Lockmittel für Ärzte

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Lockmittel für Ärzte
Süddeutsche Zeitung vom 09.08.2016
Seite:
Ressort:
16
Wissen
Ausgabe:
Hauptausgabe
Lockmittel für Ärzte
Pharmafirmen fördern weiterhin fragwürdige Studien
Trotz anhaltender Kritik setzt die
Pharma-Industrie weiter auf die umstrittenen "Anwendungsbeobachtungen" von
bereits zugelassenen Medikamenten. Im
vergangenen Jahr liefen bundesweit
etwa 600 solcher Studien, mehr als 150
wurden neu begonnen. Das geht aus
einer Recherche von NDR, WDR und
Süddeutscher Zeitung in Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Recherchebüro Correctiv hervor. Die Anwendungsbeobachtungen, kurz AWBs, stehen seit Jahren in der Kritik, da ihr
Erkenntniswert in vielen Fällen gering
ist. Gleichwohl erhalten Ärzte ein Honorar vom Hersteller eines Präparats, wenn
sie die Wirkung der Arznei protokollieren. Kritiker wie der Vorsitzende der
Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, plädieren daher für ein Verbot. Einige
AWBs seien "eindeutiges Marketing",
sagte Ludwig. Für die teilnehmenden
Ärzte kann ein möglicher Anreiz darin
bestehen, das zu beobachtende Medikament vermehrt zu verschreiben, schließlich wird pro Patient honoriert.
Nach
Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der alle derartigen Studien
gemeldet werden müssen, nahm 2015
etwa jeder zehnte niedergelassene Arzt
in Deutschland teil (13 000 Mediziner),
darüber hinaus etwa 4000 Klinikärzte.
Die Zahl der umstrittenen Beobachtungen ist zudem höher, als es der Verband
der forschenden Arzneimittelhersteller
(VfA) angibt. Dieser teilte im Juli mit,
seine Mitgliedsunternehmen hätten 2015
lediglich 37 sogenannte nicht-interventionelle Studien (NIS) initiiert. NIS ist
ein Oberbegriff, unter den sowohl die
AWBs als auch sogenannte Unbedenklichkeitsprüfungen fallen, welche die
Behörden vorschreiben. Den Recherchen zufolge haben die MitgliedsunterUrheberinformation:
nehmen des Verbands im vergangenen
Jahr aber allein 50 AWBs auf den Weg
gebracht, hinzu kommen fast 30 Unbedenklichkeitsprüfungen.
Konfrontiert mit diesen Angaben hat der
Pharma-Verband die Zahl der von seinen Mitgliedern begonnenen AWBs
korrigiert, er berichtet nun von 41 Studien. Wie die umstrittenen AWBs in der
Praxis umgesetzt werden, kann am Beispiel der Pharmakonzerne Novartis und
Pfizer nachvollzogen werden. Das
Schweizer Unternehmen Novartis hat
2015 in Deutschland zwölf AWBs
begonnen, mehr als jeder andere Konzern. In einer dieser Beobachtungsstudien geht es darum, wie Multiple-Sklerose-Patienten reagieren, die von einem
anderen Medikament auf das NovartisPräparat Gilenya umgestellt werden.
Dies soll an 1500 Patienten über einen
Zeitraum von drei Jahren beobachtet
werden. Pro Patient zahlt Novartis den
teilnehmenden Ärzten bis zu 2965 Euro.
Das Unternehmen teilte dazu mit, die
Aufwandsentschädigungen seien "ausschließlich sachbezogen und in der
Höhe angemessen".
Der amerikanische Konzern Pfizer hat
im April 2015 eine AWB zu seinem
Rheuma-Mittel Enbrel begonnen - 15
Jahre nachdem das Medikament zugelassen wurde und kurz bevor erste Konkurrenz-Mittel auf den Markt kamen.
Bis zu 300 Ärzte sollen daran teilnehmen, sie bekommen 650 Euro pro Patient. Diese Studie sei ganz eindeutig ein
Marketinginstrument, sagt der Gesundheitsökonom Bernd Mühlbauer. Es sei
sicher überhaupt kein wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten. Pfizer sagt, es gehe um die "Überprüfung
von Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit" von Enbrel. Die Arbeit der
Ärzte werde "fair und nach nachvoll-
ziehbaren Kriterien vergütet".
Erst vor wenigen Wochen hat die
Pharma-Industrie in Deutschland eine
Transparenzinitiative begonnen. Mehrere Dutzend Unternehmen legten
Berichte vor, wie viel Geld sie 2015 an
Mediziner und Kliniken überwiesen
haben. Allerdings wurden die Budgets
für die umstrittenen AWBs nicht gesondert ausgewiesen und stattdessen in der
Sammelkategorie "Forschung und Entwicklung" verbucht, die auch die vorgeschriebenen und meist noch deutlich
teureren Zulassungsstudien umfasst. Die
Zahlen ließen "keine Schlüsse zu, wie
viel insgesamt für AWBs bezahlt wurde,
und ob Patienten am Ende Medikamente bekommen haben, die sie sonst
nie bekommen hätten", sagt der SPDGesundheitsexperte Karl Lauterbach.
AWBs, die von den Unternehmen freiwillig begonnen werden, sind für ihn
eine "legale Form der Korruption" und
sollten verboten werden. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Union im
Bundestag, Maria Michalk (CDU), kritisiert, dass die jüngste Transparenzinitiative der Pharma-Industrie zu wenig
gebracht habe. "Die Freiwilligkeit hat
offenbar Lücken, wir werden das jetzt
weiter beobachten", sagte sie. Eine mögliche Lösung bestehe darin, dass die
Konzerne gesetzlich verpflichtet werden, ihre Zahlungen an Ärzte für AWBs
offenzulegen. Die USA seien ein "Vorbild", so Michalk, dort müssen Unternehmen detailliert Rechenschaft über
ihre Zahlungen ablegen.
K. B. BECKER, M. GRILL
Seite 4
15 Jahre nach der Zulassung soll
plötzlich ein gängiges Rheumamittel
überprüft werden
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