Stellungnahme des WBGU zur naionalen Nachhaltigkeitsstrategie
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Stellungnahme des WBGU zur naionalen Nachhaltigkeitsstrategie
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen WBGU Stellungnahme des WBGU zum Entwurf der Bundesregierung für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie "Perspektiven für Deutschland" (Stand Dezember 2001) Geschäftsstelle WBGU Reichpietschufer 60–62, 8. OG 10785 Berlin Tel: 030 263948 0 Fax: 030 263948 50 Email: wbgu@wbgu.de Web: www.wbgu.de Berlin, den 4.3.2002 Inhalt 1 Beteiligung verbessern 2 2 Ökologische und soziale Leitplanken berücksichtigen 2 3 Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen globaler Strukturpolitik wahrnehmen 3 4 Ziele und Indikatoren überarbeiten 4 Ziele 4 Indikatoren 5 Ausblick 6 5 Der WBGU begrüßt, dass die von der Bundesregierung zur Diskussion gestellte nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu einer Wiederbelebung der Nachhaltigkeitsdebatte geführt hat. Damit kommt Deutschland seiner 1992 auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) eingegangenen internationalen Verpflichtung nach. Mit dem Staatssekretärsausschuss und dem Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) sind in den letzten zwei Jahren wichtige zusätzliche Institutionen zur Förderung des Dialogs um nachhaltige Entwicklung geschaffen worden. Besonders begrüßt der WBGU, dass sich die Bundesregierung für die Stärkung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen einsetzen will mit der Perspektive, es zu einer Weltumweltorganisation fortzuentwickeln. Auch die Themenwahl für den WSSD findet die Zustimmung des WBGU. Insgesamt sind die globalen Bezüge im Strategieentwurf deutlich sichtbar. WBGU 1 Stellungnahme Nachhaltigkeitsstrategie Beteiligung verbessern Da erst im neunten Jahr nach dem Erdgipfel von Rio de Janeiro mit der Erarbeitung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie begonnen wurde, und diese zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (WSSD) in Johannesburg (August 2002) vorgelegt werden soll, findet der öffentliche Dialog unter beträchtlichem Zeitdruck statt. Hierin sieht der WBGU ein großes Defizit, weil in so kurzer Zeit kaum die in der Agenda 21 geforderte Einbindung der gesellschaftlichen Gruppen organisiert werden kann. Daher handelt es sich bei der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie im derzeitigen Stadium vor allem um ein Programm der Exekutive. Insbesondere ist die unzulängliche Einbindung des Bundestags sowie der Länder und Kommunen zu kritisieren. Um den Diskurs über nachhaltige Entwicklung auch den Bürgern näher zu bringen, ist nach Auffassung des WBGU eine deutliche Stärkung der Öffentlichkeitswirksamkeit notwendig. Im Strategieentwurf fehlt der Hinweis auf Interessen- und Zielkonflikte zwischen potenziellen Gewinnern und Verlierern einer Transformation in Richtung nachhaltige Entwicklung. Der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung ist nicht immer und nicht für alle Akteure eine WinWin-Situation. Daraus ergeben sich Blockaden, die durch Dialog- und Kompensationsstrategien für die zu erwartenden Ziel- und Verteilungskonflikte antizipiert und angegangen werden sollten. Der Wissenschaft wurde in diesem Prozess keine angemessene Mitwirkungsmöglichkeit eingeräumt. Ihre Einordnung als eine von vielen gesellschaftlichen Interessengruppen wird ihrer Rolle als Lieferant von Grundlagen- und Steuerungswissen für die gesellschaftliche Transformation in Richtung nachhaltige Entwicklung nicht gerecht. Ohne eine breite gesellschaftliche Unterstützung läuft die Nachhaltigkeitsstrategie Gefahr, bloßes Regierungsprogramm zu bleiben. 2 Die Ökologische und soziale Leitplanken berücksichtigen vier für diese Strategie (Generationengerechtigkeit, Verantwortung) nennen neu sozialer die definierten Zusammenhalt, Kategorie "Umwelt" Koordinaten der Nachhaltigkeit Lebensqualität, internationale nicht. Weder die Koordinate "Generationengerechtigkeit" noch die Koordinate "Lebensqualität" sind nach Meinung des WBGU ein vollständiger Ersatz für den Begriff des Umweltschutzes. Zwar ist der Erhalt der 2 WBGU Stellungnahme Nachhaltigkeitsstrategie natürlichen Lebensgrundlagen immer wieder im Strategieentwurf erwähnt, es fehlt hier jedoch die programmatische Schärfe, die diesem Ziel als Grundvoraussetzung für jede menschliche Entwicklung zukommen sollte. Deshalb sollte eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen als eine zentrale Koordinate definieren. Der WBGU hat sein Nachhaltigkeitsverständnis ausgehend von nicht tolerierbaren Zuständen oder Leitplanken für eine nachhaltige Entwicklung formuliert. Diese Leitplanken begrenzen das Handlungsfeld der zulässigen Entwicklungen. Die Attraktivität dieses Ansatzes liegt in der Offenheit für den gesellschaftlichen Suchprozess, denn solange die Leitplanken nicht durchbrochen werden, bleibt die Entwicklung im nachhaltigen Bereich. Das im Strategieentwurf formulierte Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung sollte sich an ökologischen und sozioökonomischen Leitplanken orientieren, d.h. sich im Handlungsraum zwischen maximal tolerabler Umweltbelastung und Sicherung der Grundbedürfnisse aller Menschen bewegen. 3 Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen globaler Strukturpolitik wahrnehmen Der WBGU begrüßt, dass die internationale Verantwortung im Strategieentwurf an mehreren Stellen aufgegriffen wurde. Zwar werden sowohl Chancen als auch Risiken der Globalisierung angesprochen, aber es fehlen konkrete Maßnahmen, wie man die ungleiche Verteilung ihrer Vorteile abmildern und die ökologischen Folgen bewältigen kann. Angesichts der dramatischen Auswirkungen von Finanzkrisen auf die Handlungsfähigkeit einzelner Länder, ihre Umweltpolitik und die Lebenssituation der Bevölkerung sollte die Nachhaltigkeitsstrategie konkrete Vorschläge für eine Reregulierung der Finanzmärkte im Sinne von mehr Transparenz und Stabilität benennen. Es sollte gezeigt werden, wo Deutschland im Rahmen der globalen Strukturpolitik seine Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen will (z. B. durch Vorschläge für Haftungsregelungen). Der Aspekt der intragenerationalen Gerechtigkeit kommt ebenfalls zu kurz. Die Koordinate der "Generationengerechtigkeit" sollte auch die Gerechtigkeit zwischen den heute lebenden Generationen thematisieren. Es wird das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Armutsbekämpfung erwähnt, die unzureichende Entwicklungsfinanzierung wird jedoch nicht angemessen behandelt. Zwar wird festgestellt, dass die jetzige und frühere Bundesregierungen seit Jahren das 0,7%-Ziel für die Bereitstellung von Entwicklungsfinanzierung verfehlt haben, aber es wird kein verbindlicher Zeit- und Maßnahmenplan benannt. Beispielsweise ist in der 3 WBGU Stellungnahme Nachhaltigkeitsstrategie EU die stufenweise Annäherung an das 0,7%-Ziel bis 2015 in der Diskussion. Auch sollte das vom WBGU unterstützte, 1995 auf dem Weltsozialgipfel vereinbarte Ziel, jeweils 20% der offiziellen Entwicklungsleistungen der Geberländer und 20% des nationalen Budgets der Empfängerländer für soziale Grunddienste aufzuwenden, in die Strategie aufgenommen werden. Der WBGU hat in seinem jüngsten Sondergutachten die Erhebung von Nutzungsentgelten für globale Gemeinschaftsgüter empfohlen. Nutzungsentgelte schließen bedenkliche Regelungslücken auf internationaler Ebene, die zur Übernutzung globaler Gemeinschaftsgüter wie des internationalen Luftraums und der Hohen See führen. Über das zu entrichtende Entgelt werden ökologische Lenkungswirkungen erzeugt. Nutzungsentgelte mobilisieren darüber hinaus zusätzliche Finanzmittel, die zweckgebunden zur Finanzierung des Erhalts und der Wiederherstellung globaler Gemeinschaftsgüter genutzt werden sollen. Der WBGU empfiehlt, das Konzept der Nutzungsentgelte zu einer bedeutenden Säule globaler Nachhaltigkeitspolitik auszubauen. 4 Ziele und Indikatoren überarbeiten Der WBGU begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung, quantifizierbare Ziele und Indikatoren für die nachhaltige Entwicklung in Deutschland festzulegen. Bei der Auswahl der Indikatoren sieht der WBGU jedoch noch Überarbeitungsbedarf. Insbesondere sollten sich die Indikatoren an ökologischen und sozioökonomischen Leitplanken zur Vermeidung nicht nachhaltiger Entwicklungen orientieren. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Indikatoren sind zur Erfüllung einer solchen Frühwarnfunktion nur teilweise geeignet. Ziele Der WBGU empfiehlt, Ziele und Indikatoren klarer voneinander zu trennen, da ein einzelner Indikator selten geeignet ist, die ganze Komplexität einer Zielsetzung abzubilden. Darüber hinaus sind nur bei rund der Hälfte (12 von 21) der ausgewählten Indikatoren quantifizierte und zeitlich festgelegte Zielmarken vorgegeben worden. Bei der Auswahl der Zieljahre vermisst der WBGU die Langfristorientierung. So enden beispielsweise die Klimaschutzziele bereits im Jahr 2010. Der WBGU erinnert hier an seine Empfehlungen zu langfristigen Klimaschutzzielen für Industriestaaten, die aus der Formulierung von Leitplanken abgeleitet worden sind. Danach sollten Industriestaaten bis 2020 eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 43% gegenüber 1990 anstreben. Deutschland 4 WBGU Stellungnahme Nachhaltigkeitsstrategie sollte seine Vorreiterrolle nicht aufgeben und deshalb mindestens ein Minderungsziel von 45% gegenüber 1990 anstreben. Langfristig müssen Industriestaaten ihre Emissionen bis 2050 um etwa 80% gegenüber 1990 mindern. Der WBGU empfiehlt darüber hinaus klare Zielvorgaben in Bezug auf den Abbau von Subventionen für nicht nachhaltige Energieträger (z. B. für Kohle). Auch fehlen längerfristige Ziele zum Anteil erneuerbarer Energieträger – lediglich eine Verdopplung bis 2010 wird genannt. Da Deutschland derzeit international eine Vorreiterrolle in der Förderung erneuerbarer Energieträger einnimmt, sollte die Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie das bereits vom BMU formulierte Ziel übernehmen, eine Deckung von mindestens 50% des nationalen Energieverbrauchs mit erneuerbaren Energien bis 2050 anzustreben. Für eine Strategie der nachhaltigen Energieversorgung ist auch die "Dekarbonisierung" der Exportfinanzierung unerlässlich. Deshalb sollten konkrete Ziele zur Umlenkung der Mittel weg von konventionellen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energieträgern genannt werden etwa im Rahmen von Richtlinien für staatliche Exportkreditbürgschaften. Indikatoren Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Indikatoren sind nur teilweise geeignet, Fortschritte in Richtung nachhaltiger Entwicklung messbar zu machen. Insbesondere kritisiert der WBGU die zu sektorale Ausrichtung einzelner Indikatoren, die nicht geeignet sind, eine Integration sozialer, ökologischer und ökonomischer Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung zu leisten. So ist zu befürchten, dass ein Erreichen der Zielmarke bei einigen der Indikatoren auf Kosten anderer Dimensionen nachhaltiger Entwicklung erfolgt. Daher sollte bei der Auswahl der Indikatoren nachgebessert werden. Im folgenden einige Beispiele: • Die Steigerung der Einfuhren aus den Entwicklungsländern kann unter Umständen mit sozialer Ausbeutung und dem Verlust biologischer Vielfalt in den entsprechenden Ländern erkauft werden. • Das Ziel, die Wirtschaftsleistung "umwelt- und sozialverträglich" zu steigern, lässt sich nicht allein mit dem Bruttoinlandsprodukt messen, es müssen andere Indikatoren hinzukommen. Die Bemessung des BIP pro Kopf verdeckt zum Beispiel, dass der erwirtschaftete Wohlstand innerhalb der Gesellschaft sehr ungleich verteilt ist. • Für das Ziel "Arten erhalten – Lebensräume schützen" scheint der international anerkannte und umfassendere Begriff "Erhalt der biologischen Vielfalt" als Überschrift 5 WBGU Stellungnahme Nachhaltigkeitsstrategie besser geeignet als "Artenvielfalt". Das bereits im Bundesnaturschutzgesetz festgeschriebene Flächenschutzziel von mindestens 10% für den Biotopverbund sollte an dieser Stelle explizit genannt werden. Um den Beitrag Deutschlands zu diesen Zielen abzubilden, ist der aus Bestandszahlen einiger ausgewählter Vogelarten zusammengesetzte Indikator allein unzureichend. Weltweit gesehen ist biologische Vielfalt vor allem in Entwicklungsländern anzutreffen und gefährdet. Eine Nachhaltigkeitsstrategie sollte hierauf eingehen und die Verknüpfung mit globalen Umweltpolitiken herstellen. Nicht zuletzt bemängelt der WBGU, dass selbst dort, wo konkrete Zielmarken benannt sind, nur in wenigen Fällen die dazugehörenden Maßnahmen angeführt sind, die eine Zielerreichung sicherstellen sollen. 5 Ausblick Der vorgelegte Entwurf für eine deutsche Nachhaltigkeitsstrategie betont in seiner jetzigen Form zu stark die aktuellen Reformprojekte der rot-grünen Bundesregierung in der Agrar-, Energie- und Haushaltspolitik. Eine überarbeitete Fassung sollte Ziele und Maßnahmen benennen, die weit über die aktuelle Legislaturperiode hinaus weisen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass für alle Ziele ein Zeitrahmen sowie dazugehörenden Maßnahmen benannt werden. Der WBGU erinnert in diesem Zusammenhang an die international vereinbarten Ziele im Rahmen des Rio-Folgeprozesses, von denen einige noch auf ihre Umsetzung warten. Der WBGU ist gerne bereit, zur Fortentwicklung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie beizutragen. In diesem Zusammenhang verweist der WBGU auf sein im Oktober 2001 erschienenes Politikpapier zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung "Die Chance von Johannesburg – Eckpunkte einer Verhandlungsstrategie" sowie auf sein soeben der Bundesregierung überreichtes Sondergutachten "Entgelte für die Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter". Literatur WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2002): Entgelte für die Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter. Sondergutachten. Berlin: WBGU. 52 Seiten, ISBN 39807589-7-4. Internet: http://www.wbgu.de/wbgu_sn2002.html. WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2001): Die Chance von Johannesburg: Eckpunkte einer Verhandlungsstrategie. WBGU Politikpapier 1 zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (WSSD) in Johannesburg. Berlin: WBGU. 24 Seiten, ISBN 3-9807589-5-8. Internet: http://www.wbgu.de/wbgu_pp2001.html. 6