4 VOL/A 2009 Rahmenvereinbarungen

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4 VOL/A 2009 Rahmenvereinbarungen
§ 4 VOL/A 2009
§4
jurisPK-VergR 3. Aufl. / Zeiss
VOL/A 2009 Rahmenvereinbarungen
(Fassung vom 20.11.2009, gültig ab 11.06.2010)
(1) Rahmenvereinbarungen sind Aufträge, die ein oder mehrere Auftraggeber an ein oder mehrere
Unternehmen vergeben können, um die Bedingungen für Einzelaufträge, die während eines
bestimmten Zeitraumes vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere über den in Aussicht
genommenen Preis. Das in Aussicht genommene Auftragsvolumen ist so genau wie möglich zu
ermitteln und bekannt zu geben, braucht aber nicht abschließend festgelegt zu werden. Die
Auftraggeber dürfen für dieselbe Leistung nicht mehrere Rahmenvereinbarungen abschließen.
Die Laufzeit darf vier Jahre nicht überschreiten, es sei denn der Auftragsgegenstand oder andere
besondere Umstände rechtfertigen eine Ausnahme.
(2) Die Erteilung von Einzelaufträgen ist nur zulässig zwischen den Auftraggebern, die ihren
voraussichtlichen Bedarf für das Vergabeverfahren gemeldet haben und den Unternehmen, mit
denen Rahmenvereinbarungen abgeschlossen wurden.
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am: 26.03.2012
Gliederung
A. Allgemeines
Rn. 1
B. Begriff und Mindestinhalt der Rahmenvereinbarung (Absatz 1 Sätze 1 und 2)
Rn. 6
I. Mindestinhalt
Rn. 6
II. Angaben zum Preis
Rn. 12
III. Mehrzahl von Unternehmen
Rn. 17
C. Verbot des Abschlusses mehrerer Rahmenvereinbarungen (Absatz 1 Satz 3)
Rn. 24
D. Maximale Vertragslaufzeit (Absatz 1 Satz 4)
Rn. 27
E. Mehrzahl von Auftraggebern (Absatz 2)
Rn. 31
F. Abnahmeverpflichtung des Auftraggebers
Rn. 34
G. Ausblick
Rn. 38
A. Allgemeines
1 Rahmenvereinbarungen sind bei vielfach wiederkehrenden gleichartigen Beschaffungen zu empfehlen. Der Abschluss einer Rahmenvereinbarung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn
der tatsächliche Bedarf (Auftragsvolumen und Zeitpunkt) noch nicht konkret bekannt ist, sich aber
die Größenordnung (maximaler oder minimaler Umfang der Leistung, Anfang und Ende des
Leistungszeitraums) eingrenzen lässt.
2 Die Rahmenvereinbarung gemäß § 4 VOL/A ist keine eigenständige Vergabeverfahrensart,
wie etwa die öffentliche Ausschreibung bzw. das offene Verfahren. Vielmehr handelt es sich um
ein zweistufiges Verfahren:
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Auf der ersten Stufe wird die Rahmenvereinbarung durch eine der üblichen Verfahrensarten
(i.d.R. durch öffentliche Ausschreibung) vergeben.
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Auf der zweiten Stufe werden die Einzelbeschaffungen vorgenommen, wobei die Rahmenvereinbarung als Grundlage dient.
3 Im Jahr 2009 wurde mit § 4 VOL/A erstmals auch für den Bereich unterhalb der Schwellenwerte
eine Regelung für Rahmenvereinbarungen geschaffen. Es verwundert, dass diese Regelung erst
so spät geschaffen wurde. In der Beschaffungspraxis spielen Rahmenvereinbarungen nämlich
eine herausragende Rolle, insbesondere für sich ständig wiederholende Beschaffungsvorgänge,
was die folgenden Beispiele zeigen:
•
Rahmenvereinbarungen über die Beschaffung von Softwarelizenzen (z.B. Microsoft-SelectVerträge),
•
Rahmenvereinbarungen über Wartung von Fahrzeugen, Kopierern oder EDV-Anlagen,
•
Rahmenvereinbarungen über die Belieferung mit Ausstattung, Verbrauchsmaterialien und
Zubehör (z.B. Auftausalz, Papier, Toner, Uniformteile, Munition, Medikamente, Treibstoffe),
•
Rahmenvereinbarungen über Beförderungsleistungen (z.B. Brief- und Paketbeförderung),
•
Rabattverträge über die Beschaffung von Arzneimitteln nach § 130a Abs. 8 SGB V.
4 Parallelnorm oberhalb der Schwellenwerte ist § 4 EG VOL/A. Im Sektorenbereich gilt § 9 SektVO.
5 In der VOB/A gibt es (noch) keine entsprechende Regelung. Dort können jedoch die Definition,
Mindestvorgaben und Verfahrensregelungen aus § 4 VOL/A, § 4 EG VOL/A und § 9 SektVO als
allgemeine Grundsätze entsprechend herangezogen werden.
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B. Begriff und Mindestinhalt der Rahmenvereinbarung
(Absatz 1 Sätze 1 und 2)
I. Mindestinhalt
6 § 4 Abs. 1 Satz 1 VOL/A enthält die Legaldefinition der Rahmenvereinbarung. Die Rahmenvereinbarung ist ein Vertrag zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer (bzw. den Auftraggebern und den Auftragnehmern) darüber, innerhalb eines bestimmten Zeitraums ein soweit wie
möglich konkretisiertes Auftragsvolumen einer konkret beschriebenen Leistung abzunehmen.
7 Zwar brauchen bei der Rahmenvereinbarung das Auftragsvolumen, der Leistungszeitpunkt und
der konkrete Leistungsort nicht schon abschließend in den Vergabeunterlagen festgelegt zu werden.
Jedoch gilt auch für Rahmenvereinbarungen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden
Leistungsbeschreibung (§ 7 Abs. 1 VOL/A). Daher darf der Auftraggeber die Rahmenvereinbarung
nicht als Vorwand dazu missbrauchen, das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung zu verletzen. Es müssen daher auch bei der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung alle maßgeblichen Umstände angegeben werden. Dies bringt – bezogen auf das Auftragsvolumen – § 4 Abs. 1 Satz 2 VOL/A deutlich zum Ausdruck: „Das in Aussicht genommene Auftragsvolumen ist so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben, braucht aber nicht ab1
schließend festgelegt zu werden.“
8 Was heißt „so genau wie möglich“? Dies hängt von dem konkreten Beschaffungsvorhaben ab.
Immer müssen möglichst genaue Angaben gemacht werden. In der Regel müssen z.B. Mindestabnahmemenge und maximale Abnahmemenge festgelegt werden. Wenn jedoch das Auftragsvolumen nicht näher zu definieren ist, weil der Bedarf von externen Faktoren abhängt, auf die
der Auftraggeber keinen Einfluss hat, reicht es auch, bisherige Erfahrungswerte aus einem
Referenzzeitraum zugänglich zu machen. Dabei müssen den Bietern möglichst präzise Daten aus
der Vergangenheit an die Hand gegeben werden, damit die Bieter selbst den Umfang der in der
Zukunft erfolgenden Einzelaufträge hinreichend sicher prognostizieren können.
9 Dazu einige Beispiele:
•
So brauchen bei einer Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Auftausalz (Natriumchlorid) nicht die Mindest- und Maximalabnahmemengen angegeben zu werden. Wie viel
Auftausalz konkret notwendig ist hängt im Wesentlichen von der Witterung, also einem externen
Faktor ab, auf den der Auftraggeber keinen Einfluss hat. Daher reicht es in diesem Fall, wenn
den Bietern die Erfahrungswerte der vergangenen Jahre zugänglich gemacht werden.
•
2
Auch bei einem Arzneimittelrabattvertrag brauchen nicht die Mindest- und Maximalabnahmemengen angegeben zu werden. Der Beschaffungsbedarf hängt von externen Faktoren
ab, auf die der Auftraggeber keinen Einfluss hat, wie etwa Grippewellen. Daher ist es auch
in diesem Fall ausreichend, den Bietern die Verbrauchswerte der vergangenen Jahre (z.B.
der letzten drei Grippesaisons) zugänglich zu machen.
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Hervorhebung durch den Verfasser.
2
Vgl. VK Thüringen v. 10.06.2011 - 250-4003.20-2151/2011-E-003-EF - Auftausalz.
3
LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.02.2010 - L 21 SF 38/10 Verg - Arzneimittelrabattvertrag Grippemittel.
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10 Entsprechend der vorstehenden Maßstäbe muss die Rahmenvereinbarung insbesondere folgende
Angaben enthalten:
im Vergabeverfahren und im Vertrag
Beispiel
Leistungsgegenstand (möglichst eindeutig und erschöpfend „Lieferung und Montage von …“
zu beschreiben, vgl. § 7 Abs. 1 VOL/A). Nur bei Auftragsvolumen,
Leistungszeitpunkt sowie konkretem Leistungsort ist eine abschließende Festlegung noch nicht notwendig).
Menge bzw. Auftragsvolumen (möglichst genaue Angaben,
„... mindestens 300, maximal 600
z.B. Mindestabnahmemenge, maximale Abnahmemenge; aus- Stk. …“
nahmsweise reichen auch Erfahrungswerte). Auftragsvolumen
braucht aber nicht abschließend festgelegt zu werden (§ 4 Abs. 1
Satz 2 VOL/A).
Leistungsort (möglichst eindeutig und erschöpfend zu be-
„… im Landkreis L…, in den Ge-
schreiben, vgl. § 7 Abs. 1 VOL/A; braucht wegen der Besonder- meinden A…, B…, …“
heiten der Rahmenvereinbarung aber noch nicht abschließend
bestimmt zu werden).
Vertragslaufzeit/Leistungszeitpunkt (möglichst eindeutig und „… im Zeitraum vom 01.01.2013
erschöpfend zu beschreiben, vgl. § 7 Abs. 1 VOL/A; wegen der bis 31.12.2015 …“
Besonderheiten des Rahmenvertrages reichen aber Angaben
zum Anfang und Ende der Vertragslaufzeit aus). Die Laufzeit
darf in der Regel vier Jahre nicht überschreiten (§ 4 Abs. 1
Satz 4 VOL/A).
alle Auftraggeber (vgl. hierzu Rn. 31).
„… für das Land …, den Landkreis … und die Gemeinden A…,
B…, …“
Wenn beabsichtigt ist, die Rahmenvereinbarung mit mehreren „Es ist beabsichtigt die RahmenUnternehmen abzuschließen, muss die Anzahl der Unter-
vereinbarung mit drei Unter-
nehmen angegeben werden, mit denen der Abschluss der
nehmen abzuschließen.“
Rahmenvereinbarung geplant ist.
Angaben zum Preis, also z.B. Abrechnung nach Stunden, Ab- „… bei Abnahme von bis zu 150
rechnung nach Stück. Hier ist auch der Platz, um Staffelpreise Stk. soll der im Folgenden einzuabzufragen und damit ungewöhnlichen Wagnissen vorzubeugen tragende Preis gelten [Feld zum
(vgl. hierzu Rn. 12).
Eintragen des Preises], Bei Abnahme von mehr als 150 Stk. soll
…“
11 Nach den Maßstäben des Vertragsrechts enthält eine Rahmenvereinbarung noch nicht alle wesentlichen Bestandteile (essentialia negotii). Bevor aufgrund einer Rahmenvereinbarung ein
wirksamer Vertrag zustande kommt, bedarf dieser jeweils einer Konkretisierung. Diese Konkretisierung erfolgt im Rahmen der konkreten Einzelbeschaffung aufgrund des Rahmenvertrages,
entweder im Rahmen des Wettbewerbs (bei mit mehreren Bieten abgeschlossener Rahmenvereinbarung) oder im Rahmen der Beauftragung (wenn die Rahmenvereinbarung mit nur einem
Bieter abgeschlossen wurde).
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II. Angaben zum Preis
12 Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SektVO werden in einer Rahmenvereinbarung die „Bedingungen für Einzelaufträge …, insbesondere über den in Aussicht genommenen Preis“ festgelegt. Mit dieser
schwer verständlichen Formulierung soll klargestellt werden, dass nicht immer der Preis bereits
in der Rahmenvereinbarung festgelegt werden kann. In bestimmten Fällen genügt es, wenn die
Berechnungsmethode (z.B. Abrechnung nach Stunden, Abrechnung nach Stück) bestimmt wird.
Der Preis für die späteren Einzelaufträge braucht dann noch nicht abschließend angegeben
werden.
13 Insbesondere wenn eine Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen abgeschlossen wird,
wäre eine abschließende Abfrage des Preises zum Zeitpunkt des Abschlusses der Rahmenvereinbarung in einigen Fällen auch nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Die Entscheidung, welches
Unternehmen den konkreten Einzelauftrag erhält, kann nämlich erst nach einem Preiswettbewerb
betreffend den konkreten Einzelauftrag getroffen werden.
14 Auch wenn Staffelpreise abgefragt werden, ist eine abschließende Klärung des Preises eines
konkreten Einzelauftrags zum Zeitpunkt des Abschlusses des Rahmenvertrages nicht möglich.
Der Preis des konkreten Einzelauftrags wird schließlich erst anhand der nachgefragten Mengen
und der vereinbarten Staffelpreise ermittelt.
15 Praxistipp: Rahmenvereinbarungen werden insbesondere dort geschlossen, wo sich nur minimales
und maximales Auftragsvolumen vorhersagen lassen. Vor diesem Hintergrund kann es empfehlenswert sein mit dem Angebotsvordruck Staffelpreise abzufragen. Dies erschließt dem Auftraggeber die Chance bei höherer Nachfrage günstigere Einzelpreise zu erzielen, weil der Auftragnehmer konkreter kalkulieren kann (Beispiel: Der Stückpreis bei 400 PC wird in der Regel günstiger
ausfallen, als der Stückpreis beim Bezug von 200 PC).
16 Staffelpreise können insbesondere auch dort geboten sein, wo Rahmenvereinbarungen mit
mehreren Unternehmen geschlossen werden. Schließlich muss jedes beteiligte Unternehmen
das Risiko tragen, dass die konkreten Einzelaufträge an die anderen Unternehmen erteilt werden
und sogar – „worst case“ – die Gefahr besteht selbst gar keinen Auftrag zu erhalten. Die mit diesem
Risiko verbundenen Kalkulationsschwierigkeiten können durch die Abfrage von Staffelpreisen
4
zumindest gemindert werden.
III. Mehrzahl von Unternehmen
17 Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VOL/A darf der Rahmenvertrag ausdrücklich mit mehreren Unternehmen
geschlossen werden. Es ist also nicht erforderlich, sich mit einem Rahmenvertrag exklusiv an nur
ein Unternehmen zu binden. Es ist vielmehr zulässig, über eine Leistung auch Rahmenvereinbarungen mit einer Mehrzahl verschiedener Unternehmen zu schließen.
18 Ein Beispiel für derartige Rahmenvereinbarungen mit mehreren Auftragnehmern bieten die Rabattverträge für generische Arzneimittel. Bei diesen nicht mehr patengeschützten Arzneimitteln
stehen den Krankenkassen mehrere Anbieter zur Verfügung. Um die Versorgungssicherheit zu
erhöhen und gleichzeitig die ärztliche Therapiefreiheit zu gewährleisten, werden dabei Rabattver5
träge mit mindestens drei Auftragnehmern abgeschlossen.
4
VK Bund v. 24.06.2011 - 2 - 58/11 - Arzneimittelrabattverträge.
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VK Bund v. 24.06.2011 - 2 - 58/11 - Arzneimittelrabattverträge.
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19 Entsprechend dem auch unterhalb der Schwellenwerte geltenden Wettbewerbsprinzip (vgl. § 2
Abs. 1 VOL/A) müssen die konkreten Einzelleistungen dann jeweils im Wettbewerb vergeben
werden. In der Regel wird hier ein Preiswettbewerb ausreichen. Schließlich müssten die anderen
Modalitäten (bis auf ggf. konkreten Leistungszeitpunkt und Leistungsort) bereits durch die Rahmenvereinbarung festgeschrieben sein.
20 Praxistipp: Für den Wettbewerb um den konkreten Einzelauftrag ist kein förmliches Verfahren
geregelt – und es ist auch keines erforderlich. Daher reicht in der Regel meist auch eine einfache
Preisabfrage aus. Auch die Ergebnisse eines derartigen nicht förmlichen Wettbewerbs sollten
aber zumindest dokumentiert werden.
21 Legt man die vorstehenden Maßstäbe zugrunde, erweist sich die gegenwärtige Praxis der Krankenkassen beim Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen betreffend generischer Arzneimittel
als problematisch: Nach dem sog. Mehr- oder Drei-Partner-Modell schließen die Krankenkassen
Rahmenvereinbarungen mit den drei bestplatzierten Anbietern des jeweiligen Produktes ab. D.h.,
es wird die Rahmenvereinbarung nicht nur mit dem günstigsten, sondern auch mit beiden nächst
platzierten Unternehmen geschlossen. Welches Arzneimittel im konkreten Einzelfall an den Patienten herausgegeben wird, entscheiden Arzt und Apotheker, ohne dass dabei nochmals ein
Preiswettbewerb stattfindet. D.h., dass es keinesfalls gesichert ist, dass die Arzneimittel bei dem
günstigsten Anbieter abgenommen werden. Das LSG Nordrhein-Westfalen sah dies im Jahr 2009
6
vergaberechtlich als nicht problematisch. Seit dem 01.01.2011 sind aber die Landesozialgerichte
nicht mehr zuständig (zum Zuständigkeitswechsel vgl. die Einleitung VergR Rn. 37.1). VK Bund
tendiert jedoch in einem Beschluss aus dem Sommer 2011 dazu, dies als vergaberechtlich unzu7
lässig einzuordnen. Doch dieser Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Klarheit wird daher erst
eine Entscheidung des OLG Düsseldorf bringen. Im Rahmen der Kommentierung zu § 4 EG VOL/A
wird ein Vorschlag für eine vergaberechtlich rechtssichere Lösung unterbreitet, die zugleich die
ärztliche Therapiefreiheit gewährleistet (vgl. die Kommentierung zu § 4 EG VOL/A 2009 Rn. 28).
22 Nicht zulässig ist es, die Rahmenvereinbarung mit allen in Betracht kommenden potentiellen
8
Auftragnehmern abzuschließen.
23 Praxistipp: Der Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen hat Auswirkungen für die Abnahmeverpflichtung (vgl. hierzu Rn. 36). Dem Vorwurf, den Unternehmen ein ungewöhnliches kalkulatorisches Risiko aufzuerlegen, weil die Abnahme in einem Mehr-Partner-Modell
nicht gesichert ist, kann durch die Abfrage von Staffelpreisen vorgebeugt werden.
9
C. Verbot des Abschlusses mehrerer Rahmenvereinbarungen (Absatz 1 Satz 3)
24 Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 VOL/A dürfen nicht mehrere Rahmenverträge über die gleiche Leistung
geschlossen werden. Eine derartige Konstellation zeigt das folgende Beispiel: Eine Gemeinde
will insgesamt 50 PCs beschaffen. Sie schließt dazu jeweils einen Rahmenvertrag „über bis zu 50
PC“ mit den beiden örtlichen EDV-Systemhäusern.
6
LSG Nordrhein-Westfalen v. 03.09.2009 - L 21 KR 51/09 SFB - Arzneimittelrabattverträge.
7
VK Bund v. 24.06.2011 - VK 2 - 58/11 - Arzneimittelrabattverträge.
8
VK Bund v. 06.07.2011 - VK 3 - 80/11 - Arzneimittelrabattverträge mit allen Herstellern.
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VK Bund v. 24.06.2011 - VK 2 - 58/11 - Arzneimittelrabattverträge.
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§ 4 VOL/A 2009
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25 Bei § 4 Abs. 1 Satz 3 VOL/A handelt es sich um eine besondere Ausgestaltung des Transparenzprinzips und des Verbots, den Bietern ungewöhnliche Wagnisse aufzuerlegen, deren Auswirkungen
sie nicht für ihre Kalkulation einschätzen können. Würde nämlich der Auftraggeber betreffend die
gleiche Leistung mehrere Rahmenverträge abschließen, würde der Auftraggeber zumindest gegenüber einem Unternehmen seine Abnahmeverpflichtung verletzen (vgl. hierzu Rn. 34). Im
Beispiel der beiden EDV-Systemhäuser hat nämlich jedes einen Anspruch darauf, dass „bis zu 50
PC“ bei ihm erworben werden. Eine Beschaffung einer Teilmenge der 50 PCs bei einem der beiden
Unternehmen würde zugleich die Abnahmeverpflichtung zugunsten des anderen Unternehmens
verletzen.
10
26 Praxistipp: Freilich kann es – z.B. wegen der Versorgungssicherheit – geboten sein, mehrere
Vertragspartner zur Verfügung zu haben. In diesem Fall dürfen aber nicht mehrere Rahmenverträge
abgeschlossen werden, sondern es ist zulässig, einen Rahmenvertrag mit mehreren Auftragnehmern abzuschließen (vgl. hierzu Rn. 31).
D. Maximale Vertragslaufzeit (Absatz 1 Satz 4)
27 In Rahmenvereinbarungen dürfen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 4 VOL/A in der Regel keine Laufzeiten
von über 4 Jahren vereinbart werden.
28 Längere Vertragslaufzeiten dürfen nur in seltenen Ausnahmefällen vereinbart werden, wenn
dies durch den „Auftragsgegenstand oder besondere Umstände“ gerechtfertigt ist. Denkbar kann
dies sein, wenn für die Vertragsdurchführung zwingend erhebliche Investitionen erforderlich sind,
deren Amortisation innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren nicht erwartet werden kann. Gerade
im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 4 VOL/A – unterhalb der Schwellenwerte – sind solche
investitionsintensiven Aufträge kaum zu erwarten.
29 Praxistipp: Insbesondere bei Vertragslaufzeiten von über zwei Jahren kann die Notwendigkeit
einer Preisanpassung auftreten. Wenn Vertragslaufzeiten über zwei Jahre nicht zu vermeiden
sind, sollte daher eine Preisgleitklausel vereinbart werden (vgl. die Kommentierung zu § 9
VOB/A 2009 Rn. 156 ff. und die Kommentierung zu § 4 VOB/A 2009 Rn. 53).
30 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es auch spezialgesetzliche Vorschriften zu den zulässigen
Vertragslaufzeiten gibt. Ein Beispiel bieten die Arzneimittelrabattverträge, für die eine Vertragslaufzeit von zwei Jahren festgeschrieben wird (§ 130a Abs. 8 Satz 6 SGB V).
E. Mehrzahl von Auftraggebern (Absatz 2)
31 Bereits § 4 Abs. 1 Satz 1 VOL/A stellt ausdrücklich klar, dass die Rahmenvereinbarung auch von
mehreren Auftraggebern mit mehreren Unternehmen abgeschlossen werden kann. Daher sind
auch gemeinschaftliche Beschaffungen durch eine Mehrzahl von Auftraggebern (z.B. zur Beschaffung von Softwarelizenzen: Microsoft Select Verträge auf Bundes- oder Landesebene; gemeinsame Beschaffung von Schutzwesten durch mehrere Polizeibehörden) aus vergaberechtlicher
Sicht ausdrücklich zulässig.
10
LSG Nordrhein-Westfalen v. 03.09.2009 - L 21 KR 51/09 SFB - Arzneimittelrabattverträge; VK Bund v. 24.06.2011 - VK 2 - 58/11 Arzneimittelrabattverträge.
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32 In § 4 Abs. 2 VOL/A wird festgeschrieben, dass die „Erteilung von Einzelaufträgen nur zulässig
zwischen den Auftraggebern die ihren voraussichtlichen Bedarf für das Vergabeverfahren
gemeldet haben und den Unternehmen, mit denen die Rahmenvereinbarung abgeschlossen
11
wurde“. Praktisch bedeutet dies, dass jeder Auftraggeber hinreichend deutlich namentlich ge12
nannt werden muss.
33 Praxistipp: Jede gemeinschaftliche Beschaffung einer Mehrzahl von Auftraggebern ist eine Einkaufgemeinschaft. Dies gilt in besonderem Maß auch für gemeinsam abgeschlossene Rahmenvereinbarungen. Denn Rahmenvereinbarungen wohnt schon aufgrund der Bündelung einer Vielzahl
von Einzelbeschaffungen über einen längeren Zeitraum eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung
inne. Daher muss insbesondere beim Abschluss von Rahmenvereinbarungen durch eine Mehrzahl
von Auftraggebern das allgemeine Wettbewerbsrecht (insbesondere §§ 19, 20 GWB) beachten
werden. Wenn die Einkaufsgemeinschaft aus öffentlichen Auftraggebern ein Nachfragekartell
13
bildet, kann sie gegen das Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen verstoßen.
F. Abnahmeverpflichtung des Auftraggebers
34 Manche Auftraggeber gehen davon aus, dass es keine Abnahmeverpflichtung aufgrund eines
Rahmenvertrages gäbe. In den Vergabeunterlagen finden sich dann Formulierungen wie „eine
14
Abnahmeverpflichtung besteht nicht“.
Dies stimmt in dieser Allgemeinheit jedoch nicht. Ganz
klar ist dabei die Rechtslage, wenn die Rahmenvereinbarung nur mit einem Unternehmen
geschlossen wurde und eine Mindestabnahmemenge bestimmt wurde: Der Auftraggeber ist
verpflichtet bis zum Ende der Vertragslaufzeit die Mindestabnahmemenge abzunehmen. Erfüllt
der Auftraggeber diese Verpflichtung nicht, hat der Unternehmer einen Schadensersatzanspruch
(§§ 280, 281 BGB).
35 Wenn ausnahmsweise keine Mindestabnahmemenge definiert wurde, weil der Bedarf durch
externe Faktoren, z.B. Wetter oder Grippewellen, bestimmt wird, gibt es auch keine Abnahmever15
pflichtung. Allerdings ist der Auftraggeber verpflichtet, genaue Daten zu den Erfahrungswerten
vergangener Referenzzeiträume herauszugeben, um den Bietern eine Prognose des Bedarfs zu
ermöglichen (vgl. hierzu Rn. 8).
36 Komplizierter wird die Rechtslage, wenn die Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen
abgeschlossen wird. Auch in diesem „multilateralen“ Vertragsverhältnis ist der Auftraggeber verpflichtet, bis zum Ende der Vertragslaufzeit in der Summe die Mindestabnahmemenge abzunehmen.
Jedoch besteht gegenüber einem einzelnen Unternehmen keine Abnahmeverpflichtung. Es ist
also theoretisch denkbar, dass bei einer Rahmenvereinbarung, die mit mehreren Unternehmen
abgeschlossen wird, ein Unternehmen „leer“ ausgeht, also keinerlei Einzelauftrag erhält. Dieses
Unternehmen hat grundsätzlich keine Ansprüche auf Abnahme oder Schadensersatz wegen
Nichterfüllung gegen den Auftraggeber.
11
Hervorhebung durch den Verfasser.
12
Zeiss, Sichere Vergabe unterhalb der Schwellenwerte, 2010, S. 116 f.
13
BGH v. 12.11.2002 - KZR11/01 - BGHZ 152, 347 - Feuerlöschzüge.
14
VK Thüringen v. 10.06.2011 - 250-4003.20-2151/2011-E-003-EF - Auftausalz.
15
VK Thüringen v. 10.06.2011 - 250-4003.20-2151/2011-E-003-EF - Auftausalz; LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.02.2010 - L 21 SF 38/10
Verg - Arzneimittelrabattvertrag Grippemittel.
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37 Notwendig ist aber, dass die Kriterien, nach denen ein Einzelauftrag vergeben wird, nichtdiskriminierend und transparent sind. Jedes Unternehmen muss wissen, warum es den konkreten Einzelauftrag nicht erhält. Diese notwendige Transparenz gewährleistet ein (nichtförmlicher) Wettbewerb
um den Einzelauftrag (vgl. hierzu Rn. 21). Die Zuschlagskriterien betreffend den Einzelauftrag
sollten schon im Rahmen der Ausschreibung der Rahmenvereinbarung bekannt gemacht werden.
G. Ausblick
38 Die Regelungen für Rahmenvereinbarungen (§ 4 VOL/A, § 4 EG VOL/A, § 9 SektVO) sollten
oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte in ihrem Wortlaut weiter angeglichen werden, weil es
keine sachliche Begründung für die teilweise unterschiedlichen Formulierungen und die differenzierte Regelungstiefe gibt.
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