Notwendigkeit von Kapazitätsmechanismen

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Notwendigkeit von Kapazitätsmechanismen
Notwendigkeit von
Kapazitätsmechanismen
Endbericht
Notwendigkeit von
Kapazitätsmechanismen
Endbericht
Von: Dr. Marco Nicolosi
Datum: 14. September 2012
Projekt-Nummer: POWDE1251111
© Ecofys 2012 beauftragt durch: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)
Zusammenfassung
Das Ziel dieser Studie ist es zu hinterfragen, ob ein tiefer Regulierungseingriff derzeit gerechtfertigt
ist oder ob der Strommarkt ein nachvollziehbares Ergebnis liefert, welches auf ein Funktionieren des
Energy-only-Marktes hindeutet und gegebenenfalls Möglichkeiten für Nachjustierungen aufzeigt.
Die Diskussion der Studienannahmen und den daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen deutet auf
eine Bandbreite an Wahrnehmungen der aktuellen Marktsituation hin. Die empirische Diskussion der
Annahmen zeigt, dass sie bei der Interpretation der Schlussfolgerungen eine entscheidende Rolle
spielen. Vor allem die Kombination der aus Vereinfachungsgründen gesetzten Annahmen einer fixen
Lebensdauer der Kraftwerke, einer fixen Nachfragen und der Preissetzung auf Basis kurzfristiger
Grenzkosten determiniert eine augenscheinliche Finanzierungslücke. Das Abweichen von diesen
vereinfachenden Annahmen zeigt eine Vielzahl alternativer Lösungsmöglichkeiten des Energy-onlyMarktes auf.
Die
Einführung
eines
umfassenden
Kapazitätsmarktes,
wie
das
Modell
der
Versorgungssicherheitsverträge, geht mit einer großen Unsicherheit beim Setzen der Parameter
einher. Die zukünftige Spitzenlast unterliegt großen Unsicherheiten, wodurch der Aufbau von
Überkapazitäten wahrscheinlich wird. Als Konsequenz würden keine Knappheitspreise am Strommarkt
entstehen und die Anreize für einige Optionen, wie z.B. Lastmanagement, gering ausfallen, obwohl
sie beispielweise bei der Integrationsherausforderung der erneuerbaren Energien zu einer effizienten
Lösung
beitragen
könnten.
Die
Auktion
der
gesicherten
Leistung
unterliegt
zudem
einer
Präqualifikation, wodurch gegebenenfalls neue technologische Optionen ausgeschlossen werden und
technologische Lock-in Effekte auftreten könnten. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die
Ausgestaltung aufgrund von Partikularinteressen und Marktmachtbedenken selektive Elemente erhält,
welche die theoretische Effizienz eines umfassenden Kapazitätsmarktes untergraben könnten. Als
Konsequenz der vielen Unsicherheiten besteht die Gefahr, dass das Versorgungssystem teurer
werden könnte als es bei alternativen Marktdesigns der Fall wäre und Nachjustierungen des
Kapazitätsmarktes und des restlichen Marktdesigns nötig werden.
Die Einführung einer strategischen Reserve könnte das Effizienz- und Innovationspotenzial des
Energy-only-Marktes
erhalten
und
gleichzeitig
die
Versorgungssicherheit
gewährleisten.
Alle
Lösungsoptionen würden innerhalb des EU-Binnenmarktes einem Wettbewerb zueinander stehen.
Eine europäische Perspektive auf Versorgungssicherheit hätte ein signifikantes Kostensenkungspotenzial gegenüber nationalen Lösungen. Aufgrund der zweiten Übergangsphase hin zu
höheren Anteilen erneuerbarer Energien werden Investitionen in Spitzenlasttechnologien jeder Art
zunehmend wichtiger. Eine Anpassung des Kraftwerksparks wird aus wirtschaftlichen Gründen
stattfinden. Die aktuelle Diskussion um Kraftwerksstilllegungen deutet bereits auf diesen Prozess hin.
Die strategische Reserve kann diesen Prozess effizient absichern. Hierfür sind Preisspitzen
notwendig, die deutlich über Grenzkostenniveau liegen. Das Risiko einer hohen Preissetzung der
strategischen Reserve dient, neben der Finanzierung von Spitzenlastkraftwerken, vor allem dazu
Lastmanagementprozesse
Nachfrageseite
zu
anzureizen
flexibilisieren.
und
Daraus
somit
folgt
I
das
zum
nachgewiesene
einen,
dass
die
Potenzial
auf
Preissetzung
der
in
Knappheitssituationen auf Basis des Grenznutzens der Nachfrage basieren kann und zum anderen,
dass der Bedarf an Spitzenlastkraftwerken gesenkt wird. Die strategische Reserve kann ebenfalls
regional ausgestaltet werden und somit herangezogen werden, um den Zeitraum zur Fertigstellung
des Netzausbaus zu überbrücken.
Der Energy-only-Markt bietet die Möglichkeiten den aktuellen Herausforderungen zu begegnen. Die
steigende Einspeisung volatiler erneuerbarer Energien sendet entsprechende Preissignale, welche zu
Investitionen in die passenden Technologien führen. Auf der anderen Seite liefert die EUBinnenmarktintegration zusätzlichen Wettbewerb und steigert somit die Effizienz des Strommarktes.
Dennoch kann es in der Übergangsphase zu zeitweiligen Herausforderungen kommen, die mit Hilfe
einer
strategischen
Reserve
effektiv
und
effizient
abgesichert
werden
können.
Um
Investitionszurückhaltung zu vermeiden, benötigen potenzielle Investoren einen Ordnungsrahmen
innerhalb dessen sie agieren können. Aus diesem Grund könnte Attentismus verhindert werden,
durch ein politisches Bekenntnis zum Energy-only-Markt, in dem eine strategische Reserve mit
festgeschriebenen Einsatzpreisen als Absicherung dient.
II
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
1
2
Studien- und Annahmenübersicht
2
2.1
Definition der Versorgungssicherheit
2
2.2
Angebotsseitige Annahmen
3
2.3
Nachfrageseitige Annahmen
4
2.4
Preissetzung
5
2.5
Schlussfolgerungen der Studien
5
2.6
Zwischenfazit
6
3
4
5
Theoretischer Hintergrund
8
3.1
Peak Load Pricing
3.2
Effekte der EE-Integration
8
3.2.1
Kurzfristige preissenkende Effekte volatiler erneuerbarer Energien
10
3.2.2
Langfristige Anpassung des Kraftwerksparks durch EE Ausbau
11
3.2.3
Preiseffekte bei langfristiger Anpassung der Angebotskurve
12
3.2.4
Erkenntnisse der Theorie zu Effekten der EE-Integration
14
3.3
Effekte der EU-Binnenmarktsintegration
14
3.3.1
Operative Effizienzgewinne
15
3.3.2
Investive Effizienzgewinne
17
3.3.3
Erkenntnisse der Theorie zu Effekten der EU-Integration
18
3.4
Theoretische Erkenntnisse und Erwartungen an die Marktbeobachtung
19
10
Empirische Untersuchung der Marktsituation
20
4.1.1
Preisentwicklung
20
4.1.2
Erzeugungsmix in Deutschland
23
4.2
Auswirkungen des EU Binnenmarktes
25
4.3
Auswirkungen der EE-Integration im EU-Binnenmarkt
26
4.4
Zwischenfazit: Zeitgleiche EE und EU Integration
29
Diskussion typischer Annahmen und Lösungsansätze verschiedener Komponenten
31
5.1
Definition der Versorgungssicherheit
31
5.1.1
Regional koordinierte Bewirtschaftung eines größeren Marktgebiets
31
5.1.2
Versorgungssicherheit in kleineren Gebieten
36
5.1.3
Zwischenfazit Versorgungssicherheit
40
5.2
Angebotsseitige Annahmen: Fixe Kraftwerkslebensdauer
41
5.2.1
Bandbreite der Annahmen
41
5.3
Nachfrageseitige Annahmen
45
5.4
Annahmen zur Preissetzung
47
5.4.1
Preissetzung auf Basis angebotsseitiger Gebote
48
5.4.2
Preissetzung auf Basis nachfrageseitiger Gebote
50
5.5
Schlussfolgerungen
54
6
Kapazitätsmechanismen als Lösungsoption
56
7
Zusammenfassung
61
Literatur
63
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3.1:
Peak-Load-Pricing
8
Abbildung 3.2:
Merit Order Effekt
10
Abbildung 3.3:
Langfristige Änderungen im Kraftwerkspark
11
Abbildung 3.4:
Änderungen des Marktpreises bei Anpassung des Kraftwerksparks
13
Abbildung 3.5:
Market Coupling
15
Abbildung 3.6:
Auswirkungen von internationalem Handel
16
Abbildung 3.7:
Effizienzgewinne durch internationalen Handel
18
Abbildung 4.1:
Entwicklung des deutschen Großhandelspreises
21
Abbildung 4.2:
Deutsche (links) und französische (rechts) day-ahead Strompreise und Last
(01.01.2012-30.04.2012)
22
Abbildung 4.3:
Entwicklung des deutschen Erzeugungsmixes
24
Abbildung 4.4:
Preiskonvergenz im deutschen und niederländischen Markt
25
Abbildung 4.5:
Abweichungen vom gemeinsamen Preis
27
Abbildung 4.6:
Abweichungen in Abhängigkeit von der Einspeisung aus EE 2011
28
Abbildung 5.1:
Interkonnektoren zu angrenzenden Marktgebieten (in MW)
32
Abbildung 5.2:
Reduktion der Leistungsvorhaltung durch den Netzregelverbund
33
Abbildung 5.3:
Regionale Darstellung des Netzregelverbundes
34
Abbildung 5.4:
Exemplarische Darstellung des Ausgleichs von Last und residualer Last anhand
eines drei-Länder Beispiels in 2011
35
Abbildung 5.5:
Darstellung der Transportkosten für Importkohle
37
Abbildung 5.6:
Erdgasnetz in Deutschland
38
Abbildung 5.7:
Entwicklung der Transportkosten für Erdgas
38
Abbildung 5.8:
Regionale Darstellung der Thüringer Strombrücke
40
Abbildung 5.9:
Annahmen über technische Lebenszeit der Kraftwerke
41
Abbildung 5.10:
Zusammensetzung des deutschen Kraftwerksparks
43
Abbildung 5.11:
Kraftwerke im Bau und in Planung in Deutschland
44
Abbildung 5.12:
Annahmen über die Entwicklung der Nachfrage
46
Abbildung 5.13:
Marktpreise in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden im Februar 2012
48
Abbildung 5.14:
Änderungen des Marktpreises durch Nachfrageflexibilität
50
Abbildung 5.15:
Technisches Potenzial der Nachfrageflexibilität
51
Abbildung 6.1:
Wirkungsweise der Kapazitätsmechanismen
58
1
Einleitung
In der aktuellen politischen Diskussion bestehen Unsicherheiten, ob der Strommarkt ausschließlich
auf Basis der vergüteten Energie funktionieren kann oder ob zusätzlich die Bereitstellung gesicherter
Leistung notwendig ist, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Eine große Anzahl an Studien hat
sich in jüngster Vergangenheit mit diesem Thema beschäftigt und die Notwendigkeit von
Kapazitätsmechanismen und deren mögliche Ausgestaltung analysiert.
Die Motivation dieser Studie liegt darin begründet, dass die Schlussfolgerungen verschiedener
Studien zu Kapazitätsmechanismen teilweise auseinandergehen, unter anderem da sie ihre Analysen
auf unterschiedliche Annahmen basieren. In der vorliegenden Studie werden diese Annahmen
dargestellt, diskutiert und anhand empirischer Beobachtungen bewertet.
Viele Studien geben die Integration erneuerbarer Energien (EE) und die EU-Binnenmarkintegration
als wesentliche Motivation für Kapazitätsmechanismen an, untersuchen die daraus resultierenden
Effekte jedoch nicht adäquat. Aus diesem Grund werden diese beiden aktuellen Herausforderungen
des Strommarktes hinsichtlich ihrer Auswirkungen analysiert. Die Einführung eines Kapazitätsmarktes
bedeutet einen tiefen regulatorischen Eingriff in den Strommarkt. Die wesentliche Frage ist, ob der
Strommarkt in seiniger jetzigen Form versagt, wodurch ein tiefer Regulierungseingriff gerechtfertigt
wäre, oder ob die Marktergebnisse auf ein Funktionieren des Marktes hinweisen, wodurch
gegebenenfalls kleinere Nachjustierungen die angemessene Reaktion wären. Diese Analyse liefert
Einsichten, welche für die Weiterentwicklung des Strommarktdesigns berücksichtigt werden sollten.
Einige Annahmen der Studien werden anhand aktueller Entwicklungen auf dem Strommarkt empirisch
diskutiert. Darauf aufbauend werden Lösungsoptionen aufgezeigt, die zur Verfügung stehen, wenn
von einigen restriktiven Annahmen abstrahiert wird. Diese Lösungsoptionen in Kombination mit den
identifizierten Herausforderungen dienen als Basis für die Bewertung der aktuell diskutierten
Kapazitätsmechanismen.
Die Studie ist folgendermaßen aufgebaut: Zunächst wird im zweiten Kapitel eine Übersicht aktueller
Studien, ihrer Annahmen und der daraus resultierenden Schlussfolgerungen aufgezeigt. Das dritte
Kapitel stellt grundlegende theoretische Konzepte dar, welche die Basis zum Verständnis aktueller
Entwicklungen auf dem Strommarkt bilden. Im vierten Kapitel werden die theoretischen Erklärungen
empirischen Marktergebnissen gegenübergestellt, um die Theorie zu verifizieren und damit
theoretisch hergeleitete Handlungsoptionen zu rechtfertigen. Das fünfte Kapitel stellt die eingangs
diskutierten Annahmen einiger Studien in Bezug zu aktuellen Marktentwicklungen und zeigt auf,
welche Lösungsoptionen sich anbieten, wenn von den zur Vereinfachung getroffenen Annahmen
abstrahiert wird. Im sechsten Kapitel werden Kapazitätsmechanismen diskutiert und anhand der
Handlungsnotwendigkeit und den zur Verfügung stehenden Lösungsoptionen bewertet. Das siebte
Kapitel fasst die Erkenntnisse der Studie zusammen und zieht ein Fazit.
1
2
Studien- und Annahmenübersicht
Eine große Anzahl an Studien untersucht die Notwendigkeit von Kapazitätsmechanismen und liefert
mehr oder weniger konkrete Ausgestaltungsvorschläge verschiedener Mechanismen. Die folgenden
Studien wurden bei der Erstellung dieses Gutachtens berücksichtigt:
•
Cramton und Ockenfels (05/2011), Auftraggeber: RWE AG
•
Frontier Economics (07/2011), Auftraggeber: RWE AG
•
BET (09/2011), Auftraggeber: Bundesverband Neuer Energieanbieter (BNE)
•
r2b (10/2011 und 03/2012), Auftraggeber: Umweltbundesamt (UBA)
•
LBD-Beratungsgesellschaft mbH (11/2011), Auftraggeber: Umweltministerium des Landes
Baden-Württemberg
•
Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) (2011), Auftraggeber: RWE AG
•
Consentec (02/2012), Auftraggeber: EnBW AG
•
Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (EWI) (03/2012), Auftraggeber:
BMWi
Die
Ergebnisse
der
Studien
bieten
eine
große
Bandbreite
an
Problemanalysen
und
Handlungsempfehlungen. Die unterschiedlichen Schlussfolgerungen lassen sich zu großen Teilen auf
unterschiedlich gesetzte Annahmen zurückführen. Das vordergründig gemeinsame Ziel dieser Studien
ist eine Sicherung der Versorgung mit elektrischer Energie. Dennoch weichen die Definitionen der
Versorgungssicherheit teilweise voneinander ab. Ebenso bestehen Unterschiede bei angebotsseitigen
und nachfrageseitigen Annahmen. Schließlich bestehen Abweichungen bei der Auffassung der
Preissetzung auf Strommärkten. In diesem Kapitel werden die Annahmen der verschiedenen Studien
zur Versorgungssicherheit, zu angebots- und nachfrageseitigen Annahmen und zum Verständnis der
Preissetzung gegenübergestellt und diskutiert.
2.1
Definition der Versorgungssicherheit
Eine der grundlegenden Annahmen für die Schlussfolgerungen der Studien ist die Definition der
Versorgungssicherheit. Versorgungssicherheit für den Strommarkt bedeutet, dass sich Angebot und
Nachfrage stets entsprechen müssen und es somit nicht zu einer unfreiwilligen Rationaierung kommt.
Cramton
und
Ockenfels
(2011),
Frontier
Economics
(2011)
und
EWI
(2012)
bezeichnen
Versorgungssicherheit als öffentliches Gut. Ein öffentliches Gut ist durch eine Nicht-Ausschließbarkeit
der Nutzung und Nicht-Rivalität definiert. Als Begründung könnte angeführt werden, dass aus
technischen Gründen mögliche Konsumenten nicht vom Konsum ausgeschlossen werden können.
Eine sichere Versorgung mit Strom stünde also entweder allen Nutzern zur Verfügung, oder
2
niemandem. Zudem stünden die Nutzer nicht in Konkurrenz zueinander, die gemeinsame Nutzung
des Gutes wäre ohne Einschränkung möglich, da es in ausreichendem Maße vorhanden wäre.
Eine andere Perspektive liefert r2b (2012), indem sie Versorgungssicherheit als Allmendegut
definieren, bei
der
eine Rivalität
zwischen den Nutzern bestehe. Dies bedeutet, dass in
Knappheitssituationen nicht alle potenziellen Nutzer dieses Gut konsumieren könnten, da es nur in
begrenztem Maße zur Verfügung steht. Insbesondere für leistungsgemessene Verbraucher seien
bereits die Voraussetzungen für eine Konsumreduktion gegeben, da sie nur elektrische Energie
beziehen würden, wenn ihre Zahlungsbereitschaft höher als der Marktpreis sei.
Ob Versorgungssicherheit aus nationaler oder europäischer Perspektive betrachtet wird, ist nach
Consentec (2012) von der Politik zu beantworten. Je nachdem wie die Antwort ausfällt, leiten sich
andere
Konsequenzen ab. Im
Falle
einer
europäischen Perspektive
wäre
keine
zwingende
Handlungsnotwendigkeit vorhanden, im Falle einer nationalen Perspektive wäre mittel- bis langfristig
eine Handlungsnotwendigkeit vorhanden und es könnten lediglich umfassende Kapazitätsmärkte eine
effiziente
Lösung
darstellen.
BET
(2011)
und
EWI
(2012)
betrachten
die
nationale
Versorgungssicherheit und sehen eine Notwendigkeit von Kapazitätsmechanismen. DICE (2011) sieht
diese Thematik vornehmlich auf europäischer Ebene, insbesondere wenn es um die Einführung
umfassender Kapazitätsmärkte geht. Sowohl DICE (2011) als auch r2b (2012) sehen jedoch die
Möglichkeit auch bei nationaler Perspektive auf die Versorgungssicherheit das Ziel mithilfe einer
strategischen Reserve zu erreichen.
Die Definition von Versorgungssicherheit als öffentliches Gut in Kombination mit einer nationalen
Perspektive lässt die Handlungsnotwendigkeit dringender erscheinen als es die Marktpreise derzeit
widerspiegeln, da Importe aus dem EU-Binnenmarkt die Preise senken. Sollte Versorgungssicherheit
als öffentliches Gut definiert werden, hätte es die Konsequenz, dass preiselastisches Verhalten vom
Markt ausgeschlossen wird, da für die Versorgung gesorgt wäre und alle Konsumenten hierfür zahlen
müssten. Wenn eine nationale Perspektive auf die Versorgungssicherheit eingenommen wird, hat dies
höhere Kosten durch nationale Überkapazitäten zur Folge, welche selten eingesetzt würden, da in
diesen Zeiten Strom üblicherweise importiert wird. Diese Definitionen sollten politisch beantwortet
werden, jedoch sollten hierbei die Konsequenzen dieser Definitionen ebenfalls umfänglich betrachtet
werden.
2.2
Angebotsseitige Annahmen
Für die kurz- bis mittelfristige Perspektive auf die Handlungsnotwendigkeit spielen angebotsseitige
Annahmen eine zentrale Rolle. Viele Strommarktmodelle benötigen Annahmen über die technische
Lebensdauer eines jeden Kraftwerkstyps, um daraus zukünftigen Investitionsbedarf abzuleiten. In
den Modellierungen von BET (2011) und EWI (2012) werden diese fixen Laufzeiten hinterlegt, womit
der zukünftige Bedarf für neue Kraftwerke determiniert wird. Consentec (2012) hält „die Annahme
„typischer“
Nutzungsdauern
für
eine
detailliertere
Bewertung
der
Kraftwerksparkentwicklung
grundsätzlich für nur eingeschränkt geeignet“. r2b (2012) argumentiert ebenfalls mit möglichen
Anreizen für Verlängerungen oder Verkürzungen der Laufzeiten von konventionellen Kraftwerken.
3
Die
Annahme
fixer
Laufzeiten
von
Kraftwerken
hilft,
um
Größenordnungen
zukünftiger
Investitionsbedürfnisse abzuschätzen. Diese Annahme ist jedoch ein Hilfsmittel. In der Realität spielt
vor allem der Strompreis eine entscheidende Rolle bei Überlegungen zu Retrofitmaßnahmen und
somit längeren Laufzeiten oder ggf. zu frühzeitigen Stilllegungen, bzw. dem Aufbau einer Kaltreserve.
Wenn Knappheiten im Markt bestehen, spiegelt dies der Strompreis wider. Kraftwerksbetreiber
werden in diesen Phasen dazu tendieren, ihre Kraftwerke länger laufen zu lassen und reduzieren
somit die Handlungsnotwendigkeit. Strommarktmodelle treffen fixe Entscheidungen. In der Realität
beeinflusst der Preis die Entscheidungen, indem er entsprechende Anreize setzt.
2.3
Nachfrageseitige Annahmen
Die Höhe und die Struktur der Nachfrage haben einen entscheidenden Einfluss auf die Höhe der
benötigten Erzeugungskapazitäten. Auf der Nachfrageseite besteht allerdings ebenfalls große
Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung. Üblicherweise werden Szenarien genutzt um diese
Unsicherheiten abzuschätzen. So werden in EWI (2012) drei unterschiedliche Szenarien, mit
sinkender, steigender und konstanter Nachfrage berücksichtigt. BET (2011) berechnet neben einem
Basisszenario mit konstanter Nachfrage ein Sensitivitätsszenario, in der die Nachfrage entsprechend
den Plänen der Bundesregierung bis 2020 um 10% gegenüber 2008 sinkt. Consentec (2012) geht
von einer konstanten Nachfrage mit einer ebenfalls konstanten Lastspitze aus. DICE (2011) zitiert in
den Berechnungen den System Adequacy Forecast von ENTSO-E, die von einer sinkenden
Spitzennachfrage ausgeht. Frontier Economics (2011) bezieht sich ebenfalls auf ENTSO-E, zeigt aber
die Ergebnisse von Szenariorechnungen, bei denen zwei eine sinkende und eines eine steigende
Nachfrage berücksichtigen.
Die Annahme einer festgelegten Spitzenlast determiniert den absoluten Bedarf für gesicherte
Leistung. Dieser Bedarf sinkt, wenn Teile der Nachfrage zeitlich verschoben oder reduziert werden
können. Die Studien haben unterschiedliche Annahmen ob solches Lastmanagement in Zukunft
eingesetzt werden kann.
BET (2011) berechnet die Szenarien ohne Lastmanagement. DSM könne zwar in Zukunft einen
wertvollen Beitrag zur Austarierung des Systems leisten, jedoch sei ein Einsatz aufgrund der
Kurzfristigkeit bisher auf den Regelenergiemarkt beschränkt. EWI (2012) wählt einen ähnlichen Weg,
und berechnet den zukünftigen Kapazitätsbedarf ohne Möglichkeit des Lastmanagements. In einem
eigenen Kapitel quantifiziert EWI sehr detailliert den Beitrag, den DSM auf dem Strommarkt leisten
könnte, stellt aber fest, dass die Potenziale längerfristige niedrige Einspeisung aus erneuerbaren
Energien nicht ausgleichen könnten.
r2b (2012) nennt ausdrücklich die Möglichkeit einer flexiblen Nachfrage zur Reduktion des
Kapazitätsbedarfs, sofern hohe Marktpreise ein solches Verhalten der Verbraucher anreizen.
Consentec (2012) erklärt die aktuell niedrige beobachtete Elastizität der Nachfrage mit den bisher
niedrigen Strom-Großhandelspreisen, die eine Reaktion der Verbraucher unattraktiv mache. Bei einer
höheren Preisvolatilität könnte sich somit auch die Nachfrageelastizität ändern.
4
Auch die zusätzlichen Potenziale im Rahmen von Smart Grid Initiativen könnten die Nachfrage
flexibilisieren. Cramton und Ockenfels (2011) nennen ausdrücklich Smart Grid Programme und die
zukünftige Nutzung von Elektroautos als Möglichkeit, Angebot und Nachfrage flexibel auszugleichen.
Frontier Economics (2011) erweitert diese Aussage um den Zusatz, dass bereits ein gewisser Grad an
Nachfrageflexibilität in der Industrie und in einigen Haushalten ausreichen könnte, um Stromausfälle
zu vermeiden.
2.4
Preissetzung
Die Wirtschaftlichkeit von Kraftwerken hängt vom Strompreisniveau ab. Eine wichtige Annahme ist
daher, auf welcher Basis die Strompreise zustande kommen. BET (2011), Consentec (2012) und EWI
(2012) basieren ihre Kalkulationen auf den kurzfristigen Grenzkosten der letzten eingesetzten
Einheit. Werden nur Grundlastkraftwerke mit niedrigen variablen Kosten eingesetzt, liegt der
Strompreis entsprechend geringer als in Stunden, in denen Spitzenlastkraftwerke mit hohen variablen
Kosten den Preis setzen. Aufgrund der Annahme einer Grenzkosten-Preissetzung können die
Spitzenlastkraftwerke ihre Investitionskosten nicht erwirtschaften.
Einige Studien sehen die Möglichkeit, dass die Preise sich von den Grenzkosten abheben. Dies kann in
Knappheitssituationen
grundsätzlich
durch
Preissetzung
der
Nachfrage,
Einpreisung
von
Opportunitätskosten oder Preisaufschläge erklärt werden. Consentec (2012) und EWI (2012)
diskutieren qualitativ die Möglichkeit der Preissetzung durch den Grenznutzen der Nachfrage,
beziehen diese Option jedoch nicht in die Modellierung mit ein. r2b (2011/2012), DICE (2011) und
Cramton/Ockenfels (2011) folgen dieser Argumentation und kommen zu dem Schluss, dass bei
ausreichend flexibler Nachfrage kein Bedarf für Kapazitätsmechanismen bestünde.
2.5
Schlussfolgerungen der Studien
Auf Basis der genannten Annahmen bewerten die Studien die Funktionsfähigkeit des Strommarktes
und den Bedarf für Kapazitätsmechanismen unterschiedlich.
Cramton und Ockenfels (2011) betrachten die aktuelle Situation in Deutschland als Übergangsphase,
in der insbesondere die politische Unsicherheit die Erneuerung des Kraftwerksparks behindert. Sie
empfehlen, erst einmal ein stabiles Marktumfeld zu schaffen, in dem langfristige Entscheidungen
unter größerer Sicherheit getroffen werden können. Anschließend sollte möglichen Gründen für ein
Marktversagen, wie beispielsweise die unflexible Nachfrage, begegnet werden. Frontier Economics
(2011) empfiehlt ebenfalls, Flexibilität in der Nachfrage voranzutreiben. Kurz- und mittelfristig seien
die Erzeugungskapazitäten in Deutschland ausreichend für eine sichere Stromversorgung.
r2b (2011/2012) argumentiert ebenfalls mit kurzfristiger Unsicherheit, insbesondere nach dem
Kernenergieausstieg in 2011, in einem ansonsten weitestgehend funktionierenden Markt. Wie auch
Consentec (2012) und DICE (2011) halten sie die Möglichkeiten zukünftiger Marktpreise für
ausreichend, um neue Investitionen anzureizen. In Situationen mit knappen Kapazitäten könnten
zum einen ausländische Kraftwerke die Versorgung sichern, zum anderen könnten Knappheitspreise
5
Nachfragereaktionen anreizen um eine Markträumung zu ermöglichen. Nur im Fall von politisch
geforderter nationaler Versorgungssicherheit wären Kapazitätsmechanismen gerechtfertigt.
EWI (2012) und BET (2011) ziehen aus den Ergebnissen ihrer auf kurzfristigen Grenzkosten
basierenden
Modellierung
den
Schluss,
dass
der
Energy-only
Markt
nicht
ausreichend
Investitionsanreize liefert.
LBD (2011) analysiert die lokale Situation in Baden-Württemberg. Da die lokalen Kapazitäten nicht
ausreichten, um die lokale Versorgung zu sichern, und auch die Margen für neue Kraftwerke zu
gering seien, wird der Schluss gezogen, dass Zahlungen für einzelne Kraftwerke in der Region nötig
seien, um deren Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten.
2.6
Zwischenfazit
In diesem Abschnitt wird deutlich, dass die Studien sich in einer Vielzahl von Annahmen
unterscheiden und zwangsläufig zu abweichenden Ergebnissen kommen. Die Setzung der Annahmen
führt deterministisch zu folgenden Ergebnissen:
•
Nationale Sichtweise
auf Versorgungssicherheit
führt
im
europäischen Strommarkt
zwangsläufig zu Überkapazitäten, wodurch keine Knappheitspreise auftreten können
•
Fixe Kraftwerkslebensdauer führt zu Knappheiten, obwohl in der Realität ggf. aufgrund
von steigenden Strompreisen ein wirtschaftlichen Weiterbetrieb möglich wäre
•
Fixe Nachfragespitze (ohne Lastmanagement) führt zu hohem Kapazitätsbedarf
•
Grenzkostenpreissetzung führt zwangsläufig zu einer Finanzierungslücke
Sollten diese Annahmen gesetzt werden, führen die Studienergebnisse zwangsläufig zu einem
Handlungsbedarf. Hierbei ist zu beachten, dass diese vereinfachenden Annahmen nicht zwingend
etwas mit der heutigen Situation auf dem deutschen Strommarkt zu tun haben, sondern teilweise
rein methodischer Natur sind. So schreibt EWI (2012), dass die Sensitivitätsszenarien, in denen die
angenommenen Spitzenlasten um plus/minus 10 GW schwanken nicht zu wesentlichen Änderungen
der Deckungsbeiträge führen, mit Ausnahme sinkender Deckungsbeiträge für GuD-Kraftwerke bei
sinkender Nachfrage. Dies kann als Hinweis verstanden werden, dass bei der angewandten Methodik
Deckungsbeiträge per Definition nicht ausreichen können.
Die häufig diskutierten Treiber des Handlungsbedarfs, die Einspeisung erneuerbarer Energien und der
EU-Binnenmarkt,
spielen
keinerlei
Rolle
bei
den
abgeleiteten
Ergebnissen.
Die
aus
Vereinfachungsgründen getroffenen Annahmen der fixen Kraftwerkslebensdauer, der inflexiblen
Nachfrage und der Grenzkostenpreissetzung führen deterministisch in jedem Markt für den sie
getroffen werden zu den gleichen Ergebnissen. Insofern ist zu hinterfragen, ob diese Annahmen auf
den deutschen Strommarkt zutreffen und somit die Setzung dieser Annahmen verifiziert werden
kann, oder ob diese Annahmen der Vereinfachung der Analysen dienen und bei einer Abstraktion von
den Annahmen die Handlungsempfehlungen ggf. anders ausfallen würden.
6
Aus diesem Grund werden in Kapitel 5 diese Annahmen anhand aktueller Entwicklungen diskutiert.
Zuvor wird jedoch eine theoretische Einführung der Effekte aktueller Trends, mit Fokus auf die
Integration erneuerbarer Energien und des EU-Binnenmarktes, geliefert, welche im Anschluss in
Kapitel
4
empirisch überprüft
werden. Dies dient
dem
Erkenntnisgewinn, ob
die
aktuelle
Marktsituation aus der Theorie erklärbar ist und somit theoretisch abgeleitete Lösungsvorschläge
Antworten liefern können oder ob der Markt versagt und regulatorisch eingegriffen werden sollte.
7
3
Theoretischer Hintergrund
In diesem Abschnitt wird das theoretische Fundament für die spätere empirische Analyse gelegt. Die
Marktergebnisse basieren auf Zusammenhängen, die im Folgenden dargestellt werden. Dies
beinhaltet die Preissetzung auf dem Strommarkt, die kurz- und langfristigen Effekte der EEIntegration und die ökonomischen Effekte des zusammenwachsenden EU-Binnenmarktes.
3.1
Peak Load Pricing
Eine wesentliche Eigenschaft des Gutes Strom ist die Nichtspeicherbarkeit in ökonomisch relevanten
Mengen. Diese Eigenschaft gibt es auch in anderen Märkten, in denen beispielsweise zeitrelevante
Services angeboten werden. Als vergleichbare Beispiele gelten Hotelübernachtungen, Mietwagen und
Flugreisen.
In Zeiten geringer Nachfrage orientieren sich die Preise an den variablen Kosten, wie bspw.
Brennstoff-, Treibstoff- oder CO2 Kosten. Diese Preise sind jedoch nicht in der Lage die fixen Kosten,
wie z.B. Investitionskosten, zu decken. Aus diesem Grund lässt sich beobachten, dass in Zeiten einer
hohen Nachfrage, bei Messeveranstaltungen in einer Stadt oder Reisen zu Urlaubszeiten, die Preise
zum Teil deutlich über den variablen Kosten liegen (Cramton, 2004, Ockenfels, 2008). Es steht
beispielsweise jedem Konsumenten frei direkt vor dem Antritt einer Flugreise das Ticket am Schalter
zu kaufen. Da jedoch das Risiko sehr hoch ist einen hohen Knappheitspreis zu zahlen, sichern sich die
meisten Fluggäste günstigere Preise für zukünftige Reisen indem sie ihre flexible Konsummöglichkeit
einschränken und sich auf einen speziellen Flug frühzeitig festlegen (Buschnell, et al., 2009).
Diese Preisunterschiede lassen sich mit dem Peak-load-pricing Modell erklären. In Abbildung 3.1 wird
dieses Modell für den Strommarkt dargestellt.
Abbildung 3.1:
€/MWh
Peak-Load-Pricing
Preisspitzen
= Deckungsbeiträge für Spitzenlastund Grundlastkraftwerke
Deckungsbeiträge für Grundlastkraftwerke
Preisdauerlinie
Zeit
Quelle: Eigene Darstellung.
8
In Abbildung 3.1 ist eine Preisdauerlinie mit zwei Technologien dargestellt. Die zusätzliche dritte
Stufe entspricht den Preisspitzen.
•
Die erste Stufe entspricht den variablen Kosten eines Gundlastkraftwerks. Diese Technologie
setzt in Zeiten mit geringer Nachfrage auf Basis der variablen Kosten den Preis. Zu diesen
Zeiten fallen keinerlei Deckungsbeiträge an.
•
Die zweite Stufe entspricht den variablen Kosten eines Spitzenlastkraftwerks. Diese
Technologie setzt den Preis ebenfalls auf Basis der variablen Kosten, welche jedoch höher
sind als bei Grundlastkraftwerken. Da Strommärkte üblicherweise eine Einheitspreisauktion
anwenden, also alle Erzeuger den gleichen Preis erhalten, fallen zu diesen Zeiten
Deckungsbeiträge für Grundlastkraftwerke an, wodurch ein Teil der fixen Kosten gedeckt
werden kann. Die Spitzen-lastkraftwerke erzielen keine Deckungsbeiträge, da der Preis nur
ihre variablen Kosten deckt.
•
Die
dritte
Stufe
entspricht
Preisspitzen,
welche
beispielsweise
durch
Gebote
der
Nachfrageseite, durch Einpreisung von Opportunitätskosten oder durch Preisaufschläge
(sogenannte
Mark-ups)
zustande
kommen.
In
diesen
Zeiten
erwirtschaften
Spitzenlastkraftwerke ihre vollständigen Deckungsbeiträge und Grundlastkraftwerke den
restlichen Anteil ihrer fixen Kosten.
Das Peak-load-pricing Modell erklärt folglich, dass ein Preis über den variablen Kosten nicht mit
Marktmachtmissbrauch gleichzusetzen ist, sondern für ein langfristiges Gleichgewicht nötig ist, um
Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. In der energieökonomischen Literatur kommt dabei der
Nachfrage eine besondere Rolle zu, da sie in Spitzenlastsituationen mit dem „Value of Lost Load“
(VOLL) den Preis setzen kann. Dies bedeutet, dass in einigen Stunden des Jahres mit sehr hohen
Preisen
die
Nachfrage
reduziert
wird.1
Durch
diese
Preisspitzen
refinanzieren
die
Spitzenlastkraftwerke ihre Investitionskosten.
Das Gleichgewichtsergebnis des Peak-load-Pricing Modells mit einer Einheitspreisauktion ist, dass
•
in der kurzen Frist stets die Kraftwerke mit den günstigsten Erzeugungskosten Strom
produzieren und somit ein effizienter Kraftwerksbetrieb gewährleistet ist, und
•
in der langen Frist ein optimaler Kraftwerksmix angereizt wird. Das bedeutet, dass sich die
kostengünstigste Kombination der verschiedenen Kraftwerkstypen auf Basis der Verhältnisse
von fixen und variablen Kosten einstellt.
Innerhalb des Energy-only-Marktes ist es somit möglich, die angemessen Preissignale zu senden
welche zum einen ausreichend Grundlastkraftwerke mit sehr hohen Volllaststunden finanzieren und
gleichzeitig ausreichend Spitzenlastkraftwerke vorzuhalten, welche in verhältnismäßig wenigen
Stunden des Jahres laufen und sich über Preisspitzen refinanzieren. Diese Theorie leitet sich aus der
Nichtspeicherbarkeit des Stroms ab in Kombination mit der technischen Anforderung, dass sich
Angebot und Nachfrage stets entsprechen müssen.
1
Der für die Anreizregulierung kalkulierte VOLL in Deutschland beträgt im Mittel 8.000 EUR/MWh. Für Industrie/Gewerbe: 5.780 EUR/MWh
und für private Haushalte: 14.200 EUR/MWh (BNetzA, 2010).
9
3.2
Effekte der EE-Integration
Die beschriebenen Effekte des Peak-load-pricing Modells bilden ebenfalls die Grundlage für die
Erläuterung der EE-Integrationseffekte. Eine wesentliche Eigenschaft der volatilen EE ist die
Dargebotsabhängigkeit mit der verschwindend geringe variable Kosten einhergehen. Zudem basiert
die Erzeugung auf einer gemeinsamen Primärenergiequelle. In anderen Worten, wenn es windig ist,
ist es häufig an mehreren Orten windig und wenn es sonnig ist, trifft dies ebenfalls an mehreren
Orten zu. Aus diesem Grund beeinflussen variable EE in der kurzen Frist die Stromgroßhandelspreise.
In der langen Frist hat die Preisstruktur Auswirkungen auf das Investitionsverhalten.
3.2.1 Kurzfristige preissenkende Effekte volatiler erneuerbarer Energien
Die volatilen EE gehen mit vernachlässigbaren variablen Kosten einher, weswegen sie am Anfang der
Angebotskurve (Merit-Order) stehen. Das EEG schreibt zudem fest, dass EE einen Einspeisevorrang
haben, daher wird häufig die Residualperspektive verwendet. Das bedeutet es wird lediglich die
Nachfrage betrachtet, welche vom konventionellen Teil des Strommarktes gedeckt werden muss. Im
Wesentlichen bedeutet es, dass die EE-Einspeisung von der stündlichen Nachfrage abgezogen wird,
wodurch sich die jeweilige residuale Nachfrage bildet. Eine hohe EE Einspeisung reduziert folglich die
residuale Nachfrage.
Aufgrund eines inzwischen signifikanten Anteils volatiler EE werden häufig zeitgleich große Mengen
eingespeist. Dies hat zur Folge, dass sich zu diesen Stunden niedrigere Preise an der Strombörse
einstellen. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 3.2 dargestellt.
Abbildung 3.2:
Merit Order Effekt
Residuale
Nachfrage
Nachfrage
€/MWh
Nachfrage
€/MWh
Wind
Angebot
Angebot
P1
P2
GW
GW
Quelle: Eigene Darstellung.
•
Auf der linken Seite von Abbildung 3.2 trifft eine verhältnismäßig hohe Nachfrage auf das
obere Ende der Angebotskurve, wodurch sich der hohe Preis P1 einstellt.
10
•
Auf der rechten Seite ist die gleiche ursprüngliche Nachfrage dargestellt, jedoch verschiebt
eine hohe Windeinspeisung die residuale Nachfrage bis zu einem Bereich der Merit-Order, in
dem ein günstigeres Kraftwerk den Preis P2 setzt.
•
In Extremsituationen kann der Einspeisevorrang in Kombination mit einer nicht vollständig
elastischen Angebotskurve sogar zu negativen Strompreisen führen (siehe Nicolosi, 2012).
Diese kurzfristigen Preisreaktionen haben in der langen Frist Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit
der verschiedenen Kraftwerkstypen. Aus diesem Grund wird im folgenden Abschnitt auf die investive
Perspektive der EE-Integration eingegangen.
3.2.2 Langfristige Anpassung des Kraftwerksparks durch EE Ausbau
Auf Basis der beschriebenen kurzfristigen Preiseffekte sehen sich die Kraftwerksbetreiber einer
anderen Ertragssituation ausgesetzt als in einem Markt ohne EE. Da der EE-Preiseffekt auf der
veränderten
residualen
Nachfragestruktur
basiert,
lassen
sich
langfristige
Investitions-
und
unterschiedlichen
EE-
Stilllegungseffekte aus einer Fundamentalbetrachtung ableiten.
Abbildung
3.3
stellt
dar,
wie
sich
ein
optimaler
Kraftwerksmix
bei
Durchdringungen einstellt.
Abbildung 3.3:
Langfristige Änderungen im Kraftwerkspark
Kosten [€/kW a]
800000
Grundlasttechnologie
700000
Mittellasttechnologie
600000
Spitzenlasttechnologie
500000
400000
300000
200000
100000
0
8760
0%
2%
4%
6%
7%
9%
11%
13%
15%
17%
19%
20%
22%
24%
26%
28%
30%
32%
34%
35%
37%
39%
41%
43%
45%
47%
48%
50%
52%
54%
56%
58%
60%
61%
63%
65%
67%
69%
71%
73%
74%
76%
78%
80%
82%
84%
86%
87%
89%
91%
93%
95%
97%
99%
0
Zeit [h]
120000
Verfügbare konventionelle Kraftwerksleistung
Last [GW]
100000
80000
Spitzenlasttechnologie
60000
Ohne EE
40000
Mittellasttechnologie
20% EE
40% EE
20000
Verschiebung der residualen
Grundlasttechnologie
Lastdauerlinie aufgrund
0
1
0
5001
höherer EE-Einspei
sung
8760
Ohne EE
20% EE
40% EE
-20000
Zeit [h]
Quelle: Eigene Darstellung, siehe Nabe (2006), Wissen und Nicolosi (2008) und Nicolosi (2012).
11
•
Der Quadrant oben links stellt Vollkostenkurven verschiedener Kraftwerkstechnologien. Auf
der y-Achse sind die annuitätischen Kosten abgetragen. Mit der Laufzeit steigen die
Gesamtkosten
aufgrund
der
kumulierten
variablen
Kosten
an
(x-Achse).
Die
Spitzenlasttechnologie zeichnet sich durch niedrige fixe und durch hohe variable Kosten aus.
Dies ist an dem niedrigen Startpunkt und dem steilen Anstieg der Kostenkurve zu erkennen.
Die
Mittellasttechnologie
hat
höhere
fixe
und
geringere
variable
Kosten.
Die
Grundlasttechnologie zeichnet sich durch die höchsten fixen Kosten aus. Dafür sind die
variablen Kosten relativ gering. Aus diesem Grund lohnen sich Grundlastkraftwerke nur bei
sehr
hohen
Volllaststunden. Die
Schnittpunkte
zwischen
den Kurven
markieren die
Auslastungen, bei denen ein anderer Kraftwerkstyp die effiziente Wahl ist.
•
Unten links sind Lastdauerlinien dargestellt. Sie starten mit der Jahreshöchstlast auf der yAchse und sinken mit der Zeit zur Mindestlast. Es sind drei verschiedene Lastdauerlinien
dargestellt. Eine reine Lastdauerlinie der jährlichen Nachfrage, eine residuale Lastdauerlinie
mit 20% EE-Durchdringung und eine weitere residuale Lastdauerlinie mit 40% EEDurchdringung. Wesentliche Eigenschaften der residualen Lastdauerlinien sind, dass mit
zunehmender EE-Durchdringung die Spitzenlast lediglich leicht sinkt und die Steigung
abnimmt.
•
Rechts unten ist die resultierende verfügbare konventionelle Leistung dargestellt, welche sich
je nach EE-Durchdringung unterscheidet. Der Kraftwerksmix in einem Markt ohne EE zeichnet
sich durch einen relativ hohen Anteil an Grundlastkraftwerken aus. Je stärker der EE-Anteil
steigt, desto kleiner wird der Grundlastanteil und je größer werden die Mittel- und
Spitzenlastanteile. Diese Entwicklung ist ein direktes Resultat der relativ geringen Reduktion
der Spitzenlast und der steileren residualen Lastdauerlinien.
Die fundamentalen Treiber der Kosten- und Laststruktur führen dazu, dass sich ein effizienter
Kraftwerksmix einstellt. Steigt der EE-Anteil, werden Investitionen in Grundlastkraftwerke weniger
attraktiv. Stattdessen wird in Kraftwerkstypen investiert, die bei einer geringeren Auslastung
wirtschaftlich sind.
3.2.3 Preiseffekte bei langfristiger Anpassung der Angebotskurve
Diese im vorherigen Anschnitt beschriebene Anpassung des Kraftwerksparks spiegelt die Perspektive
eines langfristigen Gleichgewichts wider. Der Kraftwerkspark passt sich jedoch nicht sofort an,
sondern im Zeitverlauf, sobald Investitions- und Stilllegungsentscheidungen relevant werden. Wenn
die
EE-Durchdringung
schneller
ansteigt
als
sich
der
Kraftwerkspark
erneuert,
kann
es
vorübergehend zu Ungleichgewichten kommen.
Dieses vorübergehende Ungleichgewicht hat Auswirkungen auf die Preissetzung. Abbildung 3.4 stellt
diese Preissetzung bei einem nicht optimal angepassten Kraftwerksparks anhand des vereinfachten
statischen Merit-Order Modells dar.
12
Abbildung 3.4:
Änderungen des Marktpreises bei Anpassung des Kraftwerksparks
Ohne Anpassung des
Mit Anpassung des
Kraftwerksparks
Kraftwerksparks
€/MWh
€/MWh
Nachfrage
Nachfrage
Angebot
Angebot
P2
P1
GW
GW
Quelle: Eigene Darstellung.
•
Das linke Bild in Abbildung 3.4 stellt eine spezifische Nachfragesituation in einem
unangepassten Kraftwerkspark dar. Die Merit-Order des Kraftwerksparks zeichnet sich durch
einen verhältnismäßig großen Anteil an Grund- und Mittellastkraftwerken aus. Obwohl die
Nachfrage recht hoch ist, z.B. weil in dieser Situation nur wenig erneuerbarer Strom
eingespeist wird, deckt ein Mittellastkraftwerk die Nachfrage und setzt den Preis auf einem
moderaten Niveau.
•
Das rechte Bild stellt die exakt gleiche Nachfragesituation dar, jedoch in einem angepassten
Kraftwerkspark. Dieser zeichnet sich durch einen geringeren Anteil an Grund- und
Mittellastkraftwerken aus und einen größeren Anteil an Spitzenlastkraftwerken (wie in
Abschnitt
3.2.2
beschrieben).
Aus
diesem
Grund
setzt
bei
hoher
Nachfrage
ein
Spitzenlastkraftwerk den Preis, was die Ertragssituation zumindest für die Grund- und
Mittellastkraftwerke verbessert.2
Die Preissetzung in einem nicht optimal angepassten Kraftwerkspark bei stark steigender EEDurchdringung liegt unter dem langfristig notwendigen Preisniveau. Aus diesem Grund gibt es Phasen
mit niedrigem Preisniveau, die Notwendig sind um unwirtschaftliche Kraftwerke sillzulegen. Jedoch
kann es dazu kommen, dass in der Übergangsphase zuerst Spitzenlastkraftwerke unrentabel werden,
bevor Grundlastkraftwerke stillgelegt werden. Erst im Anschluss signalisiert der Markt zusätzlichen
Kapazitätsbedarf durch Knappheitspreise, welche zu Investitionen in Spitzenlastkraftwerke führen
sollten. Dieser Prozess korrigiert das Preisniveau im Zeitverlauf.
Dennoch wird deutlich, dass dieser Übergangsprozess mit niedrigen und hohen Preisphasen
einhergeht. Diese Preissignale senden jeweils die Information eines Kapazitätsüberangebots oder
knapper Kapazitäten. Die Herausforderung liegt darin, sicherzustellen, dass dieser Übergangsprozess
nicht zu ausbleibenden Markträumungen führt, sondern dass die Markträumung gewährleistet wird.
In diesen ggf. extremen Phasen sollte der Strommarkt in der Lage sein, adäquate Preissignale zu
senden, welche den jeweiligen Bedarf widerspiegeln.
2
Die Ertragssituation für Spitzenlastkraftwerke wird im Abschnitt 5.4 und im Kapitel 6 diskutiert.
13
3.2.4 Erkenntnisse der Theorie zu Effekten der EE-Integration
In der kurzen Frist senkt eine hohe Einspeisung erneuerbarer Energie den Großhandelsstrompreis.
In der langen Frist passt sich der Kraftwerksmix an. Bei hohem EE Anteil hat ein effizienter
Kraftwerksmix einen geringeren Grundlastanteil und höheren Spitzenlastanteil. Es kann jedoch im
Zeitverlauf die Herausforderung geben, dass der EE-Anteil schneller steigt als sich der Kraftwerkspark
anpassen kann. In diesem Fall basiert die Preissetzung zu häufig auf Grund- und Mittellastkraftwerken und zu wenig auf Spitzenlastkraftwerken und Preisspitzen. In der langen Frist passt sich
der Kraftwerkspark jedoch an, so dass die Preissetzung auf einem optimalen Kraftwerkspark basiert.
Dennoch besteht die Gefahr, dass aufgrund des zyklischen Investitionsverhaltens zeitweilig hohe und
niedrige Preisphasen auftreten. Für diesen Fall ist es wichtig eine robuste Markträumungsmöglichkeit
zu gewährleisten.
3.3
Die
Effekte der EU-Binnenmarktsintegration
Schaffung
des
EU
Binnenmarktes
ist
ein
politisches
Ziel
seit
den
Anfängen
des
Liberalisierungsprozesses (EU Richtlinie 96/92/EG). Durch den internationalen Wettbewerb soll ein
effizientes Versorgungssystem geschaffen werden, welches eine kostengünstige Stromversorgung für
alle Stromkunden ermöglicht. Darüber hinaus wird mit der Stärkung des EU-Binnenmarktes das Ziel
verfolgt, die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Im Zuge des Florenz-Prozesses wurde eine Vorgehensweise herausgearbeitet, welche mit dem dritten
Binnenmarktpaket (EU Richtlinie 2009/72/EG) den Startpunkt der Implementierung gefunden hat. In
diesem Zuge wurde die europäische Regulierungsbehörde ACER gegründet, welche in Kooperation
und Koordination mit ENTSO-E einen Zeitplan für die Fertigstellung des sogenannten „Target Models“
erarbeitet hat. Das Ziel
ist ein europaweiter wettbewerblicher Strommarkt um niedrige Preise,
höhere Versorgungssicherheit und eine Reduzierung des Marktmachtpotenzials zu gewährleisten.
Seit dem 10. November 2010 sind die Stromspotmärkt von Belgien, Niederlande, Luxemburg,
Frankreich und Deutschland / Österreich gekoppelt. Diese Marktkopplung bezieht darüber hinaus die
Stromspotmärkte Nordeuropas ein. Hier werden über Deutschland / Österreich die Länder Norwegen,
Schweden, Dänemark und Finnland integriert.
Bis zum Jahr 2014 sollen die Day-ahead und Intraday Märkte mit einer europaweiten impliziten
Marktkopplung implementiert sein. Darauf aufbauend sollen ebenfalls die Regelmärkte integriert
werden. Derzeit ist der Central Western Europe (CWE) Day-ahead Markt implizit gekoppelt. Dies
erfordert eine enge Kooperation des Strombörsen Epex Spot, APX-Endex und Belpex, sowie zwischen
den jeweiligen Übertragungsnetzbetreibern. Die Kopplung zum Nordpool Markt erfolgt noch über ein
firm volume coupling (durch das EMCC Auktionsbüro), welches jedoch in naher Zukunft ebenfalls
durch eine implizite Marktkopplung abgelöst werden soll. Abbildung 3.5 stellt die aktuelle
Marktauflösung dar.
14
Abbildung 3.5:
Market Coupling
Quelle: EPEX.
Zusätzlich zu den Day-ahead Märkten sind die Intradaymärkte zwischen Deutschland und Frankreich
bereits seit Dezember 2010 implizit gekoppelt. Die höhere Liquidität spielt insbesondere kurz vor
physikalischer Erfüllung eine signifikante Rolle. Die Ausweitung des Marktgebietes hat sowohl
operative als auch investive Effizienzgewinne zur Folge. Diese werden in den folgenden Abschnitten
erläutert.
3.3.1 Operative Effizienzgewinne
Die implizite Marktkopplung bedeutet, dass die Interkonnektorkapazitäten ein Bestandteil des
Lösungsalgorithmus ist und als Nebenbedingung zur Markträumung beiträgt. Bisher wurden in der
Regel explizite Auktionen für die Vergabe der Interkonnektorkapazitäten genutzt. In expliziten
Auktionen werden die Übertragungskapazitäten vor
der
Auktion des
Strommarktes
separat
versteigert. Der Nachteil der expliziten Auktion ist, dass das Preisdelta des Strommarktergebnisses
den gebuchten Interkonnektorflüssen entgegenstehen kann. Da somit die zur Verfügung stehenden
Übertragungskapazitäten nicht sinnvoll genutzt werden, kann das Marktergebnis ineffizient sein und
somit höhere Kosten für Konsumenten bedeuten.
Ein weiterer Bestandteil des Target Models ist die Umstellung auf flussbasierte Berechnungsmethoden
für die Interkonnektorkapazitäten. Bisher wurden Net-Transfer-Capacities (NTCs) genutzt, die unter
Umständen eine nicht optimale Begrenzung der Übertragungskapazität zur Folge haben können. Mit
flussbasierten
Berechnungsmethoden
besteht
die
Möglichkeit,
die
Interkonnektoren
auszunutzen, da eine genauere Berechnung der Übertragungskapazitäten ermöglicht wird.
15
optimal
Die
Kombination
aus
impliziten
Auktionen
und
flussbasierten
Berechnungsmethoden
der
Übertragungskapazität führt zu einer effizienten Nutzung der Interkonnektoren. Im Marktgeschehen
wirkt dieser Effekt wie eine Ausweitung der Übertragungskapazität. Anhand eines einfachen Beispiels
wird in Abbildung 3.6 beschrieben, warum Effizienzgewinne anfallen.
Abbildung 3.6:
Auswirkungen von internationalem Handel
Niedrigpreisland
Hochpreisland
€/MWh
€/MWh
Nachf rage
Erzeugung
Erzeugung
Nachf rage
Angebot
Angebot
P1
Neuer
Systempreis
P2
Urspr.
Preisdelta
P1
Erhöhung der
Brennstof f kosten
Reduktion der
Brennstof f kosten
Import
Export
Zusätzliche Produzentenrente
= reduzierte Konsumentenrente
Verschiebung der Brennstof f kosten
Zusätzliche Konsumentenrente
= reduzierte Produzentenrente
Reduktion der Brennstof f kosten
= Effizienzgewinn
Quelle: Eigene Darstellung.
•
In den beiden Bildern in Abbildung 3.6 wird im Schnittpunkt der Angebots- und der
Nachfragekurve das jeweilige Marktergebnis ohne Übertragungskapazitäten dargestellt. Auf
der linken Seite stellt sich im Niedrigpreisland der Preis P1 ein. Auf der rechten Seite im
Hochpreisland stellt sich der höhere Preis P1 ein. Dieses Preisdelta deutet auf potentielle
Effizienzgewinne durch Handel hin.
•
Der Handel führt dazu, dass im Niedrigpreisland die Erzeugung aufgrund niedrigerer Kosten
ausgeweitet und exportiert wird, so dass die Erzeugung nun die nationale Nachfrage
übersteigt. Im Hochpreisland ist das Gegenteil der Fall. Der Import deckt nun einen Teil der
Nachfrage, wodurch die inländische Erzeugung nun unter der nationalen Nachfrage liegt und
hohe Erzeugungskosten eingespart werden können.
•
Als Marktergebnis stellt sich nun der Systempreis P2 ein, da angenommen wird, dass die
Übertragungskapazitäten ausreichend dimensioniert sind, um den optimalen Austausch zu
ermöglichen. Es wird ersichtlich, dass sich im Niedrigpreisland nun ein höherer Preis einstellt
und im Hochpreisland ein niedrigerer Preis. Zwischen diesen Ländern kommt es demnach in
dieser Stunde zu Verteilungswirkungen.
16
•
Zusätzlich kommt es innerhalb der Länder zu diesem Zeitpunkt zu Umverteilungen. Im
Niedrigpreisland gibt es nun eine Ausweitung des Angebots und höhere Preise. Als Folge
steigt die Produzentenrente und die Konsumentenrente reduziert sich. Im Hochpreisland ist
der
gegenteilige
Produzentenrente,
Effekt
zu
was
dazu
beobachten.
führen
Hier
kann,
kommt
dass
die
es
zu
einer
Reduktion
Deckungsbeiträge
für
der
einige
Erzeugungsanlagen nicht mehr ausreichen.
•
Der operative Effizienzgewinn kommt durch die Einsparung teurer Erzeugungskosten im
Hochpreisland zustande.
Die Möglichkeit des Handels hat somit das Potenzial die operativen Systemkosten zu reduzieren und
somit günstigere Kosten für die Kunden zu ermöglichen. Es gilt zu beachten, dass die beschriebene
Situation in Abbildung 3.6 eine statische Perspektive darstellt. Dieser Effekt tritt potenziell in jeder
Stunde auf. Das bedeutet, dass sich auch ein Effizienzgewinn durch den Handel zwischen Ländern
einstellen
kann,
wenn
sie
einen
exakt
identischen
Kraftwerkspark
haben,
jedoch
die
Nachfragestrukturen nicht exakt korreliert sind. Die Korrelation nimmt tendenziell ab, wenn volatile
EE die residuale Nachfragestruktur beeinflussen.
Wie beschrieben kommt auch zu Verteilungswirkungen in den jeweiligen Stunden. Kunden in einigen
Ländern profitieren von diesen Austauschmöglichkeiten, während Kunden in anderen Ländern
höheren Preisen ausgesetzt sind. Diese Verteilungswirkungen gelten ebenso für Produzenten. Einige
Produzenten werden einer Situation ausgesetzt, in der sie nicht mehr die nötigen Deckungsbeiträge
erwirtschaften. Die Folge sind Anpassungen des Investitions- und Stilllegungsverhaltens. Aus diesem
Grund beschäftigt sich der folgende Abschnitt mit den möglichen investiven Effizienzgewinnen.
3.3.2 Investive Effizienzgewinne
Zusätzlich zu den beschriebenen operativen Effizienzgewinnen gibt es investive Effizienzgewinne bei
der Nutzung größerer Marktgebiete. Im vorherigen Abschnitt wurde beschrieben, dass in einem
Hochpreisland die Nachfragespitzen ebenfalls durch Importe gedeckt werden können. Die Kraftwerke,
die für diese seltenen Lastspitzen vorgehalten werden, haben folglich eine geringere Auslastung. Da
sich die Nachfragestrukturen und die EE-Einspeisestrukturen über größere Flächen tendenziell
ausgleichen, kann ebenfalls der benötigte Kraftwerkspark ggf. geringer ausfallen. Abbildung 3.7 stellt
diese Effekte dar.
17
Abbildung 3.7:
Effizienzgewinne durch internationalen Handel
Summe
Maximale
Maximale
Minimale
Summe
individueller
zeitgleiche
zeitgleiche residuale
zeitgleiche
minimaler
Spitzenlasten
Spitzenlast
Spitzenlast
EE Einspeisung
EE Einspeisungen
3
GW
2
1
Stochastische EE Einspeisung
Stochastische Last
1
Ausnutzung stochastischer Lastverteilung durch größere Fläche
2
Ausnutzung stochastischer EE Einspeisung durch größere Fläche
3
Nutzung beider Effekte zur Reduktion der zu deckenden Spitzenlast
Quelle: eigene Darstellung.
•
Der erste Schritt in Abbildung 3.7 stellt dar, dass die Summe der national individuellen
Spitzenlasten größer ist als die maximale zeitgleiche Spitzenlast der betrachteten Länder.
Sollten im gleichen Maße Interkonnektorkapazitäten zur Verfügung stehen, könnte man
demnach diese Menge an gesicherter Leistung einsparen.
•
Der zweite Schritt zeigt, dass die Summe der individuellen minimalen EE-Einspeisungen
kleiner ist als die zeitgleiche minimale Einspeisung.
•
Der dritte Schritt kombiniert nun die Stochastik der Last mit der EE getriebenen Stochastik.
Als Ergebnis ist die maximale residuale Spitzenlast deutlich kleiner als bei individueller
Betrachtung der nationalen Spitzenlasten.
Sowohl die Last auch als die volatilen EE unterliegen stochastischen Prozessen, welche sich stärker
ausgleichen, je größer die betrachtete Fläche wird. Je effizienter die Interkonnektoren bewirtschaftet
werden, desto besser können diese Ausgleicheffekte zwischen den Ländern genutzt werden. Der
Schritt von einer nationalen Betrachtung hin zu einer Betrachtung der Summe vieler Länder wirkt
somit wie ein reduzierter Spitzenlastbedarf. Aus Sicht der Angebotsseite wirkt es wie das plötzliche
Auftreten von Überkapazitäten.
3.3.3 Erkenntnisse der Theorie zu Effekten der EU-Integration
Die bessere Ausnutzung des Netzes führt zu kostengünstigerem Kraftwerksbetrieb. Das
bedeutet, dass häufiger Kraftwerke mit geringeren Erzeugungskosten den Preis setzen. In der
investiven Perspektive spielen stochastische Treiber (Last und EE) eine Rolle, da sie sich über
18
größere Flächen stärker ausgleichen. Bei Einführung der impliziten Marktkopplung sinken kurzfristig
bei Effizienzsteigerung die Preise, da die Reduktion des Spitzenlastbedarfs wie Überkapazitäten
wirken. Als Ergebnis wird ein kleinerer Kraftwerkspark benötigt, der jedoch besser genutzt wird.
3.4
Theoretische Erkenntnisse und Erwartungen an die Marktbeobachtung
Das Peak-load-pricing Modell zeigt, dass in Zeiten von Knappheiten die Preise höher sind und
sogar über kurzfristige Grenzkosten steigen können. Gründe für die Preissetzung können
Opportunitätskosten
sein,
die
entweder
den
entgangenen
Gewinnen
auf
anderen
Märkten
entsprechen (z.B. Regelmärkte) oder den Opportunitäten der Nachfragereduktion oder -verlagerung.
Alternativ können auch Preisaufschläge in Knappheitssituationen auf die Grenzkosten aufgeschlagen
werden. In jedem Fall ist dieser Regimewechsel von Grenzkosten hin zu Opportunitätskosten nötig,
um ausreichend Deckungsbeiträge für den Kraftwerkspark zu erwirtschaften. Somit kann diese
Beobachtung
nicht
mit
Marktmachtmissbrauch
gleichgesetzt
werden,
sondern
ist
integraler
Bestandteil eines Energy-only-Marktes.
Ein zunehmend integrierter EU-Binnenmarkt lässt zunehmende Effizienzgewinne erwarten. Diese
spiegeln sich u.a. durch zunehmende Preiskonvergenz und durch ein tendenziell geringeres
Preisniveau wider.
Die steigende Durchdringung volatiler EE beeinflusst zunehmend die Großhandelsstrompreise. In Phasen hoher Einspeisung sind geringere Preis zu erwarten und in Zeiten niedriger
Einspeisung
sollten
die
Preise
höher
liegen. In
wie
Fern
bereits
Anpassungsprozesse
des
Kraftwerksparks und somit des Erzeugungsmixes durch die starke EE-Durchdringung stattgefunden
haben ist schwierig zu beurteilen.
Es stellt sich nun die Frage, ob die aus der Theorie hergeleiteten Erwartungen empirisch beobachtbar
sind oder ob die Marktergebnisse von den Erwartungen abweichen. Die übergeordnete Frage dieser
Studie ist, ob der Markt nachvollziehbare Ergebnisse liefert und somit auch längerfristig funktioniert
oder ob aufgrund von Marktversagen ein tiefer Regulierungseingriff nötig ist, um dieses potenzielle
Versagen zu beheben.
19
4
Empirische Untersuchung der Marktsituation
Das Ziel des Abschnitts ist es, die aktuelle Marktsituation in die theoretischen Überlegungen
einzuordnen. Es wird untersucht, inwiefern sich die theoretisch abgeleiteten Erwartungen an
Marktentwicklungen empirisch beobachten lassen. Auf dieser Basis lässt sich bewerten, ob der
Strommarkt erwartungsgemäß funktioniert oder ob ein Marktversagen zu beobachten ist.
Der deutsche Strommarkt zeichnet sich durch einen verhältnismäßig breiten Erzeugungsmix aus. Ein
großer Teil der Kraftwerksleistung stammt noch aus der Zeit vor der Liberalisierung im Jahre 1998.
Der Anteil der erneuerbaren Energien ist seit der Einführung des EEG im Jahre 2000 stark gestiegen.
Insbesondere die dargebotsabhängigen EE prägen zunehmend die Entwicklungen am Strommarkt. Im
Jahr 2011 hat die Bundesregierung die „Energiewende“ beschlossen, die einen vollständigen
Kernenergieausstieg bis zum Jahr 2022 und weiterhin steigende EE-Anteile beinhaltet.
Im Folgenden wird die Preisentwicklung mit dem entsprechenden Erzeugungsmix dargestellt, um die
Grundlage für die Analyse der Preissetzung, der Effekte der EU-Binnenmarktintegration und der EEPreiseffekte zu schaffen.
4.1.1 Preisentwicklung
Der durchschnittliche deutsche Großhandelsstrompreis ist innerhalb des vergangenen Jahrzehnts
deutlich gestiegen, von durchschnittlich 29,5 EUR/MWh in 2003 auf durchschnittlich etwa 51
EUR/MWh in 2011. Der Grund für die sehr geringen Strompreise zu Beginn der Liberalisierung im Jahr
1998 waren signifikante Überkapazitäten aus den Zeiten der Gebietsmonopole. Die Entwicklung der
Strompreise war jedoch keineswegs linear, sondern unterlag deutlichen Schwankungen, wie
Abbildung 4.1 zeigt.
Die rote Linie zeigt den durchschnittlichen Strompreis, die Balken geben den Anteil der Preisintervalle
an. Im Jahr 2001 waren Preise unter 20 EUR/MWh in knapp 70% der Stunden zu beobachten. In
2011 traten sie hingegen in weniger als 5% der Stunden auf. Umgekehrt waren Preise über 50
EUR/MWh am Beginn der Liberalisierung verhältnismäßig selten, während die Preise in 2011 in mehr
als der Hälfte der Stunden über diesem Wert lagen. Diese Preisentwicklung ist auch der Tatsache
geschuldet, dass die ersten Jahre nach der Liberalisierung vor allem durch Überkapazitäten geprägt
waren, welche im Zeitverlauf stetig abgebaut wurden.
20
Abbildung 4.1:
Entwicklung des deutschen Großhandelspreises
100%
70
60
80%
50
70%
Anteil [%]
60%
40
50%
Großhandelspreis [EUR/MWh]
90%
30
40%
>80
50-80
30%
20
20-50
0-20
0
20%
10
<0
Preis
10%
0%
0
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
Quelle: eigene Darstellung, Daten von EEX (Daten von 2000 sind erst ab dem 16.6. verfügbar).
Wie in Abbildung 4.1 zu sehen ist, spiegelt sich in der Entwicklung der Großhandelsstrompreise die
konjunkturelle Situation. Eine gute Konjunktur geht mir einem höheren Stromverbrauch einher.
Wenn diese Wachstumsphase globaler Natur ist, steigen zudem die Brennstoffpreise und die Preise
für die europäischen CO2-Zertifikate an. Die Auswirkungen einer solchen Wachstumsphase sind
anhand der Werte für 2008 abzulesen. Der durchschnittliche Strompreis lag bei über 65 EUR/MWh
und in mehr als 25% der Stunden überschritt der Großhandelsstrompreis den Wert von 80 EUR/MWh.
Nur ein Jahr später hat sich die konjunkturelle Lage durch die Finanzkrise deutlich verschlechtert.
Dies führte zu einem durchschnittlichen Strompreis von knapp 39 EUR/MWh in 2009. Dies ist dem
Umstand geschuldet, dass die deutsche Stromnachfrage um 6% gegenüber 2008 eingebrochen ist
und sich die Brennstoffpreise deutlich reduziert haben. Im Zeitraum von 2009 bis 2011 hat sich der
durchschnittliche Strompreis wieder erholt und die Anteile der Stunden mit Preisen über 50 EUR/MWh
hat sich deutlich erhöht.
Nach wie vor ist die Nachfragesituation in Europa verhältnismäßig gering. Auch die wirtschaftliche
Lage in den südeuropäischen Ländern haben einen Einfluss auf das Preisniveau in Deutschland, da sie
derzeit weniger Strom aus den jeweiligen Nachbarländern importieren und ggf. sogar Strom
exportieren, was zu mehr verfügbarer Erzeugungsleistung in den CWE-Ländern führt. Aus diesem
21
Grund spiegelt das aktuelle Preisniveau die Nachfragesituation wider. Investitionen in Zeiten von
Überkapazitäten wären schließlich kein Ergebnis eines effizient funktionierenden Marktes.
Der Strompreis reagiert demnach direkt auf die Nachfrage, und spiegelt Überkapazitäten wie auch
mögliche Knappheiten wider. Diese Knappheitssignale in Form von hohen Strompreisen führen zu
Investitionsüberlegungen bei Investoren und zu möglichen Verlängerungen der technischen Laufzeit
von Kraftwerken. Während die Darstellung in Abbildung 4.1 relativ aggregierte Datenpunkte zeigt,
stellt Abbildung 4.2 eine detaillierte Auflösung für die ersten vier Monate des Jahres 2012 dar. Auf
dieser Basis lässt sich ein genauerer Blick auf die Preissetzung in einzelnen Stunden werfen. Für
dieses Beispiel werden die deutschen Daten den französischen gegenüber gestellt, um die
Preissetzung auf Basis eines speziellen Zeitraums zu diskutieren.
Abbildung 4.2:
Deutsche (links) und französische (rechts) day-ahead Strompreise
und Last (01.01.2012-30.04.2012)
2000
250
150
100
50
0
0
10
20
30
40
50
-50
60
70
80
Strompreis [EUR/MWh]
Strompreis [EUR/MWh]
200
1500
1000
500
0
0
-100
-150
-500
Nachfrage [GWh/h]
20
40
60
80
100
120
Nachfrage [GWh/h]
Quelle: Eigene Darstellung, Daten von EEX und ENTSO-E.
In Abbildung 4.2 sind die Strompreise auf der vertikalen Achse der Nachfrage auf der horizontalen
Achse gegenüber gestellt. Die linke Grafik zeigt die Situation in Deutschland und die rechte Grafik die
Situation in Frankreich.
Beim Vergleich der beiden Grafiken wird deutlich, dass die Nachfrage in Frankreich diejenige in
Deutschland deutlich übersteigt. Währen die maximale Nachfrage in Deutschland in diesem Zeitraum
bei knapp 75 GWh/h lag, wurden in Frankreich maximal 102 GWh/h nachgefragt.
Zudem ist ersichtlich, dass die Preise in Deutschland einen Maximalwert von 210 EUR/MWh erreichen,
während die französischen Preise bis auf knapp 2000 EUR/MWh ansteigen. Diese Preisniveaus lassen
sich nicht durch Grenzkostenpreissetzung rechtfertigen. Sie spiegeln die Preissetzung innerhalb des
Peak-load-Pricing Modells wider, in denen in Knappheitssituationen signifikante Preisspitzen auftreten
können. Solche Preisspitzen signalisieren den Bedarf für mehr Erzeugungskapazitäten und reizen
somit Investitionen an.
22
Eine weitere Auffälligkeit sind die negativen Preisspitzen im deutschen Markt. Die Preise fallen bis auf
-100 EUR/MWh. In diesen Stunden ist die Nachfrage zwar nicht sehr niedrig, aber vermutlich wurde
sehr viel Windenergie eingespeist. Dies ist in dieser Grafik nicht ersichtlich, da hier lediglich die
Nachfrage und nicht die residuale Nachfrage aufgezeigt ist. Diese negativen Preisspitzen signalisieren
den Bedarf für zusätzliche Flexibilitäten im Markt. Dennoch ist ein gewisser Anteil an must-run
Kapazität für Systemdienstleistungen und im Fall von KWK-Anlagen für die Wärmeversorgung
notwendig. Die effiziente Form der Flexibilität sollte sich aufgrund von Anreizen in Form negativer
Preise und den jeweiligen Kosten herausbilden (Nicolosi, 2010).
In Knappheitssituationen, sowohl bei hohem als auch bei sehr geringem Bedarf, entfernt sich der
Strompreis
von
den
kurzfristigen
Grenzkosten
und
wechselt
das
Regime
hin
zu
einer
Opportunitätskostenpreissetzung. Diese basiert entweder auf dem Grenznutzen der Nachfrage, auf
den Opportunitätskosten durch andere Märkte oder bei Speicheranwendungen auf dem Wert zu
anderen Zeitpunkten und auf Preisaufschlägen der Erzeuger, wenn dies aufgrund knapper werdender
Kapazitäten möglich ist.
4.1.2 Erzeugungsmix in Deutschland
In diesem Abschnitt wird die Entwicklung des Erzeugungsmixes betrachtet, um die längerfristige
Perspektive auf Anpassungsprozesse zu ermöglichen.
Der Erzeugungsmix in Deutschland basiert nach wie vor zu mehr als zwei Dritteln auf fossilen und
nuklearen Brennstoffen. Während der Anteil der Kernenergie aufgrund von Kraftwerksstilllegungen in
den vergangenen Jahren zurückging, blieb die Erzeugung in Braunkohlekraftwerken relativ konstant.
Wie Abbildung 4.3 zeigt, erzeugten Braunkohle- und Kernkraftwerke im Jahre 2011 zusammen fast
die Hälfte des Stroms in Deutschland. Im Zeitverlauf hat sich der Anteil der Erzeugung aus
Gaskraftwerken leicht erhöht, während die Steinkohle-basierte Erzeugung leicht zurückging. Auffällig
ist der starke Anstieg der Erzeugung aus erneuerbare Energiequellen. Der EE-Anteil wird zudem
durch die grüne Linie hervorgehoben. Während der EE-Anteil im Jahr 2001 bei 6,6% lag, hat er im
Jahr 2011 fast 20% der Stromnachfrage gedeckt.
Der EE-Ausbau findet schneller statt als sich der Kraftwerkspark anpassen kann. Als Folge wirkt sich
der schnelle Anstieg des EE-Anteils nicht nur national sondern auch im europäischen Kontext aus und
verschiebt die Import-/Exportbilanz. Während in den Jahren 2001 und 2002 die deutsche Strombilanz
noch relativ ausgeglichen war, stieg, u.a. aufgrund der zunehmenden EE-Erzeugung, der Nettoexport
bis zu einem Rekordwert von 22,4 TWh in 2008 (AG Energiebilanzen, 2012). Die Stilllegung von acht
Kernkraftwerken in 2011 wirkte wie eine Korrektur der Strombilanz, so dass der Nettoexport auf 6
TWh in 2011 zurückging. Obwohl diese Entscheidung politischer Natur war, geht die Entwicklung
eines
kleiner
werdenden
Grundlastanteils
mit
Anpassungsnotwendigkeiten einher.
23
den
theoretisch
hergeleiteten
langfristigen
Abbildung 4.3:
Entwicklung des deutschen Erzeugungsmixes
700
25
600
20
Erzeugung [TWh]
400
15
300
EE-Anteil [%]
500
10
200
100
5
0
0
-100
Netto Import
Erneuerbare
Öl
Erdgas
Steinkohle
Braunkohle
Kernenergie
EE-Anteil [%]
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Quelle: Eigene Darstellung, Daten von AG Energiebilanzen und BMU
Wie in Abschnitt 3.2.3 hergeleitet, hat ein hoher Grundlastanteil einen Effekt auf die Preissetzung. Bei
kurzfristig hoher EE-Einspeisung in Kombination mit einer niedrigen Nachfrage sind Kraftwerke,
welche z.B. für die Systemsicherheit benötigt werden, bereit negative Preise zu akzeptieren, um ein
Herunterfahren zu vermeiden. Diese Preissignale sind ebenso wie positive Preisspitzen als Knappheit
zu verstehen. In diesem Fall herrscht eine Knappheit an Flexibilität im Markt, die durch eine negative
Preisspitze signalisiert wird.
Diese zunehmende Preisvolatilität hat Auswirkungen auf das Investitionsverhalten. Tendenziell
werden Kraftwerke mit geringen Investitionskosten und hoher Flexibilität angereizt. Um eine
Investitionsentscheidung zu treffen, ist jedoch eine Marktbereinigung notwendig, die zu vereinzelten
Stilllegungen führt, wodurch der Strommarkt in die Lage versetzt wird, wieder Knappheiten durch
positive Preisspitzen zu signalisieren. Diese Anpassungen findet derzeit statt, da die Wirtschaftlichkeit
einer Anzahl an Kraftwerken nicht mehr gewährleistet ist. Gleichzeitig besteht Interesse einer Vielzahl
an Investoren, in Neuanlagen zu investieren. Für eine große Anzahl von Projekten liegen bereits alle
relevanten Genehmigungen vor.
Die Veränderungen im deutschen Erzeugungsmix zeigen, dass sich der Strommarkt derzeit in einer
Umbruchsituation befindet, welche die aktuell niedrigen Preise erklärt und gleichzeitig bereits
Tendenzen der Anpassung aufzeigt.
24
4.2
Auswirkungen des EU Binnenmarktes
Neben der starken Ausweitung der erneuerbaren Energien ist die Bildung des europäischen
Binnenmarktes ein weiterer wesentlicher Treiber der aktuellen Marktsituation. Wie bereits in
Abschnitt 3.3 diskutiert, wird bis zum Jahr 2014 ein europäisch integrierter Day-ahead und IntradayMarkt angestrebt. Der deutsche Markt ist durch seine geografische Lage mit neun anderen
Marktgebieten verbunden.
Um die Effekte der Einführung einer impliziten Marktkopplung im Oktober 2010 darzustellen, werden
empirische Daten für Deutschland und die Niederlande verwendet. Nach wie vor basieren die
Berechnungen der Übertragungskapazitäten auf Net Transfer Capacities (NTCs). In naher Zukunft
wird diese Kalkulation auf Basis von flussbasierten Methoden durchgeführt, welche tendenziell zu
einer bessere Ausnutzung der Interkonnektoren führen. ENTSO-E (2012) gibt einen NTC Wert von
Deutschland in die Niederlande von 3,9 GW an und in die Gegenrichtung von 3 GW.
Die Entwicklung der Preiskonvergenz ist in Abbildung 4.4 dargestellt. Wie sich anhand der blauen und
orangefarbenen Linien sehen lässt, lagen die durchschnittlichen Strompreise im Jahr 2003 noch fast
17 EUR/MWh auseinander. Seit 2008 liegt die Differenz im Durchschnitt bei unter einem Euro pro
MWh.
Preiskonvergenz im deutschen und niederländischen Markt
100%
80
90%
70
80%
60
70%
50
60%
50%
40
40%
Großhandelspreise [€/MWh]
Anteil der Preisniveaus [%]
Abbildung 4.4:
30
30%
20
20%
10
10%
0%
0
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
>20
10-20
5-10
1-5
<1
Durchschnittspreis NL
Durchschnittspreis DE
2011
Quelle: Eigene Darstellung, Daten von Platts.
Einen detaillierten Blick auf die Preisunterschiede in einzelnen Stunden erlaubt das Balkendiagramm.
Die dunkelblaue Fläche zeigt eine Preisdivergenz von unter einem Euro pro MWh. Zwischen 2003 und
2009 lagen (mit der Ausnahme in 2004) die stündlichen Preise unter 20% der Zeit näher als ein Euro
pro MWh beieinander (Preiskonvergenz). Die häufigste Preisdivergenz lag zwischen einem und fünf
25
Euro pro MWh. Es ließen sich jedoch auch Preisdivergenzen von mehr als 20 EUR/MWh beobachten.
Das Jahr 2010 fällt aus dem Rahmen, da das letzte Quartal bereits einer impliziten Marktkopplung
unterlag. Der Anteil der Preiskonvergenz stieg von üblicherweise unter 20% auf etwa 90% in 2011.
Wie in Abschnitt 3.3.1 erklärt, gehen mit dieser Preiskonvergenz erhebliche Effizienzgewinne in Form
von reduzierten Brennstoffkosten einher.
Dieser Effizienzgewinn basiert einzig und allein auf einem effizienteren Marktdesign, da keine
Investitionen in die Übertragungskapazität stattgefunden haben. Wie in Abschnitt 3.3.3 beschrieben,
profitieren vor allem die Kunden von dieser Effizienzsteigerung, da die Konsumentenrente auf Kosten
der Produzentenrente ansteigt. Die Preisdivergenzen in der Vergangenheit wirken wie kleine
Preisaufschläge
in
den
einzelnen
Märkten.
Nun
entfallen
diese
durch
den
effizienteren
Kraftwerksbetrieb. Somit wirkt die Effizienzsteigerung wie plötzlich eintretende Überkapazitäten.
Ebenso wie bei den verhältnismäßig kurzfristig auftretenden EE-Effekten wird sich der Kraftwerkspark
an diese Situation anpassen. Da sich der EU-Binnenmarkt planmäßig bis zum Jahr 2014
weiterentwickeln soll, steht diese Entwicklung jedoch erst am Anfang: Im Anschluss folgen weitere
Effizienzsteigerungen durch die Integration der Regelenergiemärkte, welche zu vergleichbaren
Effekten führen werden.
4.3
Auswirkungen der EE-Integration im EU-Binnenmarkt
Trotz
der
dargestellten
Effizienzgewinne
kam
es
in
2011
in
etwa
10%
der
Stunden
zu
Preisdivergenzen mit teilweise Abweichungen von über 20 EUR/MWh. Um Gründe für diese
Divergenzen zu verstehen, werden die Stunden der Abweichungen in Abbildung 4.5 der residualen
Nachfrage gegenübergestellt.
26
Abbildung 4.5:
Abweichungen vom gemeinsamen Preis
30
20
Preisdelta D - NL [€/MWh]
10
0
-10
-20
-30
-40
-50
0
10.000
20.000
30.000
40.000
50.000
60.000
70.000
80.000
Residuale Last in Deutschland [MWh/h]
Quelle: Eigene Darstellung, Daten von EEX und Platts
Abbildung 4.5 zeigt die Stundenwerte in 2011, in denen die Preise in Deutschland und in den
Niederlanden voneinander abwichen. Auf der vertikalen Achse abgetragen sind die Preisdifferenzen.
Ein positiver Wert zeigt einen höheren Preis in Deutschland im Vergleich zu den Niederlanden, Punkte
mit negativen Werten auf der vertikalen Achse symbolisieren Stunden, in denen der Großhandelspreis
für Strom in Deutschland niedriger waren als in den Niederlanden. Auf der horizontalen Achse ist die
jeweilige residuale Last in Deutschland aufgezeichnet.3
Die Abbildung zeigt deutlich den Zusammenhang zwischen der residualen Last in Deutschland und
den Preisunterschieden zu den Niederlanden. Wenn die residuale Last unter einen Wert von 37 GW
fiel, lagen die Preise in Deutschland jeweils unter den Preisen in den Niederlanden.
Gleichzeitig zeigt die Grafik, dass die Abweichungen im negativen Bereich sehr viel deutlicher
ausfallen, als die Abweichungen in Stunden, in denen Deutschland die höheren Marktpreise hat.
Dieser strukturelle Effekt wird in Abbildung 4.6 näher untersucht, indem der Preisdivergenz die EEEinspeisungen gegenübergestellt werden.
3
In diesem Fall wird die Gesamtnachfrage abzüglich der Einspeisung aus Wind- und Sonnenenergie als residuale Last bezeichnet.
27
Abbildung 4.6:
Abweichungen in Abhängigkeit von der Einspeisung aus EE 2011
30
20
Preisdelta D-NL [€/MWh]
10
0
-10
-20
-30
-40
-50
0
5.000
10.000
15.000
20.000
25.000
30.000
Wind + PV Einspeisung in Deutschland [MWh/h]
Quelle: Eigene Darstellung, Daten von EEX und Platts
Wiederum ist auf der vertikalen Achse die Differenz zwischen deutschen und niederländischen
Großhandelspreisen dargestellt, auf der horizontalen Achse ist die Summe der Wind und PV
Einspeisungen
abgetragen.
In
2011
lag
die
durchschnittliche
Einspeisung
aus
Wind
und
Sonnenenergie bei 7,2 GW. Es ist auffällig, dass bei einer EE-Einspeisung über 13,5 GW keine
positiven Abweichungen mehr
für
das
deutsche
Marktgebiet zu beobachten sind. Bei
EE-
Einspeisewerten unter 13,5 GW wichen in wenigen Fällen die Preise auch in die andere Richtung ab.
Erst bei einer deutlich unterdurchschnittlichen EE-Einspeisung von bis zu ca. 4 GW lässt sich ebenfalls
eine Häufung von positiven Preisdifferenzen feststellen.
Die effiziente Bewirtschaftung der Kuppelleitungen wirkt sich ebenfalls positiv auf die EE-Integration
aus. Situationen mit EE-bedingtem Überangebot an Strom lassen sich besser auf verschiedene
Märkte verteilen. Die geringere Anzahl an negative Preisspitzen im Vergleich zu den Jahren 2009 und
2010 ist ein Indiz für diesen Effekt. Bei ineffizienter Nutzung des Interkonnektors in der
Vergangenheit kam es in einigen Stunden zu extremen Preisreaktionen, obwohl potenziell weitere
Energie hätte exportiert werden können. Diesen extremen Preisreaktionen wird nun durch eine
effiziente geografische Verteilung entgegengewirkt. Dies gilt im Umkehrschluss ebenso für positive
Preisspitzen.
Sobald der Interkonnektor ausgelastet ist, kommt es zu Preisabweichungen. In Abbildung 4.6 ist zu
sehen, dass die EE-Einspeisung hierbei eine wichtige Rolle spielt. Daraus lässt sich ablesen, dass
Deutschland und die Niederlande eine unterschiedliche residuale Laststruktur haben. Im Zeitverlauf
werden sich diese abweichenden Laststrukturen in Anpassungen der Kraftwerksparks widerspiegeln.
28
Hierbei wird Deutschland in Zeiten hoher EE-Einspeisung zum Exporteur und in Zeiten von geringer
EE-Einspeisung zum Importeur. Der dazu passende Kraftwerkspark zeichnet sich durch einen
geringeren Anteil an Grundlastkraftwerken und einen höheren Spitzenlastanteil aus.
4.4
Zwischenfazit: Zeitgleiche EE und EU Integration
In diesem Abschnitt wurden die theoretischen Wirkungszusammenhänge aus Kapitel 3 empirischen
Beispielen gegenübergestellt. Anhand der Stromgroßhandelspreise lässt sich feststellen, dass sie
sowohl in der längeren Frist, als auch in der sehr kurzen (stündlichen) Frist auf Knappheiten im Sinne
des Peak-load-Pricing reagieren. In Zeiten von Knappheiten weichen die Preise von den
Grenzkosten ab und signalisieren damit einen Bedarf. Dies gilt sowohl für positive, wie auch für
negative Preisspitzen.
Die Effekte der Integration des EU-Binnenmarktes zeigen sich anhand der stark gestiegenen
Preiskonvergenz zwischen den Marktgebieten. Die Einführung des impliziten Market Coupling im
CWE-Raum hat somit signifikante Effizienzgewinne zur Folge. Diese Effizienzgewinne gehen in der
Übergangsphase zu Lasten der Produzenten, welche geringere Deckungsbeiträge realisieren können.
Dies ist ein direktes Resultat aus dem Streben nach mehr internationalem Wettbewerb und Effizienz.
Die ersten empirisch beobachtbaren Effekte deuten demnach darauf hin, dass die Ziele durch die
getroffenen Anpassungen des Marktdesigns erreicht werden. Die aktuell niedrigen Preise sind ein
Beleg für diesen Erfolg. Aufgrund der EU-Binnenmarktintegration wirkt sich die angespannte
konjunkturelle Lage in einigen EU-Ländern ebenfalls stärker auf den deutschen Markt aus. Da in
einigen Ländern die Stromnachfrage konjunkturbedingt relativ gering ist, werden in diesen Ländern
Erzeugungskapazitäten frei. Durch die effiziente Bewirtschaftung der Interkonnektoren lassen sich
diese freien Kapazitäten für die Deckung der Nachfrage in anderen Ländern nutzen. Es profitieren
Stromnachfrager von diesen Effekten, während Erzeuger sich hierdurch stärkerem Wettbewerb
ausgesetzt sehen. Folglich ist auch dies ein gewünschter Effekt der Liberalisierungsbestrebungen.
Die beiden Effekte des Peak-load-Pricing und der EU-Binnenmarktintegration wirken sich ebenfalls
positiv auf die EE-Integrationseffekte aus. In Stunden mit hoher Einspeisung aus erneuerbaren
Energien sinkt tendenziell der Strompreis am Großhandelsmarkt. Diesem Effekt wird teilweise durch
die effiziente Verteilung auf andere Marktgebiete entgegengewirkt. Die gesunkene Anzahl an Stunden
mit negativen Strompreisen ist ein Indiz hierfür. Dennoch kommt es zu Situationen, in denen die
Kuppelleitung ausgelastet ist und sich eine Preisdivergenz einstellt. Bei hoher EE-Einspeisung sinken
daher die deutschen Preise unter diejenigen der Nachbarländer. Dieser Effekt zeigt die abweichende
residuale Laststruktur Deutschlands. Da sich der deutsche Kraftwerkspark noch nicht an die Situation
des schnell angestiegenen Anteils erneuerbarer Energien angepasst hat, kommt es häufig zu
Situationen mit Preissetzung durch Mittel- und Grundlastkraftwerke. Dieser Umstand ist nicht
langfristig tragfähig, da die Wirtschaftlichkeit einzelner Kraftwerkstypen nicht gegeben ist. Aus
diesem Grund findet derzeit ein Bereinigungsprozess statt, der zu Stilllegungen einzelner Kraftwerke
führt. Als Ergebnis wird sich in Zukunft häufiger ein hoher Strompreis bilden, der wiederum
Investitionen in die angemessenen Kraftwerkstechnologien anreizt.
29
Obwohl es aufgrund des europäischen Strommarktes sehr unwahrscheinlich ist, kann nicht
vollkommen ausgeschlossen werden, dass es in dieser Übergangsphase zu einer ausbleibenden
Markträumung kommen könnte. Es gibt eine Vielzahl von Optionen, die wahrscheinlich vor einer
solchen Situation zum Einsatz kommen würden. Der folgende Abschnitt diskutiert daher Optionen aus
der Perspektive verschiedener Komponenten des Strommarktes und stellt sie den in Kapitel 2
diskutierten Annahmen gegenüber, mit denen in einigen Studien für die Notwendigkeit von
Kapazitätsmechanismen argumentiert wird.
30
5 Diskussion typischer Annahmen und
Lösungsansätze verschiedener Komponenten
Im vorangegangenen Kapitel wurde die aktuelle Situation am Strommarkt in den theoretischen
Rahmen
eingeordnet.
Somit
konnten
die
derzeit
auftretenden
Effekte
mit
voraussehbaren
Marktergebnissen erklärt werden. Auf dieser Basis werden nun die in Kapitel 2 dargestellten
Annahmen einiger Studien anhand empirischer Beispiele diskutiert und Lösungsoptionen aufgezeigt,
die möglich werden, wenn von diesen Annahmen abgewichen wird. Diskutiert werden die Definition
der Versorgungssicherheit, angebots- und nachfrageseitige Annahmen und das Verständnis der
Preissetzung.
5.1
Definition der Versorgungssicherheit
Die Definition der Versorgungssicherheit ist ein übergeordnetes Thema, das alle Komponenten des
Strommarktes umfasst. Von dieser Definition ist abhängig, wie die Versorgung auf dem Strommarkt
gesichert
werden
kann.
Wie
bereits
in
Abschnitt
2.1
diskutiert
definieren
einige
Studien
Versorgungssicherheit als öffentliches Gut und sehen daher die Notwendigkeit ausreichend physische
Erzeugungskapazität für die erwartete Spitzenlastsituation vorzuhalten. Andere Studien definieren
Versorgungssicherheit als Ausgleich von Angebot und Nachfrage über das Strompreisniveau. Darüber
hinaus
liegt
in
der
politischen
Verantwortung,
entweder
national
oder
auf
EU-Ebene,
die
Rahmenbedingungen des Strommarktes zu definieren. Das EU Binnenmarkpaket nennt als eine der
Ziele des Stromverbundes die Steigerung der Versorgungssicherheit.
In diesem Abschnitt wird vornehmlich die regionale Dimension der Versorgungssicherheit diskutiert.
Dies beinhaltet die Auswirkungen einer nationalen, EU-weiten oder sogar lokal definierten
Versorgungssicherheit. Die Preiselastizität der Nachfrage, welche ebenfalls wichtige Implikationen für
die Definition der Versorgungssicherheit hat, wird im Abschnitt der Preissetzung diskutiert, da es
starke Interdependenzen der beiden Themen gibt.
5.1.1 Regional koordinierte Bewirtschaftung eines größeren Marktgebiets
Eine Lösungsoption, um mit der Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen umzugehen, ist die
Erweiterung der Versorgungssicherheitsdefinition auf ein größeres Marktgebiet und somit die
Berücksichtigung von Erzeugungskapazität in Nachbarländern bei der Deckung der deutschen
Nachfrage. Bis zu welchem Grad eine solche Definition angewendet wird, verbleibt in der
Verantwortung
der
Politik.
Dennoch
bietet
die
Berücksichtigung
des
EU-Binnenmarktes
ein
erhebliches Effizienzpotenzial im operativen und im investiven Bereich, wie in Abschnitt 3.3
dargestellt wurde.
31
Da Deutschland Interkonnektoren zu neun angrenzenden Marktgebieten hat, ist die Wahrscheinlichkeit verfügbarerer Erzeugungsleistung und Übertragungskapazität in Knappheitssituationen sehr
hoch. Die Übertragungskapazitäten werden in Abbildung 5.1 auf Basis von Net Transfer Capacities
(NTCs) dargestellt (ENTSO-E, 2011).
Abbildung 5.1:
Interkonnektoren zu angrenzenden Marktgebieten (in MW)
DK-Ost
DK-West
Import: 1500
Schweden
Import: 585
Import: 610
Export:600
Export: 600
Export: 950
Polen
Niederlande
Import: 1100
Import: 3000
Export: 1200
Export: 3850
Tschechien
Import: 2300
Export: 800
Frankreich
Import: 2700
Österreich
Export: 3200
Schweiz
Import: 2000
Import: 3500
Export: 2200
Export: 1500
Quelle: Eigene Darstellung, Daten von ENTSO-E (2011).
Die in Abbildung 5.1 dargestellten NTCs wurden unter bestimmten Annahmen kalkuliert. In der
Realität können die verfügbaren Übertragungskapazitäten von diesen Werten abweichen. So wird für
die Kuppelleitung nach Österreich in BNetzA (2012) auf eine Übertragungskapazität von 10 GW
verwiesen.
Die
Umstellung
auf
flussbasierte
Methoden
zur
Kalkulation
der
Übertragungskapazitäten
in
Kombination mit impliziten Marktkopplungsinitiative (wie in Abschnitt 3.3 diskutiert), führt innerhalb
der
nächsten
Jahre
zu
einer
besseren
Nutzung
vorhandener
Übertragungs-
und
Erzeugungskapazitäten im EU-Binnenmarkt. Zusätzlich können Investitionen in das Stromnetz die
verfügbaren Übertragungskapazitäten noch ausweiten. Zwei Projekte, die innerhalb der nächsten
zehn Jahre realisiert werden könnten, sind die DC-Unterseekabel Nord-Link und NorGer nach
Norwegen mit verfügbaren Kapazitäten von jeweils 1,4 GW.
Die Auswirkungen der Bewirtschaftung eines größeren Marktgebietes lassen sich anschaulich anhand
des deutschen Netzregelverbundes darstellen. Bis 2008 haben die deutschen ÜNB unabhängig
32
voneinander Regelleistung akquiriert und eingesetzt, um Prognosefehler und Kraftwerksausfälle
innerhalb ihrer Regelzone auszugleichen. Dabei kam es zu Situationen, in denen die ÜNB
gegeneinandergeregelt haben, in denen also ein ÜNB positive Regelenergie abgerufen hat, während
ein anderer ÜNB negative Regelenergie benötigte. Da dieses Vorgehen ineffizient war, haben 50Hertz
Transmission, TenneT und TransnetBW ihre Regelzonen in einer zusammengelegten Auktion und mit
koordiniertem Abruf gemeinsam bewirtschaftet. Im Mai 2010 hat sich Amprion dem Netzregelverbund
angeschlossen. Durch den koordinierten Regelenergieabruf hat sich die abgerufene Energiemenge
reduziert. Ein weiterer großer Vorteil der gemeinsamen Bewirtschaftung ist die Reduktion der
Leistungsvorhaltung. Dieser Effekt ist in Abbildung 5.2 dargestellt.
Abbildung 5.2:
Reduktion der Leistungsvorhaltung durch den Netzregelverbund
3500
Mai 2009 - April 2010
Mai 2010 - April 2011
3000
Leistung [GW]
2500
2000
1500
1000
500
0
Positiv
Primärreserve
Negativ
Postiv
Sekundärreserve
Negativ
Minutenreserve
Quelle: BNetzA Monitoringbericht (2011).
Für
die
gesicherte
Leistung
spielt
vor
allem
die
Reduktion
der
positiven
Sekundär-
und
Minutenreservevorhaltung eine Rolle. Die vorher gebundenen Kapazitäten wurden dadurch für den
Energiemarkt nutzbar. Dieser Effekt wirkt auf den Strommarkt folglich wie eine Ausweitung der
Erzeugungskapazität. Der Grund für diesen Effizienzgewinn liegt in der stochastischen Natur der Last
und EE-Prognosefehler sowie der Kraftwerksausfälle begründet. Je größer die Menge stochastischer
Ereignisse ist (tendenziell steigt die Zahl bei einer größeren Fläche), desto eher gleichen sie sich aus.
Um von diesen Ausgleichseffekten zu profitieren, haben weitere ÜNB Interesse bekundet, sich am
Netzregelverbund zu beteiligen. Im Oktober 2011 ist Energienet.dk beigetreten, im Februar 2012 der
niederländische Übertragungsnetzbetreiber TenneT BV, einen Monat später hat sich Swissgrid
33
angeschlossen und Anfang Juni 2012 der tschechische Übertragungsnetzbetreiber CEPS (siehe
Abbildung 5.3).
Abbildung 5.3:
Regionale Darstellung des Netzregelverbundes
Quelle: Eigene Darstellung.
Im Zuge der EU-Binnenmarktintegration wird im Anschluss an die implizite Marktkopplung der Dayahead und Intradaymärkte die Integration der Regelenergiemärkte geplant. Es kann folglich davon
ausgegangen werden, dass der in Abbildung 5.2 beschriebene Effekt sich auf europäischer Ebene
wiederholen wird. Zwar werden aufgrund von Netzengpässen zwischen den Marktgebieten vermutlich
Kernanteile beibehalten, dennoch sollte im Anschluss an die Integration mehr Erzeugungskapazität
für den Energiemarkt verfügbar sein.
Konsequenterweise hat die Integration des EU-Binnenmarktes auch Auswirkungen auf die investive
Effizienz, wie in Abschnitt 3.3.2 beschrieben. Durch die bessere Nutzung vorhandener Erzeugungsund Übertragungskapazitäten kann die vorzuhaltende Erzeugungskapazität reduziert werden, wenn
von der nationalen Perspektive auf die Versorgungssicherheit abstrahiert wird.
In Abschnitt 2.2 wurden die investiven Effizienzpotenziale bei der Berücksichtigung größerer
Marktgebiete diskutiert. Dieser Effekt wird anhand empirischer Daten aus Deutschland, Frankreich
34
und Dänemark für das Jahr 2011 analysiert.4 In Abbildung 5.4 werden die nationalen Spitzenlasten
und die zeitgleiche gemeinsame Spitzenlast der zeitgleichen residualen Spitzenlast gegenübergestellt.
Abbildung 5.4:
Exemplarische Darstellung des Ausgleichs von Last und residualer
Last anhand eines drei-Länder Beispiels in 2011
176
174
Nachfrage [GWh/h]
~ 2GW
172
~ 6GW
~ 4GW
170
168
166
164
Addierte Spitzenlasten
Maximale zeitgleiche Last
Maximale zeitgleiche
residuale Last
Quelle: Eigene Darstellung, Daten von EEX und Platts.
•
Zwar ähneln sich die Nachfragestrukturen der drei Länder, dennoch haben sie nicht
zwangsläufig zur gleichen Zeit ihre maximale Nachfrage.
•
Die maximale Nachfrage reduziert sich bei der Berücksichtigung der drei Länder um etwa 2
GW gegenüber den jeweiligen nationalen Betrachtungsweisen. Wie bereits in Abschnitt 3.3
erläutert, basiert dieser Effekt auf der stochastischen Verteilung der Nachfrage.
•
Ein weiterer stochastischer Mittelungseffekt tritt bei der Windenergieeinspeisung auf. Die
Betrachtung der maximalen zeitgleichen residualen Nachfrage führt somit zu einer weiteren
Reduktion des Maximalwertes um 4 GW.
•
Unter der Annahme, dass in dieser Spitzenlaststunde ausreichend Übertragungskapazität
verfügbar ist, könnte in diesem Beispieljahr eine Reduktion der gemeinsamen Spitzenlast um
6 GW für diese drei Länder realisiert werden. Eine Ausweitung der Betrachtung auf mehr
Länder könnte zu höheren potenziellen Reduktionseffekten führen.
4
Aus Gründen der Datenverfügbarkeit wurden die Effekte lediglich für drei Länder untersucht. Bei einer Ausweitung auf alle neun
angrenzenden Marktgebiete sollten die Effekte entsprechend größer ausfallen.
35
Dieses Drei-Länder-Beispiel dient lediglich der Illustration der Durchmischungseffekte auf Basis des
Jahres 2011. Die zeitgleiche Spitzenlast ändert sich jährlich, ebenso wie die zeitgleiche EEEinspeisung.
Da
keine
hundertprozentige
Versorgungssicherheit
angestrebt
wird,
werden
probabilistische Methoden herangezogen. Folglich erhöht sich durch die beschriebenen Effekte die
Versorgungssicherheit. Die daraus ableitbaren Einspareffekte können zudem nur realisiert werden,
wenn die Übertragungskapazitäten dies zulassen. Für die Kalkulation der EE-Einspareffekte wurde
lediglich Windenergie herangezogen. Bei Berücksichtigung anderer Must-run Anlagen würde der
Effekt entsprechend größer ausfallen. Beispielsweise würde die Berücksichtigung der deutschen
Biomasseerzeugung (unter der Annahme eines konstanten Jahresbandes), die residuale Spitzenlast
um weitere 4,2 GW reduzieren.
5.1.2 Versorgungssicherheit in kleineren Gebieten
Sollte die politisch definierten Versorgungssicherheitsbestrebungen in Richtung kleinerer Marktgebiete
gehen und somit den Bestrebungen des EU-Binnenmarktes entgegenwirken, drehen sich folglich die
beschriebenen Effekte um. In Summe müsste deutlich mehr Leistung bereitgestellt werden, wodurch
die Investitionskosten höher ausfallen. Zudem kommt es aufgrund von geografisch bedingten
Verfügbarkeiten von Primärenergieträger zu Zusatzkosten im operativen Betrieb.
Bei der Betrachtung erneuerbarer Primärenergieträger würde ein eine suboptimale geografische
Verteilung
dazu
führen,
dass
beispielweise
Standorte
mit
schlechteren
Wind-
und
Sonnenverhältnissen erschlossen werden. Um die gleiche Energieausbeute an diesen Standorten zu
realisieren, müsste entsprechend mehr Kapazität aufgebaut werden. Vor dem Hintergrund aktueller
Diskussion einer EU-weit koordinierten Strategie bei der Förderung erneuerbarer Energie, mit dem
Ziel die Kosten zu reduzieren, erscheint diese Option nicht erstrebenswert.
Die suboptimale Anordnung konventioneller Erzeugungskapazitäten führt prinzipiell zu ähnlichen
Effekten. Der wesentliche Vorteil fossiler Brennstoffe ist, dass sie transportiert werden können. Die
Wirtschaftlichkeit des Transports hängt von der Energiedichte ab.
•
Braunkohle wird aufgrund des Verhältnisses von variablen Kosten und Energiedichte nicht
transportiert.
Stattdessen
wird
sie
direkt
an
der
Förderstätte
verstromt
und
über
Stromleitungen abtransportiert. Die Anordnung von Braunkohlekraftwerken wird folglich
durch die Verfügbarkeit bestimmt und kann geografisch nicht ohne signifikante Zusatzkosten
verlagert werden.
•
Nukleare Brennelemente zeichnen sich durch eine sehr hohe Energiedichte aus, wodurch sie
zu verhältnismäßig geringen Kosten über weite Strecken transportiert werden können. Aus
diesem Grund haben sich in der Vergangenheit auch Standorte in Süddeutschland als
wirtschaftlich erwiesen. Aufgrund des beschlossenen Kernenergieausstiegs scheidet diese
Technologie jedoch als Lösungsoption aus.
•
Steinkohle lässt sich zwar über weite Strecken transportieren, der Transport im deutschen
Binnenmarkt geht jedoch mit hohen Kosten einher. Als Transportoptionen stehen die
Binnenschifffahrt und der Schienenverkehr zur Verfügung, um die Steinkohle von der Küste
36
an den Kraftwerksstandort zu transportieren. Abbildung 5.5 bietet eine Übersicht der
Transportkosten für Steinkohle in Deutschland.
Abbildung 5.5:
Darstellung der Transportkosten für Importkohle
2,42€/t
11,75€/t
36,76€/t
per Bahn
10,55€/t
9,20€/t
14,40€/t
55,10€/t
per Bahn
13,68€/t
20,94€/t
11,60€/t
45,28€/t
per Bahn
Quelle: Frontier/Consentec (2008).
•
Ende Juli 2012 kostet eine Tonne Steinkohle in Rotterdam ca. 72 EUR/t.5 In dieser
Kostenrelation können die Transportkosten innerhalb Deutschlands als signifikant bezeichnet
werden.
Ein
suboptimale
Anordnung
der
Erzeugungskapazitäten
würde
demnach
im
operativen Betrieb bei jeder eingesetzten Tonne Steinkohle zu den in Abbildung 5.5
dargestellten Zusatzkosten führen.
•
Eine weitere Option bietet die Stromerzeugung in Gaskraftwerken. Die Verfügbarkeit von
Erdgas innerhalb Deutschlands ist in Abbildung 5.6 anhand des Leitungsnetzes dargestellt.
5
Quelle: Dow Jones Trade News (27. Juli 2012): 89 USD/t bei einem Wechselkurs von 1,23 USD/EUR
37
Abbildung 5.6:
Erdgasnetz in Deutschland
Quelle: Kavernen Informationszentrum Etzel (2012)
•
Die Verfügbarkeit auf Basis des Erdgasnetzes stellt sich für alle deutschen Regionen als
verhältnismäßig ausgeglichen dar. Dennoch hängt die Wirtschaftlichkeit zusätzlich von den
leitungsgebundenen Transportkosten ab. Diese sind in Abbildung 5.7 der Entfernung
gegenübergestellt.
Abbildung 5.7:
Entwicklung der Transportkosten für Erdgas
Quelle: Frontier/Consentec (2008)
•
Ende Juli 2012 kostete Erdgas in Deutschland etwa 24 EUR/MWhth. In dieser Relation führt
der Transport von Erdgas innerhalb Deutschlands zu akzeptablen Zusatzkosten.
38
Aus dieser Übersicht wird ersichtlich, dass es sich tendenziell nicht lohnt, Erzeugungskapazitäten auf
Basis erneuerbarer Primärenergieträger zu verlagern. Das gilt ebenso für Braunkohle und in der
Tendenz ebenfalls für Steinkohle befeuerte Anlagen. In diesen Fällen sollten Erzeugungskapazitäten
an Standorten errichtet werden, die sich durch einen günstigen Zugang zu Primärenergieträgern
auszeichnen. Es ist deutlich kostengünstiger, den Strom mit Hilfe von Stromleitungen in die
Lastzentren zu transportieren als die hohen Transportkosten der Primärenergieträger in Kauf zu
nehmen.
Im Fall von Erdgas kommt es zu einer anderen Abwägung. Die Verfügbarkeit ist für ganz Deutschland
verhältnismäßig gut. Aufgrund der relativ teuren Erzeugungskosten erscheint zum jetzigen Zeitpunkt
eine Investition in gasbefeuerte Anlagen als wirtschaftlich nicht attraktiv. Dennoch wird sich der
Kraftwerkspark in naher Zukunft an die Herausforderungen der EE-Integration anpassen. Sobald
dieser
Wandel
stattfindet,
werden
Investitionen
in
Gaskraftwerke
aufgrund
der
residualen
Nachfragestruktur an Bedeutung gewinnen. Diese können an Standorten errichtet werden, die relativ
unabhängig von Brennstoff-Transportkosten sind, sofern Strom- und Gasnetzanschlüsse vorhanden
sind, bzw. zeitnah bereitgestellt werden können.
Da die Energiewende politischer Konsens ist und eine Transformation der Energieversorgung nicht
ohne signifikante Windenergieerzeugung im Norden Deutschlands und sogar in der Nord- und Ostsee
möglich scheint, führen alternative Lösungskonzepte, die den Netzausbau reduzieren sollen, zu
erheblichen Zusatzkosten des Versorgungssystems. Sowohl aus Sicht der regionalen und der
nationalen Versorgungssicherheit sowie aus Kostengesichtspunkten stellt der Netzausbau eine NoRegret Maßnahme dar.
Nach Aussage der Bundesnetzagentur ist die derzeit am stärksten überlastete innerdeutsche Leitung
die Verbindung zwischen Thüringen und Bayern. Dies führte nach Angaben des Winterberichts
(BNetzA, 2012) zu 2000 Redispatchmaßnahmen im Winterhalbjahr 2011/2012. Dieser Engpass soll
bis zum Jahr 2017 durch Investitionen in die Thüringer Strombrücke beseitigt sein (siehe Abbildung
5.8).
39
Abbildung 5.8:
Regionale Darstellung der Thüringer Strombrücke
Quelle: 50Hertz
Gegen
ein
Teilstück
der
Leitung
in
Thüringen
wurde
im
März
2012
vor
dem
Leipziger
Bundesverwaltungsgerichts geklagt und innerhalb von zwei Monaten wurde gegen einen vorläufigen
Baustopp entschieden, womit der Projektzeitplan keine signifikante Verzögerung erhalten hat. Durch
das Energieleistungsausbaugesetzt (EnLAG) gibt es für priorisierte Leitungen nur noch eine
Klageinstanz.
5.1.3 Zwischenfazit Versorgungssicherheit
Es
gibt
eine
Bandbreite
möglicher
geografischer
Abgrenzungen
für
die
Definition
der
Versorgungssicherheit. Sollte Versorgungssicherheit für kleinere Gebiete definiert werden, führt dies
zu erheblichen Zusatzkosten durch den Aufbau von Überkapazitäten durch Investitionen in
konventionelle Kraftwerke und ggf. durch höhere Brennstoffkosten aufgrund von vermeidbaren
Transportkosten. Sollte die Betrachtung der Versorgungssicherheit dem EU-Binnenmarktgebiet
entsprechen, könnten deutliche Kostenreduktionen realisiert werden. Dennoch kann es aufgrund der
beschriebenen EE- und EU-Integrationseffekte sowie aufgrund von Verzögerungen des Netzausbaus
in Übergangsphasen zu vorübergehenden Versorgungsrisiken kommen. Um die Versorgungssicherheit
in diesen Übergangsphasen zu sichern, stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Diese werden in
Kapitel 6 diskutiert.
40
5.2
Angebotsseitige Annahmen: Fixe Kraftwerkslebensdauer
Wie bereits in Abschnitt 2.2 diskutiert, sind insbesondere für modellbasierte Quantifizierungen
Annahmen bezüglich der technischen Lebensdauer verschiedener Kraftwerkstypen nötig. Diese
Annahmen determinieren den zukünftigen Neubaubedarf und haben somit einen Einfluss auf die
Wahrnehmung der Handlungsnotwendigkeit. Jedoch führen diese fixen Annahmen zu einer Stilllegung
zu einem festgelegten Zeitpunkt, unabhängig vom situativen Preisniveau. Da diese Annahme ein
wesentlicher Treiber der Modellierungsergebnisse ist, wird er im Folgenden diskutiert.
5.2.1 Bandbreite der Annahmen
Da die technische Lebensdauer eine Annahme ist, weichen die Werte in verschiedenen Studien
voneinander ab. Zum Teil werden diese Annahmen nicht explizit genannt, so dass sich die Auswahl
auf verhältnismäßig wenige Studien konzentriert. In Abbildung 5.9 werden Annahmen verschiedener
Studien zu den einzelnen Kraftwerkstypen dargestellt.
Abbildung 5.9:
Annahmen über technische Lebenszeit der Kraftwerke
Steinkohle
Braunkohle
Erdgas GuD
ÜNB Netzentwicklungsplan
(2012)
Gasturbinen
IEA Energy Technology
Perspectives (2012)
ECF Power Perspectives 2030
(2011)
Öl
EWI/Prognos/GWS
Energieszenarien (2010)
0
10
20
30
40
Angenommene technische Lebenszeit (in Jahren)
Quelle: ÜNB, IEA, ECF, EWI/Prognos/GWS
41
50
60
In Abbildung 5.9 wird deutlich, dass die Annahmen zur technischen Lebensdauer je nach Technologie
zum Teil erheblich voneinander abweichen.
•
Für Steinkohlekraftwerke liegen die Annahmen zum Teil 15 Jahre auseinander.
•
Für die technische Lebensdauer von Braunkohlekraftwerken liegen die Annahmen in den zwei
dargestellten Studien lediglich fünf Jahre auseinander.
•
Bei Erdgas GuD-Anlagen liegen die Annahmen mit Ausnahme des Netzentwicklungsplans bei
30 Jahren. Der Konsultationsvorschlag zum Netzentwicklungsplan sah ursprünglich 50 Jahre
vor. Diese Annahme wurde jedoch im Zuge der Konsultation auf 45 Jahre reduziert.
•
Die Bandbreite bei Gasturbinen umfasst Abweichungen von bis zu 20 Jahren. Auffällig ist,
dass alle Studien eine andere Annahme treffen. Es gibt demnach keinen Konsens, ob die
Anlagen eher für 25 Jahre ausgelegt sind (EWI/Prognos/GWS, 2010) oder auf 45 Jahre
technisch verfügbar sein können (Netzentwicklungsplan, 2012).
•
Für ölbefeuerte Anlagen gibt es wiederum lediglich zwei Angaben. Diese liegen 20 Jahre
auseinander. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass diese Technologie keine
tragende Rolle im zukünftigen Kraftwerksmix spielen wird.
Inwiefern sich diese Annahmen in der Realität wiederfinden, kann anhand der Altersstruktur des
Kraftwerksparks untersucht werden. Abbildung 5.10 zeigt die Altersstruktur in zehn-Jahresschritten
und ergänzt die Darstellung um die im Bau befindlichen Erzeugungskapazitäten.
42
Abbildung 5.10:
Zusammensetzung des deutschen Kraftwerksparks
30
Abfall
Wasser
25
Öl
Erdgas
Steinkohle
Leistung [GW]
20
Braunkohle
Kernkraft
15
10
5
0
in Bau
0 - 10
10 - 20
20 - 30
30 - 40
40 - 50
>50
Jahre im Betrieb
Quelle: Eigene Darstellung, Daten von Platts und BNetzA.
Es zeigt sich in Abbildung 5.10, dass Laufzeiten von Kraftwerken über 50 Jahre, abgesehen von
Wasserkraftwerken, eher
die
Ausnahme
darstellen. Eine
signifikante
Kapazität liegt in der
Altersklasse zwischen 40 und 50 Jahren. Diese besteht zu einem großen Teil aus Steinkohle- und
Braunkohlekraftwerken, wodurch die diskutierten Annahmen, die mehrheitlich zwischen 40 und 50
Jahren lagen, zumindest nicht falsifiziert werden können. Es gibt jedoch auch noch einige Erdgasbefeuerte Kraftwerke in dieser Altersklasse. Die Mehrheit der Studien hat für diese Technologie eine
technische Lebensdauer von 30 Jahren angenommen. Da in der Altersklasse zwischen 30 und 40
Jahren ebenfalls noch eine signifikante Kapazität aus Erdgaskraftwerken besteht, sollten diese
Annahmen nicht als sicher angenommen werden. Wenn diese Annahmen in ein Modell überführt
werden, würden alle GuD-Anlagen sofort stillgelegt werden, wodurch sich die heutige Situation
bereits durch erhebliche Knappheiten auszeichnen würde. Stattdessen zeichnet sich die heutige
Situation eher durch Überkapazitäten aus. In jedem Fall hängt die Laufzeit der Kraftwerke neben
technischen Kriterien vor allem von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Es besteht zudem
die Möglichkeit, Kraftwerke vorübergehend in die Kaltreserve zu verschieben. Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingen wieder attraktiver werden, können solche Anlagen wieder aktiviert werden.
43
Wird von den Kernkraftkapazitäten abstrahiert, wurden in den vergangenen Dekaden mit der
Ausnahme der zehn Jahre zwischen 1972 und 1982, jeweils zwischen 13 und 15 GW zugebaut. Mit
Ausnahme der letzten Dekaden wurden diese Kapazitäten jedoch nicht innerhalb eines liberalisierten
Marktes errichtet. Laut BNetzA (2012) befinden sich derzeit Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität
von 12,6 GW im Bau und werden bis zum Jahr 2015 in Betrieb gehen. Zusätzlich sind für die
darauffolgenden
Jahre
weitere
Kraftwerke
angekündigt.
Abbildung
5.11
zeigt
die
Kraftwerkstechnologien, die basierend auf drei verschieden Quellen derzeit gebaut und geplant
werden.
Abbildung 5.11:
Kraftwerke im Bau und in Planung in Deutschland
25
Anderes
Abfall
Öl
Pumpspeicher
Laufwasser
Kapazität [in GW]
20
Erdgas
Steinkohle
15
Braunkohle
10
5
0
im Bau
in Planung
Platts
im Bau
in Planung
im Bau
BNetzA
in Planung
bdew
Quelle: Platts, BNetzA, BDEW
Sowohl Platts als auch BDEW zeigen in Abbildung 5.11 nahezu identische Erzeugungsleistung im Bau.
Diese Kraftwerke wurden jedoch teilweise auf Basis der im Nationalen Allokationsplan für CO2Zertifikate festgelegten freien Zuteilungen gebaut und nicht allein auf Basis der Erwartungen für den
Strommarkt.
Aufgrund
der
technologiespezifischen
Kohlekraftwerken zeitnah realisiert.
44
Kriterien
wird
ein
großer
Anteil
an
Die Kraftwerksplanungen umfassen bis zum Jahr 2020 über 20 GW Kraftwerkskapazität. Hierbei sind
Kraftwerke
berücksichtigt,
die
teilweise
bereits
Netzanbindungen
beantragt
haben
oder
Baugenehmigungen erhalten haben. Der Baubeginn hängt jedoch von den wirtschaftlichen Aussichten
aus. Je nach Marktlage könnten sich die Kapazitäten in Planungen noch deutlich verändern. Die
derzeitige Zurückhaltung beim Baubeginn hängt neben den aktuell niedrigen Preisen ebenfalls an der
Diskussion um Kapazitätsmechanismen, die erhebliche Unsicherheiten in die Planungen einbringen.
Bevor ein Projekt in die Realisierung geht, haben Investoren das Bedürfnis, die zukünftigen
Rahmenbedingungen des Wirtschaftens einschätzen zu können.
Neben dem Bau konventioneller Großkraftwerke bestehen weitere Potenziale für zusätzliche
Erzeugungsleistung im Markt. So könnten durch Investitionen in Wärmespeicher Kraft-WärmeKopplungsanlagen zu einer potenziellen Leistungssteigerung von bis zu 3,6 GW führen (Prognos,
2011). Darüber hinaus stehen Netzersatzanlagen zur Verfügung, welche bei entsprechenden Preisen
ebenfalls am Strommarkt angereizt werden können, nachdem ein Teil der Kapazität bereits am
Regelenergiemarkt agiert.
Wie sich anhand der Altersstruktur, der im Bau und der in Planung befindlichen Kraftwerken erkennen
lässt,
spielen
häufig
wirtschaftliche
Faktoren
eine
wesentliche
Rolle
bei
Zubau-
und
Stilllegungsentscheidungen. Wenn der Strompreis den Bedarf nach Kapazität signalisiert, können
Kraftwerke
teilweise
länger
Leistungssteigerungsoptionen
betrieben
durch
Neubau,
werden.
Zudem
KWK-Umrüstungen
steht
und
eine
Anzahl
Netzersatzanlagen
an
zur
Verfügung, welche teilweise auch sehr kurzfristig aktiviert werden können. Über diese in Deutschland
befindlichen Optionen stehen selbstverständlich auch Kapazitäten in den Nachbarländern zur
Verfügung, die den deutschen Markt im Falle von Knappheiten mit Strom versorgen können.
5.3
Nachfrageseitige Annahmen
In Abschnitt 2.3 wurden Annahmen der Nachfrageseite diskutiert. Wesentliche Annahmen, die ein
Studienergebnis beeinflussen können, umfassen die Entwicklung der Spitzenlast, die Entscheidung,
ob die Nachfrage auch aus dem benachbarten Ausland gedeckt werden kann, und ob die Nachfrage
auf Preise reagieren kann oder als fix angenommen wird.
Die Nachfrage nach elektrischer Energie ist abhängig von verschiedensten Parametern, deren
Entwicklung schwer abzuschätzen ist. Ein wesentlicher Treiber der Nachfrage ist die konjunkturelle
Lage, wie bereits in Abschnitt 3.3.1 gezeigt wurde. Für die benötigte Kraftwerkskapazität ist jedoch
auch die Struktur der Nachfrage, insbesondere die Spitzenlast, von großer Bedeutung. Sie hängt
zusätzlich zur wirtschaftlichen Situation von der Temperatur ab.
Für eine Abschätzung der zukünftigen Spitzenlast wird häufig eine historische Nachfragestruktur
herangezogen. Aus diesem Grund wird in Abbildung 5.12 neben der Abschätzung zukünftiger
Spitzenlastentwicklungen einiger Studien die historische Spitzenlast und die historische residuale
Spitzenlast (Last abzüglich der Windenergieeinspeisung) gegenübergestellt.
45
Abbildung 5.12:
Annahmen über die Entwicklung der Nachfrage
95
Historisch (ENTSO-E)
Residual Historisch (ENTSOE/EEX)
Netzentwicklungsplan (2012)
90
NEP - Sensitivitätsszenario (2012)
Spitzenlast [GW]
85
ENTSO-E (2011a)
ENTSO-E (2011b)
80
ENTSO-E (2011c)
ENTSO-E (2010)
75
BMWi/EWI (2012a)
BMWi/EWI (2012b)
70
BMWi/EWI (2012c)
BMWi/EWI (2010)
65
Eurelectric (2011)
Eurelectric (2010)
60
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
(Jan Mär)
2015
2016
2020
2025
2030
Quelle: ENTSO-E (2010 und 2011), ÜNB (2012), EWI (2010 und 2012), Eurelectric (2010 und 2011).
•
In Abbildung 5.12 ist zunächst die stark schwankende historische Last und residuale Last zu
sehen. Aufgrund der Dargebotsabhängigkeit reduziert die Windenergie in einigen Jahren die
zu deckende Spitzenlast bis zu 5 GW, in anderen Jahren spielt sie mit 1-2 GW eine kleinere
Rolle bei der Reduktion der Spitzenlast.
•
Die historischen Spitzenlasten schwanken relativ stark und hängen wie bereits besprochen
von der jeweiligen konjunkturellen Lage und Wetterbedingungen ab.
•
Die Abschätzungen zur zukünftigen Spitzenlastentwickung basieren auf zwei verschiedenen
Perspektiven. BMWi/EWI (2010 und 2012) und Netzentwicklungsplan (2012) berücksichtigen
Selbsterzeuger, während die anderen Quellen diese ausschließen. Aus diesem Grund lassen
sich die Studien mit unterschiedlichen Ansätzen nicht vergleichen.
•
Jedoch nehmen auch die einzelnen Quellen häufig eine Bandbreite der möglichen Entwicklung
an. Beispielweise schwanken die Annahmen in ENTSO-E (2011) für das Jahr 2020 bis zu 11,8
GW
zwischen
70
GW
und
81,8
GW.
Die
Annahmen
der
zwei
Szenarien
des
Netzentwicklungsplans (2012) schwanken für das Jahr 2022 um 7 GW und für 2032 um über
12 GW (aus Vereinfachungsgründen wurden in der Abbildung die Stichjahre dargestellt). Die
Szenarien in EWI/BMWi (2012) schwanken in 2020 um knapp 5 GW und in 2030 um knapp
11 GW.
46
Die Bandbreite der Annahmen macht deutlich, dass die Entwicklung der Nachfrage und der
Spitzenlast nicht zuverlässig prognostiziert werden kann. Ein Anstieg der Nachfrage durch
Kommunikationstechnologien, Wärmepumpen und Elektromobilität ist ebenso denkbar wie eine
starke Reduktion der Nachfrage durch Energieeffizienzmaßnahmen. Die Bundesregierung plant, die
Nachfrage bis 2020 um 10% gegenüber 2008 zu senken. Diese Entwicklung hätte folglich
Auswirkungen auf die Spitzenlast. Auch wenn die Zielerreichung derzeit nicht wahrscheinlich
erscheint, kann dennoch nicht prognostiziert werden, wie stark die Abweichung von diesem Ziel sein
wird.
Inwiefern historische Laststrukturen als Indikator für zukünftige Lastspitzen herangezogen werden
können, ist Gegenstand des nächsten Abschnitts in dem untersucht wird, wie die Preissetzung und
Nachfrageflexibilität zusammenwirken.
5.4
Annahmen zur Preissetzung
In der Annahmenübersicht in Kapitel 2 ist dargestellt, dass einige der betrachteten Studien in ihren
Quantifizierungen die Strompreise auf Basis der Grenzkosten der letzten Erzeugungseinheit zu
kalkulieren. In Abschnitt 3.1 wird anhand des Peak-load-Pricing Modells erklärt, dass diese Annahme
zwangsläufig zu ungenügenden Deckungsbeiträgen führt und Kraftwerke ihre Investitionskosten nicht
erwirtschaften können. Die empirischen Untersuchungen in Abschnitt 4.1.1 zeigen, dass zuweilen die
Preise in der CWE Region deutlich über das Grenzkostenpreisniveau hinausgehen. Abbildung 5.13
zeigt die Phase im Februar 2012 mit relativ hohen Preisausschlägen.
47
Abbildung 5.13:
Marktpreise in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden im
Februar 2012
2000
1800
Frankreich
1600
Niederlande
1400
Deutschland
Preis [EUR/MWh]
1200
1000
800
600
400
200
0
06.
07.
08.
09.
10.
11.
12.
13.
14.
Februar 2012
Quelle: Eigene Darstellung, Daten von Platts.
In Abbildung 5.13 ist zu sehen, dass die Preise in Frankreich deutlich über die Preise in Deutschland
und den Niederlanden hinausgehen. Während in Deutschland und den Niederlanden in dieser Phase
der Preis bis auf 210 EUR/MWh ansteigt, steigt er in Frankreich auf über 1900 EUR/MWh.
Im Zuge dieser Studie kann nicht ermittelt werden, ob die Preise durch die Nachfrageseite gesetzt
werden oder durch Preisaufschläge auf der Angebotsseite.
Unabhängig davon, auf welchen Geboten die Preise in Frankreich basieren, wird jedoch deutlich, dass
Strompreise in Zeiten von Knappheiten zum Teil deutlich über das Grenzkostenpreisniveau der
letzten Erzeugungseinheit steigen können. In diesen Phasen signalisiert der Markt den Bedarf für
zusätzliche Leistung.
5.4.1 Preissetzung auf Basis angebotsseitiger Gebote
Aufgrund von Marktmachtbedenken ist es den vier großen deutschen Versorgungsunternehmen
untersagt, Gebote
über Grenzkosten anzubieten. So
Sektoruntersuchung (2011):
48
schreibt
das
Bundeskartellamt
in der
„Die Beschlussabteilung geht im Ergebnis davon aus, dass es bei Zugrundelegung des geltenden
Auktionsmechanismus und der gegebenen Marktverhältnisse den Normadressaten der §§ 19, 29
GWB, Art. 102 AEUV (nur marktbeherrschende Unternehmen) grundsätzlich verwehrt ist, zu
einem Preis oberhalb ihrer Grenzkosten anzubieten, es sei denn, das Unternehmen weist nach,
dass
ein entsprechender Mark-up
erforderlich ist, um
seine –
bezogen auf das
gesamte
Kraftwerksportfolio – totalen Durchschnittskosten zu erwirtschaften.“ (Bundeskartellamt, 2011, S.
15f)
Es ist davon auszugehen, dass die vier großen EVU vermeiden werden, über Grenzkosten anzubieten,
da sie ansonsten in der Nachweispflicht stehen und ein Verfahren riskieren. In Anbetracht von
Abbildung 5.13 stellt sich die Frage, ob es eine vergleichbare Regelung in Frankreich gibt. Sollten die
Regelungen zu Preisaufschlägen innerhalb der gekoppelten Marktgebiete abweichen, kann dies zu
Situationen führen, in denen bei Knappheitssituationen in einer Marktzone mit Mark-up Verbot die
Preise dennoch moderat bleiben und somit Strom in ein Marktgebiet ohne Mark-up Verbot exportiert
wird. Durch abweichende Regelungen werden somit künstlich Knappheiten riskiert, die sich ggf. nicht
in entsprechenden Marktpreisen widerfinden.
Durch das Ausbleiben von Knappheitssignalen in einer Marktzone werden in der langen Frist keine
Investitionen angereizt. Dies könnte somit zu einem ungenügenden Zubau von Erzeugungskapazität
führen. Um diese Form der Verzerrung zu vermeiden, sollten diesbezügliche Regelungen innerhalb
der angrenzenden Marktzonen koordiniert werden.
Die Einführung von Gebotsobergrenzen hat nach Wolak (2009) ebenfalls eine Auswirkung auf das
Verhalten
von
Stromkunden
(und
Versorgern)
und
somit
auf
die
Effizienz
und
die
Versorgungssicherheit des Marktes. Da das Risiko hoher Preise im kurzfristigen Handel durch
Gebotsobergrenzen reduziert wird, müssen sich Stromkunden auch nicht durch Hedgegeschäfte
gegen Preisspitzen absichern. Als Folge können Stromkunden mit dem Einkauf bis zum day-ahead
Markt warten ohne ein signifikantes finanzielles Risiko einzugehen. Durch die Reduktion von
Absicherungsgeschäften können sich die Höhe und die Planbarkeit der Deckungsbeiträge von
Erzeugern reduzieren, was Investitionszurückhaltungen zur Folge haben kann. Würden solche
Gebotsobergrenzen im Flugverkehr eingesetzt, würde sich die Motivation für frühzeitige Buchungen
reduzieren und mehr Kunden würden am Tag der Abreise am Schalter Flüge erwerben wollen. Als
Folge könnte es zu einer Situation kommen, in der die Fluggesellschaften nicht ausreichend
Flugzeuge bereitstellen und einzelne Kunden nicht transportiert werden könnten. Die Entwicklung
wäre
vergleichbar
mit
den
Effekten
auf
dem
Strommarkt.
Durch
Gebotsobergrenzen
in
Kurzfristmärkten reduziert sich die Notwendigkeit für langfristige Absicherungsgeschäfte, wodurch
Deckungsbeiträge ausbleiben und Investitionen zurückgehalten werden. Schließlich kommt es zu
einer unzureichenden Versorgung in Knappheitssituationen.
Die beobachtbaren Preisausschläge müssen jedoch nicht zwangsläufig aufgrund von Preisaufschlägen
aufgetreten sein. Es ist auch möglich, dass bei diesem Preisniveau der Strompreis den Grenznutzen
eines Nachfragers überstieg und somit die Nachfrage reduziert wurde. Folglich stehen angebotsseitige
Preisaufschläge mit nachfrageseitigen Reaktionen in einem wettbewerblichen Verhältnis. Aus diesem
Grund wird im folgenden Abschnitt die Annahme einer starren Nachfrage diskutiert.
49
5.4.2 Preissetzung auf Basis nachfrageseitiger Gebote
Aus
Vereinfachungsgründen
wird
für
den
Strommarkt
häufig
eine
unelastische
Nachfrage
angenommen. Im Gegensatz dazu wird in der energieökonomischen Literatur (z.B. Stoft, 2002)
darauf verwiesen, dass in einem Energy-only-Markt im Sinne des Peak-load-Pricing die Nachfrage in
Knappheitssituationen den Preis setzt. Üblicherweise wird für diese Situationen der „Value of Lost
Load“ (VOLL) Preis angenommen, der in der Regel mit ca. 8.000 EUR/MWh (siehe Fußnote 1)
angegeben wird. Durch diese Preisspitzen können sich Spitzenlastkraftwerke finanzieren.
Bei Nachfrageelastizität eines größeren Bereichs der Nachfrage ist dieser Effekt auch möglich, wenn
regelmäßiger geringere Preisspitzen auftreten. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Nachfrager die
Möglichkeit haben wollen, sich durch eine Flexibilisierung gegen hohe Preisspitzen abzusichern. Sollte
es zu Preisspitzen kommen oder die Möglichkeit hoher Preisspitzen drohen, können Nachfrager
limitierte
Gebote
in
den
Markt
bieten,
um
der
Gefahr
sehr
hoher
Preise
zu
entgehen.
Nachfrageflexibilität sollte daher nicht mit mangelnder Versorgungssicherheit gleichgestellt werden.
Als Versorgungssicherheit wird in Übereinstimmung mit r2b (2012) definiert, dass Angebot und
Nachfrage zu einer Markträumung in der Lage sind. Sollte die Nachfrage auf Preise reagieren,
bedeutet dies eine Wahlfreiheit zur Kostenreduktion. In diesem Sinne schreibt Wolak (2009), dass
Nachfrageflexibilität zum einen das angebotsseitige Marktmachtpotenzial reduziert und zum anderen
die Stromrechnung reduzieren kann, im Vergleich zu einer Durchschnittskostenkalkulation der
Endkundenpreise. In Abbildung 5.14 ist dieses Verhalten stilisiert dargestellt.
Abbildung 5.14:
€/MWh
Änderungen des Marktpreises durch Nachfrageflexibilität
Ohne
Mit
Nachfrageflexibilität
Nachfrageflexibilität
Preisunelastische
Nachfrage
Preiselastische
Nachfrage
€/MWh
Angebot,
P1
Deckungsbeitrag
inkl.
Mark-up
Angebot,
inkl.
P2
Deckungsbeitrag
Mark-up
= Mark-up
= zusätzlicher
Deckungsbeitrag
GW
GW
Quelle: Eigene Darstellung.
Auf der linken Seite in Abbildung 5.14 ist die Preissetzung der Angebotsseite durch einen
Preisaufschlag dargestellt. Auf der rechten Seite reagieren die Nachfrager durch eine preiselastische
Nachfragefunktion, womit ein Teil der Nachfrage reduziert wird und die Preisspitze kleiner ausfällt.
50
Dies zeigt, dass bereits eine begrenzte Nachfrageflexibilität dazu in der Lage ist, zum einen
Preisspitzen zu reduzieren und zum anderen die Spitzennachfrage zu reduzieren. Darüber hinaus ist
in Abbildung 5.14 dargestellt, dass Nachfrageflexibilität dazu beitragen kann, Deckungsbeiträge für
Spitzenlastkraftwerke zu generieren.
Um abzuschätzen, ob dieser Effekt zur Lösung der Versorgungssicherheitsherausforderung beitragen
kann, ist von entscheidender Bedeutung, ob es ausreichend Potenzial auf der Nachfrageseite gibt und
ob Barrieren bestehen, welche die Nutzung des Potenzials verhindern könnten. Da bereits heute
einige energieintensive Prozesse am Regelenergie- und Strommarkt teilnehmen (EWI, 2012) gibt es
zumindest Hinweise darauf, dass dies möglich ist und ggf. aufgrund zu geringer wirtschaftlicher
Anreize noch keine Ausweitung der Nachfrageflexibilisierung stattgefunden hat. Ein großer Teil der
Industrie hat leistungsgemessene Verträge und ist somit zumindest theoretisch in der Lage auf hohe
Strompreise zu reagieren (r2b, 2012 und Consentec, 2012). Wenn ausreichend Potenziale vorhanden
sind und keine Markteintrittsbarrieren bestehen, sind somit die Grundvoraussetzungen für einen
funktionierenden Energy-only-Markt vorhanden.
Lastmanagementpotenziale
Für die Teilnahme am Regelenergiemarkt sind bereits einige Industrieunternehmen präqualifiziert. In
diesem
Abschnitt
werden
das
technische
und
das
theoretische
Potenzial
einiger
Studien
gegenübergestellt. Abbildung 5.15 zeigt die Entwicklung des technischen Potenzials anhand von VDE
(2012) und EWI (2012).
Abbildung 5.15:
Technisches Potenzial der Nachfrageflexibilität
18
Kommunal
16
Industrie
Potenzial [in GW]
14
GHD
12
Haushalt
10
8
6
4
2
0
2010
2020
2030
VDE (2012)
EWI (2012)
Quelle: Eigene Darstellung nach VDE (2012) und EWI (2012)
51
Während VDE (2012) davon ausgeht, dass sich das technische Potenzial durch technologische
Entwicklungen (z.B. Smart Meters und Wärmepumpen) im Zeitverlauf steigert, verbleibt das bereits
höher eingeschätzte Potenzial in EWI (2012) auf dem heutigen Niveau.
Zusätzlich zum technischen Potenzial analysieren einige Studien das theoretische Potenzial. In
einigen Fällen ist auch nicht eindeutig, welche Potenzialdefinition gemeint ist. Tabelle 5.1 zeigt eine
Übersicht verschiedener Untersuchungen.
Tabelle 5.1:
Abschätzungen der theoretischen Nachfrageflexibilität
Quelle
Haushalte
GHD
Industrie
Summe
Stadler (2005)
25 (pos.), 75 (neg.)
25 (pos.), 75 (neg.)
Klobasa (2007)
20
10
30
Dena II Netzstudie (2010) 7 (pos.), 32 (neg.) 2 (pos.), 14 (neg.) 7 (pos.), 4 (neg.) 16 (pos.), 50 (neg.)
VDE (2012)
13-35
7-11
4,5
24,5-50,5
Quelle: VDE (2012), dena (2010), BMWi/EWI (2012)
Ein großer Teil des identifizierten Potenzials befindet sich in Haushalten. Diese sind deutlich
schwieriger zu erschließen und haben eine ungünstigere Kostenstruktur als Industrieprozesse.
Dennoch besteht die Möglichkeit, dieses Potenzial durch Entwicklungen im Bereich der Smart Meter,
Smart Grids und Elektromobilität nutzbar zu machen. Nichtsdestotrotz bestehen die leichter
erschließbaren
Potenziale
im
Industriebereich.
Diese
Kunden
verfügen
bereits
über
eine
Leistungsmessung und sind somit grundsätzlich bereits in der Lage, ihre Nachfrage bei hohen Preisen
zu reduzieren.
Der größte Teil des Lastmanagementpotenzials wird derzeit vor allem aus wirtschaftlichen Gründen
nicht genutzt. Ähnlich wie bei Investitionen in Erzeugungskapazitäten scheinen diese Investitionen
derzeit nicht wirtschaftliche zu sein. Bei Bedarf kann jedoch ein Teil des Potenzials in sehr kurzer Zeit
erschlossen werden. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass nicht zwangsläufig eine sehr große
Nachfrageflexibilität vorhanden sein muss. Es reichen einige Gebote in der Nachfragekurve, um
Knappheitssignale in der Preissetzung zu ermöglichen. Sollte die Nachfrage in einigen Stunden des
Jahres die Preise setzen, werden dadurch wiederum Investitionen in Spitzenlasttechnologien
angereizt.
Schließlich
wird
sich
ein
Gleichgewicht
zwischen
Lastmanagement
und
Spitzenlastkraftwerken bilden.
Reduktion der Markteintrittsbarrieren
Um die Potenziale erschließbar zu machen, ist es wichtig, mögliche Markteintrittsbarrieren zu
erkennen und zu reduzieren. Die wesentlichen Einschränkungen beim Lastmanagement sind
technische Kriterien, lange Vorlaufzeiten der Marktteilnahme, die minimale Produktgröße und die
Länge der Lieferung.
52
•
Lastmanagement hat den Vorteil, dass der Abruf in der Regel sehr schnell erfolgen kann.
Daher
erfüllen
einige
Prozesse
bereits
heute
die
Präqualifikationskriterien
des
Regelenergiemarktes.
•
Als wichtiges Kriterium zur Marktteilnahme gilt die Verfügbarkeit. Aus diesem Grund sind
lange Vorlaufzeiten ein möglicher Hinderungsgrund zur Teilnahme. Die Stärkung des
Intradaymarktes kommt Lastmanagementprozessen daher entgegen.
•
Die minimale Produktgröße spielt eine Rolle, da sie dazu führen kann, dass mehrere Prozesse
aggregiert werden müssen. Beispielsweise wurde die minimale Produktgrößen auf dem
Minutenreservemarkt von 15 MW auf 5 MW reduziert, wodurch auch kleinere Aggregate an
diesen Märkten teilnehmen können.
•
Die Länge der Lieferung spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle, da einige Prozesse
Einschränkungen bei der Dauer der Lastverlagerung haben. Muss beispielweise die Lieferung
für einen bestimmten Zeitraum garantiert sein, müsste das Aggregat ggf. ausgeweitet
werden, um den Lieferzeitraum bereitstellen zu können. Im Minutenreservemarkt besteht
beispielsweise die Verpflichtung, bis zu vier Stunden liefern zu können. Dieser Zeitraum kann
bei einigen Prozessen zu Herausforderungen führen. Dem gegenüber besteht seit Ende 2011
auf dem Intradaymarkt die Möglichkeit die letzten zwei Stunden vor Erfüllung in 15
Minutenprodukten
zu
Markteintrittsbarrieren,
handeln.
da
Das
ist
insbesondere
ein
Beispiel
für
Lastmanagementprozesse
die
Reduktion
von
diesen
von
kurzen
Erfüllungszeiträumen profitieren können.
Lastmanagement auf Regel- und Strommärkten
Ob Lastmanagement auf dem Regelenergiemarkt oder auf dem Strommarkt angeboten wird, spielt
eine nachgelagerte Rolle.
•
Für die Versorgungssicherheit ist relevant, dass zusätzliche Leistung verfügbar wird. Wenn
Lastmanagement
auf
den
Regelmärkten
zum
Zuge
kommt,
werden
dafür
keine
konventionellen Erzeugungskapazitäten mehr benötigt. Diese stehen in diesem Fall dem
Strommarkt zur Verfügung.
•
Für die Preissetzung ist entscheidend, dass der Regelenergiemarkt und der Strommarkt
interdependent sind. Besteht Knappheit auf einem Markt, steigen ebenfalls die Preise auf dem
anderen Markt, da in diesem Fall die Opportunitätskosten bei der Preissetzung eine Rolle
spielen.
In diesem Abschnitt wurde gezeigt, dass die Preissetzung nicht zwangsläufig auf den Grenzkosten der
letzten konventionellen Erzeugungseinheit basieren muss. Es gibt Situationen, in denen Preise durch
Opportunitätskosten, die Nachfrage oder knappheitsbedingte Preisaufschläge gesetzt werden können.
Die Flexibilisierung der Nachfrage kann eine entscheidende Rolle dabei spielen, Versorgungssicherheit
im Energy-only-Markt zu gewährleisten. Es besteht ausreichend Lastmanagementpotenzial, welches
bei entsprechenden Marktsignalen und angemessener Ausgestaltung der jeweiligen Produkte aktiviert
53
werden kann. Dies hat Auswirkungen auf die gesicherte Leistung und die Preissetzung als
Knappheitssignal und Investitionsanreiz.
5.5
Schlussfolgerungen
Anhand der Untersuchung der aus Vereinfachungsgründen getroffenen Annahmen lässt sich zeigen,
dass sie häufig nur unter bestimmten Unsicherheiten getroffen werden können oder teilweise die
Ergebnisse
so
stark
determinieren,
dass
die
Interpretationen
nicht
als
Basis
für
eine
Handlungsempfehlung genutzt werden sollten. Das Abweichen von diesen Annahmen eröffnet den
Lösungsraum für eine Vielzahl von Optionen mit denen den aktuellen Herausforderungen begegnet
werden kann.
Definition der Versorgungssicherheit
Annahme: Versorgungssicherheit muss national oder sogar regional erfüllt werden.
Je größer das relevante Gebiet für die Versorgungssicherheit definiert wird, desto größer sind
mögliche Einspareffekte durch einen geringeren Bedarf an konventioneller Kraftwerksleistung und
durch
einen
kostengünstigeren
Kraftwerksbetrieb.
Bei
gewünschter
Versorgungssicherheit
in
kleineren Gebieten ist das Gegenteil der Fall: Sowohl die Investitionskosten als auch die Kosten des
Kraftwerksbetriebs erhöhen sich.
Angebotsseitige Annahmen
Annahme: Kraftwerke werden nach ihrer fixen technischen Lebensdauer stillgelegt.
Die Annahmen zu fixen Kraftwerkslebenszeiten konventioneller Kraftwerke führen zur Wahrnehmung
einer Handlungsnotwendigkeit, während in der Realität die Laufzeiten vor allem auf dem Preisniveau
basiert. Kraftwerke werden länger betrieben, wenn sich dies aufgrund hoher Preise rentiert.
Kraftwerke in Planung werden ggf. aufgrund politischer Unsicherheiten zum zukünftigen Marktdesign
derzeit nicht realisiert. Dies führt zu einer künstlichen Verschärfung der Herausforderung.
Nachfrageseitige Annahmen
Annahme: Die zukünftige Spitzenlast ist planbar
Die Spitzenlast lässt sich lediglich unter sehr großen Unsicherheiten für längere Zeiträume
prognostizieren. Die Beiträge volatiler erneuerbarer Energien verstärken diese Herausforderung. Eine
Behörde würde in der Tendenz vermutlich konservativer planen und zu Überkapazitäten neigen,
welche durch Stromkunden finanziert werden müssten.
54
Annahmen zur Preissetzung
Annahme: Preise werden stets durch die kurzfristigen Grenzkosten des letzten Kraftwerks gesetzt.
Preisspitzen über Grenzosten sind nötig um Investitionskosten zu decken und Knappheiten zu
signalisieren. Ein Verbot von Mark-ups kann zum Ausbleiben ökonomisch notwendiger Signale führen.
Innerhalb eines Marktes sollten die die Regelungen zu Preisaufschlägen koordiniert sein, da es zu
geografischen Verzerrungen im Kraftwerksbetrieb und in der Ansiedlung von Erzeugungskapazitäten
führen kann.
Annahme: Die Nachfrage ist unflexibel.
Die Nachfrageseite ist in der Lage auf Preise zu reagieren und auf Basis des Grenznutzens der
Nachfrage Preise zu setzen. Das Potenzial für Lastmanagement ist vorhanden. Lastmanagement ist in
der Lage den Bedarf an Spitzenlastkraftwerke zu reduzieren und gleichzeitig Preise zu setzen, welche
die verbleibenden Spitzenlastkraftwerke finanzieren. In der langen Frist kommt es zu einem Ausgleich
an Lastmanagement und Spitzenlastkraftwerken.
Die Schlussfolgerungen, welche auf Basis dieser vereinfachenden Annahmen getroffen wurden,
sollten kritisch hinterfragt werden, insbesondere da die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen
unter Umständen einige der in diesem Abschnitt aufgezeigten Lösungsoptionen ausschließen könnten.
In Anbetracht der aktuellen Herausforderungen der EE- und EU-Binnenmarkt-Integration wird eine
große Anzahl an Lösungsoptionen nötig sein, um eine langfristig effiziente Weiterentwicklung des
Versorgungssystems zu gewährleisten. Dieser Lösungsraum sollte folglich so offen wie möglich
ausgestaltet sein.
55
6 Kapazitätsmechanismen als Lösungsoption
In diesem Kapitel wird diskutiert, welcher Mechanismus dazu geeignet ist, in effizienter Weise
Versorgungssicherheit
zu
gewährleisten
und
somit
der
aktuellen
Herausforderung
einer
wahrgenommenen Finanzierungslücke zu begegnen.
Die Diskussion in den bisherigen Kapiteln hat gezeigt, dass die Annahmen, auf denen die
Handlungsnotwendigkeit und somit die Begründung für Kapazitätsmärkte hergeleitet wurde, nicht als
gegeben übernommen werden sollten. Die Annahmen einer starren Nachfrage, einer fixen
technischen Lebensdauer der Kraftwerke, in Kombination mit einer Preissetzung auf Basis
kurzfristiger Grenzkosten, führen zwangsläufig zu einer Finanzierungslücke. Dennoch besteht durch
den rasanten Anstieg des EE-Anteils und die Integration des EU-Binnenmarktes derzeit eine
Umbruchsituation,
die
zu
vorübergehend
geringeren
Preisen
und
folglich
zu
einer
Investitionszurückhaltung führen kann. Um in dieser Übergangsphase ein mögliches Ausbleiben der
Markträumung zu verhindern, kann es sinnvoll sein die Versorgungssicherheit durch einen geeigneten
Mechanismus abzusichern. Dieser Mechanismus sollte die identifizierten Herausforderungen auf
effiziente Weise lösen.
Wenn einige der zuvor diskutierten Annahmen hinterfragt werden, eröffnen sich neue Möglichkeiten
den aktuellen Herausforderungen zu begegnen. Auf dieser Basis können einige Situationen
hergeleitet werden, mit denen ein Kapazitätsmechanismus umgehen können sollte. Die wichtigste
Eigenschaft, neben der effektiven Gewährleistung der Versorgungssicherheit, ist die Offenheit für eine
große Anzahl an Lösungsoptionen. Der Mechanismus sollte in der Lage sein, die folgenden
Entwicklungen zu berücksichtigen, ohne dabei die Wirkungsweise zu gefährden oder zu signifikanten
Mehrkosten zu führen.
•
Änderung der Nachfrage: Bei einer sich ändernden konjunkturellen Entwicklung, bei einem
vom
Ziel
abweichenden
Ausbau
erneuerbarer
Energie
und
bei
Einführung
von
Energieeffizienzmaßnahmen sollte der Mechanismus in der Lage sein, weiterhin das Ziel in
effizienter Weise zu gewährleisten, wenn sich die residuale Stromnachfrage anders als
prognostiziert entwickelt. Dies beinhaltet ebenfalls die daraus folgenden Änderungen der
Brennstoff- und CO2 Preise.
•
Technologie: Der Mechanismus sollte technologieneutral ausgestaltet sein. Eine Verengung
auf spezifische Technologien vermindert die Lösungseffizienz. Sollten neue Technologien für
den Strommarkt zur Verfügung stehen (z.B. Smart Meter, Smart Grids und Elektroautos),
sollte der Mechanismus in der Lage sein, diese in den Markt zu integrieren, sofern sie zu einer
Steigerung der Effizienz beitragen.
•
Netzausbau: Abhängig von der regionalen Definition der Versorgungssicherheit sollte der
Mechanismus effizient auf Änderungen der Netzsituation reagieren können. Innerhalb des EUBinnenmarktes
können
Investitionen
in
Interkonnektorkapazitäten
den
Strompreis
beeinflussen. Der Mechanismus sollte die Möglichkeiten der Effizienzsteigerung nutzen.
56
•
Marktdesign: Der Mechanismus sollte möglichst mit geringen Eingriffen in den Energy-only
Markt auskommen. Er sollte zudem in der Lage sein zukünftige Anpassungen des
Marktdesigns zu erlauben. Aufgrund der Interdependenzen im Strommarkt beeinflussen
Änderungen in einem Element des Marktes andere Elemente. Aus diesem Grund sollte der
Mechanismus in der Lage sein, zukünftige, der Effizienz dienende Änderungen des
Marktdesigns zu erlauben, ohne dadurch in seiner Funktion beeinträchtigt zu werden. Hierzu
gehören ebenfalls Reaktionen auf vorübergehende Herausforderungen, wie z.B. kurzzeitige
Leistungsungleichgewichte in einigen Regionen. Reversible Mechanismen sind vorzuziehen,
wenn sie anderen Maßnahmen gleichwertig sind.
•
Europa: Der Mechanismus sollte mit dem Strombinnenmarkt vereinbar sein. Der Prozess des
Zusammenwachsens der nationalen Märkte sollte nicht durch neue Marktverwerfungen
gestört werden. Operative Effizienzgewinne
durch Nutzung größerer Marktgebiete sollten
erschlossen werden
Von zentraler Bedeutung sind die grundlegenden Eigenschaften der Mechanismen, die Effektivität, die
Effizienz und die ordnungspolitische Bewertung. Die häufig angeführte Umweltverträglichkeit sollte
kein dezidiertes Kriterium eines Kapazitätsmechanismus sein. Stattdessen sollte der Mechanismus mit
den für diese Ziele implementierten Instrumenten kompatibel sein.
Für eine diesbezügliche Bewertung der Versorgungssicherheitsverträge und der strategischen Reserve
wird
auf
UBA
(2012)
verwiesen.
Eine
wesentliche
Aussage
der
Analyse
ist,
dass
Versorgungssicherheitsverträge starke regulatorische Risiken beinhalten. Da eine Vielzahl an
Parametern durch eine zentrale Instanz gesetzt werden müssen, besteht die Gefahr dass diese
Parameter u.a. aufgrund von Partikularinteressen suboptimal gesetzt werden. Es kann als
wahrscheinlich gesehen werden, dass diese Parameter im Zeitverlauf nachjustiert werden müssen,
was die Planungssicherheit der Marktteilnehmer von politischen Entscheidungen abhängig macht.
Zudem besteht die Gefahr, dass aufgrund der Einführung von Versorgungssicherheitsverträgen das
Marktdesign des restlichen Versorgungssystems ebenfalls angepasst werden muss.
Auf selektive Mechanismen wird in der vorliegenden Studie nicht eingegangen, da sie sich auf die
Anreizung einzelner Elemente konzentrieren und somit nicht in der Lage sind, Versorgungssicherheit
in effizienter Weise zu gewährleisten. Für eine Diskussion dieser Bewertung wird auf DICE (2011),
r2b (2011/2012) und Consentec (2012) verwiesen.
An
dieser
Stelle
Mechanismen,
die
sollte
dennoch
diskutiert
werden,
Versorgungssicherheitsverträge
inwiefern
sich
(stellvertretend
die
für
derzeit
einen
diskutierten
umfassenden
Kapazitätsmarkt) und die strategische Reserve in ihrer Kostenwirkung unterscheiden. Aus diesem
Grund wird in Abbildung 6.1 die Wirkungsweisen beider Mechanismen zur Deckung der Fixkosten
unter der Annahme vollständiger Voraussicht dargestellt.
57
Abbildung 6.1:
€/MWh
Wirkungsweise der Kapazitätsmechanismen
Energy-only-Markt
Ggf. mit Strategischer
Reserve
Kapazitätsmarkt
€/MW
A
Preisdauerlinie
Zeit
Im langfristigen Gleichgewicht bei
N
Leistung
Deckungsbeiträge:
sonst gleichen Annahmen gilt:
=
Quelle: Eigene Darstellung.
•
Auf der linken Seite in Abbildung 6.1 ist die Preisdauerlinie eines Energy-only-Marktes
dargestellt, der ggf. mit Absicherung durch eine strategische Reserve, Deckungsbeiträge in
Knappheitssituationen ermöglicht.
•
Auf der rechten Seite ist die Wirkungsweise eines separaten Kapazitätsmarktes dargestellt, in
dem die benötigten Deckungsbeiträge in einem separaten Markt erwirtschaftet werden.
•
Beide Mechanismen sollten im langfristigen Gleichgewicht unter der Annahme einer
vollständigen Voraussicht zu den gleichen Kraftwerksinvestitionen und Deckungsbeiträgen
und somit zu den gleichen Kosten führen. Diese Annahmen sind jedoch kritisch zu
hinterfragen.
•
Während bei der strategischen Reserve der Energy-only-Markt in seiner maßgeblichen
Funktion, das Senden eines Marktsignals, unberührt bleibt, wird bei der Einführung eines
Kapazitätsmarktes ein zweites Marktsignal eingeführt.
•
Der Kapazitätsmarkt sendet den Kapazitätsbedarf fünf bis sieben Jahren im Voraus und der
Strommarkt sendet das Signal des Kraftwerkseinsatzes. Sollte es im Zeitverlauf zwischen
erster Auktion und Realisierung zu Änderungen der Rahmenbedingungen kommen, hat der
Mechanismus nur noch eingeschränkte Möglichkeiten, darauf zu reagieren.
Bei umfassenden Kapazitätsmärkten kann demnach zu Situationen kommen, in denen der
Lösungsraum, u.a. aufgrund einer Präqualifikation, eingeschränkt wird. Das ist vor allem der Fall,
wenn Technologien berücksichtigt werden sollten, die unterschiedliche Ansprüche an die zeitliche
Ausgestaltung der Auktion haben. Beispielweise benötigen Investitionen in konventionelle Kraftwerke
fünf bis sieben Jahre Vorlaufzeit, um die Leistung bereitzustellen, während Lastmanagement
gesicherte Leistung nur mit deutlich kürzeren Vorlaufzeiten anbieten kann. Häufig wird argumentiert,
dass die Auktion in zeitlich aufeinander abgestimmte Teilauktionen zerlegt werden kann. Dies würde
58
den Vorteil bieten, dass im Zeitverlauf Anpassungen vorgenommen werden können. Es hat jedoch
auch den Nachteil, dass die zu auktionierenden Mengen pro Auktion festgelegt werden müssen. Diese
Teilauktionen haben dadurch einen eingeschränkten Lösungsraum. Sollte eine der Teilauktionen ein
Jahr vor Erfüllung erfolgen, kommen beispielsweise nur noch Bestandsanlagen und Lastmanagement
in Betracht. Für Neuinvestitionen reicht der Zeitraum nicht mehr aus. In den längerfristigen
Auktionen ist eher das Gegenteil der Fall. Zudem zeichnen sich diese Teilauktionen durch eine
geringere Liquidität aus, wodurch eine potenzielle Marktmachtproblematik eingeführt wird, wie sie im
Strommarkt
aufgrund
der
EU-Binnenmarktintegration
nicht
mehr
relevant
erscheint.
Die
Kapazitätsmärkte im Nordosten der USA sind nach Wolak (2009) Gegenstand regelmäßiger
Anpassungen, da sie sehr anfällig für einseitige Marktmachtausübung seien und die Marktergebnisse
zudem keine zuverlässigen Investitionssignale senden würden. Zudem sei quasi garantiert, dass
Kapazitätszahlungen zu höheren Kosten für Stromkunden führen im Vergleich zu einer aktiven
Nachfrageseite am Großhandelsmarkt.
Kapazitätsmärkte tendieren dazu, insbesondere wenn eine zentrale Instanz die Verantwortung für die
ausgeschriebene Menge trägt, zu viel Erzeugungsleistung aufzubauen. Wie in Abschnitt 5.3 gezeigt
wurde, bestehen große Unsicherheiten bei der Abschätzung der zukünftigen Spitzenlast. Im
Zweifelsfall würde eine Behörde vermutlich eher konservativ planen, bevor die Gefahr einer
Deckungslücke auftritt. Diese künstlich geschaffenen Überkapazitäten drücken den Strompreis
konstant auf Grenzkostenniveau. Dadurch besteht die Gefahr, dass Anreize für Lastmanagement
ausbleiben und technologische Lock-in Effekte entstehen. Die Motivation für ausreichend gesicherte
Leistung ist in der Regel Stromkunden vor hohen Preisen und Preisvolatilität zu schützen. Tatsächlich
würde die Umlage von Kapazitätszahlungen jedoch dazu führen, dass preiselastische Nachfrager
davon abgelten würden ihre Stromrechnung zu reduzieren indem sie in Zeiten hoher Strompreise ihre
Nachfrage senken (siehe auch Buschnell et al., 2009). Als Folge könnte ein Kraftwerkspark
entstehen, dessen Hauptaufgabe es ist, die Einspeisung aus erneuerbaren Energien abzusichern,
wodurch er deutlich höhere Kosten hat als ein flexibles Versorgungssystem, welches weitere
technologische Entwicklungen anreizt, die den Herausforderungen eines zunehmend auf erneuerbaren
Energien basierendes Versorgungssystems entsprechen.
Bei Einführung einer strategischen Reserve bleibt das Effizienz- und Innovationspotenzial des Energyonly-Marktes erhalten. Sie kann bei vorübergehend bedrohter Markträumung durch das Setzen eines
hohen Preisgebots Angebot und Nachfrage zusammenführen und gleichzeitig ein Knappheitssignal
senden, welches Investitionen anreizen kann. Der wesentliche Vorteil der strategischen Reserve ist,
dass alle Marktakteure dem gleichen Marktpreis ausgesetzt sind. Jeder Akteur hat die Möglichkeit,
darauf mit jeder verfügbaren Technologie zu reagieren. Dies kann dazu führen, dass neben
Investitionen in konventionelle Kraftwerke neue Technologien genutzt werden können (z.B. Smart
Grids
und
Elektroautos),
aber
auch
bisher
ungenutzte
Potenziale
angereizt
werden
(z.B.
Lastmanagement oder Netzersatzanlagen).
Sollten innerhalb einer Marktzone Netzengpässe bestehen, kann mit einer strategischen Reserve
zudem die regionale Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Diese Option ist jedoch lediglich
vorübergehender Natur, da diese Absicherungsoption durch gezielten Netzausbau abgelöst wird.
59
Kurzfristig kann somit Versorgungssicherheit gewährleistet werden, ohne aufgrund zeitlich begrenzter
Herausforderungen das Marktdesign grundlegend zu ändern.
Ein zeitnahes Bekenntnis zu einem Energy-only Markt mit einer Absicherung durch eine strategische
Reserve würde das Problem des Investitionsattentismus entgegenwirken. Derzeit bestehen erhebliche
Unsicherheiten für Investitionen in Erzeugungskapazitäten allein durch die politische Diskussion zu
verschiedenen zukünftigen Marktdesigns. Kapitalintensive Investitionen werden zurückgehalten, bis
Klarheit über den Rahmen des Wirtschaftens besteht. Durch diese „künstlich erzeugte“ Zurückhaltung
erscheint die Herausforderung bedrohlicher als sie sein müsste. Erst durch ein glaubwürdiges
politisches Bekenntnis zu einem robusten Marktdesign lässt sich dieser Investitionszurückhaltung
begegnen.
Beim Vergleich der beiden Kapazitätsmechanismen, Versorgungssicherheitsverträge und strategische
Reserve, scheint die Absicherung des Energy-only-Marktes mithilfe einer strategischen Reserve den
aktuellen Anforderungen angemessener begegnen zu können. Die Übergangsphase zu einem auf
erneuerbaren Energien basierenden System innerhalb eines europäischen Binnenmarktes für Strom
bedarf einer Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten, welche nicht mit langen Vorlaufzeiten geplant
werden können. Ein Strompreis, welcher Knappheiten und Überangebote signalisieren kann, ist am
ehesten dazu in der Lage, Investitionen in die adäquaten Technologien anzureizen.
60
7 Zusammenfassung
Das Ziel dieser Studie ist es zu hinterfragen, ob ein tiefer Regulierungseingriff derzeit gerechtfertigt
ist oder ob der Strommarkt ein nachvollziehbares Ergebnis liefert, welches auf ein Funktionieren des
Energy-only-Marktes hindeutet und gegebenenfalls Möglichkeiten für Nachjustierungen aufzeigt.
Die Diskussion der Studienannahmen und den daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen deutet auf
eine Bandbreite an Wahrnehmungen der aktuellen Marktsituation hin. Die empirische Diskussion der
Annahmen zeigt, dass sie bei der Interpretation der Schlussfolgerungen eine entscheidende Rolle
spielen. Vor allem die Kombination der aus Vereinfachungsgründen gesetzten Annahmen einer fixen
Lebensdauer der Kraftwerke, einer fixen Nachfragen und der Preissetzung auf Basis kurzfristiger
Grenzkosten determiniert eine augenscheinliche Finanzierungslücke. Das Abweichen von diesen
vereinfachenden Annahmen zeigt eine Vielzahl alternativer Lösungsmöglichkeiten des Energy-onlyMarktes auf.
Die
Einführung
eines
umfassenden
Kapazitätsmarktes,
wie
das
Modell
der
Versorgungssicherheitsverträge, geht mit einer großen Unsicherheit beim Setzen der Parameter
einher. Die zukünftige Spitzenlast unterliegt großen Unsicherheiten, wodurch der Aufbau von
Überkapazitäten wahrscheinlich wird. Als Konsequenz würden keine Knappheitspreise am Strommarkt
entstehen und die Anreize für einige Optionen, wie z.B. Lastmanagement, gering ausfallen, obwohl
sie beispielweise bei der Integrationsherausforderung der erneuerbaren Energien zu einer effizienten
Lösung
beitragen
könnten.
Die
Auktion
der
gesicherten
Leistung
unterliegt
zudem
einer
Präqualifikation, wodurch gegebenenfalls neue technologische Optionen ausgeschlossen werden und
technologische Lock-in Effekte auftreten könnten. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die
Ausgestaltung aufgrund von Partikularinteressen und Marktmachtbedenken selektive Elemente erhält,
welche die theoretische Effizienz eines umfassenden Kapazitätsmarktes untergraben könnten. Als
Konsequenz der vielen Unsicherheiten besteht die Gefahr, dass das Versorgungssystem teurer
werden könnte als es bei alternativen Marktdesigns der Fall wäre und Nachjustierungen des
Kapazitätsmarktes und des restlichen Marktdesigns nötig werden.
Die Einführung einer strategischen Reserve könnte das Effizienz- und Innovationspotenzial des
Energy-only-Marktes
erhalten
und
gleichzeitig
die
Versorgungssicherheit
gewährleisten.
Alle
Lösungsoptionen würden innerhalb des EU-Binnenmarktes einem Wettbewerb zueinander stehen.
Eine europäische Perspektive auf Versorgungssicherheit hätte ein signifikantes Kostensenkungspotenzial gegenüber nationalen Lösungen. Aufgrund der zweiten Übergangsphase hin zu
höheren Anteilen erneuerbarer Energien werden Investitionen in Spitzenlasttechnologien jeder Art
zunehmend wichtiger. Eine Anpassung des Kraftwerksparks wird aus wirtschaftlichen Gründen
stattfinden. Die aktuelle Diskussion um Kraftwerksstilllegungen deutet bereits auf diesen Prozess hin.
Die strategische Reserve kann diesen Prozess effizient absichern. Hierfür sind Preisspitzen
notwendig, die deutlich über Grenzkostenniveau liegen. Das Risiko einer hohen Preissetzung der
strategischen Reserve dient, neben der Finanzierung von Spitzenlastkraftwerken, vor allem dazu
Lastmanagementprozesse
anzureizen
und
somit
61
das
nachgewiesene
Potenzial
auf
der
Nachfrageseite
zu
flexibilisieren.
Daraus
folgt
zum
einen,
dass
die
Preissetzung
in
Knappheitssituationen auf Basis des Grenznutzens der Nachfrage basieren kann und zum anderen,
dass der Bedarf an Spitzenlastkraftwerken gesenkt wird. Die strategische Reserve kann ebenfalls
regional ausgestaltet werden und somit herangezogen werden, um den Zeitraum zur Fertigstellung
des Netzausbaus zu überbrücken.
Der Energy-only-Markt bietet die Möglichkeiten den aktuellen Herausforderungen zu begegnen. Die
steigende Einspeisung volatiler erneuerbarer Energien sendet entsprechende Preissignale, welche zu
Investitionen in die passenden Technologien führen. Auf der anderen Seite liefert die EUBinnenmarktintegration zusätzlichen Wettbewerb und steigert somit die Effizienz des Strommarktes.
Dennoch kann es in der Übergangsphase zu zeitweiligen Herausforderungen kommen, die mit Hilfe
einer
strategischen
Reserve
effektiv
und
effizient
abgesichert
werden
können.
Um
Investitionszurückhaltung zu vermeiden, benötigen potenzielle Investoren einen Ordnungsrahmen
innerhalb dessen sie agieren können. Aus diesem Grund könnte Attentismus verhindert werden,
durch ein politisches Bekenntnis zum Energy-only-Markt, in dem eine strategische Reserve mit
festgeschriebenen Einsatzpreisen als Absicherung dient.
62
Literatur
BET
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Kapazitätsmarkt.
Rahmenbedingungen,
Notwendigkeit
und
Eckpunkte
einer
Ausgestaltung. Studie vom Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH im Auftrag von
dem Bundesverband Neuer Energieanbieter e.V.
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2011/12, Bundesnetzagentur, Mai 2012, Bonn.
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Januar 2011, Bonn.
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Versorgungssicherheit
effizient
gestalten
–
Erforderlichkeit,
mögliche
Ausgestaltung und Bewertung von Kapazitätsmechanismen in Deutschland. Gutachten von Consentec
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URL:
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Amtsblatt der Europäischen Union.
EU (2009) : Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009
über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie
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Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln im Auftrag von dem Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie (BMWi).
Frontier Economics (2011): Is a capacity market required in Germany to guarantee system
security? Studie von Frontier Economics im Auftrag der RWE AG.
Haucap, J. (2012): Modell strategische Reserve. Interview mit Justus Haucap in der Zeitschrift
Energie & Management vom 15. 04. 2012.
LBD - Beratungsgesellschaft mbH (2011): Energiewirtschaftliche Erfordernisse zur Ausgestaltung
des Marktdesigns für einen Kapazitätsmarkt Strom. Studie von der LBD- Beratungsgesellschaft mbH
im Auftrag von dem Umweltministerium des Landes Baden-Württemberg.
Nicolosi, M. (2010): Wind power integration and power system flexibility – An empirical analysis of
extreme events in Germany under the new negative price regime. Energy Policy 38, S. 7257-7268.
Nicolosi, M. (2012): The economics of renewable electricity market integration. An empirical and
model-based
analysis
of regulatory
frameworks
and
their
impacts
on the
power
market.
Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen
Fakultät der Universität zu Köln 2011.
Ockenfels, A., Grimm, V. und Zoettl, G., (2008): Strommarktdesign – Preisbildungsmechanismus
im Auktionsverfahren für Stromkundenkontrakte an der EEX. Gutachten im Auftrag der European
Energy Exchange AG.
r2b (2012): Einführung einer strategischen Reserve. Vorschlag zu Eckpunkten der Ausgestaltung
einer strategischen Reserve. Präsentation von Research to business Energy Consulting im Rahmen
eines UBA-Workshops am 30.03.2012.
r2b (2012): Rationalität einer strategischen Reserve. Risiken von Markt- und Regulierungsversagen
bei der Implementierung von Kapazitätsmärkten. Präsentation von Research to business Energy
Consulting im Rahmen eines UBA-Workshops am 30.03.2012.
r2b (2011): Sind Kapazitätsmärkte in Deutschland erforderlich? – Eine kritische Analyse.
Erkenntnisse der ökonomischen Theorie vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion. Präsentation
von Research to business Energy Consulting im Rahmen eines UBA-Workshops am 21.10.2011.
Stoft, S. (2002): Power System Economics. Designing Markets for Electricity. IEEE Press,
Piscataway, NJ.
Wolak, F. A. (2009): Managing Demand-Side Economic and Political Constraints on Electricity
Industry
Restructuring
Processes.
Online:
http://www.stanford.edu/group/fwolak/cgi-
bin/sites/default/files/files/demand-side-constraints-wolak.pdf.
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