VVG zu regelnde Regressrecht des Eigenschadensversicherers sollte – aufgrund der obigen Überlegungen – mit einem möglichst einfachen und umfassenden Rückgriffsrecht gelöst werden, um künftig allen Parteien ein sachgerechtes und rechtssicheres System bieten zu können. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der Schadensversicherer ein Leistungspflichtiger aus Vertrag und kein Haftpflichtiger ist. Diesem Anspruch kann nur ein integrales Regressrecht, analog demjenigen der Sozialversicherer gemäss ATSG, gerecht werden. Ausnahmen, wie der Zeitpunkt der Subrogation usw., bleiben natürlich vorbehalten. Das aufgezeigte Ziel besteht darin, das Risiko bzw. dessen finanzielle Belastung dem Verursacher und nicht dem Geschädigten aufzubürden. Dabei spräche einiges dafür, auch im VVG die Solidarität der Haftpflichtigen im Innenverhältnis zu stipulieren. 166 Es wurde gezeigt, dass den Versicherern bereits mit dem heute geltenden Recht ein integrales Regressrecht durch entsprechende Auslegung von Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 Abs. 1 VVG zugestanden werden könnte: entweder über eine teleologische und systematische Auslegung dieser Bestimmungen oder über die sektorielle Verteilung, wie sie OFTINGER/STARK vorschlagen. 2. Revisionsvorschlag Es wird vorgeschlagen, den heute gültigen Art. 72 VVG wie folgt zu ändern: Art. 72: Rückgriff des Eigenschadensversicherers Abs. 1: Variante 1: Der Versicherer tritt im Zeitpunkt des versicherten Ereignisses bis auf die Höhe der vertraglich geschuldeten Leistung in sämtliche Schadensausgleichsansprüche des Anspruchsberechtigten ein. Variante 2: Auf den Versicherer geht insoweit, als er Entschädigung geleistet hat, der Ersatzanspruch über, der dem Versicherungsnehmer gegenüber Haftpflichtigen, sowohl ausservertraglich als auch vertraglich, zusteht. Abs. 2: lit. a: Ein Rückgriffsrecht gegen Personen, die mit dem Anspruchsberechtigten in häuslicher Gemeinschaft leben, in enger Beziehung zum Versicherungsnehmer stehen wie namentlich Entlehner, Mieter, Pächter, Leasingnehmer, oder gegen dessen Arbeitgeber, steht dem Versicherer nur zu, wenn sie den Schaden absichtlich, vorsätzlich oder grobfahrlässig verursacht haben. lit. b: Hat der Haftpflichtige die Versicherungsprämie mitfinanziert, so beschränkt sich der Regress bei grobfahrlässiger Handlung auf die Kürzungsquote, wie sie sich aus Art. 14 Abs. 2 VVG ergibt. Liegt eine vorsätzliche Handlung vor, so besteht ein voller Regressanspruch. 167 Abs. 3: Auf die übergegangenen Ansprüche bleiben die ihrer Natur entsprechenden Verjährungsfristen anwendbar. Für den Regressanspruch des Versicherers beginnen jedoch die relativen Fristen erst mit dessen Kenntnis seiner Leistungen und der Person des Ersatzpflichtigen zu laufen. Abs. 4: Mehrere Haftpflichtige haften für Rückgriffsansprüche des Eigenschadensversicherers solidarisch. Abs. 5: Die Subrogation erfasst auch ein direktes Forderungsrecht der geschädigten Person gegenüber dem Haftpflichtversicherer. Einreden aus dem Versicherungsvertrag, die der geschädigten Person nicht entgegengehalten werden dürfen, können auch gegenüber dem Regressanspruch des Versicherers nicht vorgebracht werden. III. Stellung des Haftpflichtversicherers 1. Bemerkungen In dieser Arbeit wurde festgestellt, dass die heutige, von Lehre und Rechtsprechung entwickelte „Alter-ego-Praxis“ rechtsgenüglich ist und grundsätzlich zu sachgerechten Lösungen führt. De lege ferenda ist jedoch eine explizite Rückgriffsregelung im VVG hinsichtlich des Haftpflichtversicherers zu erlassen, damit von der heutigen analogen Anwendung Abstand genommen werden kann. 2. Revisionsvorschlag Es wird vorgeschlagen, die Regressordnung des VVG mit einem separaten Artikel betreffend Rückgriff des Haftpflichtversicherers zu ergänzen: 168 Art. 72a: Rückgriff des Haftpflichtversicherers Abs. 1: Der Haftpflichtversicherer tritt insoweit, als er Entschädigung an den Geschädigten geleistet hat, an die Stelle seines Versicherungsnehmers, welche dieser innerhalb der Solidargemeinschaft eingenommen hat. Abs. 2: Deckungsausschlüsse betreffend Regressansprüche sind insoweit ausgeschlossen, als für Direktansprüche Deckung besteht. Art. 72b: Rückgriff auf Haftpflichtige in einer Sonderstellung mit dem Geschädigten Abs. 1: Das Gericht kann den Umfang des Rückgriffs einschränken, wenn besondere Umstände, namentlich enge Beziehungen zwischen dem Haftpflichtigen und dem Geschädigten, es rechtfertigen. Eine solche enge Beziehung besteht namentlich bei Miet- und Pachtverhältnissen und gilt auch gegenüber öffentlich-rechtlichen Anstalten. Abs. 2: Handelte der in einer Sonderbeziehung stehende Haftpflichtige leichtfahrlässig, so entfällt das Rückgriffsrecht vollständig. Abs. 3: Allfällige Direktansprüche des Geschädigten werden von Abs. 1 und 2 nicht betroffen. 169 IV. Kein Deckungsausschluss in der Betriebshaftpflichtversicherung zulasten von Arbeitnehmern 1. Bemerkungen Der Deckungsausschluss in den Betriebshaftpflicht-AVB bezüglich der Arbeitnehmer und Hilfspersonen ist aufgrund der aufgezeigten Gründe fallen zu lassen. Die erfolgte Analyse hat zum Vorschein gebracht, dass eine solche Klausel nicht sozialverträglich ist und zudem auch gegen Treu und Glauben verstösst. Solange weder der Gesetzgeber noch das Bundesgericht dieser Praxis Einhalt gewähren, wäre der SVV gefordert, diesbezüglich eine einheitliche Regelung zu erlassen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil diese Klausel in Kombination mit der „Gini/Durlemann-Praxis“ zu endlosen Diskussionen führt, wer nun den Schaden de facto verursacht hat. 2. Revisionsvorschlag Es wird vorgeschlagen, den heute gültigen Art. 59 VVG wie folgt zu ändern und in Art. 97 VVG unter die zwingenden Bestimmungen aufzunehmen: Hat sich der Haftpflichtversicherer gegen die Folgen der mit einem gewerblichen Betriebe verbundenen gesetzlichen Haftpflicht versichert, so erstreckt sich die Versicherungsdeckung insbesondere auf die Haftpflicht der Vertreter, der Arbeitnehmer und der Hilfspersonen des Versicherungsnehmers; mit eingeschlossen sind die daraus resultierenden Regressansprüche. V. Zeitlicher Deckungsbereich in der Haftpflichtversicherung 1. Bemerkungen Im Zusammenhang mit der Verjährung von Ausgleichsansprüchen wurde festgestellt, dass im zeitlichen Deckungsbereich Handlungsbedarf besteht, um ungewollte Deckungslücken zu schliessen. Dabei stellt die subrogierte Forderung keine Schwierigkeiten dar. 170 2. Revisionsvorschlag Es wird vorgeschlagen, folgende Bestimmung – im Sinne der Verursachungstheorie – ins VVG aufzunehmen: Die Deckung des Haftpflichtversicherers erstreckt sich in zeitlicher Hinsicht auf sämtliche Schäden, die während der in der Police vereinbarten Versicherungsdauer verursacht wurden. 171 Anhang: Allgemeine Versicherungsbedingungen 1 AVB MobiCasa Multirisk, Ausgabe Mai 2004 2 AVB MobiPro Multirisk, Ausgabe November 2004 Empfehlungen des SVV 1 Regresskodex für alle Gesellschaften des SVV 2 Empfehlung der Schadenleiterkommission des SVV Nr. 17/1999, Anspruchskonkurrenz 3 Empfehlung der Schadenleiterkommission des SVV Nr. 2/1994, Fehlerhafte bauliche Konstruktion als Ausschlussgrund in der Wasserversicherung 4 Empfehlung der Kommission Schaden- und Rechtsdienst des SVV Nr. 2.02.01, Abgrenzung; Fremd- und Aussenversicherung 5 Empfehlung der Kommission Schaden- und Rechtsdienst des SVV Nr. 2.02.02, Abgrenzung; Aufteilung der Entschädigung bei mehrfacher Versicherung; inkl. Ergänzung zur Empfehlung SRD Nr. 2.02.02. 6 Empfehlung der Schadenleiterkommission des SVV Nr. 2/2001, Kaskoversicherung mit Zeitwertzusatz 172