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Lebendige Vergangenheit
James Melton
Spektakulärer Aufstieg und tragischer Absturz– die Karriere von James Melton
Das Phänomen des musikalischen Crossover hat sich nicht erst in unserer Zeit entwickelt,
sondern war schon in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gang und gäbe. Nur mit dem
Unterschied: der Wechsel ging damals in die umgekehrte Richtung; nämlich vom unterhaltenden
Repertoire zum seriösen. Rosa Ponselle zum Beispiel begann ihre Karriere im Vaudeville-Theater,
bevor sie an die Metropolitan Opera gelangte; Dorothy Kirsten war schon Mitte der 30er Jahre
eine etablierte Radio-Sängerin bevor sie 1940 zum ersten Mal die Opernbühne betrat. Auch der
Tenor James Melton war ein Spätberufener auf dem Feld der Oper, er war als einer der erfolgreichsten Pop-Sänger seiner Zeit in seine Karriere gestartet. Bereits ein Jahrzehnt lang hatte der
Sohn eines Trödlers aus Georgia als Star am Pop Himmel geglänzt, als er 1938 völlig überraschend sein Operndebüt gab.
Meltons lyrischer Tenor produzierte einen wohllautenden, unforcierten, Klang, der sehr gut trug
und oft mit dem Timbre seines berühmten irischen Vorgängers John McCormack verglichen
wurde. Melton teilte auch einige von McCormacks Mängeln, so die gelegentliche Tendenz zu
nasal zu singen. Aber insgesamt war seine Stimme perfekt geeignet für die Handvoll lyrischer
Rollen, die er während seiner achtjährigen Zugehörigkeit zum Met-Ensemble singen sollte.
Für die meiste Zeit seines Lebens schien Melton alles nur so zuzufliegen. Am 2. Januar 1904 in
Moultrie/Georgia geboren, wuchs er in Citra/Florida auf, wo er sich sein Taschengeld in der
Schweineaufzucht verdiente oder beim Verladen von Wassermelonen. Doch der Ehrgeiz des aufgeweckten, tatendurstigen Teenagers, fand erst eine Befriedigung, als einer seiner HighschoolLehrer sein Stimmtalent entdeckte und ihn in Richtung Musik drängte.
Melton vollendete seine Gesangsausbildung am Ward-Belmont-Konservatorium in Nashville und
ging 1927 nach New York. Fast vom Fleck weg wurde er vom „Roxy Movie Palace“ für die live
gesungenen Musikeinlagen engagiert. Nach sechs Monaten erhielt er eine Einladung Mitglied
der „Revelers“ zu werden, einem populären Männervokalquartett, das darauf spezialisiert war,
die komplizierten Tanzmelodien, die en vogue waren, vokal zu imitieren. Es war der Höhepunkt
der „Roaring Twenties“ und Melton begann gewaltige Gagen für seine Auftritte mit den
„Revelers“ in Konzerten, auf Tourneen, in Rundfunkübertragungen und für Plattenaufnahmen in
Europa und den USA einzustreichen.
Als schließlich die Wirtschaftsdepression eintrat, hatte sie wenig Einfluß auf Meltons Einkünfte.
1930 kaufte er seine erste Yacht und begann zugleich ein teures Hobby: das Sammeln von Oldtimern. 1932 machte er eine ernsthafte Anstrengung, sich künstlerisch weiterzuentwickeln: er
gab in der New Yorker Town Hall sein erstes Solo-Recital. Das Programm enthielt Händel,
Haydn, Massenet und Rachmaninoff. Die Reaktion der Kritiker war gemischt: „Mr. Melton überraschte mit einer jugendlichen, lyrischen Stimme von beträchtlicher Qualität“, schrieb die New
York Times, „doch gibt es für ihn noch vieles zu erarbeiten“.
1934 hatte Melton die „Revelers“ verlassen und sich als Solist etabliert, der schnell berühmt
genug wurde um als Gast mehrerer größerer Radio-Programme mitzuwirken und um George
Gershwin auf einer USA-Tour zu begleiten. Noch im selben Jahr unterschrieb er bei Warner
Brothers einen Vertrag für drei Spielfilme.
Trotz seines blendenden Aussehens, seines Charmes und seiner attraktiven Stimme, kam Melton
auf der Kinoleinwand nicht recht zur Geltung. Er war kein besonders begabter Schauspieler, zumindest im Film, wo er immer reichlich uninspiriert wirkte. Sein Film-Debüt „Stars Over Broadway“ (1935) war eine banale Geschichte über einen stimmbegabten Hotelpagen, der es beim
Radio zum Schlagerstar bringt und schließlich sogar auf der Bühne der Met landet, obwohl Alkoholprobleme beinahe seine ganze Karriere ruinieren. Es war ein mittelmäßiger Film, doch nahm
seine Handlung auf bedrückende Weise Meltons eigene Zukunft vorweg.
Nachdem er den Warner-Vertrag erfüllt hatte, fühlte sich Melton gestärkt für neue Herausforderungen: er begann beim New Yorker Gesangslehrer Angelo Cantarutto ernsthaft Gesangsunterricht zu nehmen und erhielt bald das Angebot bei der Cincinatti Opera zu debütieren, 1938 als
Puccinis Pinkerton unter Fausto Cleva. Die Kritiken waren hymnisch. „Brillanter Erfolg eines
neuen jungen Tenors!“ verkündeten die Schlagzeilen der Cincinatti Post.
In den folgenden Jahren sang Melton an der Cincinatti Opera, in Chicago und bei der San Carlo
Opera Company weitere Male den Pinkerton, auch Verdis Alfredo und Massenets Des Grieux.
Vielleicht weil es dort eine generelle Abneigung dagegen gab, Künstler zu engagieren, die aus
dem Pop-Bereich kamen, zögerte die Met ihn zu engagieren, obwohl Meltons Management sich
wiederholt um einen Vertrag bemühte. Dann brach der Zweite Weltkrieg aus und verkleinerte sofort das Angebot an verfügbaren europäischen Tenören. Außerdem setzte die Texas Company, der
Sponsor der Met Broadcasts, Melton in ihren wöchentlichen Radio Shows ein. Schließlich gab
die Met nach und am 7. Dezember 1942 feierte Melton dort seinen Einstand als Tamino. Damals
war er 38.
Diesmal waren die meisten New Yorker Kritiker enthusiastisch.
„Mr. Melton sang, als ob die Metropolitan Opera sein Zuhause wäre“, schrieb die New York
Times. „Der Tenor aus Georgia hat genau das richtige romantische Flair für die meisten Tenorrollen. Er versteht es zu spielen; er hat eine Stimme und er weiß sie zu gebrauchen. Er verlieh der
Partie des Tamino Würde und Eleganz. Und dies sollte ihm auch in anderen Rollen gelingen.“
Tatsächlich entwickelte sich Melton für den Rest des Jahrzehnts zu einem der führenden lyrischen Tenöre der Met. In acht Spielzeiten erschien er 83mal in sieben verschiedenen Werken,
darunter „Don Giovanni“, „Lucia di Lammermoor“, „Madama Butterfly“, „Manon“, „La traviata“
und „Mignon“. Dies war der Höhepunkt von Meltons Karriere. Er behielt seine Radio- und Konzert-Auftritte bei, die weit mehr einbrachten als seine Met-Gage, und unterschrieb einen Vertrag
bei RCA Red Seal. MGM engagierte ihn für Auftritte in der „Technicolor Extravaganza“ – eine
Art Revue – „Ziegfeld Follies“ (1946).
Aber all dies war nicht von Dauer. Melton überlebte den Regime-Wechsel an der Met von
Edward Johnson zu Rudolf Bing nicht. Zur gleichen Zeit begann sich der Musikgeschmack zu
ändern. Im Nachkriegsamerika löste der Rock‘nRoll den Swing ab und Tenöre wie Melton waren
nicht mehr sehr gefragt. Melton beklagte sich, dass die RCA sich nicht ausreichend um die
Bewerbung seiner Platten kümmern würde und drohte, die Firma zu verklagen. Damit endete
sein Vertrag mit dem Label und auch mit allen anderen. Der Versuch, in den frühen 50ern seine
eigene TV Show zu etablieren endete nach einer erfolglosen Saison.
Seine Konzertverpflichtungen begannen bald abzunehmen und er verlegte sich nun auf Auftritte
in Nachtclubs. Als er eine eigene Revue auf die Beine zu stellen versuchte und damit eine
siebenwöchige Ostküstentournee startete, fiel sie durch und kostete ihn $60,000.
Die Reihe der Fehlschläge setzte sich fort. Er entschloss sich, seine geliebte Sammlung von Oldtimern nach Florida zu bringen und dort ein Automuseum zu eröffnen. Kurz nach der Eröffnung
wurde eine Schnellstraße gebaut, die den Verkehr am Museum vorbeiführte und damit sein
Geschäft lahm legte. Bald war Melton gezwungen, seine Automobil-Kollektion zu verkaufen.
Schließlich entwickelte Melton ein Tabletten- und Alkoholproblem, was seiner Stimme nicht
eben gut bekam. Zu guter Letzt plagten ihn auch noch Eheprobleme. Er starb bankrott und hoch
verschuldet am 21. April 1961.
Kurt Malisch
Der Verfasser des Textes über James Melton, Dr. Kurt Malisch, verstarb am 16. Juni 2007 nach
langer schwerer Krankheit im 60. Lebensjahr in München. Kurt Malisch war Sammler, wobei
sein besonderes Augenmerk den Sängern der Stalin-Ära galt. Er gestaltete unzählige Rundfunksendungen und schrieb kritische Artikel in Tages- und Fachzeitschriften.
Sein enormes Fachwissen machte ihn zu einem unverzichtbaren Mitarbeiter an der Gestaltung
dieser Reihe; er hinterlässt eine Lücke, die nicht zu schließen ist. Wir gedenken seiner in Dankbarkeit und werden ihn nicht vergessen.
A Spectacular Rise and Tragic Fall: The Career of James Melton
The musical crossover is a phenomenon not just of our time; it was already commonplace in the
early decades of the 20th century. With one difference, however: artists crossed over in the opposite
direction, from entertainment to serious repertoire. Rosa Ponselle, for example, began her career
in Vaudeville before coming to the Metropolitan Opera; Dorothy Kirsten was an established radio
singer in the mid-1930s and first set foot on an opera stage in 1940. The tenor James Melton was
also called relatively late to the field of opera, having been one of the most successful pop singers of his time in his earlier career. The son of a junk-dealer from Georgia had spent an entire
decade as a star in the heavens of pop music when he made his surprising operatic debut in 1938.
Melton’s lyric tenor voice had a pleasant, unforced sound that carried well, and his timbre was
often compared to that of his celebrated Irish predecessor John McCormack. Melton also shared
some of McCormack’s faults, such as his occasional tendency to sing with sound that was too nasal. But all in all, his voice was perfectly suited to the handful of lyric roles that he was to sing
during the eight years he was a member of the Met ensemble.
For most of his life Melton seemed to attract good fortune. Born in Moultrie, Georgia, on 2
January 1904, he grew up in Citra, Florida, where he earned pocket money by working for a hogfarmer and loading watermelons. But the ambitions of the bright teenager, who was thirsting for
action first found a suitable outlet when one of his high-school teachers discovered his vocal
talent and encouraged him to pursue a career in music.
Melton completed his vocal training at the Ward-Belmont Conservatory in Nashville and went to
New York in 1927. Almost immediately he was hired by the Roxy Movie Palace for its intermezzi
of sung entertainment. Six months later he was invited to become a member of the Revelers, a
popular men’s quartet that specialised in imitating vocally the complicated dance tunes that were
en vogue at the time. This was at the height of the Roaring Twenties, and Melton began to receive
enormous fees for his appearances with the Revelers in concert, on tour, in radio performances
and in recordings in Europe and the USA.
The outbreak of the Great Depression had little influence on Melton’s income. In 1930 he bought
his first yacht and took up an expensive hobby: collecting vintage cars. In 1932 he made a
serious effort to further develop his musical talent, singing a first solo recital in New York’s Town
Hall. On the programme were works by Handel, Haydn, Massenet and Rachmaninoff. The
critics’ reaction was mixed: “Mr. Melton surprised us with his youthful, lyric voice of considerable
quality”, wrote The New York Times, “but he still has a lot of work to do.”
Melton had left the Revelers in 1934 and made a name for himself as a soloist, quickly becoming
famous and receiving invitations to appear on several of the important radio programmes and to
accompany George Gershwin on a US tour. In the same year he signed a contract with Warner
Brothers to appear in three feature films.
Despite his dazzling appearance, his charm and his attractive voice, Melton was not terribly
successful with his films. He was not a particularly gifted actor, at least in cinema, where he made
a quite uninspired impression. His film debut, Stars Over Broadway (1935), was a banal story
about a vocally talented hotel bell-boy who becomes a radio and pop idol, finally making it to the
stage of the Met, although an alcohol problem almost ruins his career. It was a mediocre film,
and yet the plot depressingly presaged Melton’s own future.
After fulfilling the terms of his Warner contract, Melton was ready for new challenges: he began
serious study with the voice teacher Angelo Cantarutto in New York and was soon offered a debut
at the Cincinnati Opera, where he sang Puccini’s Pinkerton under Fausto Cleva in 1938. The reviews
were ecstatic. “Brilliant Success for New Young Tenor!” was the headline in The Cincinnati Post.
In the years that followed, Melton appeared at the Cincinnati Opera, in Chicago and with the San
Carlo Opera Company in additional performances as Pinkerton and also as Verdi’s Alfredo and
Massenet’s Des Grieux. Perhaps because its management had a general disinclination to hiring
artists from the world of pop music, the Met hesitated to hire him, although Melton’s agency
repeatedly sought a contract with the house. The outbreak of the Second World War immediately
reduced the number of tenors available from Europe. In addition, the Texas Company, which
sponsored the Met broadcasts, began using Melton in its weekly radio shows. Finally, the Met
gave in and Melton made his debut there as Tamino on 7 December 1942. He was 38 years old.
This time most of the New York critics were enthusiastic. “Mr. Melton sang as though the Metropolitan Opera were his home”, wrote The New York Times. “The tenor from Georgia has just the
right romantic flair for most tenor roles. He knows how to act; he has a voice and knows how to
use it. He brought dignity and elegance to the role of Tamino, and he should be able to do the
same with other roles.”
Indeed, Melton remained one of the leading lyric tenors at the Met for the rest of the decade. In
eight seasons he appeared 83 times in seven different works, including Don Giovanni, Lucia di
Lammermoor, Madama Butterfly, Manon, La traviata and Mignon. This was the apogee of
Melton’s career. He continued his appearances on radio and in concert, which earned him far
more than his salary at the Met, and signed a contract with RCA Red Seal. MGM hired him to
appear in its Technicolor extravaganza, Ziegfeld Follies (1946), a review in the grand old style of
Florenz Ziegfeld.
But none of this lasted. Melton did not survive the transition at the Met from Edward Johnson to
Rudolf Bing as general manager. At the same time musical tastes began to change. In post-war
America Rock & Roll replaced Swing, and tenors like Melton were no longer in great demand.
Melton complained that RCA did not put enough effort into advertising his records and threatened
to sue the company. That brought to an end his contract with that label and all others as well.
Melton’s attempt in the early 1950s to establish his own TV show came to an end after a single
unsuccessful season.
Soon he found himself giving fewer concerts and increasingly began to sing in nightclubs. His
attempt to produce a review of his own for a seven-week tour of the East Coast failed, costing
him 60,000 dollars.
The series of failures continued.. Melton decided to take his beloved collection of vintage cars to
Florida and open a car museum there. But shortly after the opening, a new expressway was built,
diverting traffic away from the museum and ruining his business. Soon Melton was forced to sell
the collection.
Melton began having drug and alcohol problems, which was hard on his voice, and finally, he
had marriage problems as well. He died with a mountain of debt on 21 April 1961.
Kurt Malisch
The author of the text on James Melton, Dr. Kurt Malisch, died in Munich, following a long and
serious illness, on 16 June 2007. He was 59. Kurt Malisch was a collector, who focussed in
particular on the singers of the Stalin era. He produced countless radio programmes and wrote
reviews for newspapers and specialist journals.
His expert knowledge made him an indispensable partner in the production of this series, and his
death leaves a void that will be impossible to fill. We remember him in gratitude and will never
forget him.
MONO 89693