Das Lesetagebuch – Eine Möglichkeit individueller Lernförderung
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Das Lesetagebuch – Eine Möglichkeit individueller Lernförderung
Das Lesetagebuch – Eine Möglichkeit individueller Lernförderung Am Beispiel von Max Frisch, Andorra, Jahrgang 9, Fach Deutsch, Gymnasium Autorin: Karin Deppe, Gymnasium am Markt in Bünde Die Führung eines Lesetagebuches bietet den Schüler/innen je nach ihren Kompetenzen individuelle, unterschiedliche Einstiegs- und Erarbeitungsmethoden einer Lektüre. Während im Unterricht mehrere thematische Bausteine1 im Plenum bzw. in Einzel-, Partnerund Gruppenarbeit erarbeitet werden, bietet das Lesetagebuch die Möglichkeit, Ansatzpunkte für individuelle Lernförderung zu sein. Die Schüler/innen erhalten einen individuellen Zugang zum Werk durch selbst gesetzte Schwerpunkte und Methoden der Bearbeitung2. Je nach Lerntyp 3 sind unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zur Erschließung des Werkes und unter besonderer Berücksichtigung der jeweils individuellen Voraussetzungen des Srs denkbar: a) Musikalisch – rhythmischer Lerntyp (der am besten mit Klangmustern lernt): wählt ggf. passende Musik für das Theaterstück aus, sucht sich Lieder zu den Schwerpunktthemen heraus, legt Hörbücher an. b) Visuell - räumlicher Lerntyp (der am besten durch Sehen oder Veranschaulichen lernt): stellt ggf. gerne Cartoons, Zeichnungen etc. dar oder wählt passende Kunstwerke (Malereien, darstellende Kunst etc) aus; gestaltet Cluster, Mindmap, arbeitet mit farbiger Gestaltung, fotografiert passende Bilder. c) Körperlich - bewegungsbezogener Lerntyp (der sich bewegen und spüren muss): überlegt sich Standbilder zu bestimmten Themen des Werkes, arrangiert sich mit einer anderen Kleingruppe für eine szenische Erarbeitung; arbeitet pantomimische Einlage aus; bearbeitet eine Szene und gestaltet sie inhaltlich neu; beschreibt Karteikarten mit Wesentlichem für eine Präsentation. d) Verbal – sprachlicher Lerntyp (der besonders gut denken kann, wenn er liest oder auf Sprache hört): schreibt ggf. einen Brief an den Theaterregisseur C. Peymann; wird gern eine Textanalyse zu einer Szene schreiben und anschließend präsentieren; recherchiert die Biographie Max Frischs; schreibt ein 25. Bild zu dem Theaterstück „Andorra“; schreibt eine Prosaskizze von diesem Theaterstück; erstellt ein selbst erarbeitetes Arbeitsblatt für die MitschülerInnen; bereitet einen Themenabend für Eltern in der Schule vor. e) Logisch - mathematischer Lerntyp (der am besten mit logischen Abfolgen, strukturiert und organisiert lernt): eine Matrix mit selbst gestellten Aufgabenbereichen wie z.B. Struktur, Form, Sprache, Inhalt des Theaterstückes erstellen; Frageliste zum Werk formulieren; einen Zeit- und Arbeitsplan der Bearbeitung des Werkes aufstellen; Sekundärliteratur zum Werk mit im Unterricht Erarbeitetem vergleichen; Lernplakate und Lerninformationen aufstellen, ggf. in Listen und Kategorien; f) Intrapersoneller Lerntyp (der am besten durch Nachdenken lernt und sich auf sich selbst bezieht): schreibt ggf. Stundenprotokolle oder Gruppenprotokolle; erarbeitet eine Aufgabenstellung in Ruhe und an einem „meditativen“ Ort aus; benötigt ein größeres Zeitkontingent für Bearbeitungen in einer klar strukturierten Umgebung; erarbeitet einen Fragekatalog zum Werk zuhause; benötigt Lernmaterialien, die zugleich eigenständig die Selbstkontrolle liefern können; kann mittels eigener Fehleranalyse seinen Text selbst sehr gut überprüfen; bietet Stärken in der selbstständig geführten Reflexion zur Wirkung des Textes. g) Interpersoneller Lerntyp (der am besten zusammen mit anderen lernt, kann sich auch gut auf die Gefühle und Bedürfnisse anderer einstellen): kann gelungen seine (Selbst-) Erfahrungen mit dem Theaterstück aufschreiben und in die Gesamtgruppe einbringen; übernimmt die Erarbeitung einer Szene und schlüpft in eine Rolle hinein (Barblin etc.); kann kreativ eigene Ideen umsetzen und in Szene setzen; erarbeitet ein Interview für die Klasse zum Inhalt, zur Aussagekraft, zur Wirkung des Werkes; bereitet eine Abschlussdiskussion vor mit Blick auf den Vergleich der Theaterbearbeitung im Unterricht im Vergleich mit der Inszenierung des Berliner Ensembles; Gruppenergebnisse miteinander vergleichen und gemeinsam diskutieren; Schreibkonferenzen zum Thema „Rolle der Andorraner“ formulieren und anschließend gemeinsam erörtern; Hausaufgabenvergleich in einer Kleingruppe; ein weiteres Theaterstück (ggf. von Max Frisch) vorstellen und mit „Andorra“ vergleichen lassen; Bezüge von „Anne Franks Tagebuch“, der Ausstellung „Anne Frank. Ein Mädchen aus Deutschland. Wer bin ich? Was ist mir wichtig? Was geschieht mit mir? Eine Multimedia – Wanderausstellung“ (z. Zt. in Herford) und dem literarischen Werk gemeinsam mit anderen Interessierten herstellen lassen; Am folgenden konkreten Beispiel lässt sich gut verdeutlichen, wie sich die Sr der Klasse selbstständig ihre Aufgabe gesucht, konkretisiert und motiviert er- und bearbeitet haben. Für die nähere Untersuchung der Funktion der Zeugenschranke in diesem dramatischen Werk stellten sich die Schüler/innen folgende unterschiedliche Aufgabenstellung, die sie je nach ihrem Lerntyp individuell aussuchten, spezifizierten und bearbeiteten: a) Welche Gefühle und Gedanken zeigen sich bei dem Tischler / Geselle an der Zeugenschranke und wie drückt sich dies in der Artikulation, Intonation, Betonung aus? (vgl. Anlage 1/ 2) b) Einen Antwortbrief an eine der Personen an der Zeugenschranke schreiben (vgl. Anlage 3) c) Welche Musik unterstreicht die Bedeutung und den Inhalt der jeweiligen Zeugenschranke? (vgl. Anlage 4) d) Wie gestaltest du das Bühnenbild „Zeugenschranke“ und begründe deine Vorstellung? (vgl. Anlage 5) e) Analysiere die Funktion der Zeugenschranke in Max Frischs Drama „Andorra“ (vgl. Anlage 6) Wenn sich der /die SrIn für das Lesetagebuch entweder entsprechend seinem / ihrem Lerntyp oder aufgrund anderer Neigungen Aufgaben heraussucht, wird es anschließend wichtig sein, die Ergebnisse daraufhin zu untersuchen, inwieweit weiterer Bedarf für Lernangebote, Kommunikationsbedarf und Bedarf nach Sicherung der Ergebnisse besteht. Sr könnten selbstständig auf einem Flipchartbogen all das notieren, wozu sie weiterhin noch Fragen haben. Denkbar ist dann, dass die Sr sich selbst Kleingruppen zuordnen und sie arbeitsteilig die Fragen zwecks Beantwortung vorbereiten und dem Plenum präsentieren. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die formulierten Kommunikationsbedarfe zur nächsten Unterrichtsstunde vorzubereiten, in Kleingruppen zu erörtern und anschließend das Diskussionsergebnis als Ergebnisplakat schriftlich zu fixieren. Auf einem „Marktplatz“, ein Gruppensprecher bleibt beim Plakat und steht allen anderen wandernden Interessierten Rede und Antwort, hat jede Gruppe die Möglichkeit, sich über die jeweils anderen Ergebnisse zu informieren. Die Lehrkraft kann sich jetzt ebenfalls von Gruppenstand zu Gruppenstand bewegen und ggf. durch Rückfragen Ergänzungen, Vertiefungen initialisieren bzw. individuellen Förderungsbedarf erkennen und Unterstützung (Fragen, Zusatzmaterial, Lernpartner, Checklisten erarbeiten, Lernberater etc.) leisten. Hier sind Freiräume gegeben, individuelle Fördergespräche in den laufenden Unterricht integrieren zu können. Je nach Ausmaß des Förderbedarfes, können z.B. mit dem situationsgerechten und schüler/innengerechten Einsatz von Lernstrategien4 und dem Lernstrategieprotokoll incl. Gesamtevaluation der Lernetappe5 folgende Fragen beobachtet werden: a) Lerntechniken? b) Lesetechniken? c) Notiertechniken? d) Schreibtechniken? e) Rechtschreibtechniken? f) Hilfsmöglichkeiten zur Weiterentwicklung des Lerntyps: Lernförderliche und lernhemmende Faktoren? g) Konfliktlösungsstrategien? h) Konzentrationsprobleme Die o.g. Hinweise für eine Sr-Selbstreflexion über Lernstrategien können der Arbeit am Lesetagebuch als auch dessen anschließender Arbeitsreflexion dienlich sein. Das Lernstrategieprotokoll bzw. die Bewertung eines Arbeitsprotokolls6, die sich der Arbeit des Lesetagebuches anschließt, kann für ein anschließendes Beratungsgespräch genutzt werden, um weitere individuelle Förderungsmöglichkeiten zu erschließen, abzusprechen und in einem Zeitfenster erneut aufzugreifen. Hat man sich einen Überblick über alle Lesetagebücher und deren Förderungsbedarfe verschafft, lassen sich in Kleingruppen jeweils 1 – 2 Phänomene erneut be-, über- bzw. weiter er -arbeiten. Ggf. könnte es hilfreich sein, den / die Schüler/in an seinen / ihren Lerntyp zu erinnern bzw. diesen wiederholt überprüfen zu lassen und die entsprechenden Lerntypstrategien herausarbeiten und umsetzen zu lassen7 - Lernumfeld positiv gestalten - Sich Unverstandenes anders erklären lassen - Zuerst Lernziele kennen und Lernaufwand bestimmen - Zuerst Überblick, dann Details - Anschaulichkeit hilft Lernstoff aufnehmen und erinnern, mit der Realität verknüpfen - Lernstoff mit vielen Wahrnehmungskanälen aufnehmen Somit kann das Lesetagebuch eine Möglichkeit von individueller Lernförderung sein, die vielfach unterschiedlichen Lerntypen mit unterschiedlichen Lernstrategien entgegenkommt und sie ein literarisches Werk differenziert erschließen lässt. Anmerkungen: 1) Thematische Bausteine: (vgl. u.a. auch „Einfach Deutsch, Unterrichtsmodelle, Andorra – Max Frisch“, erarbeitet von Ute und Udo Volkmann, hrsg. von Johannes Diekhans, Paderborn 2000) 1. 2. 3. 4. 5. 6. Einstieg in das Werk nach Lesen der Ganzschrift: Das 1. Bild als Exposition der Vorausdeutung von Andris Schicksal Andris häusliche Umgebung: Rolle Cans im Zerrspiegel zwischen Lüge und Schuldbewusstsein; Andri und Barblin, eine tragische Liebesgeschichte; die Mutter, unscheinbar, aber stark; Die Rolle der Andorraner: Auseinanderklaffen von Selbstanspruch und Wirklichkeit; Funktion der Zeugenschranken als Demonstrierszenen der Unbelehrbarkeit; Der Verurteilte: Akzeptanz von und Kampf gegen das Anderssein; Folgen der gescheiterten Kommunikation – Gespräch zwischen Andri und seiner leiblichen Mutter; Rolle des Paters in Andris Selbstfindungsprozess; Die Judenschau: Die Judenschau als Kulminationspunkt der Ereignisse; das 12. Bild als Rahmen; Prinzip von Historizität und Aktualität: Besuch des Holocaust – Mahnmals in Berlin; Besuch der Theaterinszenierung „Andorra“ vom Berliner Ensemble unter Claus Peymann, Berlin ...; 2) Das Lesetagebuch: vgl. auch A. Bertschi – Kaufmann / R. Gschwend – Hauser: Jugendliteratur in der Lesewerkstatt. In: Praxis Deutsch 127 / 1994, S. 50 ff; Lesen - Texte bearbeiten, verstehen und nutzen, Petra Druschky / Richard Meier / Christine Stadler, Seelze 2004, S. 106 ff Hinweisblatt zum Lesejournal Was ist ein Lesejournal? Das Lesejournal führst du wie ein Tagebuch, in dem du Ideen, Gedanken, Fragen zu einem Text notierst. Deine Leseeindrücke kannst du auch in einer Skizze oder einer Zeichnung festhalten. Zusätzlich passende Bilder oder Texte z.B. aus Zeitschriften, Photos (und anderes) kannst du jeweils einkleben: Es steht dir frei, wie du dein Lesejournal gestaltest. Die Eintragungen sollen zu dir und den gelesenen Texten passen. Das Lesejournal führst du vor allem für dich selber; deine Lehrerin oder dein Lehrer sollen aber auch darin lesen können. - Mir gefällt, wie der Autor/die Autorin schreibt, weil ... (Seitenzahlen einer besonders guten Textstelle angeben) oder: - Mir gefällt nicht, wie der Autor/die Autorin schreibt, weil ... (Seitenzahlen einer besonders ärgerlichen Textstelle angeben) Wozu führst du das Lesejournal? Während der Eintragung kannst du über eine Geschichte, eine Buchfigur, ein Problem nachdenken und deine eigenen Vorstellungen und Fantasien ausgestalten. Hinterher, wenn du Verschiedenes gelesen hast, kannst du dich mithilfe der Eintragungen besser an die einzelnen Texte erinnern. Deine Lehrerin oder dein Lehrer können Einsicht nehmen und erfahren, was du gelesen und gearbeitet hast. Wie führst du das Lesejournal? Hier ein paar Fragen, auf die du antworten kannst: Worum geht es in diesem Text? Was spricht mich an? Was spricht mich nicht an? (Inhalt, Schreibweise, Umfang des Textes, eine bestimmte Person im Text, ...) Was erwarte ich vom Buch? (Schreibe auf, wenn du vorhast, das Buch zu lesen, wann du mit der Lektüre beginnen wirst. Später machst du eine Eintragung zum Buch.) Wem kann ich das Buch weiterempfehlen? Wenn du ein ganzes Buch liest, kannst du immer wieder kurze Notizen eintragen und diese am Schluss der Lektüre ergänzen: Zum Beispiel: - Worum geht es in diesem Kapitel? - Worum geht es im Buch? - Gedanken nach der Lektüre der Seiten ... - Zeichnungen, Skizzen, passende Fotos (und anderes) zum Thema ... Schreibe zu Beginn der Eintragung jeweils den Autor/die Autorin und den Titel auf und gib die Seitenzahlen im Buch an. Zur besseren Übersicht kannst du die Seiten im Lesejournal im Voraus durchnummerieren. Entscheide jeweils selbst, wie du die Eintragungen gestaltest, wie dein Lesejournal aussehen soll. Aus: A. Bertschi-Kaufmann/R. Gschwend-Hauser: Jugendliteratur in der Lesewerkstatt. In: Praxis Deutsch 127 (1994), S. 50ff. S. 55 3) vgl.: Ellen Arnold, Jetzt versteh ich das. Bessere Lernerfolge durch Förderung der verschiedenen Lerntypen. Mühlheim an der Ruhr, 2000; René Frick, Werner Mosimann, Lernen ist lernbar, Sauerländer Verlag 10. Aufl. 2004, S. 54 ff 4) Situationsgerechter und schülergerechter Einsatz von Lernstrategien Wahl geeigneter Lernstrategien 1. Lernsituation: Lernaufgabe und Lernbedingungen Lernaufgabe Lernziel: Wie lautet das Lernziel? Was soll ich eigentlich lernen? Was wird verlangt? Wie habe ich mir die Aufgabe selbst definiert? Welche Annahmen treffe ich, wenn keine genauen Vorgaben bestehen? ■ Muss ich nur die Hauptgedanken oder auch viele unterstützende Einzelheiten oder sogar Nebensächliches wissen? ■ Was muss ich auswendig können? Was darf ich auch nachschlagen? ■ Wie gründlich muss ich das Wissen verarbeiten (wiedergeben, erklären und begründen, in ähnlichen Situationen anwenden, selbstständig vergleichen und beurteilen usw.)? ■ Welche Schwerpunkte soll die Arbeit behandeln? ■ Wie lautet der Projektauftrag, das Thema? Umfang: Wie umfangreich ist die Lernaufgabe (z.B. Lehrbuchtext, Unterrichtsnotizen, geforderter Umfang des Aufsatzes)? Schwierigkeiten: Welche Schwierigkeiten können auftauchen (z. B. genügend Informationen für einen Aufsatz finden; einen guten Lernpartner finden; die Lehrperson notiert kaum etwas an der Tafel; ich habe die Hausaufgaben nicht selbst gelöst; ich habe offene Fragen immer hinausgeschoben)? Zeit: Wieviel Zeit brauche ich für die Lernaufgabe? Prüfung: In welcher Form (z.B. schriftlich oder mündlich; Bearbeitungs- oder Auswahlaufgaben), wann und in welchem zeitlichen Rahmen wird etwas geprüft? Ist überhaupt mit einer Prüfung zu rechnen? Lernstrategien: Welche Vorgehensweisen werden allgemein empfohlen, um die betreffende Lernaufgabe zu lösen? Lernbedingungen: Welche äußeren Bedingungen und Einschränkungen muss ich berücksichtigen? ■ Welches Material steht mir zur Verfügung? ■ Wie gut wird etwas von der Lehrperson oder im Lehrbuch erklärt? ■ Welche anderen Lernaufgaben habe ich gleichzeitig auch noch? Wie viel Zeit kann/will ich aufwenden? ■ Auf welche Unterstützungen kann ich zählen (Freunde, Eltern, Lehrmeister, Lehrperson)? 2. Ich als Lernende/Lernender Vorwissen: Habe ich das notwendige Vorwissen, um das Neue zu verstehen? Wo habe ich Lücken (z.B. nicht gelernt, vergessen, nicht verstanden, verpasst)? Was weiß ich schon vom Neuen? Ziel: Welche Ziele im Zusammenhang mit der Lernaufgabe verfolge ich? Welche Leistung will ich erbringen? Eigene Leistung: Weshalb macht mir diese Lernaufgabe Mühe? Fällt mir das Lernen in diesem Fach leicht? Innerer Zustand: Wie gut bin ich für die Lernaufgabe motiviert? Was interessiert mich? Was missfällt mir eher? Bin ich konzentriert genug? Plagen mich Selbstzweifel und schlechte Gefühle? Fühle ich mich für die Lernaufgabe kompetent? Lerngewohnheiten: Höre ich lieber zu, spreche oder schreibe ich lieber oder lerne ich etwas am besten, wenn ich es selbst in irgendeiner Form auch praktisch tun kann? Neige ich dazu, alles immer wieder bis zum letzten Moment hinauszuschieben? Zu welchen Tages- und Nachtzeiten kann ich mich am besten auf das Lernen konzentrieren? Arbeite ich gerne in einem Team oder bevorzuge ich Einzelarbeit? Lernstrategien: Welche Lernstrategien habe ich in meinem Repertoire? Wie gut beherrsche ich diese Strategien? Womit habe ich schon gute Erfahrungen gemacht? Was habe ich schon ausprobiert? Wofür habe ich noch keine geeignete Strategie gefunden? Was wollte ich bisher noch nicht einsetzen? Weiss ich also, welche Lernstrategien es überhaupt gibt, welche ich wann, warum und wie einsetzen sollte? Welche Lernstrategien sollte ich mir noch aneignen oder weiterentwickeln? 3. Lernstrategien konkret auswählen Welche Lernstrategien wähle ich nun konkret aus, indem ich die Lernsituation und mich als Lernenden berücksichtige? (Aus: Christoph Metzger, Wie lerne ich? Sauerländer Verlag, 4. Auflage 2004, S. 44ff) 5) Lernstrategienprotokoll 1 Lernstrategien situationsgerecht auswählen la Wie sieht die konkrete Lernsituation aus? - Lernaufgabe (Lernziel, Umfang, Schwierigkeiten, Zeit, Prüfung) - Lernbedingungen lb Was muss ich bei mir selbst als Lernerin/Lerner beachten? (Vorwissen, Ziel, eigene Leistung, innerer Zustand, Lerngewohnheiten, Lernstrategien) lc Welche Strategien kommen in Frage? ld Welche Strategien wähle ich aus? 2 Lernstrategien situationsgerecht einsetzen und kontrollieren - erreiche ich das Ziel? - stimmt das Verhältnis Aufwand/Nutzen? - stimmt die Lernatmosphäre? 2a Wie setze ich die ausgewählten Strategien um? (Wie und wann tue ich was?) 2b Welche Lernstrategien funktionieren? Warum? 2c Welche Lernstrategien funktionieren nicht? Warum nicht? 3 Lernstrategien anpassen Was ändere ich an den gewählten Lernstrategien noch während des Lernprozesses? Welche anderen Lernstrategien wähle ich? 4 Gesamtevaluation am Ende einer Lernetappe 4a Was hat funktioniert? Warum? 4b Was hat nicht funktioniert? Warum? 4c Was mache ich nächstes Mal gleich? 4d Was mache ich nächstes Mal anders? (Aus: Christoph Metzger, Wie lerne ich? Sauerländer Verlag, 4. Auflage 2004, S. 42) 6) Bewertung eines Arbeitsprotokolls: 1. Arbeitsprotokoll führen: - Arbeitsinhalte klar, detailliert - Zeitangaben zum Vorgehen - Reflexion darüber 2. Welche Fragen und Probleme sind aufgetaucht? Wie bin ich vorangekommen? Erkenntnisse: Freude, Ärger, Mühe mit ... Lösungsansätze: Was müsste ich anders machen? Nächste Arbeitsschritte 3. Welche Irrwege sind begangen worden? Welche Hilfen habe ich beigezogen? (Personen; Nachschlagewerke, Fachwörterbuch, ...) Verfahren, Techniken, die eingesetzt wurden 4. Beilage von Notizen zur Dokumentation des Arbeitsprozesses Änderungen am Arbeit (Aus: Frick/Mosimann: Lernen ist lernbar. Handbuch für Lehrpersonen, ISBN 3-7941-4635-2 © 2000 by Verlag Sauerländer, 5001 Aarau S. 146) 7) vgl.: Frick / Mosimann, Lernen ist lernbar, Anleitung zur Arbeits- und Lerntechnik, Sauerländer – Verlag, 10. Auflage 2004, S. 58 ff Anlagen 1 – 6: Notizen aus Lesetagebüchern der Schüler/innen Anlage 1: Zeugenschranke – Der Tischler Gefühle / Gedanken des Tischlers an der Zeugenschranke: - Der Tischler wollte Andri nichts Böses (unterstützte die Ausbildung im Verkauf – nicht als Tischler- und hatte nie Probleme mit ihm) - War überzeugt, dass Andri Jude war (Hielt den Beruf Verkäufer für Andri eher angemessen als den Beruf Tischler) - Hält sich nicht für direkt schuldig (zeigt keine Reue) Ausdruck seiner Gefühle durch die Sprechweise: - Betonung der eigenen Person „Ich ...“ Langsames und beherrschtes Sprechen zur Unterstreichung seiner Persönlichkeit Für ihn wichtige Wörter besonders zusätzlich betont und lang gezogen („Unannehmlichkeiten“, „Verkäufer“, „wohl meinte“) Insgesamt etwas zerknirscht, aber er versuchte, seine Schuld zu verdrängen, indem er Erklärungen und Rechtfertigungen ablegt; keine Reue, sogar ein wenig vorwurfsvoll, aber ruhig und gefasst. Anlage 2: Zeugenschranke - Der Geselle Intonation und Aussprache Der Geselle, jetzt in einer Motorradfahrerjacke, tritt an die Zeugenschranke. Geselle: Ich (...) geb (...) zu: Es war mein Stuhl und nicht sein Stuhl. Damals. Ich wollte ja nachher mit ihm reden, aber !da! war er schon so, dass man halt nicht mehr reden konnte mit ihm. (s) Nachher hab ich ihn auch nicht mehr leiden können (s), geb ich zu. (e)Er hat einem ja (s) nicht einmal mehr (s) guten Tag gesagt (e). Ich sag ja nicht, es sei ihm recht geschehen, aber es lag halt auch an ihm, (h) sonst wär's nie so gekommen (h). Als wir ihn nochmals fragten wegen Fußball, (...) !da! war er sich schon zu gut für uns (...). Ich bin nicht schuld, dass sie ihn geholt haben, später. Wort (...)Wort (e)Wort (h)Wort (s)Wort Wort! -> ~> -> -> -> -> betont gedehnt empört Stimme erhoben, belehrend schnell wichtig, besonders betont Erläuterung: Der Geselle scheint Andri gegenüber gleichgültig zu sein. Diesen Eindruck verleiht mir zumindest der Kontext, das Drama Andorra. Er lädt ihn zwar ein, mit ihm und seinen Freunden Fußball zu spielen und scheint Wert auf das Entstehen einer Freundschaft mit ihm zu legen, doch wenn es darum geht, ihm zu helfen oder eigene Fehler einzugestehen, damit er nicht fälschlicherweise dafür bestraft wird, erweist er sich als schlechter Freund, da er die Schuld, den zerbrechlichen Stuhl produziert zu haben, von sich weist, um selbst keinen Ärger zu bekommen und nimmt in Kauf, dass Andri dafür beim Tischlermeister schlecht dasteht. Auf die spätere Frage Andris, warum er, Fedri, ihn verraten habe, reagiert der Geselle nicht und schlägt den unterlegenen Andri gemeinsam mit dem Soldaten. Vor der Zeugenschranke erweist sich der Geselle als ebenso feige, wie er sich auch gegenüber Andri verhält, als er die Schuld indirekt, durch nicht Eingestehen, auf ihn schiebt. Er gibt zu, dass es sein Stuhl gewesen sei, fügt allerdings noch „Damals" hinzu, um seine Schuld in gewisser Weise abzuschwächen. Dass er nicht mehr mit ihm habe reden können, wäre Andris Schuld gewesen, ebenso wie, dass er ihn nicht mehr leiden konnte. Zum Schluss weist er die Schuld an Andris Tod noch einmal gezielt ab, damit niemand ihn als böse in Erinnerung behalten könnte. Vergleicht man seine mit der Aussage des Tischlers, bemerkt man, dass sie sich ziemlich ähnlich sind. Auch der Tischler rückt das ganze Geschehen in die Vergangenheit, um zu vertuschen, dass es eigentlich doch gegenwärtig geblieben ist. Der Geselle scheint insgesamt sehr abhängig vom Tischler zu sein: Er gehorcht ihm blind. Zudem stellt sich der Geselle noch als bemitleidenswertes Opfer dar, er hätte ja nichts dafür gekonnt, Andri hätte ja nicht einmal mehr guten Tag gesagt. Als er merkt, dass er sich verdächtig macht, weist er diesen Verdacht gleich wieder ab, indem er beteuert, nicht sagen zu wollen, es sei Andri recht geschehen. Somit erweist sich der Geselle als eine für Andorra typische Person, die scheinheilig und feige ist, die Wahrheit nicht erkennen mag und die Schuld auf Andersartige abschiebt. Ich denke, dass Adverbien eine wichtige Rolle in seinem Statement spielen, da er immer betont, es sei damals gewesen. Damit rückt er das Zeitliche in den Vordergrund, will das Ganze als „Schnee von gestern" darstellen. Daher denke ich, Wörter wie „damals", „da" und „später" sollten besonders betont werden, ebenso wie seine Unschuld, also Sätze wie „Ich bin nicht schuld". Der Geselle möchte vor den übrigen Andorranern nicht als böse dastehen, daher weist er die Schuld von sich und das sollte ebenfalls hervorgehoben werden. Aussagen, von denen er selbst weiß, dass sie vielleicht nicht ganz richtig sind, oder bei denen es ihm schwer fällt, sie auszusprechen, lasse ich ihn langsamer als normal sagen, um sein Zögern auszudrücken. So beim Anfangssatz: Dem Gesellen fällt es schwer, etwas zuzugeben, da er sich nicht als schuldig ansieht und insgesamt eher verschlossen und feige ist. Das gleiche Phänomen zeigt sich, wenn er etwas schneller als normal von sich gibt. Er möchte es vertuschen (Nachher hab ich ihn auch nicht mehr leiden können). Ebenfalls 1 lässt sich dieses rhetorische Mittel einsetzen, wenn er sich aufregt, wie als er erzählt, Andri habe ihn nicht mehr gegrüßt. Diese Tatsache, die eigentlich auf seinem Verhalten beruht, stellt er dadurch als etwas Ungeheuerliches dar, das ihn empört. Ingesamt stellt sich der typisch andorranische Charakter bei Fedris Aussage sehr gut vor, und kann durch Intonation also gut verdeutlicht werden. Anlage 3: Brief an Peider Peider, ich bewundere deine Ehrlichkeit, dass du zugibst, Andri von Anfang an nicht gemocht zu haben, aber dass du ihn immer noch für einen Juden hältst, ist eine falsche Einstellung. Andri ist der Sohn des Lehrers und der Senora, ein Andorraner wie du selbst auch. Erst dein Verhalten und die Vorurteile aller anderen Andorraner haben Andri zermürbt und ihn seine Rolle annehmen lassen, aber es war nur seine Rolle, nicht er selbst. Du kannst die Schuld nicht einfach von dir weisen, indem du sagst, du warst Soldat und es war ein Befehl, den du ausführen musstest. In dem Moment, wo du nichts dagegen gesagt und die Order befolgt hast, bist du für Andris Tod mitverantwortlich und schuldig geworden. Du kannst dich nicht hinter deiner Uniform verstecken, gesteh dir selbst deine Schuld ein! Was geschehen ist, kann man nicht mehr rückgängig machen, doch denke über dein Verhalten nach, sei ehrlich vor dir selbst und lerne daraus für die Zukunft. Mit freundlichen Grüßen Eine Beobachterin! Anlage 4: Musik zur Zeugenschranke mit dem Soldaten Vor der Szene: „Ghost Iove score" von Nightwish (Lied 1), da das Lied sehr langsam und ruhig beginnt und zum Ende hin sehr schnell wird. So könnte ich mir auch die Emotionen von Peider vorstellen. Er wird zunächst eher gelassen und ruhig an die Aussage vor der Zeugenschranke denken, weil er sich keiner Schuld bewusst ist, so wie er angibt. Doch ich denke, er weiß sehr wohl, was er getan hat und dass er ein ganzes Stück weit Mitschuld an Andris Tod trägt. Deshalb denke ich, dass er kurz vor seiner Aussage doch aufgeregt ist und deshalb passt der Anstieg des Songs sehr gut zu dem Empfinden des Soldaten. Während der Szene: „Slaying the dreamer" von Nightwish (Lied 2), weil ich finde, dass in diesem Lied sehr viel Aggressivität ausgedrückt wird. Das passt sehr gut zu der Szene, weil der Soldat hier, wie im gesamten Werk, sehr aggressiv ist. Mir scheint der Soldat Peider schon im ganzen Buch über sehr hasserfüllt zu sein. Diesen Hass drückt auch der Song „Slaying the dreamer", sowohl textlich als auch musikalisch aus, in dem es am Ende sogar heißt:,J truly hate you all", was übersetzt soviel wie „Ich hasse euch wirklich alle" bedeutet. Nach der Szene: „Suicide is painless" von Marilyn Manson (Lied 3), denn dieser Song steckt auch sehr voll Aggressivität, jedoch nicht in dem Maße, wie „Slaying the dreamer", da hier ein sehr ruhiges Lied vorliegt, welches trotzdem sehr wütend klingt, wie man es nicht oft in langsameren Songs zu hören bekommt. Es scheint mir sehr zu dem Gefühl des Soldaten nach der Szene zu passen, weil er sicher noch etwas wütend ist, aber trotzdem nicht mehr so energisch, wie während der Szene. Anlage 5: Die Zeugenschranke – Das Bühnenbild Begründung: Ich habe die Zeugenschranke als einen Raum mit einem Tisch, Stuhl und einer Lampe dargestellt. Dieser Raum sollte möglichst abgeschlossen wirken, aber keine Türen oder Fenster haben. Er sollte nur durch die Lampe beleuchtet sein, die auch gleichzeitig das Gesicht und nur das Gesicht des Zeugen erhellt. Die Wände sind eigentlich hell, also weiß, doch durch die Dunkelheit wirken sie schwarz. Ich wollte absichtlich diesen Schwarz – Weiß – Kontrast hervorheben. Gerade in diesen Szenen, in denen die Zeugen vortreten, ist es fragwürdig, ob die Person unschuldig (weiß) oder schuldig (schwarz) an Andris Tod ist. Dafür steht auch noch mal der Boden. Alles sollte möglichst schlicht und nicht zu überladen wirken. Außerhalb der Szenen mit der Zeugenschranke kann der Raum auch noch als Café dienen. Anlage 6: Die Funktion der Zeugenschranke in Max Frischs Drama „ Andorra“ I. II. III. IV. Die Funktion der Zeugenschranke im Drama und für den Zuschauer Der zeitliche Hintergrund Die Personen in der Zeugenschranke und ihre Aussagen Gibt es ein Fazit aller Aussagen im 12. Bild ? I. Die Funktion der Zeugenschranke im Drama und für den Zuschauer Die Zeugenschranke als solche hat mehrere Funktionen, zum einen für das Drama, zum anderen für den Zuschauer, der das Geschehen auf der Bühne mitverfolgt. Im Allgemeinen lassen sich die einzelnen Auftritte der Personen in der Zeugenschranke als „Zwischenszenen" bezeichnen, die die Handlung vertiefen, in dem sie auf Geschehenes zurückblicken oder Dinge, die noch passieren werden, ankündigen. Durch diese Funktion wird der direkte Spannungsaufbau im Drama verhindert, denn schon der Wirt in der ersten Zwischenszene verrät dem Zuschauer, dass Andri Cans unehelicher Sohn ist. Außerdem weisen auch alle Aussagen darauf hin, dass Andri etwas Schreckliches passieren wird (zum Ende hin wird klarer, dass dies nur der Tod sein kann). Die Zeugenschranke ermöglicht dem Zuschauer, tiefer in die Ereignisse in Andorra einzutauchen und sich eine eigene, sehr persönliche, Meinung zu bilden, denn jede Aussage spiegelt das Verhalten der Andorraner Andri gegenüber und reflektiert sein eigenes Leben. Fast jeder der beteiligten Andorraner wird in die Zeugenschranke berufen, um sich zu äußern und kommentiert das eigene, sowie Andris Verhalten wie der Zeuge es sieht. Fast jede Aussage beginnt oder beinhaltet den Satz „Ich gebe zu ...", wobei der Zuschauer sich beinah darüber amüsieren kann, welche Belanglosigkeiten dort „zugegeben" werden. Je mehr Personen man aus der Zeugenschranke sprechen hört, desto klarer wird das Bild von Andorras Bevölkerung, einer Gesellschaft voller Vorurteile, mit der Uneinsichtigkeit eines Kindes. Alle Andorraner, bis auf der Pater, verwenden außerdem die Phrase: „Ich bin nicht schuld ...", eine Zurückweisung jeglicher Schuld oder Mittäterschaft am Tod Andris. Doch in der Zeugenschranke kann sich niemand verstecken, der Pater nicht hinter seinem Kreuz, der Soldat nicht hinter seiner Uniform, die Wahrheit kommt ans Licht und die Frage, ob die Andorraner nun schuldig geworden sind oder nicht, bleibt am Ende doch nur eine rhetorische. Durch die kritische Beleuchtung, die Max Frisch durch seine Zwischenszenen erreicht, erlebt der Zuschauer das Drama sozusagen „doppelt". Er kann mitverfolgen, was Andri zustößt, weiß aber gleichzeitig schon vorher, was geschehen wird und dass niemand die Handlung aufhalten kann. Auch ist der Zuschauer bereit, über die Geschehnisse nachzudenken, mit Andri mitzufühlen und den „wunden Punkt" der andorranischen Gesellschaft zu finden, da er durch die begleitenden Kommentare in den Zwischenszenen immer neue Aspekte der Handlung hinzugefügt bekommt, die am Ende für Andris Schicksal ausschlaggebend sind. So spricht der Wirt als erstes über den Lehrer Can, der sich bewundernswert verhalten hat, indem er „das Judenkind rettete", der Geselle redet von dem Aspekt der eigenen Schuld Andris, der Jemand wiederum spricht über den Tod der Senora. Auf diese Weise hat der Zuschauer jeden der für die Handlung wichtigen Punkte, noch einmal in der Reflexion erlebt und ist so in der Lage, dass zu tun, was er eigentlich nicht soll: Er kann sich ein Bildnis machen. II. Der zeitliche Hintergrund Der zeitliche Hintergrund des Dramas ist schnell und einfach zu erläutern, auch wenn er auf das Drama eine komplexere und vor allem sehr effektive Wirkung hat. Die Geschichte Andris, also alle Bilder, spielen in der Vergangenheit und zeigen dem Zuschauer die Geschehnisse von „damals". Man kann so mitverfolgen, was Andri zugestoßen ist, weiß aber gleichzeitig, dass Andris Schicksal nicht abänderbar ist. Die Aussagen der Andorraner in der Zeugenschranke (nach dem 1., 2., 3., 6., 7., 9. und 11. Bild) spielen in der Gegenwart, in der auch der Zuschauer sich befindet. Die Zeugenschranke stellt die Andorraner so dar, wie sie in der Gegenwart sind und von wo sie einen distanzierten Blick auf die Ereignisse der Vergangenheit haben (sollten). Jeder, der in der Zeugenschranke befragten, Andorraner lässt also seine persönliche Meinung über das verlauten, was er in der Vergangenheit miterlebt hat. Zum Zeitpunkt all dieser Zeugenaussagen ist Andri bereits tot. III. Die Personen in der Zeugenschranke und ihre Aussagen Der Wirt: er lobt den Lehrer als bewundernswerten Mann, weil dieser „ein Judenkind gerettet hat". Er nimmt das Wichtigste, nämlich das Andri Cans wahrer Sohn ist und ihn etwas Schlimmes erwartete gleich vorweg, ohne dass der Zuschauer über Andris Leben bzw. Lebensende oder den Verlauf seines Lebens nachdenken muss. Der Wirt erläutert knapp den Vorfall des gesamten Missverständnisses dem alle Andorraner aufgesessen sind, streitet im gleichen Atemzug aber auf jeden Fall jegliche Mitschuld an Andris Tod ab. Auf seine Schuld am Tod der Senora kommt der Wirt in seiner Aussage überraschenderweise gar nicht zu sprechen. Der Tischler: Er gibt zu, Andri nicht als Lehrling gewollt zu haben, sagt aber, dass auch er keine Schuld am Tod Andris hat. Der Tischler formuliert seine Aussage am schlichtesten und kürzesten, und das, obwohl er einer derjenigen ist, die Andri besonders Unrecht tun (siehe 3. Bild). Der Geselle: Er verweist auf den Aspekt der angeblichen Mitschuld Andris an seinem eigenen Tod und behauptet, Andri habe diesen Weg, den er gegangen ist, selbst eingeschlagen. Am Anfang des Dramas hätte der Zuschauer vielleicht sogar davon ausgehen können, dass Andri und Fedri Freunde werden könnten (durch das gemeinsame Interesse am Fußball und Andris Pläne in Fedris Mannschaft zu spielen), doch auch darauf kommt der Geselle nicht zu sprechen, alles was er zu sagen hat, ist: „Ich bin nicht schuld ...". Der Soldat: Er gibt als einziger zu, eine Antipathie gegen Andri gehabt zu haben und er bekräftigt auch, dass er noch immer glaube, Andri sei tatsächlich Jude gewesen. Vielleicht flüchtet sich der Soldat hier in einen Wunschtraum, weil der Gedanke, einem wirklichen Andorraner Unrecht getan zu haben, ihn zerstören würde. Der Soldat macht seine Aussage in ziviler Kleidung, ohne Uniform und ohne Waffe, er plädiert dennoch dafür, dass er nur Befehle ausgeführt habe und Befehl schließlich Befehl sei. Mit anderen Worten: „Ich bin nicht schuld ...". Auf die Vergewaltigung Barblins und die daraus resultierte Schlägerei mit Andri kommt er nicht zu sprechen. Der Pater: Der Pater verkörpert in der Zeugenschranke eigentlich die interessanteste Figur, da er als einziger von seiner Schuld spricht. Er gibt sie zu und er formuliert auch die Lehre die er daraus gewonnen hat: „Du sollst dir kein Bildnis machen". Diese Aussage wird auch gleichzeitig ein Stück weit zur Lehre des Dramas, über die sich jeder Leser und jeder Zuschauer Gedanken machen sollte. Der Pater fungiert aber nicht nur als der „bereuende Teil" der andorranischen Bevölkerung sondern auch als der Anklagende: Er sagt: „... auch ich habe ihn an den Pfahl gebracht,...". Durch dieses „auch" bestätigt er außerdem die Kollektivschuld der anderen Bürger. Der Jemand: Er ist einer derjenigen, die wieder einen neuen Aspekt der vielen Gesichtspunkte, die Andris Schicksal ausmachen, anspricht: Der Tod der Senora. Der Jemand sagt hierzu aus, dass er zu dem Zeitpunkt nicht am Tatort war und somit auch niemanden beschuldigen könne. Er will sich aus der Sache einfach ganz raushalten und er sagt außerdem, dass Andri ihm durchaus Leid tat, als er von den Soldaten geholt wurde. An dieser Stelle ist fragwürdig welche Art von Mitleid der Jemand empfindet, es ist jedoch zu vermuten, dass er Andri zwar bemitleidet, aber gleichzeitig froh ist, selber am Leben zu sein. Man könnte diese Art von Mitleid fast als „eigennütziges Mitleid" bezeichnen. Abschließend betont der Jemand auch, dass er finde, man müsse auch vergessen können. Eine weitere recht zweifelhafte Aussage, die hier infrage stellt, wie ernsthaft der Jemand mit den Geschehnissen umgeht bzw. umging als Andri noch lebte. Der Doktor: Abschließend ist es der Doktor, der seine Aussage präsentiert. Auffallend ist hier, dass er sagt, er wolle sich kurz fassen und am Ende die längste Rede hält, die doch eigentlich nur dieselben Inhalte aufzeigt, die der Zuschauer bereits kennt. Er behauptet außerdem, Andris Benehmen hätte „etwas jüdisches" an sich gehabt, dass ihn verdächtig machte. Aber er, als der Amtsarzt, wolle sich natürlich da heraus halten, grade, weil er Andri nur wenige Male gesehen habe. Der Doktor weißt wie alle anderen, außer der Pater, die Schuld von sich, er sieht weg und versucht noch, Andri in einem schlechteren Licht dastehen zu lassen. Dass er den Wirt dazu angestiftet hat, die Schlägerei zwischen Peider und Andri zu vertuschen bzw. nicht aufzubauschen wird in seiner Zeugenaussage seltsamerweise mit keinem Wort erwähnt. IV. Gibt es ein Fazit aller Aussagen im 12. Bild ? Meiner Meinung nach gibt es eine Art Zusammenführung bzw. Fazit aller Aussagen im 12. Bild und es ist komischerweise Barblin, die diese abschließende Aussage trifft, indem sie immer wieder sagt: „Ich weißle". Die Andorraner halten sie für schwachsinnig und alles was sie sagt für absolut irrelevant, und dennoch ist sie es, die Andorra von seiner Schuld befreien will. Sie hat die Schuld aller Andorraner gesehen, sie kennt sie. Sie kennt den Schwachpunkt der andorranischen Gesellschaft, in der sie sich am Anfang noch sicher und geborgen fühlte. Durch ihre Aktion, nämlich ihr Weißein, wird dem Zuschauer schlussendlich klar, dass, egal was die Andorraner in der Zeugenschranke ausgesagt haben, sie doch alle schuldig sind. Sie sind „schwarz geworden", wie Barblin es auch zu Pater Benedikt sagt. In der Zeugenschranke konnte sich kein Bürger hinter etwas verstecken, vielleicht in der Hoffnung, dass sie im Rückblick die Wahrheit sagen würden, doch im Gegenteil: Sie geben sich uneinsichtig und sind so naiv zu behaupten: „Wir sind nicht schuld", doch Barblin kennt die Wahrheit und sie sieht sie, so klar und deutlich, wie Can den Pfahl am Anfang des Dramas gesehen hat, Barblin weiß um die Schuld der Andorraner und was sie sagt, das tut sie: „Ich weißle, Ich weißle ...“