Persönliche PDF-Datei für M. F. Langer, B. Wieskötter, S

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Persönliche PDF-Datei für M. F. Langer, B. Wieskötter, S
Persönliche PDF-Datei für
M. F. Langer, B. Wieskötter, S. Oeckenpöhler, S. Breiter
www.thieme.de
Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag
Akute Infektionen im Bereich
des Fingernagels – die akuten
Paronychien
DOI 10.1055/s-0034-1365029
Handchirurgie Scan 2014; 3: 69–85
Nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
Keine kommerzielle Nutzung, keine Einstellung
in Repositorien.
Verlag und Copyright:
© 2014 by
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14
70469 Stuttgart
ISSN 2194-8976
Nachdruck nur
mit Genehmigung
des Verlags
Fortbildung
Akute Infektionen im Bereich des
Fingernagels – die akuten Paronychien
Martin Franz Langer, Britta Wieskötter, Simon Oeckenpöhler, Sarah Breiter
Übersicht
der Nagelregion, der Infektionsausbreitung und
Einleitung
Diagnostik
Therapie
Komplikationen
69
72
74
80
der schonenden Zugangswege. Grundsätzlich
sollte bei der operativen Therapie der Infektionsherd gewebeschonend eröffnet und das infizierte
Gewebe möglichst vollständig entfernt werden.
Die Wundheilung kann dann sofort einsetzen. Bei
den „einfachen Abszess-Inzisionen“ werden nur die
Zusammenfassung
bereits verflüssigten infizierten Anteile entfernt
Infektionen im Bereich des Fingernagels (Parony-
und im Körper müssen die noch fest ansitzenden
chien) sind aufgrund der exponierten Lage ver-
infizierten Gewebeanteile verflüssigt oder in
gleichsweise häufig. Die Paronychien sind aber
Narbengewebe umgewandelt werden, bevor
nicht einheitlich, sondern je nach Lokalisation
Heilungsvorgänge einsetzen können. Daher ist
sehr variabel und sollten je nach Typ und Aus-
die gezielte Exzision des infizierten Gewebes die
prägung auch unterschiedlich behandelt werden.
schnellste, schonendste, kostengünstigste und
Außerordentlich wichtig für die Diagnose und
sowohl funktionell als auch kosmetisch beste
Behandlung sind genaue Kenntnisse der Anatomie
Behandlung.
Einleitung
Obwohl die Paronychie zu den häufigsten Erkrankungen der Hand gehört, finden sich in der Literatur ver-
Der Nagelbereich ist aufgrund der exponierten Lage
gleichsweise nur sehr wenige spezielle Publikationen
und der natürlichen Vertiefungen des Nagelfalz am
zur pathologischen Anatomie und Therapie. Entspre-
Übergang von der Nagelplatte zum Nagelwall prädesti-
chend häufig sind leider die langwierigen Verläufe und
niert für das Eindringen von Fremdkörpern. Dadurch ist
die kosmetisch oder funktionell ungünstigen Resultate
die Fingerspitze mit Abstand der am häufigsten von
nach falscher Schnittführung. Schon A. B. Kanavel [14]
Infektionen betroffene Bereich der oberen Extremität.
schrieb in seinem klassischen Buch von 1914 „Infections of the Hand“ über die Behandlung der Paronychie:
Die Paronychie hat mit 35 % bis zu 63 % [1, 18, 27] den
„Among the infections of the distal phalanx, is none
größten Anteil unter den Infektionen an der Hand.
apparently so simple as the paronychia and yet they
baffle treatment for some weeks, since the pathology
Merke: Trotz hoch spezialisierter Antibiotikathera-
may not be understood.“
pie ist die operative Intervention die schnellste,
effektivste und in der Regel auch kostengünstigste
Einige Fachdisziplinen, die eher nicht chirurgisch
Therapieform.
tätig sind, behandeln Paronychien nur mit Antibiotika.
Jeder Handchirurg, der einem von einer Paronychie
Wie in zahlreichen Publikationen [11, 15] immer wie-
schmerzgeplagten Patienten in wenigen Sekunden
der betont wird, ist die profunde Kenntnis der topo-
ohne großen Aufwand von seinen Qualen erlöst hat,
grafischen Anatomie bei Infektionen an der Hand für
wird es nicht nachvollziehen können, dass die
die gezielte Behandlung der entscheidende Faktor.
Beschwerden dieser Patienten durch alleinige Antibiotikatherapie nach 1 Woche nur etwa halbiert
Handchirurgie Scan 1
ê 2014 ê DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1365029 ê VNR 2760512014144214003
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Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
Abb. 1 Oberflächenanatomie der
Nagelregion.
richtig chirurgisch-anatomisch interpretieren zu könProximaler Nagelwall
nen, müssen sehr detaillierte anatomische und pathologisch-anatomische Kenntnisse der Nagelregion vor-
Eponychium
handen sein. Daher wird die Anatomie dieser Region
„gelbe Linie“
Onychocorneales
Band
vorab genauer dargestellt.
Lunula
Freier
Nagelrand
Cuticula
(Nagelhäutchen)
Lateraler Nagelwall
Nagelfalz
Anatomie der Nagelregion
Die Nagelplatte (Corpus unguis) ist am Finger am freien
distalen Rand (Margo liber) etwa 0,5 mm dick. Etwa
Dreiviertel der Nagelplatte sind sichtbar, ein Viertel ist
vom proximalen Nagelwall zu etwa 4 – 6 mm und vom
Abb. 2 Verdeckter
Anteil der Nagelplatte.
lateralen Nagelwall zu 1 – 2 mm bedeckt. Die kleine
Umschlagfalte der Nageltasche
mit Mörike’schem Halfter
Furche am Übergang von der Nagelplatte zum Nagelwall wird Nagelfalz genannt (Abb. 1).
Dorsaler Anteil
der Nageltasche
Der unter dem proximalen Nagelwall liegende Anteil
Eponychium
der Nagelplatte erscheint weißlicher und ist deutlich
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
weicher. Häufig reicht der weiße Anteil noch „möndPars occulta
der Nagelplatte
chenförmig“ über den proximalen Nagelwall (Vallum
unguis) hinaus und wird als Lunula bezeichnet. Der
nicht sichtbare Abschnitt der Nagelplatte (Margo
occultus) liegt in der Nageltasche (Sinus unguis). In
dieser Nageltasche wird der Nagel gebildet, anschließend nur noch nach distal vorgeschoben. Die Nageltasche besteht aus 2 Blättern (Abb. 2):
Abb. 3 Aufsicht
auf das Nagelbett.
█
Germinative Matrix
Oberhalb (dorsal) der Nagelplatte findet sich das
Eponychium, das am freien Nagelrand endet,
█
unterhalb (palmar) der Nagelplatte das Hyponychium, das die gesamte Nagelplatte mit dem Nagelbett
(Lectulus unguis) verbindet.
An der Bildung der Nagelplatte ist vor allem der palSterile Matrix mit
Cristae lectuli unguis
mare Anteil beteiligt. Der proximale Anteil des Nagel-
Onychocorneales Band
Lunula genannt und hebt sich durch die helle Färbung
betts wird daher auch die germinative Matrix oder
von dem distalen, rosa gefärbten Nagelbett (sterile
Matrix) ab. Dieser distale Anteil des Nagelbetts ist
durch längsverlaufende Leisten (Cristae lectuli unguis)
werden [29]. Daher ist es auch nicht verwunderlich,
gekennzeichnet, die für den festen Halt der Nagelplatte
dass chirurgisch tätige Kollegen bei eindeutigen Infek-
sorgen (Abb. 3).
tionen sich nicht nur auf Antibiotika verlassen. Ergo
fehlen Studien für einen Vergleich und deshalb gibt es
Kurz vor dem distalen freien Rand des Nagels laufen
im Zusammenhang mit „Evidence-based-Medicine“-
Nagelplatte, Hyponychium und die Hornhaut der Fin-
Untersuchungen wissenschaftlich keinen Nachweis,
gerkuppe zusammen und bilden eine feste Verbindung,
dass eine alleinige Antibiotikatherapie besser oder
die dafür sorgen muss, dass unterhalb des Nagels keine
schlechter als eine operative Maßnahme ist [6].
Fremdkörper eindringen können. Diese Zone erscheint
auf dem Nagel als gelbe Linie (Pinkus-Linie), unterhalb
Die Formen und Ausprägungen von „Paronychien“ sind
des Nagels als verdickte Hornschicht und wird Sohlen-
sehr unterschiedlich und auch die Behandlung variiert
horn genannt (Abb. 4).
sehr stark von Lokalisation und Stadium. Um diese verschiedenen Formen vor dem Ansetzen eines Skalpells
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Fortbildung
Der Übergang vom Nagelwall zur Dorsalseite des
Nagels wird durch das Eponychium, das sich etwas auf
Abb. 4 Längsschnitt durch die
Nagelplatte und
das Nagelbett mit
Aufsicht auf den
Endgliedknochen
mit Blutversorgung.
Palmarer Anteil
der Nageltasche
die Nagelplatte schiebt, sowie ein weiteres dünnes
Häutchen, die Kutikula, abgedichtet (Abb. 5). Die
Endgliedschaft
Abdichtung durch das Eponychium ist so effektiv wie
die Silikonmasse in den Fugen in Duschen und Bädern.
Da das Eponychium relativ schnell wieder mit der
71
Nagelbett
Hyponychium
Flint’sches Band
Nagelplatte verklebt, können eingedrungene Fremd-
Gefäßversorgung
des Nagelbettes
Retinacula cutis
körper und Bakterien nur sehr schlecht vom Körper
wieder eliminiert werden – es kommt zur Infektion.
Sohlenhorn
Nagelkranz
Nomenklatur
Abb. 5 Querschnitt durch das
Nagelbett.
Die Infektionen im Bereich des Nagelwalls werden
meist sehr ungenau und verallgemeinernd („Panarihäufig dazu, dass alle unterschiedlichen Infektionen
unkritisch stereotyp operiert werden. Die folgenden
Hyponychium
Nagelbett
Begriffe werden häufig synonym gebraucht, bezeich-
Eponychium
und Nagelfalz
nen aber meist unterschiedliche Infektionsorte
und Infektionsstadien:
█
Paronychie,
█
Bulla infecta,
█
Panaritium,
█
Panaritium parunguale,
█
Nagelpanaritium,
█
Panaritium intracutaneum,
█
periunguales Panaritium,
█
epitheliale Eiterblase,
█
Umlauf,
█
Run-around,
█
Paronychia,
█
Whitlow,
█
Eponychie,
█
Hyponychie,
█
Kragenknopfpanaritium [21].
Seitliche Nageltasche
Retinacula cutis
Endgliedknochen
Abb. 6 Ätiologie
der Paronychien.
Zu weites
Zurückschieben
der Kutikula bei
der Maniküre
Einrisse am
Eponychium
Niednagel
Splitter, Dornen
etc. dringen in
den Nagelfalz ein
Subunguale Eiterbildung: Panaritium subunguale,
„Floater“ [8].
Epidemiologie
Ätiologie
Die Paronychie tritt mit einem Verhältnis von 3:1 ver-
Die häufigste Entstehungsursache sind kleine unbe-
mehrt bei Frauen auf. Jedes Alter vom Säugling bis
merkte Verletzungen bei handwerklichen Tätigkeiten
ins hohe Alter kann vorliegen, am häufigsten im Alter
aller Art durch Eindringen von Splittern, Dornen oder
zwischen 15 und 65 Jahren.
ähnlichem in den Nagelfalz, die Umschlagfalte des
Nagelwalls (Abb. 6). Ellis [8] wies auf die Entstehung der
Infektion durch Verletzung der Kutikula und des Eponychiums bei übertriebener Maniküre hin. Kleine Einrisse des Eponychiums führen zu winzigen, aber störenden Eponychiumspornen (Niednagel, Neidnagel,
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Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
tium“) bezeichnet. Diese Ungenauigkeit führt leider
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Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
„Hangnail“), die gerne mit den Zähnen abgerissen oder
Diagnostisches Vorgehen
abgekaut werden. Dadurch können Infektionen mit
Bakterien der Mundflora entstehen.
Merke: Die Diagnose wird klinisch anhand der
Symptomatik gestellt.
Keimspektrum
Nur bei anamnestischen Hinweisen (z. B. Metallfremdkörper) und längerer Krankheitsdauer (Osteitis) sind
Mit Abstand am häufigsten sind ubiquitäre Keime, vor
auch Röntgenaufnahmen hilfreich. In einigen Fällen
allem Staphylokokken, Streptokokken oder Misch-
kann eine Diaphanoskopie (Durchleuchten mit einer
infektionen (aus dem Mund), seltener Pneumokokken,
hellen Lampe) [26] oder auch eine Ultraschallunter-
Neisserien, Gonokokken [3], Escherichia coli, Proteus
suchung schnell weitere Aufschlüsse geben.
[20].
Pohl (1948) [20] fand in seinen Proben Staphylokokken
Differenzialdiagnose
etwa 20-mal häufiger als Streptokokken:
█
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
█
Er bezeichnete Staphylokokkeninfektionen als „gut-
Die akute Infektion ist meist sehr eindeutig und hat
artiges Panaritium“, da diese Infektionen abgegrenzte
kaum Differenzialdiagnosen. In der Frühphase kann die
Herde mit dickem Eiter bilden, wenig Neigung zur
Abgrenzung von einer beginnenden Herpesinfektion
Ausbreitung in die Tiefe zeigen und nach einem stür-
sehr schwierig sein [10]. Länger andauernde Infektio-
mischen Verlauf nach der Operation rasch abklingen.
nen können ungewöhnliche Keime enthalten, aber
Streptokokkeninfektionen seien dagegen eher „bös-
auch durch Tumoren [13] und Metastasen vorgetäuscht
artige Panaritien“, da die Infektionen sich schneller in
werden. Ähnlichkeiten mit einer akuten Paronychie
die Tiefe ausbreiten, keine Tendenz zur Abgrenzung
können auch bei der Psoriasis und dem Morbus Reiter
zeigen und nur ein trübes Exsudat oder dünnflüssi-
auftreten [22].
gen Eiter bilden.
Bei chronischen Fällen sollte an Trichophyten, Monilia-
Bildgebende Diagnostik
sis, Mykobakterien oder Syphilis gedacht werden [5].
Bei einer Infektion mit Pseudomonas aeruginosa kann
Eine Röntgenaufnahme ist nur dann notwendig, wenn
es zu einer Grünfärbung des Nagels („green nail syn-
sich anamnestisch Hinweise auf Frakturen, Fremdkör-
drome“) kommen.
per oder Infektionen des Knochens herausstellen. Im
Anfangsstadium sind radiologische Untersuchungen
nicht erforderlich.
Diagnostik
Symptomatik und Klinik
Labordiagnostik
Die Infektionen beginnen mit einer leichten Rötung
Die Entnahme von Gewebematerial für die mikrobio-
und Berührungsempfindlichkeit am Nagelwall. Die
logische Untersuchung ist nicht einfach, da sehr schnell
Schmerzen nehmen ständig zu und es kommt auch zu
Hautkeime mit in die Proben gelangen können. Grund-
einem nächtlichen Pochen und stark schmerzhafter
sätzlich gilt, dass entnommenes Gewebe günstiger ist
Berührungsempfindlichkeit. Die Rötung wird intensi-
als Eiter. Blutuntersuchungen sind nur in ungewöhnli-
ver und unter die Hornhaut schiebt sich dann meist
chen Fällen erforderlich. Bei den meisten Paronychien
eine gelbliche Eiteransammlung. Mit zunehmender
sind im Blut die Anzahl der Leukozyten und das CRP im
Dauer und Ausbreitung der Infektion schwellen auch
Normbereich und bieten somit keine Hilfe für die Diag-
das gesamte Fingerendglied und später der ganze Fin-
nose oder die Indikation zur Operation [7].
ger an. Die Rötung verläuft mit dem Lymphabfluss eher
zur Streckseite nach proximal. Fieber tritt meist nur
dann auf, wenn tiefere Infektionen vorliegen.
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Fortbildung
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Prinzipien
Allgemeine Regeln für Inzisionen im Bereich des Nagelwalls
Die Haut des Nagelwalls weist eine
Abb. 8
Abb. 9
Durchblutung der Dermis am Fingerendglied.
strengen Rahmen (Abb. 8, Abb. 9,
bei der Wahl der Inzision unbe-
Abb. 10). Muss der seitliche Nagel-
dingt berücksichtigt werden muss
wall inzidiert werden, so sind
(Abb. 7). Die Haut des proximalen
Schnitte parallel zum Nagel günsti-
Nagelwalls wird durch Gefäße ver-
ger als quere radiäre Schnitte. Der
sorgt, die längs und leicht radiär
Abstand vom Nagelfalz muss aber
auf den proximalen Nagelfalz verlaufen. Hier sind auch die Schlau-
so gewählt werden, dass die nagelseitige Haut keine Durchblutungs-
fen der Kapillaren einschichtig und
störungen bekommt. Für einen
bieten einen sehr guten Ort für die
1 cm langen Hautschnitt muss
Kapillaroskopie. Die seitlichen
nach der 1:1-Regel daher ein
Nagelwälle weisen dagegen keinen
Abstand von 5 mm eingehalten
radiären Gefäßverlauf auf den
werden.
Nagelfalz auf, sondern einen streng
Schnitte am proximalen Nagelwall
parallelen Verlauf [24].
Für die Hautschnittführung gelten
werden dagegen radiär angelegt,
wobei meistens eine einzige Inzi-
die allgemeinen Regeln der Lap-
sion für die Exzision des Abszesses
penplastiken (z. B. die 1:1-Längen-
ausreichend ist. Aufgrund der
Breiten-Regel für Lappen mit zufäl-
unterschiedlichen Durchblutung
liger Durchblutung) – nur auf sehr
sollten am proximalen Nagelwall
viel kleinerem Raum und mit
keine Schnitte parallel zum proxi-
bereits vorliegenden Begrenzun-
malen Nagelfalz angelegt werden.
Günstige Schnittführung am Nagelwall.
a
b
c
d
Ungünstige Schnittführung am Nagelwall.
Abb. 10 1:1-Regel bei Schnittführungen am Nagelwall und Folgen einer ungünstigen
Schnittführung. a Schema der 1:1-Regel. b Durchblutungsstörung zeichnet sich langsam ab.
c Zentraler Bereich der Hautbrücke ist nekrotisch. d Defekt des lateralen Nagelwalls nach
8 Wochen, sichtbar ist jetzt auch eine Verletzung der germinativen Matrix.
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Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
Abb. 7
gen durch die Nagelplatte in einem
besondere Durchblutung auf, die
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Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
Therapie
verwenden wir nur einen singulären Einstich von der
Palmarseite durch die Grundgelenkbeugefurche) zu
Anästhesie
signifikanten Komplikationen bei der Paronychie
geführt hätte [7].
Für die Befreiung des Eiters ist nicht bei allen Paronychien eine Anästhesie erforderlich.
Weitere proximale Leitungsanästhesien (Medianus,
Ulnaris, Plexus) sind möglich, allerdings sollte in der
Merke: Eine lokale Injektion am Endglied oder
Achselhöhle keine Injektion vorgenommen werden,
Mittelglied sollte nicht nur aufgrund der Nähe zum
wenn eine Lymphangitis oder Lymphadenitis vorliegt.
Infektionsort, sondern auch wegen der Schmerzhaftigkeit unterlassen werden.
Ebenso ist die intravenöse Regionalanästhesie nach
Bier durch das erforderliche gründliche Auswickeln
In der Literatur finden sich aber keine Hinweise, dass
und die Platzierung der Verweilkanüle am Handrücken,
eine Oberst-Anästhesie an der Basis des Fingers (statt
also im Lymphabstromgebiet der Hand, grundsätzlich
der klassischen doppelten Einstichmethode von dorsal
ungünstig.
Konservative Behandlung
In vielen Publikationen wird eine konservative Thera-
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
pie empfohlen, wenn noch kein definierter Abszess zu
sehen ist. Es werden dann warme Seifenbäder, protektive Verbände, Antibiotika und früher sogar tiefe Röntgenbestrahlungen [5] empfohlen. Eine Ruhigstellung
ist dabei immer erforderlich.
a
Bei (leichteren?) Formen der Paronychie kann eine
b
konsequente Antibiotikatherapie die Infektion zur
Abb. 11 a Klinisches Bild einer beginnenden Bulla infecta. b Ausbreitung der Eiterblase
entlang des Nagelwalls (Umlauf).
Ausheilung (Vernarbung) bringen. Die Aussage, dass die
Beschwerden nach 1 Woche alleiniger Antibiotikatherapie etwa halbiert werden [29], kann einen Handchirurgen nicht zufrieden stellen.
Operative Behandlung gemäß Stadieneinteilung/Klassifikation
Die Stadieneinteilung/Klassifizierung [17] wird am
typischen Fall einer seitlichen Nageltascheninfektion
dargestellt und die Beschreibung der entsprechenden
a
b
Behandlungsart direkt angeschlossen. Die Eingriffe bei
Infektionen am proximalen Nagelwall (auch Eponychie
genannt) und distalen Nagelrand (auch Hyponychie
genannt) werden exemplarisch dargestellt.
█
Stadium/Typ I (Bulla infecta, Umlauf)
Der Splitter oder die Bakterien haben das Eponychium
durchbrochen, sind aber nur bis an die Lederhaut
gekommen und haben die Lederhaut nicht durchbroc
d
Abb. 12 Stadium I der Paronychie (Bulla infecta). a Schemazeichnung der Eiteransammlung (grün) im Querschnitt. b Klinisches Bild. c Eröffnung der Blase. d Abtragung der
Blasenhülle und Untersuchung auf Perforationsstellen.
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chen. Es entsteht reichlich Eiter um den Fremdkörper.
Der Eiter kann durch das bereits wieder verschlossene
Eponychium nicht nach außen transportiert werden
und breitet sich zwischen den unteren Schichten der
Fortbildung
Hornhaut in die Breite aus (Bulla infecta). Am leichtes-
75
Abb. 13 Klinisches
Bild einer Paronychie Stadium II.
ten kann sich die Eiterblase entlang des Nagelwalls
ausbreiten und scheint den Fingernagel zu umlaufen
(Umlauf, „Run-around“) (Abb. 11, Abb. 12).
Therapeutisch reicht es in der Regel aus, die Blase
abzutragen. Dies kann meist ohne Betäubung durchgeführt werden, da die Hornschicht weder Blutgefäße
noch Nerven enthält. Der Wundgrund sollte nach
Splittern, Fremdkörpern usw. abgesucht werden.
Ist der Wundgrund noch stark gespannt, ist es wahrscheinlich, dass Bakterien doch noch durch die Lederknopfpanaritium vorliegt. Dies ist ein höheres Stadium
der Erkrankungen und wird unter Stadium III
beschrieben.
Nach Abtragung der Blase ist das Spannungsgefühl
sofort beseitigt und es reicht ein Feuchtverband für
1 – 2 Tage zur weiteren Behandlung. Eine Antibiose
ist nicht notwendig.
█
Stadium/Typ II
Ist der Splitter tief in die Nageltasche eingedrungen,
wird dort Eiter gebildet und in der Nageltasche entsteht
erst sichtbar werden, bevor man eine Druckentlastung
ein hoher Druck. Der Nagelwall ist deutlich gerötet und
vornimmt. Ein Abszess bedeutet auch, dass Gewebe
druckschmerzhaft, aber nirgends kann ein Abszess
nekrotisch geworden ist. Handchirurgisches Ziel ist ein
oder eine Fluktuation ausgemacht werden (Abb. 15,
Einschreiten, bevor Gewebe geschädigt wird.
Abb. 13). Viele Autoren raten in diesem Fall zunächst
zur konservativen Therapie mit warmen Feuchtver-
Daher sollte bei der Operation das Eponychium vorsich-
bänden und Antibiotikatherapie. Der Sinn dieser war-
tig mit einem kleinen Elevatorium, einer anatomischen
men Feuchtverbände ist lediglich, dass verkrustete und
Pinzette oder einem Blatt einer Präparierschere von
verschlossene Öffnungen des Eponychiums aufge-
der Nagelplatte gelöst oder sogar mit einem Skalpell
weicht werden und der eingeschlossene Eiter dadurch
unter Lupenbrillenvergrößerung lokal exzidiert und der
befreit werden kann [14]. Ein Abszess muss aber nicht
seitliche Nagel vorsichtig abgehoben werden (Abb. 14).
a
b
c
d
Abb. 15 Stadium II der Paronychie. a Schema der Eiteransammlung im Querschnitt. b Klinisches Bild ohne sichtbaren Eiter. c Eponychiektomie und Anheben des
lateralen Nagelwalls. d Befreiung des Eiters.
Handchirurgie Scan 1
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Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
Abb. 14 Operatives Vorgehen im
Stadium II.
Ablösung des Eponychiums mit dem
Skalpell und vorsichtiges Abheben
des Nagelwalls von
der Nagelplatte mit
dem Elevatorium.
haut in die Tiefe gelangt sind und dass ein sog. Kragen-
76
Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
a
Abb. 17 Zunächst sollte versucht werden, den Abszess von der
Verletzungsseite aus zu eröffnen und zu exzidieren. Dabei kann
auch ein kleiner Scharfer Löffel gute Dienste leisten.
b
Abb. 16 a Klinisches Erscheinungsbild einer Paronychie Stadium III. b Querschnitt mit
Verteilung des Eiters im Stadium III.
OP-Schritte und Tricks
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
Eine Blutsperre (ohne Auswickeln des Fingers/Armes)
oder reduzierte Blutleere (ohne Auswickeln des infizierten Bereichs) erleichtert die Identifikation der
infizierten und nekrotischen Gewebeanteile.
█
Stadium/Typ III
Sind Bakterien durch die Lederhaut in das subkutane
a
Fettgewebe gelangt, entsteht ein echter Abszess im
Nagelwall (Abb. 16). Ziel der Operation, die nicht mehr
ohne adäquate Betäubung (Oberst-Anästhesie, Plexusb
anästhesie oder Vollnarkose) auskommt, ist es, das
Abb. 18 Vorgehen bei drohender Perforation am Nagelwall. a Das Skalpell wird auf
die Nagelplatte aufgesetzt und durch die Nageltasche durch den Nagelwall geschoben.
Dadurch kann das Nagelbett nicht verletzt werden. b Schnittrichtung im Querschnitt.
Das Messer darf auch nicht zu steil gestellt werden, um keine Gefäße oder Nerven auf
der Beugeseite zu verletzen.
infizierte und nekrotische Gewebe möglichst schonend
und vor allem vollständig zu entfernen.
Die frühere Lehrmeinung „Inzision, Gegeninzision und
Laschendrainage“ ist überholt. Der Körper kann erst
mit Reparaturarbeiten beginnen, wenn das nekrotische
und infizierte Gewebe vollständig entfernt ist. Dies
Dies ist in der Regel ohne Betäubung und Fingerblut-
kann und muss der Handchirurg bei dem Eingriff
leere möglich. Ogunlusi [19] verwendet hierzu eine
erreichen. Dadurch wird der Prozess der Wundheilung
21-G- oder 23-G-Kanüle, gefolgt von einer 5-tägigen
ernorm verkürzt. Bei einer „Inzision, Gegeninzision
oralen Antibiotikatherapie.
und Laschendrainage“ kann nur das bereits verflüssigte
Gewebe ablaufen, während das noch fest anhaftende
In den meisten Fällen entleert sich dann der in der Tiefe
nekrotische, infizierte Gewebe in den folgenden Tagen/
versteckte Eiterherd und der Patient spürt sofortige
Wochen erst verflüssigt werden muss.
Erleichterung. Die Höhle sollte ausgespült, gereinigt
und auf verbliebene Fremdkörper untersucht werden.
Es ist naheliegend, dass die Eindringpforte über die
Ein Feuchtverband für 2 – 3 Tage und Fingerbäder in
Nageltasche erfolgte und der Abszess hier am scho-
Seifenlösung reichen als Weiterbehandlung vollkom-
nendsten eröffnet werden kann. Nach Inzision mit dem
men aus, eine Antibiose ist nicht erforderlich.
Skalpell kann die Abszesshöhle mit einem kleinen
scharfen Löffel ausgekratzt oder das nichterholungs-
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Fortbildung
77
a
b
auch hier noch eine Inzision/Exzision der geschädigten
Haut (Abb. 18, Abb. 19). Es ist vorteilhaft, wenn der
Schnitt von der Nagelplatte aus begonnen wird, da
dadurch das Nagelbett besser geschont werden kann
(s. a. Abb. 10 d). Aufgrund der Durchblutungssituation
sollte auf jeden Fall immer ein Abstand zum lateralen
Nagelwall von etwa 5 mm gehalten werden.
Ein Feuchtverband und 3 – 4 Fingerbäder für 5 – 10
Minuten pro Tag verhindern, dass sich Krusten bilden,
die ein Ablaufen von Sekreten verhindern könnten.
Abb. 19 a Laterale Inzisionserweiterung mit sofortiger Eiterentleerung. b Weitere Eiterentleerung bei geringem Druck. c Großzügige Schnitterweiterung zur kompletten Exzision des Abszesses.
Die Wunden heilen dann sekundär innerhalb von
2 – 3 Wochen ab.
█
Stadium/Typ IV
Bei dieser Infektion hat sich der Abszess zusätzlich
fähige Gewebe mit einer feinen Schere ausgeschnitten
noch unter die Nagelplatte ausgebreitet (Abb. 20). Die
werden (Abb. 17). Es folgt eine Spülung mit NaCl 0,9 %
Operation muss um eine (Teil-)Entfernung der Nagel-
oder einer antiseptischen Lösung (Vorsicht beim Ein-
platte erweitert werden. Die Nagelplatte muss meist
satz von Octenisept®!). Octenisept® kann bei längerer
nicht komplett entfernt werden. Die eigene Nagelplatte
Einwirkzeit direkt auf Gefäße, Nerven, Muskeln und
ist immer der beste Schutz für das Nagelbett. Wenn nur
Fettgewebe Schwellungen und Rötungen der Gewebe
kleine Anteile der Nagelplatte unterminiert sind, so
hervorrufen, die eine weitere Infektion vortäuschen,
reicht es, wenn nur dort die Nagelplatte entfernt wird,
wochenlang bestehen bleiben können und die drin-
ist mehr als 50 % des Nagelbetts unterlaufen, so sollte
gend notwendige Handtherapie erschweren [9, 12].
die gesamte Nagelplatte entfernt werden.
Meist ist die Haut an der Lateralseite des Fingerend-
Der laterale Nagelplattenrand wird in ausreichender
glieds noch so stabil, dass hier keine Inzision bzw.
Betäubung angehoben und die Nagelplatte über dem
Exzision vorgenommen werden muss. War die Infek-
Abszess mit einer kleinen kräftigen Schere oder einem
tion schon kurz vor dem Durchbruch, empfiehlt sich
Skalpell exzidiert (Abb. 21). Damit das Nagelbett nicht
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Abb. 20 a Klinisches Erscheinungsbild einer subungualen Eiterausbreitung (Stadium IV).
b Querschnitt durch eine Paronychie Stadium IV.
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Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
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Abb. 21 Der laterale Rand der Nagelplatte wird angehoben und mit einer
kleinen Schere lokal
begrenzt herausgeschnitten.
Abb. 23
Klinisches Bild einer Eponychie.
Abb. 24
Klinisches Bild einer Hyponychie.
a
Amputation des betroffenen Fingergliedes ist allerdings
sehr groß. Die operative Vorgehensweise ist auch hier
eine schonende, aber kompromisslos radikale Infektionsexzision.
b
█
Abb. 22 a Stadium V der Paronychie, das Fingerendglied ist ganz gerötet und geschwollen, seitlich steht der Abszess vor der Perforation. b Querschnitt mit Ausbreitung des
Abszesses in tiefer gelegene Strukturen (Knochen).
Eponychie und Hyponychie
Siehe hierzu Abb. 23 bis Abb. 28.
Eine Infektion unterhalb des proximalen Nagelwalls
kann leichter als die seitlichen Nagelwallinfektionen
austrocknet, sollte bis zum Überstehen der Infektion
innerhalb der Nageltasche auch unter die weiche
ein Feuchtverband, anschließend ein nichtklebender
Nagelplatte gelangen und daher hier zu Nagelwachs-
Verband (Silikon, Fettgaze) aufgelegt werden. Nach
tumsstörungen führen (Abb. 23). Auch der Abstand
etwa 3 Wochen ist das nichtbedeckte Nagelbett ausrei-
zum Endgelenk ist nur kurz und es ist möglich, dass
chend stabil, um nur noch von einem trockenen Pflas-
durch eine weitere proximale Ausbreitung ein End-
ter geschützt zu werden.
gelenkempyem entsteht [25].
█
Stadium/Typ V
Merke: Die früher häufig empfohlene doppelseitige
Bei dieser Maximalform hat sich die Infektion in tiefer
Inzision des proximalen Nagelwalls kann durch
liegende Strukturen wie Knochen oder Sehnenschei-
Retraktion und durch zu langes Belassen von Drai-
den [16, 23] ausgebreitet (Abb. 22). Diese Form der
nagen zu Komplikationen führen. Eine einseitige
Infektion ist heute aufgrund der begleitenden Antibio-
Inzision reicht fast immer vollkommen aus, um den
tikatherapie und des aggressiveren chirurgischen Vor-
gesamten Infektionsherd zu beseitigen.
gehens insgesamt seltener geworden. Das Risiko zur
Handchirurgie Scan 1
ê 2014
Fortbildung
79
Abb. 28 Queroder T-förmige Inzisionen am distalen
Nagelrand können
zu erheblichen
funktionellen und
kosmetischen Störungen führen.
Abb. 25
Längsschnitt durch eine Hyponychie und Eponychie.
Bei der Hyponychie haben sich meist kleine Splitter
durch das Sohlenhorn gebohrt und subungual einen
Abszess gebildet (Abb. 24). Ein subunguales Hämatom
bietet eingedrungenen Bakterien einen besonders
guten Nährboden. Der leichteste und schonendste
Zugang ist die partielle Entfernung der Nagelplatte, was
führt werden kann [4] (Abb. 27). Das weitere Vorgehen
richtet sich dann nach dem Zustand des distalen
Nagelbetts.
█
Abb. 26
Eröffnung der proximalen Nageltasche.
Umgang mit Drainagen bei der Paronychie
Drainagen sollen dafür sorgen, dass nach Eröffnung
eines Eiterherds die Wundränder miteinander nicht
verkleben und ein leichter Abfluss von Sekreten weiter
gewährleistet ist. Dies war eine notwendige Maßnahme zu Zeiten, als man die Abszesse nur inzidiert, aber
nicht exzidiert hat, da sich das noch vorhandene infizierte nekrotische Gewebe über Tage hinweg noch
weiter verflüssigt hat und vom Körper ausgestoßen
werden musste.
Gelingt die weitgehend vollständige Exzision der infizierten und nekrotischen Gewebeanteile, so reichen
meistens ein Feuchtverband und tägliche Fingerbäder
vollkommen aus, um einen Sekretstau durch vorzeitiges Verkleben der Wundränder zu vermeiden.
Abb. 27 Dreieckförmige Exzision der Nagelplatte zur Exzision des
Abszesses.
Nur in bestimmten Fällen mit tief reichenden Wundhöhlen und unzuverlässigen Patienten, bei denen
weder regelmäßige Fingerbäder noch das Feuchthalten
der Verbände gesichert sind, können Drainagen sinnvoll sein. Darüber hinaus bringt der Anblick von Drainagen auch den Patienten eher dazu, sich zu Kontrolluntersuchungen vorzustellen.
Handchirurgie Scan 1
ê 2014
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
mit einer kleinen Schere dreieckförmig leicht ausge-
80
Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
Wenn der Verdacht auf eine Infektion durch Keime der
Abb. 29 Hier wurde eine Drainage so
lange belassen, dass
die Wundränder
vom Epithel überwuchert sind. Die
mikrochirurgische
Korrektur dieser
Komplikation ist
sehr aufwendig.
Mundflora vorliegt, sollte besser auf eine Breitspektrumkombination aus Clindamycin plus Amoxicillin/
Clavulansäure gewechselt werden [2, 23].
In Regionen mit sehr hohem MRSA-Anteil empfehlen
einige Autoren Clindamycin oder Trimethoprim/Sulfamethoxazol [28].
Komplikationen
Bei anatomie- und stadiengerechter Vorgehensweise
Merke: Drainagen können meist nach 2 – 3 Tagen
sind in den meisten Fällen keine kosmetischen oder
entfernt werden. Werden die Drainagen länger
funktionellen Störungen zu erwarten. Die meisten
belassen, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der
Komplikationen haben wir nach unsachgemäßer Inzi-
Drainagekanal epithelialisiert und es zu bleibenden
sion gesehen (s. Abb. 28). Nagelwachstumsstörungen,
kosmetisch störenden Ergebnissen kommt
Verziehungen des Nagelwalls und Tunnelbildungen
(Abb. 29). Die Korrektur solcher Folgezustände ist
durch zu langes Belassen von Drainagen sind die häu-
aufwendig.
figsten iatrogenen Komplikationen (Abb. 29). Das End-
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
ergebnis hängt aber auch von dem Zeitpunkt des
Behandlungsbeginns ab. Kommt der Patient zu spät,
Antibiotikatherapie
kann nur noch versucht werden, die weitere Schädigung des Gewebes aufzuhalten und den Finger zu
Zunächst wird mit oralen staphylokokkenwirksamen
erhalten.
Antibiotika begonnen, bis das mikrobiologische Ergebnis der Kultur (aerob, anaerob, Pilze?) vorliegt. Dazu
gehören Cepholosporine, Clindamycin oder Amoxicillin
und Clavulansäure. Die Dauer der Antibiotikatherapie
liegt in Abhängigkeit von der Ausprägung der Infektion
bei 7 – 10 Tagen.
Handchirurgie Scan 1
ê 2014
Interessenkonflikt: Es liegt kein Interessenkonflikt vor.
Fortbildung
Über die Autoren
81
Simon Oeckenpöhler
Studium der Humanmedizin an der
Martin Franz Langer
Albertus-Magnus Universität Köln,
Priv.-Doz. Dr. med. Studium an der
seit 09/2011 Wissenschaftlicher
Westfälischen Wilhelms-Universität
Mitarbeiter der Klinik und Poliklinik
Münster. 1992–1995 Klinik für Allge-
für Unfall, Hand- und Wiederherstel-
meine Chirurgie (Prof. Dr. Hermann
lungschirurgie Universitätsklinik
Bünte), Universitätsklinikum Münster,
Münster (Prof. Dr. med. Michael J.
1996–1998 Klinik für Handchirurgie
Raschke). 09/2012–07/2013 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Klinik
und Plastische Chirurgie (Prof. Dr.
Jörg Grünert), Universitätsklinikum
Erlangen, 1998–2000/2001–2003
und Poliklinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie Universitätsklinikum Münster (Prof. Dr. med.
Klinik für Unfall- und Handchirurgie (Prof. Dr. Erwin Brug),
G. Gosheger) und Abteilung für Kinderorthopädie, Defor-
Universitätsklinikum Münster, 2000–2001 Klinik für
mitätenrekonstruktion und Fußchirurgie (Prof. Dr. med.
Handchirurgie (Prof. Dr. Ueli Büchler), Inselspital Bern,
R. Rödl).
seit 2003 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Münster (Prof. Dr. Michael Raschke).
Sarah Breiter
Habilitation 2008 zum Thema Beugesehnennähte.
Facharzt für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie,
Schwerpunkt Unfallchirurgie, Zusatzbezeichnungen
Dr. med. 10/2002–12/2008 Studium
Handchirurgie, Spezielle Unfallchirurgie. Sektionsleiter
Handchirurgie und Mikrochirurgie, Stellvertretender
Bochum. Dissertation 2011 in der
Neurophysiologie. 01/2009–12/2012
Klinikdirektor.
Assistenzärztin in der Klinik für Unfallund Wiederherstellungschirurgie des
St. Vincenzhospital Coesfeld, seit
Britta Wieskötter
01/2013 Assistenzärztin in der Klinik
für Unfall-, Hand- und Wiederherstel-
Dr. med. Studium der Humanmedizin
an der Westfälischen Wilhelms-Uni-
lungschirurgie des Universitätsklinikums Münster (Prof.
versität Münster und Universidad de
Dr. M. Raschke).
Valencia, Spanien. Seit 01.08.2006
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universi-
Korrespondenzadresse
tätsklinikum Münster (Prof. Dr.
Sektionsleiter Handchirurgie und Mikrochirurgie
Michael Raschke). Fachärztin für
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Orthopädie und Unfallchirurgie seit 29.09.2013.
Priv.-Doz. Dr. med. Martin Langer
Universitätsklinikum Münster
Waldeyerstraße 1
48149 Münster
Tel. +49 251/8356337
Fax: +49 251/8356318
E-Mail: langer.martin@ukmuenster.de
Handchirurgie Scan 1
ê 2014
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
der Humanmedizin, Ruhr Universität
82
Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
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Fortbildung
83
.
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█
1
Welche der folgenden Aussagen
zur Behandlung der Paronychie
ist richtig?
A Wenn der Nagelwall ohne sichtbare Eiterbildung nur gerötet ist, darf am Nagel nicht manipuliert
werden.
B Bei einer Paronychie mit sichtbarer Eiterblase muss eine schmale Keilexzision des lateralen
Nagelbetts und des Nagelwalls (Emmert-Plastik) wie beim Unguis incarnatus erfolgen.
C Die beste Therapie bei Infektionen des Endglieds ist immer ein großzügiger Froschmaulschnitt.
D Wenn sich Eiter unterhalb der Nagelplatte befindet, ist immer auch der Knochen betroffen und
es sollte die Indikation zur Endgliedamputation großzügig gestellt werden.
E In einigen Fällen kann die operative Behandlung der akuten Paronychie ohne Anästhesie und
Fingerblutleere durchgeführt werden.
█
2
A Staphylococcus aureus
B Proteus vulgaris
C Pseudomona spyocyanea
D Streptococcus
E
Pilze
█
3
Bei Verdacht auf eine Infektion mit
MRSA sollte bei einer Paronychie
vorrangig welches Antibiotikum
verabreicht werden?
A Penicillin G
B Cepholosporin
C Gentamicin
D Ciprofloxacin
E
Clindamycin
█
4
Welche Aussage zur Schnittführung
bei der akuten Paronychie ist richtig?
A Der seitliche Hautschnitt sollte so nah wie möglich an dem Nagelfalz gesetzt werden.
B Der Hautschnitt sollte grundsätzlich in einem Zug bis auf den Knochen reichen.
C Bei der Entlastung einer Bulla infecta müssen auch die palmaren Fingerkuppensepten mit eröffnet
werden, der Schnitt also auch bis palmar des Nagelkranzes reichen.
D Bei zwei parallelen Entlastungsschnitten ist bei der Paronychie grundsätzlich eine Laschendrainage
hindurchzuziehen.
E Eine Inzision und Gegeninzision ist nicht notwendig, wenn der Abszess von einer Seite komplett
ausgeräumt werden kann.
█
5
Welche Aussage zur Anatomie des
Nagelapparats ist falsch?
A Das Sohlenhorn dichtet den distalen palmaren Abschnitt des Nagels zusammen mit dem
Hyponychium ab und erscheint auf der Oberfläche des Nagels als gelbe Linie.
B Das Eponychium bedeckt den proximalen und seitlichen dorsalen Abschnitt der Nagelplatte
unterhalb des Nagelwalls.
C Die Lunula ist der weiße distale halbmondförmige Rand der Nagelplatte, der monatlich gekürzt
werden muss.
D Die germinative Matrix des Nagelbetts liegt proximal, ist weißlich und bildet hauptsächlich von
palmar die Nagelplatte.
E Die Cristae lectuli unguis (Nagelbettleisten) sorgen für den festen Halt der Nagelplatte.
CME
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
Welcher Keim wird bei der
akuten Paronychie am häufigsten
angetroffen?
84
Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
CME-Fragen
Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
█
6
Welche Aussage zur Epidemiologie
und Ätiologie der Paronychie ist
falsch?
A Auch Säuglinge können bereits eine Paronychie bekommen, obwohl sie nicht mit Holzsplittern
o. ä. in Berührung kommen.
B Ein regelmäßiges Entfernen und Zurückschieben des Nagelhäutchens kann weitgehend
verhindern, dass eine Paronychie entsteht.
C Frauen sind etwa 3-mal häufiger von einer Paronychie betroffen als Männer.
D Nägelkauen kann zu Infektion mit Keimen der Mundflora führen.
E
Die Paronychie stellt mit 35 – 63 % den größten Anteil unter den Handinfektionen.
█
7
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
Welche Aussage zur Behandlung
der Paronychie ist richtig?
A Bei einer Rötung und Schwellung des proximalen Nagelwalls sollte die Nagelplatte entfernt
werden, um die proximale Nageltasche ausspülen zu können.
B Bei einer Eiterblase, die bereits die Mittellinie des Fingers überschritten hat, sollte der gesamte
Nagelwall zirkulär eröffnet werden, das es sich um einen Umlauf (Run-around) handelt.
C Die akute und die chronische Paronychie werden operativ gleich behandelt, nur die Wahl des
Antibiotikums ist anders.
D Die Stich- oder Schnittrichtung des Skalpells bei einer Abszesseröffnung im Nagelbereich ist
grundsätzlich von seitlich in Richtung des Nagelbetts.
E Hinter einer „Bulla infecta“ kann sich eine so genannte Kragenknopfinfektion verbergen, daher
muss nach Entfernung der Blase der Wundgrund nach einer tiefer gehenden Infektion untersucht
werden.
█
8
Wie sollte man den günstigsten
Zeitpunkt für eine operative Intervention bei einer akuten Paronychie
vorbereiten?
A Ein geröteter druckempfindlicher Nagelwall muss mit Zugsalbe verbunden werden, bis eine
sichtbare Eiterbildung vorliegt.
B Ein geröteter druckempfindlicher Nagelwall muss mit Feuchtverbänden behandelt werden,
bis eine deutliche Fluktuation tastbar ist.
C Ein geröteter druckempfindlicher Nagelwall kann sofort durch eine Ablösung des Eponychiums
und eine Abhebung des Nagelwalls behandelt werden.
D Ein geröteter druckempfindlicher Nagelwall sollte nach der zweiten schlaflosen Nacht operativ
eröffnet werden.
E Ein geröteter druckempfindlicher Nagelwall darf erst operativ angegangen werden, wenn eine
Antibiotikatherapie nach 1 Woche keinen Fortschritt gebracht hat.
█
9
Welche Aussage zur Anästhesie bei
Paronychien trifft zu?
A Eine Oberst-Anästhesie ist bei einer Paronychie immer kontraindiziert.
B Eine Vollnarkose ist bei allen Infektionen an der Hand zwingend erforderlich.
C Eine intravenöse Regionalanästhesie nach Bier ist bei Infektionen am Finger ideal.
D Bei einer Paronychie darf auf keinen Fall eine Blutsperre angelegt werden.
E
Eine Blutsperre (ohne Auswickeln des Fingers/Armes) oder reduzierte Blutleere (ohne lokales
Auswickeln des infizierten Bereichs) ist bei ausreichender Anästhesie möglich und erleichtert
die Identifikation der infizierten und nekrotischen Gewebeanteile.
CME
Fortbildung
CME-Fragen
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Akute Infektionen im Bereich des Fingernagels – die akuten Paronychien
█
10
A keine Panaritiumoperation ohne Drainage!
B Die Drainage muss so lange liegen gelassen werden, bis absolut trockene Verhältnisse am Finger
vorliegen.
C Für eine Drainage bei Infektionen wird immer eine Gegeninzision benötigt.
D Drainagen sollten mindestens so breit sein wie die Hälfte der Schnittlänge.
E
In den meisten Fällen kann auf eine Drainage bei der Behandlung der Paronychie verzichtet
werden.
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
Welche Aussage zu Drainagen bei
der Paronychie ist richtig?
CME