Vo r w o r t Judentum Christentum Islam Hinduismus Buddhismus
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Judentum Christentum Islam Hinduismus Buddhismus Religionen / Konfessionen und Gender Vo r w o r t Warum sind Männer und Frauen in vielen Religionen zwar theoretisch, aber nicht praktisch gleichwertig? Welche Vorstellungen vom oder von höchsten Wesen (Gott) gibt es in den fünf großen Weltreligionen? Wie thematisieren sie die Gleichheit oder Verschiedenartigkeit der Geschlechter? Wir laden Sie ein in die Welt des Judentums, Christentums, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Die fünf großen Weltreligionen haben über Jahrtausende hinweg zum Reichtum der Kulturen beigetragen, im Gegensatz zu Sekten, wie zum Beispiel Scientology. Sie bieten eine Fülle von interessanten Geschichten, Persönlichkeiten und Gedanken, die wir Ihnen gerne vorstellen. Auf den folgenden Seiten erfahren Sie mehr über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen einzelnen Religionen. Im Judentum und Christentum soll man sich keine personale Vorstellung von Gott machen, und Ähnliches gilt im Islam; besonders dürfen Allah und sein Prophet Mohammed nicht abgebildet werden. Dagegen gibt es im Hinduismus eine bunte, schillernde Bilder-Welt von Göttern und Göttinnen, von deren Abenteuern die großen religiösen Schriften berichten. Der Buddhismus kennt keinen allmächtigen, ewigen Schöpfergott. Dennoch gibt es Verkörperungen des Buddha in unterschiedlichen Gestalten und weibliche Luftwesen. Welche Vorstellung von Geschlecht/Gender gibt es in den jeweiligen Religionen? Welche Eigenschaften und Fähigkeiten werden ihnen zugeschrieben? Wir stellen Ihnen die wichtigsten Persönlichkeiten in ihren unterschiedlichen (Geschlechter-)Repräsentationen und Funktionen vor: Mohammed, Chadidscha, Aischa, Buddha, Maria und Jesus. Außerdem finden Sie ein eigenes Kapitel über „Homosexualität und Transidentitäten“ mit weiterführenden Hinweisen. Klicken Sie oben auf die jeweilige Religion, um mehr darüber zu erfahren. Weitere Informationen finden Sie unter den angegebenen links und in den Literaturlisten aber auch im FFBIZ-Archiv. Wir freuen uns auf Ihren Besuch! 1 Judentum 1. Glaubengrundsätze 2. Schriften 3. Strömungen 4. Die Götterwelt westsemitischer Völker 5. „Du sollst dir kein Bildnis machen“ – Das Gottesbild JHWHs 6. Verschiedene Lesarten der Schriften 7. Schöpfungsmythen: Adam, Eva und Lilith Glaubengrundsätze Zum Judentum bekennen sich heute zirka 14. Millionen Menschen auf der Welt. Es ist die älteste der drei Weltreligionen mit Glauben an einen Gott (Monotheismus). Gott, Jahwe, wird als Schöpfer aller Dinge angesehen. Er hat die Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen. Der Nomade Abraham wird als jüdischer Ur-Vater betrachtet, auf den sich auch das Christentum und der Islam beziehen. Mit Abraham beginnt die Geschichte des jüdischen Volkes. Doch ob er wirklich gelebt hat, und ob der biblische Bericht vom Auszug aus Ägypten historisch nachweisbar ist, ist in der Forschung umstritten. Die Glaubensgrundsätze stammen unter anderem aus den zehn Geboten, die in den fünf Büchern Moses, in der Tora, festgehalten wurden. Danach steht der Mensch vor Gott und ist für seine Taten verantwortlich. Juden erwarten den Messias, der kommen wird, um die Welt zu erlösen. Im Judentum gibt es keine eindeutigen Vorstellungen von einem Leben nach dem Tode. Es ist stark auf das Diesseits orientiert, das als prinzipiell gut, weil von Gott geschaffen und vom Menschen gestaltet, gilt. 2 Schriften Die hebräische Bibel Tanach besteht aus der Tora (Bücher Moses mit 613 Gesetzen), den Nebiim (Bücher der Propheten) und den Ketubim (Schriften). Diese Texte bilden in anderer Anordnung und Gewichtung auch die Grundlage des Alten Testaments im Christentum. Die hebräische Bibel ist eine Sammlung verschiedener Bücher unterschiedlicher literarischer Formen: Erzählungen, Gedichte, Prophezeiungen, Gesetze. Neben den zum Teil ganz unbekannten Verfassern oder Autorengruppen arbeiteten unzählige Abschreiber, Sammler, Kommentatoren und Herausgebern an den Schriften. Eine Frau als Autorin wird nirgendwo erwähnt. In ihrer mehr als tausendjährigen Entstehungsgeschichte von den mündlichen Überlieferungen bis zu ihrer endgültigen schriftlichen Form wurde die Bibel immer wieder umgeschrieben, verändert und neu übersetzt. Da sie von Menschen gemacht ist, spiegelt sie unterschiedliche kulturelle Einflüsse, Interpretationen und Absichten. Der Talmud ist die zweite wichtige Schrift im Judentum. Er besteht aus der Mischna, eine Sammlung von religiösen Gesetzen und der Gemara, der Diskussion dieser Gesetze. Die Mischna enthält unter anderem Regeln zum Ehe-, Familien-, und Strafrecht und stellt Reinlichkeitsgebote für die Geschlechter auf. In der Gemara, dem zweiten Teil des Talmuts, werden diese Gesetze in Form von Geschichten und Gleichnissen ausgelegt und kommentiert. Diese mündliche Lehre wurde in der Regel von männlichen jüdischen Gelehrten über Generationen hinweg verbal weitergegeben, gesammelt und schließlich in eine schriftliche Form gebracht. Strömungen Das Judentum unterteilt sich heute in drei Hauptströmungen: Orthodoxes, progressives und konservatives Judentum. Das orthodoxe Judentum hält trotz gesellschaftlicher Veränderungen unverändert an den alten Gebräuchen fest. Die Thora gilt als das direkt geoffenbarte Wort Gottes. Die religiösen Schriften gehen davon aus, dass Menschen als zweierlei Geschlecht geschaffen wurden, als Mann und Frau. In den Schriften gibt es Anweisungen dazu, welche sexuellen Praktiken zwischen welchen Geschlechtern erlaubt sind, und welche nicht. Nach einigen Auslegungen lehnt die hebräische Bibel (z. B. Leviticus 18,22 und 20, 13) Homosexualität ab und sieht Strafen dafür vor. 3 Das orthodoxe Judentum betrachtet die Geschlechter als gleichwertig vor Gott, aber nicht als gleichartig. Aus der Verschiedenheit der Geschlechter begründet es getrennte Arbeits- und Aufgabenbereiche. Der Mann soll sich vorrangig dem Studium der heiligen Schriften und der Religionsgesetze widmen. Die Frau ist zuständig für die Bewahrung der religiösen Tradition vor allem in der Familie. Im Judentum existiert ein Mythos der „starken jüdischen Frau“, die neben ihrer Erwerbstätigkeit und der Familienarbeit dem Mann noch den „Rücken“ für seine geistigen Studien freihält. Jüdische Gelehrte huldigen ihr dafür in zahlreichen Textstellen der Schriften (Lob der tüchtigen Hausfrau, Sprüche Salomon 12, 4). Der Zugang zu geistlichen Ämtern ist abhängig vom zugeschriebenen Geschlecht des Menschen: Männer dürfen das Amt von Geistlichen = Rabbinern übernehmen, lesen aus dem Talmud oder der Tora vor und interpretieren die Gesetze. Frauen sind davon ausgeschlossen. In den religiösen Versammlungsräumen, den Synagogen, sitzen Frauen und Männer separat, manchmal auch durch einen Vorhang getrennt. Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, gilt als Leitlinie für das religiöse Leben im Alltag. In Tora und Talmud gibt es mehr als 613 Gesetzte: 248 Gebote und 365 Verbote. Darin ist unter anderem festgelegt, dass eine Ehescheidung nur auf Initiative des Mannes erfolgen kann. Die Frau willigt durch Berührung des Scheidungsdokumentes in die Trennung ein. Es gibt klare Reinlichkeitsvorschriften für Männer und Frauen. Der Verlust von Menstruationsblut und Sperma gelten als unrein. Der Zustand der Reinheit muss durch ein rituelles Bad wieder hergestellt werden. Der Geschlechtsverkehr zwischen Männern und Frauen ist während der Menstruation der Frau und einige Tage danach verboten. Auch nach der Geburt eines Kindes fordern die Gesetze von den Ehepartnern Enthaltsamkeit und eine Absonderung der Frau von der religiösen Gemeinschaft. Diese gilt für einen Zeitraum von 40 Tagen nach der Geburt eines Jungen und 80 Tagen nach der Geburt eines Mädchens. Das progressive Judentum entwickelte sich stark im 19. Jahrhundert mit liberalen, reformorientierten Ausprägungen. Die Offenbarungen Gottes werden als ein fortschreitender Prozess verstanden und können von Menschen neu ausgelegt werden. Die Regeln des Talmuds sind nicht göttlichen Ursprungs, sondern durch Menschen gemacht. Für das progressive Judentum sind sie abhängig von der Zeit, in der sie entstanden sind und daher veränderbar. Männer und Frauen werden im progressiven Judentum gleichgestellt. In der Synagoge sitzen die Geschlechter gemischt. Männer und Frauen haben gleichberechtigten Zugang zu den religiösen Ämtern. Schon 1936 wurde Regina Jonas als erste Rabbinerin in Deutschland eingesetzt. Generell gilt die Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Es gibt 4 liberale Gemeinschaften schwuler, lesbischer und bisexueller Jüdinnen und Juden und eine erste Generation lesbischer Rabbinerinnen. Das konservative Judentum entstand im 19. Jahrhundert in Europa und bewegt sich zwischen orthodoxem und progressivem Judentum. Auch die konservative Bewegung ordiniert seit 1984 Frauen als Rabbinerinnen, d.h. führt sie in ihr Amt ein. Die Götterwelt westsemitischer Völker Zur Zeit der Entstehung des Judentums beteten die Menschen im Alten Orient verschiedene Götter und Göttinnen an. Diese symbolisierten die Kräfte der Natur oder die vier Elemente, „Feuer“, "Wasser", "Luft" und "Erde". Auch jede Stadt hatte einen eigenen Schutzgott. Das Prinzip der Fruchtbarkeit wurde dabei sowohl in weiblicher als auch in männlicher Gestalt angebetet. Ischtar, die babylonische Göttin des Kampfes und der Liebe, wurde im gesamten Alten Orient unter verschiedenen Namen verehrt: Ashtar, Astarte, Ashera, Inanna. Als Doppelcharakter hat sie eine helle und dunkle Seite und tritt in unterschiedlichen Erscheinungsformen der einen Hauptgöttin auf. Sie ist die Göttin des Abend- und Morgensterns, des Himmels- und der Unterwelt, Mutter- und Liebesgöttin, Göttin der Fruchtbarkeit und der Wollust. Dargestellt wird sie oft als Kriegsgöttin mit Hörnermütze, Köchern auf dem Rücken und Pfeilen und Bogen in den Händen. Baal (Bhaal, Bel, Bēl) ist eine Bezeichnung aus dem Altertum für verschiedene Gottheiten im syrischen und levantinischen Raum. Der Begriff bedeutet Herr, Meister, Besitzer, Ehemann, König oder Gott und kann für jeden Gott benutzt werden. Er ist der Fruchtbarkeits-, Regen-, Gewitter-, Berg- und Sturmgott westsemitischer Völker. Als Ehemann der Astarte steht auch er für lebensspendende und -zerstörende Kräfte. Dargestellt wird er mit Donnerkeil und erhobenem Arm, der Blitze schleudert. Die Erzählungen über die ältesten Götter und Göttinnen des ägyptischen Raums und vieler Regionen rund um das Mittelmeer stellen sie oftmals doppelgeschlechtlich (androgyn) vor, so wie auch in der griechischen Mythologie. Die Religion des jüdischen Volkes, der 12 Stämme Israels, entstand also in einer Welt der Vielgötterei (Polytheismus). Die hebräischen Stämme führten Krieg mit anderen Völkern in der Kulturlandschaft Kanaans, die Göttinnen verehrten, 5 Tempelprostitution betrieben und Sexualität als Teil ihres religiösen Lebens würdigten. In der hebräischen Bibel finden sich noch Spuren dieser Götterkulte, die scharf verurteilt werden. „Du sollst dir kein Bildnis machen“ – Das Gottesbild JHWHs Das Judentum basiert auf den Glauben an den einen Gott, der den Namen des Unaussprechlichen, Jahwe, trägt. Dieser wird unter anderem mit folgenden männlichen Beinamen belegt: Herr, Vater, Gemahl, König, Richter, Kriegsherr, Hirte. Er gilt als der Schöpfer der Welt und als eine gewaltige Macht jenseits dieser Welt. Gott wird als allwissend, allmächtig und allgegenwärtig angesehen. Er erscheint als Träger positiver menschlicher Eigenschaften in überhöhter Form, wie unfehlbare Gerechtigkeit, allumfassende Liebe und Güte. Er unterliegt keinen zeitlichen Begrenzungen und keinem Wandel, sondern gilt als ewig, also unveränderlich. Auf der einen Seite wird Jahwe von Menschen annäherungsweise in „männlichen“ Bildern, Rollen und Funktion beschrieben, auf der anderen Seite erscheint er als geschlechtsloses Wesen. In der hebräischen Bibel gibt es keine Äußerungen über die Gestalt Gottes. Auch in den Berichten der Propheten, die ihn im Traum oder als Vision sahen, fällt nie ein Wort über sein Aussehen oder seine Geschlechtsmerkmale. Im Gegensatz zu vielen Göttern und Göttinnen des Polytheismus hat Jahwe keine sexuelle Biographie, keine sexuelle Partnerschaft und zeugt auch keine Nachkommen. Er soll nicht in menschlichen Abbildungen dargestellt werden (Bilderverbot). Verschiedene Lesarten der Schriften Die jüdische feministische Theologie beschäftigt sich unter anderem mit der sogenannten „weiblichen" Seite Gottes. Sie verweist dabei auf Eigenschaften, die im Hebräischen als „Schechina“ und „Hochma“ bezeichnet werden und für die Herrlichkeit und Weisheit Jahwes 6 stehen. Da diese Begriffe der Grammatik nach weiblich sind, werden aus ihnen auch weibliche Tugenden abgeleitet. Die Autorinnen weisen auf Gleichnisse hin, wo Gott sich der Bibel nach selbst als „Gebärende“ oder als „Mutter“ im Verhältnis zu seinem Volke beschreibt. Er erscheint als „Bärin“, der man die Jungen geraubt hat und als „Adlermutter“, die ihre Kinder unter ihren Flügeln schützt. Wir können fragen: Werden hier Anteile der „Fruchtbarkeits- und Muttergöttinnen“ „Jahwe“ zugeschrieben und warum? Durch die Gleichsetzung von „weiblich“ mit Begriffen wie „fürsorglich“, „behütend“ oder „beschützend“, schreiben manche Autorinnen dem „Weiblichen“ wesenhafte, scheinbar natürliche und immerwährende Eigenschaften zu. Dadurch wird, wie im orthodoxen Judentum, die Andersartigkeit der Geschlechter betont, und diese werden auf bestimmte Rollen und Funktionen festgelegt. Eine andere Leseart der Schriften untersucht die Beziehung zwischen Mensch und Gott wie der Autor Eilberg-Schwartz. Diese Beziehung wird mit Begriffen wie Liebe und Hingabe umschrieben. Das traditionelle Judentum fasst die Frau als den natürlichen, ergänzenden Gegenpart zum Mann auf. Aus den unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen werden Eigenschaften abgeleitet, die verschiedene Aufgaben und Gender-Rollen nach sich ziehen. Die Liebesbeziehung zwischen unterschiedlichen Geschlechtern gilt als Norm und die zwischen Gleichgeschlechtlichen als unnatürlich. Daher ist nach Eilberg-Schwartz der gläubige Jude in erster Linie ein männlicher Gläubiger. Dieser darf keine (Liebes)beziehung mit einem Gott eingehen, der männliche Geschlechtsmerkmale hat. Dadurch entstünde der Verdacht der Homoerotik. Deshalb erscheint Gott in den Schriften als geschlechtslos und körperlos. Eine eigenwillige Interpretation! Schöpfungsmythen: Adam, Eva und Lilith In der hebräischen Bibel gibt es zwei Versionen über die Entstehung der Menschen. Die erste Schöpfungsgeschichte berichtet, dass Gott den Menschen am 5. Tag nach seinem (Eben)bilde als Mann und Frau erschuf (Genesis 1). Im zweiten Schöpfungsbericht (Genesis 2-3) erschuf Gott zuerst den Mann „Adam“ und aus seiner Rippe die Frau „Eva“ als seine Helferin. In dieser Schrift steht, dass Gott ein Wesen aus der Ackererde bildete, diesem den Lebensatem einhauchte und ihn in den Garten Eden setzte. Jüdische Theologinnen gehen oft davon aus, dass dem ersten Geschöpf noch kein Geschlecht zugeordnet wurde. Für sie ist der Begriff 7 „Adam“ eine Gattungsbezeichnung für Menschen und noch kein Name für einen Mann. Um die Einsamkeit dieses Wesens zu lindern, baut Gott, der zweiten Überlieferung nach, aus seiner Rippe einen zweiten Menschen. Aus dem ersten androgynen Menschen entstehen zwei, die jetzt geschlechtlich unterschieden werden. Adam erkennt Eva als ihm ähnlich. Diese Ähnlichkeit zwischen den beiden Geschlechtern wird noch durch die hebräischen Namen „Isch“ und „Ischa“ betont. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Eva verführt Adam dazu, vom Baum der Erkenntnis zu essen, und es folgt die Vertreibung aus dem Paradies. Die Einteilung in zwei Geschlechter erscheint in beiden Versionen also als gottgewollt. Am Ende der zweiten, der wahrscheinlich geschichtlich jüngeren Erzählung, wird nach der Unterschiedlichkeit der Geschlechter auch noch die Hierarchie der Geschlechter formuliert „Du hast Verlangen nach deinem Manne, er aber wird über dich herrschen“ (1. Buch Moses 3,16). Es gibt Hinweise auf weitere Versionen der Schöpfungsgeschichte auch unter Israeliten. Sie werden im jüdischen Talmud und in der hebräischen Bibel (Jesaija 34,14) erwähnt. In dieser Version ist Lilith ein erster Mensch, geschlechtslos, oder aber die erste Frau Adams vor Eva. Nach jüdischen Sagen streitet Lilith mit Adam und verschwindet aus dem Paradies in die Wüste. Sie bleibt aber unsterblich, vereinigt sich mit Dämonen und bringt Dämonenkinder zur Welt. In anderen Überlieferungen wird sie durch den Tod ihrer Kinder bestraft und verwandelt sich selbst in einen Geist, der die neugeborenen Kinder der Menschen tötet. Lilith, im Hebräischen „die Nächtliche“, wird schließlich im alten Mesopotamien zum weiblichen Dämon des Kindbettfiebers. In der Version der jüdisch-feministischen Theologie aber steht Lilith entweder für den ersten Menschen überhaupt oder aber für die eigenständige starke Frau, die Adam den Gehorsam, also die Unterordnung, verweigert. Die verschiedenen Vorstellungen zu Lilith haben vor allem im 19. Jahrhundert, während der sog. Ersten Frauenbewegung, besonders männliche Künstler zu unterschiedlichen Darstellungen angeregt. Jüdisch-rabbinische Literatur deutet eine vierte Version der Schöpfungsgeschichte an. Adam wird danach auch als zweigesichtiges, androgynes Wesen beschrieben, das männliche und weibliche Merkmale aufweist. Demnach schuf Gott den Menschen zuerst als Hermaphroditen und teilte dieses Geschöpf dann in zwei voneinander getrennte Körper. Diese Betrachtung ähnelt anderen Schöpfungsmythen. Nach persischen Legenden lebte das erste Menschenpaar, als Licht und Dunkelheit, im Garten Eden, zuerst gemeinsam in einem Körper. Auch die griechischen Mythen berichten davon, dass Prometheus den Menschen zuerst androgyn, als Wesen aus Lehm erschuf und die Göttin 8 Athene ihn lebendig machte. Nach der Geschichte von Platon trennte der Göttervater Zeus die ursprünglichen Kugelmenschen, die aus drei Geschlechtern bestanden, und nahm vom weiblichen Körper ein Stück Lehm, dass er dem Manne ansetzte. Weiterführende Informationen Bet Deborah. Frauenperspektiven im Judentum http://www.bet-debora.de/ http://www.talmud.de/cms/Hauptseite.45.0.html http://www.hagalil.com/judentum/ http://www.religion-online.info/judentum/themen/themen.html http://www.verlagderweltreligionen.de/ Bridges. A Jewish Feminist Journal http://bridgesjournal.org/ Nashim. A Journal of Jewish Women´s Studies & Gender Issues http://muse.jhu.edu/demo/nashim Lilith. A Feminist History Journal: www.history.unimelb.edu.au/lilith/ zurück zu Seite 1 9 Christentum 1. Glaubensgrundsätze 2. Orthodoxe, Katholische und Evangelische Kirchen 3. Schriften 4. Geschlechterordnung, -hierarchie und –beziehungen 5. Bekleidungsvorschriften für die Geschlechter 6. Maria und Jesus: historische Figuren und Mythengestalten Glaubensgrundsätze Das Christentum ist mit über zwei Milliarden Anhängern noch die größte der fünf Weltreligionen. Seine Wurzeln liegen im Judentum. Die Christen glauben wie die Juden an einen Gott, von dem man sich kein Bild machen soll. Jedoch sehen die meisten Christen Gott als einen dreifaltigen Gott an (Trinität): als Vater, Sohn (Jesus Christus) und Heiligen Geist, die zusammen eine Einheit bilden. Jesus Christus ist nach der Festlegung früher Konzilien zugleich ganz Mensch und ganz Gott. Die zentralen Elemente der christlichen Lehre sind die Liebe Gottes, die Liebe zu Gott und die Nächstenliebe. Gott erlöste die Menschen von seiner Schuld oder Erbsünde durch den Tod Jesu Christi. Dieser ist nach den Zeugnissen der Apostel und der Maria Magdalena vom Tod als erster Mensch auferstanden. Gemeinsame Sakramente, d.h. heilige, zeichenhafte Rituale, aller christlichen Konfessionen und Strömungen sind die Taufe und das Abendmahl. Orthodoxe, Katholische und Evangelische Kirchen Glaubensspaltungen begleiteten die christliche Kirche, d.h. die dem Herrn gehörige Religionsgemeinschaft, von Anfang an, wie schon aus den Paulus-Briefen des Neuen Testaments hervorgeht. Im Römischen Reich wurde das Christentum im Jahr 391 Staatsreligion. Nach der Teilung des Reiches 395 entstand die orthodoxe Kirche um den Mittelpunkt Konstantinopel. 10 Unterschiedliche theologische Meinungen führten 1054 zum großen Schisma, d.h. der endgültigen Kirchenspaltung. Die Kirche der „Rechtgläubigen“ der Lobpreisung des dreifaltigen, unfassbaren, unbegreifbaren Gottes ist heute ein Verband von verschiedenen Nationalkirchen, die durch Patriarchen vertreten werden. Durch Migration leben orthodoxe Christen heute in allen Teilen der Welt, wobei die USA, Australien und Deutschland zahlenmäßig am bedeutendsten sind. Wichtigste Quelle des orthodoxen Glaubens ist die Heilige Schrift. Von Bedeutung sind aber auch die Lehren der Kirchenväter (Nachfolger der Apostel = Jünger Jesu, bis etwa zum 8. Jahrhundert) und die Konzilien. Orthodoxe Christen kritisieren das Papsttum und das Dogma, d.h. die Glaubenvorschrift, der Unfehlbarkeit des Papstes. Das in orthodoxen Kirchen besonders Anziehende ist die feierliche Liturgie mit Gesängen und Symbolhandlungen, bei denen auch Ikonen als kirchlich geweihte Bilder eine große Rolle spielen. Diese Ikonen stellen z. B. Christus, Maria oder Heilige dar. Ihre Verehrung widerspricht nicht dem Bilderverbot und ist von der Anbetung Gottes zu trennen. Wie in der katholischen Kirche sind nur Männer zum Priesteramt zugelassen. Von ihnen wird ein Leben in Zölibat, ohne Ehe und Sexualität verlangt. Die katholische Kirche ist die größte Konfession innerhalb des Christentums und umfasst 23 Teilkirchen. Sie entstand aus der westlichen Tradition Roms und sieht den Papst als „Nachfolger des heiligen Petrus“ und oberste, unfehlbare Autorität an. Sie teilt die sieben Sakramente (Taufe, Heilige Eucharistie/Kommunion, Salbung bzw. Firmung, Sakrament der Versöhnung/Bußsakrament, Krankensalbung, Priesterweihe, Ehe) mit den orthodoxen Kirchen. Katholische Christen verehren in den Heiligen und in Maria das vielfältige Wirken Gottes. Nach ihrer Auffassung ist Maria von der Erbsünde frei, hat Jesus vom Heiligen Geist keusch empfangen und ist in den Himmel aufgenommen worden. Für Jahrhunderte galt während katholischer Gottesdienste eine nach Geschlechtern getrennte Sitzordnung. In der katholischen Kirche sind bis heute Frauen als Priesterinnen nicht zugelassen. Zur katholischen Kirche zählt auch das in den letzten Jahrzehnten von Päpsten noch aufgewertete rechtslastige und umstrittene Opus Dei (=Werk Gottes), das 1928 in Spanien von Josemaria Escrivà gegründet wurde. Es rekrutiert neue Mitglieder als katholische Elite bevorzugt aus Studierendenkreisen, aber auch unter Staatsrepräsentanten. Opus Dei ist nicht nur eine einflussreiche Organisation im Vatikan, sondern arbeitet in 62 Ländern auf allen Kontinenten der Erde. Zu seinen Methoden gehören neben psychischer Unterwerfung und Selbstzüchtigung auch die Isolierung und Kontrolle der geheimen Mitglieder der Organisation. Darüber hinaus praktiziert Opus Dei eine strikte Geschlechtertrennung und behandelt Frauen faktisch als minderwertige Wesen. Dennoch sprach Papst Johannes Paul II 2002 den Gründer heilig und verschaffte Opus Dei innerhalb der Kirche weiteren Einfluss. Er unterstützte so die gefährliche 11 und undurchsichtige Macht dieser Organisation, die bisher auch von Papst Benedikt nicht beschnitten wurde. Die evangelischen Kirchen stehen in der Tradition der Reformation, die in Deutschland durch den Mönch Martin Luther aus Wittenberg ausgelöst wurde. Er übersetzte die Bibel grundlegend neu aus der lateinischen Fassung. Die wesentlichen Glaubensgrundsätze der Protestanten sind bis heute: allein die Bibel ist Grundlage des christlichen Glaubens, nicht aber die Autorität von Päpsten oder Bischöfen. Der gläubige Mensch wird allein von Gottes Gnade und nicht durch eigene Handlungen errettet. Als Sakramente bestehen die Taufe und das Abendmahl. In den evangelischen Kirchen werden seit wenigen Jahren Frauen als Pastorinnen und Bischöfinnen beschäftigt. Schon Luther schaffte das Zölibat, d.h. die Pflicht für Priester, ehelos zu bleiben, ab. Schriften Die Luther - Bibel ist nicht ein Buch, sondern eine Sammlung von 66 verschiedenen Büchern (39 Altes Testament und 27 Neues Testament). Verfasst wurden die Vorläufer von mehr als 40 Schreibern aus unterschiedlichen Kulturen, an verschiedenen Orten und über einen Zeitraum von mehr als 1.500 Jahren hinweg. Die einzelnen christlichen Konfessionen erklärten unterschiedliche Schriften zu Apokryphen, d.h. zu nicht-amtlichen Überlieferungen. Die Verfasser der unterschiedlichen Bücher der Bibel sind zum größten Teil nicht bekannt.. Dies gilt nicht nur für das Alte Testament sondern auch für einige der zwischen 70 und 120 nach Christi Geburt entstandenen Schriften des Neuen Testamentes. Bei einigen Autoren ist die Verfasserschaft umstritten. Das Christentum übernahm die ins Griechisch übersetzte hebräische Bibel als Altes Testament. Bis auf einige Abweichungen entspricht es der hebräischen Bibel des Judentums. Das Neue Testament enthält neben dem Bericht über das Leben Jesu (Evangelien) Geschichten über die Kirche (Apostelgeschichte) und die Briefe von den Aposteln. Unter Christen gibt es Unstimmigkeiten über die richtige Methode der Übersetzung und unterschiedliche Interpretationen der Texte. Umstritten ist auch, wie weit es sich bei den Texten um Gottes Wort handelt. Generell gilt die „Bibel“ für Gläubige jedoch als anerkannte Quelle von Informationen über Jesus und Gott allgemein. 12 Geschlechterordnung, -hierarchie und -beziehungen Christen sehen Frauen wie Männer als gleichwertige Ebenbilder von Gott. Aber in der Jahrhunderte langen christlichen Überlieferung und vor allem in der Praxis gläubiger Christen gewann Maria als zugleich Jungfrau und Gottesmutter eine besondere Bedeutung. Sie gilt als „neue Eva“, die dem Teufel in Gestalt der Schlange den Kopf zertreten hat. Dennoch wird mit Hinweis auf den Schöpfungsbericht Frauen in der katholischen Kirche der Zugang zum Priesteramt verwehrt: „Weil Gott in einem Mann Mensch geworden ist, kann nur ein männlicher Priester am Altar Christus repräsentieren“, heißt es in einem offiziellen Dokument der Kirche von 1976. Der Ausschluss der Frauen von kirchlichen Ämtern wird auch mit Hinweis auf bestimmte Bibelstellen im Neuen Testament als gottgewollt dargestellt. Auf der anderen Seite betonen Christen in der Nachfolge der Apostel die Gleichheit aller Menschen vor Christus, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Klasse oder kulturellen Zugehörigkeiten: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“ (Paulus Brief an die Galater 3,26-28). Bekleidungsvorschriften für die Geschlechter Die alttestamentarische Textstelle „Eine Frau soll nicht Männersachen tragen, und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen ....“ (5 Moses 22,4) wirft einige Fragen auf. Waren die Geschlechtergrenzen in damaliger Zeit vielleicht eher fließend und abhängig von Kleidung und Verhalten? Konnten „weibliche“ und „männliche“ Menschen ohne die entsprechende Kleidung nicht klar identifiziert werden? Bestand die Sorge, dass ein Mann, wenn er Frauenkleider trug, als Frau gelten konnte und umgekehrt? Gab es die von den biologischen und medizinischen Wissenschaften vor allem im 19. Jahrhundert behaupteten eindeutigen körperlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern vielleicht gar nicht immer? Auch im Neuen Testament finden sich Vorschriften für Kopfbedeckungen und Haartracht abhängig vom zugewiesenen Geschlecht. Für Frauen ist es dort eine Ehre, langes Haar zu haben, denn dieses dient ihnen angeblich als Schleier. Bei Männern ist das Tragen langer Haare dagegen eine „Unehre“ und gegen die Natur (wie im Paulus-Brief an die Korinther 1 Kor 11, 14-16). Jesus aber wird in vielen christlichen Darstellungen durch verschiedene Jahrhunderte mit langen Haaren dargestellt. War Jesus also zwar ganz Mensch, aber dennoch kein Mann? Nach Thomas Laqueur ist die kulturelle Vorstellung von zwei gegensätzlichen, aber aufeinander als Paar verwiesenen Geschlechtern erst im 18. Jh. entstanden. In dieser Zeit verlor die christliche 13 Religion weitgehend an Autorität und Bedeutung. Denn Philosophie und Naturwissenschaften veränderten im Zeitalter der Aufklärung zusammen mit der Entdeckung ferner Kontinente das bis dahin bestehende Menschenbild. Bis zu diesem Zeitalter gingen verschiedene Gelehrte von der Existenz nur eines Geschlechts aus. Der männliche und der weibliche Körper wurden nicht als grundsätzlich verschieden angesehen. Vielmehr war der Mann die Norm oder der Standard des Menschen, von dem die Frau als unvollkommeneres Wesen abweicht. Die körperlichen Geschlechtsmerkmale von Frauen wurden als nach innen gestülpte männliche Geschlechtsorgane angesehen. Denn bis dahin unterschied man nicht zwischen „natürlichem“ Geschlecht (sex) und kulturellem Geschlecht (gender). Die im Zuge der Aufklärung vorgenommene neue Unterscheidung in zwei biologisch erklärte „natürliche“ Geschlechter führte dazu, klare, soziale und kulturelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen als „Geschlechtscharaktere“ von nur noch zwei Geschlechtern festzulegen. Daraus folgend konnten geschlechtsspezifische Gesetze, Arbeitsteilungen und Verhaltensnormen begründet werden. Maria und Jesus: historische Figuren und Mythengestalten Der Mythos von der Gottesmutter, die ein Gotteskind zur Welt bringt ist uralt. In den vorchristlichen Religionen gab es ihn schon lange, zum Beispiel als die ägyptische Himmelsgöttin Hathor oder Isis mit dem Horusknaben. Die jüdische Mutter Jesus übernimmt einige der Eigenschaften dieser Göttinnen. Die frühesten Marienbilder stammen aus dem 2. bis 3. Jahrhundert nach Christus. Auf den meisten Abbildungen wird Maria nun als Mutter, mit dem Jesuskind auf dem Schoß oder Arm dargestellt. Im Laufe der anhaltenden Marienverehrung gab die katholische Kirche nach und nach vier Mariendogmen heraus. Danach besitzt Maria eine “unbefleckte, ewige Jungfräulichkeit“. Sie ist die Gottesmutter und frei von Sünde (1854). Außerdem wird ihr die Aufnahme in das Himmelreich bescheinigt (1950). Von christlichen Gläubigen, und sogar von Muslimen, wird Maria in ganz unterschiedlichen Rollen verehrt: als Jungfrau, als Himmelskönigin, als Schutzherrin und Führsprecherin. Sie wird als tugendhaft, gehorsam, demütig, gläubig, liebend und fürsorglich beschrieben. In ihrer Rolle als Jungfrau erscheint sie fast als androgyne, vergeistigte Gestalt. War Maria eine geheime Göttin im praktizierten Christentum? Und wer war die historische Maria? 14 Maria (hebräisch Mirjam) heißt nach dem Neuen Testament die Mutter des Jesus von Nazaret. Diese jüdische Frau war mit dem Bauhandwerker Josef verlobt und lebte wahrscheinlich in der Kleinstadt Nazaret in Galiläa. Die Bibel berichtet von Maria im Zusammenhang mit der Geburt Jesu: Ein Engel verkündete ihr die jungfräuliche Empfängnis durch den Heiligen Geist. Sie flüchtete vor dem römischen Statthalter während des Kindesmords in Bethlehem mit ihrem Verlobten nach Ägypten. Später wird sie noch einmal im Zusammenhang mit der Hochzeit in Kana erwähnt. Am Ende der Evangelien benennen die Apostel sie als Zeugin für die Kreuzigung Jesus. Ihre Grabstätte und der Zeitpunkt ihres Todes sind nicht bekannt. Nach geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen fallen in der biblisch überlieferten Maria wahrscheinlich ganz unterschiedliche Frauengestalten zusammen. Im Hebräischen wird Maria als „almah“ bezeichnet. Das ist der Name für ein Mädchen oder eine junge Frau. In der griechischen Übersetzung wird daraus dann die „Jungfrau“. Jesus, der Begründer des Christentums, wurde wahrscheinlich zwischen 7 und 4 v. Chr. in Bethlehem oder Nazaret geboren und starb in den Jahren 30, 31 oder 33 n. Chr. in Jerusalem. Ab dem Alter von etwa 28 Jahren trat er im Gebiet des heutigen Israel und im Westjordanland öffentlich als Wanderprediger und Heiler auf. Wenige Jahre später wurde er von den Römern gekreuzigt. Sein genaues Todesjahr ist nicht überliefert. Das Neue Testament berichtet von den Taten und Worten Jesu, der nach christlichem Glauben ganzer Mensch und ganzer Gott ist. Es wird das Bild eines Asketen gezeichnet, der Familie und Beruf verlässt und ohne Besitz und Waffen predigend durch das Land zieht. Jesus verkündete das Reich Gottes, Nächstenliebe und Vergebung. Dabei verstieß er gegen die geltenden jüdischen Vorschriften für den Sabbat, die Achtung der Eltern und Reinlichkeitsgesetze. Er heilte sozial ausgegrenzte Menschen, wie Prostituierte und Ehebrecherinnen oder vorher Ungläubige. Er führte Lehrgespräche mit Frauen und nahm sie als Begleiterinnen an. Einige scheinen ihm von Beginn an gefolgt zu sein und ihn auch finanziell unterstützt zu haben. Sie sollen auch die letzten Zeugen seiner Hinrichtung und seiner Auferstehung geworden sein. Eine Eheschließung dieses Jesus erwähnt das Neue Testament nicht. Maria von Magdala, wird als eine seiner engsten Anhängerinnen bezeichnet. Einige feministische Theologinnen deuten Jesus vor allem als Freund und Befreier der Frauen. Andere betonen seine angeblich „weiblichen“ Eigenschaften. Auf den frühen Abbildungen 15 erscheint er oft in der Rolle des guten Hirten, des Lehrers oder in der Pose des Herrschers. Er trägt in der Regel lange Haare und oft auch einen Bart. Im Mittelalter, vor allem in gotischer Kunst, wird die Menschengestalt Jesu besonders thematisiert. Er erscheint als Leidender, von Schmerzen entstellt und voller Wunden. Auf vielen Heiligenbildchen seit dem 18./19. Jh. gibt es die Darstellung des blutenden Herzens Jesu. Oder der Schmerzensmann hängt am Kreuz, trägt eine Dornenkrone und ist von einer Glorie eingefasst. Der Kunsthistoriker Steinberg weist darauf hin, dass in vielen bildlichen Darstellungen des Jesus seine „Männlichkeit“ betont wird. Manche Muttergottes zeigt auf das Geschlecht des Neugeborenen. Ein anderes Bild zeigt Jesu nach seiner Kreuzigung, halbnackt in den Armen seiner Mutter. Vor allen Dingen die Abbildungen seiner Kreuzigung zeigen seine Genitalien unverhüllt. Die Darstellung des Toten wird hier zugleich mit der Abbildung sexueller Potenz verbunden. Denn - so Steinberg - der Phallus steht als Symbol für Macht und Fruchtbarkeit und die Überwindung des Todes. Im Tod werden Körperlichkeit und Sexualität überwunden. Weiterführende Informationen Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt/Main-New York 1992 http://www.religioustolerance.org/christ.htm Schlangenbrut- Zeitschrift für feministische Theologie http://www.schlangenbrut.de/ ESWTR - Netzwerk für Frauen aus der theologischen Forschung http://www.eswtr.org/home_d.html zurück 16 Islam 1. Glaubensgrundsätze 2. Die Schriften 3. Sunniten, Schiiten und Aleviten 4. Der Prophet Mohammed, Chadidscha, Aischa und Fatima 5. Die Geschlechterordnung im Koran 6. Feministische Lesarten der Schriften Glaubensgrundsätze Der Islam hat zur Zeit neben dem Christentum die meisten Gläubigen. Der Kernraum der islamischen Welt sind die arabischen Staaten, die Türkei und der Iran. Aber ungefähr ein Fünftel der Muslime lebt in Südostasien. "Islam" bedeutet "Hingabe, Annahme, Übergabe, Unterwerfung" gegenüber Allah (Gott). Allah ist weder männlich noch weiblich. Er trägt 99 Namen, die seine Güte und Barmherzigkeit betonen, aber auch seine Strenge und Gerechtigkeit. Allah ist der Erste, der Letzte, der Ewige, der Unendliche, der Allmächtige, der Allwissende, Schöpfer aller Dinge, der Gerechte, der Erbarmer, der Gnädige, der Liebende, der Gütige, der Erhabene, der Wahrhaftige usw.. Eigenschaften wie „Gnade“ und „Frieden“ zählen zu seinen am häufigsten genannten Attributen. Sein Wille ist in Schriften und Gesetzen festgelegt, die alle Lebensbereiche der Gläubigen bestimmen. Den Menschen wurden die Worte Allahs vermittelt durch Mohammed, den Propheten und Religionsgründer. Mit seiner Auswanderung nach Medina, im Jahre 622 n. Chr., beginnt die islamische Zeitrechnung. Die Lehre des Islam basiert auf fünf Säulen. Die erste Säule stellt den Glauben an Gott, die Engel, die Schriften, Gottes Gesandte und den Jüngsten Tag dar. Zu den Gesandten oder Propheten gehören auch Adam, Abraham, Moses und Jesus. Mohammed wird als der letzte Prophet angesehen. Die anderen vier Säulen des Islam verpflichten die Gläubigen dazu, fünf mal täglich zu beten, Almosensteuern zu geben, vorgegebene Fastenzeiten einzuhalten und eine 17 Pilgerfahrt nach Mekka zu unternehmen. Der Islam ist eine streng monotheistische Religion, die sich stark von polytheistischen Religionen abgrenzt, in denen mehrere Götter und Göttinnen verehrt werden. Gott gilt als einzigartig, vollkommen und nicht vorstellbar. Deshalb lehnt der Islam auch die christliche Lehre vom dreifaltigen Gott (Trinität): als Vater, Sohn (Jesus Christus) und Heiliger Geist ab. Und er verbietet jede persönliche Vorstellung oder bildliche Darstellung von Allah, aber auch von lebenden Wesen. Dadurch hat der Islam eine hohe Schriftkunst (Kalligraphie) und eine Fülle von Ornamenten, besonders Arabesken (Gabelblattranken) hervorgebracht. Sie sind das Ergebnis komplizierter rechnerischer Formeln, die auf den wunderbaren Aufbau der Welt hinweisen. Die Schriften Der Koran ist seit 1.400 Jahren das zentrale Dokument des Islam, die heilige Schrift, die Nichtmuslime nicht berühren, besitzen oder herstellen sollen. Nach dem Glauben vieler Muslime enthält der Koran die wortwörtlichen Offenbarungen Gottes, die dem Propheten Mohammed im Laufe von zwei Jahrzehnten (um 610-632 n. Chr.) durch den Erzengel Gabriel übermittelt wurden. Der Koran gilt grundsätzlich als unübersetzbar, weil Gott durch Mohammed in arabischer Sprache gesprochen hat. Der Gläubige erlebt Gott in der möglichst auswendigen Rezitation der Koranverse. Es geht nicht so sehr darum, die Inhalte zu verstehen, sondern die Laute auszusprechen. Nach islamischer Überlieferung konnte selbst der Prophet weder lesen noch schreiben, daher wurde der Koran erst von seinen Anhängern schriftlich festgehalten. Nach seinem Tode, zur Zeit des ersten Kalifen (Stellvertreter des Propheten) Abu Bakr um 632 n. Chr. entstand der erste Koran-Band. Der großen teils in Reimprosa geschriebene Koran ist in 114 Suren (Kapitel) eingeteilt, die nach ihrer Länge geordnet sind. Der Inhalt besteht aus Lobpreisungen auf Allah, Ankündigungen des Jüngsten Tages, Trostworten, Ermahnungen, Warnungen und anderem. Da sich der Islam vor dem Hintergrund des Judentums und Christentums entwickelte, enthält er auch viele Elemente aus den jüdischen und christlichen Überlieferungen. Er bezeichnet die Tora, die Psalmen und das Evangelium als heilige Schriften, die von Gott stammen, aber später von Menschen verfälscht worden seien. Adam wird erwähnt, Hawwa (Eva) als sein Weib bezeichnet. Laut Koran trugen beide die Verantwortung für die Vertreibung aus dem Paradies, aber ihnen wurde von Gott verziehen. Im Islam gibt es daher keine Erbsünde. Der Mutter von Jesus, Maryam (Maria), widmet der Koran eine ganze Sure. Nach dem Glauben vieler Muslime ist Maria in den Himmel 18 aufgefahren und hat Jesus in jungfräulicher Geburt zur Welt gebracht. Sie gilt als eine der vier hervorragendst Frauen der Menschheitsgeschichte, neben Chadidscha, Aischa und Fatima. Jesus wird als einer der großen Propheten angesehen, aber nicht als Gottes Sohn. Laut Koran wurde er nicht gekreuzigt, sondern von Gott errettet. Die Sunna, d.h. die Gesamtheit der Überlieferungen des Propheten Mohammed, ist die zweite wichtige Schrift im Islam. Sie beschreibt beispielhaftes, vorbildliches Verhalten und leitet daraus Handlungsanweisungen für alle gläubigen Muslime ab. Übermittelt wird sie in Form der Hadithe, d.h. Nachrichten und Erzählungen über das, was der Prophet gesagt, getan, verurteilt oder gelobt haben soll. Die Hadithe wurden zuerst in mündlicher Überlieferung weitergegeben. Sie gehen auf Freunde, Verwandte und Bekannte des Propheten zurück. Ihr Wahrheitsgehalt wird an der Glaubwürdigkeit der Personen gemessen und daran, wie nahe sie dem Propheten gestanden haben sollen. Auch der angebliche Charakter und der Ruf der Übermittler spielen eine Rolle. Eine Hadithe besteht aus zwei Komponenten: dem Inhalt und der Kette der Namen derjenigen Männer und Frauen, die sie überliefert haben. Die ersten Aufzeichnungen entstanden nach heutiger Islamforschung schon im ersten muslimischen Jahrhundert. Nach dem Tode Mohammeds kam es zu einer regelrechten Hadithe-Produktion, die zu zahlreichen, unterschiedlichen Sammlungen führte. Islamische Theologen stellten Regeln für ihre Echtheit auf und prüften die vorliegenden Quellen. Daraus entwickelten sich die weitgehend noch heute anerkannten Hadithe-Sammlungen. Im Gegensatz zum Koran gibt es aber keine von allen akzeptierte Festlegung, welche Hadithen echt sind. Der Begriff „Scharia“ wird im heutigen Sprachgebrauch für "islamisches Recht" verwendet, bedeutet im engeren Sinne jedoch die von Gott gesetzte Ordnung. Zurückzuführen ist sie auf die Schriften von islamischen Rechtsgelehrten des 7. bis 10. Jahrhunderts. Die Scharia regelt nicht nur Rechtsfragen, sondern enthält auch religiöse, ethische, moralische und soziale Gesetze, Normen und Gebote. Sie bezieht sich auf den Koran und die Hadithe als Hauptquellen. Abgesehen von einigen religiösen Gesetzen und Teilen des Familienrechts ist die Scharia auch für alle nichtmuslimischen Mitglieder in einer islamischen Gesellschaft verbindlich. Es gibt heute in Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit sehr verschiedene Modelle im Blick auf die Bedeutung der Scharia. Während etwa die Türkei ein säkularer Staat ist, dessen Verfassung keinen Bezug auf das islamische Recht nimmt, haben Pakistan oder Sudan beschlossen, die Scharia zur Grundlage der Rechtsprechung zu machen. Das kann in der Praxis heißen, dass neue Gesetze von islamischen Juristen auf ihre Vereinbarkeit mit dem überlieferten islamischen Recht überprüft werden. Dazwischen stehen Staaten wie Malaysia, die sich zwar als islamische Staaten 19 bezeichnen, deren Gesetzgebungsverfahren aber säkular, also rein aufgrund einer Mehrheitsentscheidung des Parlamentes erfolgt. Saudi-Arabien hat den Koran zur Verfassung seiner Monarchie erklärt, in der Praxis aber nicht aufgehört, trotzdem andere Rechtsquellen heranzuziehen. Sunniten, Schiiten und Aleviten Die Streitigkeiten und Machtkämpfe um die Nachfolge Mohammeds führten zu Abspaltungen innerhalb des Islam und zur Herausbildung unterschiedlicher Konfessionen. Die Sunniten sind mit etwa 80-90 Prozent die zahlenmäßig größte Gruppe im Islam, gefolgt von den Schiiten und den Aleviten. Die Sunniten stellen in vielen islamischen Ländern die Mehrheit der Muslime. Im Iran, im Irak, in Bahrain und in Aserbaidschan dagegen ist der Anteil der Sunniten an der Gesamtbevölkerung am größten. Daneben gibt es noch zahlreiche kleinere Gruppen und Richtungen, unter anderem den Sufismus und Wahhabismus. Die Sunniten betrachten die ersten vier Kalifen als die rechtmäßigen Nachfolger Mohammeds. Die Schiiten und die Aleviten berufen sich hingegen auf Ali, den Cousin und Schwiegersohn des Propheten, als legitimen Erben. Beide Strömungen folgen den fünf Säulen des Islam und stimmen in wesentlichen Glaubensgrundsätzen überein. Unstimmigkeiten hingegen herrschen in Bezug auf die Gültigkeit und Echtheit bestimmter Hadithe und die Auslegung der Rechtsprechung. Die Aleviten bilden nach den Sunniten die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in der Türkei. Nach den Sunniten sind sie auch in Deutschland die zweitstärkste muslimische Konfession. Über Jahrhunderte waren sie immer wieder Anfeindungen und Verfolgungen ausgesetzt. Die Aleviten teilen nur das Glaubensbekenntnis mit den Sunniten und Schiiten. Sie folgen nicht den Geboten der Scharia und der Hadithe und legen den Koran nicht wortwörtlich aus. Die Aleviten treten stärker als andere Konfessionen im Islam ein für Religionsfreiheit, Menschenrechte und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Männer und Frauen sitzen im Gottesdienst zusammen und haben dieselben Rechte und Pflichten. Frauen tragen in der Regel kein Kopftuch. Im Zentrum des alevitischen Denkens und Handelns stehen Liebe, Respekt und Frieden. Für sie manifestiert 20 sich Gott in der Natur und im Menschen, unabhängig von seinem Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialem Stand. Der Prophet Mohammed, Chadidscha, Aischa und Fatima Es gibt so gut wie keine unabhängigen zeitgenössischen Quellen zu Mohammeds Leben und Wirken. Wie auch bei Jesus ranken sich zahlreiche, zum Teil widersprüchliche Legenden und Erzählungen um seine Person. Mohammed wurde um 570 n. Chr. in Mekka geboren. In jungen Jahren soll er als Hirte, später als Karawanenführer und Angestellter der Kauffrau Chadidscha gearbeitet haben. Mit der 15 Jahre älteren Chadidscha war er 25 Jahre verheiratet. Nach ihrem Tode heiratete er neun Frauen (die Anzahl variiert je nach Quelle) und hatte zwei Sklavinnen als Nebenfrauen, unter anderem eine Christin. Im Alter von ungefähr 40 Jahren wurden ihm die ersten Offenbarungen Gottes zuerst in Träumen und Visionen, später mündlich überliefert. Er predigte gegen den Polytheismus und wurde als angefeindeter Prophet aus Mekka vertrieben. Nach seiner Übersiedlung nach Medina wurde Mohammed zum geachteten Führer der dortigen Gemeinde. Seine Feldzüge führten 630 n. Chr. zur Eroberung von Mekka und mündeten in die religiöse und politische Einigung der arabischen Stämme unter dem Islam. Nach dem Tod Mohammeds (um 632 n. Chr.) in Medina, trat Ali Bakr, sein langjähriger Freund und Vater seiner Ehefrau Aischa, seine Nachfolge an. Chadidscha, die erste Frau des Propheten, war eine wohlhabende Geschäftsfrau in hoher sozialer Stellung. Sie soll Mohammed die Ehe selbst angeboten haben. Mit ihrer Hilfe erlangte er finanzielle Unabhängigkeit und soziale Sicherheit. Nach den Hadithen ist sie die erste Person, die an seine Botschaften glaubte und ihn als Gründer einer neuen Religion unterstützte. Die islamische Geschichtsschreibung betrachtet sie daher als die erste Muslimin. Als Mutter und Vorbild aller Gläubigen wird sie hochverehrt. Chadidscha trägt den Beinamen "At-Tahira" (die Reine). Die Hadithe bezeichnen sie als entschlossene, edle und kluge Frau von vornehmer Abstammung. Die Berichte heben besonders ihre positiven Eigenschaften in ihrer Funktion als Ehefrau von Mohammed hervor. Sie erscheint als die mütterliche, beschützende Frau, die den Propheten mit ihrem Einfluss, ihrem Geld und ihrer Zuneigung unterstützte. Die spätere Ehefrau Mohammeds, Hafsa, bewahrte die erste Niederschrift des Koran auf, bis die Teile später zu einem Buch geordnet wurden. Aischa war die dritte Frau des Propheten und die Tochter seines engsten Freundes Abu Bakr. Der Prophet soll Aischa geheiratet haben, als sie neun Jahre alt war (ihr genaues Alter variiert je nach Quelle). Sie gilt als eine der gebildetsten 21 Frauen der damaligen Zeit und als eine der wichtigsten Quellen für die Überlieferungen von Mohammeds Worten und Taten. Die Hadithe beschreiben Aischa als Gelehrte, Politikerin und Kriegerin, die an mehreren Schlachten Mohammeds beteiligt war. Nach seinem Tode bekämpfte sie den vierten Kalifen, Ali, den Cousin und Schwiegersohn Mohammeds. Als Lieblingsfrau des Propheten und Gegenspielerin Alis wird sie besonders von den Sunniten verehrt. Für sie stellt Aischa ein Vorbild an Frömmigkeit und eine religiöse Autorität dar. Fatima genießt als Tochter Mohammeds und Ehefrau des vierten Kalifen Ali großes Ansehen unter den Muslimen, insbesondere bei den Schiiten. Diese zählen sie zusammen mit Mohammed und den zwölf Imamen zu den „Vierzehn Unfehlbaren“. Hier sind Parallelen zu der christlichen Marienverehrung zu erkennen, da Fatima auch als „Jungfrau Fatima“ bezeichnet wird. Fatima war die einzige von Mohammeds Kindern, die männliche Nachkommen hatte und daher auch an den Streitigkeiten und Kämpfen um seine Nachfolge beteiligt war. Im Volksglauben spielt „die Hand der Fatima" oder „das Auge der Fatima“, als Abwehr gegen den bösen Blick eine wichtige Rolle. Dieses Amulett ist ein Schmuckstück in Form einer geöffneten Hand, manchmal auch mit einem Auge in der Mitte der Hand. Es soll an Fatima erinnern und symbolisiert Standhaftigkeit, Mut, Loyalität und auch Reue. Es kommt auch bei Juden häufig vor und heißt dort: die Hand der Schwester von Moses. Die Geschlechterordnung im Koran Die Lehre des Islam geht von zwei Geschlechtern aus: dem Mann und der Frau. Gegenüber Allah sind beide Geschlechter absolut gleichwertig, aber nicht gleichartig. In der gesellschaftlichen Realität vieler islamischer Länder herrscht jedoch Geschlechtertrennung, und die Frau wird als dem Mann untergeordnet angesehen. Aus der Verschiedenartigkeit der Geschlechter werden unter- schiedliche Stellungen und Aufgaben abgeleitet und mit Hinweis auf entsprechende Aussagen im Koran und in den Hadithe begründet. Daraus folgen der Ausschluss der Frauen von bestimmten religiösen und politischen Ämtern und andere Formen von Diskriminierung. 22 Die Verbindung von Mann und Frau in Ehe und Familie gilt als Ideal, auch wenn die Ehe im Islam nur ein rechtlicher Vertrag ist und kein heiliger Bund. Der Koran und die Hathide sehen eine klare Aufgabenteilung für die zwei Geschlechter vor, die als gottgewollt und natürlich gilt. Der Mann ist für den Lebensunterhalt der Familie verantwortlich. Die Frau erfüllt ihre Pflichten als Ehefrau und ihre Aufgabe als Mutter. Der Koran begründet die Überordnung des Mannes über die Frau und gibt ihm das Recht, sie im Falle von Ungehorsam zu bestrafen: „Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe wahren. Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede...“ (Sure 4, Vers 34; Sure 2 Vers 228). Auf der anderen Seite ist die Ehe nach islamischem Verständnis eine Einrichtung zur gegenseitigen Unterstützung, denn „...die gläubigen Männer und Frauen sind einer des anderen Beschützer...“ (Sure 9, Vers 71). Die beiden Geschlechter sollen sich als Freunde und „Zwillingshälften“ (Sunan Dawud Abu, Hadith Nr. 226) in ihrer Verschiedenartigkeit ergänzen und sich mit Zuneigung und Achtung begegnen (Sure 30, Vers 21). Feministische Lesarten der Schriften Islamische Feministinnen, wie die Islamwissenschaftlerin Margot Badran, verweisen auf die bisher eher von männlichen Gelehrten übermittelten Lesarten und Traditionen und setzen sich für eine zeitgemäße, geschlechtsneutrale Auslegung der Schriften des Korans ein. Aus ihrer Sicht ist eine neue Interpretation des Koran die Basis für die von ihnen geforderte grundlegende Reformierung der Rechtsprechung (Scharia). Andere Autorinnen, wie die Soziologin Fatima Mernissi, verweisen auf die sich widersprechenden Aussagen in bezug auf die Geschlechterordnung, -beziehungen und -hierarchien im Koran und in den Hadithe. Sie bezweifelt die Glaubwürdigkeit der Überlieferer und die Echtheit ihrer Berichte. Die Theologin Riffat Hassan kritisiert die falsche Übersetzung und Interpretation bestimmter Koranstellen und nimmt Bezug auf den Schöpfungsmythos im Koran. Die traditionelle Übersetzung des Schöpfungsberichts lautet: „O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, der euch erschaffen hat aus einem einzigen Wesen; und aus ihm erschuf er seine Gattin...“ (Sure 4, Vers 1). Nach der Auslegung und Übersetzung von Riffat Hassan erschuf Gott die Menschen (und nicht den Mann) als Partner und Partnerinnen aus „jener Ursubstanz“ (nafsun 23 wahidatun) und nicht aus einem einzigen Wesen. Damit gleicht sie einigen jüdischen und christlichen Feministinnen. Weiterführende Informationen ZIF Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung http://www.zif-koeln.de/ Huda -Netzwerk muslimischer Frauen e. V. http://www.huda.de/index2.php Renate Kreile „ Das Verhältnis der Geschlechter und seine Instrumentalisierung in: „Der Vordere Orient an der Schwelle zum 21. Jahrhundert“, Der Bürger im Staat, Ausgabe 3/1998: http://www.buergerimstaat.de/4_98/ueberlok.pdf Dossier zur Kopftuch-Debatte auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung http://www.bpb.de/themen/NNAABC,0,0,Konfliktstoff_Kopftuch.html Dossier zum Thema Feministischer Islam auf der Webseite des Internetportals Quantara http://www.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-296/i.html Hawwa. Journal of Women in the Middle East and the Islamic World http://www.brill.nl/m_catalogue_sub6_id10263.htm Peripherie Schwerpunktthema “Gender und Islam“, in Heft 95, 2004 http://www.zeitschrift-peripherie.de/ zurück 24 Hinduismus 1. Glaubensgrundsätze 2. Schriften 3. Ein Gott und viele Götter zugleich: Brahma, Vishnu und Shivas 4. Vishnuismus und Shivaismus 5. Die Verehrung der Göttin: Shaktismus 6. Geschlechtswandlungen und das dritte Geschlecht Glaubensgrundsätze Den Hinduismus gibt es eigentlich gar nicht. „Hinduismus“ ist ein von westlichen Wissenschaftlern eingeführter Begriff, der nicht für eine konkrete Religion steht, sondern für eine Vielzahl von unterschiedlichen Hindu-Religionen. Entstanden ist er aus der Verschmelzung altindischer Glaubensvorstellungen mit der Religion der aus dem Norden eingewanderten Arier. Der Hinduismus umfasst zahlreiche religiöse Strömungen und Denksysteme, die zu verschiedenen Zeiten in den letzten zwei- bis drei Jahrtausenden auf dem indischen Kontinent entstanden sind. Die Hindus selbst nennen ihre religiöse Tradition auch „die ewige Ordnung“. Der Hinduismus wird oft als Polytheismus bezeichnet, weil eine große Zahl an Göttinnen und Göttern verehrt werden. Aber er kann auch als monotheistische Religion betrachtet werden, denn viele Hindus sehen in der Vielzahl der Götter und Göttinnen lediglich unterschiedliche Gesichter oder Erscheinungsformen des einen Gottes „Brahman“ oder des jeweiligen Hauptgottes oder der Hauptgöttin, die sie anbeten. Der Hinduismus geht nicht auf einen bestimmten Religionsgründer zurück. Es gibt auch kein gemeinsames für alle Gläubigen gültiges Glaubensbekenntnis. Die einzelnen Hindu-Religionen haben vielmehr unterschiedliche Gottheiten, Wege zur Erlösung von der Wiedergeburt, Kulte, Ursprünge, heilige Schriften, und diese sind in unterschiedlichen Sprachen aufgeschrieben (Sanskrit und diverse Volkssprachen). 25 Aber es gibt Gemeinsamkeiten: fast alle Hindus glauben an einen Gott in irgendeiner persönlichen oder unpersönlichen Form. Sie gehen davon aus, dass Leben und Tod ein sich ständig wiederholender endloser Kreislauf (Samsara) sind, der Leiden mit sich bringt und aus dem der Mensch sich nicht aus eigenem Vermögen befreien kann. Die meisten Hindus glauben an die Reinkarnation, d.h. die Wanderung der Seele nach dem Tode und die Wiedergeburt in einer neuen Gestalt. Daraus folgt die große Bedeutung eines Gurus, geistlichen Lehrers oder „Seelenführers“ in den hinduistischen Religionen. Die Form, in der der Mensch wiedergeboren wird, ist abhängig von seinem Karma, d.h. bedingt durch Handlungen und Gedanken in seinem jeweiligen Leben. Der Mensch wird an einem ihm vorbestimmten Platz geboren und hat entsprechend diesem gesellschaftlichen Stand (und Geschlecht?) spezifische Pflichten und Rechte. In fast allen Strömungen des Hinduismus spielen Rituale eine wichtige Rolle. Die tägliche Ausübung dieser religiösen Zeremonien findet nicht nur in öffentlichen Tempeln statt, sondern vor allem im privaten Bereich: in Form von persönlichen Gebeten, Meditationen, Anbetung von Götterbildern und Opferungen von Naturprodukten. Hinzu kommt die Pilgerung zu heiligen Stätten und eine lebendige, ausgeprägte Kultur von religiösen Festen und Bestattungszeremonien. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Verehrung der Veden (altindische heilige Texte). Trotz aller Unterschiede können Hindus der verschiedenen religiösen Richtungen weitgehend gemeinsam feiern und beten; und innerhalb einer Familie werden manchmal mehrere Götter nebeneinander angebetet. Der Hinduismus verändert sich ständig: jedes Dorf und jeder Landstrich in Indien; Nepal; Bangladesh, Sri Lanka, Bali und anderen Ländern hat seine eigenen Lokal- oder Stammesgottheiten, die durch die Identifikation mit den Hauptgöttern in die jeweilige religiöse Richtung mitaufgenommen werden. In den Hindu-Religionen steckt daher eine stark integrierende Kraft, die sich durch „Einheit in der Vielfalt“ ausdrückt, und prinzipiell für Flexibilität und Toleranz gegenüber fremden Elementen und anderen Religionen steht. Schriften Die Vielfalt der Hindu-Religionen spiegelt sich ebenfalls in der Anzahl der Schriften wider. Eine für alle Gläubigen verbindliche Schrift, wie etwa die Bibel oder den Koran, gibt es nicht. Generell wird unterschieden zwischen den Shrutis (das von Weisen/Gott Gehörte oder von Sehern Geschaute) und den Smriti (das Erinnerte). Shrutis sind die heiligen und verbindlichen Schriften, Smritis gelten als von Menschen gemacht und übermitteln die Tradition. Zu den Shrutis gehören die Veden und die Upanishaden. 26 Die vier Veden (Wissen) zählen zu den wichtigsten heiligen Schriften und kommen in ihrem Umfang einer enormen Enzyklopädie gleich. Sie sind zwischen 1.000-300 v.Chr. entstanden und bestehen aus religiösen Lobpreisungen, Formeln und Liedern sowie Anweisungen zur Durchführung und Interpretationen von (Opfer)Ritualen. Die Texte sind in Prosa- und Versform geschrieben, galten früher als geheim und stellen eine Art „Priesterhandbuch“ dar. In den Gesängen wurden die göttlichen Kräfte gepriesen und in ihnen liegen auch die Wurzeln der heutigen indisch-klassischen Musik. Wie im Islam, so ist auch im Hinduismus die wortwörtliche Rezitation sehr wichtig. Die Veden wurden mündlich von Priestern zu Schülern weitergegeben und erst um das 5. Jahrhundert n.Chr. niedergeschrieben. Zum Teil gehen ihre Namen auf die angeblichen Verfasser zurück, diese sind aber nicht historisch belegt. Einerseits verboten einige Gesetzgeber Frauen das Lesen der Veden, auf der anderen Seite sollen einige Hymnen, zum Beispiel in der Rigveda, von Frauen geschrieben worden sein. Die Upanischaden (Geheimlehren) entstanden zwischen 700-200 v.Chr. und bestehen aus insgesamt 108 Büchern. Die Texte erklären und erläutern die Veden. Darüber hinaus nehmen sie in Form von philosophischen Abhandlungen zu den zentralen Lehren der Hindu-Religionen Stellung und geben religiöse Ratschläge und Empfehlungen. Die Upanischaden wurden bisher immer männlichen Verfassern zugeordnet. Erst in diesem Jahrhundert wurden die Manuskripte der Autorin Tirukkoneri Dasyai entdeckt, die im 15. Jahrhundert entstanden sind. Zur zweiten Gruppe der Schriften, den Smritis, gehören die beiden umfangreichen Helden-Epen Mahabharata und Ramayana. Sie bilden den Kern der religiösen Hindu-Literatur, aber sie erheben keinen Anspruch auf Übermittlung der absoluten Wahrheit. Die vielfältigen Mythen, Legenden und Philosophien der HinduReligionen werden hier in Form von Erzählungen wiedergegeben. Diese Geschichten sind in Indien bis heute sehr populär. Sie werden nicht nur auf religiösen Festen vorgelesen und haben die Malerei und Bildhauerei inspiriert sondern dienen auch als Vorlage für Kinofilme und Comics. Das Mahabharata wurde wahrscheinlich zwischen 400 v.Chr. und 400 n.Chr. niedergeschrieben, geht aber auf ältere Überlieferungen zurück. Es umfasst etwa 100.000 Doppelverse. Die Bhagavad Gita (Der Gesang des Erhabenen) ist Teil dieses Epos und gilt als das bedeutendste und bekannteste Werk der Hindu-Literatur. In Form eines religionsphilosophischen Gedichts erzählt es die Geschichte vom großen Krieger Arjuna und dem Gott Krishna. Der Weise Vyasa aus der indischen Mythologie wird als der Autor der Bhagavad Gita angenommen. 27 Ein Gott und viele Götter zugleich: Brahma, Vishnu und Shivas Zur Zeit der Entstehung der Veden repräsentierten die Götter die Naturkräfte. Erst mit den späteren Schriften der Upanischaden entstanden die zentralen hinduistischen Glaubensvorstellungen von Erlösung, Widergeburt und der Alleinheitslehre. Diese Lehre von der Alleinheit verkörpert eine monotheistische Richtung des Hinduismus. In ihr repräsentiert Brahman das unpersönlich vorgestellte höchste Sein, das nicht nur in der Seele jedes Lebewesens enthalten ist (Atman), sondern die Seele des ganzen Kosmos darstellt (Brahman). Brahman ist das höchste Göttliche, ohne (körperliche) Form und daher nicht abbildbar. Es kann auch nicht angebetet werden, da es ja den Anbetenden mit einschließt. Daneben gibt es eine hinduistische Richtung, die Parallelen zur Dreifaltigkeit im Christentum aufweist und auch als hinduistische Trinität bezeichnet wird. Brahman (All-Eine) wird in der Dreigestalt von Brahma (nicht zu verwechseln mit Brahman) dem Schöpfer, Vishnu dem Erhalter und Shiva dem Zerstörer repräsentiert. Alle drei Götter sind unterschiedliche Erscheinungsformen des einen höchsten Wesens und seiner drei Aspekte bzw. Funktionen. Diese Dreigestalt wird entweder in einer einzigen Figur mit drei Köpfen und sechs Armen dargestellt oder als drei einzelne Gottheiten. Jedem Gott wird eine Göttin als Ehefrau zur Seite gestellt. Saraswati, die Ehefrau von Brahma, ist die Göttin der Wissenschaft, Weisheit, Poesie und Musik. Die Göttin Lakshmi und Ehefrau von Vishnu steht für Glück, Schönheit und Reichtum. Parvati, die weibliche Seite Shivas, ist die Göttin der Schönheit, des Glanzes und der Heiterkeit. Zeichnungen, Statuen und Gemälde zeigen den Gott Brahma als älteren, bärtigen Mann mit vier Gesichtern, die in alle Himmelsrichtungen zeigen, und mit vier Armen. Als eigenständige Gottheit wird er im heutigen Indien nur noch in seiner Funktion als Offenbarer der Veden verehrt. Die Strömung innerhalb des Hinduismus, die Brahma als den einen Gott anbetete, ist praktisch so gut wie nicht mehr anzutreffen. Die beiden Götter Vishnu und Shiva sind nicht nur Teil der hinduistischen Dreigestalt, die das höchste Wesen Brahman repräsentiert. Der Glaube entweder an Shiva oder Vishnu als eigenständige Hauptgottheit steht auch für die Aufteilung in zwei wichtige Glaubensrichtungen innerhalb des Hinduismus: Vishnuismus und Shivaismus. Zeitlich fällt diese Aufspaltung in die zwei Hauptströmungen mit dem Ende der UpanischadenZeit und der Niederschrift der beiden bedeutenden Helden-Epen zusammen. 28 Vishnuismus und Shivaismus Im Vishnuismus spielt die Hingabe an einen persönlichen Gott meist eine größere Rolle als im Shivaismus. Die Gründe dafür liegen vielleicht in der weitgehend positiven Darstellung des angebeteten Gottes. Vishnu erscheint auf den Abbildungen oft als strahlender, jugendlicher Gott mit vier Armen, die eine Diskusscheibe, Keule, Muschel oder Lotusblüte halten. Eine andere Darstellung zeigt ihn schlafend auf den Windungen einer (Ur)Schlange. Die Anhänger des Vishnuismus verehren ihn als den Gott der Liebe und Gnade, der zum Menschen wird, um die Menschheit zu retten und die Weltordnung wiederherzustellen. Dabei inkarniert er sich in vielfältiger Gestalt als Mensch oder Tier und unter verschiedenen Namen. Dennoch verstehen sich viele seiner Anhänger als Monotheisten, denn sie verehren nur die unterschiedlichen Formen und Aspekte des einen Gottes Vishnu. Schon in den Veden findet sein Name Erwähnung. In seiner Reinkarnation als Krishna und Rama ist er der Held in vielen Legenden der beiden großen Hindu-Epen, Mahabharata und Ramayana. Insbesondere die Bhagavad Gita repräsentiert in der Geschichte von Arjuna und Krishna ein Modell vischnuitischen Hindu-Denkens. In der Figur des Gottes Shiva sind, wie bei Vishnu, verschiedene regionale Götter zu einer Einheit verschmolzen. Shiva erscheint in seiner unberechenbaren Doppelnatur sowohl als grausamer Zerstörer als auch als Erneuerer. In dieser Funktion symbolisiert er den hinduistischen Glauben an Reinkarnation. Auf Abbildungen tritt er in den Rollen des Herrschers mit Dreizack und Axt, des Asketen in meditativer Versenkung oder als vierarmiger Tänzer auf. Er ist sowohl der belohnende als auch der strafende Gott und wird oft mit einem um die Taille gewickelten Tigerfell und mit Schlangen um den Hals dargestellt. Shiva ist der Gott der Geschlechtlichkeit und wird nicht figürlich verehrt, sondern in seinem Symbol, dem Phallus. Zeichnungen und Gemälde zeigen ihn oft mit seiner Gattin Parvati zusammen in inniger Umarmung oder beim Geschlechtsakt. Die berühmte Skulptur in den Elephanta-Höhlen in der Nähe von Bombay bildet ihn als zweigeschlechtliche Gottheit ab, halb Mann, halb Frau, mit nur einer Brust. Als ambivalenter Gott besitzt Shiva einen weiblichen Aspekt, der als seine shakti (Energie) verehrt wird und in der Mythologie von seiner Gattin Parvati verkörpert wird. 29 Die Verehrung der Göttin: Shaktismus Der Shaktismus entwickelte sich zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert; seine Ursprünge gehen aber schon auf die Veden zurück. Er spielt heute besonders in den ländlichen Gegenden Indiens eine große Rolle und bildet die dritte Hauptströmung innerhalb der Hindu-Religionen. In jedem hinduistischen Kult gibt es weibliche Gottheiten. Die Abgrenzung zu diesen Kulten liegt darin, dass im Shaktismus eine oder mehrere Göttinnen als Energien aufgefasst oder als eigenständige höchste Gottheit verehrt werden. Seine Anhänger sehen in der Shakti (Energie) die aktive weiblichen Kraft, die den Ursprung allen Lebens darstellt. Die Götter (Brahma, Vishnu und Shiva) werden als reiner passiver Geist angesehen, der erst durch die aktive Kraft der Shakti wirksam wird. Nach dieser Sichtweise verkörpert die Shakti den weiblichen Aspekt in Gestalt der Göttinnen Saraswati, Lakshmi und Paravati. In einigen Regionen Indiens, wie zum Beispiel in Bengalen, wo der vorarische Muttergöttinnenkult besonders ausgeprägt war, wird die Göttin (Devi) als Höchste Gottheit verehrt. Auch sie erscheint in ihren Funktionen als Schöpferin, Bewahrerin und Vernichterin. Sie wird sowohl in ihren gütigen, mütterlichen Aspekten als auch in ihren grausamen oder erotischen Formen verehrt und taucht in den verschiedensten Gestalten und unter unterschiedlichen Namen auf. Als Kali mit herausgestreckter, blutiger Zunge und Stoßzähnen, behängt mit einer Kette aus Totenschädeln und bekleidet mit einem Gürtel aus abgeschlagenen Händen, ist sie oft von dunkler Hautfarbe und nackt. Eine andere Darstellung zeigt sie als junge Frau, die auf dem hingestreckt liegenden Körper von Shiva steht. Als Waffen schwingende Kriegerin Durga reitet sie auf einem Löwen und tötet Dämonen. In ihren liebenden und erotischen Anteilen sieht man sie in ihrer Funktion als Ehefrau und Sexualpartnerin der Götter Brahma, Vishnu und Shiva. Viele Abbildungen zeigen sie Hand in Hand mit ihrem Ehemann, auf seinen Knien sitzend oder seine Füße streichelnd. Auch in dem berühmten Hindu-Epos Ramayana, das die Liebesgeschichte Königstochter vom Sita Gott Rama erzählt, wird und seiner Ehefrau, der das Bild einer treuen, Ungerechtigkeiten erduldenden Gattin entworfen. Gegen dieses Bild haben vor allem indische Feministinnen wie Madhu Purnima Kishwar, die Gründerin der Zeitschrift Manushi, rebelliert. 30 Geschlechtswandlungen und das dritte Geschlecht Die Götter und Göttinnen im Hinduismus erscheinen zum Teil in androgynen und mehrdeutigen Gestalten. In ihren unterschiedlichen Formen und unter verschiedenen Namen treten sie in oft gegensätzlichen und widersprüchlichen Funktionen und Rollen auf. Auch die Grenzen zwischen den Geschlechtern wirken eher fließend und sind durch spielerische Übergänge geprägt. Die indische Mythologie ist voll von Beispielen für Geschlechtswandlungen, gleichgeschlechtliche Sexualität und Ideen von einem dritten Geschlecht. In der Welt der Götter verwandelt sich der männliche Krishna oder der Gott Vishnu manchmal in eine Frau und nennt sich dann Mohini. Der Gott Shiva wird erst durch die Verbindung mit dem männlichen Feuergott Agni zur Zeugung von Nachkommen fähig. Die Götter Vishnu und Shiva vereinigen sich zu der Gottheit Harihara, die aus zwei verschiedenen männlichen Hälften besteht. Kama, der Gott der Liebe, schießt Pfeile auf zwei Frauen ab, die sich anschließend ineinander verlieben. Und ein bengalisches Epos erzählt die Geschichte zweier Frauen, die zusammen den Hindu-König Bhagiratha zeugen und gebären. Der Indologe und Religionswissenschaftler Thomas Gugler weist auf die Vorstellung von einem dritten Geschlecht hin, die in Indien schon zur Zeit der Entstehung der Veden existierte. So berichteten die Veden in ihren Ritualtexten von „klibas“ oder „napumsakas“(Nichtmännchen), die als unmännliche schwache Männer, mit langen Haaren und „weibischen“ Eigenschaften, wie Geschwätzigkeit, beschrieben werden. Laut Gugler gehen auch die drei Artikel der deutschen Sprache auf Grundlagen der Sanskrit-Grammatik zurück, während die semitischen Sprachen kein grammatikalisches drittes Geschlecht kennen. Auch Hijras, wie Transsexuelle im heutigen Indien genannt werden, repräsentieren das dritte Geschlecht. Sie sind körperlich größtenteils „Männer“, die sich in der Regel als Frauen kleiden und keine eindeutig weibliche oder männliche Geschlechtsidentität haben. Die Hijras leben in eigenen Gemeinschaften und verdienen ihren Lebensunterhalt traditionell durch religiöse Tänze und Zeremonien bei Hauseinweihungen, Hochzeiten oder nach der Geburt eines Sohnes. Obwohl sich einige von ihnen zum Islam, Buddhismus, hinduistischen Richtungen oder dem Christentum bekennen, verstehen sich alle als Anhängerinnen der Göttin „Bahuchara Mata“. Auf der einen Seite stehen die Hijras außerhalb der gesellschaftlichen Norm und Ordnung, andererseits sind sie aber keine 31 Außenseiter, sondern haben eine religiöse Funktion als Vermittler zwischen den Göttern und den Menschen. Nach Auffassung der Ethnologin und Religionswissenschaftlerin Lidia Guzy gibt es in Indien noch eine andere Gruppe von Menschen, die gewissermaßen das dritte Geschlecht darstellen: die Asketen. Die Asketen der religiösen Gruppe Mahima Dharma in der ostindischen Provinz Orissa sagen, dass sie durch das Zölibat und die Disziplinen der Askese die Kraft der Göttin Shakti in sich tragen. Laut Guzy bündeln sie die weiblichen und männlichen Schöpfungskräfte und verwandeln sie in ein neues Geschlecht. Für ihre Anhänger sind sie Mutter und Vater zugleich. Sie sind androgyn und damit, in der hinduistischen Vorstellungswelt, dem Göttlichen nah. Dies zeige sich auch in ihrer körperlichen Erscheinung: trotz ihres athletischen Oberkörpers haben die Asketen in der Regel einen sehr rundlichen Bauch, der dem schwangeren Bauch einer Frau ähnelt, und erscheinen durch das Tragen ihrer langen Haare als „weiblich“. Weiterführende Informationen Alois Payer - Materialien zur Religionswissenschaft http://www.payer.de/hinduismus/hindu01.htm Südasien Info - das Informationsportal zu Südasien (Unter den Schlagwörtern Hinduismus, Queer, Sexualität und Gender finden sich zahlreiche Artikel zum Download) http://www.suedasien.info/keywords/Hinduismus/ und keywords/Hindu-Nationalism/ Amritsa Basu: Feminism Inverted: The Real Women and Gendered Imagery of Hindu Nationalism, in: Bulletin of Concerned Asian Scholars, Vol. 25, 1993 http://www.questia.com/PM.qst?a=o&d=97784708 zurück 32 Buddhismus 1. Glaubengrundsätze 2. Die drei Körbe und der Sanskrit-Kanon 3. Theravada- und Mahayana 4. Tara und die Dakinis – der Tibetische Buddhismus 5. Siddhartha Gautama – der historische Buddha 6. Buddhismus und Gender Glaubengrundsätze Der Buddhismus ist eine Religion, die heute nahezu in ganz Asien vertreten ist, und seit den 60er Jahren auch in westlichen Ländern großen Anklang findet. Seine Gründung geht auf Siddhartha Gautama, den historischen Buddha, zurück, der im 6. Jh. v. Chr. in Nordindien lebte. Der Buddhismus entstand in der Umgebung der Hindu-Religionen und teilt mit diesen, mit geringen Abweichungen, die Glaubensvorstellungen von Wiedergeburt und Karma. Er stellt aber auch eine Reformbewegung dar, die sich gegen die Macht der Brahmanen (Priester) im Kastensystem der hinduistischen Gesellschaften richtete. Aus buddhistischer Sicht ist das Leben der Menschen durch Leid (Alter, Krankheit, Tod), Vergänglichkeit, und Begierde gekennzeichnet. Wie die Hindu-Religionen so hat auch der Buddhismus das Ziel, dem fortlaufenden leidvollen Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt zu entkommen und einen Zustand der „Erleuchtung“ (Bodhi) zu erreichen, der zum Nirvana führt (Wunsch nach Leben, aber auch nach Tod, erlischt). Buddha sah sich nicht als Überbringer einer göttlichen Offenbarung, sondern einer Erkenntnis, die jedem Menschen zugänglich ist. Seine Lehre ist eine Art Philosophie, die die Ursachen des menschlichen Leids ergründet und Wege zu seiner Überwindung aufzeigt. Die daraus gewonnene Einsicht soll in Verbindung mit der regelmäßigen Praxis bestimmter Methoden und Techniken (z. B. Meditation), durch ethisches Verhalten und durch Entwicklung bestimmter Tugenden, wie Mitgefühl, Weisheit und Selbstlosigkeit, zur Erleuchtung führen. Die drei Zufluchten des 33 Buddhisten sind das Bekenntnis zu Buddha, seiner Lehre und zu einem Leben in der Gemeinschaft (Orden). Den Kern dieser Lehre bilden die Vier Edlen Wahrheiten, die den gemeinsamen Nenner aller buddhistischen Richtungen bzw. Schulen darstellen. Die erste Wahrheit stellt die Diagnose, die zweite benennt die Ursachen, die dritte Wahrheit formuliert Auswege und die vierte Wahrheit beschreibt den praktischen Weg, der zur Überwindung des Leidens führt. Dieser Weg wird als achtfacher Pfad beschrieben und beinhaltet Anweisungen zu „rechter Ansicht, rechtem Denken, rechter Rede und Handlung, rechtem Lebenserwerb, rechter Anstrengung, Achtsamkeit und Konzentration“. Von den anderen vier Weltreligionen unterscheidet sich der Buddhismus vor allen Dingen dadurch, dass er weder einen allmächtigen, ewigen Gott noch eine unsterbliche Seele kennt. Er gibt keinen Trost in irgendeiner Vorstellung von einem Paradies oder Himmel nach dem Tode. Der Buddhismus betont die Vergänglichkeit des Lebens und die Selbstverantwortung des Menschen. Er warnt vor Autoritätsgläubigkeit und mahnt zur Skepsis gegenüber Schriften, feststehenden Lehren und Vorstellungen. Zudem gilt er als außergewöhnlich tolerante Religion, in deren Namen keine Kriege geführt wurden, und die es Mönchen oder Nonnen unterschiedlicher buddhistischer Richtungen ermöglicht, in einem Kloster zusammenzuleben. Die drei Körbe und der Sanskrit-Kanon Die heilige Schrift des Buddhismus, Pali-Kanon oder Tripitaka genannt, entstand im 1. Jh. v. Chr. und geht im Gegensatz zu anderen Religionen nicht auf eine göttliche Überlieferung zurück. Diese Texte werden von den Anhängern des streng traditionellen Theravada-Buddhismus als die einzig gültige und verbindliche Schrift angesehen. Da Buddha keine schriftliche Lehre hinterlassen hatte, wurden seine Reden in vier verschiedenen Konzilien, d.h. Versammlungen von Mönchen und Nonnen, zusammengetragen und mündlich überliefert. Für die Mehrzahl der westlichen Forscher ist die erste Niederschrift des Pali-Kanons nicht das Originaldokument, sondern sie vermuten, dass eine verlorengegangene ursprüngliche Fassung in Buddhas eigener Sprache existiert hat. Der Pali-Kanon gliedert sich in drei Bereiche oder „Körbe“ (die Texte wurden auf Palmblättern geschrieben und in drei Körben aufbewahrt): Ordensregeln, die Lehrreden Buddhas und philosophische Kommentare. Der zweite Korb enthält auch die Verse der Nonnen und Mönche und die Lieder der Nonnen. Der Gelehrte Buddhaghosa (5. Jh. n. Chr.) gilt als einer der bedeutendsten Kommentatoren. Einige Kommentare der frühen Theravada-Literatur schüren die 34 Furcht vor der Macht und Anziehungskraft der Frauen und bezeichnen sie als Grundlage allen Übels, als Ausdruck der Welt der Begierde und als Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung. Diese Aussagen müssen in Zusammenhang mit der Bedeutung der Ordenstradition gesehen werden, die auf dem Keuschheitsgelübde der Mönche basierte. Es stellt sich die Frage, ob diese Äußerungen von Buddha selbst stammen, ihm untergeschoben wurden oder an die Mönche gerichtet waren, die keine sexuellen Beziehungen und familiären Bindungen eingehen sollten. Über den Pali-Kanon hinaus gibt es eine gewaltige Sammlung an Schriften späteren Datums, der Sanskrit-Kanon genannt wird. Ein großer Teil dieser Originaltexte galt als verschwunden, nur die Übersetzungen ins Tibetanische und Chinesische blieben erhalten. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckten westliche Forscher Teile der Original-Schriften in einer Höhle in Zentralasien. Diese Texte enthalten Legenden, Gedichte und Meditationsübungen und geben einen großen Teil der buddhistischen Philosophie und Psychologie wieder. Der Sanskrit-Kanon ist in einzelne Sutren (Leitfäden) unterteilt. Diese unterschiedlichen Sutren bilden die Grundlage für die verschiedenen Richtungen des Mahayana-Buddhismus, so steht zum Beispiel das Diamant-Sutra für den Zen-Buddhismus. In einigen Sutren spricht anstelle des Buddhas auch ein erleuchteter Mensch, z. B. die Königin Shrimala oder ein Laie (Nicht-Mönch), der Haushälter Vimalakirti. Für die Mahayana-Schulen stellt der Sanskrit-Kanon eine historische Weiterentwicklung der Schriften dar. Sie behaupten aber auch, dass ihre Lehre, die später entstand, von denjenigen Schülern Buddhas stammt, die ihm am nächsten gestanden haben. Aus der Sicht westlicher Wissenschaftler stellt der Pali-Kanon die authentischere Lehre Buddhas dar. Theravada- und Mahayana Der Buddhismus zeigte schon bald nach Buddhas Tod verschiedene Schwerpunkte, Ausprägungen und erste Abspaltungen. Im Laufe der Jahrhunderte verbreitete er sich in unterschiedlichsten Ländern und Kulturen und veränderte sich durch die Anpassung an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten. Die buddhistischen Traditionen lassen sich grob in Theravada (Alter Weg, manchmal auch als Hinayana bezeichnet) und Mahayana (Großer Weg) einteilen. Den Theravada-Buddhismus kann man auf Ceylon, in Burma, Sri-Lanka, Thailand, Laos, Kambodscha und allgemein in Südasien finden. Im Theravada genießt das Mönchstum eine bevorzugte Stellung und nur ein Mönch kann den Zustand der Erleuchtung erreichen. Der Buddhismus ist hier vor allem eine Ordensreligion, und das Zusammenspiel zwischen Mönchen bzw. Nonnen und den Laien ist durch gegenseitige Abhängigkeit geprägt. Die Laien unterstützen die Klöster materiell und erwerben dadurch religiöse Verdienste, die sogar vererbt werden können. Die Mönche und Nonnen sind auf die 35 Essensspenden der Laien angewiesen und lesen im Gegenzug dazu aus den heiligen Schriften vor. Das Theravada versteht sich als die einzig überlebende Schule des Ur-Buddhismus und als Bewahrer der zeitlosen, direkt von Buddha überlieferten Worte. Die Betonung liegt auf der Kontrolle des Geistes und auf dem Vermeiden von Leid. Das Ziel ist die Erlösung des Einzelnen und der völlige Rückzug von dieser Welt der Erscheinungen. Die Richtungen des Mahayana sind besonders in Nepal, Nordindien, Tibet, Japan, Bhutan, Taiwan, China, der Mongolei und teilweise auch in Indonesien präsent. Im Mahayana sind Mönche und Laien eher gleichgestellt, und beide haben eine Chance auf Erlösung im Nirvana. Die Sutras sprechen von einer „Buddha-Natur“, die in jedem Wesen steckt, egal ob Mönch, Laie, Frau oder Mann, und die eine größere Bedeutung erhält als der historische Buddha. Im täglichen Leben liegt der Schwerpunkt auf dem Vermeiden von Zorn und der Entwicklung von Mitgefühl. Der Kern der Lehre ist die Philosophie der selbstlosen Barmherzigkeit. Das menschliche Ideal ist der Erleuchtete (Bodhisattva), der schon zum Buddha geworden ist, aber auf das Nirvana verzichtet und aus Mitgefühl in die Welt zurückkehrt, um anderen Menschen auf dem Weg zur Erleuchtung beizustehen. Daraus resultiert die große Bedeutung der Rolle des Lehrers (Guru) und des Meister-Schüler-Verhältnisses im Mahayana-Buddhismus. Das Prinzip der Barmherzigkeit weist eine Parallele zum Christentum und der Lehre von Jesus im Neuen Testament auf. Die Lehre von Anatta gilt als die wichtigste Lehre in allen buddhistischer Richtungen und wird auch mit dem Prinzip der “Leerheit“ umschrieben. Dieser Gedanke spielt auch bei der Betrachtung der Geschlechterordnung, -hierarchien und -beziehungen im Buddhismus eine große Rolle. Leerheit bedeutet, dass es kein beständiges Ich mit wesensmäßigen, naturhaften Eigenschaften gibt, sondern nur Erscheinungen, die sich wandeln und voneinander abhängen. Das „Weibliche“ hat demnach kein eigene Wirklichkeit, so wenig wie das „Männliche“. Es gibt nur eine Ansammlung von sich konstant verändernden, physischen und psychischen Bestandteilen. Das Ziel der buddhistischen Lehre ist, sich von der Vorstellung eines festen Selbst zu lösen bzw. die Anhaftung daran loszulassen. 36 Tara und die Dakinis – der Tibetische Buddhismus Der Tibetische Buddhismus (Diamantweg) ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Schulen, die nicht nur in Tibet, sondern auch in Bhutan, Nepal, Indien, Japan, China und der Mongolei verbreitet sind. Er beruht auf den philosophischen Grundlagen des Mahayana, ergänzt diese aber um bestimmte Rituale, wie das Rezitieren von bestimmten Wortfolgen (Mantras) oder Körperpraktiken, wie z. B. Joga. In der Mahayana-Tradition gibt es die Vorstellung, dass jeder Bodhisattva, d. h. Erleuchtete eine Erscheinungsform von Buddha darstellt. Es wird behauptet, dass der Buddhismus keine Götter kenne, doch das stimmt nur bedingt. Die ursprünglichen Bon-Gottheiten im alten Tibet wurden in den Buddhismus integriert und verwandelten sich in männliche oder weibliche Bodhisattvas, die nun verschiedene Aspekte von Buddha darstellen. Das „weibliche Prinzip“ wird durch sogenannte weibliche Buddhas, Erleuchtete, Göttinnen oder Dakinis repräsentiert. Ein Beispiel dafür ist die Göttin Prajnaparamita, die „Vervollkommnung der Weisheit“, die als „Mutter aller Buddhas“ mit vollen Brüsten abgebildet wird. Das Sutra „der goldene Rosenkranz“ erzählt die Geschichte der Prinzessin Mond der Weisheit, die sich tagtäglich in den buddhistischen Disziplinen übte. Als ihr die Mönche den Rat gaben, ihre Kräfte einzusetzen, um in ihrem nächsten Leben als Mann wiedergeboren zu werden, lehnte sie sich gegen sie auf und sagte: „Es gibt hier keinen Mann, es gibt keine Frau, kein Selbst, keine Person und kein Bewusstsein. Die Bezeichnung „Mann“ oder „Frau“ hat keine Essenz, sondern führt die verblendete Welt irre“. Diese Aussage muss in Zusammenhang mit der buddhistischen Philosophie der Leerheit interpretiert werden. Die Legende erzählt weiter, dass sie später erleuchtet wurde, ihren Namen änderte und zu Tara der Schutzgöttin Tibets wurde. Tara ist die wichtigste buddhistische Göttin, und ihre frühesten Darstellungen fallen in das 6. Jh. n. Chr.. Sie wird in verschiedenen Farben dargestellt: als rote, gelbe und blaue Tara verkörpert sie die grausamen und zerstörerischen Aspekte der Göttin. Als weiße und grüne Tara erscheint sie in der Rolle der Mutter, Retterin, Beschützerin und symbolisiert Mitgefühl und Barmherzigkeit. In China wird sie unter dem Namen Kwan-yin verehrt, und in Japan wird sie Kwannon genannt. Wie die Shakti im Hinduismus, so gibt es auch im Buddhismus eine Form der weiblichen Energie, die hier Dakini genannt wird. Dakinis 37 stellen aber auch eine Verkörperung der Tara und anderer buddhistischer Göttinnen dar. Sie sind Luftwesen (Himmels-Tänzerinnen), körperlos und unsterblich, mit sehr wechselhaftem, wildem Temperament. Die Darstellungen zeigen sie in verschiedenen Hautfarben als junge, nackte Frau mit struppigen langen Haaren, die mit wutverzerrtem Gesicht auf einen am Boden liegenden Körper herumtrampelt. Andere Abbildungen präsentieren sie, wie die Kali im Hinduismus, mit Hackmesser, blutgefüllter Schädelschale oder mit einer Krone aus menschlichen Schädeln. Die Dakinis symbolisieren die Weisheit und erscheinen den praktizierenden Buddhisten, um sie zu prüfen. Viele große Meisterinnen der religiösen Lehre, wie zum Beispiel Machig Labdrön oder Niguma, werden als Verkörperung der Dakinis betrachtet. Siddhartha Gautama – der historische Buddha Die Daten zum historischen Buddha sind umstritten. Laut Überlieferung wurde Siddhartha Gautama, als Sohn des Fürsten Shuddhodana und seiner Ehefrau Maya um 563 v. Chr. in Limbini geboren. Neue historische Theorien gehen teilweise davon aus, dass er bis zu 150 Jahre später gelebt hat. Siddhartha führte ein luxuriöses Leben, heiratete und bekam einen Sohn. Im Alter von 29 Jahren gewann er durch die Begegnung mit einem Alten, einem Kranken und einem Toten Einsicht in das Leid der Menschheit und die Vergänglichkeit des Lebens. Bald darauf verließ er seinen neugeborenen Sohn, seine Ehefrau und seine Familie und zog als Wanderasket durch das Tal des Ganges. Nach sechs Jahren des religiösen Studiums und der Meditation ereichte er mit 35 Jahren die vollkommene Erleuchtung unter dem Baum der Weisheit (bodhi). Wie Jesus im Christentum so hielt auch Siddhartha seine Lehrreden vor sozial Ausgegrenzten, wie zum Beispiel Prostituierten und Angehörigen der untersten Kasten. Aus der Gemeinschaft der ihm folgenden Mönche und Laien entstand der erste Orden. Auf die Bitte seiner Stiefmutter und Tante Mahaprajapati hin, gründete er den ersten Nonnenorden, dem diese als Nonne beitrat. Buddha lehrte bis zum Alter von 80 Jahren und starb um 483 v. Chr. an einer Lebensmittelvergiftung. Die Legenden, die sich um seine Geburt ranken, sind mit den Schilderungen von der Geburt Jesus vergleichbar. Sie berichten von einem Engel, der in Gestalt eines weißen Elefanten der Königin Maya im Traum erscheint und von ihr „Besitz nimmt“. Wie Maria im Christentum, so soll auch die Mutter von Siddhartha bis zu ihrer Empfängnis ein Leben in völliger Keuschheit geführt haben und seine jungfräuliche Geburt wird angedeutet. Maya, die Mutter von Siddhartha, stirbt eine Woche nach seiner Geburt. 38 Die Figur Buddhas verkörpert das Ideal der sexuellen Enthaltsamkeit, der Vergeistigung und der Gemeinschaft unter Männern. Er wird als das positive Bild eines Mannes gezeichnet, der als Vorbild für alle buddhistischen Mönche die Bindungen an Ehe und Familie aufgibt. Anders als Jesus, der eine Ehe mit anschließender Familiengründung nie eingegangen ist, löste sich Siddhartha aus der Verantwortung gegenüber Familie, Ehefrau und Kind. Damit unterscheidet er sich vom Religionsgründer des Islam. Mohammed verblieb nach der göttlichen Offenbarung nicht nur bei seiner Familie, sondern er verbreitete seine Lehre mit Hilfe seiner Ehefrauen, seiner Tochter und seines Onkels. Der Pali-Kanon enthält eine Beschreibung Buddhas. Demnach war er ein wohlgestalteter, majestätisch großer Mann mit sehr heller, fast goldener Hautfarbe. Seine Sprache und Ausdrucksweise wird als kultiviert, klar und präzise, sein Verhalten als einnehmend und sympathisch beschrieben. Die ersten Skulpturen von Buddha tauchten erst im 1. Jh. n. Chr. auf und gehen auf die Anhänger des Mahayana zurück, die ein personales Buddha-Bildnis forderten. Die Abbildungen zeigen Buddha meist in sitzender Meditationshaltung mit einer Erhöhung auf der Schädelmitte als Kennzeichen seiner Erleuchtung. Seine Ohrläppchen sind langgezogen, seine Haare krausen sich in gedrehten Löckchen. Obwohl er in der Realität, wie alle Mönche im Buddhismus, den Kopf kurz geschoren trug. Die Kunst bildet Buddha oft wohlgenährt ab, aber nicht dick, mit goldener Hautfarbe und in eine Mönchsrobe gekleidet. Eine Bronzeskulptur in Thailand zeigt ihn als Asketen bis auf das Skelett abgemagert. Daneben gibt es die im Westen bekannte Darstellung des lachenden Buddhas mit dickem Bauch, die aus China stammt. Buddhismus und Gender In den buddhistischen Richtungen der Mahayana-Tradition gelten Frauen als Quelle höchster Weisheit. Die Frau ist in hier in ihrer Rolle als Mutter Vorbild für das Prinzip des Mitgefühls und der selbstlosen Barmherzigkeit. Im Tibetischen Buddhismus repräsentiert sie die Erkenntnis und die Leerheit. In den frühbuddhistischen Schulen des traditionellen Theravada verkörpert sie das Leid und die Begierde. Gemäß den zentralen Lehren Buddhas sind die Geschlechter jedoch nicht verschieden, und sie besitzen daher auch keine wesensmäßigen, naturhaften Eigenschaften. Die Religion des Buddhismus dient nicht zur Begründung von Unterschieden, behauptet keine Wertigkeit der Geschlechter und kann dem zur Folge auch nicht zur Rechtfertigung von 39 Geschlechterhierarchien herangezogen werden. Es gibt keinen Schöpfungsmythos und keinen Schöpfergott. Insofern stellt sich nicht die Frage, ob beide Geschlechter vor Gott gleichwertig sind, oder welches Geschlecht zuerst erschaffen wurde und somit höherrangig ist. Aber es gibt Unterschiede in Bezug darauf, wie groß die Fähigkeit des Menschen ist, die Erleuchtung zu erlangen, abhängig von seinem Geschlecht. Alle drei großen Hauptrichtungen des Buddhismus lehren, dass Männern und Frauen diesen Zustand erreichen können und berichten von großen Lehrern und Meisterinnen. Doch die Aussagen in den Schriften sind widersprüchlich. Im Pali-Kanon wird Buddha zitiert, der gesagt habe „Frauen..., die ... (in die Hauslosigkeit) gegangen sind, sind fähig, ... die Vollkommenheit zu erlangen“ (I.B. Horners Übersetzung, Band 5, S. 354). In der Sammlung der wichtigsten und bekanntesten Reden Buddhas soll er hingegen der Frau die Fähigkeit zur höchsten Verwirklichung des Nirvanas (Arahatschaft) abgesprochen haben: „Unmöglich ist es und kann nicht sein, dass eine Frau einen Arahat als vollkommen Erwachten ... darstellen kann.“( (Majjhima-Nikaya 115, A:1,20). Die vollkommene Erleuchtung kann anscheinend nur in einem männlichen Körper stattfinden. In allen Schriften der Hauptrichtungen des Buddhismus gibt es Gebete, in denen man darum bittet, nicht als Frau wiedergeboren zu werden. Diese Aussagen müssen sicherlich vor dem sozialen und gesellschaftlichen Hintergrund der jeweiligen Zeit interpretiert werden. Dennoch: Frauen und Männer, Mönche und Nonnen sind bis heute nicht gleichgestellt und auch nicht gleichberechtigt. Sie unterliegen unterschiedlichen religiösen Verhaltensregeln und Ge-und Verboten, die eine Hierarchie abbilden. Dies steht im Widerspruch zu den zentralen Lehren des Buddhismus. Weiterführende Informationen http://www.buddhismus.de/ Deutsche Buddhistische Union http://www.buddhismus-deutschland.de/dbu/ Internationale Buddhistische Frauenvereinigung http://www.sakyadhita-europe.org/ zurück 40 Quellenangaben zu den Abbildungen Abbildungen im Beitrag Judentum: Abb. Seite 2, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/judentum/index.htm Menora, Zeichnung Abb. Seite 6, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/gottbild/index.htm Schöpfungsbild der Lutherbibel, Lukas Cranach Abb. Seite 7, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/urgesch1/index.htm Sündenfall, Titzian Abbildungen im Beitrag Christentum Abb. Seite 10, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/aufersth/index.htm Auferstehung Christi, Luca della Robbia Abb. Seite 12, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/apostel/index.htm Apostel Paulus, Deonissij Abb. Seite 15, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/kindjes/index.htm Die heilige Familie, Rembrandt Abb. Seite 16, Bildzitat: Quelle:http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/kindjes/index.htm Grablegung Christi, Bertolomeo Abbildungen im Beitrag Islam Abb. Seite 20, 23 Fotos mit freundlicher Genehmigung von Otmane Khazraji Abbildungen im Beitrag Hinduismus Abb. Seite 25-31 mit freundlicher Genehmigung von Bernhardt Kern Quelle: http://www.asoka.de/hindugoetter/ Abbildungen im Beitrag Buddhismus Abb. Seite 33-40 mit freundlicher Genehmigung von Harri Czesla Quelle: http://www.tibet-galerie.de/ 41 Literaturhinweise Gender und Religion Becker, Sybille: Leib - Bildung – Geschlecht. Perspektiven für die Religionspädagogik. Reihe: Theologische Frauenforschung in Europa, Bd. 13. Münster 2005 Braun, Christina von/ Brunotte, Ulrike u. a. (Hrsg.): Holy War and Gender. 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In den verschiedenen Religionen der Welt lassen sich eine starke Geschlechtertrennung und geschlechtsspezifische Pflichten und Rollen in den wichtigen Bereichen religiösen Lebens beobachten. Dabei sind Männer und Frauen keine gleichen und meist keine gleichberechtigten Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft. In welcher Weise sich ein Geschlechterverhältnis konkret im religiösen Leben niederschlägt unterscheidet 50 sich dabei nicht nur von Religion zu Religion, sondern auch innerhalb der verschiedenen Strömungen oder im Zuge der geschichtlichen Entwicklungen einer Religion. Die Ehe stellt für alle Religionen den richtigen und angemessenen Rahmen des Zusammenlebens von Frauen und Männern dar. Wichtig ist hierbei, dass die Ehe als ‚Mittel’ zur Regulierung und Kontrolle von Sexualität angesehen wird. Sexualität dient in Religionen, bis auf wenige Sonderströmungen wie dem indischen Tantrismus, der Fortpflanzung. Damit ist Sexualität in den Religionen meist heterosexuell ausgerichtet und sexuelle Handlungen, die keinen reproduktiven ‚Zweck’ erfüllen, sind häufig verboten. Diese skizzierten religiösen Positionen zu ‚Geschlecht’ und ‚Sexualität’ leiten sich aus den Interpretationen der maßgebenden Schriften der Religionen her, die sich bis heute in vielen Bereichen gelebter Religion wirkmächtig zeigen. Dennoch finden sich in Religionen, vor allem bei den Menschen, die sie leben und gestalten, immer auch Ausnahmen von diesen Regeln. 2. Homosexualität Dieses religiöse Verständnis von Sexualität zeigt, dass sich die Verbote von sexuellen Handlungen vor allem darüber begründen, dass sie nicht den Zweck der Fortpflanzung erfüllen. Verboten sind damit bestimmte Handlungen, wie z.B. Oralverkehr oder Masturbation, gleich ob sie zwischen Mann und Frau oder zwischen Menschen gleichen Geschlechts stattfinden. In den normativen Schriften der Religionen finden sich aber auch ausdrückliche Verbote von Sexualität zwischen Menschen gleichen Geschlechts. Diese beziehen sich insbesondere bei den monotheistischen Religionen vor allem auf männliche Homosexualität. Besonders bekannt sind die Deutungen entsprechender Stellen in der hebräischen Bibel, z.B. im Buch Leviticus, oder im Neuen Testament, z.B. im Römerbrief. Auch in Auslegungen des Koran und in der islamischen Rechtslehre, Scharia, finden sich Verbote sexueller Handlungen zwischen Männern. Weibliche Homosexualität wird seltener angesprochen und meist milder bestraft. Eine Ausnahme ist die härtere Bestrafung sexueller Handlungen unter Frauen im Hinduismus. Die Regeln der religiösen Schriften lassen sich jedoch nicht gleichsetzen mit dem, wie Menschen ihre Religion leben und lebten. Ihre Geschichte und ihre Alltagswelt sehen oft anders aus, als es die vielen religiösen Vorschriften vorsehen, und das gilt auch für ihr Sexualleben. Dass sich Menschen ausdrücklich sowohl zu ihrer Religion wie auch zu ihrer Homosexualität bekennen und diese beiden wichtigen Bereiche ihres Lebens miteinander verbinden, ist jedoch eine Entwicklung der jüngsten Zeit. Sie hängt mit gesellschaftspolitischen Veränderungen der letzten 40 Jahre zusammen. Denn die Proteste der Frauen- und vor allem der Homosexuellenbewegungen haben auch innerhalb von Religionen einige Diskussionen in Gang gesetzt und ein neues Selbstbewusstsein von Schwulen und Lesben in den Religionen begründet. Dies gilt übrigens nicht nur für ‚westliche’ Länder. Auch z.B. im heutigen Iran, Südafrika oder in Indien gibt es Gruppen die sich für ihre Anerkennung als religiöse Schwule und Lesben engagieren. Ein wichtiges Thema ist dabei die Schaffung von Räumen der Anerkennung. ‚Räume’ meint hier verschiedenes: a) die Einrichtung konkreter Orte, an welchen man sich sicher und in positiver Atmosphäre religiös begegnen kann; b) die Frage der religiösen Vergemeinschaftung: gibt es eine Möglichkeit innerhalb der ‚Mehrheitsgemeinde’ einen solchen sicheren Ort einzurichten? Oder 51 gründet man eine ‚eigene’, abgegrenzte Gemeinschaft? c) religiöse Lehren, welche so formuliert und gedeutet werden, dass Schwule und Lesben sich wieder finden können. Weiterhin beinhalten viele Initiationsriten verschiedener Kulturen der Welt ‚homosexuelle’ Handlungen. Diese finden jedoch in einem strengen rituellen Rahmen statt und sind von symbolischer Bedeutung. Sie sind daher nicht vergleichbar mit sexuellen Handlungen oder gar einer Liebesbeziehungen zwischen Menschen gleichen Geschlechts. 3. Transidentitäten ‚Transidentität’ meint eine Geschlechtsidentität, die sich nicht als ‚männlich’ oder ‚weiblich’ versteht oder verstehen lässt und bezieht sich auf Menschen, die sich weder als Mann oder Frau fühlen. Dies kann sich auf den Körper beziehen (Transsexualität) aber auch auf geschlechtsspezifische Verhaltensweisen, Rollen oder auch Kleidung (Transgender). Häufig werden Schamanen, von welchen man richtigerweise nur mit Bezug auf den Raum Sibiriens sprechen kann, als ‚Geschlechtergrenzen überschreitend’ charakterisiert. Ähnlich wie bei bestimmten HeilerInnen und PriesterInnen einiger afrikanischer Kulturen und einigen indischen Traditionen findet dieser Wandel der geschlechtlichen „Rolle“ jedoch nur im zeitlich begrenzten Rahmen von Ritualen oder z.B. Ekstasezuständen statt. Als Beispiele für das so genannte ‚dritte Geschlecht’ lassen sich vielmehr die Hijras des indisch-pakistanischen Raums oder die ‚ZweiSeelen-Leute’ (Two-Spirit-People) vieler nordamerikanischer Indianerkulturen benennen. Hijras sind „Männer“, welche „weibliche“ Verhaltensweisen, Rollen und den Status einer Frau annehmen, z.T. auch über Kastration. Oft wollen sie weder als ‚Frau’ noch als ‚Mann’, sondern als eigene Gruppe wahrgenommen und akzeptiert werden. Aufgrund ihrer sozial sehr schlechten Stellung leben sie in engen Gemeinschaften zusammen; sie leben von Bettelei und Prostitution. Sie sind hinduistischen oder muslimischen Glaubens und bis zu einem gewissen Grad pflegen sie eine eigene Religiosität und verehren z.B. bestimmte Gottheiten, die sich ihrer speziellen Situation annehmen sollen. Auch erfüllen sie in der breiteren Gemeinschaft besondere rituelle Aufgaben, z.B. das Segnen Neugeborener. Die ‚Zwei-Seelen-Leute’ konnten Frauen oder Männer sein, die entweder bestimmte Aufgaben oder die Kleidung des anderen Geschlechts annahmen oder ihren geschlechtlichen Status gänzlich wechselten und damit die soziale Identität des anderen Geschlechts annahmen. Zum Teil übernahmen auch sie besondere rituelle Aufgaben, wie z.B. das Heilen. Auch kam es vor, dass dieser ‚Geschlechtswechsel’ wieder rückgängig gemacht wurde. Ihnen war es möglich mit Menschen des gleichen oder des anderen Geschlechts zusammen zu leben. Viele afrikanische Kulturen kennen eine ähnliche Geschlechterwandelbarkeit und, in diesem Rahmen, die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Diese Geschlechterordnungen wandelten sich dramatisch durch die europäisch-christliche und, in Afrika, islamische Expansion und Missionierung. Heutzutage werden unter den Begriffen ‚Transgender’, ‚Transsexuell’, ‚Intersexuell’ oder auch ‚queer’ verschiedene Geschlechter gefasst, die von der ‚Normalität’ der zwei Geschlechter ‚Mann’ und ‚Frau’ abweichen (wollen). Ihr Engagement für gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung findet in vielen Ländern, Kulturen und Religionen statt. Dabei vertreten sie viele unterschiedliche (Selbst-)Verständnisse und verfolgen unterschiedliche Ziele. Darin, dass zunächst einmal die 52 Realität von mehr als zwei Geschlechtern überhaupt wahrgenommen und akzeptiert werden muss, sind sie sich jedoch einig. Ausgewählte Internetseiten schwuler/lesbischer/queerer Gruppen in Deutschland: Jüdisch: http://www.yachad-deutschland.de/ Christlich: http://www.lsgg.org/ Muslimisch: http://www.queermuslimehamburg.de/1.html Buddhistisch: http://www.kandayata.net/kandayataseiten/buddha/index.html http://www.gaysangha.de/ Ausgewählte Literatur Fels, Eva: Auf der Suche nach dem dritten Geschlecht. Wien 2005. Karle, Isolde: Da ist nicht Mann noch Frau…’ .Theologie jenseits der Geschlechterdifferenz. Gütersloh 2006. Parrinder, Geoffrey: Sexualität in den Religionen der Welt. Düsseldorf 2004. Berlin, 15. Januar 2008 Márcia Moser M.A. zurück 53